1,99 €
Auf dem Sterbebett beichtet Graf Wildenfels seiner Mutter, dass eine schwere Last auf seiner Seele liegt. Durch seine Schuld ist der ehemalige Verwalter der Schlossgüter zu Unrecht als Dieb verdächtigt und daraufhin entlassen worden. Fest entschlossen, das Unrecht wieder gutzumachen, forscht die alte Gräfin nach der Familie des Verwalters und findet nur noch ein elternloses Kind, das sie zu sich aufs Schloss holt. Susanne, die hochmütige und hartherzige Schwiegertochter der Gräfin, beobachtet mit Missfallen, dass ihr eigener Sohn Lothar und die hübsche Enkelin des Verwalters von Anfang an eine innige Zuneigung verbindet. Als dann aus Kinderfreundschaft Liebe wird, schwört Susanne, dieses Glück mit allen Mitteln zu zerstören ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 164
Cover
Impressum
Das Halsband
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Anne von Sarosdy/Bastei Verlag
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-2179-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Das Halsband
Warum ein Schwur das Glück zweier Menschen bedrohte
Als Graf Joachim aus der Stadt nach Schloss Wildenfels zurückgekehrt war, begab er sich in den Salon seiner Mutter. Er fand seinen Sohn Lothar bei ihr und wurde von beiden herzlich begrüßt. Sie nahmen zusammen den Tee, und Lothar sorgte durch sein lebhaftes, übermütiges Wesen für eine heitere Stimmung. Gräfin Thea sah mit inniger Befriedigung, dass ihr Sohn froher aussah als sonst.
Später gingen sie alle drei zum See hinunter. Auf dem Wege dahin neckte sich Lothar mit seinem Vater, und schließlich brachte er ihn so weit, einen Wettlauf mit ihm zu veranstalten.
Mit glücklichem Gesicht schaute die alte Dame hinter ihnen her. Ein Atemzug hob ihre Brust. Wie geruhsam und schön war es, wenn Susanne, Joachims Frau, nicht dabei war. Sie erschrak über diesen Gedanken, aber zu bannen vermochte sie ihn nicht.
Am See lagen zwei Ruderboote und ein kleines Segelboot. Zu Lothars heller Freude erlaubte man ihm, eins der Ruderboote zu nehmen und damit auf den See hinaus zu fahren.
Lächelnd sahen ihm die Gräfin und der Graf hinterher. Dann wandte sich Gräfin Thea ihrem Sohn zu. Das Lächeln verschwand von ihren Zügen.
„Joachim, du bist unglücklich; ich weiß es längst. Susanne ist nicht die Frau, die du brauchst. Ich hatte mich gesträubt gegen diese Verbindung.“
„Mache dir keine Sorgen, Mutter. Ob Susanne oder eine andere, ich wäre doch nicht glücklich geworden. Als ich mich verheiratete, war es dazu bereits zu spät – da war mein Leben schon zerstört.“
„Ich habe es geahnt, mein Sohn. Du weißt, ich fragte dich oft, ob du mir nicht anvertrauen wolltest, was dich drückt und quält. Willst du es auch heute noch nicht tun?“
Joachims Gesicht zeigte einen gequälten Ausdruck. „Nein, ich kann nicht. Lass mich; damit muss ich allein fertig werden. Vielleicht erfährst du es eines Tages. Jetzt aber lass uns davon schweigen.“
„Ich möchte dir so gern helfen, mein Sohn.“
„Es könnte sein, ich nähme dich eines Tages beim Wort.“ Er führte ihre Hand an seine Lippen.
Wieder im Schloss angekommen, zog sich Joachim in seine Zimmer zurück. Seine Mutter sah ihm bekümmert nach. Nun würde er wieder ruhelos auf und ab wandeln wie so oft. Sie seufzte schwer und suchte zögernd ihre Räume auf. Deutlicher als seit langem fühlte sie wieder einmal, dass es im Leben ihres Sohnes ein Gespenst gab.
Um neun Uhr, nachdem man zu Abend gegessen hatte, und Lothar Vater und Großmutter fröhlich gute Nacht gesagt hatte, sprang Joachim auf und klingelte: „Mein Pferd“, rief er dem herbeieilenden Diener zu.
Gräfin Thea sah erschrocken auf. „Du willst ausreiten, Joachim?“
Er sah an ihr vorbei, hinaus in den schweigenden Park. „Mutter das tue ich doch oft.“
Sie seufzte. Diese späten Ritte ihres Sohnes, die sich weit über Mitternacht ausdehnten und von denen er sein Pferd abgehetzt und schaumbedeckt nach Hause brachte, waren ihr schon lange eine schwere Sorge. Sie hatte ihre Schwiegertochter heimlich gebeten, Joachim von diesen wilden Ritten abzuhalten. Aber Susanne hatte sie ausgelacht.
„Ich bitte dich, Mama, die sind das einzige, womit Joachim noch einigermaßen Schneid verrät. Wie kannst du dich darum sorgen? Willst du ihn ganz und gar nur noch im Schlafrock und Pantoffeln sehen? Er kann wirklich ein wenig Courage brauchen. Ich werde mich hüten, ihn davon abzuhalten.“ Das war ihre Antwort gewesen. Gräfin Theas Sorge war damit nicht gemildert. Unruhig sah sie den Sohn an.
„Leider reitest du immer so spät aus. Aber heute solltest du es wirklich nicht tun, Joachim – es ist ein Gewitter im Anzug“, sagte sie bittend.
Joachim starrte düster vor sich hin. „Es hat noch lange Zeit. Bis es losbricht, bin ich wohl wieder daheim.“ Er warf den Rest seiner Zigarette fort und trat zu seiner Mutter. „Gute Nacht, Mama. Du bist wohl zur Ruhe gegangen, wenn ich heimkomme.“
Gräfin Thea war hinaufgegangen in ihre Zimmer. Als sie ihr Vorzimmer betrat, erhob sich eine etwa fünfzigjährige Frau im schwarzen Kleid, mit weißem Häubchen und weißer Schürze. Sie hatte am Fenster gesessen und vor Eintritt der Dämmerung in dem Buch gelesen, das auf ihrem Schoß lag. Ihr frisches, rundes Gesicht wandte sich der Gräfin mit sorgendem Ausdruck zu.
„Heute hätten Frau Gräfin nicht zulassen sollen, dass der Herr Graf ausreiten. Es gibt schweres Wetter“, sagte sie fast vorwurfsvoll. Es war Frau Friederike Grill, Gräfin Theas langjährige Kammerfrau. Als junges Zöfchen hatte sie vor dreißig Jahren ihren Einzug in Wildenfels gehalten. Später war sie die Frau des Kammerdieners des Grafen, Heinrich Grill, geworden, ohne deshalb ihren Dienst bei der Gräfin Thea aufzugeben. Sie avancierte nur einfach zur Kammerfrau und blieb auf ihrem Posten, als ihr Mann vor etwa zehn Jahren starb. Gräfin Thea hielt große Stücke auf die ihr treu ergebene Person und sprach auch ein vertrauliches Wort mit ihr.
„Grill, du weißt doch – er lässt sich nicht halten“, sagte sie leise.
Grill – sie wurde seit ihrer Verheiratung nur so von der Gräfin genannt – nickte mit dem Kopfe. Sie kleidete ihre Herrin flink und gewandt in ihren weichen Morgenrock und löste aus den noch recht ansehnlichen grauen Flechten die Nadeln. Während sie das Haar bürstete und für die Nacht in einen Zopf einflocht, plauderte sie von den Ereignissen des Tages, um ihre Herrin zu zerstreuen. Aber dabei lauschten beide immer wieder hinaus. Ein heftiger Wind hatte sich erhoben. Grill musste die Fenster schließen. Dabei sah sie, dass die Wolkenwand gespenstisch und unheimlich näher zog. Gräfin Thea hatte sich erhoben und trat neben sie. Plötzlich brach ein knallender Donnerschlag hernieder, und dann brach auch schon ein furchtbares Unwetter los.
„Vater im Himmel, schütze meinen Sohn“, flüsterte Gräfin Thea mit bebenden Lippen.
Aber während dies Gebet zum Himmel stieg, lag Joachim Graf Wildenfels bereits blutüberströmt unter seinem Pferd auf der Chaussee. Ein durch den Sturm entwurzelter Baum hatte Pferd und Reiter unter sich begraben. Das Pferd war tot, und Graf Joachim lag schwer verwundet und bewusstlos unter dem leblosen Tierkörper.
***
Das Unwetter hatte sich ausgetobt. So schnell und furchtbar es gekommen, so schnell war es vorübergezogen. Der Mond schien bereits wieder friedlich zwischen den zerrissenen Wolkenfetzen hervor. Gräfin Thea hatte in angstvoller Unruhe auf die Rückkehr ihres Sohnes gewartet. Die Unruhe steigerte sich von Minute zu Minute.
Noch hoffte sie, dass er im Dorf Unterschlupf gefunden hätte. Dass er aber dann sofort nach dem Gewitter heimkehren würde, um sie zu beruhigen, galt ihr als sicher. Aber er kam nicht!
Nun hielt es die verängstigte Frau nicht länger. Sie eilte hinaus in das Vorzimmer. Da stand auch Grill mit blassem Gesicht und horchte hinaus.
„Grill, rufe die Leute zusammen! Es muss meinem Sohn ein Unfall zugestoßen sein, sonst wäre er daheim“, stieß Gräfin Thea atemlos vor Erregung hervor.
Grill rannte, so schnell sie konnte, die Treppe hinab.
Wenige Minuten später waren alle Dienstboten in der großen Halle versammelt. Gräfin Thea gab dem Hausmeister mit bebender Stimme Befehl, die Leute mit Fackeln und Windlichtern auszurüsten und die Umgegend absuchen zu lassen. So schnell es anging, wurde der Befehl ausgeführt. Der Hausmeister führte selbst den Zug an und verteilte draußen die Leute in mehrere Gruppen. Es dauerte nicht lange, da hatte man den Verwundeten gefunden.
Gräfin Theas Unruhe war auf das Unerträglichste gesteigert worden, als die Schreckensbotschaft eintraf. Einen Moment wankte die alte Dame, und Grill sprang erschrocken heran, um sie zu stützen. Aber nur einen Augenblick währte diese Schwäche, dann lief die unglückliche Mutter in das Schlafzimmer des Grafen, wohin man den Verwundeten bereits geschafft hatte.
Schweigend, wie zerbrochen, sank sie neben dem fast leblosen Körper ihres Sohnes in die Knie, und dann stöhnte sie auf. Ein einziges Mal nur, aber der ganze furchtbare Schmerz ihres gemarterten Herzens kam in diesem qualvollen Laute zum Ausdruck. Man schickte nach dem Arzt, obwohl man doch wusste, dass es für Graf Joachim keine Hoffnung mehr gab.
Eigenhändig wusch Gräfin Thea mit zarter Sorgfalt das Blut von dem Antlitz ihres Sohnes. Sie vergaß sich selbst und ihren Jammer im Bestreben, ihm wohl zu tun, ihm etwas Liebe zu erweisen. Mit einer matten Geste wies sie alle anderen aus dem Zimmer.
Joachim schlug plötzlich die Augen auf. Sein Blick irrte suchend umher und traf dann den der Gräfin.
Jede Mutter ist wohl in solchen Augenblicken eine Heldin. Auch Gräfin Thea vermochte es über sich zu bringen, ihrem Sohn zuzulächeln. Aber er erkannte die Verzweiflung, die sich hinter diesem Lächeln verbarg.
„Mutter, meine Mutter“, sagte er matt.
Sie beugte sich über ihn, die Lippen lächelten noch immer – aber die Augen brannten vor Leid. „Mein Joachim, mein geliebter Sohn – sprich nicht – liege ganz still.“
Joachim sah seine Mutter eine Weile stumm an. Dann bat er leise: „Nicht lächeln, Mutter – dein Lächeln tut mir weh.“
Die Gräfin küsste ihm die Hand. Dann legte sie einen Augenblick ihr Haupt mit geschlossenen Augen neben das seine. Joachim atmete schwer.
„Fasse dich, Mutter – sei stark du hast schon so viel für mich getan – nun auch noch das. Ich brauche deine Hilfe, Mutter – du musst gutmachen – was ich verbrochen. – Wolltest immer wissen, was mich verändert hat. – Die Schuld – Mutter – die Schuld jetzt will ich beichten – du wirst verzeihen – du – gute Mutter wirst gutmachen.“
Die Gräfin hob den Kopf und sah ihn an. „Sprich nicht, wenn es dir Schmerzen macht“, bat sie flehentlich.
„Nein, nein – eine Wohltat – ich muss – sonst ist es zu spät. Versprich mir – dass du gutmachen willst – bitte.“
„Ich verspreche es dir, mein Sohn, dass ich alles tun werde, was du von mir verlangst.“
Ein tiefer Atemzug hob seine Brust. Dann fragte er leise: „Wo ist der Rock, den ich trug – in der Brusttasche steckt ein kleiner Schlüssel.“
„Der Schlüssel liegt schon bei den anderen Sachen, wir haben alles aus der Tasche genommen.“
„Nimm den Schlüssel, Mutter, und geh hinüber ins Nebenzimmer. In meinem Schreibtisch links oben ist ein Fach. Öffne es mit diesem Schlüssel und bring mir die kleine Kassette, die du dort findest.“
Gräfin Thea erhob sich und ging, seinen Wunsch zu erfüllen.
Mit der Kassette in der Hand kehrte sie zurück. Joachim öffnete sie mit einem Druck auf eine Rosette und nahm ein Etui heraus. Das reichte er seiner Mutter.
„Öffne es“, bat er.
Sie tat es und sah verständnislos auf ein kostbares Halsband, welches mit Brillanten von seltener Schönheit besetzt war. „Das Halsband – es ist – wie sonderbar – wie kommt es in diese Kassette?“, stammelte sie betroffen.
Er fasste wieder in die Kassette und zog ein Schriftstück hervor. Das gab er seiner Mutter, sie mit brennenden Blicken betrachtend. „Öffne – und lies – es erklärt alles – ich brauche dann nicht mehr viel zu reden.“
Gräfin Thea las die Aufschrift: An meine Mutter, Theodora Gräfin Wildenfels, geb. Gräfin Solnau. Nach meinem Tod zu öffnen. Die alte Dame brach in den Sessel nieder und öffnete mit zitternden Händen das Schreiben.
Während sie las, sah Joachim unverwandt in ihr Gesicht. Er sah das Erschrecken in ihren Zügen, sah Blässe und Röte darüber hinjagen, und ein tiefer Seufzer entfloh seinen Lippen. Da blickte sie auf und fasste seine Hand.
„Mein Sohn – mein armes, liebes Kind“, sagte sie erschüttert.
Seine Augen strahlten auf. „Du verdammst mich nicht, Mutter, wendest dich nicht voll Abscheu von mir?“, fragte er leise.
Sie beugte sich hernieder zu ihm und küsste ihn mit zuckenden Lippen. „Wenn du Schuld auf dich geladen hättest, tausendfach größer als diese – ich würde dich nicht verdammen. Eine Mutter kann alles verzeihen. Ach, wärst du doch früher voll Vertrauen zu mir gekommen. Ich hätte dir tragen helfen, hätte mit dir zusammen gutzumachen versucht.“
Er seufzte wieder tief auf. „Ich konnte nicht, Mutter. Immer hoffte ich, selbst zum Ziel zu kommen. Seit fünfzehn Jahren habe ich alles versucht – erfolglos – es ist, als wäre sie vom Erdboden verschwunden. Aber vielleicht hast du nun mehr Glück. Nicht wahr, du versprichst mir, nach ihnen zu suchen und mein Unrecht gutzumachen?“ Er fasste ihre Hand und sah ihr mit brennenden Augen ins Gesicht.
„Ich verspreche es dir, mein Sohn. Nicht ruhen und rasten will ich, bis ich deine Schuld gesühnt habe.“
Seine Mutter sah mit heißem Erbarmen und unendlicher Liebe in sein Gesicht und streichelte seine Hand.
Ein schattenhaftes Lächeln huschte um seinen Mund. „Dann wirst du sie auch an dein Herz nehmen, wenn du sie findest. Denk immer daran, Mutter – was du ihr Gutes tust, das tust du mir. Und alle Liebe, die du ihr erweisest, wird meine Schuld geringer machen.“
„Sei ruhig, Joachim. Wie eine Tochter soll sie mir sein, das gelobe ich dir mit einem heiligen Eid.“
Er atmete auf, wie von schwerer Last befreit.
Er lächelte. „Annie – ich habe sie geliebt, wie ich nie vorher und nachher ein Weib geliebt habe“, flüsterte er.
Und dann klärten sich noch einmal seine Sinne. „Mutter – meine Mutter – Lothar und du – ihr beide – ach – schuldlos sein – schuldlos und Annie – Annie …“ Er brach ab, ein langer, schmerzlicher Seufzer, das Auge brach. Graf Joachim war tot.
Gräfin Thea drückte ihm mit sanfter Hand die Augen zu, dann sank sie ohnmächtig neben dem Bett nieder, ohne einen Laut. Bis zu diesem letzten Liebesdienst hatte ihre Kraft ausgereicht. Nun war sie zu Ende damit.
***
Gräfin Susanne fand das Telegramm, welches ihr den Unfall ihres Gatten meldete und sie heimrief, bereits im Hotel vor, als sie in Ostende ankam. Mehr ärgerlich als betrübt gab sie ihrer Zofe und ihrem Diener Befehl, alles zur Heimreise zu rüsten.
Es blieben ihr bis zur Abfahrt des nächsten Zuges einige Stunden Zeit. Sie nahm zur Erfrischung ein Bad, frühstückte und schrieb an ihre Bekannte, dass sie sofort wieder abreisen müsse.
Müde und verdrießlich saß sie am Fenster und schaute hinaus auf das Meer. Unten herrschte schon reges Leben. Susanne begriff nicht, dass alle Menschen so vergnügt aussahen. Sie konnte im Schlafwagen nicht recht Ruhe finden. Und nun hatte sie die anstrengende Reise gemacht, um sofort wieder heimzukehren. Wieder stand ihr eine lange Bahnfahrt bevor. Und dann zu Hause, was erwartete sie da? Ein schwerer Unfall – so hatte man gemeldet. Da konnte sie möglicherweise den ganzen Sommer in Wildenfels sitzen und Krankenpflegerin spielen. Brrr – sie schüttelte sich. Kranke Menschen waren ihr widerwärtig, sie mied sogar das Krankenzimmer, wenn ihr Sohn das Bett hüten musste. Während seiner Krankheiten hatte sie ihm immer nur kurze Pflichtbesuche abgestattet.
Was mochte nur geschehen sein? Solche Telegramme waren entsetzlich. Man hätte Rücksicht darauf nehmen müssen, dass sie erst die weite Reise hinter sich hatte. Kehrte sie aber nicht sofort zurück, dann war ihre Schwiegermutter sicher wieder gekränkt und beleidigt. Ärgerlich, zu ärgerlich. Hier in Ostende hätte es so amüsant werden können.
Gräfin Susanne ahnte nicht, dass sie schon am nächsten Tag würde Trauerkleider anlegen müssen.
***
Die Beisetzung des Grafen Joachim Wildenfels war vorüber.
Scheinbar ging das Leben in Wildenfels seinen alten Gang. Der eigentliche Herr von Wildenfels war nun Lothar, aber bis zu seiner Volljährigkeit war er unter die Vormundschaft seiner Mutter gestellt.
Es war eine Woche seit Graf Joachims Beisetzung vergangen, als die beiden Damen mit Lothar nachmittags den Tee auf der Terrasse einnahmen. Die Damen sprachen nur wenig miteinander. Lothar hielt die Hand seiner Großmutter fest in der seinen und streichelte sie zuweilen, als müsse er sie trösten.
Susanne bemerkte es, aber es tat ihr nicht weh. Sie war nicht für Zärtlichkeiten.
Nach einer ziemlich langen Gesprächspause sagte Gräfin Thea plötzlich: „Ich reise morgen Vormittag nach Beburg, Susanne. Hast du irgendetwas zu besorgen?“
Susanne sah erstaunt auf. „Du, nach Beburg, Mama, jetzt, mitten im Sommer?“
Gräfin Theas Stirn rötete sich ein wenig unter dem kalt forschenden Blick. „Ja, ich habe einige Besorgungen zu machen“, sagte sie ruhig.
„Soll ich dich begleiten, Mama? Du bist so angegriffen jetzt, es könnte dir etwas zustoßen“, sagte Susanne eifrig. Eine Reise nach Beburg hätte immerhin einige Abwechslung gebracht.
„Nein, nein, Susanne, ich danke dir. Grill begleitet mich, das genügt. Ich fühle mich auch körperlich kräftig genug. Bleib du nur lieber bei Lothar.“
„Mein Gott, Mama, er ist alt genug, um einmal ein paar Tage allein in Wildenfels zu bleiben“, rief Susanne ärgerlich.
„Ich hätte auch allerlei in der Stadt zu besorgen.“
„Dann kannst du vielleicht reisen, wenn ich zurück bin.“
Das war Susanne noch lieber. Sie war sehr zufrieden, dass sie nun einen Vorwand hatte, einige Zeit wegzufahren.
Nachdem die Damen den Tee eingenommen hatten, forderte Susanne ihren Sohn zu einem Spaziergang auf. Er erhob sich sofort artig. Aber dann umarmte er erst zärtlich Gräfin Thea, bevor er seiner Mutter folgte.
Gräfin Thea ging hinauf in ihr Zimmer und ließ Grill zu sich kommen. Sie sah empor in das treue Gesicht. „Du bist alt geworden in meinen Diensten, liebe Grill, und warst mir immer treu ergeben. Weißt du noch, wie du vor vielen Jahren hier herkamst?“
Grill nickte. Die Augen wurden ihr feucht.
„Lass die Tränen, gute Grill, ich weiß, sie kommen aus redlichem Herzen. Alte treue Seele, ich hoffe, der liebe Gott lässt dich mir bis zu meinem Ende. Aber ich wollte von etwas anderem reden mit dir. Grill – kannst du dich noch an den Rendanten Horst besinnen?“
Grill nickte lebhaft. „Ganz genau, Frau Gräfin – ganz genau. Er war ein aufrechter, stattlicher Mann und hatte eine liebe freundliche Frau. Und das Töchterchen erst, das Fräulein Annie. Das war ein schönes Mädchen, so ein liebes goldiges Ding.“
Die Gräfin nickte. „Ein süßes, blondes Kind.“
Grill war durch den Zwischenruf verstummt und sah nun ein wenig unbehaglich aus. „Frau Gräfin verzeihen – ich – ich sollte wohl nicht so von den Leuten sprechen. Ich hätte fast vergessen, was mir meine Frau Gräfin damals anvertraut hatten. Kein Mensch mehr hat es ja von Herrn und Frau Gräfin erfahren, dass der Rendant damals das Halsband gestohlen hat, als mein seliger Grill und ich. Wir haben es auch keinem Menschen weitergesagt, obwohl sich alle wunderten, dass der Rendant mit seiner Familie so schnell von Wildenfels fort musste. Es war auch gar so schwer, etwas Schlimmes zu glauben von dem Rendanten. Aber freilich, es musste wahr sein. Und unser alter hochseliger Herr Graf war kein ungerechter Mann, wenn er auch sehr streng sein konnte. Ein anderer hätte wohl noch schlimmere Strafe über den Rendanten verhängt. Und er musste fort, da Herr Graf meinten, in einem solchen Amt könnte er nur einen Mann gebrauchen, der über jeden Zweifel erhaben sei. Na, ja – das muss wohl auch sein. Aber lieber Gott – ehrlicher als der Rendant Horst hat nie ein Mensch ausgesehen.“
Gräfin Thea hatte schweigend, den Kopf in die Hand gestützt, zugehört. Nun hob sie das blasse Gesicht langsam empor, es war starr und schmerzzerrissen. Sie fasste der Dienerin Hand. „Grill – Rendant Horst ist auch, allem Schein zum Trotz, ein ehrlicher Mann gewesen. Da – schau her.“
Sie öffnete mit zitternden Händen das Etui und hielt es ihr hin.
Grill stieß einen leisen Schrei aus. „Das Halsband – Frau Gräfin – meiner Seel – das ist ja das verschwundene Halsband!“