Hedwig Courths-Mahler - Folge 157 - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Hedwig Courths-Mahler - Folge 157 E-Book

Hedwig Courths-Mahler

4,8
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In Berlin des Falschspiels überführt, flüchtet der verarmte Gutsbesitzer Horst von Winterfeld mit seiner ahnungslosen Tochter Daniela nach Monte Carlo. Dort setzt er seine dunklen Geschäfte fort; nicht aus Spielsucht, sondern um Daniela ein sorgenfreies Leben bieten zu können. Vater und Tochter verkehren in der vornehmsten Gesellschaft, und als Daniela Ronald Norden kennen und lieben lernt, scheint für die bezaubernde junge Frau ein Traum Wirklichkeit zu werden. Doch dunkle Wolken bedrohen ihr Glück, denn Ronald kennt die Geheimnisse ihres Vaters...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 189

Bewertungen
4,8 (16 Bewertungen)
12
4
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Nur wer die Sehnsucht kennt

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Anne von Sarosdy/Bastei Verlag

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2188-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Nur wer die Sehnsucht kennt

Dramatischer Roman um die Liebe zweier junger Menschen

Ronald Norden schlenderte durch die Räume des Klubs und überlegte, ob er nicht nach Hause fahren sollte.

Trotzdem ging er doch noch in den großen Raum, in dem etliche Herren um einen großen runden Tisch beim Spiel saßen. Man spielte auch in diesem vornehmen Klub gelegentlich verbotene Spiele, um sich einige Emotion zu verschaffen und ein wenig mit der Gefahr zu liebäugeln. Ronald blieb stehen und betrachtete sich die Gesichter der Anwesenden. Sie erschienen alle seltsam erregt, es musste wohl um eine große Summe gehen. Auf allen diesen blassen Gesichtern lag eine verhaltene Unruhe oder eine nervöse Gier. Nur einer der Herren, nämlich Horst von Winterfeld, hatte ein Gesicht, als sei es aus Stein gemeißelt, und von diesem ließ Ronald sich gefangen nehmen. Es verscheuchte ohne weiteres die Langeweile, die ihn befallen hatte.

Ronald Norden fühlte sich seltsam gefesselt von der auffälligen Gelassenheit dieses Mannes. Er ließ sich in einer Ecke in einen Sessel fallen, ohne dass die Spieler oder Zuschauer ihn beobachtet hatten. Alles Interesse konzentrierte sich auf das Spiel, bei dem es jetzt um besonders hohe Summen ging.

Ronalds Langeweile war verflogen. Er saß still und beobachtete den Mann, der ihn plötzlich so stark interessierte. Und als er so in dessen Anblick versunken dasaß, gewahrte er plötzlich, dass ein schräg hinter Herrn von Winterfeld stehender Herr sich mit einem jähen Ruck über diesen beugte, seine Hand mit festem Griff packte und mit kalter Stimme rief: „Der Herr spielt mit falschen Karten!“

Ein unglaublicher Tumult entstand. Auch Ronald Norden sprang wie elektrisiert empor und trat näher an den Spieltisch heran. Und so wurde er Zeuge, wie der Mann, der die auffallendste Erscheinung unter allen Anwesenden war, des Falschspiels überführt wurde. Es gab erregte Auseinandersetzungen, nur Herr von Winterfeld blieb stumm. Man verlangte, dass Winterfeld die Taschen leerte. Er musste alles herausgeben, was er bei sich hatte, und auch die vor ihm liegende Summe wurde eingezogen, um an die Verlierer verteilt zu werden. Ronald konnte sich eines Gefühls des Mitleids mit dem Überführten nicht erwehren, obwohl ihm selbstverständlich ein Falschspieler zumindest ebenso verächtlich erschien wie den anderen Anwesenden. Vielleicht sogar noch mehr, denn er hegte für jeden Spieler eine gewisse Nichtachtung. Aber etwas in den Augen des Herrn von Winterfeld erfüllte ihn mit Mitleid.

Was nun kam, geschah sehr schnell. Man kam überein, von einer polizeilichen Ahndung des verübten Betruges abzusehen, zumal man selbst nicht gern in eine solche Affäre verwickelt werden wollte. Die Beute dieses Abends hatte man Winterfeld wieder abgejagt. Freilich hatte er schon längere Zeit mit auffallendem Glück im Klub gespielt, und meistens war von ihm der Anlass zum hohen Spiel ausgegangen. Es betrachteten sich noch viele der Herren von früher her geschädigt, aber um die Affäre klanglos aus der Welt zu schaffen, wurde beschlossen, Winterfeld nicht der Polizei zu übergeben, sondern ihn einfach auszuschließen und ihn somit in der Gesellschaft unmöglich zu machen.

Winterfeld nahm dieses Urteil stumm entgegen, wie er während der ganzen Szene stumm geblieben war. Seine Augen hatten sich gesenkt, nur das Spiel seiner Muskeln im Gesicht verriet seine Erregung. Und als man ihm das Urteil verkündete, nahm er es, ohne ein Wort zu erwidern, hin. Mit einer stummen Verbeugung grüßte er ins Leere und ging langsam hinaus. Ronald sah ihm nach mit einem Gefühl, als habe er einem Todesurteil beigewohnt. Nie, das wusste er, würde er den Anblick des Mannes vergessen, der da hinausschritt.

***

Nachdem Horst von Winterfeld den Klub verlassen hatte, war er lange plan- und ziellos durch die Straßen gelaufen. Die widerstreitendsten Empfindungen rangen in ihm um die Oberhand. Etwas brach immer wieder durch die wilde Flut seiner Gedanken: Nun bist du ganz auf den Hund gekommen, nun hast du auch das Letzte verloren – deine Ehre.

Aber dann lachte er heiser und höhnisch auf. Verlor man seine Ehre erst, wenn die anderen darum wussten, dass man etwas Ehrenrühriges getan hatte, oder schon, wenn man dieses Ehrenrührige tat? Wenn das Letztere zutraf, dann besaß er schon seit Monaten keine Ehre mehr, nicht mehr seit dem Tag, da er zum ersten Mal falsch gespielt hatte, aus purer, scheußlicher, qualvoller Not und nachdem er alles versucht hatte, dem Schicksal in ehrenhafter Weise die Stirn zu bieten. Weiß Gott, nicht aus Lust am Bösen hatte er den Schritt über die Grenze getan, jenseits derer man aufhört, zu den Ehrenmännern zu gehören. Seit jenem Tag war es ihm wieder erträglich ergangen, er hatte nicht mehr hungern, hatte nicht mehr mit Angst und Grauen daran denken müssen, woher er am nächsten Monatsersten den Pensionspreis für seine Tochter nehmen sollte, um sie nicht aus diesem relativ sicheren Asyl in die gemeine Not seines Lebens mit hineinzureißen. Seit er ein Falschspieler war, hatte er wieder einen tadellosen Anzug tragen können, hatte wieder Geld für reine Wäsche gehabt. Schmutziges Geld freilich, das schmutziger war als seine ausgefransten Hemdkragen. Und er wohnte wieder in einem anständigen Zimmer einer anständigen Pension.

Welcher Unstern hatte ihn nach Berlin getrieben, in die Arme seines alten Freundes Wolzow, in den Klub, aus dem man ihn nun hinausgewiesen hatte mit dem Schandmal auf der Stirn? Ein Gezeichneter!

Ja, wenn man es auch im eigenen Interesse nicht in die Welt hinausschreien würde, dass Horst von Winterfeld ein Falschspieler war, so wussten doch all die Herren, mit denen er zusammen gewesen war, dass er ein Ehrloser war! Auch sein alter Freund Wolzow, der ihn überführt hatte, der ihn als Ehrenmann überführen musste, nachdem er gesehen hatte, dass er eine falsche Karte ins Spiel schmuggelte. Verdammt! Ein schauderhafter Moment! Konnte man danach noch am Leben bleiben? Musste man nicht ein Ende machen? Ja – das war das Wenigste, was er tun konnte, da seine Schande ruchbar geworden war.

Und er stürmte plötzlich zielbewusst nach Hause – schnell ein Ende machen! An Weiteres wollte er nicht mehr denken.

Als er in seiner am Steinplatz gelegenen Pension angelangt war und in seinem Zimmer vor dem Schreibtisch stand, um die erlösende Pistole aus ihrem Versteck zu nehmen, sah er plötzlich mit großen Augen auf die Fotografie eines vielleicht fünfzehnjährigen Mädchens – seiner Tochter.

Wie ein Ruck ging es durch seine Glieder. Er fasste nach dem Bild und sank in einen Sessel, mit brennenden Augen auf das lächelnde Kindergesicht starrend, aus dem trotz allen Lächelns die hellen großen Augen so ernst und nachdenklich herausleuchteten.

„Dani! Mein Gott, Dani! Was soll aus dir werden?“, stöhnte er auf. Ein Schauer flog über ihn hin. Nein, er konnte seine Tochter nicht allein und schutzlos zurücklassen. Er musste leben, musste weiter versuchen, für sie Geld zu verdienen, gleichviel – ja, gleichviel, ob auf ehrliche oder unehrliche Weise. Er hatte kein Recht, sich selbst zu richten, sich auszustreichen aus der Liste der Lebenden, so lange er noch eine Möglichkeit hatte, für sein Kind zu sorgen.

Fünf Jahre lang hatte er Daniela nicht mehr gesehen, seit dem Tag, da er dieses Bild von ihr in Montreux hatte aufnehmen lassen, um es mit sich zu nehmen. Erst wollte er ihr nicht als ein äußerlich Heruntergekommener unter die Augen treten, konnte er doch kaum den Pensionspreis für sie bezahlen. Und dann – dann als es ihm pekuniär wieder besser ging, dann schämte er sich, vor die reinen Augen seines Kindes zu treten.

Eine namenlose Sehnsucht erfasste ihn plötzlich nach Montreux, nach der Nähe seines Kindes. Gottlob, er hatte sich eine hübsche Summe zurückgelegt, zehntausend Mark hatte er auf der Bank und einige tausend Mark hier zu Hause in seinem Schreibtisch. Ein Glück, dass er das heute Abend nicht bei sich gehabt hatte, sonst hätte er auch das herausgeben müssen.

Er durfte mit keinem dieser Herren wieder zusammentreffen, mit denen er heute gespielt hatte. Zehn Männer waren es gewesen, zehn Menschen, die um seine Schmach wussten. Dass noch ein elfter dazugekommen war, Ronald Norden, wusste er nicht, den hatte er gar nicht bemerkt, als er still eingetreten war und sich in einer Ecke des Raumes in einen Sessel gesetzt hatte.

Aufseufzend stellte er das Bild seiner Tochter wieder hin und erhob sich, um seine Koffer zu packen. Und mitten in seinem Tun fuhr er zusammen bei dem Gedanken, was seine Tochter wohl sagen und denken würde, wenn sie ahnte, auf welche Weise er in den letzten Monaten sein Geld verdient hatte – auch das, welches zu ihrem Unterhalt gehörte. Er hatte ihr in den letzten Wochen reichlicher Geld geschickt als zuvor, mit der Weisung, sie möge sich hübsche Kleider kaufen und alles sonst, was zur Toilette nötig sei. Er war sehr froh darüber gewesen, nicht mehr so mit dem Pfennig knausern zu müssen. Und Dani hatte darauf geschrieben:

„Ich freue mich sehr, sehr über das viele Geld zu den schönen Sachen, die ich mir habe kaufen können, aber hauptsächlich deshalb, weil ich daraus sehe, dass du nicht mehr mit so vielen Sorgen zu kämpfen hast, mein armer lieber Papa.“

Wenn sie ahnen würde, woher dieses Geld stammte?

Aber sie durfte es nie erfahren. Noch einmal würde er nicht ein solches Pech haben wie heute Abend. Noch ein paar glückliche Monate, noch dieser und jener glückliche Coup, den er würde landen können, dann durfte er wieder ehrlich werden – er lachte bitter und heiser auf –, so ehrlich, wie ein Mann wie er überhaupt noch werden konnte.

***

Daniela von Winterfeld hatte sich an dem Morgen, da ihr Vater Berlin verließ, mit denselben traurigen Gedanken erhoben wie fast alle Tage. Sie sehnte sich nach ihrem Vater! War er doch der einzige Mensch, den sie auf dieser Welt ihr eigen nannte. Weder von ihres Vaters noch von ihrer Mutter Seite her besaß sie Verwandte. Sie hatte das wenigstens immer geglaubt, hatte ganz vergessen, dass ihre Mutter ihr einmal von einer Schwester erzählt hatte, die von ihrer Familie verstoßen worden war, weil sie gegen den Willen ihrer Familie einen einfachen bürgerlichen Bankbeamten geheiratet hatte und mit ihm in die Welt hinausgezogen war. Ihre Mutter hatte zu ihrem Leidwesen nie mehr etwas von ihrer sehr geliebten Schwester gehört.

Daniela fühlte sich in der Pension längst nicht mehr wohl. Alle ihre Mitschülerinnen hatten wiederholt gewechselt, nur sie war immer zurückgeblieben. Kein Weihnachtsfest hatte sie nach Hause gerufen – sie besaß überhaupt kein Zuhause, war heimatlos wie der Vater, der in der Welt umherirrte, um wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Sie wusste, dass der Vater nach dem Verlust seines Gutes schwer zu kämpfen hatte. Und über ihre Jahre hinaus gereift, wie sie war, hatte sie sich um ihn gesorgt.

Dann traf ein Brief von ihrem Vater ein mit der Meldung, dass es ihm jetzt besser gehe, dass er die Pension für sie schon immer im Voraus für einige Monate bezahlen würde und dass er ihr einen Scheck schicken würde über einen Betrag, der ihr horrend erschien, damit sie sich hübsche elegante Kleider und Toilettengegenstände kaufen könne.

Daniela war glückselig. Nicht so sehr über den viel verheißenden Scheck, wenn sie sich auch freute, schöne Kleider anschaffen zu können, als vielmehr über die Nachricht, dass es ihrem Vater wieder besser gehe.

Aber wenn nun auch die schwerste Sorge von ihr genommen war, blieb sie doch traurig, weil sie noch immer von ihrem Vater getrennt leben musste und ihn so lange nicht wiedergesehen hatte.

Sie hatte soeben ihre Morgentoilette beendet, als ihr ein Telegramm gebracht wurde. Es war das von ihrem Vater am Abend vorher in Berlin aufgegebene. Als sie es gelesen hatte, wurde sie vor Erregung ganz bleich. Der Vater wollte kommen, heute Morgen würde er in Berlin abreisen. Morgen Früh würde er in Montreux eintreffen. Es erschien ihr ganz unglaublich, dass jetzt endlich ihre Sehnsucht gestillt werden sollte. Sie konnte es nicht gleich fassen, und so sank sie, wie aller Kraft beraubt, in einen Sessel und presste das verheißungsvolle Telegramm an ihre Brust.

***

Am nächsten Morgen wartete Daniela mit klopfendem Herzen, hinter den Scheibengardinen ihres Fensters verborgen, auf das Kommen ihres Vaters. Endlich sah sie seine hohe Gestalt durch den kleinen Vorgarten kommen. Ihr war, als setze ihr Herzschlag aus. Es war ihr nicht möglich, ruhig zu warten, bis sie ins Sprechzimmer gerufen wurde, sie sprang auf und eilte die Treppe hinunter. Gerade als das Hausmädchen ihren Vater empfangen wollte, kam sie unten an, und zitternd und bebend vor Wiedersehensfreude lief sie auf ihn zu und warf sich aufschluchzend in seine Arme.

„Papa! Mein einzig lieber Papa!“, rief sie tief erschüttert.

Er zog sie fest an sich, selber bis ins tiefste Herz bewegt, und küsste sie auf Mund und Stirn. „Meine Dani – meine liebe Dani, hab ich dich wieder?“

Jetzt wurden sie erst einmal durch Madame Boilieu, die Pensionsvorsteherin, gestört, die Herrn von Winterfeld begrüßte und Daniela wegen ihrer Ungeduld scherzend ein wenig auszankte. Aber sie besaß wenigstens so viel Verständnis, dass sie Vater und Tochter in dem Sprechzimmer des Pensionats dann allein ließ.

Noch während sie mit Herrn von Winterfeld einige Worte wechselte, hatte dieser unentwegt seine staunenden Blicke auf seiner Tochter ruhen lassen, und das Herz ging ihm auf, erstens, weil Daniela ihrer Mutter so fabelhaft ähnlich sah, und zweitens, weil sie den bezaubernden Liebreiz ihrer Mutter noch bei weitem übertraf.

Als er dann mit ihr allein war, zog er sie wieder in seine Arme. „Dani, ich kann wahrhaftig ein stolzer Vater sein. Du hast dich wunderbar entwickelt in den Jahren, da ich dir fern bleiben musste. Wenn du wüsstest, wie es in meinem Herzen aussieht, mein Kind! So sehr gleichst du deiner lieben verstorbenen Mutter; in all ihrem holden Liebreiz ist sie mir in dir neu erstanden. Ich fasse es kaum!“

Und er drückte ihr Köpfchen zärtlich an sich. Aber es schmerzte ihn das Bewusstsein, dass er diesem Kind keine sichere Zukunft zu bieten vermochte, weil er sie mit hineinreißen musste in den heißen quälenden Lebenskampf und – weil er ihr keinen ehrlichen Namen mitbringen konnte.

Dani aber war restlos glücklich, weil der Vater sie liebevoll an seinem Herzen hielt. Als sie sich etwas gefasst hatte, fragte sie zaghaft, die stolze und vornehme Gestalt ihres Vaters mit leuchtenden schwärmerischen Augen betrachtend: „Jetzt sag mir nur erst eins, lieber, lieber Papa, werde ich mich wieder von dir trennen müssen, oder darf ich von jetzt an bei dir bleiben?“

Er sah sie mit brennenden Augen an. Er hatte selbst schon lange über diese Frage nachgedacht. Mit einer Begleiterin wie Daniela würde er leichtes Spiel haben, sich alle Gesellschaftskreise zu erschließen, in denen er „lohnende Arbeit“ zu finden vermochte. Er verdammte sich selbst wegen dieses Gedankens, dass er seine schöne Tochter als Lockvogel benutzen wollte, sagte sich dann aber ergeben: Was hilft es? Ich kann nicht anders! Außerdem wäre es auch zu Danielas Bestem, wenn sie in die Gesellschaft eingeführt wurde. Wer wusste schon, ob sie so nicht eine gute Partie machte und für immer aller Sorgen enthoben würde.

Er beschloss, dass Daniela selbst entscheiden sollte. „Mein liebes Kind, darüber sollst du selbst bestimmen.“

„Oh, Papa, dann trenne ich mich nie mehr von dir.“

Er zog sie neben sich auf den Diwan. „Warte erst, Dani, höre mich erst an. Es ist mir vorläufig unmöglich, uns ein festes Heim zu gründen. Meine Geschäfte führen mich ruhelos hin und her. Ich betreibe eine Agentur, die mich zwingt, so viel wie möglich in vornehmer Gesellschaft zu leben, ich muss meine Geschäfte diskret abwickeln, muss den wahren Grund meiner Bemühungen, mit reichen Leuten in Verbindung zu treten, unter einem gewissen Grandseigneurtum verbergen. Man darf mir also nicht gleich anmerken, dass ich mit diesen Leuten Geschäfte entrieren will, sondern man muss glauben, dass sich das ganz zwanglos und zufällig ergibt. Du würdest also in meiner Gesellschaft scheinbar das Leben einer großen Dame führen müssen und würdest doch nichts sein – als ein armes Mädel. Verstehst du das alles, meine Dani, und würdest du dieses Leben mit mir teilen wollen?“

Sie hatte ihm aufmerksam zugehört und schmiegte sich an ihn. „Ich verstehe nicht viel von dem, was du mir sagst, lieber Papa, aber ich werde mich in allen Dingen streng nach deinen Wünschen und Vorschriften richten. Und es kann doch gar nicht schwer sein, das Leben einer großen Dame zu führen, wenn auch nur dem Schein nach. Ich werde dabei nie vergessen, dass ich nur die Tochter meines armen Vaters bin. Und ich werde mich bei allem doch so sparsam wie möglich einrichten, dass du meinetwegen nicht zu viele Ausgaben hast. Nur lass mich endlich wieder bei dir bleiben. Ich kann die Trennung von dir nicht länger ertragen. Die Welt ist kalt und leer ohne dich. Bitte, nimm mich mit dir, lieber guter Papa, ich werde dir gewiss keine Umstände und keinen Ärger machen und alles tun, was du von mir verlangst.“

Er zog sie wieder an sich, und seine Augen schweiften über sie hinweg ins Leere. Er sah sich im Geist wieder als ertappter Falschspieler in dem Berliner Klub stehen. Und seine schuldlose Tochter sollte nun mit ihm sein abenteuerliches Leben teilen? Alles setzte sich plötzlich in ihm zur Wehr gegen diesen Gedanken. Ihm war, als müsse er fliehen und Daniela zurücklassen in der sicheren Hut dieses Hauses, müsse sein Leben für immer von dem ihren scheiden – aber die flehenden Augen seines Kindes hinderten ihn, das auszusprechen. Mochte der liebe Gott ihm helfen, nicht seinetwegen, nur Danis wegen, dass er sie nicht mit sich ins Verderben reißen würde. Nur einige wenige Jahre „mit Erfolg arbeiten“, dann konnte er ein ehrliches Leben beginnen. Und Dani sollte nie merken, was für ein Gewerbe er betrieben hatte. Sie mochte an das Märchen von irgendeiner geheimnisvollen Agentur glauben. Er würde sie seinem Treiben so fern wie möglich halten. Nie sollte sie einen Spielsaal betreten, in dem er spielte. Sie sollte rein und schuldlos bleiben, und um ihrer Unschuld willen würde sich das Geschick erbarmen und ihm helfen.

Er richtete sich auf und streichelte über ihr schimmerndes Haar, das zuweilen wie ein sattes Blond und dann wieder wie flimmerndes Goldbraun wirkte. „Also gut, mein Kind, wenn du dieses unruhevolle Leben auf dich nehmen willst, werde ich dich mit mir an die Riviera nehmen.“

Sie jauchzte auf und hing glückstrahlend an seinem Hals. Gerührt sah er in ihre strahlenden Augen. Dann besprachen sie, was an Reisevorbereitungen zu treffen sei.

***

Horst von Winterfeld war mit seiner Tochter in San Remo eingetroffen, und Dani war entzückt von allem, was sie Neues und Schönes zu sehen bekam. Ihr Vater hatte für sich und seine Tochter in einer stillen, aber vornehmen Pension Wohnung genommen, wo sie bald allerlei Bekanntschaften machen konnten. Dani war bald der Mittelpunkt eines exklusiven Kreises. Der Vater machte sie, nachdem er sorgsam erst die Fühler ausgestreckt hatte, mit den Herren und Damen bekannt, die ihm für seine Zwecke geeignet erschienen. Dani sollte erst einmal festen Fuß in der Gesellschaft fassen und sich ein sicheres Auftreten aneignen. Das fiel ihr nicht schwer. Ihr Vater staunte täglich mehr, welche Entwicklungsfähigkeit Dani besaß und mit welchem bezaubernden Charme sie sich in der Gesellschaft bewegte. Die jungen Herren folgten ihr mit brennendem Interesse und wetteiferten miteinander, ihr Kavaliersdienste leisten zu dürfen.

Horst von Winterfeld fuhr jede Woche einige Male nach Monte oder nach Nizza, zuweilen in Begleitung von Herren, die er in San Remo kennen gelernt hatte und die ihn in Monte und in Nizza wiederum mit Leuten bekannt machten, die er gern kennen lernen wollte. Da er einen sehr vornehmen und charmanten Eindruck machte, wurde es ihm nicht schwer, sich beliebt zu machen, auch wenn seine Tochter nicht dabei war.

In Nizza und in Monte fand er bald Gelegenheit zu spielen, obwohl er sich zunächst den Anschein gab, als liege ihm nichts daran. Und er hatte einige Male Glück – in ganz ehrlichem Spiel. Zum Beispiel gewann er im Kasino in Monte ganz überraschenderweise im Laufe dieser Wochen an die dreißigtausend Franc. Und in Nizza hatte er auch über zehntausend Franc gewonnen. Und, wie gesagt, ohne das Glück mit falschen Karten zu korrigieren. Dazu gab es weder im Kasino noch in dem privaten Spielsaal in Nizza Gelegenheit. Er hatte aber Gelegenheit, sich mehr und mehr mit Herren und Damen anzufreunden, die nur für das Spiel lebten und – die ohne Sorgen auch größere Summen verlieren konnten. Das waren die Persönlichkeiten, die er mehr und mehr an sich zu fesseln suchte. Er sprach zu ihnen ärgerlich davon, dass man so wenig Gelegenheit fand, ein wirklich gewagtes Spiel zu machen.

„Wir müssen uns zusammentun und selbst einen kleinen privaten Klub gründen“, sagte er eines Tages in Monte zu Gesinnungsgenossen. Er ließ dann scheinbar gelangweilt die Bemerkung fallen, dass er mit seiner Tochter nach Monte übersiedeln und sich in einem Hotel ein Appartement mieten würde mit einem Salon, in dem er vertraute Freunde zu einem interessanten Spiel einladen könnte. Begeistert begrüßte man seinen Entschluss. Man hielt ihn für enorm reich, und das neuerdings auf ehrliche Art gewonnene Geld half ihm sehr gut, diesen Anschein aufrechtzuerhalten.

Lächelnd verneigte er sich vor den ihm begeistert zustimmenden Herren und Damen.

„Aber, Herrschaften, meine Tochter darf nichts davon merken, dass wir in meinem Salon spielen. Sie hasst das Spiel und würde sehr betrübt sein, dass ihr Vater sich solche kleinen Laster gönnt. Aber was ist das Leben in unserem Alter, wenn man diese Laster nicht hat?“

Lachend stimmten die anderen bei, und Horst von Winterfeld begab sich nun gleich ins Hotel, um ein Appartement zu mieten.

Das war kein billiges Vergnügen, aber er wusste, dass er das wagen musste, um auf einige große Coups rechnen zu können. Er gab sich den Anschein, als spiele der Preis keine große Rolle, und mietete ein Appartement, das aus zwei Schlafzimmern bestand und einem kleinen und einem größeren Salon.

Er richtete es so ein, dass Danis Schlafzimmer am Ende dieser Zimmerflucht lag, also von dem größeren Salon durch sein Schlafzimmer und den kleineren Salon getrennt wurde. Und er bemerkte, dass er den größten Salon brauche, um seinen Freunden zuweilen kleine Abendessen zu geben. Der kleine Salon solle für seine Tochter reserviert sein. Sehr angenehm und passend erschien es ihm, dass Danis Schlafzimmer das Eckzimmer war und seine Fenster nach der anderen Seite hinaus lagen.

So fuhr er befriedigt nach San Remo zurück und erklärte seiner Tochter in Gegenwart einiger anderer Herrschaften, dass er in Monte Carlo im Hotel ein Appartement gemietet habe, in San Remo sei es ihm zu langweilig.

Man staunte. Dieser Herr von Winterfeld musste enorm reich sein.