Hedwig Courths-Mahler - Folge 140 - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Hedwig Courths-Mahler - Folge 140 E-Book

Hedwig Courths-Mahler

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Georg Romberg wanderte vor vielen Jahren nach Australien aus. Dort heiratete er die Tochter eines Missionars, die aber kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes starb. Seither lebt Georg Romberg mit seiner Tochter Gilda allein in Sydney, wo er es im Lauf der Jahre zu großem Reichtum gebracht hat. Nun aber zieht es ihn mit Macht in die Heimat zurück. Er beschließt, zunächst einmal allein nach Deutschland zu reisen und Gilda später nachkommen zu lassen. Als Vater und Tochter sich dann im Hafen von Sydney verabschieden, ahnen sie nicht, dass diese Reise dramatische Ereignisse auslösen wird, die Gildas Leben von Grund auf verändern ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 167

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Nun ist alles anders geworden

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Bastei Verlag/von Sarosdy

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2171-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Nun ist alles anders geworden

Als dramatische Ereignisse das Leben der jungen Gilda entscheindend beeinflussten

Gilda Romberg wollte ihren Vater zum Hafen begleiten, wo der riesige englische Luxusdampfer „Viktoria“ zur Abfahrt bereitlag. Dieser Dampfer fuhr von Sydney nach London.

Der Hafen von Sydney lag im hellen Mittagssonnenschein. Man konnte ihn teilweise von den Fenstern und Veranden der Villa Romberg übersehen.

Gilda sah mit Besorgnis in das etwas bleiche, nervöse Gesicht ihres Vaters, als sie neben ihm am Fenster saß. „Ich lasse dich nicht gern allein reisen, lieber Vater. Noch ist es Zeit. In einer Stunde könnte ich mich zur Not reisefertig machen. Bitte lass mich dich gleich nach Deutschland begleiten, wie ich dich schon oft bat!“

Georg Romberg schüttelte sein Haupt. „Nein, mein Kind, es bleibt dabei, dass ich diesmal noch allein reise.“

„Der Krieg in Deutschland ist aber doch längst zu Ende, und du hattest mir versprochen, dass ich dich gleich nach dem Krieg in deine deutsche Heimat begleiten dürfe. Vor dem Krieg war ich noch zu jung, das sehe ich ein, aber jetzt bin ich doch erwachsen“, sagte Gilda vorwurfsvoll.

„Du weißt doch, dass ich jetzt nur nach Deutschland reise, um unsere Übersiedlung vorzubereiten. Ich muss mich erst überzeugen, dass ich dich ohne Bedenken dorthin verpflanzen kann. Auch möchte ich mein Verhältnis zu meinem Bruder und seiner Familie regeln. Du weißt, dass wir uns so fremd gegenüberstehen, er weiß nicht einmal, dass ich eine Tochter habe.“

„Ja, Vater, und es ist sehr traurig, dass dein Bruder dich durch sein Verhalten zwang, dich ihm so zu entfremden.“

Georg Romberg zog die Stirn zusammen. Seine Augen blickten sinnend ins Weite. „Ja, er hat mich aus der Heimat vertrieben, vor langen Jahren, wie er mich aus dem Herzen meines Vaters vertrieben hatte – er und seine Mutter. Sie haben es durch allerlei Intrigen so weit gebracht, dass mein Vater mich, den Sohn aus erster Ehe, kaum noch vor sein Angesicht ließ. Nicht einmal an sein Sterbelager rief man mich. Und sie erreichten es, dass mein Vater mich in seinem Testament mit dem Pflichtteil abfand. Das alles hatte mich sehr verbittert. Aber das Schlimmste kam noch. Mein Bruder nahm mir auch noch die Frau, an der mein ganzes Herz hing. Sie wandte sich von mir, als mein Bruder das reiche Erbe meines Vaters antrat und ich nur mit dem Pflichtteil abgefunden wurde.“

„Oh, lieber Vater, du hast an dieser herzlosen Frau nichts verloren, die dich um äußere Vorteile willen aufgab!“

Georg Romberg lächelte und strich über Gildas Haar. „Gewiss, das habe ich mir später auch gesagt. Damals aber tat es sehr weh. Ich war jung, und ich liebte diese Frau. Der Schmerz um den Verrat, der an mir verübt wurde, trieb mich aus der Heimat.“

„Aber das Schicksal hat dich gerächt, Vater. Du fandest hier dein Glück und wurdest ein reicher Mann, während dein Bruder mit jener herzlosen Frau und seiner leichtsinnigen Mutter das Vermögen vergeudete, das dein Vater ihm hinterlassen hatte. Während dein Reichtum sich von Jahr zu Jahr mehrte, verarmte er mehr und mehr, und schließlich musste er dich um Hilfe anflehen. Er wäre zugrunde gegangen, hättest du ihm nicht geholfen.“

„Alle Schuld rächt sich auf Erden, mein Kind. Auch meine Stunde kam. Und meine Rache war, dass diese Menschen, die mir so bitter weh getan hatten, von meiner Gnade leben mussten – Jahr um Jahr.“

Gilda sah ihren Vater strahlend an. „Eine edle Rache!“, sagte sie, sich an ihn schmiegend. „So rächte sich mein großherziger Vater. Du rettetest deinen Bruder vor dem Ruin, gabst ihm eine neue Existenz und sorgtest dafür, dass diese Menschen ein geordnetes und vernünftiges Leben führen mussten.“

„Soweit es in meiner Macht lag.“

„Und du freutest dich obendrein, dass du sie vor dem Verderben bewahren konntest.“

„Ja, Gilda, es wäre mir keine Genugtuung gewesen, wenn ich diese Menschen ihrem Verderben preisgegeben hätte. Kraft meiner Macht über sie zwang ich sie zu einem geregelten Leben. Ich hatte schließlich mein Vermögen viel zu schwer erkämpft, als dass ich einen Teil davon nutzlos hinwerfen konnte. Ich habe dafür gesorgt, dass er arbeiten musste, wenn er leben wollte.“

„Du sagtest ihm, dass sich das Kapital, das du für das Gut angelegt hattest, wenigstens mit drei Prozent für dich verzinsen müsse. Alles, was er sonst herauswirtschafte, solle ihm gehören.“

„So ist es. Und damit er nicht gewissenlosen Raubbau treiben oder die Wälder abholzen konnte, stellte ich ihm in einem Geschäftsfreund einen Vormund, dem er über alles Rechenschaft ablegen musste. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als tüchtig zu arbeiten.“

„Dein Bruder muss durch deine Großmut aufs Tiefste beschämt sein, und er muss dir sehr dankbar sein.“

„Er hat zwar viel von Dankbarkeit gesprochen während unseres seltenen und kurzen Zusammenseins, aber er müsste ein ganz anderer Mensch geworden sein, wenn er wirklich Dankbarkeit empfinden könnte. Stets war er ein großer Egoist.“

„Nicht wahr, du hast deinen Bruder, seit du Deutschland verließest, nur dreimal und nur ganz flüchtig wiedergesehen?“

„Ja – das erste Mal, als ich ihm die neue Existenz bereitete, das zweite und dritte Mal während eines Besuchs in Deutschland. Jedes Mal sah ich ihn nur auf eine Stunde im Hotel.“

„Seine Frau und seine Kinder hast du also nicht gesehen während deiner Besuche in Deutschland?“

„Nein – mit Frau Marianne zusammenzutreffen, das wollte ich doch lieber vermeiden. Wir hatten uns nichts mehr zu sagen. Und seine Kinder waren bei meinem letzten Besuch noch ziemlich junge, unreife Menschen. Der älteste Sohn, Werner, studierte damals auf der Hochschule in Charlottenburg. Er ist Schiffsbauingenieur geworden. Der zweite Sohn, Hans, machte sein Abitur. Und die einzige Tochter, Gabriele, war noch ein Backfisch. Werner und Hans haben dann, wie ich hörte, am Krieg teilgenommen, und Hans ist gefallen. Werner soll, wie mir mein Geschäftsfreund berichtete, ein tüchtiger Ingenieur geworden sein und ist bei der Vulkanwerft in Hamburg angestellt. Er soll ein Mensch von vornehmer Gesinnung sein. Dies sind die letzten Nachrichten, die ich von meinem Geschäftsfreund erhielt. Dieser ist leider im letzten Monat gestorben. Ich bekam von seinen Erben eine telegrafische Todesnachricht, und auch deshalb ist meine Abreise nötig.“

Hoffentlich erwarten dich in der alten Heimat kein Ärger und keine Aufregung.“

„Da ist wohl keine Gefahr. Ich werde mit meinem Bruder Frieden machen. Wenn man so alt geworden ist, sehnt man sich nach Frieden. Ich will seine Familie kennen lernen und werde wohl einige Tage in Alt-Hagenow bleiben. Vor allen Dingen ist es mir um die Bekanntschaft Werner Rombergs zu tun. Was ich von ihm hörte, lässt mich vermuten, dass er nicht Art von seines Vaters Art ist. Vielleicht ist er nach seinem Großvater, meinem Vater, geraten, der ein edler, gütiger Mann war und mich nur verstieß, weil man ihm lügenhafte Anschuldigungen gegen mich hinterbrachte. Es wäre doch ein Gewinn, wenn wir unter unseren Verwandten wenigstens einen Menschen finden würden, der uns sympathisch ist.“

„Das wäre allerdings schön, lieber Vater.“

„Ja, zumal wenn wir später in Deutschland leben wollten. Schon deinetwegen will ich Frieden schließen. Es wäre mir eine Beruhigung zu wissen, dass du einen verwandtschaftlichen Halt hättest, falls ich einmal sterben sollte.“

Gilda fasste seine Hand. „Bitte lieber Vater, sprich nicht davon.“

Er lächelte gütig. „Mein liebes Kind, wir sind alle sterblich. Und der Gedanke, dass du nach meinem Tod allein in der Welt stehen würdest, macht mir Sorge. In Deutschland müsstest du erst Freunde gewinnen. Hier freilich besitzt du viele liebe Freunde, und ich könnte dich in ihrem Kreis beruhigt zurücklassen. Aber für deine Gesundheit ist ein Klimawechsel nötig. Deine Mutter starb wohl hier nur so jung, weil ihr das Klima auf die Dauer nicht bekam.“

Dass er selbst ein ziemlich schweres Leiden hatte und dass ihm der Arzt schleunigste Abreise befohlen hatte, verheimlichte er seiner Tochter, um sie nicht zu beunruhigen.

Gilda seufzte aber doch bedrückt.

„Wenn nur diese lange Trennung nicht wäre, Vater! Sie wird mindestens vier Monate dauern, auch wenn du dich jetzt nicht lange in Deutschland aufhältst.“

„Sei nicht traurig, Gilda, und denke daran, dass mir die lange Seereise hin und her gut tun wird. In alter Frische kann ich dich dann abholen und nach Deutschland begleiten. Meine Geschäfte hier sind alle abgewickelt. Komme ich zurück, ist kein langer Aufenthalt mehr nötig, wir können dann gleich wieder abreisen. Du hältst dich bereit. Bis zu meiner Rückkehr bleibst du ruhig in unserer Villa unter dem Schutz unserer Hausdame. Und die gute Mrs. Steens wird dich ebenfalls mütterlich umsorgen, wie sie es tat seit dem frühen Tod deiner Mutter.“

„Meiner Mutter, die ich nie gekannt habe“, seufzte Gilda traurig.

Georg Romberg streichelte ihr Haar. „Sie wurde dir und mir viel zu früh entrissen, mein Kind.“

Gilda richtete sich lebhaft auf. „Hat meine Mutter wirklich gar keine Verwandte in Deutschland hinterlassen?“

„Nein, Gilda. Du weißt, dass sie mit ihrem Vater, einem Missionar, nach Australien ging. Eben weil sie beide ganz allein im Leben standen, nahm er sie mit, als er seinen gefahrvollen Beruf hier antrat. Sie wollte auch nicht ohne ihn in der Heimat zurückbleiben. Es war ein beschwerliches Dasein in der australischen Wildnis. Und als ihr Vater dann plötzlich starb, war sie ganz allein unter Eingeborenen. Ein junger Nachfolger ihres Vaters war zwar vom Missionshaus aus bald zur Stelle, aber er konnte ihr nicht viel helfen. Ein Zufall führte mich damals in das Eingeborenendorf, wo sie lebte. Ich hatte mich bei einem Jagdausflug verirrt, den ich von meiner Besitzung aus unternommen hatte, und fand deine Mutter in Tränen aufgelöst an einem Felsabhang sitzen, Wir lernten uns lieben, und sie folgte mir als mein Weib auf meine einsame Besitzung. Wir waren sehr glücklich, trotz unseres beschwerlichen Lebens. Unser Glück währte leider nur zwei kurze Jahre. Es erschien uns vollkommen, als du uns geboren wurdest. Aber ein Jahr nach deiner Geburt erlag deine Mutter einem typhösen Fieber – vielleicht weil ich in unserer Einöde nicht schnell genug ärztliche Hilfe herbeischaffen konnte. Und die Ironie des Schicksals wollte es, dass ich gerade an jenem Tag, da ich deine Mutter bei meinem Nachhausekommen krank fand, die Goldader auf meinem Grund und Boden entdeckt hatte, der ich meinen Reichtum verdanke. Nun, da ich endlich meinem geliebten Weib ein leichteres und sorgenloseres Leben hätte schaffen können, starb sie. Aber lass uns nicht mehr davon reden – ich ertrage die Erinnerung daran auch heute noch nicht. Und wir wollen doch nicht in Trübsinn und Trauer voneinander scheiden, sondern voll froher Zuversicht. Außerdem wird es Zeit, dass wir uns zum Dampfer begeben. In einer Stunde geht er in See.“

Sie erhoben sich beide.

Vater und Tochter schritten durch die hohe Vorhalle der Villa, wo eine Anzahl weißer und farbiger Diener ihrer harrte. Vor dem Portal stand ein elegantes Auto, das sie hinab zum Hafen bringen sollte.

Georg Romberg half seiner Tochter in der ihm eigenen ritterlichen Weise beim Einsteigen und setzte sich dann zu ihr. Ein farbiger Diener schloss den Schlag, ein anderer sprang neben den Chauffeur auf den Wagen.

Dieser fuhr langsam zwischen den Eukalyptusbäumen dahin, die den Hauptweg des Gartens, der im herrlichsten Blumenflor prangte, einsäumen. Erst als er das Tor passiert hatte, glitt er schnell den allmählich abfallenden Weg durch eine reizvolle Landschaft hinunter.

Immer wieder blitzte das Wasser des Hafens im Sonnenlicht zwischen den Bäumen hervor. Es dauerte nicht lange, dann hielt das Auto an einer schmalen Anlegestelle, wo eine zierliche Pinasse bereitlag, die dem reichen Kaufherrn gehörte. Sie brachte Vater und Tochter zum Dampfer.

Hand in Hand saßen sie beieinander auf der weiß lackierten Bank der Pinasse und sahen sich an, als wollte sich eins des anderen Züge für immer einprägen. Sie sprachen noch von diesem und jenem und heuchelten beide frohe Zuversicht, aber in ihren Herzen zitterte das Abschiedsweh.

Dass seine Tochter ihn an Bord des Dampfers begleitete, litt Georg Romberg nicht.

„Wir verabschieden uns hier auf der Pinasse, Gilda. Ich will nicht, dass du in den Abfahrtstrubel hineinkommst. Du kehrst nach Hause zurück und winkst mir vom Fenster aus einen letzten Gruß zu, wenn die ‚Viktoria‘ vorüberfährt. Dann ist dies das letzte Bild, das ich von dir habe. Ich sehe dich geborgen im Frieden unserer Häuslichkeit und kann beruhigt meine Reise antreten“, sagte er.

Und Gilda fügte sich.

So nahmen sie Abschied, als die Pinasse sich dem Dampfer näherte. Lange hielt Georg Romberg seine Tochter umschlungen. Sie sahen sich in die feucht glänzenden Augen und nickten sich tapfer lächelnd zu.

„Auf Wiedersehen, mein geliebtes Kind! Bleib gesund und beunruhige dich nicht! Wir sehen uns bald wieder, die Zeit wird schnell vergehen.“

Bei diesen Worten ihres Vaters hatte Gilda das Gefühl, als wehe plötzlich ein kalter Hauch über sie hin. Sie fröstelte in der hellen Mittagssonne.

„Behüt dich Gott, mein lieber, lieber Vater, und komm gesund wieder, um mich abzuholen! Und grüße die deutsche Heimat von mir. Ich freue mich, sie kennen zu lernen.“

Ihr Vater riss sich los, um die Qual des Abschieds nicht zu verlängern, nachdem er Gilda noch einmal geküsst hatte. „Gott mit dir, bis wir uns wiedersehen!“, sagte er heiser.

Und dann waren sie getrennt. Gilda stand an der Pinasse und sah dem Vater mit einem seltsam bangen Gefühl nach. Ihr war, als müsse sie ihn zurückrufen, als dürfe sie ihn nicht allein reisen lassen. Sie wollte rufen, aber das Gefühl des Hafenlebens übertönte ihren Ruf. Und der Pinassenführer steuerte das schlanke Fahrzeug schon davon, in dem sie stand und mit blassem Gesicht zurücksah.

Am Ufer an der Anlegestelle wartete noch das Auto auf sie. Aufseufzend stieg sie ein. Gleich darauf fuhr der Wagen nach Villa Romberg.

Zu Hause angekommen, begab sich Gilda in ein großes Eckzimmer der ersten Etage, das einen offenen Balkon hatte.

Von diesem Balkon aus wollte sie den Dampfer vorüberziehen lassen. So hatte sie es mit dem Vater verabredet.

Sie ließ sich in einen zierlichen Rohrsessel gleiten und stützte den Kopf in die Hand.

Ein Diener brachte ihr auf einem Tablett einen Brief. Er war von Mrs. Steens, der Gattin des bisherigen Kompagnons ihres Vaters. Das junge Mädchen öffnete das Schreiben und las:

Meine liebe Gilda! Ich weiß, die Abschiedsstunde von deinem Vater darf ich dir nicht stören. Aber wenn die „Viktoria“ vorüber ist, komme ich gleich zu dir um dich zu trösten. Ich bleibe bei dir zu Tisch und nehme dich dann mit zu uns herüber. Mein Mann und Bobby sollen dich aufheitern. Du darfst keine Grillen fangen, ich habe deinem Vater versprochen, es nicht zuzulassen. Also auf Wiedersehen in zwei Stunden!

Deine Mary Steens

Gilda legte mit einem schwachen Lächeln den Brief auf den Tisch. Die gute Mama Steens würde sie nun unermüdlich von einem Vergnügen zum anderen schleppen, um ihr Versprechen zu erfüllen. Und ihr behäbiger und doch so ungemein flinker Gatte würde ihr in seiner drolligen Art Anekdoten und Histörchen erzählen, um sie aufzuheitern.

Bobby Steens aber, der einzige Sohn dieses Paares, würde sie mit seinen wasserblauen Augen verliebt anschmachten, und sie noch unzählige Male fragen, ob sie noch immer nicht seine Frau werden wolle. Sie hatte ihn gern, den strohblonden, gutherzigen Bobby, und wenn sie als Kinder zusammen gespielt hatten und er behauptete, sie müsse später seine Frau werden, dann hatte sie das hingenommen wie etwas Selbstverständliches. Aber seit sie erwachsen war, hatte sie stets energisch dagegen protestiert. Er war ihr lieb wie ein Bruder, aber als Gatten konnte sie sich ihn nicht denken. Bei aller Vortrefflichkeit seines Charakters und bei allen guten Eigenschaften, die er besaß, wirkte er doch immer ein wenig lächerlich auf sie, wenn er sie so verliebt anschmachtete.

Seine Eltern unterstützten ihn in seinem Bestreben, sich Gilda zu erringen, denn sie hatten Gilda so lieb, dass sie in ihr gern eine Tochter besessen hätten. Hauptsächlich Bobbys Mutter tat alles, was sie konnte, um ihren Sohn bei Gilda in Gunst zu setzen. Jedoch blieben auch diese Bemühungen erfolglos.

Trotzdem war Gilda froh, dass sie unter dem Schutz der Familie Steens zurückbleiben konnte. Diese drei Menschen besaßen ihr und ihres Vaters vollstes Vertrauen. In ihrem Schutz war sie so sicher wie in dem ihres Vaters.

Gilda erhob sich und nahm das Fernglas, das sie sich von einem Diener hatte bringen lassen, vor die Augen. Sie suchte damit den Dampfer ab, bis sie ihren Vater gefunden hatte. Er lehnte an der Reling. Das Glas war so scharf, dass sie sein Gesicht erkennen konnte. Täuschte sie sich, oder waren seine Züge schmerzlich bewegt? Ihr Blick umflorte sich. Hastig zog sie ihr Taschentuch und trocknete ihre Augen. Sie durfte nicht weinen, sonst konnte sie den Vater nicht mehr sehen. Und er konnte auch mit dem Fernglas heraufsehen, das an einem Riemen um seinen Hals hing.

Ihr Tüchlein flatterte im Wind, um den Vater zu grüßen. Er winkte zurück und blickte mit seinem Glas empor. Und da sah er die schlanke, weiß gekleidete Gestalt seines Kindes, sah das tapfere junge Gesicht, über dem sich das goldblonde Haar wie eine Strahlenkrone bauschte. Die Sonne warf metallische Funken auf dieses herrliche Haar. Seine Augen saugten sich gleichsam fest an dem geliebten Gesicht seiner Tochter, und seine Lippen formten ein „Behüt’ dich Gott, meine Gilda!“

Die „Viktoria“ verschwand im gleißenden Dunst, der aus dem Wasser emporstieg. Gilda konnte den Vater nicht mehr sehen. Da fiel sie zurück in ihren Sessel und drückte die Hände vor das Antlitz.

„Mein lieber, lieber Vater, kehre mir gesund zurück!“, schluchzte sie. Und sie fühlte sich grenzenlos einsam und verlassen auf der Welt.

***

An Bord der „Viktoria“ hatte Georg Romberg tatsächlich das Gefühl, als erhole er sich während der Seefahrt.

Die Reise währte fast zwei Monate. Als der Dampfer dann in europäischen Häfen anlegte, gab es überall Pass- und Zollkontrollen.

Für Georg Romberg hatte das alles doppeltes Interesse, und während ihm bei einer Gelegenheit unnütze Schwierigkeiten mit seinen Papieren gemacht wurden, kam ihm plötzlich ein beunruhigender Gedanke. Wie, wenn seiner Tochter eines Tages Schwierigkeiten daraus erwachsen würden, dass die Ehe ihrer Eltern seinerzeit nur von einem Missionar geschlossen worden war? Er besaß über diese Eheschließung nur einen primitiven, von dem Missionar ausgefertigten Trauschein. Bisher hatte er nie darüber nachgedacht, ob dieser Trauschein genügen würde, um Gildas Legitimität zu beweisen.

Das Ergebnis seines Nachdenkens war, dass er beschloss, noch während seiner Reise ein Testament niederzuschreiben, das er sich der Ordnung halber nach seiner Ankunft in Deutschland von einem Notar beglaubigen lassen wollte. Denn wenn er, wie es seine Absicht gewesen war, kein Testament machen würde, weil er eben in seiner Tochter seine einzige Erbin sah, so konnte vielleicht die Möglichkeit eintreten, dass ihre Legitimität angezweifelt wurde. Sein Bruder, wie er ihn kannte, würde in diesem Fall jedenfalls nicht davor zurückscheuen, Gildas Erbberechtigung zu bestreiten. Und der Ausgang eines solchen Prozesses war dann mindestens zweifelhaft.

Er atmete auf, als er das beschlossen hatte. Wie gut, dass ihm das eingefallen war!

„Man kann nie vorsichtig genug sein“, sagte er sich. Und er suchte seinen Trauschein hervor, den er unter seinen Papieren mit sich genommen hatte, und prüfte den Inhalt. Gottlob, er war klipp und klar abgefasst.

„Aber wenn mir dieses Stück Papier verloren gehen würde, könnte ich es nicht noch einmal beschaffen“, dachte er.

Denn seine Ehe war in kein Kirchenbuch und kein Standesamtsregister eingetragen. In der Wildnis gab es so etwas nicht. Und der Missionar, der ihn und seine Gattin getraut hatte, war kurz nachdem er die kleine Gilda getauft hatte von seinem Amt abgerufen und nach China geschickt worden. Ob er noch am Leben war, erschien zum mindesten fraglich.

Das bald aufgesetzte Testament, das ohne alle Einschränkungen seine Tochter zu seiner Universalerbin einsetzte, barg er mit dem Trauschein unter seinen wichtigen Dokumenten.

Ende Februar kam das Schiff in London an. Ohne langen Aufenthalt setzte Georg Romberg seine Reise über Amsterdam nach Deutschland fort.

In Amsterdam hatte er sich mehrere Tage aufgehalten, um Bankgeschäfte zu erledigen. Auch in Hamburg wollte er einige Tage Station machen, ehe er nach Alt-Hagenow fuhr, dem Gut, das sein Bruder für ihn bewirtschaftete und das in der Nähe von Hamburg liegt.