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"Ja, Werner Sassenheim, ich liebe Sie mit der ganzen Kraft meiner Seele. Nie werde ich einen anderen lieben. Doch angehören darf ich Ihnen nicht!" Ein entsetzliches Geheimnis lastet auf der bezaubernden Garda von Rahneck, die so zu dem reichen Deutsch Amerikaner Werner Sassenheim spricht. Was ist es, das sie vor den Menschen in die Einsamkeit fliehen lässt und jede Fröhlichkeit aus ihrem Herzen verbannt? Warum liegt über dem frühen Tod ihrer Eltern ein undurchdringlicher Schleier? Garda von Rahneck kämpft gegen ein übermächtiges Schicksal an...
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Seitenzahl: 175
Cover
Impressum
Ich kann’s dir nimmer sagen
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Anne von Sarosdy/Bastei Verlag
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-2194-4
www.bastei-entertainment.de
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www.bastei.de
Ich kann’s dir nimmer sagen
Welches Geheimnis umgibt die junge Gerda?
„Wenn ich dich nicht störe, Papa, will ich gern bei dir bleiben.“
„Mich stören? Ach, liebe Rena, ich bin stets froh, wenn ich jemanden bei mir habe. Dagmar ist ja leider immer beschäftigt. Zumal, seit sie verlobt ist, hat sie nie mehr Zeit für mich.“
„Es tut Dagmar sehr leid, lieber Papa, dass sie sich dir nicht mehr widmen kann, aber du weißt ja, wie anspruchsvoll ihr Verlobter ist und wie viel sie mit der Besorgung ihrer Aussteuer zu tun hat. Sie weiß ja auch, dass ich bei dir bin“, entschuldigte Renata die Stiefschwester.
Der alte Herr seufzte ein wenig. Seine Augen blickten mit einem matten Lächeln zu ihr empor, und er streichelte leise ihre Hand, die sich für ihn mühte. „Ich weiß schon, du lässt nichts auf Dagmar kommen, suchst sie sogar immer zu entschuldigen. Du bist ein gutes, liebes Kind, Rena, und lässt es mich nicht fühlen, dass ich nur dein Stiefvater bin.“
„Wie sollte ich auch, Papa, du hast mich doch auch nie fühlen lassen, dass ich deine Stieftochter bin. Du hast mir in liebevoller Weise eine Heimat in deinem Hause gegeben, als du meine Mutter in zweiter Ehe geheiratet hast. Nie hast du mich fühlen lassen, dass ich kein Recht hatte auf diese Heimat.“
„Was sprichst du für Torheiten, Rena? Kein Recht? Du gehörtest doch dahin, wo deine liebe Mutter hingehörte, und – die gehörte in mein Haus und in mein Herz. Ich habe sie sehr geliebt, sehr! Sie war die einzige Frau, der ich mein ganzes Herz schenken konnte. Denn Dagmars Mutter habe ich nie geliebt- das weiß auch Dagmar –, und wenn sie dir gegenüber immer ein wenig kalt und lieblos erscheint, so muss ich das mit einer gewissen Eifersucht entschuldigen. Sie gönnte auch deiner Mutter meine Liebe nicht. Glaubt sie doch, allein Anspruch auf diese Liebe zu haben.“
„Das ist ja auch der Fall, Papa, und deshalb trage ich es Dagmar nicht nach, wenn sie nicht liebevoll und herzlich zu mir sein kann.“
Wieder seufzte der Kranke auf. „Das kann sie leider zu niemandem sein, auch zu mir nicht. Doch was hilft es, dass ich mich darüber gräme, sie muss so genommen werden, wie sie ist. Aber ich freue mich umso mehr, dass du mir so viel kindliche Liebe und Herzlichkeit entgegenbringst, kleine Rena. Das tut meinem einsamen Herzen wohl. Und da wir jetzt gerade ganz ungestört sind, weil Dagmar vor Abend nicht heimkommen wird, möchte ich etwas mit dir besprechen, was mir schon lange auf dem Herzen liegt. Nimm meinen Schreibtischschlüssel und hole mir bitte die große mittelste Schublade herüber. Ich möchte allerlei ordnen für den Fall, dass ich einmal schnell abberufen werde.“
Sie sah ihn erschrocken an. „Lieber Papa, o bitte, sprich nicht davon.“
Es zuckte um seinen Mund, aber er erwiderte nichts darauf.
Ein qualvoller Ausdruck lag in Renatas Augen, als sie sich nun umwandte, um die Schublade aus dem Schreibtisch zu holen.
In dieser Schublade lagen nebeneinander, zu kleinen Bündeln geordnet, allerlei Briefschaften, einige Geschäftsbücher und dergleichen mehr.
„So, Rena, nun setze dich zu mir und reiche mir eines dieser Päckchen nach dem andern zu, damit ich sie durchlesen und bestimmen kann, was vernichtet werden kann und was aufbewahrt werden muss. Aber zuerst gib mir das schmale, schwarze Buch herüber, das den Aufdruck ‚Deutsche Bank‘ trägt. Dies, meine liebe Rena, ist ein Kontobuch der Deutschen Bank, darin habe ich alle Beträge eintragen lassen, die ich in den letzten Jahren sparen konnte. Sie sind für dich bestimmt.“
Renatas Gesicht wechselte jäh die Farbe. „Für mich? Aber lieber Papa!“, rief sie fast erschrocken.
„Ja, mein Kind, leider ist es nicht viel, denn ich habe erst in den letzten Jahren Rücklagen machen können. Dies wenige aber soll nach meinem Tod dir gehören, denn Dagmar ist so reich, dass sie dieser kleinen Summe, die eine Bagatelle für sie wäre, nicht bedarf. Ich hoffe ja, dass du, bis du dich eines Tages verheiraten wirst, eine Heimat in diesem Hause behalten mögest. Dagmar wird ihre Schwester nicht von ihrer Schwelle weisen, aber du sollst nicht gezwungen sein, sie um jeden Pfennig zu bitten, den du brauchen wirst, weil ich weiß, dass … nun ja, dass sie dir das bei ihrem Charakter nicht leicht machen würde.“
Renatas Lippen hatten sich fest aufeinander gepresst. Sie kannte Dagmar noch besser als ihr Vater, und sie zweifelte nicht daran, dass ihres Bleibens in diesem Hause nicht länger sein würde, sobald der Stiefvater die Augen geschlossen haben würde. Vielleicht, dass Dagmar ihre Feindseligkeit nicht so weit trieb, die Tür vor ihr zu verschließen, aber sie würde ihr das Leben noch viel schwerer machen als bisher und es dahin zu bringen versuchen, dass sie von selbst gehen würde. Darüber gab Renata sich keinen Täuschungen hin, aber weil sie wusste, wie lieb der Stiefvater sie hatte und wie sehr er sich um sie sorgte, verriet sie ihm nichts von ihren Gedanken.
Etwas unsicher sah sie ihn nun an. „Deine Sorge um mich ist rührend, lieber Papa, aber – ich weiß doch nicht, ob ich das annehmen kann. Dagmar ist deine Tochter und wirklich allein berechtigt, dich zu beerben, wenn, was Gott noch recht lange verhüten möge, du uns genommen wirst.“
Der Kranke erregte sich. „Du musst es annehmen, Rena, wenn du mich nicht sehr betrüben willst. Es ist leider nur sehr wenig, was ich für dich über meinen Tod hinaus tun kann. Sieh hier, da ist die Endsumme des Kontos, das ich für dich angelegt habe und auf das ich all meine Spargroschen eingezahlt habe und vor meinem Tode noch einzahlen werde. Mit Zinsen beträgt die Einzahlung elftausendsechshundert Mark bis jetzt. In Papieren wollte ich das Geld nicht anlegen, für den Fall, dass du das Geld einmal plötzlich brauchst. Es soll dir immer zur Verfügung stehen, ohne dass dir jemand hineinreden kann und darf. Du weißt, Dagmars Verlobter, Doktor Hartung, ist ein sehr spitzfindiger Rechtsanwalt, und falls das Geld einen Teil meines Nachlasses ausmachen würde, würde er es für Dagmar in Beschlag belegen. Deshalb schenke ich es dir bei Lebzeiten, alle diese eingezahlten Beträge sind Schenkungen an dich, meine Stieftochter, und du nimmst jetzt schon dieses Buch an dich, und was ich dir jetzt noch geben kann, zahlst du selbst bei der Bank ein. So ist dies Geld unstreitig dein Eigentum, und du kannst ganz frei darüber verfügen. Verwahre das Buch gut. Es ist nicht nötig, dass Dagmar oder ihr Verlobter darum wissen, du weißt, es würde nur neue Feindseligkeiten für dich im Gefolge haben, und das wollen wir beide vermeiden.“
Renata beugte sich auf seine Hand und küsste sie. „Du bist so gut und so liebevoll besorgt um mich, lieber Papa, ich weiß auch, es würde dich nur beunruhigen, wenn ich dies großmütige Geschenk nicht annehmen würde. So will ich nicht weiter dagegen reden, zumal ich weiß, dass dieser Betrag, der für mich ein kleines Vermögen bedeutet, für Dagmar kaum in die Waagschale fallen würde. Durch deine Güte und Fürsorge bin ich nunmehr in der Lage, mir in Ruhe irgendeine Existenz gründen zu können, wenn die Notwendigkeit einmal an mich herantreten sollte, und dafür danke ich dir von ganzem Herzen.“
Er strich über ihr schönes Haar und ließ seine Hand auf ihrem Kopf ruhen. „Dass du selbst einen solchen Fall ins Auge fasst und ruhig darüber sprichst, ist mir eine große Beruhigung, meine Rena. So, nun nimm dies Buch und bringe es zunächst in dein Zimmer in Sicherheit. Dann komme wieder zu mir und hilf mir weiter, allerlei zu regeln.“
„Willst du nicht erst ein wenig ruhen, damit du dich nicht zu sehr anstrengst?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, nein, ich will diese Stunden nützen, in denen wir allein sind und ich schmerzfrei bin; ich habe keine Ruhe, solange alles dies nicht erledigt ist. Es gibt hier manches, was ich nicht in lieblose Hände fallen lassen möchte, und mein Schwiegersohn wird, darüber bin ich sicher, jedes Fäserchen meines Nachlasses kritisch durchforschen“, sagte er bitter.
Renata nahm das Buch und trug es in ihr Zimmer.
Sorgsam barg sie das Buch in ihrem Wäscheschrank zwischen den zierlich geordneten Wäschebündeln. Dann ging sie zu ihrem Stiefvater zurück.
Sie reichte ihm erst noch einmal seine schmerzstillende Medizin und machte eine Orange zurecht, damit er zuweilen ein Stück davon nehmen könnte. Dann gab sie ihm nach seiner Weisung eines der Briefbündel nach dem andern. Das erste enthielt Briefe ihrer Mutter. Die legte er beiseite.
„Ich wollte sie verbrennen, Renata, damit sie nicht in fremde Hände fallen, aber es wird mir zu schwer, sie zu vernichten, ehe ich selbst der Vernichtung anheimfalle. Versprich mir, diese Briefe zu verbrennen, sobald ich meine Augen für immer geschlossen habe.“
„Das verspreche ich dir, Papa; in deiner Sterbestunde – oh, mein Gott, möge sie noch in weiter Ferne liegen – werde ich diese Briefe verbrennen, dessen sei gewiss.“
„Ich bin es, mein liebes Kind. Und nun reiche mir dies kleine Bündel mit dem schwarzen Bändchen herüber. Das sind Briefe und kleine Andenken an einen lieben, treuen Freund, der mir leider sehr früh genommen wurde.
Sieh dir diese beiden Menschen an, Rena, dieses Foto ist kurz nach ihrer Verlobung aufgenommen worden. Es ist mein Freund Ernst von Rahneck mit seiner Braut Maria Lossen. Sie war die Tochter eines Professors an der landwirtschaftlichen Hochschule, die wir beide besuchten und dessen Kollegien wir hörten. Dadurch wurden wir in sein Haus eingeführt. Maria Lossen war, wie du siehst, ein wunderschönes Mädchen, und mein Freund verliebte sich auf den ersten Blick in sie und wurde wohl ebenso schnell wiedergeliebt. Innerhalb eines Vierteljahres waren die beiden verlobt, und gleich nach der Beendigung seiner Studien sollte die Hochzeit stattfinden. Ernst von Rahneck lebte in den besten Vermögensumständen; er war der Erbe seines kürzlich verstorbenen Vaters, Besitzer eines wertvollen Gutes in der Rheingegend. Ich war damals oft mit auf Schloss Rahneck, wie das Herrenhaus hieß; es war ein wundervoller alter Bau, in dem ich es mir gern wohl sein ließ. Aber das Glück meines Freundes und seiner jungen Frau war wohl zu groß gewesen es sollte leider ein schnelles und furchtbares Ende finden.“
Renata hatte während dieser Erzählung voller Interesse auf das Bild der beiden schönen und glückstrahlenden Menschen gesehen. Nun hob sie den Blick. „Wie geschah das, Papa?“
Er hatte sinnend vor sich hingesehen. Jetzt seufzte er aus tiefer Brust. „Ich will es dir erzählen, Rena, es wird dich anmuten wie ein Roman mit einem katastrophalen Ausgang. Also, über zwei Jahre waren Ernst und seine Frau verheiratet und waren nur füreinander da, ganz wie in den Flitterwochen. Frau Maria von Rahneck hatte ihrem Gatten ein Töchterchen geschenkt, was ihr Glück noch erhöht hatte. Ich war oft, auch nach Ernsts Verheiratung als Gast in Rahneck, und das jubelnde Glück dieser beiden Menschen machte auch mir das Herz froh. Ich spielte mit der kleinen Garda – das Töchterchen hieß Irmgard und wurde Garda gerufen –, und wir tollten oft im glücklichen Übermut in dem wunderschönen alten Park herum. Klein Garda krähte vergnügt dazwischen. So war ich auch gerade in Rahneck anwesend, als eine furchtbare Katastrophe das leuchtende Glück vernichtete und mich dieser geliebten Freunde beraubte. Ich habe es lange nicht verwinden können.“
Er schwieg wieder ein Weile, und Rena sah ihn erwartungsvoll an. „Strengt dich das alles zu sehr an, Papa?“
„Nein, nein, lass nur – es erleichtert mich, wieder einmal davon sprechen zu können. Also höre weiter. Wir hatten mit der kleinen Garda gespielt, hatten sie abwechselnd im Park herumgetragen, mit ihr gescherzt und gelacht. Nun lag sie mit ihrer Milchflasche in ihrem Bettchen, und wir gingen in die Bibliothek, in der wir uns gern aufhielten, weil es ein herrlich harmonischer und schöner Raum war. Neben dieser Bibliothek lag ein ebenso großer Raum, in dem eine große Waffensammlung untergebracht war. Wir sprachen davon, dass wir am andern Tage einen Rehbock schießen wollten, und Frau Maria schmollte ein wenig in ihrer bezaubernden Art, weil wir sie dann den ganzen Vormittag über allein lassen würden.
‚Nehmt mich doch mit auf die Jagd‘, bettelte sie.
Wir wollten davon zunächst nichts wissen, aber sie bettelte weiter. Ihr Gatte konnte schließlich nicht widerstehen. Scherzend und lachend erhoben sich die beiden und gingen hinüber in den Waffensaal. Ich blieb in der Bibliothek sitzen, über ein altes Historienbuch gebeugt, das mich fesselte. Nebenan hörte ich das junge Paar lachen und scherzen und freute mich seiner harmlosen Heiterkeit.
Ich entnahm aus dem Gespräch, dass Ernst seiner Frau verschiedene Waffen zeigte und ihr deren Gebrauch erklärte. Als ich einen Blick hinüberwarf, sah ich von meinem Platz aus, dass Ernst einige Revolver und Pistolen auf eine Tafel gelegt hatte. Er hatte dann ein Gewehr erfasst und hantierte damit, während Frau Maria spielerisch einen Browning in die Hand nahm und darauf niedersah. Gerade wollte ich ihr zurufen, sie möge die Waffe hinlegen, da sie geladen sei, als ein Schuss krachte. Frau Maria hatte in ihrem Unbedacht den Browning entsichert und den Drücker berührt, während mein Freund das Gewehr nachsah. Als der Schuss krachte, sprang ich erschrocken auf, zugleich sah ich aber, dass mein Freund schwankte, das Gewehr fallen ließ und niederstürzte. Dabei entlud sich auch das Gewehr, und nun stürzte auch Frau Maria, die wie zu Stein erstarrt vor Entsetzen auf ihren Gatten sah und zu ihm eilen wollte, ohne sich regen zu können, zu Boden. Ernst von Rahneck war durch das Geschoss aus dem Browning in die Brust getroffen worden, und Maria hatte die Gewehrkugel direkt in die Schläfe getroffen. Sie war sofort tot.
Mein Freund öffnete noch einmal die Augen, richtete einen starren Blick auf mich und sah dann seine Frau neben sich liegen. Er erkannte wohl, dass sie tot war, ein Stöhnen brach aus seiner Brust, und er stieß mühsam hervor: ‚So will ich auch nicht mehr leben. Maria – meine Maria! Unser Glück war zu groß!‘
Mit einer erschütternden Zärtlichkeit legte er seine Hand auf ihren Körper und – seine Augen brachen.“
Von der Erinnerung an diese Szene überwältigt, schloss Georg Persick die Augen, und Renata, die ebenfalls tief erschüttert war, neigte sich über ihn. „Papa, lieber Papa, du darfst dich nicht so aufregen“, sagte sie besorgt.
Er fasste sich und lächelte zu ihr empor. „Es hat mich damals allzu hart getroffen, Rena; das wirkt immer wieder nach, wenn ich daran denke. Was dieser Katastrophe folgte, kannst du dir denken. Die Schüsse hatten die Dienerschaft herbeigerufen. Der Arzt wurde geholt, er konnte nur den Tod der beiden Gatten konstatieren. Man depeschierte an die Verwandten. Es lebte ein Vetter von Ernst von Rahneck mit seiner Familie in der nächsten Kreisstadt, und dieser Vetter übernahm die Vormundschaft über die kleine Garda. Er ist dann bald mit seiner Familie nach Schloss Rahneck übergesiedelt und wohnt wohl noch immer da. Mit ihm stand ich nicht gut, er war mir ebenso unsympathisch wie ich ihm, und ich hörte, nachdem ich Rahneck verlassen hatte, nur noch zuweilen von dem Ergehen der kleinen Garda. Sie werde von der Familie des Vetters liebevoll umhegt und gepflegt und könne zum Glück noch nicht begreifen, was ihr genommen worden sei. Ich blieb noch bis zur Beisetzung meiner Freunde und bis alles notwendig Werdende erledigt worden war.
Da ich mich alsdann, bald nach meiner Rückkehr nach Berlin, mit Dagmars Mutter verheiratete, wurde mein Interesse in andere Bahnen gedrängt, aber vergessen habe ich diese mir so lieben Menschen nicht. Dieses Bildchen hob ich mir zur Erinnerung an sie auf und ebenso die wenigen Briefe, die ich von Ernst von Rahneck erhalten hatte. Es sind auch einige kleine Billetts von seiner Gattin dabei. Wenn es dich interessiert, kannst du diese Briefe lesen. Du wirst aus ihnen erkennen, was für vortreffliche Charaktere sie waren und wie schade es war, dass diese gesunden glücklichen und lebensfrischen Menschen so jung sterben mussten. Nach beendeter Lektüre kannst du die Briefe wie das Bildchen vernichten. Ich habe schon daran gedacht, es Garda von Rahneck zu senden, aber ich bin doch davon abgekommen. Vielleicht reiß ich damit nur alte Wunden auf und komme vielleicht auch bei ihren Angehörigen in den Verdacht, mich aufdrängen zu wollen.“
„So will ich es verwahren, lieber Papa. Was du mir von diesen Menschen erzählt hast, nötigt mir warme Teilnahme ab, und darum würde es mir Leid tun, das Bild und die Briefe zu vernichten.“
„Gut, in deinen Händen weiß ich sie gut verwahrt, Rena. Aber nun wollen wir weitersehen.“
Beide sahen sich nunmehr die übrigen Papiere durch, und Rena musste das meiste davon vernichten.
Als alles geregelt war, legte sich Georg Persick in die Kissen zurück und atmete wie erlöst auf. „Nun ist mir eine Last vom Herzen, Rena. Ich wollte das alles schon längst ordnen, aber es ergab sich immer keine passende Gelegenheit. Du weißt nun auch Bescheid über alles, was nach meinem Tode geschehen muss.“
Rena sah ihn mit feuchten Augen an. „Sprich doch nicht von deinem Tode, Papa, ich kann das nicht hören.“
Er lächelte matt. „Deshalb sterbe ich keine Stunde früher oder später, darüber kannst du beruhigt sein. Deinetwegen bliebe ich gern noch einige Jahre am Leben, aber wie Gott will!“
Renata presste in stummer Qual die Hände aufs Herz, denn sie fürchtete sich vor der Einsamkeit, in der sie zurückbleiben musste, wenn der Stiefvater sie verließ.
Sich zu einem ruhigen Gesicht zwingend, legte sie ihm die Kissen noch einmal zurecht und nickte ihm lächelnd zu. Was sie das Lächeln kostete, wusste nur sie allein. Dann ging sie hinaus, weil er schlafen sollte.
***
Schloss Rahneck lag in hellem Sonnenschein auf der bewaldeten Höhe, rings von einem herrlichen Park umgeben. An einem Fenster in der ersten Etage stand eine schlanke junge Dame, die mit einem seltsam ernsten, fast schwermütigen Ausdruck ihres schönen Gesichtes in das sonnenbeschienene Land hinaus, sah, das sich vor ihren Augen ausbreitete.
Das Sonnenlicht spielte auf dem dunklen Haar der jungen Schlossherrin. Garda war hoch und schlank gewachsen, ihr Körper war von vollendetem Ebenmaß, und ihr schönes Gesicht war dem ihrer verstorbenen Mutter so ähnlich, dass man sie hätte verwechseln können, hätte man sie im gleichen Alter nebeneinander gesehen. Aber sie hatte anscheinend nicht das sonnige heitere Naturell ihrer Mutter geerbt, denn auf ihrem jungen Gesicht lag ein tiefer Ernst.
Diesen Ausdruck hatte ihr Gesicht aber erst erhalten nach einer bedeutungsvollen Aussprache, die sie mit ihrem Vormund, dem Vetter ihres Vaters, Karl von Rahneck gehabt hatte, nachdem sie das zwanzigste Jahr ereicht hatte. Bis dahin war sie ein fröhliches, lebhaftes Geschöpf gewesen. Sie hatte ja ihre Eltern so früh verloren, dass sie den Verlust nie so recht empfunden hatte. Onkel Karl und Tante Anna, dessen Frau, waren ihr immer sehr liebevoll begegnet, und es hatte sie nur betrübt, dass sie diese Liebe und Freundlichkeit niemals so zu erwidern vermochte, wie sie es gewünscht hätte. Sie kam sich undankbar vor, dass sie dem Vormund und Onkel immer mit einer starken Antipathie gegenüberstand und dass sie auch die Tante gewissermaßen nur ertrug, weil sie nun einmal Mutterstelle an ihr vertrat. Sie wusste nicht, woran es lag, dass sie diesen beiden Menschen keine Sympathie entgegenbringen konnte.
Den beiden Kindern ihres Vormunds, Hans und Leni, stand sie anfangs ganz freundlich und herzlich gegenüber. Aber als sie älter wurde und merkte, dass Hans, der ziemlich zehn Jahre älter war als sie, ihr gegenüber einen aufdringlich werbenden Ton anschlug und sie mit unangebrachten Zärtlichkeiten verfolgte, wurde er ihr mehr und mehr widerwärtig. Sie nahm ihm gegenüber eine kühle, abweisende Haltung ein und gab ihm immer deutlicher zu verstehen, dass er sie belästigte.
Auch ihr Verhältnis zu Leni wurde mit den Jahren ein immer frostigeres, denn sie erkannte mehr und mehr, dass Lenis Verhalten unecht war, dass sie ihr immer schmeichelte, wenn sie etwas Besonderes bei ihr erreichen wollte, und dass ein gewisser Neid in jedem ihrer Worte durchklang, wenn sie davon sprach, dass Garda eine reiche Erbin sei, während sie die Tochter völlig vermögensloser Eltern war.
Dies alles gab Garda zu denken. Sie war ein kluges Mädchen und besaß eine staunenswerte Energie, die sie nur nicht gezeigt hatte, solange ihr das nicht wichtig erschienen war.
Karl von Rahneck hatte, seit sein Vetter damals zugleich mit seiner jungen Frau auf so tragische Weise ums Leben gekommen war, wie selbstverständlich als nächster Verwandter Gardas Vormundschaft übernommen und zugleich die Bewirtschaftung des großen Gutes.