Hedwig Courths-Mahler - Folge 174 - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Hedwig Courths-Mahler - Folge 174 E-Book

Hedwig Courths-Mahler

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Beschreibung

Als Rudolf Nordau in Berlin seinen Sohn aufsucht, will dieser zunächst gar nichts von ihm wissen. Hans Jürgen wirft ihm vor, dass er ihn und seine Mutter kläglich im Stich gelassen habe. Aber schließlich entscheidet er sich doch dazu, seinen Vater in den nächsten Semesterferien in New York zu besuchen. Mit bangendem Herzen denkt Hans Jürgen daran, dass er dort auch Mildred Warren wiedertreffen wird, und dieses Mal wird er ihr nicht als einfacher Fährmann gegenüber stehen ...

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Seitenzahl: 154

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Liebe und des Schicksals Walten

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Anne von Sarosdy/Bastei Verlag

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2205-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der Liebe und des Schicksals Walten

Roman um Glück und Leideines schönen Mädchens

Hilflos trieb die kleine Marielies auf einer Schiffsplanke im Meer. Werner Hohwart rettete sie nicht nur vor dem Ertrinken, er brachte sie auch zu seinen Eltern nach Paradiso, einer kleinen zauberhaften Insel im Pazifik. Hier wuchs Marielies als Pflegekind der Hohwarts auf. Doch als Werner alt genug ist, um die Welt zu erfahren, geht er nach Berlin, um zu studieren. Dort lernt er den jungen Hans Jürgen kennen, der bis vor Kurzem noch als Fährmann fernab der großen Stadt lebte. Auch Hans Jürgen rettete einer jungen Frau das Leben: der Amerikanerin Mildred Warren. Doch dies, so stellt sich heraus, ist nicht die einzige schicksalhafte Gemeinsamkeit der beiden Männer …

Auf Paradiso war das Leben seit Werner Hohwarts Abreise im alten Geleis weitergegangen, und doch war alles anders geworden. Werner war mit Marielies zusammen das belebende Element auf der Insel gewesen. Nun, da er fort war, wurde auch Marielies sehr still. Sie wurde beängstigend blass und schmal, und die Eltern sorgten sich um sie und taten alles, was sie konnten, um sie aufzuheitern und abzulenken.

Marielies trieb einen wahren Kult mit einer Fotografie von Werner, die Doktor Berger mit seinem Apparat aufgenommen hatte. Er hatte damit häufig Aufnahmen von Paradiso und dessen Bewohnern gemacht. Eine der letzten Aufnahmen von Werner zeigte ihn, wie er mit einem selbst gefertigten Bogen einen Pfeil abschoss. Er stand am Strand, mit dem Rücken dem Meer zugewandt, und seine schlanke, biegsame Gestalt zeichnete sich in scharfen Konturen vom Hintergrund ab. Es war ein sehr hübsches Bild, und Doktor Berger hatte es Marielies gebracht, als sie sich über Werners Abreise gar nicht zu trösten vermochte.

Bei seinem Anblick waren ihr die hellen Tränen über das Gesicht gelaufen, und sie hatte es ans Herz gedrückt und nicht mehr von sich gelassen. Immer stand es in einem aus Gräsern von ihr selbst gefertigten Rahmen vor ihr und nachts auf ihrem Nachttisch neben ihrem Bett. Und oftmals herzte und küsste sie das Bild und ahnte nicht, dass sich dabei langsam aus ihrem schwesterlichen Empfinden ein anderes Gefühl für Werner entwickelte. Willig öffnete sie ihr junges Herz dieser aufkeimenden Liebe, die nicht mehr dem Bruder galt, ohne dass ihr das vorläufig zum Bewusstsein gekommen wäre.

Traf ein Brief von Werner ein, befiel Marielies eine zitternde Unruhe, bis sie endlich darankam, diesen Brief zu lesen. Denn nur die an sie selbst adressierten Briefe durfte sie zuerst lesen. Die aber waren ihr von allen die liebsten. Wenn Werner so innig und liebevoll an sie schrieb, wie sie es sich nur wünschen konnte, ging es wie ein Strahlen von ihr aus, und sie las seine Zeilen immer wieder und konnte sich nicht genug damit tun. Im Geiste begleitete sie ihn auf allen Wegen, sie lebte sein Leben mit ihm, und ihre Fantasie flog über alle Fernen hinweg – zu ihm.

Zuerst hatte sie ein beinahe eifersüchtiges Gefühl erfasst, als sie Werner so viel von Hans Jürgen in seinen Briefen sprechen hörte, es schmerzte sie, dass dieser Hans Jürgen dauernd um Werner sein durfte. Aber dann schrieb ihr Werner eines Tages:

Mit Hans Jürgen kann ich wenigstens immer von dir sprechen, Marielies, er weiß aus meinen Erzählungen gut Bescheid über Paradiso und selbstverständlich über dich am meisten. Ich habe ihm auch deine Fotografie gezeigt, die mir Doktor Berger beim Abschied gegeben hat, also deine jüngste Aufnahme. Manchmal bin ich vor Sehnsucht ganz närrisch, und dann schwatze ich mit deinem Bild, Marielies, das auf meinem Schreibtisch steht und mich immer so lieb ansieht. Und Hans Jürgen lacht mich nicht etwa aus, wenn er das merkt. Er hat nämlich auch sein Bild, mit dem er schwatzt, wenn ihm das Herz voll ist. Denke dir, er hat eine junge, in Deutschland weilende Amerikanerin vom Tod des Ertrinkens gerettet, und sie hat ihm ihr Bild geschenkt. Dies Bild ist sein größter Schatz, das habe ich nun schon lange heraus, so wie dein Bild mein größter Schatz ist. O Marielies, wie sehr sehne ich mich nach dir! Dich habe ich doch auch aus dem Wasser gerettet, auf meinen Armen habe ich dich von der schwimmenden Holzwand in meine Jacht getragen. Du vergisst das doch nicht und denkst immer daran, dass du mir gehörst, mir ganz allein. Keiner darf dir so nahe stehen wie ich, hörst du, nicht einmal die Eltern. Und das muss immer so bleiben, Marielies, immer! Ich könnte den Gedanken nicht ertragen, dass du einen anderen Menschen lieber hättest als mich, denn auch ich habe dich lieber als alle anderen Menschen. Vergiss das nie, Marielies!

Diese Worte hatten einen wunderbar beruhigenden Einfluss auf Marielies ausgeübt, und nun war sie gar nicht mehr eifersüchtig auf Hans Jürgen. Die Eltern aber, die diesen Brief Werner ebenfalls lesen durften, hatten aus den Worten ihres Sohnes erkannt, dass auch er mit mehr als geschwisterlicher Zärtlichkeit an Marielies hing. Sie hatten sich verständnisinnig angesehen, hatten aber kein Wort darüber verloren.

Einige Monate nach Werners Fortgang von Paradiso lief die „Anna“ wiederum in den kleinen Inselhafen ein. Auch heute brachte der Kapitän mancherlei Postsachen mit. Briefe von Werner und andere.

Unter den Eingängen befand sich auch ein amtlich aussehendes Schreiben, das Klaus Hohwart, der in Begleitung von Marielies an der Landungsstelle stand, mit seltsamem Gesichtsausdruck in Empfang nahm. Nach einem kurzen Blick auf die Aufschrift steckte er es mit der anderen Geschäftspost vorsichtig beiseite. Dann gab er Marielies einen zärtlichen Klaps auf die Wange und reichte ihr einen an sie adressierten Brief von Werner.

„Reite hinauf zu Mutti, Marielies, sie wartet schon auf Nachricht von unserem Jungen.“

Marielies ritt mit strahlenden Augen davon. Ihr Brief von Werner ruhte vorläufig noch ungeöffnet auf ihrem Herzen. Sie musste erst ganz für sich allein sein, ehe sie ihn las.

Klaus Hohwart und der Kapitän rechneten wie immer ab. Die Waren, die die „Anna“ von Paradiso mitgenommen hatte, waren sehr gut verkauft worden. Zum Abschluss sagte Klaus Hohwart: „Wir erwarten Sie heute Abend oben bei uns, Kapitän, meine Frau hat schon Ihre Leibspeise auf dem Feuer.“

Das Gesicht des Kapitäns glänzte. „Ah, ich komme selbstverständlich! Ist ja immer ein Fest für mich, wenn ich mal anderes als Schiffskost bekomme.“

„Nun, einige Tage bleiben Sie ja hier vor Anker. Da soll Sie meine Frau gut verpflegen, Kapitän.“

Klaus Hohwart ritt nun auch hinauf zu seinem Wohnhaus. Er musste wieder an das amtliche Schreiben denken, bezwang aber seine Ungeduld.

Oben angekommen, kam ihm Marielies entgegen und berichtete strahlend, was Werner geschrieben hatte. Nur Gutes und Liebes habe er berichtet. Und sie hängte sich in seinen Arm und führte ihn ins Haus.

Hier kam ihnen Anna entgegen. „Alles gut gegangen mit der ‚Anna‘, Klaus?“

Er nickte ihr zu. „Alles! Der Kapitän freut sich auf deine Küche, Anna.“

„Wird schon alles bereitet, was ihm Vergnügen macht.“

„Und nun den Brief vom Jungen her, Anna.“

Sie betraten das Wohnzimmer, und Klaus Hohwart las den Brief seines Sohnes mit glänzenden Augen. Aufatmend legte er ihn endlich zusammen. Dann brachte ihm Marielies auch ihren Brief von Werner. Aber sie blieb dicht dabei stehen, um sich nicht zu weit davon zu trennen. Als der Vater damit fertig war, fragte er humorvoll:

„Na, du hast ja den Brief schon gelesen, da kann er wohl zerrissen werden?“

Sie schrie auf. „Um Gottes willen nicht, Vater!“

„Na, du hast ihn doch schon gelesen.“

„Erst dreimal.“

„Dann kannst du ihn doch bald auswendig.“

„Und wenn auch! Ich verwahre mir doch alle seine Briefe. Und wenn ein neuer dazukommt, lese ich die alten immer wieder durch, damit ich vergleichen kann, ob Werner mich noch ebenso lieb hat wie zuvor.“

„Nun gut! Also trolle dich jetzt mit deinem Brief, und lies ihn zum vierten und fünften Mal, ich habe mit Mutti Geschäftliches zu besprechen.“

Als Klaus Hohwart mit seiner Frau allein war, zog er das amtliche Schreiben hervor. Sie blickte beklommen darauf.

„Ja, Anna, ich ahne, dass ich hier die Kündigung in Händen halte. Pünktlich auf die Minute trifft sie ein, man hat wohl lange schon auf diesen Termin gewartet. Morgen ist es genau fünfundzwanzig Jahre her, dass ich den Pachtvertrag über Paradiso unterzeichnet habe. Und hätte es sich unter meiner Bewirtschaftung nicht so lukrativ gestaltet, würden sie sich Zeit gelassen haben. So aber können sie nicht abwarten, bis sie mich vertreiben dürfen.“

Anna fiel kraftlos in einen Sessel. „Mein Gott, Klaus!“

„Na, na, Mutter! Willst doch nicht schlapp machen? Wir haben doch längst damit gerechnet.“

„Wenn du nur wirklich so ruhig wärst, wie du scheinen willst. Es geht doch um dein Lebenswerk, Klaus, und ich weiß, wie du daran hängst.“

Er atmete tief auf. „Nun ja, Anna, woran man fünfundzwanzig seiner besten Jahre gibt, wofür man seine besten Kräfte einsetzt, das lässt man nicht gern aus der Hand. Aber – noch liegen fünf Jahre vor uns, fünf Jahre gehört uns Paradiso noch. Wir haben doch auch schon geplant, dass wir in die zivilisierte Welt zurückwollen, nach Deutschland oder sonst wohin, wo unser Werner vor Anker gehen will, wenn er sesshaft wird. Wir zwei finden auf unsere alten Tage bestimmt irgendwo ein beschauliches Leben, wo die Kinder bleiben wollen. Ich muss mich dann damit begnügen, dass ich hier Pionierarbeit geleistet habe, von dir wacker unterstützt. Und das hat ja schließlich mein Leben ausgefüllt.“

Sie atmete auf. „Wenn du so denkst, Klaus, dann ist alles gut, und ich bin ruhig.“

„Kannst du auch sein. Wir haben hier, gottlob, ein großes Vermögen zusammengebracht, teils durch schwere Arbeit, teils auch vom Glück begünstigt. Wir sind sehr reiche Leute, Mutter, der Herr hat alles gesegnet, was wir anfassten. Wir haben hier so einfach und anspruchslos gelebt, wie es uns gefiel. Draußen können wir uns dann alle Annehmlichkeiten, jeden Luxus gönnen. Mal sehen, wie uns das gefällt.“

„Willst du nicht erst einmal nachsehen, Klaus, ob es wirklich die Kündigung ist?“

Er öffnete rasch das Schreiben, las es durch und nickte.

„Es ist schon, wie ich gedacht habe, in fünf Jahren müssen wir Paradiso verlassen.“

Anna schluchzte unwillkürlich auf.

Beide hielten sich eine Weile fest in den Armen, und dann sagte Klaus Hohwart: „Weißt du, Mutter, wen es noch viel härter treffen muss als uns, dass wir Paradiso verlassen müssen?“

Sie sah ihn an. „Den Doktor!“, sagte sie.

Er nickte. „Ja, Anna, der wird sich in der Welt draußen nicht mehr zurechtfinden. Den dürfen wir nicht verlassen.“

„Nein, Klaus, der würde verdorren wie ein entwurzelter Baum. Aber er bleibt bei uns und wird bei uns wohl auch ferner seinen Wirkungskreis finden.“

„Ganz gewiss, Anna!“

Sie besprachen das noch, als der Doktor draußen vorüberging. Klaus Hohwart klopfte an das Fenster und rief ihn an.

„Doktor! Kommen Sie mal herein!“

Doktor Berger trat in das Zimmer.

„Haben Sie einen Auftrag für mich, Herr Hohwart?“

„Nein, keinen Auftrag, ich will Ihnen ein bisschen in die Knochen fahren.“

Doktor Berger fiel wie kraftlos in einen Sessel und sah das Ehepaar erschrocken an. „Es ist doch nichts mit Werner geschehen?“

„Nein, gottlob nicht! Der Junge schreibt, dass er gesund und munter ist und lässt Sie grüßen. Aber hier, sehen Sie, dieses verteufelte amtliche Schreiben! Raten Sie, was es enthält, Doktor?“

Dieser wurde blass. „Sicher nichts Gutes, Herr Hohwart.“

„Es ist die Kündigung meines Pachtvertrags. In fünf Jahren müssen wir Paradiso verlassen.“

Der Doktor sank haltlos in sich zusammen.

„Allmächtiger Gott!“

„Na, na, Doktor, nur den Kopf nicht hängen lassen. Wir kehren eben in fünf Jahren zur Kultur zurück, Doktor. Und das will ich Ihnen gleich sagen, damit Sie gar nicht erst Zeit haben, sich Sorgen zu machen – Sie gehen mit uns und bleiben bei uns.“

Und Klaus Hohwart schlug dem Fassungslosen ermunternd auf die Schulter. Doktor Berger schluckte krampfhaft.

„Herr Hohwart, Sie sind großmütig und gütig wie immer. Ich gestehe ganz offen, ich getraue mich nicht, ein neues Leben anzufangen. Sie wissen, ich war nie ein Tatenmensch. Meine größte Tat war, dass ich mich damals entschloss, das Engagement hier auf Paradiso anzunehmen – Sie glauben nicht, was für mich dazu gehörte, diese Reise zu machen.

Ich will ja gerne arbeiten, was meine Kräfte hergeben – wenn Sie mich nur nicht von sich stoßen. Ich bin zu sehr mit Ihnen allen verwachsen. Ohne Paradiso kann ich vielleicht leben, wenn mir auch vor dem Fortgehen graust, aber – ohne das Zusammengehörigkeitsgefühl mit Ihnen nicht“, sagte er heiser.

„Sollen Sie ja auch gar nicht, wir können Sie ja gar nicht entbehren, Doktor.“

Der Doktor ergriff seine Hand mit schmerzhaftem Druck.

„Ich danke Ihnen von Herzen, Herr Hohwart, auch Ihnen, Frau Hohwart. Ich bin ein ganz armseliger Mensch ohne Ihre Güte.“

„Nun, nun, Doktor“, begütigte Frau Anna, „Sie haben Werner so weit gebracht, dass er die Hochschule besuchen kann, Sie haben Marielies alles gelehrt, was sie an Schulweisheit braucht, und wir, mein Mann und ich, haben viel von Ihnen gelernt. Jetzt sind Sie meines Mannes treuer Sekretär, ohne den er gar nicht mehr durchfinden würde.“

„Und diesen Posten sollen Sie auch in Zukunft behalten, Doktor; wie gesagt, wir trennen uns nicht. Und nun nehmen Sie dies verteufelte Schriftstück, und beantworten Sie es mit allen Finessen, die nötig sind. So etwas haben Sie ja fein heraus. Und heute Abend wollen wir trotz allem recht vergnügt sein, der Kapitän kommt heraus, er soll uns aufmuntern mit seinen Schnurren und Faxen.“

„Und ich muss in die Küche, damit alles recht wird für den Kapitän, ich darf ihn doch nicht enttäuschen. Und nicht grämen, Doktor, wir nehmen unser Paradiso im Herzen mit, auch wenn wir es verlassen müssen.“

Damit drückte Frau Anna dem Doktor die Hand und ging hinaus.

Gleich darauf kam Marielies herein.

„Vater, die Mutter sagt, du hättest mir etwas mitzuteilen?“

Der Vater schloss sie in seine Arme. „Marielies, in fünf Jahren verlassen wir Paradiso für immer. Dann bist du schon eine erwachsene junge Dame. Du brauchst dann nicht allein nach Deutschland zu Tante Johanna gehen, wir alle kommen mit dir.“

„Und Werner?“, fragte sie rasch und atemlos, als sei dies das einzige, was bei dieser Eröffnung wichtig sei.

„Nun, Werner wird, wenn er mit seinem Studium fertig ist, noch einmal hierher zurückkehren, freilich nur für kurze Zeit. Und dann reisen wir alle zusammen fort. Werner selbstverständlich auch. Und – wo er dann bleibt, da bleiben wir auch.“

Da warf sie sich wie erlöst in seine Arme.

„O Vater, ich hatte nur Angst, dass wir dann ohne Werner sein müssten.“

So nahm Marielies den drohenden Abschied von Paradiso nicht gar zu tragisch.

Als der Kapitän abends eintraf, brachte er ein großes Postpaket mit.

„Das habe ich heute Nachmittag ganz vergessen. Jetzt wird mir das Meisje am Ende die Augen auskratzen wollen! Das Paket ist nämlich aus Charlottenburg. Es kommt vom Herrn Werner. Und ich musste es verzollen“, sagte er launisch.

Alle standen neugierig um den Tisch herum, während der Hausherr auspackte. Für Marielies kam zuerst eine reizende rote Lederhandtasche zum Vorschein, mit all den entzückenden Kleinigkeiten angefüllt, die zu diesen eleganten Handtaschen für Damen gehören. Ein Spiegel, ein Notizbuch, eine Bonboniere, eine Geldtasche, Puderdose und Lippenstift.

Dann kam für die Mutter ein weicher gestickter Seidenschal, für den Vater ein schönes, vornehmes Zigarettenetui und eine Brieftasche, für Doktor Berger ebenfalls eine Brieftasche und für die beiden Kapitäne je eine hübsche Tabakspfeife. Aber damit war das Paket noch nicht leer, es kam noch ein reizender seidener Sonnenschirm aus weißer Seide, der mit Blumen überstreut war, zum Vorschein, dann noch ein Paar elegante weiße Lederschuhe, mit rotem Lederstreifen eingefasst und mit roten Spangen, Absätzen und Knöpfen; all das für Marielies.

Diese war fassungslos vor Entzücken und lachte und weinte durcheinander. Noch größer war ihr Jubel, als sie in einer inneren Seitentasche der roten Handtasche ein Briefchen von Werner entdeckte. Es lautete:

Meine herzliebe Marielies!

Ich weiß, dass du in nächster Zeit durch den Missionar Bode, den ihr auf Paradiso erwartet, konfirmiert werden sollst. Du sollst die weißen Schuhe zu dem weißen Einsegnungskleid tragen, und in diesen Schuhen sollst du dann aus der Kinderzeit in die Jungmädchenzeit hinüberspringen. Wie gerne wäre ich dabei. Ich habe gestaunt, als du mir schriebst, dass du eingesegnet werden sollst und nun ein großes Fräulein werden wirst. Behalte mich nur lieb, Marielies, sonst bin ich sehr traurig.

Dein treuer Werner

Marielies wurde ganz rot und blass, als sie diesen kurzen Brief las. Sie trennte sich nur ungern so lange davon, bis ihn Vater und Mutter gelesen hatten.

Man ging zu Tisch. Dem Kapitän wurde schon ganz flau vor Hunger, weil er in Erwartung von Frau Hohwarts guter Küche zu lange gefastet hatte. Man saß in sehr froher Stimmung beisammen. Der Hausherr hatte einen guten Tropfen auftragen lassen, einen feurigen Burgunder, den nicht bloß der Kapitän, sondern auch der Hausherr liebte. Das war der einzige Genuss, dem sich Klaus Hohwart in etwas unvernünftiger Weise hingab.

Es wurde ziemlich spät an diesem Abend. Als die Erwachsenen zur Ruhe gingen, lag Marielies längst in ihrem Bett und hatte Werners Geschenke neben sich aufgebaut, damit sie sie gleich sähe, wenn sie erwachte.

Etwa zwei Wochen später kam mit der „Marielies“ der Missionar Bode, der sich immer auf der Rundfahrt zwischen den Inseln befand und schon vor Jahren den Segen über das Grab von Marielies‘ Mutter gesprochen hatte. Er hatte auch Werner konfirmiert und sollte nun Marielies in die Gemeinschaft der erwachsenen Christen aufnehmen.

Als das heilige Abendmahl vorüber und der Missionar bereits wieder abgefahren war, weil er anderwärts erwartet wurde, war Marielies mit den Eltern allein. Und da brachte ihr die Mutter das sorgfältig aufbewahrte Schmuckstück, das man seinerzeit bei Marielies‘ Mutter gefunden hatte. Es war ein ovales, mit kostbaren Steinen reich besetztes Medaillon, das an einer feinen Goldkette hing. Anna legte es Marielies mit einem Segensspruch um den Hals und erzählte ihr, dass ihre tote Mutter es getragen und dass man es für sie verwahrt habe, damit sie ein Andenken an ihre Mutter haben solle.

Marielies wurde ganz blass und machte große Augen.

„Also alles, was von meinen Angehörigen übrig geblieben ist, ist dies Medaillon. Es ist sehr schön und wohl auch sehr kostbar. Kann man es öffnen?“

„Ja, warte, ich zeige dir, wie es zu öffnen ist. Ein Bild ist darinnen verwahrt, das Bild eines Mannes; und da deine Mutter das Medaillon trug, war es wohl das Bild deines Vaters. Aber es ist durch das eingedrungene Seewasser ganz unkenntlich geworden.“