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Hedwig Courths-Mahlers "Märchen für Erwachsene", wie sie ihre Romane selbst nannte, sind ebenso zeitlose Klassiker wie die Themen, die sie behandeln: die Liebe, ihre Gefährdung und deren Überwindung, die Verwirrung der Gefühle und der Weg zum Glück. Seit über 100 Jahren verzaubert sie ihre Leserinnen und Leser mit ihren wundervollen Geschichten immer wieder neu, und mit einer Gesamtauflage von über 80 Millionen Exemplaren gilt Hedwig Courths-Mahler heute als DIE Königin der Liebesromane.
Dieser siebte Sammelband enthält die Folgen 19 - 21:
ES IRRT DER MENSCH
Noch vor Kurzem hing der Himmel für Renate voller Geigen. Sie war reich, denn ihr Vater besaß ein großes Unternehmen. Sie war glücklich, denn sie war mit einem schneidigen Offizier verheiratet. Doch mit einem Mal ändert sich das Schicksal der jungen Frau. Der Vater macht bankrott, und der Ehemann verlässt sie. Arm, allein und hoffnungslos steht Renate nun dem Leben gegenüber.
Auf Gut Tornau findet sie eine Stelle als Gesellschafterin. Hier begegnet sie auch dem stattlichen Rolf von Tornau. Mit der Zeit schafft es der junge Gutsherr, wieder Frohsinn und Hoffnung in Renates einsames Herz zu bringen. Bis eines Tages ihr Gatte wieder auftaucht. Und wie damals, so bringt er auch diesmal Leid und Tränen über Renate...
WAS TAT ICH DIR?
Schweigend erträgt Romana Nordegg alle Anschuldigungen ihrer Stiefmutter und ihrer Stiefschwester Beatrix, die ihr vorwerfen, geizig und rücksichtslos zu sein. Dabei ist Romana nur darauf bedacht, die ererbte väterliche Fabrik vor dem Konkurs zu bewahren.
Tag und Nacht sitzt sie über den Büchern, während die Stiefmutter und die Stiefschwester rauschende Feste feiern. Am ausgelassensten dabei ist Beatrix, die schon lange nach einem reichen Freier Ausschau hält. In Gerald Rhoden hofft sie, ihn gefunden zu haben. Als sie sich nahe dem Ziel wähnt, zieht sich Rhoden jedoch plötzlich zurück, denn er hat inzwischen eine wahrhaft tapfere und klügere Frau kennen und lieben gelernt...
SEINE GROßE LIEBE
Bussa von Nordeck ist in Südwest-Afrika aufgewachsen. Ihre Eltern, deutsche Auswanderer, hatten selten Zeit, sich mit der nötigen Liebe um ihr einziges Kind zu kümmern. Doch nun sind die beiden verstorben, und Bussa kehrt nach Deutschland zurück.
Hier lernt sie den Gutsherrn Will Wendland kennen, dem ihr junges Herz im Sturm zufliegt. Aber voller Misstrauen verbirgt sie ihre wahren Gefühle vor ihm. Und dieses Misstrauen scheint nicht unbegründet, denn Will Wendland ist der Geliebte einer anderen...
Über 240 Seiten Romantik und Herzenswärme!
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Seitenzahl: 487
Hedwig Courths-mahler
Hedwig Courths-Mahler Collection 7 - Liebesroman
Cover
Impressum
Es irrt der Mensch
Vorschau
Es irrt der Mensch
Ein berühmter Hedwig Courths-Mahler-Roman
Renate schreckte jäh aus dem Schlaf auf. Hatte da nicht jemand ihren Namen gerufen? Sie richtete sich empor und sah in das dämmernde Morgenlicht, lauschend, als müsse sich der Ruf wiederholen.
Nein – es blieb still, still und einsam.
Nach und nach erwachten auch ihre Gedanken, und seufzend ließ sie sich von ihnen gefangen nehmen. Dann erhob sie sich, kleidete sich zögernd, mechanisch an und blieb dazwischen immer wieder horchend stehen.
Regte sich wirklich nichts um sie her? War es wirklich so totenstill im Haus, war kein Laut erwachenden Lebens, keine trippelnden Kinderfüßchen, kein lallendes, kosendes Rufen vernehmbar?
Nein – sie war wirklich einsam und verlassen, ein loses Blatt, den Stürmen des Lebens preisgegeben, sobald sie den Schritt über die Schwelle ihres Heims setzte.
Ihr Heim.
Renate überfiel plötzlich ein Gefühl dumpfer Angst. Sie öffnete ihr Schlafzimmer und lief wie gejagt durch die ganze Wohnung.
Wirr und unordentlich standen die Möbel umher, die Teppiche waren zusammengeschnürt und die Fenster der Gardinen beraubt.
Mit trüben Augen sah sie um sich. Sie kam sich vor wie eine Fremde in ihrer eigenen Wohnung.
Müde, mit schweren Schritten, kehrte sie in ihr Schlafzimmer zurück. Neben ihrem Lager stand ein Kinderbettchen mit Spitzengardinen und seidenbezogenen Kissen. Renate ließ sich auf einen Stuhl gleiten und starrte mit trockenen, brennenden Blicken vor sich hin.
Sie grübelte über die letzten Jahre ihres Lebens. Was hatten sie aus ihr gemacht?
Vor vier Jahren noch die glückstrahlende Erbin des reichen Fabrikanten Johann Werkentin, ein lebenssprühendes, übermütiges Mädchen mit lachenden Augen und überschwänglicher Seligkeit, dann die Braut und die Frau eines der schneidigsten und schönsten Offiziere – und heute ein gebrochenes Weib, verlassen, betrogen von dem ehrlosen Mann, der ihr am Altar ewige Treue geschworen hatte, des Kindes beraubt, das ihr auf dem Gipfel ihres Glücks das Schicksal in die Arme legte und im Unglück wieder nahm, der Vater tot, das Vermögen verloren.
Als bankrotter Selbstmörder sollte der Vater geendet haben, wie ihr Mann, der Leutnant von Trachwitz, ihr ins Gesicht geschrien hatte.
Und dann wurde alles verkauft, Möbel, Silberzeug, Pferde und Wagen, alles machte Trachwitz zu Geld; nur ihre Wäsche, ihren Schmuck und ihre Kleider ließ er ihr. Er gab vor, nach Berlin ziehen zu wollen, um dort eine Stellung zu finden. Irgendwie müsse er Geld zu verdienen suchen, um sich und seine Frau zu erhalten.
Man bemitleidete ihn ein wenig, ein wenig gönnte man ihm auch das Unglück, aber man ging über ihn hinweg bald zur Tagesordnung über.
Renate ließ alles geschehen. Gedankenlos packte sie ihre Sachen ein und bereitete sich zur Abreise vor.
Die Dienstboten wurden entlassen, die Händler kamen und kramten in den verkauften Sachen herum.
Als sie Hans von Trachwitz am letzten Abend vergeblich zum Essen erwartet hatte, war sie in sein Zimmer gegangen, um ihn zu rufen. Es war leer, aber ein Brief an sie lag auf dem Tisch.
Er war sehr kurz und lautete:
Ich muss dich verlassen. Mit dir zusammen kann ich mir keine neue Existenz gründen. Du bist verwöhnt und unpraktisch, und überdies – uns bindet ja längst nichts mehr aneinander. Du wirst bei Freunden und Bekannten deines Vaters wohl ein Unterkommen finden. Fürs erste kannst du deinen Schmuck und deine Gesellschaftstoiletten verkaufen, es wird sich ein Käufer dafür bei dir melden. Glückt es mir drüben – ich gehe nicht nach Berlin, sondern nach Amerika –, dann kannst du nachkommen, oder ich sorge sonst für deinen Unterhalt. Wenn nicht, dann sehen wir uns nicht mehr. Leb wohl und vergiss mich, das ist alles, was ich dir wünschen kann.
Das war gestern gewesen. Sie hatte nur bitter vor sich hin gelächelt, hatte später ruhig und bestimmt das Geschäft mit dem Händler abgeschlossen und sich dann todmüde zum letzten Mal niedergelegt.
Nun war die Nacht zu Ende. Ihrer Abreise stand nichts mehr im Weg.
Sie erhob sich und machte sich zum Gehen bereit. Eine große Ruhe war über sie gekommen. Das Blut fleißiger, tüchtiger Kaufleute, die ihre Vorfahren gewesen waren, regte sich in ihr. Sie raffte sich auf aus nutzlosem Grübeln, gewillt, den Kampf mit dem Leben aufzunehmen, mochte er auch noch so schwer sein.
***
Die Sprechstunde Dr. Hellmanns war eben zu Ende. Der Arzt erhob sich und wollte das Sprechzimmer verlassen, als der Diener ihm noch eine Dame meldete.
„Haben Sie nicht gesagt, dass die Sprechstunde beendet ist?“
„Gewiss, Herr Doktor. Die Dame bat aber dringend, vorgelassen zu werden, da sie von auswärts kommt.“
„So? Na, dann herein mit ihr! Melden Sie meiner Frau, dass sie mit dem Essen noch eine Weile warten soll.“
Der Diener entfernte sich und ließ gleich darauf eine Dame in Trauerkleidung eintreten.
Hellmann sah überrascht in ihr feines, blasses Gesicht, aus dem große dunkle Augen mit dem Ausdruck tiefer Seelenpein herausleuchteten.
„Fräulein Renate – Verzeihung Frau von Trachwitz! Sind Sie es wirklich?“
„Ich bin es, Herr Doktor.“
Er beeilte sich, ihr einen Sessel hinzuschieben. „Bitte, nehmen Sie Platz, gnädige Frau. Sie sehen krank aus. Suchen Sie meine ärztliche Hilfe?“
Sie ließ sich müde in den Sessel gleiten und schüttelte den Kopf. Dann sah sie eine Weile stumm zu ihm auf. Sein Gesicht, ein frisches, fröhliches Männerantlitz, nahm einen Ausdruck von tiefer Bekümmernis an. Wie in stummer Frage sahen sie seine Augen an.
„Ja, lieber Doktor, das ist aus Renate Werkentin geworden“, sagte sie leise.
Er nahm ihre Hand in die seine. „Liebe gnädige Frau, Sie haben wohl schweres Leid erfahren, aber so mutlos und elend sollten Sie doch nicht aussehen!“
Sie lächelte schmerzlich. „Was wissen Sie von dem, was mich betroffen hat!“
„Dass Sie den besten, gütigsten Vater verloren haben und… Ihr Vermögen.“
„Das war das Schlimmste noch nicht, lieber Doktor. Ich verlor mehr in diesen schrecklichen Tagen. Meine kleine Magda ist mir auch gestorben und…“, sie presste die Handflächen fest gegeneinander, „… mein Mann hat mich verlassen. Er ist nach Amerika abgereist, um sich dort eine Existenz zu gründen. Mich konnte er dabei nicht brauchen.“
Hellmann fuhr erschrocken zurück. „Unmöglich! Er hätte Sie… Nein, das kann ja nicht sein!“
„Doch, glauben Sie es nur. Seit ich meines äußeren Glanzes entkleidet bin, lohnte es sich nicht mehr, bei mir zu bleiben.“
„Sie so sprechen zu hören, tut mir von Herzen Leid.“
„Sparen Sie Ihr Mitleid, lieber Doktor, denn über diese Sache bin ich hinweg. Etwas anderes führt mich zu Ihnen, etwas, was mich nicht zur Ruhe kommen lässt. Sie sollen mir auf Ehre und Gewissen eine Frage beantworten. Wie starb mein Vater?“
Er machte eine erstaunte Miene. „Haben Sie denn seinerzeit meinen Bericht nicht erhalten? Ich habe Ihnen doch mitgeteilt, dass Ihr Vater einem Herzschlag erlegen ist.“
„Und das ist die reine, lautere Wahrheit? Lieber, bester Doktor, sagen Sie mir aufrichtig: Ist das wirklich wahr?“
„So wahr, wie ich hier vor Ihnen stehe.“
Sie atmete tief, wie von schwerem Druck befreit auf. „Gott sei Dank! Nun, ich hätte es ja wissen sollen.“
„Haben Sie daran gezweifelt?“
„Mein Mann warf mir vor, mein Vater sei als Selbstmörder gestorben.“
Hellmann fuhr entrüstet auf. „Das ist empörend! Gnädige Frau, das haben Sie doch im Ernst nicht von Ihrem Vater geglaubt?“
„Nein, geglaubt habe ich’s nicht, aber gefürchtet. Sie wissen ja als Arzt und Freund meines Vaters, wie viel meine Heirat dazu beigetragen hat, den Fall der Firma Werkentin zu begünstigen. Ich müsste mich anklagen, schuld am Tode meines Vaters zu sein, wenn ihn die pekuniären Verluste wirklich in den Tod getrieben hätten. Es wäre das Schlimmste für mich gewesen, diese Angst mit mir herumzutragen, deshalb kam ich zu Ihnen, um mir Gewissheit zu holen. Bitte, erzählen Sie mir vom Ende meines Vaters, was Sie wissen.“
Hellmann sah ihr ernst ins Gesicht. „Schwere Sorge hatte Ihre Verheiratung Ihrem Vater allerdings gemacht. Er bangte für Sie, weil er Trachwitz besser kannte als Sie. Er hatte sich Vorwürfe gemacht, dass er nicht energisch seine Einwilligung versagte, denn er war die Furcht nicht los geworden, dass Sie unglücklich würden. Er gab das Geld mit vollen Händen für Sie hin, weil er glaubte, Trachwitz würde Sie dafür auf den Händen tragen. Um mehr geben zu können, hat er dann spekuliert – doch das wissen Sie ja alles. Ich will Ihnen nur zeigen, dass ich orientiert bin und dass mein Bericht den Tatsachen entspricht. Ihr Vater litt schon seit langen Jahren an einem Herzfehler, und ich habe ihn immer vor Aufregungen warnen müssen. Ich wusste, dass sein Leiden ihm einen schnellen Tod bringen konnte, und ich habe ihm wieder und wieder Ruhe und Schonung anempfohlen. Nun kam der Zusammenbruch seines Hauses, und die damit verbundene Aufregung brachte ihm den Tod.“
„Also trage ich dennoch die Schuld, dass er so früh starb.“
„Solche Vorwürfe brauchen Sie sich nicht zu machen, das führt zu nichts. Das Leiden Ihres Vaters war derart, dass jede andere Veranlassung das Ende ebenso rasch hätte herbeiführen können.“
„Mein armer Vater!“
„Gönnen Sie ihm den Frieden! Ich wünschte ihm nicht, dass er Sie so vor sich sehen müsste. Sein geliebtes Kind verlassen, der Not preisgegeben, vom Schicksal gebeugt – nein, es ist besser so, glauben Sie mir.“
„Wenn ich ihn noch hätte, wollte ich glücklich sein.“
„Unabänderlichem soll man gar nicht nachgrübeln. – Darf ich fragen, wie Sie sich Ihr Leben nun gestalten wollen? Es ist nicht Neugier, die mich fragen lässt. Ihr Vater war mein Freund; Sie selbst kannte ich schon, als Sie noch in kurzen Kleidern herumliefen. Da können Sie sich denken, dass mir Ihr ferneres Schicksal nicht gleichgültig ist.“
„Ich danke Ihnen für Ihre Teilnahme. Was ich zu tun gedenke, ist bald gesagt. Ich will arbeiten lernen, lieber Doktor, ich muss es tun, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen und um mein Leid zu vergessen. Ein wahrer Heißhunger nach Arbeit ist in mir wach geworden, gleichviel welcher Art sie ist. Nur muss sie meine Zeit ausfüllen und darf mir keine Muße zum Grübeln lassen.“
„Bravo, das gefällt mir! Wollen Sie hier in Berlin bleiben?“
„Vorläufig ja. Ich hoffe, hier am raschesten etwas zu finden. Am liebsten nähme ich eine Stellung als Gesellschafterin oder als Hausdame an, meinetwegen sogar als sogenannte Stütze, mir ist alles recht. Zur Erzieherin fehlen mir die Kenntnisse und dann – ich möchte nicht zu Kindern, jetzt noch nicht.“
„Glauben Sie, bald eine solche Stelle zu finden?“
„Ich hoffe es und werde mir alle Mühe geben.“
„Was aber soll bis dahin mit Ihnen geschehen? Darf ich Ihnen einstweilen den Aufenthalt in meinem Haus anbieten?“
Renate wehrte entschieden ab. „Nein, nein, ich danke Ihnen tausendmal! Sie sind so gütig zu mir. Aber erstens will ich mich lieber gleich auf eigene Füße stellen und dann – ich würde mich unfrei fühlen, Ihre Güte würde mich erdrücken. Sie nehmen mir meine Ablehnung doch nicht übel?“
„Das tue ich gewiss nicht. Es schmerzt mich nur, dass ich so gar nichts für Sie tun kann. Ihr Vater hat mich durch allerlei Gefälligkeiten sehr verpflichtet. Es würde meiner Frau und mir wirklich Freude machen, Ihnen irgendwie helfen zu dürfen.“
„Das können Sie auch, lieber Herr Doktor. Sie haben doch eine ausgedehnte Praxis, kommen mit vielen Menschen zusammen, vielleicht hören Sie zufällig einmal, wo so ein Menschenkind wie ich einen Wirkungskreis finden kann. Dann denken Sie an mich. Und außerdem, wenn ich etwas finden sollte, und man verlangt Referenzen, darf ich mich dann auf Sie und Ihre Frau Gemahlin berufen? Ich habe ja keine Zeugnisse, keine Empfehlungen und werde es sehr nötig haben, dass jemand für mich eintritt.“
„Selbstredend, liebe gnädige Frau. Ich werde mich bei jeder Gelegenheit für Sie verwenden.“
„Dann werde ich Ihnen herzlich dankbar sein. Aber nun will ich nicht länger stören.“
„Sagen Sie wenigstens noch meiner Frau guten Tag und bleiben Sie zu Tisch bei uns.“
„Das erstere will ich gern tun, für das zweite muss ich aber danken. Ich habe mich hier in einer einfachen Pension eingemietet und werde zu Tisch erwartet.“
„Also lauter Absagen. Nun nur noch eine Frage – eine delikate, die Sie nur meiner Sorge zuschreiben müssen. Verfügen Sie über die Mittel, sich eine Weile erhalten zu können?“
„Ich danke Ihnen. Ich habe meinen Schmuck und einige Kostüme verkauft, und wenn ich auch kein Vermögen daraus erlöste, so glaube ich immerhin, bei einiger Sparsamkeit ein halbes Jahr leben zu können. Bis dahin wird sich hoffentlich etwas für mich gefunden haben. So lieber Herr Doktor, nun wissen Sie alles, nun will ich Ihre Frau Gemahlin begrüßen und Sie dann schnell an Ihre Mahlzeit gehen lassen. Hier meine Adresse, falls Sie etwas für mich erfahren sollten. Und tausend Dank, dass Sie mich von meinem bangen Zweifel erlösten.“
Frau Hellmann hatte unterdessen ihre liebe Not gehabt, ihre drei Buben und ihr kleines Mädchen darüber zu trösten, dass der Vater noch immer nicht zu Tisch kam. Das Jungvolk hatte grässlichen Hunger.
„Mutter, das kannst du mir wohl glauben, wenn ich jetzt nichts zu essen bekomme, falle ich – bums – mausetot hin“, versicherte der Älteste, ein Blondkopf von dreizehn Jahren.
„Ich auch, Mutter, ich auch. Ganz elend ist mir schon, und der Pudding wird gar nicht reichen, um mich satt zu machen“, warf der Jüngste, ein Knirps von neun Jahren, ein.
Frau Hellmann lachte. „Geht, ihr dummen Buben, darauf falle ich nicht herein. Wenn der Pudding nicht reicht, wird trockenes Brot gefuttert. Ihr sollt sehen, wie schnell ihr dann satt seid!“
Die kleine bewegliche Frau atmete aber doch erlöst auf, als endlich ihr Mann erschien. Verwundert blickte sie auf seine Begleiterin, begrüßte sie dann aber mit warmer Herzlichkeit. Als sie hörte, dass Renate ihr Kind verloren hatte, wurde ihr frisches, fröhliches Gesicht ganz blass. Instinktiv zog sie ihr eigenes kleines Mädchen einen Moment an ihr Herz, als müsse sie sich überzeugen, dass es heil und gesund sei.
Renate musste tapfer gegen Tränen kämpfen, als sie die muntere Kinderschar betrachtete. Sie blieb nur wenige Minuten und atmete wie erlöst auf, als sie endlich wieder im Freien war.
Die glückliche Mutter aber seufzte vor Mitleid und füllte ihren hungrigen Sprösslingen schnell die Teller.
Nach Tisch erzählte Hellmann seiner Frau von der Unterredung mit Renate. Sie bedauerte die Unglückliche von Herzen.
„Es wird sie sauer ankommen, sich in fremde Launen zu schicken und den Groschen vor dem Ausgeben dreimal umdrehen zu müssen. Das arme Ding! Wenn ich bedenke, was für eine überselige Braut sie war, wie schön und strahlend sie aussah! Der Trachwitz ist doch ein Lump – wie kann er die Frau allein lassen?“
„Sie soll froh sein, dass sie ihn los ist. Glaub mir, sie lernt es bald, auf eigenen Füßen zu stehen, sie lässt sich nicht unterkriegen. Wer weiß, wozu es gut ist, dass sie vom Leben in die Schule genommen wurde. Jetzt wird es sich zeigen, ob sie aus gutem Holz geschnitzt ist.“
***
Über drei Monate war Renate schon in Berlin, und noch immer hatte sie, trotz aller Mühe, keine Stellung gefunden. Sie begann schon, mutlos zu werden, denn alles schlug fehl, und ihr Geld war sehr zusammengeschmolzen – trotz aller Sparsamkeit. Sie hatte verschiedene Anzeigen in die Zeitungen setzen lassen. Es kamen aber nur wenige Antworten darauf, und wenn sie sich irgendwo vorstellte, bedauerte man. Sie sah entschieden zu vornehm aus, obwohl sie die einfachsten Kostüme ihrer Garderobe trug. Anderen wieder war sie zu hübsch, oder man verlangte Zeugnisse – kurzum, es wollte nichts gelingen.
Mit Mühe und Not hatte sie feine Handarbeiten in Auftrag erhalten, aber was sie damit verdiente, war nicht genug, um nur halbwegs ihren Unterhalt zu bestreiten.
Die Besitzerin ihrer Pension riet ihr, Krankenpflegerin zu werden, und obwohl sie sich innerlich dagegen sträubte, sah sie endlich doch ein, dass dies vielleicht der einzige Ausweg sei. Dabei konnte ihr sicher auch Hellmann helfen. Sie nahm sich schon vor, ihn aufzusuchen, da erhielt sie ein Schreiben von ihm. Es lautete:
Liebe gnädige Frau! Endlich glaube ich, etwas für Sie gefunden zu haben. Bitte, besuchen Sie mich morgen um zwölf Uhr. Ich erwarte Sie bestimmt. Mit herzlichem Gruß Ihr
Fritz Hellmann
Renate konnte kaum die Zeit erwarten. Zwischen Hoffen und Bangen verbrachte sie die Nacht. Würde sie endlich ein Unterkommen, eine Lebensaufgabe finden, oder war es nur eine trügerische Verheißung? Sie fühlte, es ging zu Ende mit ihrem Mut, ihrem Vertrauen zu sich selbst. Wenn sich nicht bald ein Ausweg fand, war es zu spät.
Als sie sich pünktlich bei Hellmann einfand, kam er ihr mit strahlender Miene entgegen.
„Guten Tag, Frau von Trachwitz! Endlich habe ich etwas für Sie. Doch setzen wir uns erst.“
Er führe Renate zu einem Diwan und nahm ihr gegenüber Platz. Sie sah ihn erwartungsvoll an. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen.
„Ich danke Ihnen, dass Sie sich bemüht haben, Herr Doktor. Ich bin wahrhaftig zu Ende mit meinem Latein, wenn es wieder nichts ist.“
„Diesmal passt es vorzüglich. Geben Sie Acht: Voriges Jahr operierte ich eine Frau von Tornau, die Witwe eines Gutsbesitzers, die dann einige Wochen in meiner Klinik zubringen musste. Es ist eine liebe, sanfte Frau, eine fein gebildete Dame. Obgleich ich sie von ihrem Leiden vollständig befreit habe, fühlte sie sich doch nicht mehr kräftig genug, um dem großen Haushalt vorzustehen. Ihr Sohn, der das Gut bewirtschaftet, ist unverheiratet. Nun schreibt er mir, ob ich ihm nicht eine Hilfe für seine Mutter verschaffen könnte. Er sucht eine feinfühlige, taktvolle Persönlichkeit, die gleichzeitig die Stütze und Gesellschafterin seiner Mutter sein kann. Allerdings stellt Herr von Tornau eine Bedingung.“
„Und welche?“
„Herr von Tornau wünscht eine Dame ohne allen Anhang, die imstande ist, sich seiner Mutter voll und ganz zu widmen und die nicht durch Familienrücksichten gezwungen werden kann, Tornau wieder zu verlassen. Es mag für die alte Dame nicht leicht sein, sich an das Zusammenleben mit einer Fremden zu gewöhnen, und es ist erklärlich, dass sie vermeiden will, bald schon wieder vor einem Wechsel zu stehen. Ich schlage Ihnen deshalb vor, sich als Witwe auszugeben, und Sie können ja wahrheitsgemäß bestätigen, dass Sie ganz allein stehen.“
„Wenn dies die einzige Bedingung ist – darauf gehe ich gern ein. Am besten ist es, ich lasse auch den Namen meines Mannes aus dem Spiel und stelle mich als Renate Werkentin vor. Das ist einfacher; und mir ist, als müsste mit diesem Namen ein Gefühl der Freiheit über mich kommen. Eine Sünde wird es ja nicht sein, wenn ich aus Not einen Umstand verschweige, der eigentlich für niemand Interesse hat als für ich selbst.“
„Das ist auch meine Ansicht. Es freut mich, dass Sie so vernünftig denken.“
Sie lächelte ein wenig ironisch. „Bleibt mir denn eine Wahl? Es ist die höchste Zeit, dass ich Gelegenheit finde, mir meinen Unterhalt zu verdienen.“
„Und ich glaube, das Schicksal meint es gut mit Ihnen. So weit ich Sie kenne, kann es nicht schwer fallen, mit Ihnen auszukommen.“
„Wenn ich nur den Ansprüchen genügen werde, die man an mich stellt.“
„Das wird sich schon machen. Nur Mut und Vertrauen in die eigene Kraft!“
„Wie soll ich Ihnen nur für alle Mühe danken?“
„Indem Sie sich in das Unvermeidliche fügen und das Leben wieder lieb zu gewinnen versuchen.“
„Das tue ich schon im eigenen Interesse. Wenn es ein wenig zu langsam geht, verlieren Sie bitte die Geduld nicht, lieber Herr Doktor!“
„Gewiss nicht, wenn ich den guten Willen dazu sehe. Auf Wiedersehen denn, meine liebe gnädige Frau. Ich denke, bis übermorgen habe ich Nachricht.“
***
Das Gutshaus von Tornau, das von den Bewohnern des Dorfes das Schloss genannt wurde, war ein massives altes Gebäude mit dicken Mauern und tiefen Fensterbögen. Es war seit mehreren Jahrhunderten der Wohnsitz der Freiherren von Tornau, und da es immer gut erhalten worden war, sah es recht stattlich und gediegen aus.
Die Herren von Tornau waren immer solide Wirtschafter gewesen, wenn auch zuweilen einer in seinen Jugendjahren ein wenig über die Stränge geschlagen hatte. Sobald er seine eigene Scholle bebauen durfte, kam er wieder zur Vernunft und sorgte redlich für seine Nachkommen.
Trotzdem waren die Tornaus nicht besonders vermögend. Das prächtige Gut war allerdings schuldenfrei und brachte genug ein, um es seinem Besitzer zu gestatten, standesgemäß aufzutreten. Aber große Ersparnisse konnten bei den ungünstigen Zeiten nicht gemacht werden.
Der jetzige Besitzer, Rolf von Tornau, war, obwohl er erst fünfunddreißig Jahre zählte, bereits seit zehn Jahren Alleinherrscher auf Tornau. Sein Vater hatte aus dem Krieg allerlei Gebrechen mit heimgebracht und war im besten Mannesalter gestorben. Rolf war sein einziges Kind und hatte nach dem Tod seines Vaters die Leitung des Gutes selbst in die Hand genommen.
Er war, gleich seinen Vorfahren, nach einigen tollen Brausejahren ein fleißiger, tüchtiger Landwirt geworden und lebte in inniger Gemeinschaft mit seiner geliebten Mutter. Der Verkehr mit den Nachbarn war rege und freundschaftlich, wie es auf dem Land üblich ist. Große Festlichkeiten wurden jedoch nicht veranstaltet.
„Dazu müsste erst eine junge Frau ins Haus“, pflegte Frau von Tornau zu ihren nächsten Bekannten zu sagen.
Es war ihr größter Kummer, dass sich ihr Sohn nicht zu einer Heirat entschließen konnte. An Gelegenheit hatte es ihm sicher nicht gefehlt, und es gab manches hübsche und wohlhabende Mädchen, das gern Herrin auf Tornau geworden wäre.
Rolf von Tornau war ein hübscher, stattlicher Mann. Auf einer schlanken, sehnigen Gestalt saß ein scharf geschnittener Kopf mit energisch blickenden Augen, die jedoch zuweilen weich und träumerisch blicken konnten. Das Gesicht war tief gebräunt von Sonne und Wetter. Die ganze Persönlichkeit des jungen Mannes machte einen ruhigen, bestimmten, ernsten Eindruck. Etwas zu ernst vielleicht für seine Jahre und für die Wünsche seiner Mutter. Früher war er fröhlicher, leichtherziger gewesen, und sie wusste genau, dass dies mit einem Mal anders geworden war. Sie ahnte auch den Grund, aber sie rührte nicht mit einem Wort daran, weil sie wusste, dass damit nichts gebessert wurde. Rolf von Tornau hatte vor sechs Jahren die Absicht gehabt zu heiraten. Er liebte mit der ganzen stürmischen Leidenschaft seiner Jahre eine bildschöne Blondine, Melanie von Birkfeld. Diese junge Dame, die Tochter eines verarmten Edelmannes, ließ sich seine Liebe gefallen, machte auch gar keinen Hehl daraus, dass ihr Rolf gefiel, und war nahe daran, seinen Bewerbungen Gehör zu schenken, als plötzlich eine gewisse Lauheit in ihrem Wesen ihn stutzig machte.
Das kam daher, dass der reiche Baron Berkow während eines kurzen Aufenthaltes auf seinen Gütern, die nahe bei Tornau lagen, auf die schöne Melanie aufmerksam geworden war. Der Baron war sehr empfänglich für Frauenschönheiten, und Melanie setzte sein noch immer leicht entzündliches Herz sofort in Flammen. Und sie war ebenso schlau und berechnend wie schön. Es gelüstete sie plötzlich, Baronin Berkow zu werden. Der fürstliche Reichtum, die Aussicht auf ein amüsantes Leben in der Residenz und auf Reisen lockte sie mehr als der Gedanke, mit Schlüsselbund und Schürze im Tornauer Schloss zu walten.
So gab sie dem Baron ihr Jawort, und Rolf musste sich mit einer etwas unklaren Entschuldigung, in der viel von „Opfer der Kindesliebe“ und ähnlichen Dingen die Rede war, abfinden.
Er war außer sich vor Schmerz und Groll. Als er aber von Melanies Vater hörte, wie sehr er gegen ihre Heirat mit Berkow war, weil er viel zu alt für seine lebenslustige Melanie sei, da erkannte Rolf die niedrige Berechnung in ihrem Charakter, und die Verachtung half ihm, seinen Schmerz zu betäuben. Aber ein tiefes Misstrauen gegen das ganze weibliche Geschlecht blieb in seiner Seele zurück, und er mochte nichts mehr vom Heiraten hören.
Frau von Tornau, die nach einer Blinddarmoperation etwas matt und müde geblieben war, sah bald ein, dass sie nicht darauf warten konnte, bis eine Schwiegertochter ihr zu Seite stehen würde. Sie bat deshalb ihren Sohn, ihr eine Hilfe und Gesellschafterin zu engagieren, damit sie sich entlasten konnte und ein weibliches Wesen um sich hatte. Tornau hatte sich deshalb an Dr. Hellmann gewandt, der ihm den Vorschlag machte, Renate zu engagieren. Nach Hellmanns Bericht war sie eine durchaus passende Persönlichkeit. Rolf antwortete daher dem Arzt, dass Frau Werkentin ihm und seiner Mutter willkommen sei.
***
Rolf von Tornau war eben vom Feld heimgekommen. Er sprang vom Pferd und warf die Zügel einem Knecht zu, der den schönen Vollbluthengst in den Stall brachte und sorgfältig abrieb.
Der junge Mann schritt über den weiten, sauber gehaltenen Gutshof dem Haus zu. Er pfiff zufrieden vor sich hin und klopfte mit der Reitpeitsche taktmäßig die hohen Stiefel. Dann sprang er die Treppe zu seinem Zimmer empor und vertauschte die wetterfeste Lodenjoppe mit einem leichten Hausrock. Nun ging er die Treppe wieder hinab und trat in das im Erdgeschoss liegende Speisezimmer, wo ihn am gedeckten Tisch bereits seine Mutter erwartete.
„So, Mutter, da bin ich. Und Hunger habe ich – unmenschlich!“
Er umarmte die alte Dame, eine zarte, schlanke Frau mit schneeweißem Haar und frischem Gesicht, aus dem die Augen zärtlich zu dem großen Sohn aufschauten.
„Guten Tag, mein Junge! Nun komm, setz dich her, fällst mir sonst am Ende um, ehe du zu essen bekommst. Wie war es draußen?“
„Danke, alles in Ordnung, die Leute halten sich brav. Ja, meine Tornauer, das ist guter alter Schlag. Wenn uns das Wetter noch ein bisschen lieb hat, dann gibt’s eine Ernte wie seit Jahren nicht. Schick doch bitte am Nachmittag reichlich kalten Kaffee hinaus – na, die Mamsell wird schon selbst daran denken.“
„Ich werde dafür sorgen, Rolf. Hast du nach Petermann gesehen?“
„Ja, Mutter. Es ist nicht gefährlich mit ihm, nur eine Fleischwunde. Die Sense hat seinem Stiefel jedenfalls mehr geschadet als seinem Fuß. Er lässt sich von seiner Frau Arnikaumschläge machen und schimpft wie besessen, dass er nun bei der Kornernte nicht mehr mithalten kann. Ich solle es ihm nicht übel nehmen, dass er ein Loch im Bein hat.“
Er lachte herzlich, und seine Mutter strich ihm lächelnd über das Haar. „Ja, deine Leute sind die besten im ganzen Kreis. Bist ihnen ja auch ein guter und gerechter Herr.“ Sie sagte es mit zärtlichem Stolz.
„Ist nur mein eigener Vorteil, Mutter, purer Egoismus. – Ah, das duftet! Es geht eben nichts über ein gutes Mittagessen, wenn man von morgens vier Uhr an auf den Beinen ist.“
Er verzehrte seine Mahlzeit mit dem guten Appetit des Landwirts, und seine Mutter reichte ihm mit sichtlicher Befriedigung wieder und wieder die Schüsseln, bis er gesättigt war.
„So, mein Junge, da du nun wieder zu Kräften gekommen bist, will ich dir sagen, dass heute Nachmittag um fünf Uhr Frau Werkentin auf der Bahnstation eintreffen wird. Hast du Zeit, mich zu begleiten? Ich möchte sie selbst abholen. Sie soll dadurch gleich empfinden, dass wir sie als zur Familie gehörig betrachten wollen.“
„Gut, Mutter, ich fahre mit. Es muss auch mal ohne mich gehen. Ich bin selbst ein bisschen neugierig auf unsere neue Hausgenossin.“
Seine Mutter seufzte. „Weißt du, ein wenig bange ist mir doch. So ein fremder Mensch mitten in unser stilles, friedliches Leben hinein!“
„Beruhige dich nur darüber. Hellmann schreibt uns doch sehr nett über sie. Offizierswitwe, gebildet, Herzenstakt, ehrlicher Wille – was willst du mehr?“
Die alte Dame lächelte ein wenig verlegen und strich nervös mit der einen Hand über die andere. „Das ist alles ganz gut, aber – na, du kennst ja meine Schwäche, Rolf. Ich hätte gern gewusst, wie sie aussieht.“
Rolf sprang lachend auf und umfasste seine Mutter. „Mutterle, Mutterle, da haben wir’s ja wieder! Deine Vorliebe für schöne Menschen ist wirklich arg. Daran hab ich nun nicht gedacht, dass du dir eine Fotografie von ihr hättest senden lassen können.“
„Du spottest schon so genug über deine alte Mutter! Gerade davor habe ich mich gefürchtet, dass du mich auslachen könntest, sonst hätte ich mir entschieden ein Bild ausgebeten.“
Rolf lachte noch immer. „Das ist doch nicht bös gemeint, wenn ich dich damit necke. Mir ist ja auch ein schöner Mensch angenehmer als ein hässlicher, aber…“, er wurde ernst, „die Schönen sind nicht immer die Guten, Mutter. Nun will ich Frau Werkentin und uns nur wünschen, dass sie zu ihren sonstigen guten Eigenschaften auch ein angenehmes Äußeres besitzt. Jedenfalls begleite ich dich zum Bahnhof, denn über diesen Punkt möchte ich wahrhaftig nun auch gern beruhigt sein.“
Frau von Tornau brachte ihrem Sohn eine Tasse Kaffee, die er gleich nach Tisch zu nehmen pflegte. „Reitest du vorher noch einmal hinaus?“
„Ja, Mutter, Diesterkamp will mich um drei Uhr an der Wegscheide treffen. Wir wollen zusammen eine neue Mähmaschine probieren. Ich bin aber pünktlich zur Stelle.“
„Schön. Dann will ich jetzt mein Mittagsschläfchen halten, denn du weißt, ich kann es jetzt nicht mehr entbehren.“
„Sollst du auch nicht. Warte nur, wenn Frau Werkentin gut einschlägt, dann wirst du es gut haben.“
Sie nickte ihm freundlich zu. „Ja, mein Junge, das wäre mir schon recht. Adieu denn, grüß mir den Diesterkamp, er soll seiner Frau bestellen, dass ich morgen auf ein Stündchen hinüberkomme. Wir haben so lange nicht zusammen geplaudert.“
Rolf geleitete seine Mutter bis zur Tür. „Wird besorgt, Mutter. Und nun schlaf schön! Um vier Uhr hole ich dich ab.“
***
Als Rolf später mit seiner Mutter nach der Bahnstation fuhr, saßen sie erst eine Weile schweigend nebeneinander. Rolf kutschierte selbst und ließ die Pferde tüchtig ausgreifen. Seine Mutter sah ihm zuweilen von der Seite in das kühn geschnittene, gebräunte Gesicht. Sein Blick war auf den Weg gerichtet, und über der Nase schnitten zwei strenge Falten in die hohe Stirn. Dadurch bekam sein Gesicht einen düsteren Ausdruck, und Frau von Tornau, die diesen Ausdruck gar nicht liebte, seufzte tief auf.
Er wandte sich nach ihr um. „Was ist dir, Mutter?“
„Nichts, gar nichts, Rolf.“
Er lächelte über ihre ausweichende Antwort und sah nun wieder freundlich und liebenswürdig aus. „Als ob du über nichts so tief zu seufzen hättest! Ich kenn dich doch. Nur heraus mit der Sprache, Mutting! Was bedrückt dich denn gar so arg?“
„Etwas, worüber du leider nie mit dir reden lässt, mein Junge. Sieh, ich wüsste dich doch gar zu gern verheiratet. Aber da ist wohl nun nicht mehr daran zu denken, du wirst ein gräulicher alter Hagestolz, und unser liebes altes Tornau kommt dann in fremde Hände. Ich mag gar nicht ausdenken.“
Bei ihren Worten hatte sich sein Gesicht wieder verfinstert. „Noch bin ich zum Heiraten durchaus nicht zu alt, Mutter“, sagte er in gezwungenem Ton. „Ich denke, ich habe noch ein wenig Zeit, auf die Rechte zu warten.“
„Aber nicht mehr lange. Sag mir nur eins: Glaubst du, dass diese Rechte überhaupt noch einmal für dich kommen kann?“
Er sah gedankenverloren vor sich hin. Hatte er damals nicht gemeint, das falsche blonde Mädchen mit dem lockenden Blick und dem verführerischen Lächeln sei die Rechte gewesen? Und sie hatte ihn so grausam betrogen! War es nicht besser, eine von den frischen harmlosen Geschöpfen, die er haben konnte, frischweg zu heiraten und eine ruhige Ehe einzugehen? Schon seiner Mutter zuliebe hätte er es tun sollen. Aber ihm graute davor. Lieber einsam seinen Kohl bauen und als Krautjunker enden, als an ein Weib gefesselt zu werden, das ihm gleichgültig war. Aber konnte er nicht doch noch eine finden, die das wieder in ihm auferstehen ließ, was die andere niedergetreten hatte? Gab es nicht dennoch Frauen, die so waren, wie er sie sich einst zum Ideal erkoren hatte, Frauen mit ehrlichem, festem Sinn und treuem, liebevollem Wesen? War nicht seine Mutter eine solche Frau? Konnte es trotz seines Misstrauens nicht doch eine geben, die ihr gleich war? Aber wo fand er diese eine, einzige?
Langsam wandte er seiner Mutter das Gesicht wieder zu und sagte halblaut: „Sie wird schon noch kommen – hab nur Geduld!“
Frau von Tornau musste sich damit zufrieden geben, ob sie wollte oder nicht.
Der Wagen bog eben um den Waldsaum in eine breite Landstraße ein, als ihnen im schnellen Trab zwei Pferde entgegenjagten, die einen eleganten Landauer zogen. Darin saß ein gebückter Mann mit fahlem, verlebtem Gesicht und neben ihm in sieghafter Schönheit eine elegante junge Dame. Sie trug einen großen Hut mit weißen Straußenfedern und hielt einen duftigen weißen Spitzenschirm über sich. Sie gab beim Anblick des Tornauer Wagens das Zeichen zum Halten und sah mit leuchtenden Augen in Rolfs Gesicht.
„Grüß Gott, Herrschaften! Eben wollten wir in Tornau unseren Besuch abstatten.“
Rolf sah in das schöne Gesicht, aus dem sich die Augen mit einem Ausdruck heißer Bitte in die seinen senkten. Er erwiderte ihren und ihres Gatten Gruß höflich, aber kühl.
„Es tut uns Leid, Sie nicht empfangen zu können, Frau Baronin, wir müssen in zehn Minuten auf der Station eintreffen.“
„Ah, Sie erwarten Besuch?“, fragte die schöne Frau interessiert, ohne den Blick von Rolf zu wenden.
„Meine Mutter erwartet eine Gesellschafterin.“
„Wie interessant! Hoffentlich eine junge und schöne?“
Tornau zog die Stirn in Falten. „Ich bedauere, Ihnen darüber keine Auskunft geben zu können.“
„Wie schade! Da muss ich wirklich morgen meinen Besuch bei Ihnen nachholen und hoffe, bei dieser Gelegenheit die neue Stütze in Augenschein nehmen zu können.“
Tornau verneigte sich, und seine Mutter fragte: „Sind Sie erst gestern in Berkow eingetroffen?“
„Ja, gestern Mittag. Mein Mann fühlt sich nicht recht wohl, er will durchaus bis zum Spätherbst in Berkow bleiben, und ich als gehorsame Gattin muss mich fügen. Nicht wahr, Herbert?“
Ihr Mann raffte sich nun auch zu einigen Worten auf. Man merkte ihm an, dass er lieber in Ruhe gelassen zu sein wünschte. Tornau musste den Blick abwenden. Wenn er die Enttäuschung auch längst verwunden hatte, so kam es ihm doch noch heute ungeheuerlich vor, dass er gegen diesen Mann hatte zurückstehen müssen, nur weil er zufällig Besitzer eines großen Vermögens war.
Frau von Tornau konnte sich nicht enthalten zu sagen: „Sie sehen wirklich angegriffen aus, lieber Baron. Sie sollten sich mehr Ruhe gönnen.“
Berkow lachte vor sich hin. „Möchte ich schon, möchte schon. Aber Melanie – na, sie will doch ihr Leben genießen, Verehrteste. Na, und da kann man doch kein Unmensch sein.“
„Ach geh, das ist es nicht“, schnitt ihm Melanie die Rede ab, und zu Rolf gewandt, fuhr sie fort: „Mein Mann bräuchte Entlastung, es ruht zu viel auf seinen Schultern. Wissen Sie nicht einen tüchtigen Stallmeister für uns, der dem Gestüt vorstehen könnte? Mein Mann sucht schon lange vergeblich nach einer geeigneten Persönlichkeit, ohne sie zu finden.“
Rolf zuckte bedauernd die Schultern. „Da weiß ich leider niemanden zu empfehlen. Es ist nicht leicht, diesen verantwortungsvollen Posten zu besetzen.“
„Durchaus nicht, Herr von Tornau – im Gegenteil, es ist sehr schwer. Aber in der Tat – nicht zu leugnen – die Spannkraft lässt nach.“
„Wir wollen die Herrschaften aber nicht länger aufhalten“, fiel Melanie ihm in die Rede. „Wir fahren dann heute zu Diesterkamps hinüber, nicht wahr, Herbert? Adieu, Frau von Tornau! Gestrenger Herr Rolf, auf Wiedersehen morgen!“
Sie winkte graziös mit der kleinen Hand und rief dann dem Kutscher einige Worte zu. Ein kurzer Gruß noch herüber und hinüber, und die Pferde liefen nach entgegengesetzten Richtungen davon.
Frau von Tornau sah besorgt in das Gesicht ihres Sohnes. Er hatte die Lippen fest zusammengepresst, und die Falten auf der Stirn hatten sich vertieft.
„Du, Rolf, der Berkow sieht jämmerlich aus, der treibt es nicht mehr lange.“
Er zuckte die Schultern. „Dann gibt es eine trauernde Witwe mehr im Land. Schwarz kleidet übrigens Blondinen vortrefflich.“
„Ach geh, sei nicht so boshaft!“
Er lachte auf. „Zuweilen ist man gezwungen, boshaft zu sein. Mich schüttelte vorhin ordentlich der Ekel, als ich dieses Ehepaar vor, mir sah. Lass uns von etwas anderem reden, Mutter!“
Sie tat ihm den Willen und sprach mit ihm über allerlei gleichgültige Sachen. Ihr sorgenvolles Mutterherz klopfte aber bang und ängstlich.
Wenige Minuten später waren sie an dem kleinen Stationsgebäude angelangt, das zu Tornau gehörte. Der Beamte, der alle Obliegenschaften der kleinen Station in einer Person versah, sprang eilfertig herbei, um die Tornauer Herrschaften zu begrüßen.
„In drei Minuten läuft der Zug ein, Herr von Tornau“, rief er.
„Schön, Brinkmann!“, er bot dem Beamten sein Zigarrenetui. „Da, stecken Sie sich eine an!“
„Besten Dank, Herr von Tornau. Die rauch ich heute Abend nach dem Essen.“
„Na, dann nehmen Sie nur gleich zwei, das hält länger vor.“
Brinkmann legte die beiden Zigarren in den Deckel seiner Dienstmütze und stülpte sie dann mit einem kühnen Schwung wieder auf das pomadische Haupt. Dann ging er eiligst davon, um sein Amt zu versehen.
Gleich darauf hielt der Zug, und aus einem Abteil zweiter Klasse stieg Renate mit suchendem Blick.
Tornau trat schnell auf sie zu, zog den Hut und fragte mit einer höflichen Verbeugung: „Frau Werkentin? Habe ich die Ehre?“
Sie neigte den Kopf. „Herr von Tornau, Sie haben sich selbst bemüht?“
Sie sahen sich beide einen Augenblick an, prüfend und wägend.
Dann erschien ein gutmütiges Lächeln auf Rolfs Gesicht. Die wird Mutters Schönheitssinn befriedigen, dachte er und nahm ihr das leichte Handgepäck ab. „Darf ich Sie zu meiner Mutter führen?“, fragte er. „Sie wartet im Wagen.“
Sie schritt an seiner Seite um das Gebäude herum. Sie trug einen dunkelgrünen Reisemantel über einem leichten schwarzen Kleid. Er war offen, und man konnte ihre hohe, schlanke Gestalt darunter erkennen. Das Profil des blassen Gesichts war von edlem Schnitt. Unter dem leichten schwarzen Strohhut bauschte sich über der Stirn schönes dunkles Haar in reicher Fülle. Alles in allem eine sympathische vornehme Erscheinung, die ihm gefiel. Etwas wie Freude an dieser reizvollen Hausgenossin stieg in ihm auf.
Frau von Tornau erhob sich im Wagen, als Renate zu ihr trat, und reichte ihr die Hand. Ein frohes Lächeln erhellte ihr hübsches Matronengesicht.
Die junge Frau führte die gebotene Hand impulsiv an die Lippen und sah dann ernst zu ihr auf. Jener geheimnisvolle Zug im Menschenherzen, der beim ersten Sehen schon Sympathien entstehen lässt, wob ein Band zwischen den beiden Frauen, ehe sie noch ein Wort miteinander gesprochen hatten.
„Herzlich willkommen, liebe Frau Werkentin! Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir! Mein, Sohn wird hier vor uns Platz nehmen.“
Renate stieg ein.
Rolf hatte die beiden stumm betrachtet. Er blickte nun in Renates voll aufgeschlagene dunkle Augen. Leidvolle Augen waren es, auf deren Grund Tränen ruhten und die ein Gefühl warmen Mitleids in ihm weckten.
Er wandte sich fragend zu ihr. „Wollen Sie mir sagen, ob Sie heute noch Ihr Gepäck brauchen? Wir sind jetzt in der Ernte, und Pferd und Menschen sind stark beschäftigt. Wenn es bis morgen früh damit Zeit hätte, wäre es mir lieb.“
„Bitte, richten Sie es ein, wie es Ihnen am besten passt. Wenn ich hier meinen Handkoffer gleich mit mir nehmen kann, bin ich mit dem Nötigsten versehen.“
Er hatte mit Wohlgefallen ihrem weichen, dunkel gefärbten Organ gelauscht und erteilte nun Brinkmann wegen des Gepäcks Weisung, nachdem er sich von Renate den Gepäckschein ausgebeten hatte. Dann schwang er sich auf den Wagen, und nach den Zügeln greifend, gab er den Pferden einen leichten Schlag mit der Peitsche. Sie setzten sich in Bewegung und führten den Wagen in wenigen Minuten auf den Fahrweg, der nach Tornau führte.
Die beiden Frauen saßen erst stumm nebeneinander. Renates Blick schweifte umher über die wogenden Felder. Die Halme neigten sich schwer unter der Fülle der Frucht und harrten des Schnitters. Auf einigen Plätzen war das Getreide schon geschnitten und in Garben gebunden, auf anderen tummelten sich die Arbeiter, um den goldenen Erntesegen einzuheimsen. Ein Gefühl, als müsse sie aussteigen und sich mit voller Kraft an der Erntearbeit beteiligen, kam über sie. Ein tiefer Atemzug hob ihre Brust, und leise Röte stieg in die blassen Wangen.
Frau von Tornau sah mit Wohlgefallen in die feinen belebten Züge der jungen Frau. Sie fasste nach ihrer Hand, die neben ihr auf der Decke des Wagens ruhte. „Sind Sie sehr müde von der Reise?“
Renate schüttele lächelnd den kopf. „Nein, gnädige Frau. Ich hatte eine angenehme Fahrt, und die Entfernung ist ja gar nicht so groß.“
„Doch immerhin vier Stunden. Freilich, Sie sind jung, da fühlt man so etwas noch nicht.“
Der Wagen war in den Waldweg eingebogen. Renate sah freudig in die dichte grüne Pracht hinein. „Welch herrlicher Wald! Eichen und Buchen von dieser Größe sah ich noch kaum.“
Rolf wandte sich nach ihr um. „Lieben Sie den Wald?“
„Ich kann mir nicht denken, dass es Leute gibt, die das nicht tun.“
Er nickte und wandte sich wieder seinen Pferden zu.
Wenige Minuten später hielt der Wagen vor dem Tornauer Schloss. Rolf sprang mit einem Satz zur Erde und half den Damen beim Aussteigen. Dann folgte er ihnen ins Haus.
Frau von Tornau führte Renate an der Hand über die Schwelle und sagte dann ernst und bewegt: „Gott segne Ihren Eingang, liebes Kind! Möge Ihnen Tornau eine Heimat werden und Ihr Kommen uns allen zum Segen gereichen.“
Renates Augen wurden feucht bei diesen herzlichen Worten. Sie war so ergriffen, dass sie nicht zu antworten vermochte; zog nur die Hand der gütigen Frau an ihre Lippen und sah sie voll ehrlicher Dankbarkeit an.
Nun reichte ihr auch Rolf die Hand. „Ich schließe mich dem Wunsch meiner Mutter an, Frau Werkentin. Auf friedliches Zusammenleben also!“
Wortlos legte sie ihre Hand in die seine.
Inzwischen war eine frisch und sauber aussehende Frau aus der Küche herbeigekommen.
„Ah, da ist ja Mamsell Birkner!“, rief Frau von Tornau. „Kommen Sie nur näher, Mamsell! Dies ist unsere neue Hausgenossin, Frau Werkentin. Sie wird Ihnen all die kleinen Arbeiten wieder abnehmen, die Sie in letzter Zeit an meiner Stelle verrichten mussten.“
Mamsell Birkner guckte mit ihren hellen Augen abwägend zu Renate hinüber und trat knicksend näher. Sie fand, dass diese Dame recht vornehm aussah und gar nicht nach viel Arbeit.
Renate trat auf sie zu und bot ihr die Hand. „Sie werden am Anfang Geduld mit mir haben müssen, Mamsell Birkner, bis ich alles gelernt habe, was es für mich zu tun gibt. Hoffentlich ist es recht viel, denn ich freue mich sehr darauf, fleißig schaffen zu dürfen.“
„Das klang ja ganz vernünftig“, sagte die Mamsell und legte ihre Hand mit einer gewissen Feierlichkeit in die Renates. „Na, das ist recht, Frau Werkentin, wenn’s so steht, dann soll’s Ihnen nicht daran fehlen. Da können Sie mir gleich beim Geleekochen helfen, die Gläser füllen und zubinden.“
„Aber Mamsell!“, rief Frau von Tornau lachend. „Für heute müssen Sie schon noch allein fertig werden. Frau Werkentin ist müde und hungrig. Sie soll erst ein wenig Umschau halten auf Tornau und vor allen Dingen einen Imbiss zu sich nehmen. Bringen Sie also Frau Werkentin auf ihr Zimmer, damit sie ablegen kann. Dann sorgen Sie für Speise und Trank, mein Sohn und ich trinken auch eine Tasse Tee mit.“
„Jawohl, gnädige Frau, das soll alles besorgt werden. Kommen Sie nur, Frau Werkentin!“
Und sie lief eifrig die Treppe hinauf, nachdem sie Renate das Handköfferchen abgenommen hatte.
Renate bekam zwei hübsche helle Zimmer im östlichen Turmbau angewiesen, aus denen sich ein schöner Blick auf den Wald und das freie Land bot. Sie blickte eine Weile selbstvergessen hinaus und wandte sich dann zurück.
Die Mamsell hatte umständlich das Köfferchen untergebracht und sah sich noch einmal um, ob es an nichts fehlte.
„So, Frau Werkentin, das wäre nun Ihre Wohnung. Hoffentlich gefällt sie Ihnen. Gemütlich ist’s doch hier oben?“
„Wunderhübsch, liebe Mamsell! Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Mühe!“
„Gar keine Ursache. Ich bitte Sie, das tut man doch gern. Man weiß doch selber, wie wohl es einem tut, wenn man zu fremden Leuten kommt und es ist einer da, der ein bisschen nett zu einem ist. Na, da ist ja nun auf Tornau keine Not. Die Herrschaft ist grundgut, wenn man seine Schuldigkeit tut, und jeder bekommt sein Recht. Ja, und was ich noch sagen wollte, wenn Sie dann fertig sind, dann kommen Sie runter. Gleich rechts neben der Treppe ist der Eingang zum Speisezimmer.“
„Ich danke Ihnen und werde bald kommen.“
Renate hatte inzwischen ihre Handtasche geöffnet und nahm ihre Toilettenutensilien heraus, alles Sachen, die noch aus der Zeit des Glanzes stammten.
Mamsell riss ihre Augen erstaunt auf und legte mit spitzen Fingern ein feines Hemd auf das Bett. „Donnerwetter, Frau Werkentin, das ist wohl gar ein Hemd? Jemine, und die feinen Kämme und Büchsen, die Sie da haben! So feine Sachen hat nicht mal unsere gnädige Frau.“
Renate errötete über dieses etwas plumpe Erstaunen und Bewundern. Sie sah sich dadurch gezwungen, eine Erklärung zu geben, um bei Mamsell nicht falsche Vorstellungen zu erwecken. „Das sind alles noch Geschenke von meinem Vater, liebe Mamsell. Er war einmal ein reicher Mann, ist dann aber plötzlich arm geworden.“
„Ach so, ja, nun versteh ich auch, warum Sie gar so vornehm aussehen. Natürlich, Sie sind vornehmer Leute Kind, und – na, Frau Werkentin, nehmen Sie mir meine dumme Fragerei nicht übel, und wenn Ihnen mal eine Arbeit nicht so vonstatten geht, dann kommen Sie nur ruhig zur Mamsell Birkner, die hilft Ihnen schon, da verlassen Sie sich getrost darauf. Na, nun will ich aber schnell was zu essen richten!“
Damit lief sie flink hinaus, und Renate sah ihr lächelnd nach. Dann kämmte und bürstete sie ihr schönes Haar, reinigte sich Gesicht und Hände und legte um den Kragen ihres schwarzen Kleides einen weißen Leinenstreifen. Sie wollte nicht ihrer neuen Umgebung Veranlassung geben, von ihrer Trauer Notiz nehmen zu müssen.
Nachdem sie die Fotografie ihres Vaters und ihres kleinen Mädchens aufgestellt hatte, sah sie eine Weile weltvergessen darauf nieder. Ein Schluchzen entrang sich ihrer Brust, dann trat sie ans Fenster und sah hinaus auf das friedlich schöne Landschaftsbild. Die warme Sommerluft umstrich kosend ihre Schläfen. Sie lehnte den Kopf an das Fensterkreuz und sah gedankenvoll vor sich hin. Was würde ihr das Schicksal in Tornau bescheren? Frieden und den Segen treuer Pflichterfüllung oder neue Kämpfe, neue Stürme?
Als Renate herunterkam, fand sie Mutter und Sohn am Teetisch, der mit belegten Butterbroten und Teegerät besetzt war. Ohne zu fragen, bereitete sie das Getränk und füllte die Tassen, als wenn sie es längst so getan hätte. Frau von Tornau sah ihr lächelnd zu und nahm mit freundlichem Dank ihre Tasse entgegen. Die junge Frau gab Acht, wie viel Zucker die beiden nahmen, um in Zukunft Bescheid zu wissen. Sie merkte sich, dass die alte Dame Sahne zum Tee nahm, während Rolf den seinen ohne weitere Zutaten trank.
Sie bediente sich dann ungezwungen selbst und ließ sich nicht anmerken, dass ihr Herz zum Zerspringen klopfte. Würde sie den Anforderungen ihrer Stellung gerecht werden können? Würde sie hier Wurzeln schlagen in dem neuen Boden, der ihr wie ein Asyl des Friedens erschien? Sie kämpfte gewaltsam an gegen das zagende Bangen, das ihr Herz erfüllte.
Rolf sah heimlich auf ihre schlanken weißen Hände, die so sorgsam und behänd mit dem Geschirr hantierten. Sie waren vorzüglich gepflegt und von wundervoller Gliederung. Hände, die bisher wohl nicht gewohnt waren, das raue Leben zu berühren, sondern deren Schönheit wie ein wertvolles Gut gehegt und gepflegt worden war. Wie schwer musste es der Besitzerin dieser Hände werden, mit ihnen ihr Brot verdienen zu müssen!
Die Mutter schreckte ihn aus seinen Gedanken auf. Sie sprach zu Renate: „Dr. Hellmann teilte uns mit, dass Sie in der letzten Zeit schwere Verluste zu tragen hatten. In kurzer Zeit haben Sie den Vater, den Gatten und ein liebes Kind verloren. Wir wollen hoffen, dass Ihr Schmerz sich bei uns lindern wird.“
Die junge Frau bezwang die Erregung, die diese Wort in ihr wachriefen. „Sie sind so außerordentlich gütig zu mir, dass ich Ihnen nicht dankbar genug sein kann“, sagte sie. „Ich wäre glücklich, wenn es mir gelänge, Ihre Zufriedenheit zu erwerben, und ich bitte nur herzlich um Ihre Geduld, wenn ich am Anfang zuweilen ungeschickt erscheine. Ich bringe fast nur meinen guten Willen mit, sonstige Fähigkeiten für mein Amt muss ich mir erst zu erwerben suchen.“
„Darüber machen Sie sich keine Sorgen. Wir brauchen nur eine Dame, der wir unser Vertrauen schenken können. Alles andere werden Sie bald lernen. Hellmann hat Sie uns warm empfohlen, er kennt Sie wohl lange?“
Renate lächelte. „Ich kann mich nicht entsinnen, seit wann. So weit ich zurückdenke, war er immer unser Hausarzt und meines Vaters Freund.“
„Es wird ihm schmerzlich gewesen sein, dass es ihm nicht gelang, Ihnen den Vater zu erhalten. Er ist ja ein sehr tüchtiger Arzt.“
„Er war machtlos. Mein Vater starb an einem Herzschlag.“
„Und Ihr Gatte starb kurz darauf, wenn ich mich recht entsinne?“
Renate erbleichte. Jetzt musste sie lügen, durfte diesen lieben Menschen die Wahrheit nicht sagen. „Ich verlor ihn ein Vierteljahr später“, sagte sie leise.
„Armes Kind! War er denn lange krank?“
Die junge Frau presste in stummer Qual die Handflächen zusammen und schloss einen Moment die Augen. „Bitte – bitte, fragen Sie mich nicht danach, ich vermag nicht darüber zu sprechen, jetzt noch nicht“, sagte sie mit bebender Stimme.
Rolf musste sie unverwandt ansehen. Wie sehr muss sie ihn geliebt haben, dachte er.
Frau von Tornau aber nahm Renates Hände in die ihren. „Verzeihen Sie! Ich wollte Ihnen gewiss nicht weh tun. Wir sprechen nicht mehr davon. Geben Sie mir noch eine Tasse Tee, und dann müssen Sie entschieden noch etwas essen.“
Rolf hielt ihr seine Tasse auch hin. Als sie sie füllte, sah er, dass ihre Hände leicht zitterten. Warmes Mitleid erfüllte sein Herz, und im Bestreben, sie abzulenken, erzählte er von Tornau und dem Leben und Treiben auf dem Land, das ihr neu und fremd erscheinen würde. „Sie sollen aber sehen, es wird Ihnen gut gefallen mit der Zeit“, schloss er, „und die frische, fröhliche Arbeit lenkt ab von trüben Gedanken.“
Er sprach das aus, als habe er selbst schon diese Erfahrung gemacht. Renate sah aufmerksam in sein Gesicht, denn auf der Stirn waren eben wieder die finsteren Falten erschienen. Hatte der Besitzer von Tornau etwa auch ein Leid zu tragen gehabt, oder trug er es noch?
Er verabschiedete sich kurz darauf von den Damen, um noch einen Inspizierungsritt über die Felder zu machen.
Als er gegangen war, sagte Renate: „Wenn es Ihnen recht ist, gnädige Frau, dann könnte ich jetzt recht gut Mamsell Birkner noch ein wenig helfen.“
Frau von Tornau zog sie lächelnd neben sich nieder auf den Diwan. „Nein, meine liebe Frau Werkentin, Mamsell wird heute schon noch allein fertig werden. Sie sollen mir jetzt Gesellschaft leisten. Wir wollen ein Stündchen miteinander plaudern, damit wir uns näher kommen.“
***
Als die beiden Damen am nächsten Morgen von einer Besichtigung der Ställe über den Gutshof schritten, kam Rolf vom Garten her um das Haus geritten. Er kam aus dem Wald, wo er mit dem Holzhändler eine Besprechung gehabt hatte.
Beim Erblicken der Damen schwang er sich aus dem Sattel und trat, das Pferd am Zügel führend, zu ihnen.
Renate ging an das Pferd heran und streichelte ihm den Kopf. Es schnupperte an ihren Händen und rieb dann den Kopf wohlgefällig gegen ihre Schultern.
Rolf hatte Renate erst erschreckt zurückhalten wollen, denn Zampa war gegen Fremde sonst scheu und nervös, zu seinem Erstaunen aber sah er, wie zutraulich er gegen die junge Frau war.
„Wenn ich das nicht selber sähe, glaubte ich’s nicht. Was haben Sie denn für ein Zaubermittel angewandt, um Zampa so kirre zu machen, Frau Werkentin?“
Sie sah lächelnd über die Schulter zurück. „Er wittert vermutlich die Pferdeliebhaberin in mir, das wird der ganze Zauber sein. Man hat mir früher zuweilen gesagt, ich habe eine glückliche Hand mit Pferden.“
„Sie haben früher geritten?“
„Zuweilen. Am Anfang meiner Ehe begleitete ich meinen Gatten oft auf seinen Spazierritten. Er war ja Dragoneroffizier, und da ergab sich das von selbst.“
Tornau sah prüfend über ihre Gestalt. Sie musste sich prächtig zu Pferd ausgenommen haben. „Ist es Ihnen nicht hart angekommen, den edlen Sport aufzugeben?“
„Offen gestanden – nein. So gern ich die Tiere habe, geliebt habe ich den Reitsport nie. Ich ritt nur meinem Mann zu Gefallen. Als mein kleines Mädchen geboren wurde, habe ich ohne weiteres darauf verzichtet. Übrigens ist Ihr Zampa ein herrliches Tier, Herr von Tornau.“
Er trat neben sie und strich Zampa über die Nüstern. „Das ist der einzige Luxus, den ich mir erlaube.“
Während sie dann, nachdem Rolf das Tier dem Knecht übergeben hatte, nebeneinander den Weg nach dem Haus einschlugen, fragte seine Mutter: „Wie war es mit Mehlmann? Hast du Hölzer an ihn verkauft?“
„Ja, Mutter, etwa zwei Dutzend unserer schönsten Baumriesen müssen dran glauben. Es hat mir ordentlich weh getan, dass ich sie hergeben muss, aber sie müssen unbedingt geschlagen werden, sie stehen zu dicht am Weiher, und die Wurzeln beginnen schon zu faulen. Zu retten war da nichts. Ich hatte Diesterkamp gebeten, mit hinüberzukommen, und er meinte auch, dass ich sie umlegen lassen muss, sonst faulen sie weiter, und ich erziele dann nicht ein Viertel des jetzigen Preises.“
„Schade, sie machten die Umgebung des Weihers so stimmungsvoll.“
„Es wird freilich etwas lichter dort, aber es bleiben noch genug. Es kommen nur die fort, die dicht am Wasser stehen.“
Bei Tisch drehte sich das Gespräch um Wirtschaftsfragen. Renate hörte aufmerksam zu und warf zuweilen eine Frage ein.
Nachmittags saß Rolf an seinem Schreibtisch, um einige Briefe zu erledigen. Der Blick aus seinem Arbeitszimmer ging in den Garten. In der nächsten Umgebung des Hauses waren einige hübsche Blumenbeete angebracht, und mitten darin plätscherte ein Springbrunnen. Das leise, monotone Geräusch drang zum offenen Fenster herein. Ein schwerer Duft von blühenden Rosen erfüllte die Luft.
Da knirschte draußen der Kies unter den Rädern eines Wagens, und gleich darauf hielt die Berkower Equipage vor dem Eingang.
Tornau sprang unmutig von seinem Sitz auf und sah finster hinaus auf die elegante Melanie und ihren abgelebten Gatten, der sich mühsam erhob und mit Hilfe eines Dieners aus dem Wagen kletterte.
Schnell trat er zu seiner Mutter ins Wohnzimmer. Sie saß mit Renate am Nähtisch und war dabei, Wäsche auszubessern.
„Du bekommst Besuch, Mutter!“, rief er.
„Ich sah es schon, mein Junge. Mir scheint, die Baronin hätte ihre Neugier nicht gar so eilig befriedigen sollen.“
Er trat neben Renate. „Frau Werkentin – Sie können sich etwas darauf zugute tun. Die schönste Frau auf zehn Meilen in der Runde brennt darauf, Ihre Bekanntschaft zu machen.“
Sie sah verwundert zu ihm auf. „Sie scherzen, Herr Tornau!“
Er sah sie mit zusammengezogener Stirn an. „Nein, nein, es ist mein Ernst.“ Dann ging er höflich den Besuchern entgegen und küsste der Baronin die Fingerspitzen.
„Da bin ich, liebe Frau von Tornau – Sie sehen, ich habe Wort gehalten.“
Renate hatte sich erhoben und stand abwartend am Kamin. Ihre schlanke Gestalt hob sich scharf von dem hellen Hintergrund ab. Seitwärts durchs Fenster warf die Sonne Streiflichter über ihr Haar. Ihre großen dunklen Augen ruhten ernst auf der blendenden Erscheinung der Baronin, die nun die Stiellorgnette vor die Augen hielt und in nicht gerade taktvoller Weise zu ihr herübersah.
Rolf bemerkte es. „Gestatten Sie, Baronin, dass ich Ihnen unsere neue Hausgenossin, Frau Werkentin, vorstelle.“
„Ah, die neue Gesellschafterin! Waren Sie schon anderweitig in Stellung, meine Liebe?“
Tornaus Stirn überzog sich mit dunkler Röte. Er sah Renate wie um Verzeihung bittend an. Sie aber hatte sich artig verneigt, obwohl die Art der Baronin sie in der Tat verletzte. Sie glaubte jedoch, in ihrer Stellung nicht empfindlich sein zu dürfen, und antwortete daher höflich: „Nein, Frau Baronin.“
„Da haben Sie aber Mut gehabt, Frau von Tornau. Ich engagiere grundsätzlich nur Leute, die sich bereits anderwärts bewährt haben.“
„Daran tun Sie recht“, erwiderte die alte Dame, ebenfalls unangenehm berührt. „In unserem Fall jedoch ist es etwas anderes. Frau Werkentin ist die Witwe eines Offiziers, sie bedarf keiner Referenzen.“
Renate hatte sich entfernen wollen; Rolf hielt sie jedoch zurück und sagte: „Bleiben Sie, ich bitte darum.“
Er sah sie dabei so warm und herzlich an, dass sie ihm mit einem Lächeln dankte. Er schob ihr artig einen Stuhl hin, und als alle Platz genommen hatten, setzte sie sich ebenfalls.
In Melanies Augen blitzte es ärgerlich auf. Lächerlich, so viele Umstände mit einer bezahlten Gesellschafterin zu machen! Sie wollte aber schon zeigen, wie man derartige Menschen zu behandeln hatte. „Holen Sie mir doch bitte ein Glas Wasser, meine Liebe! Es war schrecklich staubig und heiß auf der Fahrt.“
Renates Gesicht überzog dunkle Röte bei diesen Worten. Trotzdem erhob sie sich scheinbar gelassen, um dem Wunsch nachzukommen; aber schon hatte Tornau geklingelt und den Befehl gegeben, Wasser zu bringen.
Renate sah ihn dankbar an. „Ich hätte doch selbst gehen können“, sagte sie leise.
„Für solche Dienstleistungen gibt es Bediente auf Tornau“, antwortete er laut.
Melanie lachte etwas verlegen. „Entschuldigen Sie, meine Liebe, dass ich eine Dienstleistung von Ihnen verlangte, die nicht in Ihr Ressort gehört.“ Sie wandte sich an Frau von Tornau. „Was ich Ihnen übrigens mitteilen wollte, in der nächsten Woche beabsichtigen wir ein Gartenfest zu geben und hoffen dabei bestimmt auf Ihre Gegenwart.“
„Mein Sohn wird sicher gern von Ihrer Einladung Gebrauch machen. Ob ich selbst kommen kann, hängt von meinem Befinden ab.“