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Calidor ist der Sohn eines Schmieds, der wegen eines Mordes aus seinem Heimatdorf vertrieben wird. In die Obhut von Räubern geraten, entdeckt er in einer Höhle ein geheimnisvolles Zauberbuch, das mit einem mal sein ganzes Schicksal zu ändern verspricht. Was könnte man nicht alles mit Hilfe von Magie erreichen? Reichtum, Wissen, Macht, alles scheint erreichbar zu sein. Und welches Wesen mag sich wohl hinter dem Elvira-Spruch verstecken? Die ultimative Macht, die einen zum Herrscher über den ganzen Kontinent werden läßt?
Inhaltlich steht der Aufstieg der Hauptfigur Calidor im Mittelpunkt, die sich zum Schlechten hin entwickelt. Noch ist unklar, welches Ende ihn angesichts von Größenwahn und Göttlichkeitsanspruch ereilen wird. Er hat die Wahl zwischen Gut und Böse.
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Viele Leser sind bereits etliche Seiten weiter, weil sie grundsätzlich kein Vorwort lesen. Damit habe ich kein Problem, denn das bleibt jedem selbst überlassen. Für die anderen möchte ich hier etwas über die Entstehung des Werks plaudern, das ich als Monstrum und Meisterwerk gleichermaßen betrachte. Zum einen ist es sehr lang, was eigentlich nicht ganz so mein Fall ist. Weder zum Lesen, noch zum Schreiben. Die meisten Romane sind dadurch gekennzeichnet, daß hemmungslos geschwafelt wird, die Dialoge ufern aus und Nebensächlichkeiten werden breitgetreten, nur um die Seiten zu füllen. Selbst an sich gute Werke beinhalten Passagen, die interessieren mich persönlich einfach nicht. Die Entstehung dieses Werks stand daher auch unter dem Stern, eine solche Schwafelei tunlichst zu vermeiden. Ich wage zu behaupten, daß das durchaus gelungen ist. Auf der anderen Seite steckt man ziemlich viel Zeit in ein solch umfangreiches Werk. Es fällt mir generell beim Schreiben schwer, mehr als einen Monat am Stück in ein Werk zu investieren, weil ich dann meistens lieber neue Ideen umsetzen würde. Daher entstand dieses Werk auch Kapitel für Kapitel mit größeren Pausen dazwischen. Besonderen Wert habe ich dabei auf die Wendepunkte gelegt. Also Stellen, wo die Handlung sich in eine andere Richtung weiterentwickelt. Das ist ganz zentral, weil nachträglich kann man das kaum noch ändern, ohne gleich alles umschreiben zu müssen.Der Name des Protagonisten kam übrigens durch eine Schauspielerin namens Karin Dor zustande, deren aristokratische Ausstrahlung ihren Filmen immer einen gewissen Charme gab. Zuerst wollte ich meinen Helden Kalindor nennen, doch das klang mir etwas zu weich, also weg mit dem „n“. Dann änderte ich nur noch den ersten Buchstaben in ein archaischeres „C“ um. Merkwürdigerweise schien es diesen Namen bereits zu geben, wie ich dank Recherche herausfand. Wer hat denn da noch alles eine Schwäche für Karin Dor-Filme aus den 60ern? Egal, der Name klingt trotzdem gut, auch wenn ich nicht als erster auf diese Buchstabenkombination gekommen sein mag.Die grafische Darstellung auf dem Einband soll durch ihre abstrakte Gestaltung vermeiden, ein zu klares Bild des Protagonisten zu zeigen. Zwar erschien mir anfangs ein martialisches Kriegerantlitz als erste Wahl, doch wie soll man jemanden darstellen, der selbst im Wandel ist? So überlasse ich die optische Vorstellung der Phantasie meiner Leser, ohne ihnen meine persönliche Vorliebe aufzudrängen, was ich bei der Bebilderung meiner anderen Werke ohnehin all zu oft mache.Abschließend noch ein paar Worte zur sprachlichen Gestaltung. Als konservativer Zeitgenosse bin ich nicht nur ein Anhänger der bewährten Rechtschreibung, sondern auch ein Verweigerer ideologisch motivierter Sprachdoktrinen. Deshalb habe ich es abgelehnt, jemals die halbherzigen Bemühungen der sogenannten Rechtschreibreform zu unterstützen, die fachlich stümperhaft und politisch zweifelhafter Natur sind. Doch damit wollen wir uns nicht länger quälen, denn bei Literatur steht ohnehin die Kunst im Vordergrund, der es wenig ausmacht, ob man ein Wort mit Doppel-“S“ schreibt oder nicht. Zugegeben, bei manchen Worten kommt es natürlich schon auf die Schreibweise an, denn unter „Waffen-ß“ kann sich kaum einer etwas vorstellen. Interessiert uns an dieser Stelle nicht weiter, sondern wenden wir uns lieber unserem Protagonisten zu, seinem Weg vom unbedeutenden Schmiedesohn zur alleinigen Macht im Lande Jankor. Daher bleibt mir an dieser Stelle nur noch viel Freude beim Lesen zu wünschen.
Der Autor
Die Karte zeigt die wichtigsten Orte, die in den ersten Kapiteln angesprochen werden.
Düstere Schleier lagen über dem Tal, als Calidor geboren wurde. Dunkle Wolken zogen über die Strohdächer der Hütten, die den Rauch aus den Kaminen nieder zur Erde drückten und die Atemluft durchzogen. Der Tag hatte eben erst begonnen, doch besonders viel konnte man davon noch nicht erkennen. Die meisten Bewohner hatten sich in ihre bescheidenen Holzhäuser verkrochen, sofern sie nicht zwingend nach draußen mußten, um beispielsweise das Vieh zu versorgen oder Brennholz hereinzuholen. Die Felder rings um den Ort herum lagen trüb da, wobei von dem bei sonnigem Wetter hellen, gelb-orangenen Farbton des Getreides wenig übrig blieb. Der Wind peitschte feinen Nieselregen gegen die Schrägdächer, die hartnäckig der an ihr nagenden Witterung trotzten.
An so einem Tag jedenfalls kam der Sohn von Elwi und Polak zur Welt. Bereits früh am Morgen hatte der Heilkundige des Dorfes kommen müssen, als sich die Geburt abzeichnete. Unter vorgehaltener Hand flüsterte der Mann namens Asrael nach getaner Geburtshilfe dem frischgebackenen Vater zu, daß eine Geburt an so einem Tag wie heute unter schlechten Vorzeichen stand und daß er in den nächsten Wochen besonders auf seine Frau achtgeben sollte. Von all diesem Aberglauben ahnten die junge Mutter und der kleine Säugling im Nebenraum nichts. Froh darüber, die schmerzhafte Geburt überstanden zu haben, drückte Elwi ihr Kind an sich. Lange schon hatte sie sich ein Kind gewünscht – endlich hatte es geklappt und es war zudem noch gesund. Glücklich strahlte sie ihren Ehemann an, als dieser nach der Verabschiedung von Asrael wieder zurückkam.
„Er hat deine Augen ...“ Hellblau wie ein Bergsee.
Polak trat näher an das Bett heran, wobei er gerührt zur Kenntnis nahm, daß ihn sein Sohn interessiert anblickte. In der Tat – er hatte wirklich seine Augen. Welch kleine Finger dieses winzige Abbild seiner selbst doch besaß. Stolz strich Polak über die gelockten Haare seiner Frau. Nach all den bangen Monaten der Schwangerschaft hatte es endlich geklappt: nun waren sie eine richtige Familie.
*
Die ersten Wochen standen ganz im Zeichen des Kleinen, der von nun an hauptsächlich den Tagesablauf der Eltern bestimmte. Die Erziehung des Nachwuchses war beim Harkon-Stamm in den ersten Lebensjahren zwar primär Frauensache, aber wenn der Kleine früh morgens schreit, dann kann der Vater normalerweise nun mal auch nicht mehr richtig schlafen. Wie unbeschwert waren da doch die kinderlosen Jahre verlaufen, wo man wenigstens durchschlafen hatte können. Polak und Elwi lebten nun seit drei Sommern zusammen in diesem Haus. Als sie sich vermählt hatten, half das ganze Dorf bei dessen Bau – so war es die Sitte des Volkes der Harkon. Man half sich gegenseitig, damit der Einzelne seinerseits die Gemeinschaft mit der Arbeit unterstützen konnte, die er ursprünglich gelernt hatte.
Im Alter von einem Mond wurde Calidor offiziell in die Dorfgesellschaft aufgenommen, was mit einem Fest gebührend gefeiert wurde. Der Dorfvorstehende Eloas trug das Kind am Anfang der Zeremonie selbst zum nahen Dorfschrein, wo der Vater die Lippen des Kleinen mit dem Wasser der Göttin benetzte, das aus einer nahe gelegenen kleinen Quelle im Wergwald stammte. Dadurch sollte die heiligende Kraft von Sophia, der Göttin des Lebens, auf das junge Dorfmitglied übergehen, auf das es immer gesund, stark und reinen Herzens sei. Zudem bekam er eine Halskette mit einem Anhänger umgehängt, der aus zwei miteinander vernieteten Emblemen bestand. Auf dem einen stand „SSD“, Sophia schütze dich, auf dem anderen „8 M4“. Dies bezog sich auf den Geburtstag des Trägers, der auf den 8. Tag nach dem vierten Vollmond des Jahres fiel. Da es bei den Harkon für jeden Tag einer Mondphase sowie für jede Mondphase selbst einen eigenen Gott gab, versuchte man auf diese Art die Unterstützung der jeweiligen Gottheit zu erflehen. Für den achten Mondtag stand übrigens der Erdgott Oleg. Personen, die ihm geweiht waren, hatten in ihrem Leben alle Vorteile des Elements Erde auf ihrer Seite: Bodenständigkeit, Festigkeit, Schutz, Fruchtbarkeit, gute Konstitution. Die vierte Mondphase stand unter der Flagge von Motar, dem Gott des Krieges. Sein Einfluß förderte die Entwicklung zu einem guten Kämpfer, obgleich dies bei den Harkon nicht besonders bedeutend war, denn es hatte schon lange keine Auseinandersetzungen mehr gegeben. Jeder aus dem Stamm der Harkon trug ein solches Amulett. Es sollte den Besitzer lebenslang sowohl mit der besonders verehrten Hauptgöttin des Stammes (da das Leben etwas Außergewöhnliches ist, besitzt natürlich auch die gleichnamige Göttin eine besondere Stellung) verbinden als auch mit dem jeweiligen Gott, der am Geburtstag bzw. Geburtsmonat zuständig ist, auf das alle drei ihm in schweren Stunden beistanden.
Insgesamt existierten 43 Götter: die Hauptgöttin Sophia, die unabhängig über allen anderen stand, 12 Mondphasengötter für jeden Durchgang des Mondes sowie 30 für die einzelnen Tage, denen zumeist ein untergeordneter Stellenwert zukam. Ihre Bedeutung würde Calidor noch lernen müssen, doch vorerst begnügte man sich darauf, ihm das eigens für ihn angefertigte Amulett umzulegen, das ihm naturgemäß viel zu groß war. Anschließend folgte ein zünftiges Mittagessen, das mit viel Met genossen wurde, also jenem alkoholhaltigen Getränk aus Honig, dessen Herstellung im Dorf nur einer beherrschte: man unterzieht dem Honig einem Gärprozeß, wodurch sich der enthaltene Zucker in Alkohol umwandelt. Dadurch entsteht der berauschende, süßliche Geschmack, den man überall im Land schätzte. Auch über die Grenzen der Harkon hinaus genoß dieses Getränk einen großen Zuspruch, so daß es die Position eines bedeutenden Handelsgutes innehielt. Lediglich einer erhielt auf der Feier nichts von dem wohlschmeckenden Gesöff: Calidor. Kinder bis zum Abschluß der Erwachsenenreife durften generell keinen Met zu sich nehmen. Doch das konnte bestimmt nicht der Grund dafür sein, daß der Kleine den ganzen Abend über recht ungehalten war und häufig zu weinen begann. Vielmehr schien er den ganzen Trubel rund um ihn herum nicht zu verstehen und sich nach einer ruhigen Atmosphäre auf dem Arm seiner Mutter zu sehnen.
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Die Jahre verstrichen, in denen der kleine Junge rasch heranwuchs, die Sprache des Stammes, Ulapo genannt, lernte, ein aus komplexen Lauten bestehender Dialekt der weiter verbreiteten Quoxas-Sprachgruppe. Damit konnte man sich praktisch im gesamten Land Jankor verständigen, wenngleich man in letzter Zeit immer mehr fremde Sprachen zu Gehör bekam. Dies lag mitunter daran, daß sich die Handelsbeziehungen zu außerhalb liegenden Völkern allmählich stärker entwickelten, weil man zusehends auf den Import bestimmter Güter angewiesen war, die es hier nicht bzw. nicht mehr gab. Handelsposten blühten in der ganzen Region auf und auch in Pallas, dem Ort, wo Calidors Sippe wohnte, wurde solch ein Kaufmannstreffpunkt eröffnet. All das kümmerte Polak wenig. Als Schmied der Siedlung beschäftigte er sich größtenteils mit der Herstellung diverser Erzeugnisse aus Eisen. Das konnten Werkzeuge wie Hämmer oder Zangen sein, aber auch Hufeisen zum Beschlagen der Pferde gleichwohl Waffen vom Schwert über Speer- bzw. Pfeilspitzen bis hin zu Axtschneiden. Damit übte er quasi die Berufe des Waffenschmieds, Werkzeugmachers und Hufschmieds gleichzeitig aus, was in den größeren Städten auf Grund des größeren Bedarfs stets verschiedene Personen machten.
Da das Volk der Harkon friedlich lebte, beschränkte sich die Herstellung von Waffen allerdings zumeist auf Dolche sowie Pfeilspitzen für die Jäger. Jedoch kam es manchmal auch vor, daß Schwerter speziell für den Handel gefertigt wurden. Obwohl man hierzulande nicht besonders viel Erfahrung mit der Waffenschmiedekunst hatte, waren die präzisen Gußtechniken dennoch im Ausland hoch angesehen.
Die Haupterwerbsquelle der Bewohner von Pallas bestand im Handel. Mit der nächstgrößeren Provinzstadt Bantifor pflegte man innigen Güteraustausch, der wiederum von aus der Landeshauptstadt Anato kommenden Waren bereichert wurde. Unter den Haupthandelsgüter befanden sich Getreide, Fisch, Wolle, Fleisch, Holz, Werkzeuge, Eisen, Honig, Met, Salz und Pelze. Dabei gab es sowohl fahrende Händler, die von Siedlung zu Siedlung fuhren, um Güter aller Art einzukaufen oder an den Endabnehmer zu bringen, aber auch regelmäßige Märkte, auf denen die Erzeuger selbst ihre Waren feil boten, um sie allen Interessenten zugänglich zu machen.
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Schon in frühen Jahren weihte Polak seinen Sohn in die Geheimnisse des Schmiedeberufs ein, denn Calidor sollte schließlich irgendwann einmal die elterliche Schmiede übernehmen. Zahllose Stunden verbrachten die beiden beim Zurechtschlagen von glühenden Eisenteilen oder Gießen von neuen Gußformen. Die Kunst, das harte Metall so zu verformen, wie man es brauchte, benötigte viel Übung. Ganz wichtig dabei war natürlich auch das nachträgliche Härten, mehrmalige Abkühlen in Wasser, um den Prozeß von neuem zu beginnen. Erst dieser Vorgang machte das Metall stabil und nahezu bruchsicher. Neben den Arbeiten mit seinem Vater verbrachte der heranwachsende Knabe viel Zeit mit Gleichaltrigen des Dorfes. Besonders zu erwähnen sind hier der Nachbarjunge Celios sowie die Müllerstochter Ariane, mit denen er stundenlang durch die Wälder streifte, Bogenschießen übte, Verstecken spielte oder sich sonstwie unterhielt. Besonders gern trieben sie sich auf den Feldern herum, was die Bauern jedoch nicht besonders gern sahen. Vielleicht stellte es darum so einen großen Reiz dar. Außerdem konnten sie es sich im jugendlichen Leichtsinn einfach nicht verkneifen ein paar der Feldfrüchte mitgehen zu lassen. Mit zwei Jahren Differenz die jüngste des Trios konnte Ariane jedoch gut mit den Jungen mithalten, die zwar ein bißchen schneller rennen konnten, aber dafür beim Verstecken stets einen kleinen Nachteil hatten. Nichts desto trotz hatten die drei in ihrer Kindheit viel Spaß zusammen. Sie erlebten auch einige brenzlige Situationen, etwa als Celios, der nicht schwimmen konnte, im Wergwald in den Diamantensee fiel und von seinen beiden Spielkameraden vor dem Ertrinken gerettet wurde. Celios hatte immer schon eine Abneigung gegen Wasser gehabt, weshalb er auch nie schwimmen lernen wollte, doch nach dieser besagten Erfahrung besann er sich eines besseren. So wurde aus dem einstigen Wasserscheuen ein regelmäßiger Besucher am See, der ihm ehemals beinahe das Leben gekostet hätte.
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Aus der Freundschaft zwischen Ariane und Calidor entwickelte sich beim Eintritt in die Geschlechtsreife mehr, doch es war beiden bewußt, das daraus nichts werden konnte. Sie war nämlich bereits einem anderen Mann versprochen, dem 14 Jahre älteren Bartar. Ein wohlhabender Bauer aus dem Nachbardorf Glenhorm, der den Eltern von Ariane wohl am besten als Ehemann in die Pläne paßte. Schließlich brachte er einen Bauernhof mit in die Ehe und konnte daher seine Frau ernähren.
Leider suchten bei den Harkon die Eltern die Ehepartner für ihre Kinder aus, was nicht immer zu deren Wohlgefallen geschah. Oft spielten gesellschaftspolitische Gründe eine bedeutende Rolle. Genau wie im Fall von Ariane. Aus diesem Grund waren die beiden gezwungen, sich heimlich zum Stelldichein zu treffen, weil das natürlich niemand erfahren durfte. Auf diese Art ignorierten sie den Umstand, daß sie nicht offiziell zusammen sein konnten. Auch nach der Heirat mit dem Bauern traf sich die in ihrer Ehe unglückliche Ariane regelmäßig mit ihrem Geliebten. Natürlich nicht zu Hause, sondern stets im Wald. Oft suchten sie auch eine leerstehende, alte Scheune im Eichenwald auf, wo sie sich Zeit füreinander nahmen. Der Name des Waldstücks rührte daher, daß man dort fast ausschließlich Eichen vorfand, die im Hochsommer eine wahre Flut an Eicheln ausstießen.
So vergingen etliche Monate, schließlich zwei volle Sommer, bis Bartar eines Tages Verdacht schöpfte und seiner Frau folgte, als sie wieder einmal allein „spazieren“ ging. Er schlich ihr mit einigem Abstand nach, einen Waldweg entlang, bis sie in irgend einer Scheune verschwand, die im Schutz der hohen Bäume stand. Als sie nicht wieder herauskam, näherte sich der eifersüchtige Ehemann dem Eingang von der Seite, so daß er schräg hineinspähen konnte. Zuerst sah er nichts, doch er hörte merkwürdige Geräusche. Gedämpftes Stöhnen drang an sein Ohr, das wohl nur von einer bestimmten Tätigkeit herrühren konnte. Ohne noch länger zu warten, trat Bartar kurzerhand in die Scheune hinein. Zu seiner linken lag ein größerer Heuballen, auf dem er seine Frau mit einem Jüngling in inniger Umarmung vorfand. Zornig stürmte Bartar auf die halb im Stroh versteckt liegenden zu.
„Ariane?! Was ist denn hier los? Na wartet – euch mach ich Beine!“
Erschrocken sprangen die jäh Überraschten auf, die beide unbekleidet waren. Voller Wut stürzte sich Bartar auf seinen Rivalen, der den Angreifer nur mühsam abwehren konnte. Ein Handgemenge entbrannte, Fäuste flogen hin und her. Ariane kreischte hysterisch, als ihr Ehemann einen Dolch zog, um damit auf seinen Nebenbuhler einzustechen. Dieser tauchte jedoch geschickt weg und bekam schließlich die Hand mit dem Messer zu packen. Kraftvoll riß er den Arm nach vorn, woraufhin sein Gegner ins Stolpern geriet. Mit dem Oberkörper voraus rammte er sich ungewollt das eigene Messer in den Bauch. Röchelnd wälzte er sich am Boden. Calidor sprang bestürzt einen Schritt zur Seite, doch vom Widersacher drohte keine Gefahr mehr. Einige Bewegungen brachte er noch zustande – dann blieb er bewegungslos liegen. Etwas unbeholfen bemerkte Calidor, daß er soeben jemanden getötet hatte, obgleich eher im Eifer des Gefechts als mit Absicht. Beruhigend nahm er seine zitternde Freundin in den Arm.
„Was machen wir jetzt?“ fragte diese konsterniert.
„Ganz einfach“, bemühte sich Calidor um einen entschlossenen Tonfall. „Wir tun so, als sei nichts vorgefallen. Falls sich jemand nach ihm erkundigt, sagst du einfach, er sei aufs Feld hinaus gegangen und nicht zurückgekehrt. Wenn man ihn nicht findet, verfällt deine Ehe mit ihm im nächsten Frühling. Wird er gefunden, dann bist du Witwe. Als solche darfst du heiraten, wen du willst – damit wäre doch alles in Butter.“
Ängstlich klammerte sich seine Geliebte an seine Brust. Nachdem sich die zwei wieder etwas gefangen hatten, zogen sie sich an, um daraufhin ins Dorf zurückzugehen. Calidor nach Pallas, Ariane nach Glenhorm. Eigentlich hätte damit alles ein gutes Ende nehmen können, doch man vermißte den geschäftigen Bauern Bartar schon bald. Sein Knecht wunderte sich am kommenden Tag, wo er sei. Ariane gab wie abgesprochen an, daß er am Vortag hinaus aufs Feld sei, um dort nach dem Rechten zu sehen. Seitdem habe sie nichts mehr von ihm gehört und sei schon in Sorge um ihn. Zwei Tage nach seinem Verschwinden schlug der Hund eines Jägers an, als dieser in der Nähe der alten Scheune vorbeikam. Bei dieser Gelegenheit fand er auch die Leiche des Vermißten. Calidor erfuhr davon vom Fischhändler des Ortes, bei dem er fürs familiäre Mittagessen im Auftrag seiner Mutter einen Barsch kaufte.
„Man hat ihn erstochen“, munkelte der alte Gero. „Ich hab's ja immer gesagt: soviel Dreck wie der am Stecken hat – da wird der nicht alt. Erst letzten Monat soll er den Müller um einen Aonna (rund 7 Ar) Land betrogen haben.“
Er verbreitete noch allerhand weitere Gerüchte über mögliche Hintergründe zum Ableben des Bauern, doch Calidor hörte schon gar nicht mehr richtig hin. Jetzt mußte er nicht mehr bis zum kommenden Frühjahr warten, bis er endlich seine Herzensdame heiraten konnte. Nun gut, es bot sich an zumindest das Trauerjahr abzuwarten, denn sonst sprachen gleich wieder alle Leute, aber eigentlich war ihm selbst das völlig egal. Solange er nur endlich mit seiner Geliebten zusammen sein konnte.
Daheim angekommen machte er sich vorerst keine weiteren Gedanken mehr um die Angelegenheit und begab sich nach dem Mittagessen in die Schmiede, um dort mit der Produktion einer Axtschneide fortzufahren, die er am Vortag begonnen hatte. Es dauerte nicht lange, als überraschenderweise der erst seit einigen Monaten im Amt weilende Dorfvorstehende Wohdan zusammen mit zwei bewaffneten Kriegern hereinkam. Der langjährige Stammesanführer Eloas hatte den vergangenen Winter nicht überlebt, so daß man einen Nachfolger hatte wählen müssen. Die Wahl war dabei – was nicht sonderlich überraschend war – auf den ältesten Sohn des Verstorbenen gefallen.
„Calidor? Wir müssen mit dir reden“, sprach man ihn an. „Würdest du uns bitte nach draußen folgen?“
„Ja, klar, worum handelt es sich denn?“
„Laßt uns raus gehen, wo wir uns ungestört unterhalten können“, duldete die strenge Stimme von Wohdan keine Widerrede. Vor dem Haus bildeten die drei Männer eine Art Dreieck um Calidor, der sich durch dieses Gebaren allmählich etwas unwohl fühlte.
„Hast du mitbekommen, daß vor einigen Tagen ein Bauer aus Glenhorm ermordet wurde?“ fragte Wohdan ganz ruhig.
„Ja, im halben Dorf wird schließlich darüber geredet ...“
„Würdest du uns die Embleme deines Amuletts zeigen?“
Calidor tastete nach der Halskette, die er zeitlebens um den Nacken trug. Erst jetzt fiel ihm auf, daß das eine Emblem fehlte.
„Na so was“, murmelte er irritiert. „Das muß abgebrochen sein.“
„In der Tat“, pflichtete ihm Wohdan bei. „Dreimal darfst du raten, was wir unter Bartars Leiche gefunden haben.“
„Aber, ich ... ich habe ...“, stammelte er.
„8 M4 – es gibt im Umkreis von mehreren Tagesreisen nicht besonders viele Leute, die diesem Tag geweiht sind. Wie viele von denen mögen wohl noch ihr Emblem verloren haben?!“
Calidor spürte, wie sich die imaginäre Schlinge um seinen Hals zuzog. Er konnte sich nicht erklären, wie das hatte passieren können. Er hätte es doch merken müssen, daß sein Emblem fehlte. Hatte Bartar es im Handgemenge abgerissen, ohne daß er etwas davon bemerkt hatte?
„Wollt ihr mir damit sagen, daß ihr mich verdächtigt?“ kombinierte er folgerichtig.
„Korrekt. Ich muß eine Volksverhandlung einberufen lassen. Solange muß ich dich einsperren lassen. Kommst du freiwillig mit?“
Calidor beschloß keine Gegenwehr zu leisten und sich abführen zu lassen. Weil es in Pallas kein Gefängnis gab, brachte man ihn in einen leerstehenden, kleinen Kornspeicher, der erst in zwei Monaten nach der Ernte gefüllt werden würde. Hinter ihm schloß sich die massive Eichentür, ein Riegel wurde vorgeschoben, eingesperrt! In der einen Ecke des quadratischen Raumes lag ein Strohbett, auf diesem eine weiche Decke. Offenbar hatte man dieses Lager ganz neu eingerichtet, denn das Stroh war frisch. In einer anderen Ecke stand ein Hocker, auf demselbigen ein Krug Wasser sowie ein halber Laib Brot. Verhungern wollte man ihn schon mal nicht lassen. Obwohl das im Prinzip auch keinen großen Unterschied machen würde. Auf Mord stand bei den Harkon der Tod durch öffentliche Hinrichtung. Keine besonders rosigen Aussichten. Irgendwie mußte er sich doch aus diesem Dilemma befreien können. Allerdings stand die Beweislage schlecht. Müde legte er sich auf die Strohmatratze nieder. Hauptsache, er konnte Ariane aus allem raushalten. Nach einer langen Nacht öffnete sich am nächsten Tag endlich die Tür.
„Wir bringen dich jetzt zur Verhandlung“, klärten ihn die zwei Wächter auf, die ihn in ihre Mitte nahmen. Nach einem kurzen Marsch erreichten sie die große Wiese östlich des Dorfes, wo die Volksversammlungen üblicherweise immer stattfanden. Auf dem großen Areal tummelten sich bereits fast hundert Leute, darunter auch etliche aus Glenhorm. Da ein Bürger aus Pallas der Tat verdächtigt wurde, war deren Dorfvorstehender für die Rechtssprechung zuständig.
„Dir, Calidor, wird vorgeworfen, den Bauern Batar aus Glenhorm erstochen zu haben. Man fand ein Emblem seines Amuletts bei dem Toten. Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?“
„Nichts. Ich habe ihn draußen im Wald getroffen und mich mit ihm gestritten. Dabei habe ich ihn erstochen. Das ist alles.“
„Gestritten? Worüber?“ - „Das ist meine Sache.“
„Was hast du eigentlich in dieser Scheune verloren? Soviel ich weiß, dient die primär zum Zwischenlagern von Heu.“
„Ich bin da spontan vorbeigekommen und habe Bartar angetroffen. Wir haben uns gestritten und dabei habe ich ihn erstochen. So war das, mehr sage ich dazu nicht.“
„Bist du dir bewußt, daß deine Schilderung der Vorkommnisse für uns nur den Schluß übrigläßt, daß du ein Mörder bist? Du weißt, welche Strafe darauf steht?“
„Haltet ein!“ erklang von halblinks die Stimme einer Frau, die nach vorn trat. Calidor hatte bereits erkannt, daß es sich um niemand anderen als um Ariane handelte. Wieso mischte sich die denn jetzt ein?
„Ariane“, unterbrach er sie. „Es ist alles gesagt. Halt dich bitte raus.“
„Nein, das werde ich nicht tun. Ich will nicht, daß du hier für etwas verurteilt wirst, daß du gar nicht getan hast.“
„Was weißt du darüber?“ wandte sich Wohdan an sie. „Sprich!“
„Dazu muß ich etwas weiter ausholen. Calidor und ich haben uns an jenem Abend in dieser Scheune ... getroffen, dann kam mein Ehemann hinzu und hat Calidor mit seinem Messer angegriffen. Es war ein Unfall.“
„Wenn das die ganze Wahrheit sein soll, dann frage ich mich aber, wieso du so lange gewartet hast, das zu sagen. Außerdem widerspricht das der Aussage des Hauptverdächtigen. Ist doch komisch, oder? Ferner noch die Tatsache, daß du den Mörder deines Ehemannes schützen willst. Das kann in meinen Augen nur eins bedeuten: ihr beide steckt unter einer Decke! Vermutlich habt ihr ein außereheliches Verhältnis miteinander. Als Bartar euch auf die Schliche gekommen ist, habt ihr ihn einfach ermordet, um freie Bahn zu haben!“
„Nein, so ist es nicht gewesen“, beteuerte Calidor, doch man schien seinen Beteuerungen nicht zu glauben. Die Zuschauenden johlten verärgert, einige forderten ein Todesurteil. Der Richterspruch fiel entsprechend kurz aus: Ariane wurde als Ehebrecherin zum Tode durch Ertrinken verurteilt, wie es die Sitten des Stammes wollten. Calidor galt des Totschlags in Notwehr als überführt, da man seine Tötungsabsicht nicht beweisen konnte. Als Strafe darauf stand die lebenslange Verbannung aus dem Dorf. Konkret durfte er nicht mehr näher als 10 Kilometer an sein Heimatdorf herankommen – sonst würde man ihn sofort töten, falls man ihn entdeckte. Man gestand ihm vorher noch zu, sich von seinen Eltern zu verabschieden. Sein Vater blickte ernst drein, als er ihm als Andenken ein neu geschmiedetes Schwert überreichte, seine Mutter hatte Tränen in den Augen.
„Mein Junge, wir werden immer an dich denken! Mögen dich die Götter auf deinem Weg nicht im Stich lassen. Wir werden Sophia um Beistand für dich bitten.“
Dann drängten die ihn begleitenden Wächter zum Aufbruch. Während er aus dem Dorf verjagt wurde, trug man Ariane zum nahen Xilok, einem großen Fluß, der sich durchs gesamte Land erstreckte. Dort fesselte man sie, band ihr einige schwere Steine an den Körper, um sie danach ins Wasser zu werfen. Da sie nach ihrem Untertauchen nicht mehr an die Oberfläche kam, bedeutete das angesichts der übermannshohen Tiefe des Flusses, daß sie ein schnelles Ende gefunden hatte. Huljufin, der Gott des Wassers, hatte Erbarmen mit ihr gehabt. Nachdem sich die Wogen geglättet hatten, gingen die Leute wieder ihrer alltäglichen Arbeit nach. Es war allgemeine Sitte, über geschehene Verbrechen nicht mehr zu reden. Sie wurden verdrängt, als seien sie nie passiert. Dementsprechend sorgte man auch bei den Strafen grundsätzlich dafür, daß man nicht mehr an die Verbrecher selbst erinnert wurde. Also wie in diesem Fall durch Verbannung oder Versenken. Aus den Augen, aus dem Sinn.
*
Der einsame Sohn des Schmiedes stapfte unterdessen mit geschultertem Schwert Richtung Norden. Ein festes Ziel hatte er dabei nicht im Auge. Irgendwann erreichte er den mehrere Meter tiefen Xilok, so daß er gen Nordosten ausweichen mußte. Hier gab es nämlich im Umkreis einiger Kilometer keine Brücke. Nach etlichen Stunden Marsch machte der Fluß einen Knick nach Westen, so daß der ursprünglichen Nordrichtung nichts mehr im Wege stand. Schon bald tauchte vor ihm ein größerer Wald auf – der Timstor-Forst. Einen Moment überlegte er, ob er dem Fluß folgen sollte oder lieber doch den Wald durchqueren. Er entschied sich für zweiteres.
Das dichte Blätterdach hüllte ihn ein, als er eintrat. Zwischen den Stämmen der Kiefern, Tannen, Eichen, Buchen und Eschen entdeckte er zahlreiche Pilze, die er aufsammelte. Das würde heute abend seine erste Mahlzeit verfeinern. Das stellte überhaupt eine Schwierigkeit dar: wie sollte er sich in der nächsten Zeit ernähren? Soviel verstand er noch nicht von der Schmiedekunst, als das er sich als selbständiger Schmied über die Runden bringen konnte. Ihm blieb nur übrig, in einem Dorf bei einem Schmied als Knecht anzufangen. Oder er ging in einer größeren Stadt betteln. Recht viele weitere Möglichkeiten standen ihm nicht zur Auswahl.
Als sich der Baumbestand lichtete, um einer Wiesenlandschaft den Platz frei zu machen, sah er hinter einem kleinem Hügel Rauch aufsteigen. Dort mußte ganz offenbar eine Siedlung liegen. Das mußte Sidos sein. Mit schnellen Schritten näherte er sich der etliche Dutzend Häuser zählenden Ortschaft. Sogleich begab er sich zum Schmied zwecks Arbeitssuche, doch dieser hatte keine Verwendung für einen Gesellen. Folglich mußte Calidor weiterziehen, wollte er nicht als Knecht bei einem Bauern landen, was ein jämmerliches Dasein bedeutet hätte. Auch im nächsten Ort hatte er kein Glück. Als es allmählich zu dämmern begann, entfachte er neben einer Baumgruppe ein Feuer, um die tagsüber gesammelten Pilze zu braten. Zusammen mit Brot, das ihm die Eltern mitgegeben hatten, stellte das sein wohlschmeckendes Abendessen dar. Anschließend legte er sich nahe bei den Bäumen zum Schlafen nieder. Seine dünne Decke bot ihm dabei nur eine unzureichende Unterlage, aber mehr hatte er nun mal nicht mitnehmen wollen. Schließlich muß man als einsamer Wanderer alles tragen, was man dabei hat. Durch Anhäufung von Blättern bekam der Untergrund ein angenehmeres Ambiente, so daß er sich mit der Decke notdürftig zudecken konnte. Trotzdem erwies sich die Nacht als bei weitem nicht so bequem wie gewohnt. Ein echtes Bett mit einem Dach über dem Kopf läßt sich einfach nicht ersetzen. Womit bewiesen wäre, daß die Menschen nicht für ein Nomadendasein gerüstet sind, sondern seßhafte Eigenschaften besitzen.
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Am nächsten Morgen wurde er von einigen Vögeln geweckt, die in den Zweigen der umstehenden Bäume ihr Lied trällerten. Da er eh schon relativ wach war, beschloß er aufzubrechen, dem nächsten Dorf entgegen. Unterwegs unterhielt er sich mit einigen Leuten, die des Weges kamen. Ein Holzfäller, ein Händler, ein Bauer. Durch sie erfuhr er, daß Algoi nicht mehr weit entfernt lag, was ihn anspornte, das Tempo zu erhöhen. In der Tat gelangte Calidor noch vor Mittag dorthin. An einer Gaststätte sowie einigen Wohnhäusern vorbei schlenderte er durch das Dorf, bis er den Schmied fand. Abseits gelegen von einigen hohen Buschgruppen eingerahmt stand das steinerne Gebäude einsam da.
Ein Mann stand mit einem Hammer in der Hand hinter einem Amboß, um damit auf ein längliches Eisenstück einzuschlagen, daß er mit einer Zange hielt. Als er den Neuankömmling kommen sah, setzte er sein Werkzeug ab.
„Was wünscht du?“ fragte er freundlich. „Soll ich dir eine Lanzenspitze schmieden oder hättest du lieber eine Axtschneide?“
„Weder das eine noch das andere. Ich würde gern bei dir als Geselle anfangen, falls du jemanden brauchen kannst, der von der Materie etwas versteht.“
„Bei mir arbeiten willst du also?! Nun, hast du schon mal was in diesem Handwerk gemacht?“
„Ja, mein Vater hat mir das beigebracht.“
„Woher stammst du denn?“ - „Aus Pallas.“
„Dann bist du also der Sohn vom alten Polak? Wieso kommst du dann zu mir? Bist wohl von zu Hause abgehauen, wie?“
„So ähnlich“, wich Calidor besonnen aus. „Was ist jetzt? Hast du Interesse?“
„Nun, die Marktsituation ist momentan nicht so gut. Ich muß schauen, wie ich selbst über die Runden komme. Könnte dir also bis auf weiteres nur Kost und Logis anbieten. Drei regelmäßige Mahlzeiten am Tag sowie Übernachtungsmöglichkeit hinten im Stall. Ist vielleicht nicht besonders luxuriös, aber du mußt ja nicht.“
„Ich bin einverstanden. Was soll ich tun?“
„Trag erst einmal dein Zeug rüber in den Stall und richte dich dort mal ein bißchen häuslich ein. Waschen kannst du dich in dem Zuber, der beim Eingang steht. Dann kannst du mir gleich beim Schmieden dieser Schwertklinge assistieren. Wollen doch mal sehen, was du alles gelernt hast.“
Der soeben eingestellte Knecht betrat den kleinen Stall neben der Schmiede, wo es muffig nach altem Heu roch. In der rechten Kammer stand ein schwarzer Hengst, der neugierig in seine Richtung blickte.
„Na, du?“ streichelte er den Hals des stolzen Tieres. Ein leises Wiehern deutete darauf hin, daß die erste Kontaktaufnahme positiv ausgefallen war. Danach richtete sich Calidor in der hintersten Ecke des Stalls aus herumliegendem Stroh eine Schlafstelle her, auf die er seine Decke warf. Das Schwert hängte er an einen Haken an die Wand. Anschließend gönnte er sich im angesprochenen Waschzuber eine kurze Katzenwäsche, ehe er dem Schmied kundtat, daß er arbeitsbereit sei. Dieser wies ihm sofort eine Aufgabe an, die aus dem gleichmäßigen Beschlagen eines zweiten Eisenstücks bestand. Bei Einbruch der Abenddämmerung endete die Arbeit und man begab sich zum gemeinsamen Abendessen ins Haus. Danach zog sich der neue Knecht in den Stall zurück, wo er noch etwas das Pferd streichelte, ehe er sich zum schlafen niederlegte.
Am nächsten Morgen weckte ihn der Schmied bereits recht früh zum Frühstück. Nach einem ausgiebigen Bad begann sogleich die schweißtreibende Arbeit, die von einigen Pausen unterbrochen bis zum Abend dauerte. Hundemüde begab er sich zu seinem Bett. Dies ging mehrere Tage lang so, bis der Schmied eines Abends nach getaner Arbeit Calidor zu sich rief. Mit ernstem Gesichtsausdruck begann er eine Standpredigt.
„Mir ist zu Ohren gekommen, weshalb du Pallas verlassen mußtest. Prinzipiell war ich mit deiner Arbeit zufrieden, aber ich will keinen Totschläger in meinen Diensten haben. Verlaß daher morgen früh mein Haus. Heute nacht kannst du meinetwegen noch hier übernachten. Man ist immerhin kein Unmensch.“
„Die Hintergründe interessieren wohl nicht?!?“ machte Calidor den Versuch auf eine gütliche Einigung.
„Nein“, blockte der Sturkopf von Schmied ab. „Ich will nur, daß du hier möglichst bald verschwindest. Das ist alles.“
Das ihn seine Vergangenheit so rasant einholen würde, hätte Calidor selbst nicht geglaubt. Nicht nur, daß er allein durch die Verbannung sowie den Tod von Ariane schon genug gestraft war, nein, jetzt verfolgte ihn das wie ein böser Schatten. Obwohl er eigentlich froh sein konnte, diese Arbeitsstelle loszuwerden. Erstens hatte er nicht mal ein Gehalt bekommen, zweitens war die Arbeit viel anstrengender als noch bei seinem Vater gewesen und drittens konnte man die Stallunterkunft ebenfalls nicht wirklich als angemessen bezeichnen.
*
Der nächste Tag graute eben, als sich Calidor verstohlen aus dem Staub machte. Er legte keinen Wert darauf seinen bisherigen Arbeitgeber noch mal zu Gesicht zu bekommen. Wenn ihn der nicht haben wollte, dann konnte er ihn kreuzweise. Aufs gerate wohl spazierte er in die erstbeste Richtung, die im in den Sinn kam. Der Zufall wollte es, daß ihn sein Pfad erneut Richtung Norden führte, der gegen Nachmittag in einen Wald hinein verlief. Vielleicht ließen sich dort ein paar Beeren finden? Absuchend stapfte er die schmale Straße entlang, schaute mal nach rechts, mal nach links, doch außer einer Handvoll Preiselbeeren fand er nur einige Fliegenpilze, die bekanntlich unverzehrbar sind. Nun gut, in geringen Mengen wirkt dieser Pilz bewußtseinserweiternd, aber bei größeren Mengen ist der Konsum durchaus gefährlich.
Soeben wollte er sich auf einen Stein setzen, um eine kurze Rast abzuhalten, doch ein halbes Dutzend finsterer Gestalten, das wie aus dem Nichts aus den Büschen sprang, schien ihm seine Pause nicht zu vergönnen. Während sie in einem Halbkreis um ihn herum näherkamen, zog er sein Schwert.
„Gib uns dein Geld – dann passiert dir nichts“, verlangte einer der Kerle, dessen brauner Bart sein halbes Gesicht verdeckte. Ein erhobener Speer sollte seine Forderung unterstreichen. Die anderen trugen verschiedene Waffen wie Keule, Axt, Dolche oder Kampfstab. Offensichtlich eine gemeinschaftlich agierende Räuberbande, die hoffte, ihm einige Münzen entreißen zu können.
„Ich hab kein Geld“, erklärte Calidor wahrheitsgemäß. „Aber ihr könnt euch von mir aus gern davon überzeugen, wenn ihr euch traut, ihr feigen Hunde.“
Damit schwenkte er das Schwert drohend hin und her. Der augenscheinliche Anführer gab zwei seiner Leute einen Wink, woraufhin diese gleichzeitig von zwei Seiten angriffen. Calidor hatte damit schon gerechnet und wehrte zuerst die Attacke des Keuleschwingers ab, ehe er sich zur anderen Seite wandte, um den Hieb des Axtkämpfers zu stoppen. Es erklang ein metallenes Klappern als die Eisenwaffen aufeinanderknallten. In hohem Bogen flog die Axt seitwärts zu Boden. Der verdutzte, nun waffenlos Dastehende, zog sich sogleich mehrere Schritte zurück, um einem seiner Kumpane den Vortritt zu lassen. Dieser fuchtelte mit einem langen Kampfstab herum, doch als er zuschlug, fing Calidor den Schlag mit der Schneide seines Schwerts ab, wonach der Stab abbrach. Nach diesem mäßigen Auftreten seiner Leute kommandierte der bärtige Anführer namens Lamon barsch seine Männer zurück.
„Laßt ihn mir. Den knöpf ich mir selber vor!“
Mit dem Speer in beiden Händen versuchte er seinen Widersacher in die Enge zu treiben, täuschte mal an der einen, mal an der anderen Seite an, um dann geschwind vorzustoßen. Doch sein Gegner wehrte die Stiche erstaunlich flink ab und nutzte jede sich bietende Gelegenheit seinerseits, um blitzartige Vorstöße zu unternehmen.
Lamon merkte rasch, daß er ziemlich auf der Hut sein mußte, um mit diesem Gegner fertig zu werden. Aus diesem Grund probierte er eine Finte, die ihn an die Seite des anderen bringen sollte, doch das Manöver mißlang – stattdessen dreschte ihm dieser mit der flachen Schwertseite den Speer aus der Hand. Als sich Lamon geschickt abrollte, um seine Waffe wieder zu ergreifen, hatte der Kerl bereits einen Fuß darauf gestellt, so daß er das Aufheben der Lanze verhinderte. Lächelnd erhob sich Lamon aus seiner knienden Stellung.
„Du gefällst mir, Fremder“, belferte er erfreut. „Mich hat schon lange keiner mehr besiegt. Hast du nicht Lust dich uns anzuschließen? Die Beute wird bei uns zu drei von vier Teilen nach Köpfen verteilt, den Rest bekommen entweder diejenigen mit dem meisten Engagement oder aber wir verwenden ihn zum Kauf von Nahrungsmitteln, Waffen und sonstigem. Wie hört sich das an?“
Calidor entspannte sich etwas, doch noch hielt er das Schwert fest in der Hand, jederzeit bereit zur Verteidigung. Schließlich konnte das ganze auch eine List sein, um ihn in Sicherheit zu wiegen.
„Erst wollt ihr mich ausrauben und jetzt soll ich mich mit euch verbrüdern?“
„Nun ja, du bist ein guter Kämpfer. Jemanden wie dich könnten wir brauchen. Wir mir scheint, könntest du etwas Geld auch gut gebrauchen. Oder hast du als Reisender ein bestimmtes Ziel?“
„Also ich formuliere es mal so: etwas Spezielles habe ich zur Zeit nicht vor. Ich ziehe eigentlich nur ziellos durch die Gegend ...“
„Na das paßt doch bestens! Schließ dich uns an, dann brauchst du dich nicht darum zu sorgen, wo du schlafen kannst. In unserem Hauptquartier ist genügend Platz. Da wird es dir sicher gefallen. Futter haben wir auch genug, der Anteil an der Beute läßt sich normalerweise auch sehen – was willst du denn noch mehr? Das ist ein einmaliges Angebot, mein Freund.“
„Wie funktioniert das so bei euch?“ erkundigte sich der Sohn eines Schmieds interessiert. „Womit verdient ihr eure 'Beute'?“
„Hauptsächlich mit Überfällen auf Reisende oder Händler, aber auch mit Diebstahl. Ein sehr altes, bewährtes Gewerbe. Garantiert krisensicher.“
„Das hört sich nicht schlecht an. Gut, ich bin dabei.“
„Dann erst einmal herzlich willkommen in unserem Verein. Vielleicht sollte ich dir gleich mal die Jungs vorstellen? Also der Kleine mit den beiden Dolchen heißt Ulman, derjenige, dem du den Kampfstab zerbrochen hast, ist Fajid, da hinten mit der Axt, das ist Norwek, daneben jeweils mit Keule, Irweh und Aklei, den du leicht an seiner hünenhaften Gestalt erkennst. Mein Name ist übrigens Lamon.“
„Mich nennt man Calidor“, stellte sich das neue Bandenmitglied vor und klopfte jedem der anderen zur Versöhnung auf die Schulter. Im Nu hatten sich die Männer untereinander bekannt gemacht und nach einer Weile drängte Lamon zum Aufbruch. Gemeinsam marschierten sie einen kaum sichtbaren Trampelpfad entlang tiefer in den Wald hinein. Nach kurzer Zeit wurde das Gelände hügeliger, was dem dichten Waldbestand jedoch nichts auszumachen schien. Im Gegenteil: hier standen die Bäume sogar noch enger beisammen. Über den verschlungenen, kaum auszumachenden Pfad spazierte die kleine Gruppe weiter voran. Von irgendwoher vernahm Calidor plötzlich das Rauschen von Wasser. Mit jedem Schritt wurde das Geräusch lauter. Schon bald sah er seitlich des Wegs einen kleinen Wasserfall, der sich eine rund sechs Meter hohe Steigung hinab ergoß. Dort hinauf gelangten sie an einer weniger steilen Stelle, wobei sich der Zulauf des Wasserfalls als kleiner Bach entpuppte.
Ehrfürchtig blieb Calidor stehen, um dem hinabtosenden Wasser zuzuschauen. Er hätte zu gern noch länger hier verweilt, doch der hinterste der Reihe – Aklei – fragte ihn im Vorübergehen, ob er schon erschöpft sei, was er sich natürlich nicht zweimal sagen lassen mußte. Es dauerte nicht mehr lange, bis Lamon ankündigte, das Hauptquartier läge direkt voraus.
„Ich sehe nichts“, meinte Calidor knapp. „Wollt ihr mir einen Bären aufbinden?“
Außer einigen Büschen, die sich an eine kleine Felswand schmiegten, war hier nämlich tatsächlich nichts zu sehen, was Ähnlichkeit mit von Menschen geschaffenen Ruheplätzen hatte.
„Schau genauer hin“, forderte ihn der Anführer auf. „Es ist gut getarnt.“
Nachdem Calidor sich die Sträucher etwas eingehender unter die Lupe genommen hatte, entdeckte er einen schmalen Durchgang, der von einer regelmäßigen Zurechtstutzung der Büsche herrühren mußte. Neugierig tastete er sich einige Meter voran auf die hinter dem Dickicht aufragende Felswand zu – da sah er es, er stand unmittelbar vor dem Eingang einer Höhle.
„Respekt!“ ließ er seine Kumpane wissen. „Die hätte ich allein nie gefunden.“
„Das ist unser Hauptschlupfwinkel“, reichte ihm einer der Männer eine Fackel, die den Weg leuchten sollte. Den anderen voran marschierte er in das Dunkel. Ein langer Gang führte in den Fels hinein, der nach einer Linkswindung in einen kleinen, rund drei mal vier Meter großen Hohlraum öffnete, zu beiden Seiten lagen aufgereiht Waffen. Hier lagerten wohl ein Dutzend Speere, rund 20 Messer, ferner drei Bögen, mehrere gefüllte Pfeilköcher, zwei Äxte sowie ein paar lange Stöcke. Offensichtlich das Waffenlager der Bande.
Weiter ging es den Gang entlang, der nun etwas breiter wurde. Nach etlichen Schritten öffnete sich eine geräumige Höhle, die aus verwinkelten Kammern bestand. Allerlei persönliche Gegenstände lagen überall herum, an den Wänden hingen teilweise Stoffe oder Schnüre mit getrockneten Pilzen. Der vorderste Mann steckte seine Fackel an eine Halterung an der Wand, um danach weitere Fackeln anzuzünden, damit der gesamte Innenraum spärlich ausgeleuchtet wurde.
„Such dir eine Stelle zum Schlafen“, riet Lamon dem Neuen. „Wir haben hier alle unseren Platz, aber du solltest dennoch genügend Auswahl haben.“
Calidor blickte sich erst mal in allen Winkeln um, ehe er sich für eine Stelle am äußersten Ende entschied, die halbkreisförmig in den Fels ragte. Diese Ausbuchtung war gerade groß genug, daß man sich lang ausgestreckt hinlegen konnte. Bestens geeignet als Schlafkoje. Zudem sorgte ein rund 50 cm hoher Stein in Richtung zur Haupthöhle für etwas Abgeschiedenheit. Doch vorerst dachte er nicht ans Schlafen. Zusammen mit den anderen setzte er sich in die Mitte der Höhle zusammen, um noch etwas Informationen auszutauschen.
„Ich kenne eure Namen, aber ansonsten weiß ich nichts über euch“, begann er zaghaft. „Wie ihr vielleicht mitbekommen habt, war ich bislang Schmied, mußte dann aber auf Grund eines Mißverständnisses mein Heimatdorf verlassen. Nun bin ich hier.“
Der erste, der etwas erwiderte, war der kleinwüchsige Ulman.
„Also ich komme aus Anato. Hab dort vor ein paar Jahren die Tochter des Stadtvorstehenden gevögelt. Das hat mir der irgendwie übelgenommen und ich mußte untertauchen. Hab dann zufällig Lamon getroffen, der genauso wie ich knapp bei Kasse war – der Rest ergab sich von selbst.“
„Meine Geschichte ist schnell erzählt“, fuhr der hakennasige Norwek fort. „Vor ungefähr zwei Jahren wollte ich gerade einen Händler überfallen, als mir die zwei“ – er deutete auf Lamon und Ulman – „zuvorkamen. Wollte denen dann einen Teil ihrer Beute abjagen und irgendwie ergab es sich dann so, daß wir von da an zusammenarbeiteten.“
Fajid genehmigte sich einen Schluck aus einer Wasserflasche, ehe er zu reden begann.
„Ich arbeitete als Knecht bei einem Bauern, bis er mich eines Tages vor die Tür gesetzt hat, weil ich ihn angeblich bestohlen hätte. Bin dann als Dieb auf Jahrmärkten tätig gewesen. Im letzten Sommer hab ich dann versucht Lamon zu beklauen. Er hat es jedoch bemerkt und da wußte ich, daß ich an einen wahren Profi geraten bin. Er hat mir angeboten seiner Bande beizutreten, was ich sofort angenommen habe. Als Gruppe hat man immerhin ganz andere Möglichkeiten als alleine, insbesondere was die Größe der Beute betrifft.“
Aklei schaute kurz in die Runde. „Eigentlich stand ich im Dienst des Rates von Anato mit der Aufgabe, eine Räuberbande im Timstor-Forst zu stellen. Irgendwann hab ich sie dann auf frischer Tat ertappt. Doch angesichts des großzügigen Angebots, das sie mir unterbreiteten, habe ich abgewogen, ob es nicht besser sei die Seiten zu wechseln. Als Gesetzesdiener bekam ich gerade mal zwölf Kronen im Monat. Lamon hat mir zwanzig versprochen – pro Woche! Tja, da konnte ich einfach nicht widerstehen. Ich habe diese Entscheidung nie bereut.“
Calidor hatte die gesamte Zeit interessiert zugehört, doch nun brannte ihm eine Frage auf den Lippen. „Wie hoch liegt denn in etwa so der Anteil pro Mann, wenn die Geschäfte gut laufen?“
„50 Kronen die Woche können es schon werden“, schätzte Lamon. „Hängt ein bißchen von der jeweiligen Jahreszeit ab. Im Winter sind weniger Händler unterwegs, also ist auch die Menge des transportierten Wertes niedriger. Davon einmal abgesehen verdienen wir wesentlich mehr als andere Leute. Nur darauf kommt es doch an, oder?“
*
Die erste Nacht in der Höhle der Räuber empfand Calidor als recht angenehm. Die weiche Unterlage aus Blättern und Moos schützte ihn vorzüglich vor der Kälte. Zudem konnte man sich hier relativ sicher fühlen – geschützt durch mehrere Meter dicke Felsen sowie dem getarnten Eingang würde wohl niemand seinen Schlaf stören. Von seinen Kumpanen bekam er praktisch nichts mit, weil diese sich in einer jeweils anderen Ecke der geräumigen Höhle niedergelassen hatten. Dadurch schottete sich jeder etwas von den anderen ab, was zu einer weitestgehend unbekümmerten Privatsphäre führte. Nächtliche Störungen durch penetrantes Schnarchen sollte sich auf diese Art also effizient vermeiden lassen.
'So schnell kann es gehen', dachte er vor dem Einschlafen. 'Vor zwei Wochen war ich noch Schmied, vor zwei Tagen ein Wanderer ohne Ziel, jetzt gehöre ich zu Räubern.'
*
Am kommenden Tag wurde er als erster wach. Wie ihm schien, hatten die anderen nichts gegen einen langen Schlaf einzuwenden, denn sie lagen alle noch faul herum. Da er sie nicht durch seine beginnende Aktivität wecken wollte, beschloß er nach draußen zu gehen. Leise schlich er in den Gang hinein bis zur „Waffenkammer“ und von dort etwas weniger um Stille bemüht das restliche
Stück bis zum Eingang. Noch im Schutz der Felsen erkannte er, daß es vor kurzem geregnet haben mußte. Die Zweige und auch der Boden waren nämlich sicht- und fühlbar feucht. Um sich an den spitzen Ästen nicht zu verletzen, begab er sich vorsichtig nach draußen. Die frische Waldluft wirkte im Vergleich zur eher muffigen Höhlenluft richtig belebend. Auf einem Baum in der Nähe saß ein Eichelhäher, der charakteristisch keckerte, als er den menschlichen Störenfried in seinem Revier gewahrte. Die Wipfel der Bäume ragten hoch auf, wobei sie die meisten Sonnenstrahlen absorbierten, so daß nur gedämpftes Licht auf den Boden fiel. Trotz der Regenlacken machte es den Eindruck, als würde dieser Tag schön werden. Mal schauen, was die anderen für heute geplant hatten. Vermutlich einen Überfall? Nachdem er wieder zurück in die Höhle gestapft war, sah er mit Befriedigung, das langsam etwas Leben in die Bude kam. Allmählich regten sich die anderen nämlich ebenfalls. Es dauerte nicht lange und die gesamte Bande war auf den Beinen. Lamon brummte ein kurzes „folgt mir“, ehe er hinausstiefelte.
„Heute legen wir uns bei den Bedan-Sümpfen auf die Lauer“, erklärte er. Dieses ausgedehnte Sumpfgebiet etliche Kilometer westlich der Höhle bot beste Möglichkeiten für einen Raub, da eine schmale, häufig frequentierte Handelsstraße durch dieses unwegsame Gebiet führte.
Die meiste Zeit konnten die Männer im Schutz des Waldes wandern, doch je näher sie der Zielregion kamen, desto spärlicher wurde der Wuchs, bis sich vor ihnen schließlich eine größere Lichtung bildete, auf der nur vereinzelt Büsche bzw. Bäume standen.
„Das ist das Herzstück der Bedan-Sümpfe“, wurde Calidor durch Lamon informiert. Inzwischen sah er auch die kleine Straße, die sich am Rand zwischen Sumpf und Wald entlang schlängelte. Wie ein hungriger Tausendfüßler auf der Suche nach etwas zu fressen. Auf das Kommando ihres Anführers hin verteilte sich die Bande kreisförmig um eine Kurve des Pfades herum. Drei kauerten auf der Sumpfseite in Deckung, die anderen vier auf der jenseitigen Seite, die dichter mit Bäumen bestanden und dadurch bessere Deckung bot.
Es dauerte eine ganze Weile, ehe sich auf der Straße jemand zeigte. Eine hochgewachsene Gestalt marschierte zu Fuß heran. Calidor zückte schon sein Schwert, wurde jedoch von Lamon mit einer abwehrenden Geste bedacht. Immer näher kam der Fremde, stolzierte in normalem Tempo an ihnen vorbei, um schließlich hinter der nächsten Wegbiegung zu verschwinden.
„Wieso haben wir denn den nicht ausgeraubt?“ wunderte sich Calidor lauthals in Richtung des Anführers.
„Weil der nichts bei sich hatte“, erklärte Lamon. „Der hatte nicht mal eine sichtbare Waffe dabei, geschweige denn Gepäck und ging zu Fuß. Solche Leute sind zu arm zum Ausrauben.“
„Aha – dann habt ihr mich also überfallen, weil ihr euch gedacht habt: wenn der Junge ein Schwert dabei hat, dann ist er sicher wohlhabend, wenn er es sich leisten kann oder aber er hat was zu verteidigen. Interessant ...“
„Wir konnten doch nicht ahnen, daß du der Sohn eines Schmiedes bist“, fügte Norwek grinsend hinzu. „Wie ein Schmied hast du nicht gerade ausgesehen.“
„Wie sieht denn deiner Meinung nach einer aus?“
„Nun ja, irgendwie anders. Einen Schmied stelle ich mir immer als glatt rasierten Mann mit nacktem Oberkörper vor, der gerade seinen Schmiedehammer schwingt. Du hattest einen ziemlichen Bart und ein langes Wams an – ergo war es für mich erwiesen, du seist ein heruntergekommener Adliger.“
Erneut vergingen zahlreiche Minuten, ehe sich wieder jemand zeigte. Diesmal handelte es sich um einen Karren, der von zwei fetten Ochsen gezogen wurde. Ein älterer Herr mit breitem Hut hockte mit den Zügeln in den Händen darauf. Entweder ein Bauer oder ein fahrender Händler. Auf Lamons Zeichen hin sprangen die Männer aus ihren Verstecken.
„Wenn du dich nicht wehrst, geschieht dir nichts!“ schüchterte Lamon den Mann ein. Dieser zügelte seine Zugtiere und wagte nicht sich zu rühren. Im Nu standen Irweh und Ulman bei den Ochsen, um zu verhindern, daß der Karren nochmals anfuhr. Der Rest scharte sich um den Karren, auf dem allerhand wertvolles Gut lag. Stoffe, Pelze, Geschirr, ein Faß Met. Fajid sowie Norwek stiegen hinauf, um alles gewissenhaft zu durchwühlen, wobei sie verwertbare Gegenstände an die anderen weitergaben. Nach wenigen Minuten hatten sie ihre Arbeit erfolgreich beendet. Auch den Wagenlenker durchsuchte man nach versteckten Kostbarkeiten. Bis auf eine kleine Geldbörse, in der sich 4 Kreuzer befanden, hatte er nichts dabei.
„Du kannst weiterfahren“, wies ihn Lamon an. „Weiterhin gute Geschäfte!“
Lächelnd gab er das Zeichen zum Absetzen. Die erste Beteiligung an einem Überfall war ohne Probleme verlaufen. Wenn das in Zukunft genauso locker lief, dann konnte man sich gut vorstellen das restliche Leben so zu verbringen.
Nachdem die Bande vollbepackt den Rückweg durch den Wald angetreten hatte, ruhte man sich erst mal ein wenig aus, ehe man an die Besichtigung der Beute ging. Alles in allem würde man das sicher lohnend eintauschen können. Nun gut, das Faß Met würde man behalten – aber den Rest würde man für Brot, Fleisch, Fisch und Käse tauschen. Das funktionierte auf den großen Märkten in den Provinzstädten ganz einfach: da bot man einem Händler einfach einen Ballen Stoff für zwei Hühner an und schon wechselten die Gegenstände den Besitzer. Ob die eingetauschte Ware gestohlen war oder nicht – darum machte sich kaum jemand ernsthaft Gedanken. Hauptsache die Kronen rollten.
Den Nachmittag über verbrachten die Räuber mit ausgiebigem Mettrinken, der die Sinne der Männer verwirrte und doch – oder gerade deswegen – allgemeine Heiterkeit verbreitete. Das Räuberleben hatte schon seine angenehmen Seiten.
*
Am nächsten Tag legten sich die Männer erneut auf die Lauer. Diesmal an der Handelsstraße nördlich der Hügelkette, in der das Hauptquartier lag. Dort herrschte weitaus weniger Verkehr, doch laut Aklei rentierte es sich allemal hier mal vorbeizuschauen. In der Tat tauchte bald ein lohnendes Opfer auf: eine Pelzladung, die auf einem kutschenähnlichen Gefährt aufgeladen war. Außer dem jungen Kutscher begleitete niemand die Ware – sehr unvorsichtig. Lamon gab das Zeichen zum Überfall und schon sprang Calidor hinter einem Busch hervor. Auch die anderen stellten sich mit erhobenen Waffen auf die Straße, um dem Überfallenen optisch zu demonstrieren, daß Gegenwehr keinen Sinn hatte und allenfalls für seine Gesundheit abträglich war.
„Wenn dir dein Leben lieb ist, dann leiste keinen unbedachten Widerstand“, fuhr Lamon den überraschten Kutscher an. Dieser sprang erschrocken von seinem Bock, wo er von Norwek in Schach gehalten wurde, während die anderen die Pelze plünderten. Jeder warf sich vier, fünf von ihnen über die Schulter, ehe man Fersengeld gab. An ihrem Beutegut hatten die Männer ganz schön zu tragen, doch das konnten alle verschmerzen. Die Ladung würde ihnen einen ordentlichen Batzen Geld bringen. Pelze konnte man überall zu guten Preisen verkaufen. Gerade im Herbst stieg der Bedarf nach wärmendem Material. In der Räuberhöhle lagerte man sie erst mal in einer Ecke, denn man würde sie erst in einigen Tagen verkaufen. Da wollte Lamon nämlich nach Bantifor auf den Markt, um das Diebesgut zum Großteil zu veräußern.
Die folgenden Tage verstrichen ereignislos. Das Metfaß leerte sich zusehends, was nicht zuletzt daran lag, daß man sich damit ordentlich die Tage versüßte.
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An einem kalten Morgen war es dann soweit – Lamon gab Anweisung die Pelze hinauszuschaffen. Ferner noch die erbeuteten Stoffe und die anderen Sachen, die verkauft werden sollten. Dann ging es los. Nur ein Mann blieb zurück, um auf die Höhle aufzupassen: Fajid. Die anderen schleppten sich dafür ordentlich ab. Calidor befürchtete schon, sie müßten das Zeug von hier bis Bantifor schleppen, doch Gott sei dank führte sie Lamon bis an den Waldrand, wo zwischen einigen Büschen ein getarnter Karren stand. Auf diesen luden sie die Güter auf. Ziehen mußten sie mangels Pferde oder Ochsen jedoch selbst. Aber immer noch besser als in den Händen oder über der Schulter tragen. Das schlaucht nämlich ganz schön. Abwechselnd zogen immer zwei Mann. Calidor kam gleich als erster dran, was ihn freute, weil er sich dann später ausruhen konnte.
Es sollte den ganzen Tag dauern und natürlich hatten sie die Provinzhauptstadt bei der geringen Geschwindigkeit noch nicht erreicht. Drum entfachten sie am Wegrand ein kleines Lagerfeuer, um kreisförmig außen herum ein Nachtlager aufzuschlagen. Die Nacht unter freiem Sternenhimmel war kalt, doch wenigstens wärmte das Feuer ein wenig, so daß es sich einigermaßen im Rahmen verhielt. Vor dem Einschlafen hörte Calidor den Ruf einer Eule, die wohl gerade auf die Jagd ging. So verschieden waren die Schlafgewohnheiten: manches Tier wurde jetzt erst richtig aktiv.
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Am nächsten Morgen setzte man den Weg fort. Kurz nach Mittag gelangte man in Bantifor an, wo sich die Männer sogleich zum Markt begaben. Nach kürzester Zeit hatten sie die 31 Pelze zu einem akzeptablen Preis von jeweils 11 Kreuzern verkauft. Die restlichen Waren brachten zusammengenommen nochmal 82 Kreuzer ein. Den Erlös aus dem Verkauf behielt vorläufig Lamon ein, denn die Aufteilung sollte erst nach der Rückkehr ins Hauptquartier erfolgen. Da jedoch der Wunsch bestand, sich noch etwas in der Stadt zu amüsieren, gab der Anführer jedem seiner Leute schon mal 10 Kreuzer als Vorschuß. Ehe sie sich trennten, vereinbarten sie, daß man sich am kommenden Tag gegen Mittag am Stadtausgang treffen würde, um den Rückweg anzutreten. Calidor steuerte erst einmal eine Taverne an, wo er sich ein deftiges Essen auftragen ließ und auch dem Wein zusprach. Spontan verspürte er den Wunsch sich wieder mal auf einem Weibe zu wälzen. Drum streifte er durch die Straßen, auf der Suche nach einem Liebeshaus, das er schließlich ganz in der Nähe fand.
Im Vorraum des Etablissements empfing ihn eine dezent gekleidete Dame, die ihn über die Preise informierte als auch über den Umfang der gebotenen Dienstleistungen. Nachdem man handelseinig wurde, klatschte die Dame in die Hände und zehn junge Frauen kamen aus einem Nebenraum, die sich in einer Reihe aufstellten. Calidor schritt von einer zur nächsten, für welche sollte er sich nur entscheiden? Für die Blonde mit der üppigen Oberweite? Oder lieber doch für die Schwarzhaarige mit dem Roßarsch? Obwohl die Maße der Braunhaarigen eine gute Mischung darstellten ... er gab zu guter letzt einer Schwarzhaarigen den Vorzug, die über wohlgeformte Rundungen verfügte und ihm durch ihre erotische Ausstrahlung besonders gefiel. Sie nahm ihn an der Hand, um ihn nach oben in den ersten Stock zu führen, wo sie ein Zimmer auf der rechten Flurseite ansteuerte.
„Bitte nach dir“, bat sie Calidor einzutreten. Dann verschloß sie von innen die Tür ...
*
Nach einer traumhaften Nacht begab sich Calidor am nächsten Tag zum verabredeten Treffpunkt, wo bereits Irweh und Ulman herumstanden.
„Na? Womit hast du dir die Zeit vertrieben?“ erkundigten sich die beiden.
„Ach, mit nichts Besonderem. Ein bißchen saufen und Weiber.“
„Recht viel andere Sachen haben wir auch nicht gemacht.“
Grinsend sahen sich sich drei an. Die Woche in der kalten Höhle hatte sie allesamt anfällig für etwas Weiches gemacht. Wer konnte ihnen das verübeln? Sie brauchten nicht all zu lange zu warten, ehe sich der Rest versammelte.
„Fehlt noch jemand? Nein? Na dann kann's ja losgehen.“
Mit dem leeren Karren kamen sie wesentlich besser voran, als noch auf dem Herweg. Nichts desto trotz mußten sie wieder einmal in der Wildnis übernachten, was dieses mal dank Lamons Besorgungen recht vergnügt ausfiel, denn er hatte mehrere Flaschen Met organisiert.
Am kommenden Vormittag erreichten sie schließlich den Wald, wo sie den sperrigen Karren am alten Platz versteckten, um den restlichen Weg quer durch den Forst ohne Ballast zurückzulegen. Fajid begrüßte sie freudig, als sie vor dem Eingang zum Hauptquartier ankamen.
„Wie ist es gelaufen? Habt ihr einen guten Preis bekommen?“
„Mehr als das“, erklärte ihm einer der Ankömmlinge. „423 Kreuzer.“
Nachdem sich die gesamte Bande im Hauptraum der Höhle eingefunden hatte, begann die Verteilung der Beute. Lamon bildete acht Häufchen: sechs von ihnen zählten jeweils 35 Kreuzer, die er an die Männer austeilte, die ihn begleitet hatten. Einen schob er selbst ein. Fajid erhielt 45 Kreuzer, weil er ja keinen Vorschuß wie die anderen bekommen hatte. Die restlichen 91 Kreuzer kamen in eine spezielle Börse. „Bandengeld“ genannt, das hieß, es handelte sich dabei quasi um Gemeinschaftseigentum, von dem Lamon in der Stadt unmittelbar vor der Rückfahrt bereits den Met gekauft hatte. Ausgelassen widmeten sich die Männer an diesem Abend dem fast leeren Metfaß, mit dem sie auf die Ausbezahlung ihres Anteils anstießen.
*
Es vergingen zwei Wochen, in denen die Räuberbande nicht viel mehr tat als in der Höhle herumlungern, die Nahrungsvorräte plündern und im Wald spazieren gehen. Gerade als sich langsam aber sicher eine allgemeine Unlust einstellen wollte, rief der Anführer seine Männer zusammen.
„Ich habe von einem Informanten eine Nachricht erhalten“, begann Lamon. „In zwei Tagen reist die Tochter des Stadtrates von Anato über Merkab zurück nach Anato. Die voraussichtliche Reiseroute wird durch den Pilzwald nördlich von hier führen. Wir werden ihr auflauern, ihre Begleiter niederknüppeln, um die Dame zu entführen. Das wird uns ein ordentliches Lösegeld einbringen! Was meint ihr, wieviel Kohle der Stadtrat wohl für sein liebes Töchterlein springen lassen wird? Dadurch werden wir reich!“
„Hört sich interessant an“, meinte Norwek grinsend. „Wie viele Männer begleiten sie?“
„Nur eine Handvoll leicht Bewaffneter. Mit denen werden wir spielend fertig.“
„Wieviel können wir da wohl an Lösegeld verlangen?“ fragte sich Fajid.
„Mehr als wir alle ausgeben können“, lachte der Anführer. „Aklei, Norwek, ihr schaut euch mal die besagte Straße an. Haltet insbesondere die Augen offen nach einer guten Überfallstelle. Irweh, Calidor, ihr geht in den Wald zum Jagen. Ulman und Fajid werden währenddessen eine Art Gefängniszelle in einer Ecke der Höhle bauen.“
Nach diesen Vorbereitungen, die sich am kommenden Tag weiter spezifizierten, legte sich die Bande am Morgen des darauf folgenden Tages an einem gut einsehbaren Straßenabschnitt auf die Lauer. Die Stelle schien wie geschaffen für einen Überfall. Neben dem guten Überblick über den Pfad gab es dank der dichtbewachsenen Vegetation am Wegesrand exzellente Versteckmöglichkeiten, so daß man von den Vorbeiziehenden nicht bemerkt wurde. Mehrere teils wohlhabend aussehende Reisende zogen des Wegs, doch keinen von ihnen beachteten die Männer. Erst beim Anblick einer Kutsche mit einer Eskorte bestehend aus mehreren Reitern wußten alle, daß es gleich soweit war. Vier Pferde zogen die prunkvolle Kutsche in zügigem Tempo. Immer näher kam sie heran, bis Lamon das Zeichen gab. Norwek ließ sich vom Ast eines Baumes auf das Dach der Kutsche fallen, wo er sogleich den Kutscher außer Gefecht setzte. Seine Kumpanen attackierten
zugleich die Begleiter, die den Kampf mit gezückten Schwertern aufnahmen. Fajid beförderte mit seinem Stab einen Reiter aus dem Sattel, den er anschließend bewußtlos schlug. Ulman hatte mit seinen Dolchen das Nachsehen gegenüber einem berittenen Gegner, der zudem noch eine Waffe mit einer längeren Reichweite besitzt. Als er seine Unterlegenheit erkannte, stand ihm bereits Lamon zur Seite, der den Reiter in seinen Speer reiten ließ. Calidor besiegte unterdessen einen weiteren. Der vierte floh, da er offenbar das Schicksal seiner Kameraden nicht teilen wollte. Norwek hatte die Kutsche am Straßenrand angehalten und sich schon mal darum gekümmert, daß die Insasse nicht floh.
„Na, wen haben wir denn da?“ rief Lamon erfreut, als er die zornige Frau sah, die ihm aus der Kutsche entgegen sah.
„Was fällt euch Banditen ein? Mein Vater läßt euch alle aufknüpfen!“
„Ach das glaube ich nicht“, winkte Lamon ab. „Wir haben dich als Pfand. Ulman, Norwek – fesselt sie und verbindet ihr die Augen.“
Nachdem die Geisel ruhiggestellt war, spazierte man in einem Bogen in mehreren Zick-Zack-Windungen zum Hauptquartier. Auf diese Weise wollte man verhindern, daß sich die Geisel später an den Weg erinnerte. Schließlich wollte die Bande noch länger ihre angestammte Höhle bewohnen. Nun gut, der Eingang war getarnt, aber wenn die Geisel am Ende ihre Schritte mitzählte, dann konnte man nachträglich durchaus nachvollziehen, wo in etwa die Höhle der Räuber lag. Dieses Risiko gedachte Lamon so weit wie möglich zu minimieren.