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Als die bezaubernde Dolores Vanzita auf dem Gut Armada im fernen Brasilien zum ersten Mal das Bild ihres deutschen Cousins betrachtet, da bemächtigt sich ihrer ein Gefühl seltsamer, nie gekannter Erregung. Mit jeder Faser ihres Seins fiebert die schöne junge Frau der ersten Begegnung mit Hans Dornau entgegen, den sie während einer Deutschlandreise kennenlernen soll. Dolores ahnt nicht, dass der unbekannte Vetter zur gleichen Zeit in tödlicher Gefahr schwebt...
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Seitenzahl: 184
Cover
Impressum
Die Herrin von Armada
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Wolf
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-2211-8
www.bastei-entertainment.de
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Die Herrin von Armada
Ein erfolgreicher Roman der berühmten Schriftstellerin
Dolores Vanzita saß mit ihren beiden Freundinnen Angela Frasquita und Inez Hermados auf dem schattigen Teil der breiten Veranda, die das Wohnhaus auf der Hazienda Armada von allen Seiten umgab.
Die drei Freundinnen waren kaum dem Kindesalter entwachsen und standen im so genannten Backfischalter. Sie hatten sich, wie immer, wenn sie zusammen waren, sehr viel zu erzählen, während Senhora Frasquita, Angelas Mutter, ein Mittagsschläfchen hielt.
Senhora Frasquita hatte das Amt einer Ehrendame für Dolores Vanzita während der Dauer der Abwesenheit ihres Stiefvaters, Doktor Lutz Rodenbergs, übernommen. Dieser weilte in Deutschland, seiner Heimat, der er lange hatte fernbleiben müssen, und seine Abwesenheit war auf einige Monate berechnet. Damit Dolores nicht allein bleibe, hatte er Senhora Frasquita gebeten, während seines Fernseins nach Armada überzusiedeln, und zwar mit ihrer Tochter Angela, Dolores’ Freundin.
Sehr gern hatte Senhora Frasquita dieses Amt übernommen. Ihr Gatte war seit einigen Jahren Postmeister auf der nächsten Poststation. Das war ein sehr schlecht bezahlter Posten, und man musste sich sehr einschränken und ein sparsames Leben führen. Ein Aufenthalt auf Armada, dieser herrlichen Hazienda, erschien Mutter und Tochter daher sehr verlockend.
Dolores Vanzita gehörte nicht nur dieser wundervolle Landsitz, den sie von ihren Eltern geerbt hatte, sondern auch ein großes Barvermögen. Ihr Reichtum hatte sich mindestens verdoppelt, seitdem ihr Stiefvater, ein deutscher Ingenieur, reiche Silberadern auf ihrem Grund und Boden entdeckt hatte. Er hatte ein Silberbergwerk errichtet, um dem Boden seine reichen Schätze abzugewinnen. Und so war es nicht verwunderlich, wenn auf Armada nicht geknausert zu werden brauchte. Senhora Frasquita und auch ihre Tochter Angela fanden es herrlich, einmal für einige Monate aus dem Vollen schöpfen und alles genießen zu dürfen, was Reichtum gestattet.
Außerdem freute sich Angela sehr auf ein länger werdendes Zusammenleben mit ihrer Freundin Dolores. Durch diese wurde sie gewissermaßen über ihre Sphäre hinausgehoben. Auch der Verkehr mit Inez Hermados hatte dazu beigetragen, Angelas Leben zu verschönern. Jene war die einzige Tochter eines reichen Viehzüchters, der einige Stunden Wegs von Armada entfernt einen riesigen Vieh-Rancho besaß, wo er Pferde- und Rinderzucht betrieb. Somit war auch Inez eine reiche Erbin, aber beide, Dolores und Inez, ließen Angela in keiner Weise fühlen, dass sie ein armes Mädchen war.
Inez war gleich nach der Abreise von Lutz Rodenberg auf einige Wochen zu Besuch nach Armada gekommen, und jetzt hatte sie zum zweiten Mal Urlaub von ihren Eltern erhalten. Sie wollte gern dazu beitragen, Dolores die Trennung von dem geliebten Vater zu erleichtern. Heute Morgen war sie nach zweistündiger Fahrt mit dem Auto gekommen, und ihr Reitpferd, ohne das sie nicht sein konnte, war schon vorher nach Armada gebracht worden.
Frasquitas und Hermados waren die nächsten Nachbarn der Bewohner von Armada. Außer mit diesen beiden Freundinnen hatte Dolores keinerlei Verkehr. Mit den Damen ihrer Beamten von dem Armada-Werk kam Dolores nur selten zusammen, wenn diese bei feierlichen Gelegenheiten Visite machten. Sie konnte diese Damen nicht gut leiden, weil sie so unnatürlich und geschraubt waren. Da plauderte sie schon lieber mit ihren Dienerinnen Boni und Joni, Mutter und Tochter, die Negerinnen waren. Alle Diener im Hause hatten dunkle Hautfarbe.
Bonis Mann und Jonis Vater war Hausmeister. Auch er war Neger. Boni und Joni hatten Dolores persönliche Bedienung übernommen und vergötterten ihre junge Herrin genauso, wie sie von der gesamten Dienerschaft und auch von den Arbeitern im Bergwerk vergöttert wurde. Denn sie war stets freundlich und gütig zu ihnen, kümmerte sich um alle ihre Freuden und Leiden und hatte für jeden ein Scherzwort bereit.
Jetzt, nach Tisch, saßen die drei Freundinnen auf der Veranda. Inez hatte von daheim berichtet, und Dolores erkundigte sich interessiert nach einigen ihrer Lieblingspferde, die sie auf dem Rancho von Inez’ Vater geritten hatte.
Angela und Inez schwärmten nach Jungmädchenart für Lutz Rodenberg, Dolores’ Stiefvater, der für sie der Inbegriff eines vornehmen und eleganten Kavaliers war. Es störte sie nicht, dass er viel älter war als sie, zumal er für seine Jahre wirklich noch jung aussah. Inez fragte nun sehr interessiert, ob Dolores wieder Nachricht von ihm habe.
„Oh, schon mehrere Male, Inez, da muss ich dir viel erzählen. Also, dass mein Lutzvater gut in Deutschland angekommen ist, wisst ihr beide schon, ebenso, dass er fünfzehn Jahre lang für seine Angehörigen als tot und verschollen galt, weil er es so wollte.“
„Ja, doch, Dolo, er war aus Deutschland geflohen, weil er glaubte, im Streit einen Menschen erschlagen zu haben, und weil man ihn deshalb ins Gefängnis bringen wollte. Niemand sollte wissen, dass er noch lebte, und weil der Dampfer, den er auf seiner Flucht benutzte, mit Mann und Maus unterging, hat man in Deutschland ebenfalls an seinen Tod geglaubt.“
„Ja, aber Dolores Mutter hat ihn halb verhungert und ohnmächtig im Meer gefunden, als sie mit ihrer Jacht eine Segelfahrt unternommen hatte. Niemand erfuhr davon, nicht einmal sein Vater. Oh, es ist eine beinahe märchenhafte Geschichte, ich höre sie immer wieder gern“, sagte Angela verzückt.
„Ich habe sie euch wohl schon ein Dutzend Mal erzählen müssen.“
„Macht nichts, wir hören sie immer wieder gern. Und dann wie romantisch, dass deine Mutter und er sich so ineinander verliebten. Und da deine Mutter Witwe war, konnten sie bald heiraten und lebten unendlich glücklich miteinander bis zu deiner Mutter Tod. Aber noch viel romantischer ist, dass nun nach fünfzehn Jahren herausgekommen ist, dass dein Lutzvater unschuldig war und dass nicht er jenen Mann erschlagen hat, sondern einer seiner Freunde, der es erst auf seinem Sterbebett bekannte, und dass er nun heimkehren konnte, um sein reiches Erbe anzutreten. Wie wird sich nun deine und seine Zukunft gestalten?“
„Darüber macht euch keine Sorgen, das wird mein Lutzvater schon alles in Ordnung bringen, er ist es gewöhnt, schwierige Aufgaben zu lösen.“
„O ja, er ist ein herrlicher Mensch! Aber warum sagst du eigentlich immer Lutzvater zu ihm, danach wollte ich dich schon immer fragen“, sagte Inez.
„Gott, bist du schwer von Begriff, Inez. Weil er doch nicht mein richtiger Vater ist, mein richtiger Vater hieß Vanzita, wie ich selbst. Und ein Unterschied muss doch sein. Stiefvater, das klingt so hässlich, mein Lutzvater ist mir kein Stiefvater. Und meinen richtigen Vater habe ich gar nicht gekannt, er starb schon, als ich kaum auf die Welt gekommen war. Und ich habe meinen Lutzvater mindestens so lieb, als wäre er mein rechter Vater.“
„Oh, er verdient es auch, nicht wahr, Angela?“, fragte Inez.
Angela schlug die Augen gen Himmel. „Ich schwärme für ihn, er ist ein Kavalier! Und so jung sieht er noch aus.“
„Obwohl er schon vierundvierzig Jahre alt ist“, sagte Dolores. „Aber nun schwatzen und schwatzen wir, und ich komme nicht dazu, euch zu berichten, was er geschrieben hat.“
Die drei jungen Mädchen sahen sich lachend an.
„Richtig! Also los, Dolo!“, forderte Inez sie auf.
„Also hört. Mein Lutzvater ist gerade zur rechten Zeit nach Hause gekommen, um helfen zu können, seinen Neffen, Hans Dornau, aus einer sehr schwierigen Lage zu befreien. Denkt euch nur, dieser Neffe sollte die Rodenberg-Werke erben, falls mein Lutzvater wirklich nicht wieder auftauchen sollte. Und das gönnte ihm sein schurkischer Vormund nicht, der mit einer Schwester von Lutzvater verheiratet ist und selber nach dem Erbe trachtete. Er glaubte ganz bestimmt, Lutzvater sei tot. Und so trachtete er Hans Dornau nach dem Leben.“
„Um Gottes willen!“
„Nicht wahr, Inez, das ist doch grässlich? So ein schlechter Mensch. Er wollte Alleinherrscher in den Rodenberg-Werken bleiben, und deshalb sollte der arme Hans Dornau aus dem Weg geräumt werden. Aber ein Freund von ihm ist hinter die Schliche des Vormundes gekommen, und als just zu dieser Zeit mein Lutzvater auftauchte, wobei er sich erst nur diesem Freund, dem Oberingenieur Doktor Rolf Bernd, zu erkennen gab, verriet ihm dieser, dass der Vormund Böses gegen seinen Neffen im Schilde führte. Lutzvater und Doktor Bernd schlossen einen Bund, um Hans Dornau zu beschützen, und konnten so einen Autounfall, den der Vormund in Szene setzen wollte, um Hans Dornaus Leben zu gefährden, verhindern und den Vormund dabei fassen. Lutzvater gab sich zu erkennen, trat sein Erbe an und entließ den schurkischen Vormund, der kaufmännischer Direktor der Werke war.“
„Oh, das ist doch eine viel zu geringe Strafe“, ereiferte sich Angela.
„Ja, das finde ich auch“, pflichtete Inez bei.
„Aber nun hört weiter, ich habe noch mehr Interessantes zu berichten. Hans Dornau hat eine Schwester, sie heißt Eva Maria und soll überaus reizend und lieb sein. Sie ist mit jenem Doktor Rolf Bernd verlobt, der ihren Bruder gerettet hat. Ist das nicht interessant?“
„Der reinste Roman, Dolo! Hat dein Vater noch mehr Angehörige?“
„Ja, seine Schwester Melanie, die eben leider mit dem schurkischen Vormund verheiratet ist.“
„Oh, wie schrecklich.“
„Ja, und sie haben zwei Kinder, die etwa in demselben Alter sind wie Hans und Eva Maria Dornau. Sie heißen Jolante und Egon Mertens.“
„Also noch einen Cousin und eine Cousine für dich.“
„Ja, mit einem Mal habe ich eine Menge Verwandte.“
„Aber wie traurig ist es für diese Tante Melanie und ihre Kinder, einen solchen Mann und Vater haben zu müssen.“
„Zum Glück wissen sie um das Schreckliche nicht, man hat es ihnen verschwiegen, und ihretwegen hat man Hans Dornaus Vormund auch nicht der Polizei übergeben.“
„Was eigentlich sehr schade ist, er müsste hart bestraft werden.“
„Aber ihr könnt euch wohl denken, dass Lutzvater das seiner Schwester und ihren Kindern ersparen wollte.“
„Selbstverständlich, sonst hätten die Unschuldigen mit dem Schuldigen leiden müssen. Du wirst wohl nun alle diese Verwandten kennen lernen, Dolo, gewiss reist du einmal hinüber nach Deutschland.“
„Selbstverständlich, Inez, sobald mein Lutzvater alles in Ordnung gebracht hat, wird er mich holen.“
Bestürzt sahen die Freundinnen Dolores an. „Dich holen? Du willst doch nicht für immer nach Deutschland gehen?“
„Das wird Lutzvater bestimmen! Ich glaube schon, dass wir den größten Teil des Jahres drüben leben werden, denn Lutzvater muss doch die großen Rodenberg-Werke leiten, die viel größer sind als das Armada-Werk.“
„Dann wirst du uns wohl bald vergessen, Dolo.“
„O Angela, wie du nur so töricht schwatzen kannst. Ich euch vergessen, das gibt es doch gar nicht! Wir werden dauernd in regem Briefwechsel bleiben, alles werde ich schreiben, was euch interessieren kann.“
„Wenn du das nicht tust, werden wir dir sehr böse sein“, sagte Inez.
„Und du musst bedenken, Dolo, uns fällt die Trennung viel schwerer als dir, denn wir bleiben hier in den Campos zurück, in der Einsamkeit der weiten Grasfluren. Du aber kommst in die Welt hinaus, die tausend Wunder vor dir ausbreiten wird“, sagte Angela sehr traurig. Und ein wenig Neid klang auch aus ihren Worten.
***
Es war einige Tage später. Dolores lag mit einem Buch in einer Hängematte, die im Schatten zwischen den Bäumen des Gartens angebracht worden war, Angela schaukelte daneben müßig in einem Schaukelstuhl, und Inez saß, gleichfalls mit einem Buch bewaffnet, in einem Liegestuhl. Alle drei waren weiß gekleidet und boten einen reizenden Anblick. Man hätte nicht gewusst, welche von ihnen am hübschesten aussah, die braunhäutige, schwarzhaarige Inez mit den pikanten Zügen, die madonnenhaft sanft aussehende Angela mit dem fast gelblichen, aber sehr ebenmäßigen Teint und den ganz regelmäßigen Zügen, oder die mit einem pfirsichfarbenen, wundervollen Teint begabte Dolores mit dem goldrot schimmernden Haar und den samtbraunen Augen, in denen es immer funkelte, als hätten Sonnenstrahlen sich darin gefangen. Unstreitig hatte Dolores den geistig regsamsten Ausdruck, und ihre feinen, liebreizenden Züge waren belebt und ausdrucksvoll.
Sie legte nach einer Weile das Buch fort und sah über den Garten hinweg, hinaus in die weiten Campos. In ihren Augen lag eine unruhige Erwartung. Heute war Sonnabend, und am Sonnabendnachmittag pflegte Senhor Frasquita nach Armada zu kommen, um über Sonntag seine Familie zu besuchen. Dolores erwartete ihn mit Sehnsucht, nicht, weil sie in ihm einen so guten Gesellschafter sah, so lustig und witzig er auch sein konnte, sondern weil er die fällige Post mitbrachte. Und die deutsche Post traf immer sonnabends ein.
Nun blickte Dolores sehnsüchtig nach Senhor Frasquita aus, er musste ihr ja wieder einen Brief von Lutzvater bringen. Endlich vernahm sie die Hupe des Wagens und sprang wie elektrisiert aus der Hängematte.
„Angela, kleine Schlafmütze, da kommt dein Vater!“, rief sie der Freundin zu, die schläfrig vor sich hindöste.
Angela erhob sich ebenfalls, sie freute sich auf den Vater, soweit das bei ihrem Temperament möglich war. Inez aber sah nur flüchtig von ihrem Buch auf.
„Ich bin gerade beim Schluss, und wer mich stört, ist mein Todfeind!“, rief sie abwehrend. Und dann las sie weiter.
Dolores und Angela liefen lachend davon.
Senhor Frasquita, ein wohlbeleibter, aber trotzdem sehr lebhafter und beweglicher Portugiese in der Mitte der Vierzig, schwenkte Dolores schon von weitem die Posttasche entgegen, mit einem verheißungsvollen Lachen. Als der Wagen hielt, wurde er von seiner Tochter und seiner herbeieilenden Frau herzlich begrüßt. Dann begrüßte er auch Dolores, ihr die Posttasche überreichend.
„Inez müssen Sie noch eine Weile entschuldigen, Senhor Frasquita, sie liest einen Roman zu Ende und will nicht gestört werden. Auch mich müssen Sie nun entschuldigen, denn ich muss sehen, was die Posttasche enthält, und will dann meine Post lesen. Ich überlasse Sie daher einstweilen Ihrer Gattin und Ihrer Tochter, an deren Gesellschaft Ihnen jetzt am meisten gelegen sein dürfte. Pedro wird alles tun, um für Ihre Erfrischung und Erholung zu sorgen. Auf Wiedersehen nachher!“
Damit verschwand Dolores im Hause, um ihr Zimmer aufzusuchen und sich in Ruhe ihrer Post zu widmen.
Bald darauf saß sie mit glühenden Wangen und strahlenden Augen über einem Brief ihres Vaters, der folgenden Inhalt hatte:
Meine innig geliebte kleine Dolo!
Schon in dieser Woche wollte ich abreisen, aber es kam wieder ein Zwischenfall, der mich noch einige Tage aufhält. Meiner Schwester Melanies Gatte, du weißt, der Vormund meines Neffen Hans Dornau, ist vor zwei Tagen mit dem Auto tödlich verunglückt. Das, was er seinem Neffen zufügen wollte, hat ihn nun selbst ereilt, und wir alle haben das Gefühl, dass dies ein Gottesgericht ist.
Meine Schwester weilt momentan mit ihrer Tochter Jolante beim Wintersport in St. Moritz in der Schweiz, und mir oblag es, hier herzureisen, um meiner Schwester die Kunde vom Tode ihres Mannes zu bringen und sie heimzuholen. Sie ist vollständig niedergebrochen vor Schmerz und Kummer; aber Jolante steht ihrer Mutter treulich bei, sie hat sich in der kurzen Zeit, da ich sie kenne, sehr zu ihrem Vorteil verändert. Ich schrieb dir doch was für ein seltsames Geschöpf sie war mit ihrem nach Herrenart geschnittenen Bubikopf, ihrer überschlanken Knabenfigur und ihrem betonten Recht auf eigenes Erleben.
Aber was Jolante so verändert hat in dieser kurzen Zeit, ist die Liebe. Sie hat sich hier in St. Moritz in einen sehr netten, vernünftigen jungen Mann verliebt, der mir äußerst sympathisch ist. Er wird ihr bald völlig diese verwünschte Sachlichkeit ausgetrieben haben.
Dennoch wirft das Unglück, das ihren Vater traf, einen Schatten auf ihr junges Glück, aber dieser Schatten wird vorübergleiten. Jedenfalls ist die Verlobung Jolantes nun perfekt, denn ihr Vater; dessen Einwilligung noch ausstand, kann nichts mehr dagegen einwenden.
Ich habe inzwischen mein Erbe in aller Form angetreten, und es ist ein schönes Gefühl für mich, dass ich das konnte, ohne jemand damit wehzutun. Hans Dornau, der sich als der künftige Erbe der Rodenberg-Werke hätte fühlen können, da ich ja für tot galt, ist gottlob nicht im Mindesten bedrückt, dass ihm das große Erbe verlorenging. Er freut sich ganz ehrlich über meine Wiederkehr und bedauert nur, dass mein Vater sie nicht erleben konnte. Daraus ersiehst du, was für ein vornehm denkender Mensch er ist, und ich freue mich immer mehr an ihm und seiner Art. Selbstverständlich erbt er nun, genau wie seine Schwester und wie durch ihre Mutter Egon und Jolante, ein immerhin bedeutendes Vermögen und ist auch am Reingewinn der Werke prozentual beteiligt wie die anderen. Hans ist ein Prachtmensch, Dolo, meine eigene Jugend steigt aus der Vergangenheit empor, und das Herz geht mir auf, wenn er mich mit seinen blauen, ehrlichen Augen ansieht.
Auch mit Eva Maria, wirst du dich prächtig verstehen, sie ist ein wahrhaft gütiges, liebes Geschöpf, sie liebt ihren Bruder sehr und liebt selbstverständlich ihren Verlobten von Herzen. Dieser verdient es auch. Ralf Bernd ist einer von den Menschen, die man gleich ins Herz schließen und denen man ein unbegrenztes Vertrauen entgegenbringen muss.
Mit Jo wirst du dich schon verstehen lernen, wenn dir auch Eva Maria immer lieber sein wird. Alle freuen sich sehr auf dich und können die Zeit nicht erwarten, bis du bei ihnen sein wirst. Meine Schwester Melanie wird nun für uns den Haushalt leiten, dann hat sie eine Lebensaufgabe und wird sich nicht überflüssig vorkommen, wenn Jo erst verheiratet ist. Ich kauf ihr Villa Melanie ab, die ja doch viel zu groß für sie sein würde, da sie für eine große Familie gerechnet ist, aber ich lasse alles nach ihrem Geschmack neu einrichten, denn ich mag nicht zwischen den Möbeln hausen, die Arthur Mertens benutzt hat.
Doktor Ralf Bernd, ein genialer und tüchtiger Ingenieur, der von meinem Vater noch zum Oberingenieur befördert wurde, soll, da er Eva Marias Gatte wird, als technischer Direktor für die Werke verpflichtet werden. Einen tüchtigen kaufmännischen Direktor haben wir als Ersatz für Arthur Mertens bereits engagiert.
Du darfst selbstverständlich meiner Schwester Melanie niemals verraten, dass ihr Gatte ein Schurke war. Wir alle haben uns das Wort gegeben, ihr das stets zu verheimlichen, um ihr nicht einen so großen Schmerz zuzufügen.
So, meine kleine Dolo, nun habe ich dir einen langen Brief geschrieben und dir alles berichtet, was zu berichten war: Ich denke, dass ich spätestens in acht Tagen abreisen kann, werde also ungefähr eine Woche später eintreffen. Bitte grüße Senhor und Senhora Frasquita und deine beiden Freundinnen Angela und Inez. Ich schicke dir sofort ein Telegramm, wenn ich in Rio de Janeiro eintreffe, damit du mir zur rechten Zeit das Auto nach Jaimeville schicken kannst.
Wie freue ich mich, dich endlich wiedersehen zu können und dir alles zu berichten was brieflich zu umständlich ist. Sei innig gegrüßt, mein geliebtes Kind
von deinem getreuen Lutzvater
Dolo atmete tief auf, als sie diesen langen Brief durchgelesen hatte. Sie sprang empor und stürmte auf die Veranda hinaus, wo Senhor Frasquita einen ausgiebigen Imbiss eingenommen hatte und sich nun mit Frau und Tochter unterhielt.
„Eine Freudenbotschaft! Mein Lutzvater kommt in ungefähr einer Woche heim!“, rief sie erregt.
Nun kam auch Inez herbei, die eben mit ihrem Buch zu Ende gekommen war.
Dolores berichtete mit strahlenden Augen, was die Freundinnen noch erfahren mussten. Sie waren sehr befriedigt, dass Arthur Mertens von demselben Geschick ereilt worden war, das er seinem Neffen zugedacht hatte. Das war in ihren Augen eine ausgleichende Gerechtigkeit. Für Hans Dornau interessierten sie sich sehr, weil er Lutz Rodenberg so ähnlich sein sollte.
Dolos Freude fand aber bei Senhora Frasquita und ihrer Tochter nur einen matten Widerhall. Sie seufzten ein wenig, dass nun die schönen Tage von Armada vorüber sein sollten.
***
Lutz Rodenberg stand an der Reling des Dampfers, der ihn von Deutschland nach Brasilien brachte. Man näherte sich schon dem Hafen von Rio de Janeiro, dem schönsten der Welt, wie allgemein behauptet wurde.
Es waren seltsame Gefühle, die ihn bewegten, während der große Dampfer die mäßig bewegten Wellen durchschnitt. Gar nicht sehr weit von der Stelle, wo sich der Dampfer jetzt befand, nur etwa zwei Tagesreisen südlicher, hatte er damals, vor fünfzehn Jahren, als er sich auf der Flucht befand, mit dem spanischen Dampfer Schiffbruch erlitten, zwei Tagesreisen war er damals von Rio de Janeiro entfernt gewesen.
Wie durch ein Wunder war er gerettet worden, nach langen Strapazen, gerettet durch Helena Vanzita, die ihn, ohnmächtig auf einer Planke treibend, im Meere aufgefunden hatte. Helena! Seine geliebte Frau war sie geworden, und bei ihr hatte er Vergessen gefunden für alles, was ihn bedrückte.
Sie war von ihm gegangen, viel zu früh, nach zwölf Jahren, in denen sie ihm reichstes Glück geschenkt hatte. Oh, wie hatte er sie geliebt – nie würde eine andere Frau ihm nach Helena gefallen, nie würde er wieder so lieben, wie er sie geliebt hatte.
Und nun war auch sein Vater gestorben, ohne dass er ihn hatte wiedersehen können. Der Vater hatte nicht mehr erfahren, dass er lebte und schuldlos war. Aber die Heimat hatte ihn doch mit liebevollen Armen wieder aufgenommen. Ihm schien, als seien die fünfzehn Jahre, da er ihr hatte fernbleiben müssen, ausgelöscht, soweit sie nicht seine Frau und seine liebe kleine Dolo betrafen.
Lutz Rodenberg verweilte nicht länger in Rio de Janeiro, als bis er den nächsten Zug nach Jaimeville erreichen konnte. Als er in dieser Armada am nächsten gelegenen Stadt eintraf, erwartete ihn der schwarze Chauffeur mit dem Auto. Lutz fragte zuerst, wie es seiner Tochter gehe. Der Chauffeur zeigte seine weißen Zähne. Der Herrin gehe es gut, und sie sei voller Freude. Sie habe ihm aufgetragen, recht schnell zu fahren.
Lutz lachte, das Herz wurde ihm weit. „Damit du keine Verantwortung hast der Herrin gegenüber, werde ich selber fahren“, sagte er.
So ging die Fahrt in die weiten Campos hinaus, manchmal auf gutem, öfter noch auf schlechtem Weg. Zehn Stunden dauerte die Fahrt von Jaimeville nach Armada. Aber als man sich dem Gebiet von Armada näherte, hielt dicht an der Grenze eine schlanke Reiterin auf einem Goldfuchs. Sie zog den Hut, dass die kastanienbraunen Locken flogen und jauchzte laut auf. Es war Dolores. Lutz sah die Reiterin und stoppte ab. Er sprang von dem Führersitz herab, und Dolores sprang vom Pferd und ließ sich in seine Arme fallen.
„Lutzvater! Ach Lutzvater, hab’ ich dich wieder!“, jubelte sie.
Er küsste sie herzlich, während sie lachend und weinend an seinem Halse hing. „Wildfang! Du solltest mich doch in Armada erwarten!“