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Franz von Falkenstein

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Beschreibung

Ein Mann wacht im Krankenhaus auf und kann sich an nichts mehr erinnern. Wer ist er? Wer ist die Frau, die ihn besuchen kommt? Alles kommt ihm unbekannt vor. Nach seiner Entlassung führt er das Leben eines Fremden und versucht, zu sich selbst zu finden. Das ist harte Arbeit, doch dann verbindet er etwas mit einem bestimmten Ort. Langsam entdeckt er sein verdrängtes Ich, das ihn auf Grund seiner Brachialität zu überwältigen droht. Eine Erzählung mit jähen Wendepunkten, immer am Rande des logisch Nachvollziehbaren.

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Franz von Falkenstein

Wer bin ich?

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Wer bin ich?

Ein schwarzer Mantel umgab mich. Es war, als sei ich in einem endlosen Nichts. Ein schönes Gefühl. So ruhig, völlig ohne Hektik, erholsam. Nur eines schien dieses Nichts zu stören: eine weit entfernte Stimme tönte von irgendwo her an mich heran. Was sie sagte, verstand ich nicht. Im Lauf der Zeit wurde sie jedoch lauter und das schwarze Nichts um mich herum schwand, um einer Helligkeit Platz zu machen, die mir jetzt gar nicht willkommen war, denn sie störte den Zustand der Stille, in dem ich mich so wohl gefühlt hatte. Erst allmählich begriff ich, dass ich nicht im Himmel weilte, sondern in der harten Wirklichkeit auf der Erde. Mit Mühe und Not konnte ich meine Augen öffnen, um einen Blick durch den Raum schwenken zu lassen. Offenbar lag ich in einem Zimmer eines Krankenhauses. Rechts von mir entdeckte ich ein zweites Bett, in dem ein Mann mittleren Alters zu schlafen schien. Auf der linken Seite – erst jetzt sah ich die Frau, die dort auf einem Stuhl saß. Sie hatte schulterlange, schwarze Haare, blaue Augen, die auf mich gerichtet waren und freudig strahlten, als ich sie ansah. Lange dauerte allerdings mein Aufenthalt in der Realität nicht, denn vor Erschöpfung schlief ich schon bald wieder ein. Das Nichts gewann wieder die Oberhand über meine Sinneswahrnehmungen.

 

*

 

Die nächsten Tage oder Wochen – so genau konnte ich das von meiner Perspektive aus gar nicht feststellen – verbesserte sich mein Zustand zusehends. Die schwarzhaarige Frau war oft bei mir gewesen und hatte über allerhand Zeug geredet. Über die Erfolge irgendwelcher Fußballvereine, ihre Tätigkeiten zu Hause, von diversen Leuten, die sie mit „Frank“, „Dieter“ sowie „Helena“ bezeichnete. Weiß der Teufel, wer diese Frau überhaupt war und warum sie mir als völlig Fremden all dies erzählte. Vermutlich tickte sie nicht ganz richtig, aber irgendwie tat mir ihre Nähe gut. Dann fühlte ich mich nicht so allein. Denn die Besuche der Krankenschwester sowie des betreuenden Arztes motivierten mich irgendwie nicht so richtig. Meistens kamen sie, um Untersuchungen durchzuführen, was mich langweilte.

Eines Tages fühlte ich mich stark genug um zum ersten Mal seit – keine Ahnung wie lange – aufzustehen. Noch ehe ich richtig stand, spürte ich das Dröhnen in meinem Kopf. Verdammt nochmal. Da musste ich ja ordentlich was auf den Schädel bekommen haben. Vermutlich war ich deshalb auch hier im Krankenhaus. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich in der Tat nicht wirklich wusste, warum ich hier war. Ziellos verließ ich mein Krankenzimmer, um etwas auf dem Gang spazieren zu gehen, wo mich gleich eine Schwester abfing.

„Herr Kallauer, wie ich sehe geht’s Ihnen schon besser.“

„Meinen Sie mich?“, fragte ich überrascht, denn dieser Name sagte mir gar nichts.

„Wen sollte ich denn sonst meinen?“, lächelte die Blondine milde, denn außer uns beiden befand sich niemand auf dem Gang. Sie nahm mich am Arm und begleitete mich wieder zurück in mein Zimmer. „Der Chefarzt kommt gleich zur Visite. Außerdem sollen Sie jetzt gar noch nicht soviel herumgehen.“

Irgendwie verstand ich das nicht: sie hatte mit Kallauer tatsächlich mich gemeint, aber so hieß ich doch gar nicht, oder? Moment – wie hieß ich denn eigentlich meiner Meinung nach? Beunruhigt stellte ich fest, dass ich es nicht wusste.

„Ähm ... Schwester“, setzte ich an. „Wieso weiß ich nicht, wie ich heiße?“

Die Frage musste in ihren Ohren blöd klingen, doch sie erwiderte dennoch ganz verständnisvoll:

„Sie hatten einen schweren Unfall und erlitten eine partielle Amnesie.“

„Aha“, meinte ich. „Und was bedeutet das?“

„Nun, sie haben ihr Langzeitgedächtnis verloren ...“

Das war ja furchtbar! Deshalb konnte ich mich also nicht mal an meinen eigenen Namen erinnern. Niedergeschlagen ließ ich mich auf mein Bett nieder, wo ich mir Gedanken über alles mögliche machte. Über mich, meine Umgebung, meine Vergangenheit, doch alles blieb im Dunkeln. Am selben Tag kam kurz nach der Visite des Chefarztes jene Frau herein, die auch in den vergangenen Tagen immer erschienen war.

„Ich habe gehört du bist heute bereits aufgestanden“, erzählte sie mir. „Geht es dir schon besser?“

„Es geht so“, bekannte ich. „Was ist eigentlich passiert?“

„Du hattest in einer Kurve einen Unfall mit dem Wagen und hast dich überschlagen. Der Arzt meint, es sei ein Wunder, dass du noch lebst.“

„Kennen wir uns eigentlich?“, fragte ich abrupt. Eine Weile starrte sie mich betroffen an.

„Ich bin doch deine Frau“, erklärte sie.

„Tut mir leid, aber ich kann mich nicht an dich erinnern.“

Tonlos blickte sie mir traurig in die Augen und hielt meine Hand fest umklammert, die sie zärtlich an sich drückte.

„Haben wir ... haben wir Kinder?“, wollte ich wissen. Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann keine bekommen.“

„Das tut mir leid für dich. Ähm ... wie heißt du überhaupt?“

„Klara Kallauer. Kannst du dich denn an gar nichts erinnern?“

„Nein“, gestand ich. „Wie heiße ich eigentlich mit Vornamen?“

„Ulrich.“

Das sollte mein Name sein? Ulrich Kallauer? Das klang so – nichtssagend. Oh Mann, ich fühlte mich wie in einem schlimmen Alptraum. Nur mit dem Unterschied, dass ich nicht jeden Moment aufwachen würde, weil ich (leider) schon wach war.

„Wie lange sind wir denn schon verheiratet?“ – „Sieben Jahre.“

Meine Güte, ich konnte mich nicht mal an eines erinnern. Betroffen schloß ich die Augen. Das konnte doch einfach nicht wahr sein. Doch als ich die Augen erneut öffnete, befand ich mich noch immer in dem Krankenzimmer. Klara strich mir feinfühlig über die Wange.

„Das kriegen wir schon wieder hin. Zusammen schaffen wir das schon.“

Erst jetzt fiel mir auf, dass sie ein recht hübsches Gesicht hatte. Offensichtlich hatte ich in der Vergangenheit wenigstens einen guten Geschmack gehabt. „Wie alt sind wir?“

„Ich bin 27 und du 29“, erklärte mir meine Ehefrau. Als sie meinen ungläubigen Ausdruck bemerkte, ging sie zu meinem Wandschrank, wo sie aus einer Jackentasche einen Ausweis entnahm, den sie mir in die Hand drückte. Neugierig betrachtete ich ihn. Ulrich Kallauer stand darauf. Geboren am 23.7.1973 in Regensburg. Das einzige, was mir seltsamerweise nicht fremd vorkam, war das Passfoto. Es erschien mir irgendwie merkwürdig vertraut. Wie schön, wenn ich mich wenigstens an die Tatsache meiner Existenz erinnerte ...

„Was arbeiten wir?“, wollte ich weiter wissen.

„Nun, du hast vor einigen Jahren das Anwesen deiner verstorbenen Eltern geerbt. Ferner diverse Aktienpakete und Beteiligungen, deren Einkünfte unseren Lebensstandard decken.“

„Meine Eltern sind schon tot?“, wunderte ich mich. „Ich bin doch laut Ausweis erst 29.“

„Sie waren bei deiner Geburt schon beide über 45.“

Niedergeschlagen schwieg ich, denn was sollte ich noch sagen? Mir standen vermutlich noch genügend unliebsame Überraschungen bevor. Spätestens dann, wenn ich entlassen wurde und nach „Hause“ kam, wo ich mir fremd vorkommen würde.

 

*

 

Eine gute Woche später war es so weit: ich wurde aus dem Krankenhaus entlassen. Zuvor ließ es sich der Chefarzt allerdings nicht nehmen, mir eine ambulante Therapie mit einem Psychologen zum Wiederfinden meines Gedächtnisses zu verschreiben. Nach dem Packen meines Koffers, bei dem mir meine Frau behilflich war, weil ich nicht mal wusste, was alles mir gehörte, geleitete sie mich das Krankenhaus hinaus zum Auto. Ein Mercedes X-Klasse mit 245 PS. Weiß der Geier, woher ich das wusste. An die wichtigsten Sachen erinnert man sich eben trotz Gedächtnisverlust ...

Klara hielt es für besser, wen sie fuhr. Erstens wusste ich nicht, wo ich hinfahren musste und zweitens hatte sie offenbar noch leichte Bedenken bezüglich meiner Fahrtüchtigkeit. Gespannt sah ich aus dem Fenster. Zuerst fuhren wir einige Straßen entlang durch die Stadt, bis wir schließlich das letzte Ortsschild erreichten.

„Regensburg“, stand darauf mit rot durchgestrichenem Titel. Ab hier war also die Stadt zu Ende.

„Wohnen wir auf dem Land?“

„Ja“, bestätigte Klara neben mir. „Wir leben in einer Villa etwas außerhalb.“

Mir gänzlich unbekannte Landstriche huschten an uns vorbei. Irgendwann bogen wir links in eine Landstraße ab, die wir eine Weile folgten, ehe Klara rechts in einen Privatweg einschwenkte, der zu einem alleinstehenden mit einer Mauer umzäunten Haus führte. Mit Hilfe eines Toröffners machte meine Frau das Gittertor auf, um danach auf das Grundstück zu fahren. Ein großer Garten mit herrlichen Blumen rückte in mein Blickfeld. Vor mir türmte sich eine Villa auf, die schon fast einem herrschaftlichen Schloß glich, wenngleich auch die Türme fehlten. Auf der linken Seite des Herrenhauses befand sich eine Garage, in der wir den Mercedes parkten.

„Wir sind da“, stellte Klara fest, der Motor verstummte. Neugierig stieg ich aus und folgte ihr in den Garten. Es kam mir vor, als sei ich noch nie hier gewesen, doch laut meiner Frau war dem nicht so.

„Jetzt gehen wir erst mal hinein. Vielleicht kannst du dich an irgend etwas erinnern“, schlug meine Frau vor und ging voran zur Haupteingangstür. Drinnen war es im Gegensatz zu draußen angenehm kühl. Ein Gang lag vor uns, der links sowie rechts jeweils in mehrere Zimmer und geradeaus zu Treppen führte, die offenbar in den ersten Stock gingen. Das erste Zimmer zur rechten Hand war ein Wohnzimmer mit stilvoll eingerichteten Möbeln.

„Gemütlich“, stellte ich fest und setzte mich auf die lederbezogene Couch. „Wieviele Zimmer gibt es eigentlich?“

„Also im Erdgeschoß dieses Wohnzimmer, ein Esszimmer, die Küche, Speisekammer, WC, Musikzimmer, Sportraum, Billardzimmer, Schwimmbecken, im ersten Stock das Schlafzimmer, zwei Arbeitszimmer, Bad, Gästezimmer sowie nochmal ein Wohnzimmer“, zählte Klara auf.

„Und was ist im Keller los? Lagert da nur altes Gerümpel?“

„Dort ist unser Weinvorrat und du hast dort deinen Schießstand.“

„Wahnsinn“, meinte ich beeindruckt. „Also das wird vermutlich etwas länger dauern, bis ich mich hier zurecht finde.“

„Schau dir ruhig alles in Ruhe an. Ich mache uns derweil was zum Essen.“

Sie ließ mich allein und ich begann Zimmer um Zimmer zu erkunden. Das Musikzimmer direkt nebenan hatte es mir besonders angetan. Dort stand nämlich eine Stereoanlage mit Surround-Lautsprechern, die einen verdammt guten Raumklang lieferten. Auch das Sportzimmer gefiel mir. Dort standen diverse Geräte zum Trainieren der verschiedensten Muskeln vom Zeh bis zur Brust. Im nächsten Zimmer fand ich einen Billardtisch vor, doch irgendwie war das Aufspießen der Kugeln mit diesen seltsamen Speeren nicht so nach meinem Geschmack, weshalb ich die Treppe hinauf schlenderte. Im Gang hingen an der Wand Replikate von Kunstwerken berühmter Maler.

„Das ist doch ein Rubens ...“, entfuhr es mir. Keine Ahnung woher ich das in diesem Moment wusste, denn eigentlich interessierte ich mich nicht wirklich für die Malerei. Offenbar war das früher mal anders gewesen und ich hatte mich an mein Lieblingsbild erinnert? Möglich, sogar wünschenswert, aber vielleicht hatte es auch gar nichts zu bedeuten. Der erste Raum im 1. Stock, den ich durch Zufall betrat, war das Schlafzimmer. Luxuriös eingerichtet mit einem großen französischen Bett, dass theoretisch wohl Platz für mehr als nur zwei Personen bot ...

Auf dem einen Nachtkästchen lag ein rot gefärbtes Buch mit Titel „Verlorene Siege“ von einem gewissen Erich von Manstein. Den Namen hatte ich doch schon mal irgendwo gehört. Spontan fiel mir nur nicht ein woher. Als ich das Inhaltsverzeichnis aufschlug wurde mir klar, woher ich den Autor kannte: er war im Zweiten Weltkrieg ein berühmter Stratege gewesen und hatte in diesem Buch seine Erfahrungen niedergeschrieben. Laut Lesezeichen war ich schon bei Seite 83 angekommen, doch konnte ich nicht sagen, worum es bis dahin ging. Mehr als ein paar kleine Details wollte mir mein Gedächtnis offenbar nicht preisgeben. Nachdenklich legte ich das Buch zurück auf das Kästchen. Im nächsten Raum – dem Bad – blickte ich mich nur kurz um. Sehr geschmackvoll eingerichtet, das musste ich allerdings zugeben. Da von unten der Schrei „Essen fertig“ zu mir drang, unterbrach ich meine Erkundung, um nach unten zu gehen, wo mich Klara an der Türschwelle zum Esszimmer erwartete.

„Was gibt’s denn?“, wollte ich hungrig wissen.

„Dein Lieblingsessen: Gemüseauflauf mit Kartoffeln.“

Das war also mein Lieblingsessen? Davon wusste ich ja gar nichts ...