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Graf Udo von Plessen hat schwere Schuld auf sich geladen. Von Eifersucht verblendet, erschoss er einen Rivalen. Doch die Tat bleibt ungesühnt, denn die Frau, um deretwillen er zum Mörder wurde, schweigt. Graf Udo trennt sich von ihr. Angst ist fortan sein ständiger Begleiter. Auch als ihn sein Herz zu der reizenden Erzieherin seiner Schwester zieht, wagt er nicht, um sie zu werben, obwohl ihm ihre Augen verraten, dass sie ihm ebenso zugetan ist wie er ihr. Aber er darf sie nicht mit in seine Schuld hineinziehen. Schon glaubt Graf Udo, für immer auf ein Glück mit Eva verzichten zu müssen, da tritt ein dramatisches Ereignis ein, das ihn für kurze Zeit vergessen lässt, was ihn von Eva trennt ...
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Seitenzahl: 150
Cover
Impressum
Durch Liebe erlöst
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Anne von Sarosdy/Bastei Verlag
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-2206-4
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Durch Liebe erlöst
Einer der berühmtesten Romane der beliebten Schriftstellerin
Udo Graf Plessen auf Plessentin war der einzige Sohn des Grafen Herbert, der einen wahrhaft fürstlichen Besitz sein Eigen nannte. Schloss und Gut waren im weiten Umkreis bekannt.
Vor mehreren Jahren hatte Graf Udo seine Mutter verloren, als sie einem Töchterchen das Leben gab. Damals zählte er bereits zwanzig Jahre und war eben im Begriff, die Universität in Bonn zu beziehen.
Er verschob diese Absicht für kurze Zeit, um seinem Vater in der Trauerzeit zur Seite zu stehen. Dieser trug schwer am Verlust der geliebten Frau.
Gräfin Ulrike war noch nicht vierzig Jahre alt, als sie starb. Ihr gütiges Wesen hatte sie überall beliebt gemacht. Da war es kein Wunder, wenn Graf Herbert den Verlust kaum zu tragen vermochte.
Man hatte sie hinausgetragen in die kühle Gruft des Plessentiner Schlosses. Statt ihrer hatte ein winziges Mädchen Einzug ins Schloss gehalten.
Der Vater mochte in seinem Schmerz nichts von dem Kind sehen und hören.
Udo erbarmte sich des kleinen Wesens. Es tat ihm Leid in seiner Hilflosigkeit. Er betrachtete die Schwester als ein teures Vermächtnis der Mutter und ließ dem Vater nicht eher Ruhe, bis er den ungerechten Groll gegen Klein Hella gemildert hatte.
Erst dann, als es der Vater über sich brachte, das Kind anzusehen, und als er sich von Neuem dem Leben zuwandte, reiste Udo nach Bonn. Sein Vater verwand jedoch die Trauer um seine Frau nicht. Er wurde nie mehr der frohe Weltmann früherer Tage. Still und zurückgezogen lebte er auf Plessentin, und nur, wenn Udo in den Ferien nach Hause kam, war Leben in dem großen Schloss.
Klein Hella wuchs trotz der trüben Umgebung vergnügt auf. Sie war ein echtes Sonnenkind mit goldig-schimmerndem Haar und den strahlenden Blauaugen der Mutter.
Als sie erst auf den drallen Beinchen durch die weiten Räume des Schlosses tollte und lachend und schmeichelnd den Vater umkoste, als ihre Ähnlichkeit mit der Mutter mehr und mehr hervortrat, da schwand des Grafen Groll auf das liebliche Kind endlich ganz.
Die Jahre gingen dahin. Udo hatte seine Studien beendet und war der deutschen Botschaft in Paris zugeteilt worden. Dadurch kam er seltener nach Hause. Er schickte aber dem Schwesterchen oft Geschenke und kleine, herzliche Briefchen, die sie dann mühsam mit ihren ersten Kräkelfüßen beantwortete.
Stillsitzen und Lernen waren Hella ein Gräuel.
Es stand demzufolge schlecht mit der Gelehrsamkeit. Aber reiten und klettern konnte sie vorzüglich, darin nahm sie es mit dem wildesten Jungen auf.
Dem jungen Grafen gefiel es in Paris sehr gut. Er genoss sein Leben in vollen Zügen.
Seine natürliche Liebenswürdigkeit machte ihn überall beliebt. Er wurde von den Damen der Gesellschaft in jeder Weise verwöhnt und besaß sehr viele Freunde. Dass er trotzdem keine Miene machte, sich zu vermählen oder überhaupt eine der Damen auszuzeichnen, fiel auf. Man wollte ihn zuweilen mit einer bildschönen jungen Begleiterin gesehen haben, die nicht zur Gesellschaft gehörte. Er wurde von seinen Freunden deshalb weidlich geneckt, bis er sich eines Tages energisch diese Neckereien verbat.
Natürlich sprach man in seiner Abwesenheit nun erst recht davon. Es wurde bald allgemein bekannt, dass Udo Plessen ein Liebesverhältnis mit einer Dame hatte, die außerhalb seines Kreises leben musste.
Eines Tages war Udo verstört, bleich und elend in seine Wohnung zurückgekehrt und wie ein Wahnsinniger am Diener vorüber in sein Zimmer gestürmt. Der Diener hörte ihn zuweilen aufstöhnen wie in höchster Seelenqual.
Als Udo am nächsten Tag aus seinem Zimmer trat, erschrak der Diener bei seinem Anblick. So furchtbar verändert hatte sich das sonst so lebensfrohe Gesicht, dass der Diener an eine schwere Krankheit seines jungen Herrn glaubte.
„Befehlen Herr Graf, dass ich den Arzt hole?“, hatte er gefragt.
Udo hatte den Kopf geschüttelt und ihm mit der Hand zugewinkt. Dann war er ausgefahren. Als er nach einigen Stunden zurückkehrte, schien er im Schmerz und Gram über ein Erlebnis wie erstarrt. Und dann hatte er sich auf das Ruhebett geworfen und stundenlang starr zur Decke emporgesehen. Erinnerungen quälten ihn …
Ein kleines, hübsches Landhaus bei Paris. Dort wohnte seit Monaten eine Dame mit ihrer Dienerin. Das Häuschen lag ganz im Grünen und weitab von anderen Behausungen. Jeden Tag um die Dämmerstunde fuhr ein Wagen vor, dem ein hoch gewachsener junger Mann entstieg. Er eilte stets mit ungeduldigen Schritten ins Haus und wurde dort von der schönen jungen Dame begrüßt. Er nannte sie mit den zärtlichsten Namen, und sie ließ sich lächelnd seine überschwänglichen Liebkosungen gefallen.
Eines Tages war Graf Udo – dies war der junge Herr – zu einer anderen Tageszeit als sonst zu dem kleinen Landhaus hinausgefahren. Er hatte den Wagen an der Straßenecke halten lassen und war lächelnd auf das Häuschen zugeschlichen. Galt es doch, die geliebte Frau zu überraschen.
Leise hatte er mit seinem Schlüssel die Tür geöffnet und war eingetreten. Die Dienerin, der er im Flur begegnete, erschrak heftig bei seinem Anblick und wollte ihm den Weg vertreten. Doch er schob sie lächelnd beiseite.
Da hörte er plötzlich das laute Lachen einer Männerstimme aus dem Zimmer der geliebten Frau erschallen. Erstaunt wandte er sich nach der Zofe um. In deren Gesicht stand deutlich Schuldbewusstsein zu lesen. Erneut wollte sie ihn zurückhalten; er blickte forschend in ihre Züge. Da – wieder dasselbe Lachen!
Er zuckte zusammen. Sinnlos vor Eifersucht trat er schnell in das Zimmer; seine Hand hatte einen Revolver hervorgezogen. Mit dunkel gerötetem Gesicht stand er auf der Schwelle. Da lag die Frau, der sein ganzes Herz gehörte, in nachlässiger Grazie auf dem Ruhebett, ihr zur Seite ein junger Mann. Er hielt sie umschlungen, die beiden küssten sich und waren so vertieft in zärtliches Kosen, dass sie den Eintretenden nicht bemerkt hatten.
Plötzlich krachte ein Schuss. Entsetzt schrie die Frau auf, und ihr Liebhaber sank getroffen zu Boden.
Graf Udo lehnte an der Tür und sah mit Grausen auf sein Opfer herab. Der rote Nebel sinnloser Eifersucht war vor seinen Augen verschwunden. Er sah mit Entsetzen, was er in maßloser Leidenschaft getan hatte. Dann blickte er auf das schöne Weib, das ihm voll Furcht und Grauen ins Gesicht starrte.
„Das ist dein Werk!“, rief er und stürzte davon, wie von Furien gejagt.
Am anderen Tag war er nochmals in das kleine Haus zurückgekehrt. Er fand nur die Dienerin, die ihm zitternd auf seine Fragen Auskunft gab.
„Wo ist Madame?“
„Abgereist, gnädiger Herr!“
„Und – was ist mit – mit – ihm geschehen?“
Die Frage schien ihn viel Überwindung zu kosten. Die Zofe reichte ihm einen Brief.
„Darüber wird Ihnen dieser Brief Auskunft geben, gnädiger Herr.“
Udo griff mit zitternder Hand danach und wischte über die Augen, als ob er etwas entfernen wollte. Dann öffnete er den Brief.
Er lautete:
Ich fliehe vor dir, denn ich fürchte mich. Du hast in blinder Wut einen Mann erschossen, der einst mein Freund war, mein Jugendgeliebter. Lange Jahre blieb er der Heimat fern. Heute war er zurückgekehrt, und die alte Liebe erwachte in unseren Herzen. Ich fühlte, dass ich dich nie geliebt habe – nie –, aber ich wurde dein, weil du mich mit Glanz und Wohlleben umgabst. Du hast meinen Geliebten ermordet, mir graut vor dir, aber ich will dich nicht den Gerichten überliefern.
Mein Jugendfreund wird hier von niemand vermisst werden, ich habe ihn mit Barett heute Nacht beiseite geschafft – eine furchtbare Arbeit. – Alle Spuren sind verwischt.
Unserer Verschwiegenheit kannst du sicher sein, wenn du Barett zehntausend, mir hunderttausend Francs auszahlst. Barett wird mir mit dem Geld folgen. Wir werden uns nie wiedersehen. Ich schwöre dir, dass nie ein Mensch erfahren soll, dass du zum Mörder wurdest. Leb wohl und suche zu vergessen, wie ich es tun will.
Liliane
Der junge Graf lehnte sich wie im Schwindel an die Wand und sah starr in das Gesicht der Zofe. Er hatte noch eine leise Hoffnung gehabt, der Verwundete wäre am Leben geblieben. Diese war nun vernichtet.
Er wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. Etwas wie Mitleid blickte ihn aus den Augen der Zofe an.
„Fassen Sie sich, Herr Graf!“, sagte sie leise.
Er richtete sich auf und riss zwei Blätter aus seinem Scheckbuch.
„Erheben Sie das Geld bei meinem Bankier – ich unterrichte ihn, Barett, und – und – nun, Sie werden wissen, was Sie dann zu tun haben. Ich – ich kann nicht darüber sprechen.“
Die Zofe küsste schnell seine Hand.
„Ich danke sehr, Herr Graf, und Sie sollten nicht so elend sein – es war ein Unglück – kein Verbrechen!“
Er winkte ihr zu und ging langsam, mit unsicheren Schritten, davon.
Dies waren die Vorgänge, denen Udo nachsann, bis ihn der Diener störte. Er trug ein Telegramm auf dem silbernen Tablett. Udos Vater lag im Sterben. Man rief den Sohn und Erben heim.
***
Graf Udo war sofort abgereist. Beim Morgengrauen traf er in Plessentin ein.
Er kam zu spät. In der acht war Graf Herbert gestorben.
Sein Sohn stand mit schmerzdurchwühltem Gesicht am Totenbett des geliebten Vaters. Keine Träne brachte ihm Linderung. Mit brennenden Augen sah er in die friedvollen Züge, bis er allein mit dem teuren Toten war, bis der Diener, der ihn hereingeführt, das Zimmer verlassen hatte.
Dann sank er in die Knie und drückte seine zuckenden Lippen auf die erkaltete Hand seines Vaters.
„Vater, mein teurer Vater, gut, dass du gegangen bist. Gut, dass dir erspart bleibt, deinen Sohn mit Schuld bedeckt zu sehen. Vater, hilf, dass ich‘s trage! Hilf, dass unser alter Name nicht befleckt wird, dass meine Schwester nie erfährt, was ich getan habe!“
Er legte seine schmerzende Stirn auf die kalte Hand des Vaters.
Da kam etwas wie Ruhe über ihn. Wollte die tote Hand noch Segen erteilen? Hatte Vaterliebe Macht über das Grab hinaus? Stundenlang blieb Udo mit dem Toten allein. Die Sonne ging auf und warf ihre Strahlen in das Sterbezimmer.
Da wurde leise die Tür geöffnet. Leichte Kinderfüße schritten über den Fußboden, und zwei weiche Arme umschlossen den jungen Grafen.
„Udobruder, o Udobruder!“
Jammernd sank Hella neben dem Bruder in die Knie und barg ihr Köpfchen mit dem vom Weinen verschwollenen Gesicht an seiner Brust.
Er zuckte zusammen. Einen Augenblick schien es, als wollte er vor der Berührung zurückschrecken. Dann aber legte er wie schützend den Arm um das weinende Kind.
Später nahmen die Geschäfte, die einen Trauerfall in einem so großen Haus zu begleiten pflegen, Udos ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Er musste Befehle erteilen und Anordnungen treffen. Die Todesanzeigen mussten fortgeschickt, das Begräbnis vorbereitet werden.
Es gab eine Unmenge zu tun für den jungen Grafen. Und das war gut. Es lenkte ihn ab von seinen düsteren Gedanken und half ihm über die schwerste Zeit hinweg.
Die Dienerschaft flüsterte darüber, dass der junge Herr so elend und verstört zurückgekehrt war.
Franz, der Diener, den Udo mit in Paris gehabt hatte, setzte eine wissende Miene auf.
„Es ist nicht bloß der Tod des seligen Herrn Grafen, der ihn so heruntergebracht hat. Ich sage euch weiter nichts, aber wenn ich sprechen wollte – es gibt Abenteuer in Paris, Abenteuer, ihr macht euch keinen Begriff davon!“
Man wollte mehr von ihm wissen. Da der dumme Wichtigtuer aber selbst nichts wusste, zuckte er nur vielsagend die Schultern.
„Verschwiegenheit ist Ehrensache. Nur eins kann ich euch verraten: Was in Paris passiert, hängt immer mit Weibsleuten zusammen.“
Man sah den erfahrenen Mann bewundernd an, und „Monsieur“ Franz ging im erhebenden Bewusstsein davon, eine wichtige Persönlichkeit geworden zu sein.
Die nächsten Tage vergingen in Unruhe. Gäste trafen ein, die dem Grafen Herbert das letzte Geleit geben wollten. Man kondolierte Udo und fragte, ob man ihm irgendwie behilflich sein könnte.
Auf all das musste Udo Rede und Antwort stehen.
Als das Begräbnis endlich vorbei war, atmete er erleichtert auf und zog sich auf einige Stunden auf sein Zimmer zurück.
Hella hatte er gesagt, dass er todmüde sei und schlafen wolle. Das Kind umschlang ihn liebevoll.
„Geh, Udobruder, und schlaf dich aus! Ich lasse niemand in dein Zimmer. Du sollst nicht gestört werden.“
Udo aber fand den heiß ersehnten Schlaf nicht. Seine Schuld stand vor ihm und hielt die Ruhe fern; Angst, dass seine Schuld ans Tageslicht kommen könnte, packte ihn wie mit Geierkrallen.
Würde er zeit seines Lebens dieses würgende Gefühl mit sich herumschleppen müssen? War es dann nicht besser, ein Ende zu machen?
Aber dagegen bäumte sich seine Jugend auf. Mit einem Selbstmord machte er seine Schuld nur noch größer, und – seine unmündige Schwester wäre dann ganz verlassen! Nein, er wollte Hella Vater und Mutter zu ersetzen versuchen. Er wollte Not und Elend lindern und Gutes tun, soviel in seiner Macht stand. Das war eine bessere Sühne als Selbstmord.
***
Fünf Jahre waren seit dem Tod des Grafen Herbert vergangen. Die Gesellschaft in der Nachbarschaft hatte gehofft, dass nach Ablauf des Trauerjahres Schloss Plessentin wieder Schauplatz heiterer Geselligkeit werden würde. Darin hatte man sich jedoch getäuscht. Der junge Graf lebte noch zurückgezogener als sein Vater.
Man zerbrach sich den Kopf darüber, was den früher so lebenslustigen Mann so still und ernst gemacht hatte. Herr von Brenken, ein Freund von Udos Vater, besuchte ihn eines Tages.
„Lieber Udo, ich kenne Sie schon seit Ihrer frühesten Kindheit. Ich kann es nicht länger mit ansehen, dass Sie sich hier in Plessentin wie ein Einsiedler vergraben. Sie bilden sich zum Sonderling aus. Das Andenken Ihres teuren Vaters in Ehren – aber er selbst würde nicht damit einverstanden sein, dass die Trauer um ihn Sie zum Einsiedler macht.“
„Das bin ich gewiss nicht, Herr von Brenken, ich finde nur keine Befriedigung mehr am lauten Treiben der Gesellschaft.“
„Sie müssen heiraten, lieber junger Freund. Sie sind der letzte Ihres Stammes.“
Udo machte ein gequältes Gesicht.
„Das hat Zeit, ich bin noch jung.“
„Schön, Sie müssen das selbst wissen. Ich wollte nur einmal mit Ihnen sprechen. Auch an Ihr Schwesterchen müssen Sie denken. Wenn sie erst zur jungen Dame heranwächst, muss sie in die Gesellschaft eingeführt werden.“
„Meine Schwester ist noch ein Kind. Damit eilt es nicht.“
Herr von Brenken schüttelte Udo herzlich die Hand und ging.
Erreicht hatte er nichts. Udo hielt sich nach wie vor zurück.
Kamen zuweilen Gäste nach Plessentin, so wurden sie freundlich und aufmerksam bewirtet. Klein Hella plauderte lustig drauflos, und Udos Schweigsamkeit fiel nicht so auf.
Töchtergesegnete Familien versuchten natürlich alles, Udo für sich zu gewinnen, und mancher jungen Dame schlug beim Anblick des hübschen Mannes mit den schwermütigen Augen das Herz unruhig in der Brust.
Es verging aber Jahr um Jahr, ohne dass Udo Anstalten gemacht hätte, Plessentin eine Herrin zu geben.
Rührend war Udos Verhältnis zu Hella. In ihrer Gegenwart versuchte er, so schwer es ihm auch wurde, ein heiteres Gesicht zu machen; Hella hatte bald die Trauer um den Vater verwunden. Sie war noch ein Kind und ihr Gemüt sonnig und heiter.
Bald jubelte sie wieder wie ein zwitscherndes Vöglein durch Park und Schloss. Wenn sie ins Dorf ging, um mit ihren kleinen Händen Gaben für Kranke und Arme zu bringen, dann sahen die derben Bauern andächtig in das holde Gesicht der kleinen Gräfin.
Die Bewohner des Dorfes Plessentin hatten jetzt eine gute Zeit. Udo baute ihnen Schule und Kirche aus, errichtete ein Versorgungshaus für Kranke und Arme und war stets bereit, zu raten und zu helfen, wenn es seinen Leuten an etwas fehlte.
Hella durfte zu Weihnachten die Dorfjugend beschenken, und zu ihrem Geburtstag wurden sämtliche Kinder im Schlossgarten mit Schokolade und Kuchen bewirtet.
Bei solchen Gelegenheiten war es eine Lust, die goldblonde Hella zu beobachten. Wie glückselig sie aussah, wenn sie ringsherum Freude austeilen konnte!
Und Udo schien nur noch für das Wohl seiner Schwester und seiner Untergebenen zu leben. Für sich verlangte er nichts mehr vom Leben, als sühnen zu können, was ihn mit Schuld beladen hatte. Alles Glück erflehte er für seine Schwester.
Diese war dabei durchaus nicht das, was man ein Musterkind nennt. O nein! Sie hatte kleine Unarten genug und wollte sich nicht zum Lernen bequemen. Ihre Erzieherinnen hatten ihre Not mit dem Wildfang.
Als sie zwölf Jahre alt war, drohte Udo, sie in eine Erziehungsanstalt zu schicken. Aber da gab es Tränen, und die Bitten wollten kein Ende nehmen. Hella versicherte ernsthaft, dass sie in der Fremde vor Sehnsucht nach Plessentin sterben müsse.
Udo brachte es nicht über sich, sie fortzuschicken. Es wurde also eine neue Erzieherin angenommen. Ein Weilchen ging es dann auch gut. Hella war artig und wollte ihrem geliebten Udobruder gewiss keinen Ärger bereiten. Lachte aber dann die Sonne wieder zum Fenster herein, waren alle guten Vorsätze vergessen.
Da musste Hella bald wieder überall gesucht werden, wenn es ans Lernen gehen sollte. Und die Erzieherin beschwerte sich wieder und wieder bei Udo.
So auch heute.
Fräulein Daumann betrat das Arbeitszimmer des Grafen und teilte ihm mit, dass sie Plessentin verlassen wolle. Sie müsste sich zu viel über Hella ärgern. Udo hörte ihr still zu – er war solche Auftritte schon gewöhnt – und sagte dann:
„Es ist gut, Fräulein Daumann. Ich kann Sie natürlich nicht hindern zu gehen. Es tut mir Leid, aber ich meine, Sie hätten etwas mehr auf die Eigenart meiner Schwester Rücksicht nehmen sollen.“
„Oh, Herr Graf, Sie nennen Eigenart, was nur grobe Unart ist!“
Udo erhob sich und sah sie ruhig an.
„Ich kenne meine Schwester länger und auch besser als Sie. Glauben Sie mir, sie ist ein gutes Kind mit einem reinen, goldenen Herzen. Nur ist sie wild und ungestüm und – ein bisschen zu offenherzig. Doch genug, Sie wollen gehen, ich halte Sie nicht.“
Fräulein Daumann entfernte sich mit einer Verbeugung und einem unglaublich hämischen Gesichtsausdruck. Udo sah nachdenklich hinter ihr her. Mit so wenig Güte im Gemüt sollte eine Frau diesen schwierigen Beruf nicht ergreifen. Seufzend ging er in den Garten hinaus, um Hella zu suchen und ihr wieder einmal den Kopf zurechtzurücken.