Hedwig Courths-Mahler - Folge 190 - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Hedwig Courths-Mahler - Folge 190 E-Book

Hedwig Courths-Mahler

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Beschreibung

Nach einer harten Auseinandersetzung mit Kurt Riemann, dem herzlosen Vater von Dorrit und Micaela, gelingt es dem jungen Reiseschriftsteller Lienhard von Ried, die unglücklichen Schwestern mit in die deutsche Heimat zu nehmen. Dort heiratet Lienhard seine geliebte Dorrit, während Micaela auf die alte Riedburg übersiedelt. Sie ist dort glücklich, bis ein Mann in ihr Leben tritt, in den sie sich leidenschaftlich verliebt. Sie weiß nicht, ob sie es zulassen darf, dass ein ehrenhafter Mann um sie, die Tochter eines Spielers und Abenteurers, wirbt. Bittere Kämpfe muss Micaela bestehen; und schließlich erscheint ihr Flucht der einzige Ausweg.

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Seitenzahl: 172

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Inhalt

Cover

Impressum

An deinem Herzen für immer geborgen

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Anne von Sarosdy/Bastei Verlag

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2221-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

An deinem Herzen für immer geborgen

Wie sich die Liebe der schönen Dorrit erfüllte

Kurt Riemann arbeitete mit seinem Neffen Rodrigo auf den Weiden. Er ahnte nicht, dass seine Töchter Dorrit und Micaela zur gleichen Zeit von der Ranch flohen.

Als Riemann und sein Neffe nach Hause kamen, empfing sie dort ungewohnte Stille. Beunruhigt gingen sie in die Küche um die schwerhörige Magd durch Gebärden zu fragen, wo die Schwestern seien.

„Fort, nach Bonara!“, antwortete sie und setzte hinzu: „Im Wohnzimmer Zettel auf Tisch.“

Wie von Sinnen stürmten Onkel und Neffe ins Wohnzimmer und fanden dort einen Zettel von Mica:

„Dorrit und ich sind mit dem Postauto nach Bonara gefahren.“

Sie sahen sich sprachlos an.

„Was soll das heißen?“, fragte Rodrigo endlich beklommen.

Riemann schüttelte den Kopf. „Wenn ich das nur wüsste! Was wollen sie in Bonara? Da ist etwas faul.“

Und Riemann begann plötzlich lästerlich zu fluchen.

Rodrigo biss sich auf die Lippen. „Das – das sieht aus wie Flucht!“, stieß er hervor. „Wir müssen nach, sofort!“

Wie auf Kommando liefen beide wieder in die Küche.

Sie fragten die Magd, wann die Schwestern das Haus verlassen hätten und wie sie gekleidet gewesen wären. Nun merkte auch die stupide Magd, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Sie berichtete, was sie wusste: Sie hatte nämlich den Schwestern verstohlen nachgeblickt. Dorrit hatte sie gerade noch mit einem Handkoffer hinter den Büschen verschwinden sehen, und Mica hatte sie den ganzen Weg bis zur Baumgruppe mit den Augen verfolgt. Auch sie hatte einen Koffer getragen. Und eine Weile später war hinter den Büschen hervor ein Auto gekommen und nach Bonara gefahren. Das berichtete sie den beiden Männern.

Da wurde ihnen klar, dass es sich tatsächlich um eine Flucht handelte.

Tausenderlei Gedanken jagten sich in Riemanns Kopf.

„Sie sind beide nicht mündig!“, brüllte er. „Sie stehen unter meiner väterlichen Gewalt! Ich hole sie zurück – und wenn es mit der Polizei sein muss!“

Sie nahmen sich nur Zeit, hastig etwas zu essen. Den klapprigen Wagen verschmähten sie, der brachte sie nicht schnell genug vorwärts. Sie bestiegen frische Pferde und ritten davon.

Im Morgengrauen trafen sie in Bonara ein, und bis dort alles auf den Beinen war, hatten sie schon durch Herumfragen ausgekundschaftet, dass gestern Früh im Flugzeug ein fremder Herr eingetroffen war. Er wohnte im Gasthof, sei aber gestern den ganzen Tag mit dem Auto unterwegs gewesen und am späten Abend mit zwei Damen, die niemand erkannt hatte, vor der Posthalterei angekommen.

Riemann stutzte. Hing dieser deutsche Herr vielleicht mit Dorrit zusammen? Hatte er sie von der Ranch geholt?

Riemann wollte Klarheit haben und ging, von Rodrigo gefolgt, zur Posthalterei. Dort fragte er barsch, ob seine Töchter sich hier aufhielten.

Ein Postbeamter zuckte die Schultern. Das wisse er nicht. Aber dann kam schon Mr. Lovell, der Leiter der Posthalterei, und bat Riemann und seinen Neffen in sein Amtszimmer.

Die beiden Männer folgten ihm und sahen sich plötzlich Lienhard von Ried gegenüber. Er stand hoch aufgerichtet mitten im Zimmer. Riemann starrte ihn an wie eine Vision.

„Sie, Herr Doktor? Was wollen Sie hier?“, stieß er unhöflich hervor.

Lienhard sah ihn scharf an.

„Ein telegrafischer Hilferuf meiner Braut, Fräulein Dorrit Lund, rief mich hierher. Ich bin gekommen, um sie mit nach Deutschland zu holen, und habe sie jedenfalls schon, samt ihrer Schwester, aus den Händen zweier Schurken befreit.“

Riemann wollte sich auf ihn stürzen und Rodrigo fasste nach seinem Messer. Aber Lienhard hob ruhig die Hand mit der schussbereiten Waffe.

Er war auf seinen Wunsch allein mit den beiden Männern. Mr. Lovell hatte sich gleich wieder zurückgezogen und meldete den Damen, dass Riemann und Rodrigo unten mit Herrn von Ried zusammen seien, was Dorrit und Mica begreiflicherweise sehr beunruhigte.

Sie hätten sich aber nicht zu sorgen brauchen. Gelassen stand Lienhard den beiden gegenüber, die Waffe im Anschlag.

„Legen Sie sofort Ihr Messer auf den Tisch, und dann Hände hoch, junger Mann! Auch Sie Hände hoch, Herr Riemann! Ich will Sie beide vor Unbesonnenheiten bewahren, die nicht wieder gutzumachen sein würden. Meine Braut soll ihren Vater wenigstens nicht noch zum Mörder herabgewürdigt sehen“, sagte er ruhig.

Zähneknirschend mussten die beiden sein Gebot erfüllen. Aus Rodrigos Augen glühte wilde Eifersucht. Riemann aber schrie:

„Wie können Sie behaupten, dass meine Tochter Ihre Braut ist? Seit wann soll sie das sein? Vielleicht seit sie eine reiche Erbin ist, denn früher hatten Sie doch, so viel ich weiß, keine Absichten!“

„Sie müssen nicht andere Leute hinter dem Busch suchen, hinter dem Sie selbst stecken. Zu Ihrer Beruhigung dies: Dorrit war meine Braut schon, ehe sie nach Neustetten kamen – wir hielten es der Trauer wegen nur noch geheim.“

„Dann hätten sie mich um meine Einwilligung bitten müssen, die ich selbstverständlich verweigere!“

„Sie haben nichts zu verweigern. Ich habe die Zustimmung des Adoptivvaters von Dorrit, der als Einziger das Recht hatte, sie seine Tochter zu nennen. Sie haben sich außerhalb dieses Rechts begeben, als Sie ihrer unglücklichen Frau den herzlosesten und rohesten Abschiedsbrief schrieben, der sie in den Tod trieb!“

„Schwatzen Sie keinen Unsinn!“, rief Riemann wütend.

„Ich bin gern bereit, Ihnen das Schreiben zu zeigen, das Dorrits Mutter an Frau Lund richtete und dem sie Ihren Abschiedsbrief beilegte, der sie zum Selbstmord trieb. Sie übergab Ihr Kind Herrn und Frau Lund – Sie sagten sich von Weib und Kind los. Womit wollen Sie jetzt noch Rechte auf Dorrit geltend machen? Vielleicht daraufhin, dass Sie schamlos genug waren, sie wie eine Dirne diesem käuflichen Bengel auszuliefern?“

Rodrigo machte eine Bewegung, als wollte er sich auf Lienhard stürzen. Dieser hob ruhig die Waffe wieder empor.

„Sie haben es hier nicht mit einer wehrlosen Frau zu tun, die Sie im Schlaf überfallen wollten, um sie auf diese Weise zu zwingen, ihre Frau zu werden. Verhalten Sie sich ruhig, sonst verliere ich die Geduld!“

Und nun kam eine sehr böse Stunde für Riemann und seinen Neffen. Nichts schenkte Lienhard ihnen. Er machte ihnen klar, dass sie in seinen Händen seien und dass er es sei, der Bedingungen zu stellen habe. Er verlangte nicht nur Dorrit, sondern auch Micas Freiheit und die Zustimmung, dass Mica mit der Schwester nach Deutschland gehen könnte. Er sagte ihnen, dass sie in keiner Weise an der Erbschaft partizipieren dürften, weil die Erblasserin das ausdrücklich verfügt habe. Mica wolle, um den Vater nicht ganz verkommen zu lassen, zu seinen Gunsten auf ihren Anteil an der Ranch verzichten.

Alles das ging nicht glatt ab, es war ein heißer Kampf hin und her, aber schließlich musste Riemann zähneknirschend einsehen, dass alle Trümpfe in diesem Spiel in Herrn von Rieds Hand waren.

Er versuchte noch das letzte, um wenigstens etwas für sich herauszuschlagen, weil, wie er sagte, die Ranch so herunter sei, dass er ohne Kapital nicht wieder flott werden könne.

Lienhard sah ihn spöttisch an.

„So bringen Sie die Ranch wieder empor, wie Sie sie heruntergewirtschaftet haben! Am Spieltisch kann man einen derartigen Betrieb nicht auf der Höhe halten. Ihr Neffe kann sich bei Ihnen bedanken, dass sein Erbe verspielt wurde. Meine Braut hat mich ermächtigt, obwohl dieser junge Mann es wahrhaftig nicht verdient hat, ihm ein Kapital von zehntausend Dollar auszuzahlen, als Entschädigung dafür, dass ihr Vater seinen Besitz so schlecht verwaltet hat.“

Wütend fuhr Riemann auf.

„Und ich? Ich bin doch der nächste Verwandte von Rose Steinert! Soll ich ganz leer ausgehen?“

„Sie haben gehört, dass Mrs. Steinert Sie ausdrücklich von allem ausgeschlossen hat und Ihren Töchtern untersagen ließ, Ihnen auch nur einen Pfennig zukommen zu lassen. Aber ich sehe ein, dass Sie ohne etwas Kapital nicht wieder auf die Füße kommen, und deshalb will ich Ihnen aus meiner Tasche fünftausend Dollar zahlen. Wenn ich mein Geld auch schwer genug verdient habe, will ich es Ihnen doch geben, damit Sie wieder emporkommen können.“

Riemann lachte hässlich auf.

„Sie haben es ja nicht mehr nötig. Sie bekommen eine reiche Frau!“

Verächtlich blickte ihn Lienhard an.

„Glauben Sie, dass ich mich von meiner Frau ernähren lasse? Da muss man schon ein Mann Ihres Schlages sein. Ich gedenke mir immer selbst zu verdienen, was ich brauche.“

Nach langem Hin und Her nahmen die beiden Männer Lienhards Vorschlag an. Sie sahen ein, dass ihnen nichts anderes übrig blieb. Lienhard stellte noch die Bedingung, dass beide umgehend zur Ranch zurückkehren sollten, damit die Schwestern nicht gezwungen sein würden, noch einmal mit ihnen zusammenzutreffen. Sie willigten ein, denn es lag ihnen selbst nichts mehr daran, die beiden Mädchen noch einmal zu sehen. Aber als Rodrigo an Lienhard vorüberging, um das Zimmer zu verlassen, sagte er mit gesenktem Blick:

„Sagen Sie Dorrit, dass ich sie um Verzeihung bitte!“

Lienhard sah ihn mit einem fast bedauernden Blick an.

„Sie waren in einer schlechten Schule, Mann, versuchen Sie sich von solchen Einflüssen frei zu machen! Sie sind alt genug, um selbst zu wissen, was richtig ist. Jetzt haben Sie noch einmal eine Chance, alles wieder gutzumachen durch Fleiß und Tüchtigkeit. Lassen Sie sich um diese Chance nicht betrügen, das wäre schlimmer für Sie als der Verlust einer ergaunerten Erbschaft.“

Ohne Antwort folgte Rodrigo seinem Onkel. Aber Lienhards Worte fielen nicht auf unfruchtbaren Boden. Rodrigo war zu der Erkenntnis gekommen, dass er schon zu tief gesunken war.

Wenige Minuten später sah Lienhard, dass sie beiden Männer auf ihren Pferden am Haus vorüberritten – auf dem Weg zu ihrer Ranch. Nun suchte er die Schwestern auf und brachte ihnen die erlösende Nachricht.

Noch am selben Tag holte ein Auto die Koffer Dorrits auf der Ranch ab. Und am nächsten Morgen verließen alle drei Bonara.

***

Die Schwestern standen an der Reling des großen Dampfers, mit dem sie nach Hamburg fuhren. Sie waren im Schwimmbad gewesen und warteten nun auf Lienhard, mit dem sie zusammen frühstücken wollten.

Mit großen Augen sahen beide auf das ruhig im Sonnenschein liegende Meer, und Micaela sagte tief aufatmend:

„Ein verdammt schöner Anblick Ist es, wenn man den Blick über diese endlose Wasserfläche gleiten lässt.“

Dorrit lächelte.

„Mica, du hast eben wieder ‚verdammt‘ gesagt.“

Ein leichtes Rot schoss in Micaelas bräunliche Wangen. Sie seufzte.

„Ach, Dorrit, du wirst noch deine Plage mit mir haben. Ich fürchte, dass ich mich nie in Europas Sitten eingewöhnen werde. Soviel ich mir auch Mühe gebe, immer wieder entschlüpfen mir solche Kraftworte.“

Dorrit legte den Arm liebevoll um die Schwester.

„Sollst nicht in Sorge sein, Mica, diese kleinen Fehler wirst du bald abgelegt haben; ich lasse dir nichts durchgehen, damit du schnell damit fertig wirst.“

„Das ist aber doch eine anstrengende Verpflichtung, die du da auf dich genommen hast, und ich merke sehr wohl, wie oft ich dich mit meiner ungebundenen Art blamiere.“

„Oh, Mica, so ungebunden ist deine Art gar nicht, du hast dich immer fabelhaft in der Gewalt, und ich bewundere dich, wie ruhig und bestimmt du dich gibst.“

„Bewundern? Ach, Dorrit, nur du bist von uns beiden zu bewundern. Ich tue es jedenfalls von früh bis spät.“

Dorrit küsste sie schnell auf die Wange.

„Meine liebe Schwester, so bewundern wir uns gegenseitig. Aber wichtiger ist, dass wir uns lieben so recht von Herzen, nicht wahr?“

Ein bezauberndes Lächeln huschte über das ernste Gesicht Micaelas.

„Viel, viel wichtiger, Dorrit – und es ist herrlich, dass wir uns gefunden haben. Manchmal erscheint mir alles wie ein Traum, aus dem ich bald aufwachen muss, in meiner einfachen Stube auf der Ranch, wo ich immer bereit war, nach meiner Waffe zu greifen, wenn ich erwachte, immer in dem Gefühl, mich verteidigen zu müssen.“

Dorrit drückte sie an sich.

„Meine arme Mica, denke nicht mehr daran! Jetzt bist du bei uns und in Sicherheit. Du sollst es gut haben in Neustetten, sollst nun erst beginnen, deine Jugend zu genießen. Noch hast du ja nichts versäumt, du bist ja noch so jung, obwohl du zuweilen älter und verständiger wirkst als ich.“

„Nun ja, Dorrit, die Jahre auf der Ranch haben doppelt gezählt. Es war ein hartes Leben, das ich da führen musste, immer im Kampf mit Vaters Verschwendungssucht, manchmal ohne einen Pfennig Geld. Wenn die Gauchos nach ihrem Lohn schrien und wilde Drohungen ausstießen, wenn der Vater mich dann mit ihnen allein ließ, damit ich sie besänftigen und hinhalten sollte – ach, ich will nicht mehr an all das denken – gottlob, es liegt ja hinter mir.“

„Du sollst auch nicht mehr daran denken, Mica. Aber da kommt Hardy! Jetzt wollen wir frühstücken.“

Lienhard von Ried trat zu den Schwestern, neigte sich zum Kuss über Dorrits Hand und drückte die Micaelas in brüderlicher Liebe.

„Gut geschlafen, Dorrit – Mica?“

„Danke, ich habe gut geschlafen, Hardy, aber Mica ist oft aufgewacht. Der Maschinenlärm ist auch etwas, an das sie sich erst gewöhnen muss.“

Hardy lachte.

„Ja, Mica, die absolute Ruhe, an die du auf der Ranch gewohnt warst, ist nun dahin, denn selbst in Neustetten wird es lebhafter sein als dort. Da müsstest du schon auf meiner Riedburg hausen, wenn du diese Ruhe wiederfinden möchtest.“

Micaela sah ihn sinnend an.

„Von deiner Riedburg musst du mir noch viel erzählen, Hardy.“

„Gern, Mica.“

Sie sah ihn fragend an.

„Wenn du mit Dorrit verheiratet bist, wirst du dann auf der Riedburg bleiben?“

Dorrit wurde rot und schaute zur Seite. Hardy aber blickte Micaela lächelnd an. So reif und verständig sie in vieler Hinsicht war, so kindlich erschien sie in anderen Dingen.

„Nein, Mica, nach unserer Hochzeit siedle ich nach Neustetten über. Ich will ja die Verwaltung des Gutes übernehmen.“

„Aber du bist doch, denke ich, dabei, ein wissenschaftliches Werk über die Ereignisse deiner Forschungsreisen zu schreiben? Was soll denn aus diesem Werk werden?“

„Das wird weitergeführt, aber nur in meinen Mußestunden. Es ist jetzt meine erste Pflicht, Dorrits Vermögen und ihr Gut zu verwalten.“

Micaela atmete tief auf.

„Ich glaube schon, dass das viel Arbeit macht. Ich bin sehr froh, dass Dorrit die Haupterbin unserer Großtante geworden ist; ich wäre bange gewesen, so viel Geld zu bekommen. Freilich, wenn man oft um das Nötigste in Angst sein musste, erscheint es einem sehr schön, Geld zu besitzen. Aber die tausend Mark monatlich, die Großtante mir ausgesetzt hat, sind reichlich genug für mich, ganz zu schweigen von den fünfundzwanzigtausend Dollar, die ich bei meiner Verheiratung noch bekommen soll. Mehr möchte ich gar nicht haben.“

„Es wird dir auch nie an etwas fehlen, solange ich selbst etwas habe, Mica“, warf Dorrit ein.

„Und mir scheint, wir könnten nun endlich frühstücken“, sagte Micaela aufrichtig, „ich habe Hunger – und das Frühstück auf dem Dampfer ist viel besser, als ich es auf der Ranch gewohnt war.“

„So komm schnell, sonst wird dein Hunger noch größer, und du isst dann mehr, als deiner schlanken Linie zuträglich ist!“, neckte Hardy.

Lächelnd strich Micaela mit den Händen über ihre schlanken Hüften.

„Ich habe keine Anlage zum Dickwerden, da müsste ich schon verdammt viel futtern – ach so, das soll ich ja nicht sagen. Schlimm, dass ich mir das nicht abgewöhnen kann.“

„Das kommt schon noch, Mica.“

Hardy und Dorrit nahmen Micaela in die Mitte und führten sie in den Frühstücksraum, wo sie dann allerlei appetitliche Sachen vorgesetzt bekamen, die Micaela mit Vergnügen verspeiste.

Während des Frühstücks wurden die drei von allen Seiten mit Interesse beobachtet. Einige der Mitreisenden wechselten Grüße mit ihnen. Unbedingt waren die beiden Schwestern die größten Schönheiten an Bord. Aber da Dorrit als Lienhards Braut bekannt war, konzentrierte sich das Hauptinteresse auf Micaela Riemann.

Doch die hatte mit all den fremden Menschen nichts im Sinn, zumal sie feinfühlig genug war zu merken, dass sie von ihnen wie eine Art Wunderwesen angesehen wurde. Wenn einer der Herren zuweilen mehr galante Worte als unbedingt nötig an sie verschwendete, fragte sie sich oft, warum diese Leute ihr mit so betonter Liebenswürdigkeit begegneten und ihr so viele bewundernswerte Eigenschaften andichteten. Sie konnte dann nicht umhin, mit einer ihrer offenherzigen Bemerkungen dazwischenzufahren, und wunderte sich dann erst recht, wenn die Herren das „goldig“, „entzückend“ oder gar „anbetungswürdig“ fanden.

Nach und nach gewöhnte sie sich freilich an diesen Ton, fand ihn aber immer weniger schön, weil sie ihn für unehrlich hielt. Wie reizend sie war und wie bezaubernd sie auf ihre Umgebung wirkte, ahnte sie in ihrer Unerfahrenheit nicht. Die wilden Gauchos auf der Ranch hatten freilich auch oft genug deutlich gemacht, dass sie ihnen begehrenswert erschien, aber das hatten sie auf eine eindeutige Art getan, gegen die sie sich zuweilen sogar mit ihrer Waffe verteidigen musste. Wäre ihr eine Ahnung gekommen, dass dieses galante Wortgeklingel kaum etwas anderes war als die deutlichen Wünsche der Gauchos, hätte sie sich vielleicht wieder mit ihrem Browning bewaffnet.

Nun näherte sich der Dampfer der deutschen Küste, und bereits am übernächsten Morgen tauchte sie vor den Augen der Passagiere auf. Noch im Lauf des Vormittags kamen sie nach Cuxhaven, und nicht lange darauf verließen die Schwestern mit Lienhard von Ried den Dampfer und begaben sich in Hamburg zu dem Hotel, in dem Lienhard Zimmer bestellt hatte.

In Hamburg machte Dorrit Einkäufe für sich und Micaela, die sie überallhin begleitete.

Lienhard von Ried hatte inzwischen allerlei geschäftliche Dinge zu erledigen. Man traf sich später im Hotel bei den Mahlzeiten, und am übernächsten Tag reisten alle drei weiter nach Neustetten.

Für Micaela brachte jeder Tag neue Wunder. Sie staunte über das Leben und Treiben in Hamburg und staunte noch mehr, als sie nach Berlin kamen. Sie zuckte oft ängstlich zusammen, wenn sie im Auto die Straßen durchfuhren und unzählige andere Autos an ihnen vorüberhuschten und atmete erlöst auf, als sie Berlin wieder verließen.

Auf Gut Neustetten fühlte sie sich endlich ruhiger. Hier störte sie kein Straßenlärm, hier war es beinahe so still wie auf der Ranch – so erschien es ihr wenigstens in den ersten Tagen. Ein Thüringer Gut ist ja immerhin eine Stätte des Friedens im Vergleich mit dem Straßenleben einer Großstadt.

Aber dann kam die Hochzeit der Schwester mit Lienhard. Sie sollte nicht länger aufgeschoben werden, obwohl das Trauerjahr um Dorrits Adoptiveltern noch nicht vergangen war. Wie die Dinge aber lagen, war es das beste so.

Lienhard von Ried hatte bis zur Hochzeit wieder auf der Riedburg Wohnung genommen, wo er vorher von seinem alten Diener Breitner und dessen Frau liebevoll betreut wurde. Gleich in den ersten Tagen hatte er die Schwestern auf die Burg eingeladen, und Micaela war begeistert von dem alten Bau, von der friedlichen Stille, die hier oben herrschte, von dem kleinen Gärtchen, das Breitners angelegt hatten, und von den mächtigen drei Linden, die vor der Burg standen und unter denen Frau Breitner den Kaffeetisch gedeckt hatte.

Nach dem Kaffee ließ sich Micaela von Frau Breitner in dem kleinen Garten herumführen, wo Gemüse und allerlei Blumen gezogen wurden. Micaela fand, dass es auf der Riedburg noch viel schöner sei als in Neustetten. Sie konnte verstehen, dass Lienhard an diesen Überresten ehemaliger Herrlichkeit hing, die ihm immerhin ein Asyl geboten hatten als er von langen Forschungsreisen in die Heimat zurückgekehrt war.

Lienhard und Dorrit hatten beschlossen, auch die erste Zeit ihrer jungen Ehe in der Riedburg zu verbringen – eine Woche etwa, um dann nach Neustetten umzusiedeln.

Die Hochzeit des jungen Paares wurde ohne jede Feierlichkeit abgehalten. Nur einige Freunde des Hauses waren geladen, dazu der Pfarrer und seine Frau, dessen älteste Tochter im Neustettener Haushalt tätig war.

Als das junge Paar zur Riedburg aufgebrochen war, wo es von Breitners festlich empfangen wurde, blieb Micaela allein in Neustetten zurück.

Jetzt erst hatte sie Ruhe, sich über ihr verändertes Leben vollends klar zu werden. Alle bisherigen Ereignisse waren wie ein Wirbelsturm über sie hinweggebraust. Sie war sich in all der Zeit kaum bewusst geworden, was mit ihr geschah. Hatte sich ihr Dasein doch von Grund auf verändert. Sie konnte sich noch nicht in dem neuen Leben zurechtfinden.

So lieb sie ihre Schwester Dorrit hatte und so glücklich sie war, mit ihr vereint zu sein, so sagte sie sich nun, da sie allein war, doch, dass sie in der jungen Ehe ihrer Schwester ziemlich überflüssig sein würde. Angst stieg in ihr auf, dem jungen Paar, mit dem sie nun in so enger Gemeinschaft leben sollte, lästig zu werden, und sie dachte darum darüber nach, wie sich das vermeiden ließ.