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In Sumatra führt Gonda Ruthart mit ihrem Vater ein glückliches und zufriedenes Leben. Da trifft eine Nachricht aus Deutschland ein, die für große Aufregung sorgt. Klaus Ruthart muss in die Heimat zurückkehren, da seine Tochter Helga aus erster Ehe seine Hilfe braucht. Gonda ist glücklich, plötzlich eine Schwester zu haben. Sie ahnt noch nichts von dem Hass, den Helga ihr und dem Vater entgegenbringt. Ein Hass, der das junge Mädchen in tiefste Verzweiflung stürzt ...
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Seitenzahl: 175
Cover
Impressum
Die Tochter der zweiten Frau
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Anne von Sarosdy/Bastei Verlag
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-2177-7
www.bastei-entertainment.de
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Die Tochter der zweiten Frau
Roman um ein tapferes Mädchenherz
Gonda Ruthart verabschiedete sich mit herzlichem Kuss und inniger Umarmung von ihrem Vater, der auf der breiten Veranda stand, die den großen Wohnbungalow von allen Seiten umgab. Klaus Ruthart und seine Tochter bewohnten seit dem Tod von Gondas Mutter diesen Bungalow allein, denn die zahlreiche Dienerschaft wohnte abseits des Hauses in ihren Hütten. Vor der breiten Treppe, die zu der Veranda hinaufging, führte ein malaiischer Diener Gondas gesatteltes Reitpferd auf und ab.
„Also du kommst zurück, ehe es dunkel wird, Gonda“, sagte der Vater, seine Tochter mit stolzen, zärtlichen Blicken betrachtend. Sie war eine reizende Erscheinung und trug ein beigefarbenes Reitkostüm aus Baumwollstoff, das aus einer langschößigen Jacke, knappen Reithosen, einer hauchfeinen weißen Bluse, hohen braunen Stiefeln und einem Tropenhut bestand. Das Haar war bis auf einige widerspenstige Strähnen unter dem Tropenhut versteckt.
Lächelnd nickte sie dem Vater zu. „Sei unbesorgt, Vater, du weißt, dass ich gleich nach der Teestunde wieder von Ramova fortreite. Bis Mittag bin ich dort, dann labe ich mich mit Strassers an der Reistafel und habe dann bis zur Teestunde Zeit, mit Georg zu plaudern. Kannst dir doch denken, wie sehr er sich nach Gesellschaft sehnt, da er noch immer nicht soweit hergestellt ist, dass er uns besuchen kann.“
„Gewiss kann ich mir das denken, der arme Bursche wird die Minuten zählen, bis du kommst; grüße ihn herzlich von mir.“
„Will ich tun, Vater. Du fährst ja doch auf die Plantagen hinunter und wirst mich nicht vermissen.“ Klaus Ruthart kam mit herab von der Veranda und half seiner Tochter beim Aufsteigen, nachdem er den Sattelgurt geprüft hatte. Gonda nickte ihm noch einmal zärtlich zu und ritt davon.
Leise summte Gonda ein Liedchen vor sich hin, während sie durch den wundervollen Tropenwald dahinritt; es war ein deutsches Volkslied, das die Mutter sie gelehrt hatte und das sie daheim oft zur Laute sang. Als sie nach gut einer halben Stunde wieder ins Freie kam, sah sie den Bungalow von Ramova etwas näher, auch auf der höchsten Stelle des Bergrückens, liegen.
Gonda legte nun das letzte Stück Weg in schnellem Tempo zurück und hielt gleich darauf vor dem Bungalow der Familie Strasser. Er war etwas kleiner als der auf Dahomy und zeigte vor allen Dingen starke Spuren der Vernachlässigung, während Klaus Rutharts Haus bis zum letzten Nagel intakt und sauber war.
Auf dieser Veranda erblickte Gonda im Schatten ihren Jugendfreund Georg in einem Liegestuhl. Er hatte die Augen geschlossen, und sein ebenmäßiges Gesicht zeigte eine fahle Blässe und nicht die gesunde Bräune der in den Tropen lebenden Weißen. Als Gonda vom Pferd sprang, schrak er hoch und erhob sich mühsam, um die Freundin zu begrüßen. Seine Augen leuchteten froh. Er wollte ihr entgegenkommen, aber sie drohte mit dem Finger.
„Willst du wohl ruhig liegen bleiben! Soll ich gleich mit dir zanken, wenn ich komme?“, rief sie ihm zu. Georg setzte ein silbernes Pfeifchen an den Mund und rief dadurch einen malaiischen Diener herbei, der von den Ställen herüberkam und Gondas Pferd in Empfang nahm.
Gonda nickte dem Diener freundlich zu und ging dann zu Georg hinauf auf die Veranda. Er streckte ihr beide Hände entgegen.
„Wie gut, dass du da bist! Die Luft auf Ramova ist reiner, wenn ich in dein Gesicht sehen kann, Gonda.“
Sie sah besorgt auf seine überschlanke Gestalt herab, in sein schmales Gesicht, das sich vor Freude gerötet hatte. Sie warf die Reitpeitsche auf den Tisch, den Tropenhut daneben und legte die lange Reitjacke ab. Forschend sah sie sich um.
„Du bist doch nicht etwa allein zu Hause, Georg?“
„Mutter ist drinnen. Vater und Kurt sind in den Plantagen.“
„Dann will ich deiner Stiefmutter erst guten Tag sagen und mich bei ihr für die Reistafel einladen. Ich bleibe nämlich bis zum Tee.“
„Herrlich, Gonda!“
„Also gleich bin ich wieder bei dir, drinnen werde ich ja doch überflüssig sein.“
Sie nickte ihm lächelnd zu, und er sah hinter der schlanken Gestalt her, die in der engen Reithose und der weißen Hemdbluse wie die eines Knaben wirkte. Er atmete tief auf, wie befreit von einem quälenden Druck. Wo Gonda war, da war es licht und klar und rein. Das tat so wohl, wenn man an der Unreinheit ringsumher zu ersticken drohte …
Gonda hielt die Begrüßung der Hausherrin so knapp wie möglich und ging dann wieder hinaus auf die Veranda, wo ihr Georg sehnsüchtig entgegensah.
„Da hat Sunlah schon eine Erfrischung für dich gebracht, Gonda“, sagte Georg, auf ein Tablett mit Früchten und Limonade deutend, das auf dem Tisch stand. Auch einige Kekse waren dabei.
Gonda nahm einen Schluck von der Limonade.
„Soll ich dir eine Frucht zurechtmachen, Georg?“
„Danke, nein, ich habe erst vor einer halben Stunde gefrühstückt. Ich fand erst gegen Morgen Ruhe und habe dann faul bis in den Tag hinein geschlafen.“
„Recht so, das musst du auch tun! Das heißt, ich meine nicht, dass du erst so spät einschlafen sollst, das will ich gar nicht hören. Du sollst doch viel Schlaf haben. Wie fühlst du dich heute?“
„Es geht langsam besser, aber leider sehr langsam.“
„Du darfst nicht ungeduldig werden.“
Er lächelte froh. „Wenn du bei mir bist, ist es leicht, geduldig zu sein. Wenn man dich ansieht, meint man, es könnte gar keine Krankheit auf der Welt geben. Immer hast du etwas so Frisches, Gesundes, Lebensbejahendes an dir.“
„So nimm dir ein Beispiel an mir und werde schnell gesund.“
Er seufzte ein wenig, und seine blauen Augen sahen in weite Fernen. „Manchmal denke ich, dass ich überhaupt nie wieder ganz gesund werde. Der malaiische Arzt, der zuweilen nach mir sieht, hüllt sich ja über das Wesen meiner Krankheit in Stillschweigen, vielleicht, weil er nicht ergründen kann, was mit eigentlich fehlt, aber ich habe das Gefühl, dass es keine Heilung dafür gibt.“
Sie verbarg ihre Sorge hinter einem Kopfschütteln. „Was sind das für törichte Gedanken, Georg! Es wird nicht lange dauern, dann reiten wir beide wieder um die Wette, wie wir es früher so oft getan haben. Was das nicht schön?“
Seine Augen strahlten. „Wunderschön, Gonda! Schilt mich nur aus, das tat gut. Ich bin vielleicht durch meine lange Krankheit ein wenig schwarzseherisch geworden.“
„Nun ja, wenn man krank ist, sieht man alles grau in grau. Aber lass noch acht Tage vergehen, dann lachst du über deine törichten Gedanken und bist wieder frisch und gesund.“
Er wollte sie nicht betrüben und lenkte ab: „Hast du Mutter begrüßt?“
„Ja, sie langweilt sich schrecklich über einem uninteressanten Buch.“
Er zog die Stirn zusammen. „Sie ist gesund und kräftig und mag doch nicht arbeiten. Wie froh die Arbeit machen kann, ahnt sie nicht. Und im Hause geht alles drunter und drüber. Wie wundervoll blank und sauber ist alles bei euch in Dahomy. Und du bist noch so jung.“
Sie streichelte seine Hand. „Nimm es nicht so schwer, Georg, es quält dich nur.“
Er nickte ihr zu. „Hast Recht, man sollte sich über Unabänderliches nicht immer wieder ärgern. Aber es ist nicht schön, wenn man tatenlos zusehen muss, wie es immer weiter bergab geht. Leider kann ich es nicht ändern. Auch wenn ich gesund wäre, fehlten mit die Kräfte, mich gegen den Untergang zu stemmen. Und zuweilen überkommt mich die Sehnsucht, irgendwohin zu fliehen, um das alles nicht länger mitansehen zu müssen. Aber in der ganzen weiten Welt weiß ich kein Fleckchen, wo es Ruhe und Frieden gibt für einen armseligen Kerl wie ich einer bin.“
„Ich wüsste so ein Fleckchen, Georg.“
Er sah sie fragend an. „Da bin ich neugierig.“
„Bei deinem Großvater in Deutschland, dahin müsstest du gehen.“
Ein bitteres Lächeln huschte um seinen schmallippigen Mund. „Um mich von ihm vor die Tür jagen zu lassen? Du weißt doch, dass er nicht ein Wort von sich hören ließ, sondern es mich auch entgelten lässt, dass Vater und Mutter seinen Zorn erregten, als mein Vater meine Mutter entführte.“
Mitleidig sah ihn Gonda an. „Dein Großvater kann doch aber nur auf deinen Vater böse sein.“
„Ja, aber so böse, dass er diesen Groll auch auf mich überträgt, weil ich eben sein Sohn bin. Das Erziehungsgeld für mich schickt er ja erst seit meiner Mutter Tod, der ihm doch wohl nahe gegangen ist. Er muss sie sehr geliebt haben, und gerade deshalb hat er ihr auch sehr gezürnt, weil sie mit dem Mann, dem er ihre Hand verweigert hatte, aus dem Elternhaus floh. Es muss ihm sehr weh getan haben.“
„Warum hat er deinem Vater die Hand seiner Tochter verweigert?“
„Weil – nun, weil er ihm wohl nicht genug Garantie für das Glück meiner Mutter bot. Und damit hat er doch leider Recht gehabt. Du weißt doch so gut wie ich, Gonda, dass meine Mutter sehr unglücklich geworden ist an der Seite meines Vaters.“
Gonda seufzte tief. Sie hatte nachdenklich zugehört. „Du hast recht, Georg. Ich habe aber trotz allem das Gefühl, dass du dir die Liebe deines Großvaters schnell gewinnen könntest, wenn er dich nur kennen würde. Und du würdest dich bei ihm so viel glücklicher fühlen als hier.“
Mit einem schwermütigen Blick sah Georg ins Weite.
Mitleidig sah sie ihn an. „Georg, ich habe eine große Bitte an dich.“
„Was kann ich für dich tun?“ Georg blickte sie fragend an.
„Sage mir, welche Bank das Geld von deinem. Großvater anweist – ich meine, wohin dein Vater die Quittungen schickt.“
Er zog die Stirn zusammen. „Warum musst du das wissen?“
„Ich – ich möchte an deinen Großvater schreiben. Du sollst es nicht selbst tun, aber ich will ihm alles schreiben, was ihn endlich veranlassen soll, damit er sich deiner annimmt. Ganz ausführlich will ich ihm deine Lage schildern und will ihn bitten, dich zu sich zu nehmen oder dir anders zu helfen, weil du sonst zugrunde gehen wirst. Vater und ich, wir sind der Ansicht, dass du für immer von hier fort müsstest, dass du nur in Deutschland wieder ganz gesund wirst. Wenn wir dich dann auch verlieren würden – du weißt, wie schmerzlich uns das wäre –, so wüssten wir dich doch in Deutschland geborgen. Gib mir die Erlaubnis, an deinen Großvater zu schreiben, ich bitte dich.“
Georg drückte sein Gesicht fest auf ihre Hand, und sie merkte, wie tief er bewegt war. Aber dann richtete er sich mit einem Ruck empor und sah sie mit tiefernsten Augen an. „Nein, Gonda, um gar keinen Preis! Nie darfst du das tun, ich will es nicht. Du sollst nicht betteln für mich. Begreife doch, ein Betteln um Almosen wäre das! Viel lieber würde ich sterben! Ich danke dir – es tut mir so wohl, dass du das für mich tun wolltest, aber es kann, es darf nicht sein. Mein Stolz lässt das nicht zu, und mein Stolz ist das einzige, was mich noch aufrecht erhält. Den darfst du mir nicht nehmen, so gut du es auch meinst.“
Sie streichelte seine Hand. „Armer Georg!“
Er biss die Zähne aufeinander. „Nur kein Mitleid, Gonda! Ich ertrage es so schlecht! Lass uns von etwas anderem plaudern.“
Sie schluckte tapfer die Tränen hinunter. Und da sie einsah, dass sie ihn nur quälte, wenn sie weiter in ihn dringen würde, gab sie es auf und begann von anderen Dingen zu reden. Sie zwang sich, heiter und vergnügt mit ihm zu plaudern, und es machte sie froh, dass sie ihn zum Lachen brachte.
So waren sie beide in ganz vergnügter Stimmung, als Hermann Strasser mit seinem Stiefsohn Kurt angefahren kam. Auch das Auto zeigte Spuren von Vernachlässigung, und Hermann Strasser und Kurt sahen ziemlich verwildert aus, woran nicht nur der Staub schuld war. Kurt blieb vor Gonda und Georg stehen, die Hände in den Hosentaschen und die Pfeife im Mund.
„Willst du nicht die Hände aus den Taschen nehmen und die Pfeife aus dem Mund, wenn du mit Gonda sprichst?“, sagte Georg scharf, als Kurt sich jetzt mit einer derben, scherzartigen Begrüßung an Gonda wandte.
Kurt drehte sich langsam nach ihm um. „Ich brauche keinen Erzieher. Gonda wird ja nicht gleich eine Perle aus der Krone fallen, wenn man sie nicht mit Glaceehandschuhen anfasst, was, Gonda?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich erwarte keine Artigkeiten von dir, Kurt.“
Inzwischen war Hermann Strasser herbeigekommen. Er reichte Gonda die Hand. „Tag, Gonda! Fein, dass Sie hier sind und Georg Gesellschaft leisten. Wie geht es dem Vater?“
„Danke, gut, er lässt schön grüßen.“
„Wird auch in den Plantagen schwitzen?“
„Ohne das geht es nun einmal nicht, Herr Strasser.“
Dieser wandte sich seinem Sohn zu: „So, Kurt, wir sollten uns jetzt wohl waschen gehen, sonst lässt uns deine Mutter am Ende gar nicht ins Speisezimmer.“ Er nickte Gonda noch einmal zu, dann ging er mit Kurt ins Haus.
Es ging ziemlich laut und lebhaft zu bei Tisch. Kurt machte seine etwas rohen und derben Späße, Hermann Strasser erzählte allerlei Witze und Anekdoten, die ihm ein Händler, der auf den Plantagen Geschäfte machte, mitgebracht hatte, und Frau Lilli lachte dazu mit ihrem etwas schrillen Organ.
Gonda und Georg waren froh, als die Tafel zu Ende war und Lilli und die beiden Herren verschwanden, um Mittagsruhe zu halten. Sie begaben sich wieder hinaus auf die Veranda, und Georg sagte leise: „Ich muss dich wieder einmal um Entschuldigung bitten, dass man sich in deiner Gesellschaft so gehen ließ. Leider kann ich dir das nicht ersparen, denn wenn ich etwas sage, wird Kurt nur noch ausfallender.“
„Mach dir nur darüber keine Sorge, Georg, ich höre nicht, was ich nicht hören will. Du weißt ja, dass mein Besuch nur dir gilt.“
Sie sprach dann gleich wieder über ein anderes Thema. Um Georgs willen versuchte sie heiter und vergnügt zu sein, und er lebte förmlich auf in dieser Unterhaltung mit ihr, die anregender und geistvoller war, als er es hier im Haus gewohnt war. Seine Augen wurden immer klarer und frischer, und Gonda freute sich herzlich darüber.
Nur zu schnell vergingen ihnen die wenigen Stunden. Zur Teestunde wurden die anderen wieder sichtbar, und gleich danach brach Gonda auf. Sie musste am hellen Tag nach Hause kommen, sonst sorgte sich der Vater.
***
Am nächsten Morgen saß Gonda ihrem Vater auf der Veranda am Frühstückstisch gegenüber. Ein eingeborener Diener servierte frisch gerösteten Toast, ein anderer füllte die Tassen. Gonda entließ sie dann beide und bediente den Vater selbst weiter, weil sie mit ihm allein sein wollte. Sie sah den Vater forschend an. Irgendetwas an ihm erschien ihr fremd. „Vater!“
Er schrak aus seinem Sinnen hoch. Mit großen Augen sah er sie an. „Was willst du, Gonda?“
„Vater, du gefällst mir nicht. Du willst doch nicht krank werden? Du siehst so blass aus.“
„Nein, nein, ich bin ganz wohl.“
„Dann hast du irgendetwas auf dem Herzen, was dich drückt. Sorgenvoll siehst du aus, ja, das ist es. Hast du Sorgen, Vater?“
Er sah sie. nachdenklich an. „Sorgen habe ich nicht, Gonda, aber – ich wollte dir heute eine Beichte ablegen, was ich immer wieder verschoben habe. Nun ist es aber mit einem Mal höchste Zeit dafür geworden. Jetzt zwingen mich die Verhältnisse dazu.“
Ein wenig unruhig, aber tapfer sah sie ihn an. „Eine Beichte? Das klingt seltsam, Vater. Aber jedenfalls habe ich schon gestern Abend, als ich nach Hause kam, etwas gespürt, als seiest du mit deinen Gedanken weit von mir.“
„Oder sehr nahe bei dir. Jedenfalls hast du Recht, es ging etwas nicht ganz glatt. Du weißt, gestern gab es Post aus Deutschland.“
„Hattest du schlechte Nachrichten?“
„Nichts, was mich sehr tief berührte, aber immerhin etwas, das einen schon längst gehegten Plan etwas plötzlicher zur Ausführung bringen wird, als es sein sollte. Doch nun will ich dich nicht mehr mit langen Vorbereitungen quälen und beunruhigen, sondern ich werde gleich mit der Tür ins Haus fallen.“
Sie nickte energisch. „Ja, Vater, wenn ich irgendetwas schlucken muss, dann schnell heraus damit; ich gestehe, dass ich schon ein bisschen unruhig bin.“
Er lachte ein wenig. „Nun, so arg bitter wird es nicht sein, was du schlucken musst. Also, wir reisen nach Deutschland!“
Sie sah ihn lachend, mit strahlenden Augen an.
„Oh, das schlucke ich mit Wonne. Lag es mir doch schon so im Gefühl! Ich habe schon zu oft gedacht, es wird bald Zeit, dass wir wieder einen Klimawechsel vornehmen, und ich freue mich sehr auf die Monate, die wir drüben verleben werden.“
„Diesmal gehen wir nicht für Monate hinüber, es soll für immer sein.“
Die goldenen Lichter in ihren Augen glänzten vor Überraschung. „Vater!“ Sie sprang auf, trat an seine Seite und legte die Arme um seinen Hals.
„Ja, Kind, ich plane das schon lange. Du sollst nicht für immer in dieser Einöde leben. Du hast ein Recht auf deine Jugend. Auch ich möchte gern den Rest meines Lebens in der Heimat verleben. So habe ich schon seit Jahresfrist meine Fühler nach einem Käufer ausgestreckt. Bisher wollte es nicht klappen, aber gestern habe ich ein Angebot erhalten – gerade zur rechten Zeit. Es ist noch nicht so, dass es mich ganz befriedigen könnte, aber es ist doch günstiger, als ich zu hoffen wagte. Und mit derselben Post, die mir von Palembang dies Angebot brachte, bekam ich auch einen Brief aus Deutschland, der mir alles Zaudern aus der Hand nimmt. Jetzt ruft mich die Pflicht heim, mein liebes Kind.“
Fragend sah ihn seine Tochter an. „Die Pflicht, Vater?“
Er erhob sich, drückte sie in ihren Sessel zurück und strich ihr leicht über die fragenden Augen. „Ja, Gonda – meine Vaterpflicht! Nun muss es heraus – du hast eine Schwester.“
Ganz blass wurde Gondas Gesicht vor Erregung. Mit großer Beklommenheit sah sie in das tiefernste Gesicht des Vaters. „Eine Schwester? Ich habe eine Schwester? Wie kann das sein, lieber Vater?“
Er setzte sich ihr gegenüber in einen Sessel und fasste ihre Hand. „Nicht wahr, das klingt wie ein Märchen? Aber es ist die volle Wahrheit. Deine liebe Mutter und ich, wir verschwiegen es dir, um dich nicht zu beunruhigen, um dir allerlei Grübeleien zu ersparen. Aber nun musst du alles wissen. Also: Ich war schon einmal verheiratet, ehe ich deine liebe Mutter zu meiner Frau machte. Meine erste Frau starb kurz nach der Geburt eines kleinen Mädchens, das Helga getauft wurde. Es blieb bei seiner Großmutter, der Mutter meiner ersten Frau, zurück, als ich Deutschland verließ, um die Plantagen zu bewirtschaften, die ein Vetter meines Vaters mir vererbt hatte.“
Gonda zitterte ein wenig, aber dann richtete sie sich auf und strich sich über die Stirn. „Und warum habt ihr mir das verheimlicht, Mutter und du?“
„Weil du nicht fragen und forschen solltest, weil du dich vielleicht nach deiner Schwester gesehnt hättest, und weil ich ein Geheimnis hüten musste gegen meine Leute daheim. Sie wissen nicht, dass ich mich auf Sumatra ein zweites Mal verheiratet habe. Helga weiß so wenig etwas von deiner Existenz, als du bisher von der ihren eine Ahnung hattest. Kannst du dich erinnern, dass ich dich und deine Mutter immer auf einige Wochen verließ, wenn wir in Deutschland waren?“
Sie nickte leise. „Ja, du sagtest, dass du Geschäfte zu erledigen hättest.“
„Das war ein Vorwand, um dich nicht zu beunruhigen. Deine liebe Mutter wusste aber, dass ich dann immer nach Schloss Santen ging, dass ich diese Wochen, die ich euch entzog, meine Tochter Helga besuchte. In all den Jahren konnte ich immer nur diese wenigen Wochen in ihrer Gesellschaft verbringen. Und nie hat sie erfahren, dass ich eine zweite Frau und eine zweite Tochter besitze.“
Gonda presste die Handflächen zusammen. „Aber – warum dies alles, warum musste das Geheimnis bestehen bleiben?“
„Das will ich dir jetzt offenbaren, mein Kind. Ich war fast achtundzwanzig Jahre alt und arbeitete schon seit Jahren in der Fabrik meines Vaters, als ich eines Sonntagmorgens Ellen von Santen auf eine etwas ungewöhnliche Art kennen lernte. Um es kurz zu machen: Ihr Pferd ging durch, und ich habe es wieder zur Raison gebracht.