Hendriksen und der falsche Erbe: Der fünfte Fall - Ole Hansen - E-Book + Hörbuch

Hendriksen und der falsche Erbe: Der fünfte Fall Hörbuch

Ole Hansen

3,0

Beschreibung

Wenn ein Erbe zur tödlichen Gefahr wird: Der fesselnde Krimi »Hendriksen und der falsche Erbe« von Bestseller-Autor Ole Hansen als eBook bei dotbooks. Stürmische Zeiten für die Hamburger Reederei Mommsen: Erst wird ihr bisher größtes Schiff vor Somalia von Piraten überfallen, kurz darauf stirbt der Patriarch des Unternehmens unter mysteriösen Umständen – und unter seinen Erben bricht erbitterter Streit um die Nachfolge aus. Doch genau dafür hatte der alte Mommsen vorgesorgt: Nach der Testamentseröffnung muss Hamburgs bester Privatdetektiv Marten Hendriksen mit der Untersuchung seines Todes beauftragt werden. Eine heiße Spur führt Hendriksen in die herrschaftlichen Villen der Elbchausee und zu den Docks und Lagerhallen der Hansestadt. Was er dort findet, lässt selbst dem abgeklärtesten Ermittler das Blut in den Adern gefrieren … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der packende Hamburg-Krimi »Hendriksen und der falsche Erbe« von Bestseller-Autor Ole Hansen. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Zeit:7 Std. 50 min

Sprecher:Erich Wittenberg
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Über dieses Buch:

Stürmische Zeiten für die Hamburger Reederei Mommsen: Erst wird ihr bisher größtes Schiff vor Somalia von Piraten überfallen, kurz darauf stirbt der Patriarch des Unternehmens unter mysteriösen Umständen – und unter seinen Erben bricht erbitterter Streit um die Nachfolge aus. Doch genau dafür hatte der alte Mommsen vorgesorgt: Nach der Testamentseröffnung muss Hamburgs bester Privatdetektiv Marten Hendriksen mit der Untersuchung seines Todes beauftragt werden. Eine heiße Spur führt Hendriksen in die herrschaftlichen Villen der Elbchausee und zu den Docks und Lagerhallen der Hansestadt. Was er dort findet, lässt selbst dem abgeklärtesten Ermittler das Blut in den Adern gefrieren …

Über den Autor:

Ole Hansen, geboren in Wedel, ist das Pseudonym des Autors Dr. Dr. (COU) Herbert W. Rhein. Er trat nach einer Ausbildung zum Feinmechaniker in die Bundeswehr ein. Dort diente er 30 Jahre als Luftwaffenoffizier und arbeitete unter anderem als Lehrer und Vertreter des Verteidigungsministers in den USA. Neben seiner Tätigkeit als Soldat studierte er Chinesisch, Arabisch und das Schreiben. Nachdem er aus dem aktiven Dienst als Oberstleutnant ausschied, widmete er sich ganz seiner Tätigkeit als Autor. Dabei faszinierte ihn vor allem die Forensik – ein Themengebiet, in dem er durch intensive Studien zum ausgewiesenen Experten wurde.

Heute wohnt der Autor in Oldenburg an der Ostsee.

Von Ole Hansen sind bei dotbooks bereits die folgenden eBooks erschienen:

Die Jeremias-Voss-Reihe:

Jeremias Voss und die Tote vom Fischmarkt. Der erste Fall

Jeremias Voss und der tote Hengst. Der zweite Fall

Jeremias Voss und die Spur ins Nichts. Der dritte Fall

Jeremias Voss und die unschuldige Hure. Der vierte Fall

Jeremias Voss und der Wettlauf mit dem Tod. Der fünfte Fall

Jeremias Voss und der Tote in der Wand. Der sechste Fall

Jeremias Voss und der Mörder im Schatten. Der siebte Fall

Jeremias Voss und die schwarze Spur. Der achte Fall

Jeremias Voss und die Leichen im Eiskeller. Der neunte Fall

Jeremias Voss und der Tote im Fleet. Der zehnte Fall

Die Marten-Hendriksen-Reihe:

Hendriksen und der mörderische Zufall. Der erste Fall

Hendriksen und der Tote aus der Elbe. Der zweite Fall

Hendriksen und der falsche Mönch. Der dritte Fall

Hendriksen und der Tote auf hoher See. Der vierte Fall

Eine neue Reihe von Kriminalromanen ist in Vorbereitung.

Unter Herbert Rhein veröffentlichte der Autor bei dotbooks auch die folgenden eBooks:

Todesart: Nicht natürlich. Gerichtsmediziner im Kampf gegen das Verbrechen.

Todesart: Nicht natürlich. Mit Mikroskop und Skalpell auf Verbrecherjagd.

***

Originalausgabe April 2020

Copyright © der Originalausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Ralf Reiter

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/endlesssea2011, Ruslan Huzau

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96148-989-3

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Hendriksen« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

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www.facebook.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Ole Hansen

Hendriksen und der falsche Erbe

Der fünfte Fall

dotbooks.

Kapitel 1

In einem der ältesten Clubs Londons saßen zwei Männer zusammen. Der Jüngere der beiden mochte Mitte dreißig sein, er war Clubmitglied und hatte in Oxford Jura und in London Finanzwirtschaft studiert, jetzt arbeitete er als freiberuflicher Finanz- und Anlageberater. In der City galt er als neuer Stern am Himmel der Finanzwelt.

Sein Gast war gut zwanzig Jahre älter, sein Akzent wies auf seine Herkunft aus Nordeuropa hin, wo er eine gut gehende Rechtsanwalt- und Notarkanzlei besaß.

Die beiden Männer hatten im Club zu Abend gegessen, sich danach in das Kaminzimmer zurückgezogen und saßen nun abseits in zwei bequemen ledernen Chesterfield-Sesseln. Vor dem Älteren standen ein gut gefüllter Cognacschwenker und ein Kaffee. Der Jüngere bevorzugte einen Single Malt Whisky ohne Eis und Sodawasser.

Der Ältere beugte sich vor. »Sie wissen, warum ich hier bin.«

»Ich kann es mir denken.«

»Und? Was haben Sie mir zu sagen? Bis jetzt haben Sie mich nur Geld gekostet, ohne etwas Verwertbares zu liefern.«

Der Jüngere machte eine abwehrende Handbewegung. »Ja nun, solche Vorhaben kann man nicht aus dem Ärmel schütteln. So etwas braucht Zeit. Das habe ich Ihnen auch gesagt, und es bedarf einer Stange Geld. Ich muss Leute bestechen, Schmiergelder bezahlen und so weiter. Aber ich kann Sie beruhigen. Alles steht bereit, ich warte nur auf das Signal von meinem Mann in Suez. Sobald das eintrifft, starte ich das Unternehmen.«

»Brauchen Sie außer Geld noch etwas anderes von mir?«

Der Jüngere antwortete: »Finden Sie heraus, wann wir mit dem Containerfrachter in Suez rechnen können.«

»Das werde ich.« Der Ältere trank seinen Cognac aus und stand auf. »Ich glaube, ich sollte jetzt gehen, wenn ich meinen Flug noch erreichen will. Vergessen Sie nicht, sobald ich Ihnen die erforderlichen Daten durchgegeben habe, will ich Taten sehen.«

»Bekommen Sie, hundertprozentig. Ich bringe Sie nach draußen.«

»Bitte bestellen Sie mir ein Taxi nach Heathrow.«

»Wird erledigt.«

Zwei Containerfrachter gehörten zu den Schiffen, die die Ehre hatten, als erste den neu ausgebauten Suezkanal in Richtung Horn von Afrika zu durchfahren: die Senator Mommsen von der gleichnamigen Reederei und die Hamburg von der Reederei Malakow. Beide fuhren Kurs nach Südostasien. Die Senator Mommsen lag an erster Stelle, die Hamburg folgte ihr in Sichtweite. Es war kein abgesprochener Konvoi, doch beide Kapitäne waren froh, ein anderes Schiff in Sichtweite zu haben, wenn sie das von Piraten heimgesuchte Horn von Afrika umrundeten.

Die Frachter hatten den Golf von Aden etwa zur Hälfte passiert, als die Hamburg zurückfiel.

Der wachhabende Offizier der Mommsen bemerkte es um achtzehn Uhr fünf und meldete es Karen Wagner, der Kapitänin. Die erschien sofort auf der Brücke. Als sie sich überzeugt hatte, dass die Meldung korrekt war, griff sie zum Funkgerät.

»Containerschiff Senator Mommsen ruft den Containerfrachter Hamburg.«

»Hier Hamburg«, kam es kurz darauf zurück. »Was gibt’s?«

»Sie verlieren Geschwindigkeit. Brauchen Sie Hilfe?«

»Nein, aber vielen Dank fürs Angebot. Wir haben ein Problem mit der elektronischen Motorsteuerung. Wird ein paar Stunden dauern, bis der Fehler behoben ist. Bis dahin können wir nur mit halber Kraft fahren.«

»Schade, ich dachte, wir könnten uns gegenseitig Hilfe leisten, falls wir von Piraten angegriffen werden.«

»Das war auch mein Gedanke, deshalb bin ich Ihnen in Sichtweite gefolgt. Leider spielt die Technik nicht mit. Ich wünsche Ihnen eine gute und sichere Fahrt.«

»Danke. Ihnen das Gleiche – over and out.«

»Sie haben mitgehört?«, fragte die Kapitänin den Wachoffizier, der mit Mitte dreißig nur wenig jünger war als sie.

»Aye, aye, Käpt’n.«

An Bord redeten sie alle nur mit Käpt’n an. Die Geschlechter spielten hier keine Rolle.

»Sind die Abwehrmaßnahmen vorbereitet?«

»Alles in Stellung gebracht.«

»Gut, ich bin in meiner Kabine. Schärfen Sie dem Radarbediener ein, er soll ja die Augen offenhalten.«

»Aye, aye, Käpt’n.«

Die zierliche Kapitänin verließ die Brücke, und die Crew atmete auf. Von ihrer Statur her mochte Karen Wagner schmächtig sein, doch sie war ein Energiebündel und hatte die unangenehme Angewohnheit, auch den kleinsten Fehler zu bemerken.

Die Senator Mommsen schob sich mit fünfundzwanzig Knoten durch den Golf von Aden. Bis auf die Positionslichter waren alle Lampen gelöscht. Die Kapitänin wollte so wenig Aufmerksamkeit wie möglich erregen. Da die Piraten kleine, schnelle Motorboote mit nur minimaler nautischer Ausrüstung an Bord fuhren, mussten sie auf Sicht navigieren.

Auf jedem Brückennock stand ein Crewmitglied und suchte mit einem starken Nachtglas den Horizont ab. Während der Nacht war ein Angriff unwahrscheinlich, die Gefahr begann mit dem Morgengrauen.

Die Crew auf der Brücke war um Mitternacht durch eine neue Wache abgelöst worden. Wachoffizier war der Zweite Offizier. Je näher die Morgendämmerung rückte, desto angespannter wurde die Atmosphäre. Der Wachoffizier schaute dem Radarbediener immer wieder über die Schulter. Er hatte die Bildschirmabbildung auf den kleinsten Bereich geschaltet, um eine möglichst hohe Auflösung zu erzielen.

»Kontakt!«, rief der Radarbediener erregt.

Aus Südwest waren zwei kleine Punkte aufgetaucht. Sie lagen dicht beieinander – ein typisches Bild für einen Piratenüberfall. Ihr Kurs zeigte in Richtung der Mommsen.

Der Wachoffizier griff zum Telefon und meldete die Lage der Kapitänin. Die stand wenige Minuten später auf der Brücke.

»Wann werden Sie uns erreichen?«, fragte sie den Radarbediener.

»Wenn sie Kurs und Geschwindigkeit beibehalten, in fünfundvierzig Minuten.«

Die Kapitänin ergriff das Bordmikrofon, klopfte zweimal dagegen und sagte: »Hier spricht der Kapitän. Wir werden voraussichtlich in fünfundvierzig Minuten von Piraten angegriffen. Jeder begibt sich auf seine Position. Niemand lässt sich sehen. Die Piraten sollen denken, wir hätten sie nicht bemerkt. Gehandelt wird nur auf meinen Befehl. Wenn jeder seine Aufgabe erfüllt, dann werden die Piraten ihr blaues Wunder erleben und unser Schiff nicht kapern.«

Begeisterungsrufe waren zu hören. Wohl niemand war bei Seeleuten mehr verhasst als die Piraten. Wehe, wenn sie einen von denen in die Finger bekommen würden.

Die Kapitänin rief den Funker an. »Nehmen Sie mit dem Kommando der Sicherungsflotte Verbindung auf und geben Sie durch …« Sie sah auf den Radarschirm und dann auf die Borduhr über den Steuerelementen. »Wir werden voraussichtlich in vierzig Minuten von Piraten angegriffen. Es handelt sich um zwei Motorboote, die sich uns aus Südwest mit circa vierzig Knoten nähern. Geben Sie unsere Position, den Kurs und die Geschwindigkeit durch und fragen Sie, ob und wann wir mit Hilfe rechnen können.«

Eine Viertelstunde später meldete der Funker: »Eine amerikanische Fregatte steht etwa dreihundert Meilen südlich. Sie nimmt Kurs auf uns. Wenn wir Kurs und Geschwindigkeit beibehalten, kann die Fregatte frühestens in sieben Stunden eintreffen. Der Hubschrauber ist zurzeit wegen eines technischen Defekts ausgefallen. Sobald er wieder einsatzbereit ist, wird er zu unserer Unterstützung starten.«

Karen Wagner informierte die Crew der Mommsen über die Lage. Zum Abschluss sagte sie: »Ich erwarte von jedem Einzelnen, dass er sein Äußerstes gibt, um den Piraten eine Lektion zu erteilen, die sie nicht vergessen werden.«

Eine halbe Stunde lang geschah nichts. Die Senator Mommsen lief mit fünfundzwanzig Knoten auf das Horn von Afrika zu. Unter der Crew herrschte nervöse Spannung, niemand von ihnen hatte bisher einen Piratenüberfall miterlebt. Alle Kenntnisse stammten aus Erzählungen von gegen Lösegeld freigelassenen Opfern, und diese übertrumpften sich in den Schilderungen von Gräueltaten während der Gefangenschaft. Es war unmöglich, aus solchen Berichten ein objektives Bild der tatsächlichen Geschehnisse zu gewinnen.

Kapitänin Wagner wollte deshalb ihr Schiff nur übergeben, wenn sie keine Chance mehr sah, die Sicherheit von Schiff und Mannschaft zu gewährleisten. Diese Entschlossenheit, sich mit allen Mitteln zu wehren, hatte sie, seit sie das Kommando in Hamburg übernommen hatte, auf ihre Mannschaft zu übertragen versucht.

Der Lautsprecher auf der Brücke knackte. Bodo Fromm, der Dritte Offizier, meldete sich. Er hatte seine Position auf den Containern eingenommen und suchte mit einem Nachtglas den Horizont ab.

»Ich habe die Piraten gesichtet. Zwei Motorboote, offenbar älterer Bauart, nähern sich aus Südwest. Ihr Kurs führt an uns vorbei. Sie passieren unser Kielwasser in einigen Minuten in einer Meile Entfernung.« Einige Minuten später: »Korrektur, sie haben uns entdeckt und nehmen Kurs auf uns. Voraussichtliches Eintreffen in fünfzehn Minuten.«

»Gut geschätzt, Herr Fromm. Wir haben das gleiche Ergebnis errechnet. Melden Sie, wenn die Boote bis auf einen Kilometer herangekommen sind. Lassen Sie sich nicht sehen.«

»Aye, aye, Käpt’n.«

»Funker an Kapitän.«

»Ich höre.«

»Meldung von der amerikanischen Fregatte. Hubschrauber ist gestartet.«

»Danke.«

Karen Wagner gab die Meldung an die Mannschaft weiter.

»Boote sind auf einen Kilometer heran. Folgen in unserem Kielwasser«, meldete der Dritte. Und sieben Minuten später: »Noch fünfhundert Meter bis Kontakt. Beide Boote fahren parallel. Konnte im Steuerbordboot vier und im Backbordboot drei Personen ausmachen. Sind mit Schnellfeuergewehren bewaffnet.«

»Verstanden. Melden Sie in Hundertmeterschritten.«

»Aye, aye, Käpt’n.«

Der Dritte war auf den Containern bis auf den hinteren Rand der Ladung gekrochen. Von hier aus konnte er an beiden Seiten die Bordwand einsehen.

»Vierhundert Meter, dreihundert Meter, zweihundert Meter – die Boote trennen sich, das Vierer nach Steuerbord, das Dreier nach Backbord.«

»Das Boot ist im Sichtbereich«, meldete der Posten an Backbord.

»Hier ebenfalls«, kam es von der Steuerbordseite. »Boot fährt mit unverminderter Geschwindigkeit in Richtung Bug.«

Kurz darauf ertönte das Knattern von Schnellfeuergewehren. Offenbar wollten sie damit erreichen, dass der Containerfrachter stoppte. Die Annahme wurde bestätigt, denn sobald die Schüsse aufhörten, rief ein Mann in gebrochenem Englisch durch ein Megaphon: »Stoppen sofort Schiff. Kapitän Obolo übernimmt Schiff. Besatzung nix passieren. Nicht tun, dann alle sterben.«

»Geräte klar zum Einsatz?«

»Gerät klar, Boote im Visier«, kam es von vier Stationen.

»Dann los.«

Im selben Moment schossen aus jedem der vier Löschwasserrohre zweitausend Liter Wasser und ergossen sich in die Piratenboote. Wer freihändig im Boot stand, wurde von dem Wasserdruck über Bord gespült. Die Übrigen schrien wie wild, ob vor Angst oder vor Wut, war nicht zu erkennen. Die Männer an den Feuerlöschrohren jubelten vor Freude. Die Angst und Spannung war von ihnen abgefallen.

Fünf Minuten später war alles vorbei. Die offenen Motorboote waren mit Wasser gefüllt und gesunken. Im Meer schwammen sieben verzweifelte Piraten und riefen um Hilfe. Schon nach wenigen Minuten waren sie nach achtern getrieben.

Kapitänin Wagner gab den Befehl: »Maschinen stopp. Steuerbordboot zu Wasser lassen und Piraten retten. Keiner rührt sie mir an.« In Seenot geratene Menschen wurden grundsätzlich gerettet, egal ob Freund oder Feind.

Nachdem die Maschinen ausgeschaltet waren, lief die Mommsen noch gut vier Kilometer weiter, bevor sie stillstand.

Noch während das Rettungsboot in der Luft hing, waren Motorengeräusche zu hören. Der angekündigte Hubschrauber näherte sich.

»Sea Hawk drei von der US-Fregatte Orlando ruft das deutsche Containerfrachtschiff Senator Mommsen«, meldete sich der Hubschrauberkommandant auf Englisch.

»Hier spricht Kapitänin Wagner von der Mommsen. Danke für Ihre schnelle Hilfe. Wir konnten den Überfall abwenden. Die Piratenboote wurden versenkt. Die Piraten schwimmen in unserem Kielwasser. Können Sie sie übernehmen?«

»Gratulation, Mommsen, endlich mal eine erfreuliche Nachricht. Wie haben Sie denn das fertiggebracht?«

Karen Wagner gab einen kurzen Bericht und hörte die Besatzung des Hubschraubers lachen. Als sie ihren Bericht beendet hatte, sagte der Kommandant des Helikopters: »Tolle Leistung. Wir übernehmen die Piraten. Sie kommen vor ein ordentliches Gericht. Gute Reise.«

Karen Wagner bedankte sich. Dann ordnete sie an, das Rettungsboot einzuholen, und befahl volle Kraft voraus.

Im Büro der Hamburger Agentur für vertrauliche Ermittlungen saß Dr. Marten Hendriksen hinter seinem riesigen eichenen Schreibtisch, den er sich vom Sperrmüll geholt und selbst aufgearbeitet hatte. Seine kleine Gestalt versank fast in dem Chefsessel. Er hielt das Hamburger Tageblatt in der Hand und lachte, dass ihm die Tränen kamen. Durch den Heiterkeitsausbruch aufgeschreckt, steckten Tina Engels und Dörte Hauser die Köpfe in sein Zimmer.

»Was ist denn mit dir los?«, fragte Tina verwundert. »Hat dir Dörte etwas in deinen Pfefferminztee getan, oder weswegen hast du so einen Lachanfall?«

»Habt ihr heute Morgen noch nicht die Zeitung gelesen?«, fragte Hendriksen.

Die beiden Frauen sahen sich an und schüttelten die Köpfe.

»Ich hatte noch keine Zeit dazu. Als einfache Ermittlerin kann ich es mir nicht erlauben, während der Bürostunden Zeitung zu lesen«, antwortete Tina.

»Geht mir genauso, schließlich bin ich nur die Tippse«, schloss sich Dörte an.

»Dann setzt euch und hört zu.«

Die Damen nahmen Platz, Tina auf dem Schreibtisch und Dörte auf dem Besucherstuhl.

Hendriksen las ihnen die Meldung über den Piratenüberfall und den Kommentar dazu vor.

»Und was ist daran so lustig?«, fragte Tina mit einem schwachen Lächeln.

»Das frage ich mich auch. Die armen Menschen in dem großen Ozean«, fügte Dörte hinzu.

»Kommt schon, seid nicht so muffig. Stellt euch doch mal bildlich vor, wie das abgelaufen ist. Da kommen die Piraten siegesgewiss, um das Containerfrachtschiff zu kapern, und plötzlich sackt ihnen ihr Motorboot unter dem Hintern weg und sie treiben im Wasser. Ich hätte ihre Gesichter sehen mögen, als die Amerikaner sie aus der See fischten.«

»Die Mommsen-Reederei ist doch hier in Hamburg, oder irre ich mich?«, fragte die aus Sachsen stammende Tina. »Wäre das nicht ein Fall für uns? Wir haben im Moment sowieso nichts zu tun. Frag doch mal da an.«

»Da spricht die geldgierige ehemalige Polizeihauptkommissarin.«

»Quatsch!«, antwortete sie bissig.

»Ich wollte dich nur auf den Arm nehmen, aber im Ernst, einen Versuch wäre es sicher wert.«

Nachdem sie darüber diskutiert hatten, ob es ihnen tatsächlich gelingen könnte, die Hintermänner solcher Piraterie zu enttarnen, war es elf Uhr geworden.

Hendriksen wollte gerade mit dem Mountainbike zu seinem Wohnboot an der Bille fahren, als sein Telefon klingelte. Er lehnte das Rad gegen Dörtes Schreibtisch und ging zurück in sein Büro.

»Hamburger Agentur für verdeckte Ermittlungen. Es spricht Dr. Hendriksen«, meldete er sich.

Eine Frauenstimme antwortete: »Ich bin Schwester Silke, die Krankenschwester, die Herrn Senator Mommsen betreut. Ich habe einen vertraulichen Auftrag. Ich soll Sie, Herr Dr. Hendriksen, bitten, Herrn Senator Karl-Friedrich Mommsen heute Nachmittag Punkt zwei Uhr anzurufen.« Sie nannte eine Handynummer. »Der Senator bat mich, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Angelegenheit, die er mit Ihnen besprechen will, höchster Geheimhaltung unterliegt. Darf der Senator damit rechnen, dass Sie ihn anrufen?«

Hendriksen war im ersten Moment verblüfft, fing sich jedoch schnell wieder. Derart Mysteriöses zog ihn an »Hat er angedeutet, worum es geht?«

»Nein, er hat mir nur das gesagt, was ich Ihnen mitgeteilt habe.«

»Nun gut. Sagen Sie dem Senator, ich werde ihn anrufen.«

»Zwei Uhr heute Nachmittag. Die Uhrzeit ist wichtig, weil der Senator nur dann allein ist.«

»Das habe ich schon verstanden.«

»Ich hätte noch eine persönliche Bitte. Wenn Sie mit dem Senator sprechen, regen Sie ihn nicht auf, denn es geht ihm wirklich nicht gut. Jede Aufregung kann für ihn tödlich sein.«

»Verstanden, ich werde mich daran halten.«

Die Agentur für vertrauliche Ermittlungen lag in einer Jugendstilvilla am Mittelweg im Stadtteil Roter Baum. Die Villa gehörte Jeremias Voss, der die Agentur gegründet und bis zu seiner Heirat mit Charlotte Malakow auch geführt hatte. Jetzt leitete Dr. Marten Hendriksen sie als Geschäftsführer, Besitzer war weiterhin Voss.

Die Büroräume lagen im Erdgeschoss, in der ersten Etage befand sich die Wohnung, die Voss einst für sich hergerichtet hatte und die jetzt von Tina bewohnt wurde.

Hendriksen schaute zunächst in Tinas Büro, das durch eine Verbindungstür mit seinem verbunden war. Sie war nicht da. Er griff zum Telefon und rief ihre Handynummer an.

»Wo steckst du?«

»In der Wohnung. Habe mir wie du eine Mittagspause gegönnt.«

»Ich komme zu dir hoch. Habe was Neues für uns.«

Hendriksen ging ins Büro zurück und die Treppe zur Wohnung hoch.

Tina hielt ihm die Tür auf, und er ging in die Wohnküche. Sie war gerade dabei, sich einen Salat zuzubereiten.

»Willst du auch?« Tina deutete auf die Salatschüssel.

»Gerne.«

Sie verteilte den Salat auf zwei Teller und reichte ihm einen. .»Und nun erzähl.«

Hendriksen berichtete, was er gerade gehört hatte.

»Mommsen? Meinst du die Reederei, über die wir vorhin noch gesprochen haben?«

»Genau die.«

»Klingt wie ein Wink des Schicksals.«

»Nun verirr dich nicht ins Esoterische.«

»Merkwürdig ist das schon, das musst du zugeben. Kennst du die Mommsens?«

»Nicht persönlich. Hatte noch nie mit ihnen zu tun. Ich weiß nur, was allgemein bekannt ist. Senator Mommsen ist der Spross einer alten Hamburger Reederfamilie. Ihm gehören etliche Schiffe, und er hat seine Hände noch in vielen anderen Geschäften. Er ist außerdem ein Mäzen. Hat der Stadt etliche soziale und kulturelle Einrichtungen gestiftet. Soll trotz der augenblicklichen Flaute in der Seefahrt immer noch ein beachtliches privates Vermögen besitzen.«

Pünktlich um zwei rief Hendriksen die angegebene Telefonnummer an. Eine brüchige, zittrige Stimme meldete sich mit »Ja«.

»Hier spricht Dr. Hendriksen von der Hamburger Agentur für vertrauliche Ermittlungen. Spreche ich mit Senator Mommsen?«

»Ja.«

»Sie hatten darum gebeten, um vierzehn Uhr angerufen zu werden.«

»Ja, danke, dass sie zurückgerufen haben.«

Hendriksen hörte, wie sein Atem rasselte. »Was kann ich für Sie tun?«, fragte er.

»Wie Sie hören … geht es mir nicht besonders gut. Ich kann … mich nicht mehr … um meine Geschäfte kümmern. Es geschehen dort eigenartige Dinge.«

»Was meinen Sie damit?«

»Wichtige Akten verschwinden. Die Bilanzen scheinen nicht zu stimmen. Gutes, bislang loyales Personal wird aus nichtigen Gründen entlassen und so etwas.«

»Verstehe. Was erwarten Sie von mir?«

»Ich möchte …« Wieder röchelte es. Hendriksen glaubte zu hören, wie der Senator Schleim ausspuckte. »Ich möchte, dass Sie, wenn ich nicht mehr bin, meinen Erben dabei unterstützen, meinen Tod zu untersuchen.« Er sprach jetzt flüssiger. »Und die Missstände in meiner Reederei und den anderen Geschäften auszumerzen.«

»Verstehe ich das richtig? Sie glauben, jemand wünscht Ihren Tod?«

»Ich weiß es nicht, aber ich habe das Gefühl, dass es so sein könnte.«

»Haben Sie einen Verdacht?«

»Einen ganz vagen. Ich möchte darüber nicht sprechen, um nicht jemanden falsch zu verdächtigen.«

»In Ordnung. Noch eine Frage: Mit den Ungereimtheiten soll ich erst anfangen, wenn der Erbe die Geschäfte übernommen hat?«

»Ja. Da ich nicht weiß, wem ich außer dem Erben vertrauen kann, geht es nicht früher. Meine Zeit ist in Kürze abgelaufen, das fühle ich. Es kann sich also nur … um … eine kurze … Wartezeit handeln. Würden … Sie …«, seine Stimme wurde immer leiser, »den Auftrag … übernehmen?«

»Ich muss mir das überlegen.«

»Keine Zeit. Vertrag … kommt … morgen. Tragen Sie Ihre … Kosten … ein.«

Hendriksen hörte ein Keuchen, dann erklang das Freizeichen.

Am nächsten Tag brachte ein Bote einen versiegelten Umschlag. Hendriksen riss ihn auf. Er enthielt, wie angekündigt, den Vertrag über den Auftrag. Losgehen sollte es erst, nachdem Teil zwei des Testaments verlesen worden war.

Hendriksen diskutierte den Sachverhalt mit Tina. Er war klar definiert. Mommsen akzeptierte darin jedes Honorar und die administrativen Kosten, die Hendriksen in die dafür vorgesehenen Spalten eintragen sollte. Außerdem war für den Fall, dass die Unstimmigkeiten im Geschäftsbereich aufgeklärt wurden, ein ansehnlicher Bonus vorgesehen.

Nachdem beide zu der Überzeugung gelangt waren, den Auftrag erfüllen zu können, setzte Hendriksen seine Unterschrift darunter und sandte das für den Senator bestimmte Exemplar in einem versiegelten Umschlag per Boten an Mommsen zurück. Den Boten wies er an, den Umschlag nur dem Senator persönlich auszuhändigen und den Auslieferungsschein in seinem Beisein unterschreiben zu lassen. Der Schein war danach zur Agentur zurückzubringen. Sollte der Senator nicht in der Lage sein, den Auslieferungsschein zu unterschreiben, musste der Umschlag zurück zur Agentur gebracht werden.

Da der Senator zuvor den Vertrag und die Kopie unterschrieben hatte, war er, nachdem auch Hendriksen unterzeichnet hatte, nun gültig.

Zwei Stunden später erschien der Bote wieder und lieferte den unterschriebenen Auslieferungsschein ab.

»War der Senator allein, als Sie den Umschlag abgaben?«, fragte Tina.

»Nein, eine Krankenschwester war bei ihm.«

»Was für einen Eindruck machte der Mann?«, wollte Hendriksen wissen.

»Er scheint sehr krank zu sein. Er saß in einem Lehnstuhl und schaute auf die Elbe.«

»Hat er etwas gesagt?«

»Nur danke.«

»Das ist alles, was wir wissen wollten.«

Hendriksen gab dem Boten ein großzügig bemessenes Trinkgeld.

Kapitel 2

Am nächsten Morgen saß ein Mann in seiner Londoner Wohnung beim Frühstück und schaute nebenbei Fernsehen. Als der Nachrichtensprecher über den missglückten Piratenüberfall auf das deutsche Containerfrachtschiff Senator Mommsen berichtete, starrte er ungläubig auf den Bildschirm. Aus seinem Gesicht war alle Farbe gewichen. Er griff nach seinem Laptop und öffnete die Nachrichten-App. Die neuesten News-Meldungen erschienen auf dem Bildschirm, und er fuhr mit dem Mauszeiger darüber. Bei Piratenüberfall im Golf von Aden drückte er auf die Maustaste, und der detaillierte Text erschien. Er besagte in etwa das Gleiche wie die Nachricht des Fernsehsprechers.

Sein Gesicht wurde rot. Er griff nach dem erstbesten Gegenstand und schleuderte ihn vor Wut gegen die teure Tapete. Kaffee tropfte auf den Parkettboden. Er registrierte es nicht, sondern sprang auf und lief wie ein gereizter Stier in seiner Wohnküche hin und her. Sein sorgfältig ausgedachter Plan war geplatzt. Was ist falsch gelaufen?, fragte er sich wieder und wieder. Unfassbar, dass die Piraten in amerikanisches Gewahrsam genommen worden waren.

Sein Telefon klingelte, das Display zeigte eine unbekannte Nummer. Er nahm den Hörer ab, meldete sich mit »Hallo« und hörte eine ihm bekannte Stimme. Er zitterte. Er konnte beinahe fühlen, wie ihn zwei eiskalte Blicke durchbohrten. Ohne seine Stimme zu heben, fast emotionslos, wollte der Anrufer wissen, was schiefgelaufen war.

»Ich weiß es nicht. Habe es auch eben erst aus dem Fernsehen erfahren. Bin gerade dabei, Informationen einzuholen.«

»Es ist mir egal, was Sie gerade tun. Bringen Sie die Sache in Ordnung. Wenn auch nur der Hauch eines Verdachts auf Sie fällt, sind Sie ein toter Mann.«

Der Mann wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er wusste: Was der Anrufer da sagte, war keine leere Drohung, sondern blutiger Ernst. Hätte es hier ein Mauseloch gegeben, er wäre hineingekrochen.

Punkt für Punkt ging er im Geiste seinen Plan nochmals durch. Er konnte keine Schwachstelle entdecken, und trotzdem war es geschehen. Er setzte sich in seinen Lieblingssessel und dachte nach. Schließlich holte er einen Zettel und schrieb die Gedanken auf. Seine Stimmung hellte sich etwas auf, denn er hatte nun einen Weg gefunden, wie er das Desaster doch noch zu seinem Vorteil wenden konnte.

Er griff erneut zum Telefon und führte ein längeres Auslandsgespräch.

Danach ging er, nun wieder besserer Stimmung, in seinen Pub in der Ryder Street. Unterwegs kaufte er eine Zeitung, in der die Ergebnisse der letzten Pferderennen aufgeführt waren.

Tina hatte sich vor Hendriksens Schreibtisch gesetzt und sah ihren Chef nachdenklich an.

»Hast du etwas auf dem Herzen?«, fragte der.

»Ich fragte mich, was wir nun machen. Wir haben einen Auftrag, der irgendwann einmal in Kraft tritt, und bis dahin müssen wir die Hände in den Schoß legen. Im Grunde ist das unsinnig. Nehmen wir einmal an, der Senator hat recht und es gibt Unregelmäßigkeiten. Dann besteht die Gefahr, dass der, der für diese Betrügereien verantwortlich ist, merkt, dass der Senator ihm auf die Schliche gekommen ist. Was also macht er? Er wird natürlich alle Hinweise, die ihn belasten könnten, vernichten, was bedeutet, dass wir ihm nichts nachweisen können und den Fall zu den Akten legen müssen – adieu, du schöner Bonus.«

»Je mehr du auf deinem Konto hast, desto geldgieriger wirst du«, sagte Hendriksen lächelnd. »Aber du hast in jedem Punkt recht. Ich habe mir schon, während ich den Vertrag unterschrieb, Gedanken gemacht, wie wir diesen Passus umgehen können.«

»Und? Zu welchem Ergebnis bist du gekommen?«

»Wir beide tun nichts, so wie gefordert. Wir lassen tun. Ich denke, es ist höchste Zeit, die Rentnergang zu aktivieren. Sie sind mir schon viel zu lange inaktiv. Nicht, dass sie einrosten.«

»Und was sollen sie tun?«

»Sich umhören – im Kiez, am Hafen, unter den Arbeitern der Mommsen-Reederei, sodass wir ein Bild bekommen, wie die Stimmung unter den Mitarbeitern ist und wer, wenn es denn Missstimmungen gibt, dafür verantwortlich ist. Wenn wir dann zum Einsatz kommen, haben wir wenigstens eine Grundlage, auf der wir aufbauen können.«

»Klingt gut. Wir sollten dann aber keine Zeit vergeuden.«

»Dörte«, rief Hendriksen.

Sie streckte den Kopf zur Tür herein. »Wo brennt’s?«

»Ruf Hermann an. Er möchte sich bei uns melden – persönlich –, und mach es dringend.«

»Wird sofort erledigt.«

Wenig später meldete sie: »Hermann kann erst in zwei Stunden hier sein. Er muss zunächst Nero ausführen. Bist du dann noch hier?«

»Sag ihm, er soll zu mir aufs Boot kommen. Nero kann er mitbringen.«

»Soll ich bei dem Gespräch dabei sein?«, fragte Tina.

»Ist nicht nötig. Du weißt ja, was ich mit ihm besprechen will.«

»Dann komme ich nicht mit. Ich habe heute Abend etwas vor.«

»Was?«, fragte Hendriksen.

»Sei nicht so neugierig. Ist etwas ganz Privates.«

»Viel Spaß. Grüß ihn von mir.«

Es war noch nicht lange her, da wäre Hendriksen bei Tinas Bemerkung eifersüchtig geworden. Sie hatten sich auf einem Rastplatz an der Autobahn Hamburg-Berlin kennengelernt. Tina hatte eine Panne, und Hendriksen hatte sie bei strömendem Regen gerettet, ihr trockene Kleidung gegeben und ihr Unterschlupf in seinem als Überwachungsfahrzeug umgebauten VW-Bus gewährt. Aus ihrem ersten Treffen hatte sich schnell ein Liebesverhältnis entwickelt. Es war so intensiv, dass Tina ihre Stelle als Kriminalhauptkommissarin und Leiterin der Kriminalpolizei in Görlitz kündigte und bei ihm in der Agentur als Ermittlerin anfing. Doch Liebe und Beruf passten nicht zusammen, wie beide feststellten. Zu schnell war alles zur Routine geworden. Nach längerem Zögern hatten sie sich ausgesprochen und waren einstimmig zu dem Entschluss gelangt, das Liebesverhältnis in ein Freundschaftsverhältnis übergehen zu lassen.

Hendriksen nahm sein Mountainbike, klappte es auseinander, schulterte es, wünschte Dörte einen schönen Abend und verließ die Agentur. Unterwegs hielt er bei einem Supermarkt an und kaufte einen Schinkenknochen für Nero.

Nero war eine Kampfmaschine aus fünfzig Kilo Muskeln und Knochen, aber Menschen und andere Tiere interessierten ihn nicht. Seine Aufmerksamkeit galt ausschließlich seinem Herrchen, Jeremias Voss, und seinem Betreuer, Hermann. Ihnen gehorchte er aufs Wort. Hendriksen versuchte seine Zuneigung mittels Bestechung mit Schinkenknochen zu gewinnen – bislang mit mäßigem Erfolg.

Da Hendriksen die Verkehrsregeln sehr locker auslegte und Einbahnstraßen auch in entgegengesetzter Richtung befuhr, erreichte er sein Wohnboot schon nach einer halben Stunde. Das war auch gut so, denn über Hamburg braute sich ein Gewitter zusammen. Die ersten Blitze zuckten bereits, und es war nur eine Frage von Minuten, bis aus den tiefhängenden, grauschwarzen Wolken die gespeicherten Wassermassen niederprasseln würden.

Sein Zuhause war ein zu einem Wohnboot umgebauter Alsterdampfer. Er hatte ihn von seinem Vorgänger im Institut für Rechtsmedizin und Forensik von Professor Moorbach erworben. Das Wohnboot war mit allem erdenklichen Komfort ausgestattet, lag an einem Ponton in der Bille und hatte einen privaten Zugang. Hendriksen liebte vor allem die sechzig Quadratmeter große Terrasse auf dem Dach des einstigen Fahrgastraumes, von wo er einen unverbaubaren Blick auf die Billhuder Insel hatte.

Hendriksen schob sein Mountainbike, das er liebevoll Biki nannte, den Schotterweg zum Ponton entlang, schaltete die Alarmanlage aus und betrat das Wohnboot über eine bewegliche Gangway. Biki nahm er mit ins Steuerhaus und schloss es an der Steuersäule an. Er hütete es wie seinen Augapfel und nahm es zum Leidwesen mancher Gastwirte auch mit in den Speiseraum von Restaurants.

Hendriksen hatte gerade die Tür zum Steuerhaus geschlossen, als der Regen anfing, aufs Dach des Bootes zu prasseln. Er liebte dieses Geräusch. Im Trockenen zu sitzen und den Regen zu hören, war für ihn entspannend und inspirierend zugleich.

Er stieg die fünf Stufen in den Wohnraum, in den die Kombüse integriert war, hinunter. Wie immer goss er eine Kanne Pfefferminztee auf, stets nur mit frischen Blättern. Mit dem Becher in der Hand ging er zur Wohnlandschaft, setzte sich auf seinen Lieblingsplatz und sog das würzige Aroma des Tees ein. Erst danach genehmigte er sich den ersten Schluck. Dann griff er nach seinem Notebook, schaltete es ein und begann im Internet nach Eintragungen über die Reederei Mommsen zu suchen. Es gab eine Menge. Er machte sich Notizen und glaubte schließlich einen guten Überblick über das Unternehmen gewonnen zu haben.

Von seinem Platz aus konnte er den Schotterweg zu seinem Ponton einsehen. Den gelben Friesennerz über den Kopf gezogen, rannte dort gerade Hermann durch den Regen. Hendriksen musste grinsen, als er Nero hinterherflitzen sah. Seine ganze Körperhaltung strahlte Missmut aus, er schien sagen zu wollen: Du hättest auch warten können, bis der Regen vorbei ist. Es gab zwei Sachen, die Nero absolut nicht mochte. Das eine war Wasser in jeder Form, und das andere war im Auto angeschnallt zu werden.

Hermann sprang an Bord und rutschte auf dem nassen Stahldeck aus. Zum Glück konnte er die Handleiste an der Kabinenwand packen und sich daran aufrichten.

Nero, der ihm auf dem Fuß folgte, schlidderte übers Deck, aber auf seinen vier Pfoten passierte ihm nichts.

»Verdammter Schiet«, fluchte Hermann. Er griff nach der gelben Regenjacke, die ihm bei dem Beinahesturz von der Schulter gerutscht war, und verschwand im Steuerhaus. Nero sprang hinterher.

Hermann hängte die Jacke zum Trocknen über das Steuerrad und stieg zu Hendriksen in den Wohnraum hinunter.

Die beiden Männer begrüßten sich herzlich mit Handschlag. Hendriksen sah demonstrativ an Hermanns Hose hinunter.

»Inkontinenz?«

»Eh?«

»Deine Hose ist nass.«

»Chef, dat is neech fair. Ick muss durch deen …«

»Das war ein Scherz, Hermann. Und nun geh ins Schlafzimmer und zieh die nasse Hose aus, bevor du mir den Teppich versaust. Leg die Hose über die Heizung im Bad und wickle dir eine Decke um. Nicht, dass ich noch erotische Gefühle bekomme.«

»Chef! Wat is hüt bloß los mit dir?«

»Reine Schadenfreude. Ich bin nämlich noch ins Trockene gekommen, bevor die ersten Tropfen fielen. Und nun hau ab, wir haben etwas Wichtiges zu besprechen.«

Es war eine Marotte von Hermann, eine Mischung aus Platt und Hochdeutsch zu sprechen. Als Boss der Rentnergang fühlte er sich durch seine »Bildung« seinen Kumpeln Hinnerk und Kuddel überlegen, denn die beiden sprachen nur Hamburger Platt. Ursprünglich war Hermann von Jeremias Voss als Betreuer für Nero engagiert worden. Seine ausgeprägte Armmuskulatur und die großen, mit Schwielen bedeckten Hände waren in der Lage, Neros Kraft zu bändigen. Schon bald stellte sich heraus, dass Hermann auch für Ermittlungsaufgaben einsetzbar war. Dass er noch zwei Rentnerkumpel hatte, war für Jeremias Voss von großem Vorteil gewesen. Als Hendriksen die Geschäftsführung der Agentur übernahm, hatte er auch die Rentnergang geerbt. Er hatte es nie bereut.

Den Namen Rentnergang hatten die Drei von einem Bordellbesitzer auf dem Kiez bekommen. In der Absicht, ihren damaligen Chef Voss aus den Händen des Bordellbosses zu befreien, hatten sie dessen Bodyguards so gründlich außer Gefecht gesetzt, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten. Vierzig Jahre Arbeit im Hamburger Hafen hatten ihre Muskeln so gestählt, dass es für jede Bande gefährlich war, sich mit ihnen anzulegen.

Solange Hermann weg war, holte Hendriksen zwei gekühlte Biere aus dem Vorratsschapp und stellte sie an Hermanns üblichen Sitzplatz. Ein Glas brauchte er nicht.

»Nu lach blos neech, sonst föhr ich glieks wedder nach Hus.«

Hendriksen biss die Zähne zusammen, um sich das Lachen zu verbeißen, denn Hermanns breite Hüften, umschlungen von einer karierten Decke, sahen zu komisch aus.

»Komm, setz dich«, sagte er ernsthaft. »Bier steht schon da.«

Hendriksen wartete, bis Hermann sich gesetzt hatte, und begann, ihm von dem eigentümlichen Auftrag der Agentur zu berichten. Weit kam er nicht, denn Nero hatte sich vor ihn gesetzt, kratzte ihn mit der rechten Pfote am Knie und sah ihn auffordernd an. Da der Hund ungestüm werden konnte, wenn er etwas wollte, reagierte Hendriksen sofort.

»Ja, Nero, dich habe ich ganz vergessen. Komm mit, ich habe etwas für dich.«

Er stand auf und ging zum Kühlschrank, aus dem er den Schinkenknochen holte. Nero nahm ihm den aus der Hand und sackte, wo er stand, zu Boden. Gleich darauf hörten sie, wie der Hund den Knochen zermalmte.

Hendriksen kehrte zur Wohnlandschaft zurück und konnte nun ungestört über den Auftrag sprechen.

»Kinners, dascha een Ding«, sagte Hermann, als sein Chef geendet hatte. Hendriksen konnte ihm die Verwunderung im Gesicht ablesen.

»Da stimme ich dir zu. Doch alles halb so schlimm. Ich habe mich inzwischen etwas schlau gemacht«, sagte er. »Mommsens Unternehmen besteht aus mehreren Geschäftszweigen, die alle von seinem Stammhaus am Baumwall verwaltet werden. Da ist zunächst die Reederei, die nur Frachtschiffverkehr betreibt, vor allem Containerfracht, aber auch Schüttgut und Tanker, das Geschäft wird vom Stammhaus am Baumwall aus geführt. Sein zweites Standbein ist der Transportbereich Schiene, Straße, Luftfracht. Die Büros für Straße und Schiene liegen in Altona, in der Ottensener Hauptstraße, für Luftfracht in Fuhlsbüttel im Suhrenkamp. Die Koordination erfolgt im Stammhaus. Dann gibt es noch einen dritten Bereich, der befindet sich in Wedel in der Industriestraße und umfasst Gewürze, Tee, Kakao und Kaffee. Für Gewürze, Kakao und Tee ist es eine reine Abfüllstation, Kaffee wird in einem Gebäude in der Nähe geröstet und abgefüllt. Die gesamte Verwaltung dieses Bereichs erfolgt ebenfalls im Stammhaus.«

»Und? Wat schall wi nun mooken?«

»Ich möchte, dass ihr euch unter den Arbeitern und den Angestellten umhört. Ich will wissen, was sie über das Unternehmen zu sagen haben, wie die Stimmung ist, was es für Gerüchte gibt, ob es in letzter Zeit Entlassungen gab und Ähnliches.«

»Okay, ick weiß, was du brauchst. Wi mook dat schon.«

»Das habe ich mir gedacht. Eins ist wichtig: Laut Vertrag dürfen wir noch nicht ermitteln. Ihr müsst bei euren Gesprächen sehr vorsichtig sein. Alles muss ganz beiläufig klingen. Wenn ihr eure Gesprächspartner zum Bier einladet, dann übernehme ich selbstverständlich die Kosten.«

»Dat mit de Geheimhaltung heff ich mir schon denkt. Mook di man keine Sorgen. Wi mook dat schon, so dat keener merkt, dat wi ihn utluustern wüllt.«

»Utluustern? Was heißt denn das? Kannst du dir nicht endlich angewöhnen, Hochdeutsch zu sprechen?«

»Verzeihung, Chef, dat is mir nur so herausgefahren. Utluustern bedeutet aushorchen.«

Hendriksen hatte volles Vertrauen in die Rentnergang und überließ es Hermann, seine Leute einzuteilen.

Nachdem sein Mitarbeiter in alles eingewiesen war, unterhielten sie sich noch über Dit und Dat, wie man in Hamburg sagt. Als der Regen aufgehört hatte, verließen Hermann und Nero das Wohnboot.

Hendriksen griff zum Telefon und wählte Knut Hansens Telefonnummer. Hansen war Reporter beim Hamburger Tageblatt, und auch ihn hatte Hendriksen von Voss übernommen. Er war für Hendriksen Gold wert, und so war zwischen ihnen eine fruchtbare Symbiose entstanden. Hansen lieferte Insiderinformationen zu Gesellschaftsfragen und bekam als Gegenleistung Material für exklusive Storys.

Wie Hendriksen erwartet hatte, war der kleine, quirlige Reporter noch in der Redaktion.