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In einem Wikingerdorf hört jemand Heimdalls Horn. Das würde bedeuten, Ragnarök stünde bevor, das Ende der Welt. Einige zweifeln daran, deshalb wird eine Expedition gen Westen losgeschickt, um Bifröst zu erreichen, den legendären Zugang nach Asgard. Denn dort wird man schon wissen, was Sache ist.
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Liebe Leser,
für die beschauliche Winterzeit präsentiere ich euch ein kurzweiliges Abenteuer, das uns zu fernen Gestaden mitnimmt. Das einleitende Gedicht "Ragnarök" ist auch im Sammelband "Ausgewählte Werke XIX" der Bibliothek deutschsprachiger Gedichte enthalten, obgleich dort die erste Strophe fehlt, die ich persönlich als optional betrachte. Primär ging es mir in dieser Erzählung darum, eine mögliche Motivation für bestimmte historische Fahrten der Wikinger zu geben sowie auf mythologische Aspekte einzugehen. Das soll es als Vorwort bereits gewesen sein. Fangen wir an mit dem besagten Gedicht und dann begleiten wir unsere wackeren Krieger aus dem Norden.
Viel Spaß und eine schöne Weihnachtszeit wünscht Euer
Franz von Falkenstein
Vorne vier Beine und hinten vier,
das ist Odins Pferd Sleipnir.
Hugin und Munin heißen die Raben,
die über alles Informationen haben.
Ratatösk fetzt am Stamme nach oben,
bringt dem Aar Nidhöggrs Geifer,
selbst aus weiter Ferne hört man ihn toben,
mit Neid und Mißgunst, voller Eifer.
Noch steht Yggdrasil, die Weltenesche,
Allvater Odin herrscht in Asgard wohl.
doch schon tut sich auf die Bresche
diese Welt ist bereits von innen hohl.
Funken fliegen, Mjöllnir kracht,
Thors Hammer jeden Feind erschlägt,
es naht Ragnarök, die letzte Schlacht,
in der sich so mancher Gott darniederlegt.
Fenrir, der Wolf, verschlingt die Sonne,
Wolfszeit, Axtzeit, es kämpfen Brüder,
das Leben ist nun keine Wonne
auch die Sitten werden rüder.
Viele fallen, so mancher wankt,
in Walhalla gibt es nichts zu saufen,
sogar die Erde schwankt,
der Asen Zeit ist abgelaufen.
Der Kiel des Drachenbootes pflügte durch die aufgewühlte See. Immer wieder brachen Wellen über das Deck herein, die die Besatzung bis auf die Haut durchnäßten. Die in Felle gehüllten Männer waren nur unzureichend gegen das Meerwasser geschützt, nahmen die Unannehmlichkeit allerdings heroisch hin. Ernster war hingegen das eindringende Wasser, das mit kleinen Ösfässern aus dem Rumpf geschöpft wurde. Anfangs verrichteten nur wenige diese eintönige Tätigkeit. Als der Sturm mit aller Heftigkeit tobte, fand sich nahezu die halbe Mannschaft dazu ein. Auch Ragnar, der Anführer, half mit, denn es kann sich keiner zu fein sein, der im selben Boot sitzt.
Nach einigen Stunden flaute der Wind so rasch ab, wie er gekommen war. Das Ösen ging noch eine Weile fort, bis der Rumpf wieder nahezu trocken war. Wie zum Hohn erschien bald abermals die Sonne am Himmel, die der beste Wegweiser für den Navigator war. Kurs Südwest hieß die Parole, denn dort lag eine Insel, wo es reiche Dörfer gab, die sicherlich gern etwas von ihrem Wohlstand teilen wollten. Jetzt wurde auch das Segel wieder gesetzt, das vor dem Sturm eingeholt worden war. In flottem Tempo sauste das Langschiff voran. Die Abenddämmerung war immer aufs Neue ein besonderes Erlebnis, wenn die Sonne scheinbar im Meer zu versinken drohte. Es folgte eine weitere Nacht an Deck, wobei sich je zwei Krieger einen Schlafsack teilten – wegen der bitteren Kälte.
Mit dem ersten Morgenlicht standen alle auf. Diejenigen, die vielleicht noch länger hätten schlafen wollen, brachten bei dem einsetzenden Trubel sowieso kein Auge mehr zu.
Es schien ein schöner Tag zu werden. Die Sonne strahlte vom wolkenlosen Himmel, was die Gemüter rasch erhellte. Das Segel flatterte im Wind, eine frische Brise sorgte für ein angemessenes Fahrttempo. Am Nachmittag wurde Land gesichtet, das sich unscheinbar vom Horizont abhob. Zuerst nur vage als brauner Streifen zu erahnen, allmählich immer deutlicher werdend. Zu weit weg, um es noch an diesem Tag zu erreichen. Deshalb verbrachte man noch eine weitere Nacht auf See. Anderntags verringerte sich der Abstand zur Küste so weit, daß Einzelheiten erkennbar waren. Ein Wald zog sich am Ufer entlang, weiter links wurde der Bewuchs auf einer längeren Strecke unterbrochen. Dort lag allem Anschein nach ein Dorf. Genau darauf hatten wir es abgesehen, denn unser Anführer Ragnar gab das Kommando, dorthin zu segeln. Wenig später konnte ich bereits einzelne Häuser unterscheiden. Unser Drachenschiff hatte lediglich einen geringen Tiefgang, wodurch es möglich war, ziemlich nahe ans Ufer heranzufahren. Ins seichte Wasser springend fielen wir über das ahnungslose Fischerdorf her, brachen den vereinzelten Widerstand, rafften zusammen, was wir brauchen konnten, um anschließend schwer beladen mit Beutegut zu unserem Boot zurückzukehren. Ich selbst hatte mir einen Getreidesack geschnappt, den ich über die Schulter warf. Unter dem anderen Arm trug ich ein Ferkel, das zwar noch etwas wachsen mußte, ehe es einen vorbildlichen Schweinebraten ergeben würde, aber das machte schließlich nichts. Quiekend strampelte es mit den Haxen, doch sein Schicksal als Braten war vorbestimmt. Nach diesem erfolgreichen Plünderzug kreuzten wir gen Süden, wo wir noch ein weiteres Dorf überfielen. Nun hatten wir genügend erbeutet, so daß es auf unserem Schiff reichlich eng wurde. Säcke mit Ackerfrüchten stapelten sich im Rumpf, Gänse schnatterten um die Wette, Schweinchen grunzten und beschnupperten neugierig alles, was freßbar aussah. Wir hatten nämlich auch Futter für die Tiere mit an Bord genommen, damit die uns nicht auf dem Heimweg verhungerten. Weshalb sie aber ausgerechnet Thoralf besonders gern mit ihren feuchten Schnauzen anstupsten, das würde ihr Geheimnis bleiben.
Voll beladen fuhren wir also gen Nordosten zurück in die Heimat. Die Stimmung war hervorragend, hatten wir doch in kürzester Zeit reiche Beute gemacht und dabei keinen einzigen Mann verloren. Lediglich Landfari war am Arm leicht verwundet worden, was er aber mannhaft ertrug.
Rein optisch sahen wir jetzt wohl aus wie ein Handelsschiff, quasi ein Sautransporter. Es fühlte sich auch so an, weil die Tiere frei an Deck herumliefen. Wir hatten schließlich keinen Pferch an Bord. Das gewöhnten wir jedoch bald. Es handelte sich auch nicht um die erste dieser Einkaufsfahrten.
Nach drei Tagen erreichten wir unsere Heimat, steuerten dort jenen uns so vertrauten Fjord an, in dem unser Dorf lag. Unsere Ankunft war den zu Hause gebliebenen nicht verborgen geblieben, wodurch uns eine größere Prozession am Ufer empfing. Fagra-Raudka, die schöne rothaarige Tochter von Ragnar befand sich auch unter ihnen. Natürlich war ich nicht der einzige, der Gefallen an ihr gefunden hatte. Auffällig an ihrer Erscheinung war ein funkelndes Halsband, das demjenigen von Freyja, der Göttin der Schönheit, in nichts nachstand. Jenes der Göttin hieß Brisingamen, wie Fagra-Raudka das ihre nannte, entzog sich meiner Kenntnis.
Als wir an Land gingen, bildete ich mir ein, sie hätte mir zugelächelt, aber das konnte genauso gut auch jemandem hinter oder neben mir gegolten haben. Es gab schließlich noch mehr ansehnliche Burschen. Dicht neben ihr stand Wisgard, die Tochter von unserem Bootsbauer. Blond gelocktes Haar, blaue Augen, auch nicht zu verachten, aber vom Anmut her deutlich im Schatten ihrer Freundin stehend.