Hedwig Courths-Mahler - Folge 159 - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Hedwig Courths-Mahler - Folge 159 E-Book

Hedwig Courths-Mahler

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Beschreibung

Es erschien Anne-Rose wie ein Wunder: Sie, die bisher nur Armut und Sorgen gekannt hatte, war durch das Vermächtnis eines entfernten Verwandten Herrin des Besitzes Retzbach geworden. Tausend Gedanken gingen der jungen Erbin durch den Kopf. Sie dachte an Hans von Rathenow, der sie schmählich verlassen hatte, um sich mit einem reichen Mädchen zu verloben. Sie dachte auch an Lothar von Retzbach, den Neffen des Erblassers, der bei der Testamentseröffnung leer ausgegangen war. Anne-Roses redlicher Sinn sträubte sich gegen die Benachteiligung des sympathischen jungen Mannes, der sich als Gutsverwalter sein Brot verdienen musste. Ob sie ihm anbieten sollte, fortan für sie zu arbeiten? Sie selbst verstand von der Landwirtschaft nichts. Also brauchte sie einen vertrauenswürdigen Helfer.
Aber nicht nur das war es, was Anne-Rose bewog, Lothar an sich zu binden. Sie hatte auch vom ersten Sehen an ihr Herz an ihn verloren...

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Herrin von Retzbach

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Bastei Verlag

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2190-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Herrin von Retzbach

Roman um die junge Anne-Rose, der eine Erbschaft fast zum Verhängnis wird

„Ist es schön, Tante Jettchen?“

„Wundervoll, Anne-Rose, man möchte fliegen können, um all das Schöne zu sehen, was hier beschrieben ist. Denke dir – aber nein, ich will nichts erzählen, du sollst jetzt spazieren gehen. Sobald ich das Kapitel zu Ende habe, richte ich das Abendessen. Wenn du mit Papa heimkommst, ist alles fertig. Aber warte mal einen Augenblick – da fällt mir ein, du könntest den Zettel hier beim Kaufmann abgeben, er soll die aufgeschriebenen Waren heute noch schicken.“

Anne-Rose nahm den Zettel und versprach, den Auftrag auszuführen. Dann streichelte sie zärtlich über Tante Jettchens Wangen und nickte ihr noch einmal zu, ehe sie das Zimmer verließ.

Die alte Dame sah ihr eine Weile in Gedanken verloren nach.

Armes Ding! Ich merke ja doch, wie es in ihr aussieht. Ja, ja, mein Mädelchen – da hilft nichts als Stolz und Tapferkeit, das Herz fest in beide Hände zu nehmen und die Zähne zusammenzubeißen. Aber, dieser windige Herr von Rathenow – na, ruhig Blut, Jettchen. Dagegen kann man nicht ankommen, wenn man zum schwachen Geschlecht gehört.

So dachte Tante Jettchen. Und seufzend vertiefte sie sich wieder in ihre Lektüre.

Tante Jettchen – oder eigentlich Fräulein Henriette von Billach war ein seltsames Gemisch aus einer altmodischen Jungfer, wie sie früher zu jeder größeren Familie gehörte, und einer selbstständigen, zielbewussten Persönlichkeit, wie man sie auch unter unverheirateten Frauen sehr häufig findet. Sie war aus irgendeinem Grund ledig geblieben, hatte eine Herzensaffäre hinter sich und war zu stolz gewesen, die Ehe dann als eine Sicherheit oder als einen Nothafen zu betrachten. Ihr frisches, gesundes Naturell hatte sie befähigt, mit frohem Mut auf festen Füßen im Leben zu stehen und sich nicht überflüssig zu fühlen.

Das Letztere wäre ihr wohl auch sehr schwer gefallen, denn sie war zwei Menschen so nötig wie das liebe Brot. Der ganze Haushalt ihres verwitweten Bruders, des Freiherrn Jost von Billach, drehte sich um sie, und sie stand ihm so gewissenhaft und resolut vor, dass alles glatt seinen rechten Weg ging.

Leicht war das manchmal nicht gewesen. Jost von Billach verfügte zwar als höherer Beamter über ein anständiges Einkommen, besaß aber kein Vermögen und musste doch Amt und Stand entsprechend repräsentieren. Dazu kam noch eine erhebliche Schuldenlast.

Jost von Billachs verstorbene Frau war von ihrem herzensguten, aber etwas energielosen Gatten abgöttisch geliebt worden. Sie war bildschön und als Tochter einer französischen Mutter, die mit einem Freiherrn von Retzbach verheiratet gewesen war, mit einem leichten, frohen Sinn und einer fast krankhaften Verschwendungssucht behaftet. Wie ein geordneter Haushalt geführt werden musste, hatte Hortense von Billach, geborene Freiin von Retzbach, nie gewusst.

Herr von Billach hatte sich als zu schwach erwiesen, seiner Frau einen Wunsch zu versagen, auch wenn dieser Wunsch noch so töricht und kostspielig war. So kam er von Jahr zu Jahr tiefer in Schulden.

Im Haushalt ging alles drunter und drüber, und die Dienstboten taten, was ihnen beliebte, denn Hortense von Billach hatte weder Lust noch Zeit, sich darum zu kümmern. Dazu war das Leben viel zu schön und zu lustig.

Hortense hatte nicht einmal Zeit für ihr einziges Töchterchen Anne-Rose, die im Äußeren der schönen Mutter glich, aber zum Glück neben der süßen Anmut und Schönheit nicht auch deren leichten Sinn geerbt hatte. Hortense nahm ihr reizendes Töchterchen wohl hier und da in einem kostbaren Spitzenkleidchen zu einer Ausfahrt mit oder ließ sich mit ihm in ihrem Salon bewundern, aber sonst wusste sie mit der kleinen Anne- Rose nichts anzufangen.

Jost von Billach stand dem allen hilflos gegenüber, und dennoch war er im Besitz der entzückenden Frau unsagbar glücklich, zumal sie ihn auf ihre Art herzlich liebte.

Dann begann Frau Hortense plötzlich zu kränkeln. Sie hatte sich nach einer durchtanzten Nacht heftig erkältet und bekam eine böse Influenza. Sie wehrte sich erst mit allen Kräften gegen das Leiden und wollte durchaus das Bett nicht hüten, gab es doch gerade in dieser Zeit noch eine Anzahl Routs und Bälle, die sie besuchen musste. Aber all ihr Wehren half nichts, sie wurde auf ein langes, schweres Krankenlager geworfen.

Nun stieg die Not in dem führerlosen, vernachlässigten Haushalt aufs Höchste. Und da gedachte Jost von Billach seiner Schwester Henriette. Diese hatte vor Josts Heirat mit ihrem Bruder im herzlichsten Einvernehmen gestanden. Nach seiner Eheschließung vernachlässigte Jost jedoch die Beziehungen zu seiner Schwester, die in einer kleinen Provinzstadt lebte. Vor allen Dingen verheimlichte er ihr die Missstände seines Haushalts, und da Henriette nur selten einmal auf einige Tage den Bruder und seine Familie besuchte, hatte sie keine Ahnung vom Stand der Dinge.

In seiner Not fasste sich Jost von Billach ein Herz und beichtete seiner Schwester all seine Verlegenheiten, ohne jedoch das kleinste Wort der Anklage gegen seine angebetete Frau laut werden zu lassen.

Tante Jettchen gehörte zu den Frauen, die sich bescheiden im Hintergrund halten, wenn man ihrer nicht bedarf, die aber sofort mit ihrer ganzen Persönlichkeit und mit aller Kraft zur Verfügung stehen, wenn es nötig ist. Sie fragte nicht lange. Resolut schloss sie ihre Wohnung ab, nachdem sie alles für eine längere Abwesenheit geordnet hatte. Sie lebte in der Hauptsache von einer kleinen Rente, die der verstorbene Onkel, der auch ihrem Bruder eine Summe vererbt hatte, für sie ausgesetzt hatte. Dazu verdiente sie sich einen kleinen Zuschuss durch kunstvolle Stickereien für Fahnen und Kirchendekoraktionen, die ihr eine Firma gelegentlich zuwies.

Ohne Anmeldung stand sie eines Tages vor ihrem Bruder. Kurz und bündig erklärte sie ihm, dass sie gekommen sei, um ihm zu helfen, soweit es in ihrer Kraft stehe.

Mit flinken, starken Händen griff Tante Jettchen in die Speichen des abwärts rollenden Rades. Zunächst brachte sie einigermaßen Ordnung in den vernachlässigten Haushalt, pflegte liebevoll die kranke Schwägerin und nahm sich der kleinen Anne-Rose, die damals zwölf Jahre zählte, mit zärtlicher Sorgfalt an. Anne-Rose schloss sich mit der Liebesbedürftigkeit ihrer jungen Seele an Tante Jettchen an, die trotz aller Arbeit immer für sie Zeit hatte.

Und dann hatte Tante Jettchen mit ihrem Bruder eine ernste Unterredung, in der sie ihn bat, ihr rückhaltlos über seine Finanzen Aufschluss zu geben.

Das tat er – und Tante Jettchen gab sich Mühe, sich in diesen zerrütteten Verhältnissen zurechtzufinden. Sie rechnete bis in die Nacht hinein und sichtete unbezahlte Rechnungen, unter denen die von Hortenses Modistinnen und Kostümlieferanten die höchsten Summen aufwiesen. Als sie über alles im Klaren war, stand sie vor der betrübenden Tatsache, dass ihr Bruder gegen fünfzigtausend Mark Schulden hatte.

Aber mit Jammern und Klagen war da nicht geholfen, und Vorwürfe gegen ihren Bruder sparte sie sich auch. Vorläufig war er auch gar nicht fähig, sich um etwas anderes zu kümmern, als um den Zustand seiner Frau. Daneben verblassten alle Sorgen des äußeren Lebens. Und als Hortense von Billach an einem herrlichen Maienmorgen ihr Leben aushauchte, war er wie zerbrochen, und alles um ihn her war ihm gleichgültig. Tante Jettchen musste ihn gewähren lassen, da er keinem Trostwort zugänglich war, und es dauerte lange, bis er sich wieder im Leben zurechtfand. Tante Jettchen aber dachte nicht daran, ihn nun seinem Schicksal zu überlassen, sondern sie fand es selbstverständlich, dass sie bei ihm blieb.

Die kleine Anne-Rose hätte Tante Jettchen auch nicht mehr fortgehen lassen, denn diese war ihr viel lieber geworden als die eigene Mutter.

So hatte Tante Jettchen ihren eigenen kleinen Haushalt ganz aufgelöst und war bei ihrem Bruder geblieben. Dieser fügte sich willenlos in alles, was seine Schwester anordnete.

Tante Jettchen hatte eine Aufstellung all seiner Schulden gemacht. Und sie führte nun ein genaues Sparsystem ein nach einem bestimmten Plan. Man fand es verständlich, dass der trostlose Witwer sich von großen Geselligkeiten zurückzog und nur noch Besuche empfing, wenn es nicht zu umgehen war. Dass hierbei Sparsamkeitsrücksichten mit in Frage kamen, ahnte niemand. Jost von Billach galt allgemein als ein vermögender Mann.

Tante Jettchen setzte sich selbst in aller Stille mit den Gläubigern ihres Bruders in Verbindung, legte ihnen die Verhältnisse klar und versprach ihnen volle Zufriedenstellung, wenn sie Geduld haben wollten. Sie verpflichtete sich, von den zwölftausend Mark Einkommen, das ihr Bruder hatte, jährlich fünftausend Mark abzuzahlen, so dass alle Schulden in spätestens zehn Jahren getilgt sein würden.

Die Gläubiger fügten sich in dieses Abkommen. Tante Jettchen rechnete ihrem Bruder alles vor, und dieser fand gut und richtig, was sie angeordnet hatte; er war froh, sich um die ganze Angelegenheit nicht kümmern zu müssen.

Er ahnte nicht, dass sie auch ihr eigenes kleines Einkommen stillschweigend mit in den Haushalt steckte. Sie gab sogar ihre Ersparnisse für die ersten Raten hin, ohne dem Bruder etwas zu sagen. Dieses ersparte Sümmchen hatte Tante Jettchen bis dahin wie einen Schatz gehütet. Sie hatte davon eines Tages eine große Reise machen wollen. Diese Reise war ihr Traum gewesen in all den Jahren. Dafür hatte sie sich manche Entbehrung auferlegt, hatte auf manche kleine Annehmlichkeit verzichtet.

Jost von Billach ahnte nichts von diesem Opfer. Er selbst war sehr anspruchslos und empfand es kaum, dass jetzt überall gespart wurde. Es fehlte ihm an nichts. Man aß sogar besser und kräftiger als früher. Tante Jettchen hatte die teure Köchin entlassen und kochte selbst.

Und wenn Anne-Rose auch nicht mehr wie zu Lebzeiten der Mutter in kostbaren Spitzenkleidchen einherging, so sah sie in den hübschen Woll- oder Leinenkleidchen nicht weniger gut aus. Auch den Diener, den Frau Hortense für unerlässlich gefunden hatte, schaffte Tante Jettchen ab. Dafür griff sie selbst tapfer zu. Auch Anne-Rose bekam kleine Pflichten zugewiesen, und unter Tante Jettchens sorgfältiger Erziehung entwickelte sie sich mit der Zeit zu einer tüchtigen jungen Dame.

An ihre Reise dachte Tante Jettchen auch heute noch manchmal mit einem stillen, resignierten Seufzer. Aber sie glaubte nicht, dass sich diese Sehnsucht je erfüllen lassen würde. Dafür reiste sie in ihren Mußestunden in der Fantasie von einem Ort zum anderen. Sie las alle Reiseberichte mit großer Begeisterung, und wenn ihr der Bruder zuweilen eine Freude machen wollte, schenkte er ihr einen der vielen Reiseberichte, die im Buchhandel zu haben waren.

***

So waren acht Jahre vergangen. Anne-Rose hatte schon ihren zwanzigsten Geburtstag hinter sich und war so schön und reizend geworden, wie ihre Mutter es gewesen war. Ihr Vater war ein stiller Mann, auf dessen Antlitz man wohl das Lächeln der Herzensgüte sah, aber fast nie wirklich frohes Lachen, zumal er schon seit einigen Jahren von einem Leiden befallen war, das ihn zwar an der Ausübung seines Berufs nicht hinderte, ihn aber doch oft quälte. Dafür erfüllte Tante Jettchen das Haus mit ihrer Frische und ihrem Frohsinn, und Anne-Roses klares warmes Lachen zeugte davon, dass sie nicht zu sehr unter des Vaters stillem Wesen litt.

An ihre Mutter dachte Anne-Rose wie an ein schönes, freundliches Bild.

An diesem Tag hatten die beiden Damen ausgerechnet, dass nur noch zehntausend Mark Schulden zu bezahlen waren, und dass man in zwei Jahren schuldenfrei sein würde. „Dann sparen wir weiter, Anne-Rose, für dich und deine Zukunft. Aber erst reisen wir vier Wochen in ein Seebad, schon Vaters wegen, er muss sich mal gründlich erholen“, hatte Tante Jettchen vergnügt gesagt und gleich einen Fantasieflug in die weite Welt unternommen, auf dem sie Anne-Rose begleiten musste.

Aber heute war Anne-Roses Beteiligung recht matt gewesen, und ihr frohes Lachen hatte diese Fantasiereise nicht, wie früher oft, begleitet. Dieses Lachen war, zu Tante Jettchens Kummer, schon seit Wochen verstummt. Sie hatte auch bemerkt, dass Anne-Roses frisches Wesen sich verändert hatte. Und sie wusste nur zu gut, was Anne-Roses Wangen gebleicht und den frohen Glanz ihrer Augen verlöscht hatte.

Aber Tante Jettchen sprach nicht darüber. Sie wusste, dass dergleichen keine Berührung verträgt. In ihrer Vergangenheit gab es auch eine Zeit, in der sie mit trüben Augen und blassen Wangen herumgegangen war, wie Anne-Rose jetzt, und in der sie gewartet hatte auf Erlösung von schwerer Pein – gewartet und gewartet, wie man nur erwarten kann, mit unruhigem Herzen. Und der Erwartete war damals nicht gekommen –, und er kam auch jetzt nicht, da Anne-Rose wartete.

Es war vor einigen Monaten gewesen, im Januar. Da hatte Anne-Rose von Billach mit Tante Jettchen und ihrem Vater eine Ballfestlichkeit besucht. Tante Jettchen sorgte, dass Anne-Rose zuweilen zu solch einem frohen Fest kam, damit sie ihre Jugend genießen konnte. Zu diesem Ball war Anne-Rose mit glühenden Wangen und glänzenden Augen gegangen, denn sie wusste, dass sie den Assessor Hans von Rathenow dort treffen würde, der unter ihres Vaters Leitung arbeitete und oft mit ihr in Gesellschaft zusammentraf. Hans von Rathenow hatte sich auffallend um Anne-Roses Gunst beworben, und er war ein so schöner und mit blendenden geselligen Talenten begabter Mensch, dass es ihm nicht schwer geworden war, Anne-Roses junges, arglos vertrauendes Herz zu betören.

Er war ebenfalls von der schönen und anmutigen Anne-Rose bezaubert worden. Ihre Jugendfrische und die Süße ihres ganzen Wesens hatten den sonst so kühlen und berechnenden jungen Mann aus seinem Gleichmaß gebracht, so dass er den Plan fasste, sich um Anne-Roses Hand zu bewerben. Das hätte er jedoch um keinen Preis getan, wenn er geahnt hätte, wie die pekuniären Verhältnisse von Jost von Billach waren. Er hielt diesen für einen vermögenden Mann, und außerdem hoffte er, wenn er der Schwiegersohn seines Vorgesetzten wurde, dass er schneller befördert werden würde.

Für eine außerordentlich glänzende Partie hielt er Anne-Rose nicht, er hatte sich „teurer verkaufen“ wollen. Da er aber, wie er sich in seinen Selbstgesprächen ausdrückte, total in die süße Kleine verschossen war, gab er sich Mühe, sie zu blenden und sich ihr im bezauberndsten Licht zu zeigen. Und Anne-Rose sah in ihm den Ritter ohne Furcht und Tadel. Ihr junges, unberührtes Herz gab sich ihm zu eigen, da sie zu unerfahren war, um Sein und Schein zu unterscheiden.

An jenem Ballabend hatte sich Hans Rathenow sofort wieder an ihre Seite gedrängt und hatte sich mit einem sieghaften Lächeln, das seinen wahren Charakter so gut verbarg, ihrer Tanzkarte bemächtigt. Mit raschen Strichen hatte er zu Anne- Roses heimlicher Freude die Haupttänze belegt. Und nach einem gemeinsamen Tanz hatte er die junge Dame in ein stilles Nebenzimmer geführt, wo sie ganz allein waren. Von ihrem holdseligen Anblick berauscht, hatte er sie plötzlich dicht an sich herangezogen und ihr mit faszinierenden Blicken in die braunen Augen gesehen.

„Anne-Rose – süße Anne-Rose, wie ich dich liebe“, hatte er geflüstert.

Willenlos hatte sie ihre Augen von den seinen bannen lassen, und da hatte er sie an sich gepresst und ihre Lippen geküsst. Mit scheuer Zärtlichkeit hatte sie diesen Kuss erwidert – diesen einzigen Kuss. Denn gleich darauf waren sie gestört worden.

Sie hatten wieder unter die Menschen zurückgehen müssen. Aber Anne-Rose war mit großen, strahlenden Augen einhergegangen.

Ich bin Braut – seine Braut! So sang und klang es in ihrem Herzen.

Tante Jettchen kannte ihre Anne-Rose. Sie sah den strahlenden Glanz in dem süßen Gesicht und ahnte, was geschehen war. Hans von Rathenow hatte sich ja offenkundig genug um Anne-Rose bemüht. Sie war allerdings von dem jungen Menschen nicht sehr entzückt. Ihre scharfen Augen sahen manches, was den Augen Anne-Roses entging. Aber ein armes Mädchen hat nicht viel Auswahl an Freiern, und wenn er es ernst meinte, durfte man Anne-Rose diese Partie nicht mit kleinlichen Bedenken vergällen.

Anne-Rose hatte an jenem Abend nicht mehr mit Hans Rathenow allein sein können, nur wenige bedeutungsvolle Worte hatte er ihr noch zugeflüstert. Er teilte ihr mit, dass er am nächsten Tag bei seinen Eltern erwartet würde, denen er seine Ankunft gemeldet hatte. Für acht Tage hatte er Urlaub genommen.

„Wenn ich von meiner Reise zurückkomme, sehen wir uns wieder, süße Anne-Rose, bis dahin wahren wir unser Geheimnis“, hatte er gesagt.

Als aber Anne-Rose daheim mit Tante Jettchen allein war, fiel sie dieser glückselig um den Hals. Vor dem Vater ihr Geheimnis zu bewahren, fiel ihr nicht schwer, aber Tante Jettchen musste sie eine Andeutung machen. „Tante Jettchen, liebstes goldiges Tantchen, ich bin so glücklich!“, hatte sie geflüstert. Mit sanften Händen hatte die alte Dame über das schimmernde Haar gestreichelt.

„Daran wird wohl Herr von Rathenow schuld sein, mein liebes Herz, nicht wahr?“

Das konnte Anne-Rose nicht leugnen. Mit strahlenden Augen hatte sie genickt. „Ja, Tantchen, du sollst es wissen, du allein. Er hat mich lieb – und ich ihn. Ach, Tantchen, wie ist das Leben schön!“

Tante Jettchen hatte, ohne viel zu fragen, das glückstrahlende Mädchen zu Bett gebracht, wie sie es in Anne- Roses Kindertagen so oft getan hatte.

„Nun musst du schlafen, mein liebes Herz, denn wenn morgen Herr von Rathenow kommt und mit deinem Vater spricht, dann muss das Bräutchen helle Augen haben“, hatte sie lächelnd gesagt.

Anne-Rose hatte glücklich gelacht.

„Ach, morgen kommt er sicher noch nicht, Tante Jettchen, er reist morgen Früh auf acht Tage zu seinen Eltern. Wir haben nur so wenig sprechen können miteinander. Nur dass er mich liebt, hat er mir gesagt und dass wir unser Geheimnis wahren wollen, bis nach seiner Rückkehr. Nun, seinen Eltern wird er es wohl sagen, und ich musste es dir anvertrauen. Papa sagen wir aber nichts vorher – Hans soll es ihm selbst mitteilen.“

Tante Jettchen erinnerte sich später ganz deutlich, dass ihr das gar nicht gefallen und ihr ein unbestimmtes Unbehagen eingeflößt hatte.

„Wäre es denn nicht richtiger gewesen, Kind, wenn er seine Abreise einen Tag verschoben und erst mit deinem Vater gesprochen hätte?“

„Ach, Tantchen, er will doch wohl lieber erst mit seinen Eltern sprechen. Es ist doch gleich, nicht wahr? Die Hauptsache ist, dass ich weiß, er liebt mich.“

Da unterdrückte die alte Dame alle Bedenken. Und Anne-Rose schlief lächelnd ein in der seligen Gewissheit, Hans Rathenows Braut zu sein. In dieser Gewissheit verging ihr die Woche schnell, und sie ahnte nicht, dass ihr Glück schon zerstört war.

Hans von Rathenow hatte sich von jenen Ball aus mit einem Bekannten, dem Neffen des Präsidenten Exzellenz von Heerfurt, in ein vielbesuchtes Café begeben. Dieser Bekannte hatte ihn ein wenig geneckt. „Sind ja heute Abend höllisch ins Zeug gegangen mit der kleinen Billach, Herr von Rathenow. Entzückendes Geschöpf, Rasse, Vollblut – aber leider arm – arm wie ’ne Kirchenmaus. Sollten ein bisschen vorsichtiger sein, lieber Freund. Soviel ich weiß, sind Sie auch nicht mit Glücksgütern gesegnet, hm?“

Hans Rathenow hatte aufgehorcht. „Nun, Herr von Billach ist doch ein vermögender Mann. Er hat vor dem Tod seiner Frau ein glänzendes Haus geführt.“

„Nee, nee, Verehrtester, da sind Sie auf dem Holzweg. Ich kann Sie zufällig genau informieren, betrachten Sie das als Freundschaftsdienst! Gerade heute habe ich mit meinem Onkel, der ja der direkte Vorgesetzte des Herrn von Billach ist, gesprochen. Hatte nämlich auch ein Auge auf Fräulein von Billach geworfen. Aber Hand weg – ist was faul im Staate Dänemark. Herr von Billach hat zu Lebzeiten seiner Frau heftig über seine Verhältnisse gelebt; hat gegen fünfzigtausend Emmchen Schulden gemacht, die er mühsam abzahlt. Außerdem ist er fertig – nicht mehr leistungsfähig, unter uns –, er wird nächstens ersucht werden, seiner angegriffenen Gesundheit wegen um seine Pensionierung zu bitten. – Nun erschrecken Sie nur nicht, sehen ja ganz elend aus! Ist ja noch nicht zu spät, sind ja noch nicht durch Verlobungsring und Segen gebunden. Nun sagen Sie mir mal schönen Dank, was? Das hat noch gut jegangen, hm?“

Hans von Rathenow hatte einige Worte gestammelt und sich dann verabschiedet.