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"Ich liebe dich, Elisa", flüsterte der junge Fürst Alexander der Gesellschafterin seiner Schwester zu. Leidenschaftlich nahm er sie in seine Arme. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür. Fürst Iwan Kalnoky stand auf der Schwelle und sah wie erstarrt auf das Paar. "Bist du von Sinnen?", fuhr er seinen Sohn an. "Du kommst sofort mit mir, und Sie, Fräulein, gehen in Ihr Zimmer und erwarten dort meine Anweisungen!" Elisa verließ schweigend den Raum. Alexander folgte seinem Vater. Aber auf seinem Gesicht lag ein trotziger Zug. Er war entschlossen, Elisa zu heiraten - mochte geschehen, was wolle. Doch er hatte nicht mit den unbeugsamen Ehrbegriffen seines Vaters gerechnet ...
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Seitenzahl: 145
Cover
Impressum
Ich lasse dich nicht
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Anne von Sarosdy/Bastei Verlag
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-2184-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Ich lasse dich nicht
Roman um die tiefe Liebe zwischeneinem russischen Fürstensohnund einem bürgerlichen Mädchen
Ein letztes Mal habe ich deine Spielschulden bezahlt, Sascha – ein letztes Mal! Deinem Leichtsinn muss endlich ein Riegel vorgeschoben werden! So geht es nicht weiter! Deine Vorfahren haben auch gelebt und genossen, ich bin ebenfalls kein Knauser gewesen, aber gespielt hat noch kein Kalnoky. Sonst wäre es dir wohl nicht beschieden, in so glänzenden Verhältnissen zu leben. Du sollst deine Jugend genießen, das steht dir offen; aber dem Spieltisch werde ich dich in Zukunft fernhalten mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln.“
So sprach Fürst Iwan Kalnoky mit strenger Miene zu seinem Sohn Alexander, der dem Vater in sichtlich bedrückter Stimmung zugehört hatte.
Nun hob er den Kopf.
„Du hast ja Recht, mir zu zürnen, Papa. Ich weiß, dass ich unverantwortlich leichtsinnig war und verstehe selbst nicht, wie es gekommen ist, dass ich mich wieder zum Spiel verleiten ließ.“
„Obwohl du mir versprochen hattest, es nie wieder zu tun“, sagte Fürst Iwan vorwurfsvoll.
Alexander errötete.
„Ja, es ist Unrecht von mir gewesen. Aber man ist manchmal nicht Herr seiner selbst.“
„Schlimm für einen Mann, wenn er die Herrschaft über sich verliert, doppelt schlimm für einen, von dem das Wohl und Wehe vieler Menschen einst abhängen wird. Wer aber anderen ein Herr sein will, muss sich erst selbst beherrschen können.“
Alexander strich sich über die heiße Stirn. Dann richtete er sich straff auf, und seine sonst so übermütig funkelnden Augen blickten sehr ernst.
„Du sollst keine Ursache mehr haben, mit mir unzufrieden zu sein, Papa. Ich verspreche dir hiermit feierlich, nie mehr zu spielen.“
„Gut, ich will dir glauben.“ Fürst Iwan blickte noch einmal auf die vor ihm liegenden Quittungen. Dann schloss er sie schnell in seinen Schreibtisch. „Nun lass uns zu deiner Mutter und deiner Schwester gehen, die beiden haben auch sorgenvolle Stunden deinetwegen durchgemacht!“
Fürst Alexander atmete erleichtert auf, als er hinter dem Vater das Zimmer verließ. Die letzte Stunde war nicht leicht gewesen. Und Alexander Kalnoky hatte bisher sehr wenige schwere Stunden kennen gelernt.
Unwillkürlich reckte er seine schlanke Gestalt in der Uniform der Leibgarde des Zaren. Er war ein glänzender Kavalier, mit allen Vorzügen des Leibes und der Seele ausgestattet. Er hätte der Stolz seiner Familie sein können, wenn nicht sein Leichtsinn die vorzüglichen Charaktereigenschaften verdunkelt hätte.
Vater und Sohn hatten einige Zimmer des Palais Kalnoky durchschritten und betraten nun ein saalartiges Gemach, das bei der Familie des Fürsten als gemeinsamer Aufenthaltsort sehr beliebt war. Es gab da lauschige Kaminplätze, bequeme Sessel aller Art, Diwane, mit kostbaren Fellen belegt. An einem der Eckfenster standen auf kleinen Tischen Körbchen mit feinen Handarbeiten, wie sie vornehme Damen in langweiligen Stunden anfertigen. Auch hier standen bequeme Sessel. Und in diese Sessel geschmiegt, saßen sich zwei Damen gegenüber. Die jüngere, Alexanders Schwester Tatjana, hielt lässig eine Stickerei in den schlanken Händen, während die ältere, Fürstin Maria Petrowna, ihre Mutter, unruhig und in nervöser Erwartung zur Tür sah.
Ein besorgter Blick flog aus ihren großen, dunklen Augen den beiden Herren entgegen.
Fürst Alexander eilte auf seine Mutter zu.
„Vergib, dass ich dir Kummer machte, liebe Mama“, bat er leise.
Sie seufzte leicht.
„Soll ich härter sein als dein Vater, Sascha? Ich sehe, Papa zürnt dir nicht mehr.“
Während Alexander zu seiner Schwester trat, um sie zu begrüßen, reichte die Fürstin ihrem Gemahl die Hand.
„Ich danke dir, Iwan.“
Er küsste ihre Stirn.
„Bedarf es des Dankes, dass ich tat, wozu mein Herz mich drängte, Maria? Aber er weiß jetzt, dass er in Zukunft keine Hilfe mehr zu erwarten hat.“
Die Fürstin blickte zu ihren Kindern hinüber.
Tatjana war in ihrer raschen, lebhaften Art aufgesprungen, als die Herren eintraten. Achtlos ließ sie die Stickerei zu Boden fallen. Nun umarmte sie den Bruder herzlich. Sie hatte noch viel kindlich Unbeherrschtes an sich, trotz der strengen Erziehung in einem der klösterlichen Institute, in denen die vornehmen jungen Russinnen erzogen wurden. Ihre starke Eigenart und das lebhafte, übermütige Naturell hatten sich siegreich gegen allen geistigen und körperlichen Drill gewehrt.
Tatjana besaß ein fein geschnittenes Gesicht, volle, tiefrote Lippen und schöne dunkle Augen.
Diese Augen und die fein gezeichneten Brauen darüber sowie die langen Wimpern fanden sich, kühner und männlicher, in Alexanders Gesicht wieder. Und beiden Geschwistern war ein bestrickendes Lächeln eigen, ein Lächeln, das sie unwiderstehlich machte.
Es war kein Wunder, dass die Augen der Eltern in zärtlichem Stolz an diesen Kindern hingen.
„Gott sei Dank, Sascha, dass nun alles wieder gut ist! Wie hab’ ich mich um dich gebangt! Aber nun fährst du auch mit mir aus, du hast es versprochen. Ich brenne darauf, die neuen Pferde zu probieren. Mama mag sie nicht, sie sind ihr zu feurig. Du, ich bin schon fast umgekommen vor Ungeduld. Ich will hinaus und Menschen sehen! Lange genug hab’ ich im Institut gesteckt!“, sprudelte Tatjana hervor.
Alexander, der seine neun Jahre jüngere Schwester so zärtlich liebte wie seine Eltern, hielt ihr neckend die Hand vor den Mund. „Halt, halt, du Unband, nicht so stürmisch! Also Menschen willst du sehen? Nun bitte, ich lasse mich gern von dir anschauen!“
Sie schlug leicht nach seiner Hand.
„Ach geh! Dich mag ich gar nicht ansehen, wenn du mich ärgerst“, schmollte sie. Aber sofort wieder lebhaft werdend, rief sie, hinauszeigend: „Sieh doch, wie die Sonne auf dem Schnee glitzert! Das gibt eine famose Schlittenfahrt! Mama hat heute wieder tausendundeine Komiteesitzung!“
„Streich nur so viel davon, dass zwei übrig bleiben, Tatjana, und zu denen könntest du mich gern begleiten“, warf die Fürstin ein.
Tatjana hob in komischem Entsetzen die Hände.
„Um Himmels willen, Mama! Sei nicht böse, aber ich finde sie grässlich langweilig, diese endlosen Beratungen, wie den Armen zu helfen ist. Es wird da so schrecklich viel geredet und viel zu wenig getan.“
„Also gut, ich dispensiere dich, du brauchst mich nicht zu begleiten, Tatjana. Wenn Sascha Zeit für dich hat, erlaube ich dir, mit ihm auszufahren. Ihr nehmt aber wohl Mademoiselle mit?“
Alexander machte ein drollig entsetztes Gesicht.
„Muss das sein, Mama?“ Tatjana schüttelte, ehe die Mutter antworten konnte, heftig den Kopf. „Ach nein, Mama, Mademoiselle hat ja schon wieder Zahnweh. Und sie friert immer entsetzlich, wenn sie hinaus muss.“
„Außerdem ist sie mindestens tausend Jahre alt und auch ohne geschwollene Wange kein herzerhebender Anblick. Tatjana steht unter meinem Schutz, Mama, da brauchen wir diesen frostklappernden Anstandswauwau nicht.“
Maria Petrowna musste lachen. „Ein Glück, dass Mademoiselle in ihre Heimat zurückkehrt, für sie und für dich.“
Tatjana atmete auf.
„Ja, wahrhaftig, Mama. Und ich bin sehr froh, dass meine neue deutsche Gesellschafterin jung ist. Mit zweiundzwanzig Jahren wird sie nicht so empfindlich gegen Kälte sein wie Mademoiselle.“
„Die Hauptsache ist, dass sie dich in der deutschen Sprache fördert“, sagte die Fürstin.
Tatjana wurde rot und hob verlegen ihre Handarbeit auf.
Seit einiger Zeit erwies der junge Fürst Wladimir Sogareff der jungen Dame sehr viel Aufmerksamkeit. Und Fürst Wladimirs Vater sollte demnächst den Botschafterposten in Berlin erhalten. Sein Sohn würde den Vater begleiten, und man nahm an, dass auch Fürst Wladimir, der gleichfalls Diplomat war, in Berlin eine Anstellung fand.
Fürst Wladimir berechtigte zu großen Hoffnungen. Man nannte ihn einen klugen Kopf, einen Mann, dem eine große Zukunft bevorstand.
Maria Petrowna war eine weitsichtige Frau. Sie sah zwischen Tatjana und Wladimir eine Neigung emporkeimen. Eine Verbindung zwischen den beiden würde ganz ihren Wünschen entsprechen. Und da nun Tatjanas französische Gesellschafterin nach Frankreich zurückkehren wollte, benutzte sie die Gelegenheit, an deren Stelle eine junge Deutsche zu engagieren, die Tatjanas mangelhaftes Deutsch verbessern sollte. Tatjana wusste sehr wohl, welche Hintergedanken die Mutter dabei hegte, und ihr Erröten bewies, dass auch sie sich bereits mit dem Gedanken beschäftigt hatte.
Während sie die Arbeit in eines der Körbchen legte, fragte sie leichthin:
„Hast du noch. Näheres über dieses Fräulein Helbig in Erfahrung gebracht, Mama?“
„Sie ist mir empfohlen worden als jung, hübsch, taktvoll, gebildet, lebensfroh und energisch“, antwortete die Fürstin.
„Das ist sehr viel – oder sehr wenig.“
„Also musst du abwarten, wie sie dir gefällt. Ich hoffe gut“, sagte die Fürstin lächelnd. „Aber wenn ihr noch vor dem Diner ausfahren wollt, dann eilt euch. Nachmittags musst du einige Stunden ruhen, Tatjana, damit du am Abend zum Ball in der Deutschen Botschaft frisch bist.“
„Unbesorgt, Mama, ich bin gar nicht ruhebedürftig.“
„Trotzdem wirst du dich ausruhen, Kind. In deinem Alter merkt man freilich noch nichts von Abspannung. Aber es rächt sich im Alter, wenn man in der Jugend nicht mit den Kräften spart.“
Wenige Minuten später begleitete Fürst Alexander seine in einen kostbaren Pelzmantel gehüllte Schwester die breite Treppe im Palais Kalnoky hinab.
Der elegante Schlitten mit dem feurigen Gespann hielt bereits unter der überdachten Einfahrt. Auf dem Kutschbock saß, in einen riesigen Pelz gehüllt, der Kutscher. Neben dem Schlitten harrte ein Diener des Augenblicks, da die Herrschaften einstiegen.
Fürst Alexander hob seine Schwester selbst in den Schlitten und breitete aufmerksam die Pelzdecke über ihre Knie. Dann setzte er sich neben sie. Der Diener sprang zu dem Kutscher hinauf, und in demselben Augenblick zogen auch schon die feurigen Tiere an. Wie ein Pfeil glitt der Schlitten dahin.
Tatjana strahlte.
„Ah, das ist wieder einmal ein Tempo, wie es mir gefällt!“, jubelte sie.
Alexanders Gesicht erschien ihr aber nicht so übermütig wie sonst. Sie rückte ganz dicht an ihn heran und fragte leise:
„War es schlimm, Sascha? Hat dir Papa sehr zugesetzt?“
Alexander warf den Kopf zurück.
„Ach, lass, Tatjana, ich bin froh, dass es hinter mir liegt! Ich mag nicht mehr daran denken.“
Sie machte ein Mäulchen. „Musst es schon arg getrieben haben. Die Eltern waren in diesen Tagen ganz ungenießbar. Puh! Schrecklich, wenn man in lauter betrübte Gesichter sieht!“
„Bist du mit mir ausgefahren, um dieses Thema noch einmal auszuspinnen?“, erkundigte er sich unmutig.
Sie lachte. „Nein, du Brummbär. Du darfst schon ein wenig liebenswürdiger sein. Ich hab’ genug um dich gebangt. Papa wollte erst gar nichts davon hören, dass er dir noch einmal helfen sollte. Aber Mama und ich haben für dich gebeten. So hat er es dieses eine Mal noch getan. Aber es ist ganz sicher das letzte Mal gewesen, Sascha. Nun sei um Himmels willen vernünftig und spiele nicht wieder! Ich verstehe gar nicht, dass ein Mensch Freude am Spiel haben kann.“
„Verbotene Früchte, Tatjana! Die haben immer einen besonderen Reiz!“
„Aber nun nicht mehr“, bat sie ernsthaft.
„Nein, nein, sorg dich nicht. Ich halte mich dem Spieltisch in Zukunft fern.“
„Du, Sascha, spielt Wladimir Sogareff auch zuweilen?“, fragte sie, mit großer Mühe Unbefangenheit heuchelnd.
Alexander blickte sie von der Seite an.
„Wo denkst du hin, Tatjana! Wladimir ist ein musterhafter junger Mann. Warum interessiert dich das so?“, fragte er neckend.
Sie sah angestrengt nach der anderen Seite.
„Ach, ich fragte nur so. Aber sieh, da drüben fährt die Großfürstin Anna Paulowna. Welch ein stolzes Gesicht! Schau, sie hat uns bemerkt! Du, sie ist rot geworden, Sascha!“
Die Geschwister grüßten die vorüberfahrende Großfürstin ehrerbietig. Diese neigte mit einem Lächeln das stolze junge Haupt.
Während der Schlitten den Newski-Prospekt entlangfuhr, begegneten die Geschwister noch vielen Bekannten und tauschten mehr oder minder freundliche Grüße mit ihnen.
Inzwischen hatte Fürst Iwan seiner Gemahlin gegenüber Platz genommen.
Maria Petrowna sah ihn ernst an.
„Meinst du nicht, Iwan, dass es das Beste für Sascha wäre, wenn er sich verheiratete?“
„Gewiss, Maria, wenn er eine Frau bekäme, die klug und verständig wäre und Einfluss auf ihn gewänne.“
Maria Petrowna beugte sich mit lebhaft blitzenden Augen vor.
„Ich wüsste eine Frau.“
Der Fürst lächelte ein wenig ironisch. „Schon in Bereitschaft, Maria? Dass ihr Frauen das Ehestiften nicht lassen könnt!“
Sie errötete und sah dabei sehr jung und hübsch aus.
„Man muss doch zum Wohl seiner Kinder die Augen offen halten, Iwan.“
„Also wer?“, fragte er kurz.
„Die Großfürstin Anna Paulowna.“
Fürst Iwan richtete sich überrascht auf. „So stolze Pläne hast du?“
Maria Petrownas Augen glühten. „Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Fürst Kalnoky sich mit einer Großfürstin vermählt.“
Fürst Iwan nickte. „Ganz recht: Peter Kalnoky heiratete 1837 die Nichte des Zaren Nikolaus I.“
„Nun also! Anna Paulowna ist die Tochter eines Vetters unseres jetzigen Zaren. Meinst du, dass Sascha zu hoch greifen würde, wenn er die Hände nach ihr ausstreckte?“
„Zu hoch? Es käme auf die Umstände an.“
Maria Petrowna fasste seine Hand.
„Iwan, Anna Paulowna liebt Sascha“, sagte sie halblaut.
Fürst Iwan blickte seine Gattin forschend an.
„Das weißt du?“
„Ja.“
„Woher?“
„Ich fühle es.“
„Ist dein Gefühl der einzige Beweis für deine Annahme?“
„Der Sicherste, Iwan.“
„Und wie steht Sascha zu der Sache?“
„Er wehrt sich vorläufig entschieden dagegen“, antwortete die Fürstin mit leisem Unmut. „Er erklärte mir, die Großfürstin möge eine Perle ihres Geschlechts sein, aber er denke noch lange nicht daran, zu heiraten. Seine Freiheit sei ihm viel zu lieb.“
„Nun, also?“
„Also steht für mich vor allem fest, dass er keine Abneigung gegen Anna Paulowna empfindet. Das ist schon viel. Er gibt sogar zu, dass sie hübsch, geistvoll und klug ist. Ach, ich wüsste unseren Sausewind so wohlgeborgen an der Seite einer Frau wie Anna Paulowna. Sie ist nicht nur hübsch und klug, sondern auch tatkräftig und energisch. Sie würde einen heilsamen Einfluss auf Sascha ausüben und ihn von seinen Torheiten abhalten.“
Um des Fürsten Mund zuckte es.
„Aber nur, wenn er sie liebt, meine kluge Maria, dann vielleicht. Niemals aber würde eine Frau Macht über ihn gewinnen, die er nicht liebt.“
Maria Petrowna seufzte tief. Dann aber richtete sie sich hoffnungsvoll empor.
„Liebe erweckt Gegenliebe“ behauptete sie voll Zuversicht.
***
Wenige Tage später fand im Palais des Zaren eine Festlichkeit statt, zu der die ersten Familien des Landes eingeladen waren.
Bei der Polonaise war Fürst Alexander Kalnoky der Partner der Großfürstin Anna Paulowna. Er sah heiter und strahlend aus. Seine Augen lachten in Lebensfreude und Übermut. Anna Paulowna blickte immer wieder in sein sonniges Gesicht. Ihre sonst so kalten Züge belebten sich, und der matte, elfenbeinfarbige Teint zeigte einen leichten rosigen Schimmer.
Sie unterhielt sich angeregt mit ihm, und viele Augen streiften mit Erstaunen ihr Gesicht. So lebhaft sah man die Großfürstin selten.
In einer Nische stand eine Anzahl Herren, die an der Polonaise nur als Zuschauer teilnahmen.
Zwei dieser Herren, ein russischer Offizier und ein Herr von der französischen Gesandtschaft, unterhielten sich leise über die Gäste. Der Russe nannte dem Franzosen die Persönlichkeiten, die ihn interessierten.
„Die Dame in Weiß mit der reichen Silberstickerei ist die Großfürstin Anna Paulowna“, sagte er eben.
„Und der Herr an ihrer Seite?“, fragte der Franzose.
„Das ist Fürst Alexander Kalnoky.“
„Und die schöne junge Dame in Hellblau, mit der Perlenschnur im schwarzen Haar?“
„Das ist die junge Fürstin Tatjana Kalnoky, seine Schwester.“
„Ah, das vermutete ich, das Geschwisterpaar sieht sich ähnlich. Und wer ist der Herr, der die Fürstin Tatjana führt?“
„Fürst Wladimir Sogareff, der Sohn unseres neuen Botschafters in Berlin.“
„Soso. Anscheinend gefällt ihm seine Partnerin sehr.“
„Sie ist auch eine entzückende junge Dame, erst vor kurzem aus dem Institut entlassen und bei Hof vorgestellt.“
Ahnungslos, dass über sie gesprochen wurde, ging Tatjana Kalnoky neben Wladimir Sogareff her. Dieser schien ganz in den Anblick seiner reizenden Partnerin vertieft. Gerade als sie an den beiden Herren in der Fensternische vorübergingen, sagte er, seine hohe Gestalt zu ihr herabneigend: „Ich habe vier Tage lang nicht das Vergnügen gehabt, Sie zu sehen, Fürstin Tatjana.“
Sie sah in sein scharf geschnittenes Gesicht. Ihre wundervollen Augen bekamen dabei einen Ausdruck bedrückender Weichheit. Sie seufzte leise: „Vier Tage sind wir uns nicht begegnet?“
„Ich war gestern im Palais Kalnoky, traf aber leider niemand an“, sagte er, sie nicht aus den Augen lassend.
„Ja, ich erfuhr davon, als ich nach Hause kam“, antwortete sie.
„Tat es Ihnen ein klein wenig Leid, dass wir uns verfehlten?“
Sie errötete erst und lächelte dann schelmisch zu ihm auf. „Nicht ein klein wenig, sehr Leid hat es mir getan!“
„Wirklich? Darf ich das glauben?“
Sie wurde ernst. „Sie dürfen mir alles glauben, Fürst Wladimir. Ihnen gegenüber würde mir nicht die kleinste Unwahrheit möglich sein.“
Er hätte am liebsten ihre Hand an seine Lippen geführt, aber das gehörte sich jetzt nicht.
„Verzeihen Sie meinen Zweifel! Ich wollte nur von Ihnen hören, was mich sehr beglückt. Dass Sie einer Unwahrheit nicht fähig sind, davon bin ich überzeugt.“
Drollig zog sie die Stirn kraus.
„Ach“, seufzte sie voll Schelmerei, „glauben Sie, dass es Menschen gibt, die nie die Unwahrheit sprechen?“
Er lachte. „Ganz streng genommen freilich nicht, solche Menschen gibt es nicht.“
„Und ich bin auch nur ein Mensch.“
„Sie sind ein Engel, Fürstin!“
Lachend wehrte sie ab.
„O nein, Gott sei Dank habe ich gar nichts Engelhaftes an mir. Ich bin auch viel lieber ein Mensch, und wenn es sein kann, ein glücklicher Mensch.“
Leicht drückte er ihre Hand.
„Wer das Glück für sie schaffen und festhalten darf, der ist beneidenswert!“
Lächelnd versanken ihre Blicke ineinander. Rings um sie her verschwand alles in einem rosigen Nebel, die Musik tönte wie aus weiter Ferne an ihren Ohren, und ihre Füße gingen wie auf Wolken. Endlich riss Tatjana ihren Blick aus dem seinen. Ablenkend sagte sie: