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Nach langer sorgenvoller Zeit können sich die Schwestern Freda und Blandine Nordmann wieder einmal einen Sommeraufenthalt in der Schweiz gönnen. Im Palace-Hotel lernen die beiden Frank Markwald kennen. Mit seinem Töchterchen Conny, das ihm aus einer unglücklichen Ehe geblieben ist, hat er sich auf den Weg in die Berge gemacht, um dort neuen Lebensmut zu schöpfen. Freda, die selbst eine große Enttäuschung hinter sich hat, fühlt sich zu Frank hingezogen. Dieser jedoch scheint von einer unüberwindlichen Mauer umgeben...
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Seitenzahl: 174
Cover
Impressum
Nach dunklen Schatten das Glück
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Bastei Verlag
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-2196-8
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Nach dunklen Schatten das Glück
Roman um Leid und Liebe der bezaubernden Freda
Auf dem Bahnsteig der Jungfraubahn in Lauterbrunnen standen die beiden Schwestern Freda und Blandine Nordmann und warteten auf die Abfahrt des Zuges, der sie nach Wengen hinaufbringen sollte, wo sie im Palace-Hotel für einige Wochen wohnen würden. Sie wollten sich dort oben in der reinen Bergluft erfrischen und erholen. Nach langer, sorgenvoller Zeit konnten sie sich einmal wieder einen Sommeraufenthalt in den Bergen gönnen, hatte doch ein in Argentinien verstorbener Onkel seinen beiden alleinstehenden Nichten ein großes Vermögen hinterlassen.
Ehe sie den schon bereitstehenden Zug besteigen durften, mussten sie die Ankunft des Gegenzuges, der von oben herunterkam, abwarten. Dieser kam aber schon bei der letzten Wendung in Sicht. Langsam, als müsse er recht bedächtig und vorsichtig fahren, kam er heran. In einem Abteil zweiter Klasse saß am Fensterplatz ein junger Mann in elegantem Reiseanzug. Er lehnte mit ziemlich missvergnügtem Gesicht in der Ecke, ohne auf seine Mitreisenden zu achten, obwohl ihm ein paar reizende und vergnügt lachende junge Damen gegenübersaßen und ihm schöne Augen machten, als seien sie nicht abgeneigt, ihn aufzuheitern.
Verstimmt sah der junge Mann zum Fenster hinaus, als der Zug nun in den Lauterbrunner Bahnhof einlief. Da erblickte er plötzlich drüben auf dem Bahnsteig die Schwestern Nordmann, die in ihren eleganten Reiseanzügen einen sehr erfreulichen Anblick boten. Er zuckte zusammen, und in seinen braunen Augen leuchtete es wie heiße Freude auf. Jäh richtete er sich empor, und alles Missvergnügen war aus seinen Zügen verschwunden. Aber dann nahm er sich zusammen und wandte seine Blicke von den Schwestern ab, wenn es ihm auch nicht leicht fiel. Er zwang sich zu einem gleichmütig heiteren Aussehen und begann plötzlich ein auffallendes Interesse an den ihm gegenübersitzenden jungen Damen zu nehmen. Er lachte sie an, ging auf ihre übermütigen Scherze ein, half ihnen mit ritterlicher Artigkeit aus dem Wagen und verabschiedete sich, nachdem er ihnen mit großer Liebenswürdigkeit ihre Handköfferchen herabgeholt hatte, mit scherzenden Worten von ihnen. Scheinbar beachtete er dabei die beiden auf dem Bahnsteig stehenden Schwestern gar nicht, aber ein rascher verstohlener Seitenblick hatte ihn überzeugt, dass sie ihn entdeckt hatten und ihn beobachteten. Seine Galanterie gegen die fremden jungen Damen musste ihnen auffallen, und das hatte er bezweckt.
Die Schwestern hatten ihn allerdings schon entdeckt, noch ehe der Zug hielt. Freda bemerkte ihn zuerst, Blandine wurde etwas später auf ihn aufmerksam. Sie legte hastig die Hand auf den Arm der Schwester. „Sieh doch, Freda! Da ist doch Frieder Lienhard – dort im Kupee am Fenster. Wie kommt denn der hierher?“
Freda war es aber nicht, wie Blandine, entgangen, dass Frieder Lienhard sie beide entdeckt hatte und dann erst, aus einer verdrießlichen Haltung auffahrend, die gegenübersitzenden Damen anzusprechen schien. Sie merkte auch sehr wohl, dass er verstohlen zu ihnen herüber sah, als er so auffallend den Galanten spielte, und ein leises Lächeln war um ihren Mund gezuckt.
„Wie du siehst, mit diesem Zug der Jungfraubahn, Dina“, erwiderte sie ruhig.
„Nein doch, ich meine, wie er überhaupt hierher in die Schweiz kommt.“
„Vermutlich auf dieselbe Weise wie wir. Er wird seine Sommerreise hierher gemacht haben, um sich gleich uns zu erholen. Aber während wir erst hinauf wollen, kommt er schon wieder herab. Schade, wir hätten in seiner Gesellschaft einige Ausflüge machen können.“
„Das hätte mir gerade noch gefehlt!“, stieß Blandine abweisend hervor, während ihre Augen fast zornig zu Frieder Lienhard hinüberflogen, der absolut keine Notiz von ihr zu nehmen schien. Und wie er sich mit diesen scheinbar sehr zugänglichen Damen amüsierte! Die Röte stieg ihr ins Gesicht.
„Aber er ist doch ein sehr amüsanter und netter Gesellschafter“, sagte Freda scheinbar gleichmütig, ein heimliches Lächeln unterdrückend.
„Der Geschmack ist, gottlob, verschieden; ich finde ihn fade und langweilig.“
Wieder zuckte ein verhaltenes Lachen um Fredas Mund.
Blandine zog die Stirn kraus. „Hoffentlich entdeckt er uns nicht noch. Komm schnell, Freda, lass uns zu unserem Zug hinübergehen, wir dürfen jetzt einsteigen.“
„Du willst ihm also absichtlich ausweichen?“
„Soll ich ihm vielleicht nachlaufen?“, fragte Blandine, den Kopf trotzig zurückwerfend.
„Nein, das nicht, aber wir könnten uns ihm irgendwie bemerkbar machen.“
„Auf keinen Fall, lass ihn nur mit diesen Mädels flirten. Komm schnell hinüber zu unserem Zug.“
„Oh, du brauchst keine Angst zu haben, dass er uns entdeckt; er ist so völlig mit den reizenden Damen beschäftigt, dass er für uns keine Zeit hat.“
„Reizende Damen? Ich finde sie sehr wenig reizend, aber dafür sehr kokett. Was die ihm für Augen machen – einfach schamlos“, stieß Blandine ärgerlich hervor und zog die Schwester mit sich fort.
Diese unterdrückte wieder ein leises Lächeln und folgte der Schwester ruhig zu dem Zug.
Während die Schwestern ihren Zug bestiegen, trat Frieder Lienhard verstohlen an den von oben gekommenen Gepäckwagen heran. Hier gab er schnell Weisung, dass sein Koffer sofort wieder in den nach oben fahrenden Zug geladen würde, obwohl er eben erst herabbefördert worden war, Er hatte sehr wohl gesehen, dass die Schwestern den Zug nach oben bestiegen hatten, Er sah auf die Uhr und sprang zu dem Schalter hinüber, um sich eine neue Fahrkarte zu lösen – für die Rückfahrt nach Wengen.
Die Schwestern hatten inzwischen ein Abteil zweiter Klasse bestiegen. In diesem Abteil saß bereits ein hoch gewachsener Herr von etwa vierzig Jahren. Er war eine sehr interessante und markante Erscheinung, einer jener Männer, denen man auf den ersten Blick ihre Bedeutung ansieht. Doch sein Gesicht war ernst, fast düster, so dass Blandine eine kleine Grimasse zog und der Schwester damit andeutete, dass sie diesen Herrn durchaus nicht für einen angenehmen Reisegefährten hielt. Aber Freda Nordmanns Aufmerksamkeit war durch den Fremden gleichsam gefesselt.
Ein glücklicher Mensch ist das nicht, aber er ist sehr interessant, dachte sie, Und dass er unglücklich zu sein schien, fesselte sie fast noch mehr als sein blendendes Aussehen. Sie war, gegen ihre sonstige Art, so sehr in den Anblick dieses Mannes vertieft, dass sie vergaß, auf ihre Schwester zu achten.
Diese schaute anscheinend gleichmütig zum Fenster hinaus, aber ihre Augen suchten unruhig nach Frieder Lienhard. Sie konnte ihn nicht mehr entdecken, aber die hübschen jungen Damen, mit denen er ihrer Meinung nach geflirtet hatte, standen noch wartend am Ausgang des Bahnhofes. Vielleicht warteten sie auf ihren sehr galanten Reisegefährten. Dieser Gedanke erfüllte Dina von neuem mit Zorn. Grollend behielt sie die Damen im Auge, fest überzeugt, dass Frieder Lienhard wieder neben ihnen auftauchen würde. Aber er war nirgends zu sehen.
In dem Augenblick jedoch, da das Abfahrtszeichen für den Zug gegeben wurde, stieg plötzlich ein junger Herr in das Abteil, in dem die Schwestern saßen. Er hatte sich im letzten Augenblick mit einem eleganten Satz hinaufgeschwungen, ohne dass Dina vorher sein Auftauchen bemerkt hätte. Und nun stand Frieder Lienhard, scheinbar sehr erstaunt, vor den Schwestern.
„Träum ich, ist mein Auge trübe?“, zitierte er lachend. „Nein, ich sehe Sie wirklich leibhaftig vor mir, meine sehr verehrten Damen. Das ist ja ein reizendes Zusammentreffen. Das ist aber eine freudige Überraschung für mich.“
Dabei sah er Freda Nordmann lachend an und begrüßte sie mit einem strahlenden Blick. Dann erst blickte er auch in Dinas reizendes Gesicht, das zu ihrem Ärger bei seinem plötzlichen Auftauchen sehr rot geworden war. Er verbeugte sich vor ihr.
„Gestatten Sie mir, Sie zu begrüßen, mein gnädiges Fräulein. Wollen Sie auch zur Jungfrau hinauf? Ich glaube, Sie werden eine ausgezeichnete Aussicht haben.“
Blandine hatte nur kurz mit dem Kopf genickt, um seinen Gruß zu erwidern.
„Nein, wir fahren nur bis Wengen hinauf“, sagte sie kühl.
„Ah, bis Wengen? Wollen Sie da einen längeren Aufenthalt nehmen?“
Blandine wunderte sich, dass er jetzt wieder mit hinauffuhr, da er doch eben erst herabgekommen war. Aber sie antwortete mit gleicher Kühle und Sprödigkeit: „Allerdings!“
„Ah, das trifft sich ja herrlich! Ich habe auch in Wengen einen längeren Aufenthalt genommen, ich wohne im Palace-Hotel. Bin gerade nur mit herabgefahren, um einige junge Damen, mit denen ich oben sehr reizende Stunden verlebt habe, bis Lauterbrunnen zu begleiten, um ihre Gesellschaft noch ein Stündchen länger genießen zu können“, sagte er scheinbar harmlos.
Freda glaubte kein Wort, das er sagte, verbiss aber ihr Lächeln und erwiderte ruhig: „Das ist wirklich ein drolliger Zufall, wir haben auch im Palace-Hotel Zimmer bestellt, Herr Lienhard.“
Bei diesem Namen wandte der Herr am Fenster zum ersten Male wieder den Kopf und sah einen Moment prüfend auf die drei Personen. Aber er wandte sich gleich wieder ab und sah zum Fenster hinaus.
Frieder Lienhard tat sehr erstaunt. „Also auch im Palace-Hotel? Das ist ja reizend. Freilich dürfte es wohl nur für mich sehr angenehm sein. Sie werden meine Freude kaum teilen, mein gnädiges Fräulein?“, sagte er zu Blandine.
Diese hatte sich gefasst. Um keinen Preis der Welt hätte sie eingestanden, nicht einmal sich selbst, dass sie sich freute, dass Frieder Lienhard auch im Palace-Hotel wohnte. Und um ihre Freude zu verbergen, sagte sie kalt, fast ungezogen: „Man wird sich ja aus dem Weg gehen können.“
Es zuckte ein wenig schmerzlich in seinem Gesicht, und er wollte schnell etwas erwidern, aber da trafen seine Augen in die Fredas, und sie schienen zu sagen: Nimm es nicht ernst, was meine kleine Schwester sagt.
Frieder Lienhard hatte sich den Damen gegenübergesetzt, auf dieselbe Seite wie der Fremde, und versuchte, eine Unterhaltung mit den Schwestern in Gang zu bringen; doch zu seinem Leidwesen ging nur Freda höflich auf ihn ein, während Blandine beharrlich zum Fenster hinaussah.
Blandines trotzige Abwehr entmutigte ihn jedoch nicht. Er hätte sich vielleicht dadurch in die Flucht schlagen lassen, hätte ihm Freda nicht eines Tages, in ihrer fast mütterlichen Besorgnis um die Schwester, Aufschluss gegeben, warum Blandine so herb und abweisend geworden war.
Freda war mit einem jungen Mann verlobt gewesen und hatte an seine Liebe geglaubt. Als aber ihr Vater während der Inflation sein ganzes Vermögen verloren hatte und sich das so zu Herzen nahm, dass er gestorben war, hatte sich Fredas Verlobter von ihr gelöst mit der Erklärung, dass er nicht imstande sei, eine vermögenslose Frau zu heiraten. Er hatte ziemlich brüsk seine Freiheit von ihr zurückgefordert, und sie hatte ihn nicht eine Minute länger festgehalten. Freda hatte ihre Enttäuschung recht schnell verwunden. Sie hatte sich gesagt, es sei besser, Derartiges vor der Hochzeit zu erleben als hinterher. Vielleicht war es bei ihr auch noch nicht die rechte Liebe gewesen, sie war damals noch zu jung, um sich über sich selbst klar zu werden. Genug, sie war damit fertig geworden, wenn auch nicht leicht. Blandine aber hatte gemerkt, wie sehr Freda doch unter diesem Verrat ihres Verlobten gelitten hatte, und sie nahm sich das so zu Herzen, dass es einen bleibenden Eindruck auf sie machte. Sie war damals erst fünfzehn Jahre gewesen, während Freda schon über zwanzig Jahre alt war, und gerade in den Entwicklungsjahren machen solche Erlebnisse einen tiefen Eindruck auf junge Gemüter. Blandine fand das Verhalten des Verlobten ihrer Schwester so verächtlich, dass sie von dieser Zeit an alle Männer mit misstrauischen Augen ansah.
Da verstand Frieder Lienhard alles und konnte nun entsprechende Maßnahmen treffen. Sehr deutlich durfte er mit seiner Werbung freilich nicht werden, sonst nahm Blandine gleich wieder Kampfstellung gegen ihn ein.
Heute hatte er immerhin einen kleinen, ganz kleinen Erfolg zu verzeichnen, er hatte etwas wie heimliche Eifersucht in Blandines Augen aufblitzen sehen, als er am Bahnsteig verstohlen zu ihr hinübergesehen hatte, und deshalb war er den beiden hübschen jungen Damen im Stillen dankbar, die ihm, ohne es zu ahnen, zu diesem Erfolg verholfen hatten.
Der Zug hielt in Wengen an der Station, und Freda merkte, dass sich auch der Fremde erhob, um hier auszusteigen. Das freute sie. Er interessierte sie sehr, und so bestand die Hoffnung, dass sie ihn noch einmal wiedersehen könne. Während sie mit Frieder Lienhard und ihrer Schwester den schmalen Bahnsteig entlangging, sah sie der hohen Gestalt nach, die etwas Imponierendes und Gebietendes hatte. Sie konnte beobachten, dass er einem Hoteldiener einen Schein gab, wahrscheinlich einen Gepäckschein. Dann verschwand er hinter dem Stationsgebäude.
Die Schwestern wurden nun, da ihr Kommen gemeldet war, von einem Hotelangestellten empfangen, der sich auch von ihnen den Gepäckschein aushändigen ließ. Frieder wartete, bis das erledigt war, dann drückte er dem Angestellten rasch auch seinen Gepäckschein in die Hand, und während die Schwestern schon weitergingen, sagte er leise:
„Ich möchte mein Zimmer wiederhaben, das ich bis heute Morgen bewohnt habe. Es ist doch noch frei?“
„Ja, gnädiger Herr, es sind bisher keine neuen Gäste angekommen.“
„Schön, ich nehme das Zimmer für einige Wochen. Bitte sorgen Sie dafür, dass die Damen, mit denen ich eben angekommen bin, nichts davon erfahren, dass ich schon abgereist war. Ich habe es mir anders überlegt, und die Damen sollen nicht wissen, dass ich schon abreisen wollte. Verstehen Sie?“
Der Angestellte verstand gar nichts, aber da ihm Frieder ein gutes Trinkgeld in die Hand drückte, nickte er eifrig und versprach alles zu ordnen.
Frieder folgte nun den Damen und holte sie ein, als sie bei der Post um die Ecke bogen, und geleitete sie zum Hotel.
***
Auch der Reisegenosse der beiden Schwestern suchte das stattliche Palace-Hotel auf, um sich dort einzuquartieren.
Nach einer Weile verließ er sein Zimmer durch eine zu dem Korridor führende Tür. Er ging die Treppe hinunter und suchte die Portiersloge auf.
„Ich möchte nach Interlaken telefonieren, Herr Portier. Sie haben also Zimmer Nummer sechs neben mir reserviert?“
„Ja, gnädiger Herr.“
„Es soll für ein Kind und seine Kinderfrau bereitgemacht werden.“
„Sehr wohl, es wird geschehen.“
„Ist das Hotel sehr besetzt?“
„Leider nicht. In der ersten Etage sind nur noch zwei Zimmer außer den von Ihnen bestellten besetzt, in dem einen wohnen zwei Damen, in dem andern ein Herr. Die zweite Etage ist auch noch nicht ganz besetzt, und in der dritten Etage fast nur Touristenzimmer für einige Tage.“
„Dann besteht ja Aussicht, dass man Ruhe hat. Also bitte, Interlaken, Hotel D‘Angleterre.“
Man merkte dem Fremden an, dass er gewohnt war, zu befehlen, wenn er auch ruhig und höflich blieb.
„Bleiben Sie in der Nähe?“, fragte der Portier.
„Ich warte hier im Vestibül.“
Während der Portier die Verbindung herstellte, setzte sich der Fremde in einen Sessel am Kamin, in dem ein lustiges Holzfeuer prasselte, denn trotz des sonnigen Junitages war es noch frisch und kühl hier oben in der Gletschernähe.
Der Fremde hatte sich bereits für die Abendtafel angekleidet, es war nicht mehr weit bis zur Dinerstunde. Und er sah in dem eleganten Smoking noch viel vornehmer aus als im Reiseanzug. Er vertiefte sich in die Lektüre einer Zeitung, bis ihn nach einer Weile der Portier an das Telefon rief. Die Verbindung mit dem Interlaker Hotel war da. Der Fremde meldete sich: „Hier Frank Markwald, kann ich die Kinderfrau meiner Tochter sprechen? Sie wartet auf meinen Anruf und wird sich im Vestibül befinden.“
„Sehr wohl, Herr Markwald, sie ist schon hier“, erwiderte der Portier des Hotels.
Und gleich darauf meldete sich eine Frauenstimme. „Gnädiger Herr?“
„Ja, Frau Hollmann, sind Sie es?“
„Ja, gnädiger Herr!“
„Wie geht es Conny?“
„Sie ist wohl und munter und verlangt nur sehr nach ihrem Vati.“
„Also, Sie halten sich morgen Früh bereit. Packen Sie alles ein. Es hat sich doch nichts Besonderes begeben?“
„Nein, gnädiger Herr können ganz beruhigt und unbesorgt sein, ich bin mit Conny im Hotelgarten geblieben. Niemand Verdächtiges ist in unsere Nähe gekommen.“
„Gut, Sie verlassen das Hotel auch nicht, bis ich morgen unten bin.“
„Ich werde mich streng an die Vorschriften des gnädigen Herrn halten.“
„So gegen zehn Uhr bin ich unten, bis dahin halten Sie sich mit Conny bereit. Grüßen Sie Conny von ihrem Vati.“
Frank Markwald hängte ab und begab sich wieder in das Vestibül, wo er sich weiter in die Zeitung vertiefte.
Nach und nach fanden sich hier die Gäste des Hauses ein, auf den Beginn des Diners wartend. Auch Frieder Lienhard, ebenfalls im Smoking, kam herunter, und bald nach ihm erschienen die beiden Schwestern auf der Treppe. Sie trugen elegante, aber in ihrer Schlichtheit sehr vornehm wirkende Abendkleider, Blandine ein tiefes Blau, und Freda Weiß. Es war ein erfreulicher Anblick, als die Schwestern langsam, Arm in Arm, die Treppe herabkamen. Aller Augen richteten sich neugierig und bewundernd auf sie.
Frieder Lienhard trat sogleich auf sie zu, um stolz zu dokumentieren, dass er zu ihnen gehörte. Und Frank Markwald sah von seiner Zeitung auf und legte sie beiseite, während er seine Blicke auf den Schwestern ruhen ließ.
„Darf ich Sie in den Speisesaal führen?“, fragte Frieder, als in diesem Moment der Gong ertönte und zu Tisch rief.
„Wir bitten darum“, erwiderte Freda, „und wenn Sie nicht schon anderweitig disponiert haben, würden wir uns sehr freuen, wenn Sie mit an unserem Tisch speisen wollen. Nicht wahr, Dina, wir haben dann gleich einen Schutz und angenehme Gesellschaft.“
Frieders Augen strahlten auf, aber Blandine warf den Kopf stolz zurück. „Bestimme du, Freda“, sagte sie, als sei es ihr sehr gleichgültig, ob er mit ihnen zusammensaß.
Frieder gab sich aber den Anschein, als sei das so gut wie eine Einladung. „Es wird eine Ehre und ein Vergnügen für mich bedeuten, ich werde stolz sein auf das Amt eines Beschützers so reizender Damen.“
„Komplimente können Sie sich sparen“, sagte Blandine über die Schulter hinweg.
Aber Freda sah ihn lächelnd an und nickte ihm zu.
Sie betraten den Speisesaal, an dessen Eingang die hübschen, flinken Serviererinnen in schwarzen Kleidern und weißen Häubchen und Schürzen aufgereiht standen und die Gäste an sich vorüberziehen ließen.
Frieder führte die Damen in den Saal hinein an einen Tisch am Fenster, den der Oberkellner ihm bezeichnete.
Sie nahmen an diesem Tisch Platz, und gleich darauf erschien am Nebentisch Frank Markwalds stolze, düstere Erscheinung. Er setzte sich so, dass er dem Saal den Rücken kehrte, als wolle er keinen Menschen sehen. Wie in tiefe Gedanken versunken, nahm er sein Mahl ein, ohne sich umzublicken. Freda konnte sein Profil sehen, sie saß so, dass sie dem Tisch zugewandt war, an dem er saß, während ihre Schwester ihm den Rücken kehrte.
Fredas Herz schlug schneller, als sie in dem Mann am Nebentisch ihren Reisegenossen wiedererkannte, und eine unbestimmte Freude überkam sie bei dem Gedanken, ihn von nun an wohl des Öfteren zu sehen.
Kaum hatten alle Platz genommen, als die Serviererinnen auch schon die Suppe auftrugen, während der Oberkellner herumging und die bestellten Getränke notierte. Das Diner wurde schnell nacheinander serviert, man brauchte nicht lange auf die einzelnen Gänge zu warten. Die Speisen waren alle vorzüglich zubereitet, das merkte man an der behaglichen Stimmung der Gäste.
Freda wagte kaum zu dem Fremden hinüberzublicken, obwohl sie merkte, dass er in seine Gedanken vertieft war. Und wieder stellte sie fest, wenn sie doch einmal flüchtig zu ihm hinübersah, dass er sehr unglücklich aussah.
Nach dem Diner verließen die Gäste den Speisesaal und platzierten sich entweder in den Gesellschaftsräumen oder in dem behaglich durch das Kaminfeuer belebten Vestibül. In den Gesellschaftsräumen wurde musiziert, und einige Paare begannen sofort zu tanzen. Die Schwestern Nordmann ließen sich an einem kleinen Tisch nieder in der Nähe des Kamins. Sie hatten keine Lust, näher bei der Musik zu sitzen oder gar zu tanzen. Frieder bat um Erlaubnis, bei ihnen Platz nehmen zu dürfen.
Freda gab ihm gern die Erlaubnis und unterhielt sich freundlich mit ihm.
Als Blandine nach einer Weile seinem Blick begegnete, sprang sie auf, wie auf der Flucht vor sich selbst. Sie trat an die Tür des Gesellschaftsraums, in dem getanzt wurde, als sähe sie interessiert dem Tanz zu.
Frieder atmete tief und schwer. „Ich bin außerordentlich froh, dass ich Sie noch gefunden habe“, sagte er leise zu Freda.
Sie sah ihn fragend an. „Gefunden? Haben Sie uns denn gesucht?“
„Ja, ich wollte Ihnen eines Tages einen Besuch machen und hörte von dem Portier Ihres Hauses, dass Sie verreist seien. Zum Glück konnte er mir sagen, dass Ihre Adresse Wengen, Palace-Hotel, war. Und da bin ich Hals über Kopf abgereist, ich konnte es nicht ertragen, so lange auf den Anblick Ihres Fräulein Schwester zu verzichten. Ich hoffte auch, dass ich hier, wenn ich länger und öfter mit Ihnen zusammen sein könnte, Fräulein Blandine endlich näher kommen würde. In der Berliner Gesellschaft kann man ja kaum ein vernünftiges Wort miteinander sprechen. Als ich nun hier herkam, fand ich Sie nicht, und nachdem ich einige Tage vergeblich auf Ihr Eintreffen gewartet hatte, glaubte ich, Sie hätten Ihre Absicht, nach Wengen zu gehen, aufgegeben. Da reiste ich ab. Und zu meiner großen Freude sah ich Sie in Lauterbrunnen auf dem Bahnsteig stehen. Schnell gab ich meinen Koffer wieder auf und bestieg den Zug, der Sie hier heraufbringen sollte.“
Freda lächelte in ihrer gütigen Art.