Hedwig Courths-Mahler - Folge 168 - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Hedwig Courths-Mahler - Folge 168 E-Book

Hedwig Courths-Mahler

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Beschreibung

Der Treuebruch seiner Frau mit seinem besten Freund hat Peter Hagenau auf eine Insel bei Java getrieben. Dort lebt er mit seiner reizenden Tochter Lia ein weltabgeschiedenes Leben. Nichts stört den Frieden dieses idyllischen Daseins. Aber dann kommen Milde Volkner und Rudolf Bergen auf die Insel, und damit nimmt das Leben dort einen anderen Lauf. Peter Hagenau, der geglaubt hat, nie wieder etwas für eine Frau empfinden zu können, fühlt sich zu Milde Volkner hingezogen, und Lias Sehnen gilt Rudolf Bergen, der auch zu ihr in heißer Liebe entbrennt. Nichts scheint dem Glück dieser vier Menschen im Wege zu stehen. Aber dann tauchen plötzlich dunkle Schatten aus der Vergangenheit auf, die alles zu vernichten drohen...

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Seitenzahl: 164

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Inselprinzessin

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Anne von Sarosdy/Bastei Verlag

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2199-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Inselprinzessin

Ereignisreicher Roman um einen schweren Verdacht und eine tiefe Liebe

Gedankenvoll starrte Peter Hagenau durch das Fenster, weit über das Inselland hinweg auf das leicht bewegte Meer. Er sah nicht die üppige Tropenvegetation, die sein Haus umgab, sah nichts von der blühenden Pracht und der glutenden Farbensymphonie, die ihn sonst so sehr entzückte. Er dachte nur an das, was in dem Brief stand, den er in der Hand hielt und der ihn aufgerüttelt hatte aus der Stille seines zurückgezogenen Lebens, das er nun schon reichlich ein Jahrzehnt auf dieser Insel führte, die südlich zwischen den Sundainseln Sumba und Timor lag und über die er wie ein Fürst Herr geworden war.

Lange saß er so, ohne sich zu rühren. Endlich atmete er auf und hob die Hand mit dem Brief. Bedachtsam, Wort für Wort, las er ihn nun noch einmal durch. Er lautete:

Mein lieber Peter!

Seit ich deinen letzten Brief erhalten habe, der mir einmal so besonders ausführlich über euer Leben auf Subraja berichtete, bin ich in unruhevolles Sinnen geraten. Mehr als bisher sorge ich mich um dein Kind. Für einen Mann wie dich, der nach einer schlimmen Enttäuschung dieses Leben freiwillig gewählt hat, mag das angehen, aber nicht für ein junges Wesen, das dem Leben gehört.

Ich sehe sie im Geiste, wie sie auf halbwilden Pferden oder sonstigen fantastischen Reittieren durch das wilde Berggelände deiner Insel oder mitten durch den Urwald reitet. Du schreibst mir, sie kenne keine anderen Kleider als Reithosen und Hemdblusen. Und sie durchstreift die ganze Insel entweder allein oder in Gesellschaft ihrer eingeborenen Diener. Umgeben von solchem Gefolge sehe ich das fast siebzehnjährige Mädchen, das bei uns schon als junge Dame gelten würde, den gewagtesten Situationen ausgesetzt. Nein, mein lieber Peter, das geht so nicht weiter!

Wenn du Lia nicht fortgeben willst in ein Pensionat, so sorge dafür, dass sie eine Erzieherin bekommt. Ich will gern versuchen, zu diesem Zweck eine junge, tatkräftige und lebensfrische Persönlichkeit, der es nicht an Takt und Verständnis fehlt, zu engagieren. Ich wüsste schon eine, die sich hervorragend eignet. Es ist die Tochter von lieben Freunden von mir. Ihre Eltern sind kurz hintereinander vor Jahresfrist gestorben. Sie heißt Milde Volkner, ist 24 Jahre alt und momentan Lehrerin an einer Privatschule. Sie gibt dort Sprachunterricht.

Soweit ich sie kenne, würde sie mit Freuden zugreifen, wenn sich ihr die Gelegenheit bieten würde, in die Welt hinauszugehen. Sie würde deinem wilden Füllen, mit liebevollem Verständnis für seine Eigenart, schmerzlos die nötigen Kulturbegriffe beibringen.

Ich habe noch nicht mit ihr darüber gesprochen, werde es auch nicht tun, bevor ich nicht deine Antwort habe. Aber ich habe dir auf alle Fälle, ohne dass sie es weiß, eine Fotografie von ihr beigelegt, damit du dir klar werden kannst, ob ihr Äußeres dir und Lia sympathisch sein würde. Dass sie durch ihr Wesen eure Sympathie gewinnen würde, erscheint mir zweifellos.

Und nun zum Schluss noch etwas, das ich bis zuletzt aufgehoben habe, weil ich mich ein wenig fürchte, an die Wunde zu rühren, die wohl immer noch in deinem Herzen brennt. Du musst es aber wissen. Lias Mutter ist vor wenigen Tagen gestorben. Bei einer Autotour kam sie mit ihrem Gatten zusammen ums Leben. Sie sind nun beide tot, die dein Leben vergiftet haben, dich in die Welt hinaustrieben. Suche ihnen zu verzeihen.

Lia wirst du ja nichts zu sagen brauchen von dem Tod ihrer Mutter, denn für sie lebte sie ja längst nicht mehr. Übrigens ist es für Lias Mutter vielleicht ganz gut gewesen, dass sie jetzt gestorben ist. Gleich nach ihrem und ihres Mannes Tod tauchte das Gerücht auf, dass die Firma Sanders ruiniert sei. Man sagt, dass Hans Sander mit Absicht das Autounglück herbeigeführt habe, um seinem Leben und dem Leben seiner Frau ein Ende zu machen.

Wie dem auch sei, mein lieber Peter, du bist gerächt. Begrabe deinen Groll. Und vielleicht kehrst du in die Heimat zurück, wenigstens für einige Zeit, wo du weißt, dass diese beiden Menschen nicht mehr am Leben sind.

Küsse dein liebes Kind, das meinem Herzen teuer ist. Ich sehne mich danach, es kennen zu lernen.

Mit vielen herzlichen Grüßen,

deine Tante Herta

Kaum hatte Peter Hagenau diesen Brief zu Ende gelesen, als von draußen der helle Jauchzer einer frischen Mädchenstimme erklang. Er richtete sich hastig aus seiner Versunkenheit auf und trat an das Fenster. Auf dem großen vor dem Hause befindlichen Rasenplatz, der mit Blumenrabatten geschmückt war, hielt auf einem der kleinen, zähen Pferde, die Peter Hagenau auf die Insel gebracht hatte, eine jugendliche Reiterin. Man hätte sie für einen Knaben halten können, denn sie trug bauschige, an den Knien fest anliegende Khaki-Reiterhosen, eine luftige Hemdbluse und einen breiten, das Gesicht beschattenden Tropenhut, der unter dem Kinn festgeschnallt war. Das war Lia Hagenau, die einzige Tochter des Besitzers von Subraja.

Mit leuchtenden grauen Augen sah sie zum Vater empor. „Melde mich zur Stelle, Vati!“

Er sah mit einem sinnenden Blick zu ihr hin, und ein leiser Seufzer hob seine Brust. „Wo warst du, Lia?“

Sie sah ihn erstaunt an. „Das weißt du doch, Vati! Drüben im Kambong, bei den Leuten, die Nadinas und Karitas‘ Hochzeit feiern. Hast du das vergessen über deinen Büchern?“

„Richtig, du warst bei der Hochzeit Nadinas! Das hatte ich wirklich vergessen!“

Inzwischen war ein alter eingeborener Diener herbeigekommen – wohl der einzige, der nicht bei der Hochzeit im Dorf der Eingeborenen war. Lia sprang vom Pferd und warf ihm die Zügel zu. Dann stürmte sie mit großen Sätzen die Verandastufen empor, setzte mit einem eleganten, mühelosen Satz über einen im Weg stehenden Sessel hinweg und schwang sich über die Fensterbrüstung in das Zimmer hinein.

„Vati, was ist mit dir? Du siehst so seltsam aus – ganz bleich! Und deine Augen blicken so trübe – fast, als ob du geweint hättest!“

„Aber Lia, ein Mann darf doch nicht weinen“, suchte er zu scherzen. Damit zog er sie an sich, und das Herz tat ihm wieder einmal bitter weh, weil sein Kind keine Mutter hatte. Jetzt war ihre Mutter wirklich tot. Mit einem schmerzlichen Blick sah er auf Lia herab.

„Also du hast dich amüsiert, Lia?“, fragte er mit unsicherer Stimme.

Sie nickte lachend. „Es war sehr lustig, Vati! Sie haben wunderbare Musik gemacht, nach der man herrlich tanzen konnte.“

Er sah sie erstaunt an. „Kannst du denn tanzen, Lia?“

„Aber natürlich, Vati! Ich tue es zuweilen, wenn ich draußen im Freien oder allein im Hause bin.“

Peter Hagenau sah seine Tochter an, als sähe er sie zum ersten Male. „Aber – wer hat dich denn das Tanzen gelehrt?“

Sie lachte hell auf. „Ach, Vati, das braucht einen doch niemand zu lehren, das kann man doch einfach! Hast du denn vergessen, dass wir auf dem Dampfer, als wir nach Amerika fuhren, oft genug zugesehen haben, wenn die Passagiere tanzten?“

„Das hast du also nicht vergessen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht! Nichts, gar nichts habe ich vergessen, was ich auf dieser meiner ersten Reise erlebt und gesehen habe. So viele Menschen beieinander auf einem Schiff, über viele musste ich lachen, weil sie sich so komisch gebärdeten. Und die jungen Damen haben mir sehr Leid getan, weil sie sich in den langen, engen Kleidern kaum bewegen konnten.“

In ihres Vaters Gesicht zuckte es seltsam. „Möchtest du nicht auch so schöne Kleider tragen, Lia?“

Sie lachte hell auf. „Um Himmels willen, Vati! Was sollte ich mit solchen Kleidern? So angetan, kann man doch weder reiten noch klettern, auch nicht auf die Jagd gehen. Aber nun komm endlich, Vati! Sonst bekommst du von der Hochzeit gar nichts mehr mit“, drängte sie. Und sie zog den Vater ungestüm mit sich fort. Mit einem Satz sprang sie über die Verandabrüstung hinweg, hinunter auf den Rasenplatz und auf das Pferd. Der Vater war ihr fast ebenso schnell gefolgt, und nun ritten sie davon. Erst ging es wohl eine Viertelstunde lang auf glatten Wegen über das Hochplateau, auf dem das große Wohnhaus Peter Hagenaus stand. Hier oben auf den Bergen war die Luft bedeutend besser als unten in der Niederung. Deshalb hatte er sein Wohnhaus hier erbauen lassen, als er vor zirka zwölf Jahren das ganze Inselgelände von einem Holländer gekauft hatte.

Jetzt ritten Vater und Tochter, da sie das Ende des Bergplateaus erreicht hatten, langsamer den breiten Weg hinunter. Noch immer tat sich eine herrliche Aussicht vor ihren Blicken auf. Über die ganze Insel hinweg schweifte der Blick ins Weite. Ringsum breitete sich das Meer wie ein wogender Schutzwall um die Insel. Erst als sie in den üppigen Tropenwald einritten, wurde ihnen dieser Ausblick versperrt.

Als Vater und Tochter die Wälder passiert hatten, lag vor ihnen ein ziemlich großer Binnensee, dessen Ufer sich in flachem Sumpfboden verliefen. In diesem Sumpf gedieh die Nipapalme vorzüglich, aber er war doch Peter Hagenaus Schmerzenskind. Er wollte gern dem sonst sehr klaren See – der zu erfrischenden Bädern einlud, die man hier im offenen Meer nicht nehmen konnte, weil sich zuweilen Haifische zeigten – einen Abzug schaffen, damit das Sumpfland trockengelegt werden könnte. Denn außer der Nipapalme gedieh in diesen Sümpfen nichts. Und diese Palmenart war ohnedies reichlich genug auf der Insel vertreten. Als er jetzt mit Lia um den See herumritt, sagte er aufatmend: „Es wird höchste Zeit, dass hier etwas geschieht, der Sumpf dehnt sich immer mehr aus.“

Lia nickte verständnisvoll. „Du musst also bald einen Ingenieur kommen lassen.“

„Es wird mir nichts anderes übrig bleiben, Lia.“

„Dann wird es freilich mit unserem behaglichen Frieden, wohl ein Weilchen vorbei sei, denn der Ingenieur müsste doch wohl in unserem Haus wohnen.“

Forschend sah er sie an. „Sind dir der Frieden und die Einsamkeit unseres Heims wirklich so behaglich, dass du sie nicht gestört sehen möchtest?“

Mit einem Erstaunen, das die ganze Harmlosigkeit ihres Empfindens verriet, sah sie ihn an. „Aber Vater, wie sonderbar du fragst! Das ist doch selbstverständlich!“

Er seufzte. Seine Gedanken beschäftigten sich unablässig mit dem Brief seiner Tante. Er konnte sich ihren Vorhaltungen nicht verschließen. Aber er fürchtete sich, seine stille, ihm lieb gewordene Zurückgezogenheit aufzugeben. Noch weniger mochte er sich freilich mit dem Gedanken vertraut machen, seine Tochter in ein Pensionat zu geben.

Er war ein durch den Betrug seiner Frau und seines Freundes verbitterter und verdüsterter Mann, der mit seinem Kind in die Einsamkeit dieser Insel geflohen war, als er sich hatte von seiner Frau scheiden lassen müssen. Ihm wäre es das liebste gewesen, wenn er mit Lia für alle Zeit allein auf Subraja hätte bleiben können.

Aber nun hatte ihm seine Tante in ihrem Schreiben klargemacht, wie egoistisch er im Grunde war. Er würde ein Unrecht an seiner Tochter begehen, ließe er sie noch länger in dieser Weise aufwachsen. Und das beschwerte das Herz.

Er musste sich gewaltsam zusammenreißen, um Lia nicht merken zu lassen, was in ihm vorging. Vorläufig war er noch nicht imstande, Entschlüsse zu fassen oder mit ihr darüber zu sprechen. Er musste erst selbst mit sich ins Klare kommen, und so sagte er mit angenommener Ruhe: „Ach ja, Lia, wir müssen wohl in den sauren Apfel beißen und uns an den Gedanken gewöhnen, nicht mehr allein bleiben zu können.“ Er sah von der Seite in ihr blühendes Gesicht, das sehr reizvolle Züge hatte. Wie gut, dass sie ihrer Mutter so gar nicht glich.

Ihre Mutter!

Wie ein Krampf zog es seine Brust zusammen. Lias Mutter war tot – und die Nachricht von ihrem Tod hatte noch einmal alles Leid wachgerüttelt, das er um sie getragen hatte. Er hatte sie namenlos geliebt und so fest an ihre Liebe geglaubt wie an die Treue seines Freundes, Hans Sanders. So lange, bis er eines Tages, bei einer unerwarteten Heimkehr, seine Frau in den Armen des Freundes fand.

Verbittert und mit sich selbst und der Welt zerfallen, hatte er Deutschland verlassen und war nach Java gegangen. Durch Zufall lernte er den damaligen Besitzer von Subraja kennen, der ihm die Insel zum Kauf anbot. Rasch entschlossen hatte er zugegriffen. Gerade die einsame Lage dieser Insel hatte ihn gelockt. Sein ganzes Vermögen hatte er darangegeben, um Subraja kaufen zu können. Heute hatte sich sein Vermögen mehr als verzehnfacht, und die Insel gehörte ihm mit all ihren Schätzen.

Und die, deren Falschheit und Treulosigkeit ihn hinausgetrieben hatten, waren nun nach Jahren doch von der rächenden Nemesis erreicht worden. Sie hatten einen tragischen Tod gefunden.

Ahnungslos ritt Lia an seiner Seite. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass ihre Mutter noch am Leben gewesen war. Schon als zartes Kind hatte sie viel mehr an dem Vater gehangen als an der Mutter. Und als man ihr damals gesagt hatte, die Mutter sei gestorben, hatte sie wohl im unverstandenen Schmerz geweint, aber über den neuen Eindrücken bald alles vergessen.

Ein tiefer Atemzug, der fast wie ein Stöhnen klang, drang über Peter Hagenaus Lippen. Zum Glück hörte es Lia nicht, denn jetzt kam das Kambong in Sicht, und schon von weitem hörte man Gesang und Geschrei. Die Hochzeitsfeier war in vollem Gang.

Das Paar, das heute Hochzeit hielt, war in Peter Hagenaus Haus angestellt. Nadina, die Braut, war Lias persönliche Dienerin; eine Art Kammerzofe, soweit Lia einer solchen bedurfte. Und Karitas, der Bräutigam, servierte die Mahlzeiten.

Peter Hagenau und Lia mussten sich bei dem Brautpaar niederlassen und sich an den Resten des Schmauses beteiligen.

Schließlich war es fast sieben Uhr geworden, und da einige Festteilnehmer bereits dem Palmwein fleißig zugesprochen hatten, zog es der Herr der Insel vor, mit seiner Tochter das Feld zu räumen.

***

Es war wenige Tage später. Peter Hagenau war noch zu keinem Entschluss gekommen. Immer wieder hatte er den Brief seiner Tante durchgelesen, und immer wieder hatte er die Fotografie Milde Volkners betrachtet. Irgendetwas in ihrem Gesicht zog ihn an.

Jedenfalls suchte sich Peter Hagenau in dieses Gesicht zu vertiefen und sich damit vertraut zu machen. Denn so halb war er doch schon entschlossen, die von seiner Tante so warm empfohlene junge Dame nach Subraja zu rufen. Und auch ein Ingenieur musste nach Subraja kommen. Es war höchste Zeit, dass der Kanal in Angriff genommen wurde.

Aufseufzend fuhr Peter Hagenau sich durch das dichte Haar, und sein ernstes, energisches Gesicht, in das tiefes Leid seine charakteristischen Linien gegraben hatte, bekam einen fast hilflosen Ausdruck. So fand ihn Lia, die eine ganze Weile mit den kleinen Zwergaffen gespielt hatte, die draußen in den Diattibäumen herumturnten. Das blonde Haar, das sie sonst so fest geflochten unter ihrem Tropenhut versteckte, hatte sich gelöst und fiel in seiner ganzen gelockten Pracht über den Knabenanzug herab. Sie reckte sich kraftvoll und warf sich ziemlich unsanft mit einem hörbaren Krach in einen Rohrsessel.

„Bist du mit deinen Büchern fertig, Vati?“, fragte sie.

Er sah vor seinem Schreibtisch, an dem er untätig, in Gedanken versunken, gesessen hatte, zu ihr hin. Mit einem forschenden Blick maß er die graziöse Gestalt, die sich ein wenig ungeniert in dem Sessel räkelte und behaglich ein Bein über das andere schlug und es lustig baumeln ließ.

Zum ersten Mal kam es ihm zum Bewusstsein, dass sich unter dem dünnen bastseidenen Hemd weiche, mädchenhafte Formen rundeten, und nervös, wie er durch das lange Nachdenken und den Kampf mit seinem Unbehagen geworden war, sagte er ziemlich hastig: „Kannst du dich nicht etwas gesitteter hinsetzen, Lia?“

Mit einem Ruck richtete sie sich auf und sah ihn mit großen Augen verständnislos an. „Was soll ich, Vati?“

Er ärgerte sich selbst, dass er von seiner Tochter etwas verlangte, was sie gar nicht verstand. Hatte er sie doch bisher wie einen wilden Jungen aufwachsen lassen.

Ärgerlich schob er das Buch beiseite, in das er Eintragungen hatte machen wollen. Dabei warf er das Bild Milde Volkners herunter. Es fiel zu Lias Füßen nieder.

Sie beugte sich nieder und hob es auf. „Wer ist das, Vati?“

Er sah sie unsicher an. „Nun muss es also doch heraus, Lia, diese junge Dame ist deine neue Gesellschafterin.“

Lia schüttelte ein wenig besorgt den Kopf und sah ihn unruhig an. Der Vater schien ihr ganz verändert. „Du warst wohl zu lange draußen in der Sonne, Vati?“

Er lachte ein wenig verlegen und hilflos. „Nein, Lia, ich bin ganz klar und vernünftig, klarer und vernünftiger als je. Diese junge Dame soll wirklich nach Subraja kommen. Du musst eine junge Gesellschafterin haben, die dich alles lehren soll, was eine junge Dame der zivilisierten Welt wissen muss.“

Lia warf mit einem Ruck ihr Haar über die Schulter zurück und sprang auf. „Warum muss ich denn das wissen, Vati? Ich bin doch erstens keine Dame, sondern ein Kind, und zweitens bin ich keine Dame der zivilisierten Welt.“

„Aber wir wollen doch in den nächsten Jahren nach Deutschland reisen.“

„Nun ja, Vati, darauf freue ich mich schon lange. Ich möchte deine und meine Heimat kennen lernen. Aber weshalb muss ich dann da erst lernen, was die zivilisierten Damen wissen müssen? Ich reise ja doch wieder in meinen Knabenkleidern.“

Traurig sah er sie an. „Das wird diesmal nicht mehr gehen, Kind.“

„Aber warum nicht? Davon hast du noch nie gesprochen.“

„Weil ich, offen gestanden, selbst noch nicht darüber nachgedacht habe. Aber vor wenigen Tagen habe ich von Tante Herta einen Brief bekommen. Sie hat mir klargemacht, dass es nicht so weitergeht, dass du noch immer wie eine kleine Wilde hier aufwächst. Wenn du mit mir nach Deutschland reist, musst du unbedingt wie eine gesittete junge Dame auftreten, und dazu fehlt dir noch mancherlei. Zum Beispiel ist es ganz unmöglich, dass du dich so in einen Sessel wirfst und mit den Beinen baumelst.“

Sie sah ihn betreten an. „Das habe, ich nicht gewusst. Ist denn das ein Unrecht? Es ist doch sehr bequem.“

Wieder seufzte er auf. „Sieh mal, Kind, ich habe eben versäumt, dich so zu erziehen, wie es hätte sein müssen. Ich habe dich zu sehr als Knaben erzogen. Aber du bist nun einmal eine junge Dame.“

Lia lachte laut auf. „Ach, Vati, wie ist das drollig! Ich eine junge Dame? So eine wie die auf dem Dampfer, mit den schönen Kleidern?“

„Ja, Lia.“

Sie schüttelte lachend den Kopf. „Ach, Vati, das lerne ich doch nie!“ Er zog sie an der Hand zu sich heran. „Aber Lia, so ein paar lumpige Mätzchen, so ein bisschen Formelkram, das schüttelst du doch aus dem Handgelenk“, scherzte er, um sie zu ermutigen.

Lia wickelte nachdenklich ihr schönes Haar um das Handgelenk. Sie nahm das Bild wieder auf und betrachtete es genau. Die feinen, klaren Züge fesselten sie. „Du, Vati, sie sieht eigentlich ganz vernünftig aus, so, als ob sie nicht gleich in Ohnmacht fiele, wenn man einmal etwas tut, was nicht ganz richtig ist. Findest du das nicht auch?“

„Unbedingt! Und sieh mal, da wir ja noch einen Ingenieur herkommen lassen müssen, bleiben wir doch nicht allein. Dann ist es schließlich einerlei, ob noch eine junge Dame herkommt.“

Lia warf sich wieder in den Sessel. „Hm, ist es dann wirklich einerlei. Aber weißt du, ein komischer Gedanke ist es doch.“

„Ja, Kind, ich habe mich auch erst daran gewöhnen müssen. Aber was geschehen muss, soll bald geschehen.“

Sie umarmte den Vater. „Also lass die Gesellschafterin nur kommen.“

Peter Hagenau war vorläufig zufrieden mit dem, was er erreicht hatte. Alles andere würde sich schon finden, und ohne langes Zögern machte er sich daran, an Tante Herta zu schreiben. Auch richtete er zugleich ein Schreiben an die Hochschule in Charlottenburg. Dort würde man ihm am ehesten eine geeignete Persönlichkeit ausfindig machen können, die er für seinen Kanalbau benötigte.