Hedwig Courths-Mahler - Folge 151 - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Hedwig Courths-Mahler - Folge 151 E-Book

Hedwig Courths-Mahler

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Beschreibung

Juanita stand am Fenster und sah in den trüben Wintertag hinaus. Ihr Herz war schwer. Wie viel Glück hatte sie sich von einer Ehe mit Dolf Falkner erhofft! Wie hatte sie an seine Liebe geglaubt! Er aber hatte es nur auf ihr Erbe abgesehen! Sehnsüchtig schweiften ihre Gedanken zu Dolfs Stiefbruder Gerd, dem gütigen Tröster ihrer Kindertage. Würde sie ihn, der das Elternhaus im Zorn verlassen hatte, je wiedersehen? Juanita ahnte nicht, dass Gerd bereits auf dem Weg in die Heimat war - und zu ihr, der Frau seines Bruders ...

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Seitenzahl: 137

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Inhalt

Cover

Impressum

Deines Bruders Weib

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Bastei Verlag/Wolf

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2182-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Deines Bruders Weib

Warum ein junger Mann seine Liebe verleugnen musste

Bernhard Falkner saß im Privatkontor seiner Fabrik draußen am Südende der Stadt. Diese Fabrik, in der Teppiche gewebt wurden, war ein großer roter Ziegelbau, der von drei Seiten einen mächtigen Hof umschloss. Hunderte von Arbeitern bevölkerten das Gebäude. Oben unter dem Dach befanden sich die Zeichensäle, wo die Teppichmuster entworfen wurden. Unten hörte man das Fauchen der Maschinen und das Klappern der Webstühle.

Bernhard Falkner war an diese Geräusche so gewöhnt, dass sie ihn nicht störten. Seit zweiundzwanzig Jahren war er Besitzer dieser Fabrik. Er hatte sie selbst erbauen lassen, als er sich mit seiner ersten Frau vermählte. Das große Vermögen, das sie in die Ehe brachte, hatte ihm das ermöglicht.

Die Fabrik hatte bald einen guten Ruf bekommen, sie war leistungsfähig, und es fehlte nicht an Aufträgen. Mit den Jahren hatte Bernhard Falkner, der ein tüchtiger Kaufmann war, sein Unternehmen noch vergrößert. Es war viel Geld eingekommen, aber er hatte auch, dank seiner verschwenderischen zweiten Frau, viel verbraucht.

Und nun sollte er, gerade zu einer Zeit, da er einige Fehlschläge gehabt hatte, seinem Sohn das mütterliche Erbteil auszahlen, das bisher in seinem Geschäft gesteckt hatte! Dreihunderttausend Mark aus solch einem Betrieb zu ziehen – das war keine Kleinigkeit. Und Bernhard Falkner saß auch heute wieder mit sorgenvoller Stirn und rechnete. Wenn seine Frau auch übertrieben hatte, wenn sie behauptete, dass ihn das Auszahlen der Summe ruinieren müsse, so kam er doch in eine verteufelt unangenehme Lage.

Trotzdem dachte er nicht daran, seinen Sohn zu bitten, ihm das Kapital noch länger zu überlassen. Nicht nur, dass er Gerhard fremd geworden war, hinderte ihn daran, sondern auch der Gedanke, dass dessen Mutter wohl aus besonderen Gründen kurz vor ihrem Tod so testiert hatte. Er vermochte auch heute noch nicht ruhig an den Tod seiner ersten Frau zu denken.

Unmutig warf er endlich die Feder hin. Was half ihm alles Rechnen! Es änderte nichts an der Tatsache, dass er in die schwierigste Lage kam, wenn er das Geld auszahlen musste.

Trüb starrte er vor sich hin.

„Du rächst dich – noch aus dem Grab heraus, Maria“, stöhnte er.

Wie schon oft seit dem Tod seiner ersten Frau, regte sich auch heute wieder das Gewissen in seiner Brust. Er wusste, dass er sich an Maria versündigt hatte, dass er sie gekränkt und beleidigt hatte mit seiner Leidenschaft für Helene, seiner zweiten Frau. Auch regte sich oft eine leise Stimme in ihm, die ihn anklagen wollte, dass Maria wohl mit Absicht aus dem Leben geschieden war, weil sie es nicht ertragen konnte, dass er sie verraten hatte. Aber diese Stimme brachte er stets zum Schweigen. Daran wollte er nicht glauben, weil er sonst die Last nicht hätte ertragen können. Doch der Mahner in seiner Brust ließ sich nie ganz zum Schweigen bringen. Und der Anblick seines ältesten Sohnes weckte immer wieder von Neuem die Erinnerung an seine Schuld.

Nur dann fühlte er sich ganz frei von aller Gewissensnot, wenn Helene bei ihm war. Dann wusste er, dass er nicht anders hatte handeln können, dass das Gefühl, das ihn zu ihr gezogen hatte, zu mächtig gewesen war, um sich dagegen auflehnen zu können.

Helenes Zauber wirkte auch jetzt noch mit der alten Macht auf ihn ein, und in ihrer Nähe war er zu glücklich, um Gewissensbissen Raum zu geben.

Aber wenn er hier draußen in der Fabrik allein war, stiegen zuweilen Marias ernste, leidvolle Augen vor ihm auf, dann sah er sie wieder bleich und kalt, mit dem tiefen Schmerzenszug um den Mund, auf ihrem letzten Lager liegen. So jung hatte sie sterben müssen – so jung.

Bernhard Falkner war kein Mensch, der sich leicht über solche Erinnerungen hinwegsetzen konnte. Und jetzt, da er durch die Bestimmung in Marias Testament in eine schlimme Lage zu kommen drohte, sah er darin eine Art Vergeltung. Er hatte es nicht gewagt, Gerd zu bitten, ihm das Kapital zu lassen. Etwas wie Furcht war in ihm, dass sein Sohn ihm seine Bitte abschlagen könnte, mit einem vorwurfsvollen Hinweis auf seine Mutter. Denn dass Gerd ahnte, auf welche Weise seine Stiefmutter zur Nachfolgerin seiner Mutter geworden war, ging deutlich genug aus seinem Verhalten hervor.

Gerechterweise hätte er es seinem Sohn nicht verdenken dürfen, dass er sich feindlich gegen seine Stiefmutter stellte; aber wenn Helene in Frage kam, schaltete bei ihm jedes klare Denken aus. Und sie wusste ihren Mann so sehr gegen Gerd zu beeinflussen, dass sich Vater und Sohn fremd, fast feindselig gegenüberstanden. Sie sprachen nur noch bei den gemeinsamen Mahlzeiten das Nötigste miteinander.

Bernhard Falkner seufzte. In diesem Augenblick klopfte es. Gleich darauf ließ der Kontordiener den Postboten herein, der verschiedene Einschreibesendungen brachte.

Mechanisch begann Bernhard Falkner die Briefe durchzusehen, als er wieder allein war. Es waren meist geschäftliche Abmachungen.

Zuletzt kam ihm ein Brief in die Hände, der den Vermerk „Privat“ trug. Er betrachtete ihn kopfschüttelnd. Das Kuvert zeigte weder einen Firmenaufdruck noch eine bekannte Handschrift, dafür aber ausländische Marken. Auf dem Poststempel entzifferte Bernhard Falkner den Namen einer kalifornischen Stadt.

Langsam führte er den Brieföffner in das Kuvert und schlitzte es auf. Mehrere eng beschriebene Bogen kamen zum Vorschein. Er faltete sie auseinander, um zuerst nach der Unterschrift zu sehen.

„Justus Trebin“.

Er zuckte zusammen. Der Name entfuhr seinen Lippen in höchster Betroffenheit.

Was für Erinnerungen löste dieser Name in ihm aus!

Justus Trebin hatte Maria ebenfalls geliebt – wohl mit einer treueren, besseren Liebe als er selbst. Aber Maria hatte ihm den Vorzug gegeben, und da Justus dem Freund die Geliebte nicht neiden wollte und doch nicht ruhig Zeuge seines Glücks sein konnte, verließ er die Heimat. Und nun, nach zweiundzwanzig Jahren, ein Lebenszeichen von ihm!

Bernhard Falkner begann zu lesen:

Mein lieber alter Freund Bernhard!

Denkst du zuweilen noch an die Zeit, da wir beide einander in Freundschaft zugetan waren? Es ist lange, lange her, dass wir einander das letzte Mal in die Augen schauten.

Du wirst fragen, weshalb ich nie von mir hören ließ. Lieber Bernhard, ich konnte Maria nicht vergessen. Eine Frau wie sie kann man nicht vergessen, wenn man sie einmal geliebt hat. Und du weißt, ich habe sie namenlos geliebt.

Wirf meinen Brief nicht empört von dir, Bernhard! Wenn du ihn in den Händen hältst, bin ich nicht mehr am Leben. Und einem Sterbenden zürnt man nicht.

Warum ich dir heute schreibe? Lieber Freund, ich möchte dir eine große Bitte ans Herz legen, dir und Maria. Ich hoffte, dich noch selbst aufsuchen zu können, um dir ein Vermächtnis zu übergeben und in der Heimat zu sterben. Aber mir ist, als könne ich dieses Ziel nicht mehr erreichen, und so will ich für alle Fälle niederschreiben, was ich von dir erbitte.

Aber lass dir erst aus meinem Leben erzählen:

Ich ging damals zunächst nach Mexiko; du weißt, mein Bruder besaß dort eine große Plantage. Er hatte jedoch auch eine Besitzung in Kalifornien, auf der ich seit neun Jahren lebe. Kurz bevor ich hierher übersiedelte, hatten mein Bruder und seine Frau bei einem Überfall während eines Aufstands das Leben verloren. Die Besitzung war verwüstet, und nur mit Mühe rettete ich mir und einer Nichte meiner Schwägerin, die im Haus meines Bruders lebte, das Leben. Mercedes war ein stilles, sanftes Geschöpf – sie liebte mich schon lange, und so wurde sie meine Frau, nachdem wir auf der kalifornischen Besitzung meines Bruders in Sicherheit waren, dessen alleiniger Erbe ich war, da er kinderlos starb.

Mercedes schenkte mir ein Töchterchen, das wir nach meiner verstorbenen Schwägerin Juanita tauften.

Aber die überstandenen Strapazen, die Schrecken des Aufstands hatten unsere Gesundheit schwer geschädigt. Nachdem Mercedes unserem Töchterchen das Leben gegeben hatte, siechte sie dahin. Sie erholte sich nicht wieder, und auch ich war mit meiner Gesundheit gar nicht mehr zufrieden. Fünf Jahre nach der Geburt unseres Töchterchens starb meine Frau. Nun war ich allein mit meiner kleinen Juanita – und ich wusste, dass auch mir kein langes Leben beschieden sein würde. Der Arzt hatte es mir auf meine Bitte nicht vorenthalten, dass meine Jahre gezählt seien.

Mir ließ der Gedanke keine Ruhe: Was wird aus deinem Kind, wenn du stirbst? Wem konnte ich meine kleine Juanita anvertrauen? Und da dachte ich an die beiden Menschen, die mir einst die liebsten auf der Welt waren, und ich malte mir aus, wie mein armes Kind von euch aufgenommen würde, wenn ich es euch ans Herz legte. Ich sah Maria liebevoll bemüht, meiner kleinen Juanita die Mutter zu ersetzen, sah in dir ihren zweiten Vater: Und es kam wie ein süßer Trost über mich. Juanita würde nicht verlassen sein, sie würde bei euch eine zweite Heimat finden.

Bei unserem Konsul habe ich mich nach dir erkundigt und erfahren, dass du mit deiner Frau und zwei Söhnen noch in demselben Haus wohnst, in das du mit Maria nach eurer Hochzeit einzogst. Ich sehe nun im Geist mein Kind in eurer Mitte und flehe euch an – nehmet es voll Liebe auf!

Meine Tochter kommt nicht mit leeren Händen. Alle Kosten, die euch durch ihren Aufenthalt in eurem Haus verursacht werden, sollen euch reichlich vergütet werden, denn ihr habt selbst Kinder, denen ihr nichts entziehen dürft. Juanitas Erbe beträgt nach deutschem Geld, etwas über zwei Millionen Mark. Dieses Geld ist vorläufig auf deutsche Banken überwiesen worden. Du, Bernhard, sollst als Juanitas Vormund darüber bestimmen, wie es ferner angelegt wird. Ich habe mir nur vorbehalten, in welcher Weise diese Vermögensangelegenheiten geregelt werden sollen, falls sich Juanita sehr jung verheiraten sollte. Auch in diesem Fall sollst du das Bestimmungsrecht behalten, ob der künftige Gatte meiner Tochter über ihr Vermögen verfügen darf, oder ob ihm nur die Nutznießung davon zustehen soll. Du wirst in diesem Fall, davon bin ich überzeugt, so gewissenhaft urteilen, ob Juanitas künftiger Gatte Vertrauen verdient, wie ich es selbst tun würde. Bis zu Juanitas Mündigkeit sollst du aber auf jeden Fall ihr Vermögen verwalten.

Genaue Bestimmungen über das alles findest du in meinen Aufzeichnungen. Du siehst daraus, wie fest ich dir vertraue und wie ruhig ich meinen Besitz in deine Hände lege, so ruhig wie meines Kindes Seele in die Hände deiner Maria.

Da ich Nita nicht selbst zu euch bringen kann, wird mein treuer Diener Pedro sich am Tag meiner Beisetzung mit ihr auf den Weg nach Deutschland machen. Die beiden werden wohl bald nach diesem Brief bei dir eintreffen. Er geht, sobald er meinen Auftrag ausgeführt hat, hierher zurück. Ich habe ihm ein Häuschen und ein Stück Land geschenkt, wo er sich zur Ruhe setzen soll. Pedro ist ein Landsmann meiner Frau, ein Spanier, kann sich aber zur Not auch in deutscher Sprache verständigen.

So, Bernhard, ich hoffe, du wirst nun alles Nötige wissen. Nochmals lege ich dir die Bitte ans Herz, dir und Maria: Nehmt meine Nita bei euch auf! Heißen Dank euch beiden im Voraus für alles, was ihr meinem Kind zuliebe tut. Alles Glück der Welt für euch – lasst mein Kind daran teilnehmen!

Lebt wohl

Justus Trebin

Es waren seltsame Gefühle, die Bernhard Falkner beim Lesen dieses Schreibens beherrschten. Justus Trebin hatte geglaubt, dass Maria noch am Leben war. Der Konsul, bei dem er sich erkundigt hatte, hatte nicht gewusst, dass Maria Falkner gestorben und an ihre Stelle längst eine andere getreten war. Sicher war es Justus Trebin hauptsächlich darum zu tun gewesen, seine kleine Tochter den Händen der Frau zu übergeben, die er einst namenlos liebte. Ob er sein Kind wohl auch ins Haus des Freundes geschickt hätte, wenn ihm gesagt worden wäre: „In Bernhard Falkners Haus und Herzen wohnt jetzt eine andere als Maria?“ Aber gleichviel – Justus war tot, da er seinen Brief in den Händen hielt. Und sein Kind war auf dem Weg hierher und konnte jeden Tag eintreffen. So sollte die kleine Juanita auch eine Heimat finden in seinem Haus. Das war er dem einstigen Freund schuldig, der vertrauensvoll alles, was er hinterließ, in seine Hände legte. Und er wollte der Waise ein guter Vormund sein und ihr Vermögen in ehrlicher, uneigennützigster Art verwalten, so, wie es Justus von ihm erwartet hatte.

Das war das erste, das Bernhard Falkner klar wurde.

Aber dann dachte er an Helen.

Was würde sie zu dem kleinen Fremdling sagen?

Er stützte den Kopf nachdenklich in die Hand. Obwohl er Helen noch immer leidenschaftlich liebte, musste er sich doch eingestehen, dass sie wenig dazu geschaffen war, einem fremden Kind die Mutter zu ersetzen.

Es würde nicht leicht sein, sie zu dieser Aufgabe zu überreden. Grübelnd sann er über die ganze Sache nach. Und plötzlich kam ihm ein Gedanke, der ihn zusammenzucken ließ. Er entfaltete den Brief noch einmal und überlas von Neuem die Stelle, wo von dem Vermögen der kleinen Juanita die Rede war.

Das war ja die Rettung! Zwei Millionen Mark sollte er nach eigenem Ermessen anlegen! Wer wollte es ihm verdenken, wenn er davon dreihunderttausend Mark in seinem eigenen Geschäft anlegte anstelle des auszuzahlenden Kapitals seines Sohnes?

***

Gerhard Falkner stand mit düsterem Gesichtsausdruck am Fenster und starrte in den Garten hinab, der die Villa seines Vaters umgab. Die Züge des knapp Einundzwanzigjährigen erschienen hart wie die eines gereiften Mannes.

Hinter ihm, mitten im Zimmer, stand seine Stiefmutter, mit der er wieder einmal einen jener erbitterten Kämpfe geführt hatte, die ihm das Leben im Vaterhaus zur Qual machten.

„Also du bleibst dabei, dein Vaterhaus zu verlassen?“, fragte sie kalt.

Er wandte sich um.

„Ja, ich bleibe dabei“, antwortete er unbewegt.

„Und du willst wirklich von deinem Vater verlangen, dass er dir dein mütterliches Erbe auszahlt?“

Er fuhr sich mit der schmalen Hand durch das kurz geschnittene Haar.

„Das werde ich mit meinem Vater besprechen.“

Sie lachte höhnisch auf.

„Weil du ganz genau weißt, dass dein Vater, ohne sich zu wehren, diese Forderung bewilligen wird. Er ist es ja gewohnt, dass sein ältester Sohn seinen Sorgen fremd gegenübersteht.“

Mit einem dunklen Blick sah der junge Mann in das schöne, kalte Frauenantlitz.

„Wie seltsam, dass du mir das zum Vorwurf machst! Wer hat mich denn meinem Vater entfremdet?“

„Dein verstockter Sinn, deine Ungebärdigkeit. Aber lassen wir das! Es handelt sich jetzt nicht um Gefühle, sondern um das Geld, das du aus der Fabrik ziehen willst. Wenn deine Mutter nur nicht so unglaublich töricht testiert hätte! Es ist Unsinn, einem so jungen Menschen schon sein ganzes Vermögen zu übergeben!“

Die Augen des jungen Mannes flammten jäh auf, und sein Blick bohrte sich düster in den ihren.

„Schweig du von meiner Mutter“, sagte er mit verhaltener Stimme, in der heißer Groll bebte.

Sie warf aber den Kopf zurück.

„Warum nicht?“, fragte sie spöttisch.

Schnell trat er dicht an sie heran.

„Weil ich es nicht leide – von dir nicht!“, rief er.

Sie wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Aber dann sagte sie mit einem Achselzucken:

„Spiel dich nicht auf – das ist lächerlich. Meinetwegen geh zu deinem Vater und erledige mit ihm diese Geldangelegenheit! Aber vorher will ich dir noch eins zu bedenken geben, was dir dein Vater verschweigen wird: Du wirst ihn ruinieren, wenn du darauf bestehst, dass dir dein mütterliches Erbe gerade jetzt ausbezahlt wird.“

Gerhard hatte sich zur Ruhe gezwungen. Nun lag in seinen Augen ein ungläubiges Staunen. „Das glaube ich nicht. Mein Vater weiß doch seit vielen Jahren, dass an meinem einundzwanzigsten Geburtstag diese Summe fällig wird. Er ist ein zu guter Kaufmann, um nicht beizeiten für Deckung meiner Forderung gesorgt zu haben. Du hast diese Angelegenheit unbedingt zwischen uns zur Sprache bringen wollen. Nun gut, es ist geschehen. Ich habe dir Rede und Antwort gestanden, soweit ich das mit einem fremden Menschen besprechen kann und mag. Alles Übrige werde ich mit meinem Vater verhandeln.“