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Die Highlands – ungezähmt und voller Leidenschaft!
Die hitzköpfige Flora MacLeod kann es nicht fassen. Erst wird sie von dem tapferen Lachlan Maclean entführt – jetzt will der Clanchief sie heiraten! Er hätte doch einfach fragen können. Flora schwört, dass ihr Häscher für seine Rücksichtslosigkeit bezahlen muss. Ein verbissener Willenskampf ist die Folge, gewürzt mit gefährlicher Leidenschaft. Doch die Schatten der Vergangenheit bedrohen die noch keimende Liebe …
Ein historischer Liebesroman, wie er sinnlicher nicht sein könnte!
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Seitenzahl: 594
Lachlan Maclean würde alles tun, um seinen Clan zu beschützen. Selbst wenn das bedeutet, die halsstarrigste und eigenwilligste Frau der Highlands entführen zu müssen, um sie zu seiner Frau zu nehmen. Flora MacLeod ist auf Grund ihrer Clanzugehörigkeit und ihres Vermögens die begehrteste Frau der Highlands und will niemals so enden wie ihre Mutter, die als politisches Spielzeug in eine unglückliche Ehe gezwungen wurde. Als sie von dem befehlsgewohnten und überheblichen Lachlan geraubt wird, weiß sie ganz sicher, dass sie niemals einer Ehe mit diesem Wüstling zustimmen wird, der sie nicht liebt. Sie wehrt sich vehement gegen Lachlans Pläne, doch gegen die Kraft einer überwältigenden Leidenschaft ist sie machtlos. Und auch er entwickelt tiefe Gefühle für die stolze Flora, doch gefährdet er seine Liebe durch ein Geheimnis, das er bisher vor ihr versteckt gehalten hat …
Monica McCarty studierte Jura an der Stanford Law School. Während dieser Zeit entstand ihre Leidenschaft für die Highlands und deren Clans. Sie arbeitete dennoch mehrere Jahre als Anwältin, bevor sie dieser Leidenschaft nachgab und zu schreiben anfing. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren Kindern in Minnesota. Weitere Informationen unter: www.monicamccarty.com
Für Penny und Tracy, für den langen Nachmittag, an dem ihr mit mir die Handlung ausgeheckt habt. Und wie immer für Nyree und Jami, für eure Unterstützung, Begeisterung und unfehlbare Genialität.
»Ich träumt’ von meiner Lady, von ihrem Kummer tief, Ich träumte, ihr Lord war ein grausamer Chief: Auf einem Fels im Meer die holde Ellen war zu schau’n; Glenara! Glenara! Nun deut’ mir meinen Traum!«
– Aus »Glenara« von Thomas Campbell, 1777–1844
Der Firth of Lorn, ein Fels zwischen Lismore und Mull
An einem kalten Wintertag, vor beinahe hundert Jahren, wurde ein Fluch geboren.
Lady Elizabeth Campbell Maclean würde nicht betteln. Nicht um seine Liebe und nicht um ihr Leben. Doch sie hatte Angst. Größere Angst, als sie jemals in ihrem kostbar kurzen Leben verspürt hatte. Sechsundzwanzig Jahre war viel zu jung zum Sterben.
Mit jeder Minute, die verstrich, musste Elizabeth stärker darum kämpfen, ihren Schwur zu halten. Doch sie wusste, dass ihre flehenden Bitten auf taube Ohren stoßen würden, wenn sie sie laut ausspräche. Und dieses Wissen hielt sie mehr als alles andere davon ab, auf die Knie zu fallen und um Gnade zu flehen.
Denn er kannte keine Gnade.
Er sah sie nicht einmal an. Lachlan Cattanach Maclean, der Chief der Macleans. Ihr Gemahl. Der Mann, den zu lieben sie töricht genug gewesen war. Ihr Blick heftete sich auf die vertrauten stattlichen Züge, das raue, von Kampfnarben gezeichnete Gesicht, die durchdringenden blauen Augen, den breiten Mund und das harte, unerbittliche Kinn, und das Herz zog sich ihr zusammen. Selbst angesichts dieses höchsten Verrates, konnte sie seine Anziehungskraft nicht leugnen.
Lachlan Cattanach war ein Bollwerk männlicher Stärke. Ein mächtiger Highland-Chief. Und unbeirrbar.
Genau jene Eigenschaften, die sie einst bewundert hatte – seine stählerne Entschlossenheit, seine unerschütterliche Zielstrebigkeit –, hatten sich nun gegen sie verschworen. Er hatte seine Entscheidung getroffen.
Sie war so gut wie tot.
Einer der luchd-taighe, Wachmänner ihres Gatten, nahm sie bei der Hand und half ihr mit einer Höflichkeit aus dem birlinn, die seine mörderische Aufgabe Lügen strafte. Beinahe hätte sie über diese Absurdität gelacht, doch sie befürchtete, wenn sie anfing zu lachen, dann könnte sie das in einen Abgrund der Hysterie stürzen, aus dem sie vielleicht nie mehr zurückkehren würde.
Ein unwillkürlicher Schauer durchlief sie, als ihr Fuß den harten, unnachgiebigen Felsen berührte. Der Impuls, sich in die Sicherheit des Bootes zurückzuziehen, war stark, doch sie wusste, dass man sie nur wieder herauszerren würde. Entschlossen zwang sie sich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ihr Herz mochte zwar in Scherben liegen, doch sie würde ihm nicht die Genugtuung geben, ihrem Stolz dasselbe anzutun.
Tief holte sie Luft, dann ließ sie zu, dass der Wachmann ihr die Handgelenke fesselte. Mit einem unbehaglichen Seitenblick, beinahe wie eine Bitte um Vergebung, band der Clansmann das andere Ende des Seils an die Boje, die die vorbeifahrenden Schiffe auf die Gefahr, die von dem Felsen ausging, aufmerksam machen sollte. Es war eine unnötige Vorsichtsmaßnahme, sie an dem Felsen zu vertäuen. Sie konnte nicht schwimmen. Sie konnte nichts anderes tun … als untergehen.
Ein Angstschauer jagte ihr über den Rücken. Ihre Sinne waren unnatürlich geschärft, sie nahm alles um sich herum mit einer schmerzhaft rauen Intensität wahr, vom winzigsten Tropfen eisiger Gischt bis hin zu jeder einzelnen stachligen Faser des Seils, das in die zarte Haut ihrer Handgelenke schnitt. Doch am stärksten fühlte sie den quälenden Schmerz ihres brechenden Herzens.
Guter Gott, wie konnte er ihr das nur antun? Wie konnte er sie so sterben lassen? Bei lebendigem Leibe von den unerbittlich steigenden Fluten verschlungen? Klagend protestierte ihr das Herz in der Brust, als sie sich die grausame Wahrheit eingestehen musste.
Ihr Gemahl wollte sie nicht mehr. Er hatte bereits eine andere gefunden, die ihren Platz einnehmen würde. Doch er wollte nicht riskieren, den mächtigen Campbell-Clan – und damit ihren Bruder, den Earl of Argyll – zu verärgern, indem er sie verstieß. Also hatte er diesen barbarischen Plan ersonnen.
Sie wünschte, er würde ihr einfach die Kehle durchschneiden. Doch er wollte, dass es wie ein Unfall aussah. Eine ertrunkene Ehefrau war viel einfacher zu erklären als eine mit durchgeschnittener Kehle.
Ein heftiger Windstoß wehte übers Meer und ließ sie vor Kälte erstarren. Sie musste sich anstrengen, auf dem glatten Felsen nicht den Halt zu verlieren. Ihre Zähne klapperten. Da sie nur einen dünnen Umhang hatte, um sich zu wärmen, war ihr kalt – schmerzhaft kalt. Doch es würde nur noch schlimmer kommen. Viel schlimmer.
Die Männer waren nun beinahe fertig. Sie stiegen in das Boot zurück und ruderten fort. Tränen rannen ihr über die Wangen, als sie in die Gesichter der sich entfernenden Männer starrte, die sie einst ihre Herrin genannt hatten; dann fiel ihr Blick auf den Mann, den sie geliebt hatte.
Den Mann, der sie verlassen hatte. Obwohl sie seine beiden Söhne wie ihre eigenen aufgezogen hatte, war es ihr zum Verhängnis geworden, dass sie selbst ihm keine geschenkt hatte.
Sie waren nun schon beinahe außer Sichtweite. Es war der Gedanke, völlig allein gelassen zu werden, der sie letztlich zerbrechen ließ. Sie konnte es nicht länger ertragen. »Bitte, nicht …!«
Beim Klang ihrer Stimme fiel sein Blick auf sie, doch er begegnete ihrem Flehen mit steinerner Gleichgültigkeit.
… verlass mich nicht, beendete sie den Satz im Stillen.
Sein ausdrucksloser Blick ließ jeden Funken Hoffnung erlöschen. Er kannte keine Gnade. Es war vorbei.
Doch sie würde ihn nicht so einfach davonkommen lassen. Bei allem, was heilig war, er würde für diese verdammenswerte Tat bezahlen, die er an diesem Tag beging!
Zorn und Schrecken schmiedeten eine mächtige Waffe. Ihre Stimme bebte, als sie ihr Versprechen von Vergeltung ausrief. »Fluch über dich, Lachlan Cattanach, und alle, die nach dir kommen! So, wie du mich wegen Unfruchtbarkeit ermorden lässt, so soll dein Land dasselbe Schicksal erleiden. So, wie du mich an diesen Felsen bindest, so soll auch das Schicksal deines Clans mit einer Campbell verbunden sein. Kein Chief der Maclean soll jemals ohne eine Campbell an seiner Seite erfolgreich sein. Dies wird dein Vermächtnis sein, solange bis deine Untat gesühnt ist, indem ein Maclean sein Leben aus Liebe zu einer Campbell opfert.«
Sein Blick flackerte. Mit einem heftigen Gefühl der Befriedigung sah sie den Funken Besorgnis in seinen Augen aufglimmen.
Heraufbeschworen nicht durch Hexerei, sondern durch zugefügtes Unrecht, verlieh der unmissverständliche Widerhall einer Prophezeiung ihrem Fluch eine Macht, die nicht einmal ihr Gemahl leugnen konnte.
Während der Wind Elizabeth wie mit eisigen Nadeln peitschte, umspülte das Wasser langsam ihre Füße, ihre Knöchel und dann ihre Knie. Sie klammerte sich an das Tau, das zu ihrer Rettungsleine geworden war, während jede heranbrandende Welle versuchte, sie von dem immer schneller in den Fluten versinkenden Felsen zu reißen.
Es war stockdunkel, doch sie konnte fühlen, wie das Wasser anstieg. Höher und höher. Zoll um quälenden Zoll.
Wie lange würde es dauern? Sie betete darum, dass es schnell gehen würde. Mit jeder Faser ihres Körpers wappnete sie sich gegen das, was als Nächstes geschehen würde. Sie konnte nicht atmen. Es war, als würde sie bereits ertrinken.
Verzweifelt hob sie den Blick zum mondlosen Himmel. Oh Gott, bitte hilf mir!
Wie eine grausame himmlische Antwort riss die nächste Welle sie von den Beinen und zog sie unter Wasser. Durchnässt wischte sie sich die feuchten Haarsträhnen aus den Augen, während sie sich angestrengt bemühte, nicht den Halt auf dem Felsen zu verlieren. Sie versuchte aufzustehen, doch eine weitere Welle kam und drückte sie erneut unter Wasser.
Die Kraft zu kämpfen verließ sie, und sie sank nach vorne. Bitte, lass es einfach vorbei sein.
Sie wollte gerade die Augen schließen und zulassen, dass das Wasser sie verschlang, da blinzelte sie und riss die Augen wieder auf.
Was war das? Ein Licht, erkannte sie. Das schwache Leuchten einer Fackel tauchte aus der Dunkelheit auf. Sie hielt den Atem an, lauschte und vernahm das unmissverständliche Klatschen von Rudern, die ins Wasser getaucht wurden.
Ihr Herz jubelte.
Er ist es. Er ist zurückgekommen. Er liebt mich noch. Ich wusste, dass er es nicht tun kann.
Mithilfe des Seils fand Elizabeth die Kraft, sich auf die Knie hochzuziehen und schließlich auf die Füße zu kommen.
»Hier!«, schrie sie. »Helft mir, mein Gemahl, ich bin hier!«
Das Geräusch der Ruder beschleunigte sich, als das Boot auf sie zukam. Das aufgeregte Stimmengewirr wurde lauter und lauter, bis das kleine Fischerboot …
Die Erkenntnis traf sie hart, gefolgt von niederschmetternder Enttäuschung. Er war es nicht. Ihr Gemahl war nicht zurückgekehrt.
Während sie den Blick über die bestürzten Insassen des Bootes schweifen ließ, wurde ihr klar, dass ihr Leben von Fischern gerettet worden war.
»Mylady?«, fragte einer der Männer überrascht.
Nicht von irgendwelchen Fischern, erkannte sie. Von ihren eigenen Fischern.
Campbells.
Dann fing sie an zu lachen, ergab sich der Hysterie, die in der Dunkelheit nach ihr gegriffen hatte. Mit tränenüberströmten Wangen lachte sie, bis ihr die Seiten schmerzten und sie glaubte, platzen zu müssen. Es war eine bittersüße Ironie. Ein Leben war heute Nacht tatsächlich genommen worden, doch es sollte nicht das ihre sein.
Elizabeth Campbell – sie würde sich niemals mehr eine Maclean nennen – ertrank nicht an jenem Tag. Sie lebte lange genug, um ins Haus ihres Bruders zurückgebracht zu werden und die Überraschung auf dem Gesicht ihres Gemahls zu sehen, als er in Inveraray Castle ankam, um ihrer Familie die Nachricht von Elizabeths »tödlichem Unglück« zu überbringen. Doch sie sollte nur wenig Befriedigung darin finden, dass sie dem Tod auf Ladys Rock – unter welchem Namen der Schauplatz ihrer versuchten Ermordung bekannt werden sollte – getrotzt hatte. Denn der Tod fand sie wenig später dennoch. Sie starb nicht durch die steigende Flut, sondern an gebrochenem Herzen. Mit dem Amulett in der Hand, welches ihrem Gemahl vom Hals gerissen wurde, als ihr Bruder ihm das Leben nahm.
Doch Lady Elizabeth Campbells Vermächtnis lebte fort, wurde mit dem Amulett von Generation zu Generation weitergereicht.
Nahe Falkirk, Schottland, Frühjahr 1607
Zweifel?«
Flora MacLeod wandte den Blick vom Fenster und musterte den Mann, der ihr in der Dunkelheit gegenübersaß. Sie zog ihre Entscheidungen niemals in Zweifel, und in Anbetracht der Tatsache, dass es zu spät war, um ihre Meinung zu ändern, hielt sie das auch für gut so. Nein, sobald sie einmal eine Entscheidung gefällt hatte, dann hielt sie auch daran fest. Nicht einmal eine kleine Armee könnte sie von ihrem Kurs abbringen. Was ihre Vermählung betraf, gab es keine Ausnahme.
»Sei nicht albern«, antwortete sie. »Ich könnte nicht glücklicher sein.«
Dennoch war es offensichtlich, dass ihr zukünftiger Ehemann William, Lord Murray, Sohn des frisch ernannten Earl of Tullibardine, ihr nicht glaubte. »Glücklich? Seit Monaten habe ich dich nicht so bedrückt gesehen.« Er verstummte kurz. »Du weißt, es ist noch nicht zu spät, um umzukehren.«
Doch das war es. Sie hatte ihre Entscheidung in dem Moment getroffen, in dem sie sich aus Holyrood House geschlichen hatte und in die wartende Kutsche gestiegen war.
»Ich will nicht umkehren.« Sie wollte ihren Worten Nachdruck verleihen, doch der gewünschte Effekt ging verloren, weil das heftige Rumpeln der Kutsche, die auf der holprigen Straße beinahe umzukippen drohte, ihre Stimme zittern ließ. Als sie auf ein weiteres Schlagloch trafen, klammerte sie sich, so gut sie konnte, am Sitz fest und versuchte, nicht gegen die glänzenden, holzverkleideten Wände zu prallen. Ein Kampf, den sie mit Sicherheit noch verlieren würde, bevor dieser Tag sich dem Ende neigte. Die Straße, die von Edinburgh fortführte, würde immer schlimmer werden, je näher sie dem Pfarrbezirk von Falkirk kämen.
»Vielleicht hätten wir doch besser reiten sollen«, meinte sie vorsichtig. Auf Lord Murrays Drängen hin hatten sie die Kutsche genommen – luxuriös zwar, aber unpraktisch auf der Straße, die zu der Grenze zwischen den Lowlands und den Highlands führte.
»Diesbezüglich besteht kein Grund zur Sorge. Wir sind völlig sicher. Mein Kutscher ist ein ausgezeichneter Fahrer.« William reichte ihr die Tasche, die neben ihr von der Bank gerutscht war, doch sie glitt ihr aus den Fingern und landete erneut auf dem Fußboden. Er lachte. »Ich hätte nie geglaubt, dass ich den Tag noch erleben würde, an dem Flora MacLeod einmal nervös wäre.«
Ertappt zuckte es um ihre Mundwinkel. »Vielleicht bin ich wirklich ein bisschen aufgeregt. Schließlich habe ich so etwas noch nie zuvor getan, weißt du?«
Freundschaftlich tätschelte er ihr die Hand. »Das möchte ich doch hoffen. Aber es besteht kein Grund, sich zu sorgen. Alles ist schon vorbereitet. Es sollte nicht mehr all zu lange dauern.«
Sie lehnte sich im Sitz zurück und versuchte, sich zu entspannen. Wenn alles nach Plan verlief, dann wäre sie in wenigen Stunden Lady Murray. Lord Murray – William, rief sie sich in Erinnerung – hatte einen Priester gefunden, der dazu bereit war, die heimliche Eheschließung durchzuführen, ohne dass vorher das Aufgebot bestellt worden war. Jeder Mann hatte seinen Preis, und der Preis für den Pfarrer der St. Mary’s Kirk bestand aus einer Kiste edlen Rotweins und fünfhundert Silbermerk. Mehr als genug, um jede Geldstrafe auszugleichen, die für das Durchführen einer unvorschriftsmäßigen Eheschließung gegen ihn erhoben werden könnte.
Eine unvorschriftsmäßige Eheschließung war Floras einzige Möglichkeit. Sie wollte nicht riskieren, dass einer ihrer Brüder oder ihr mächtiger Cousin im Vorhinein von ihren Plänen erfuhr und versuchte, sie aufzuhalten.
Wenn sie schon heiraten musste, dachte sie grimmig, dann sollte es ein Mann sein, den sie sich aussuchte.
Sie verfluchte das Schicksal dafür, dass es sie in diese Situation gebracht hatte. Sie hatte nicht das geringste Verlangen danach zu heiraten. Doch zu ihrem großen Unglück war sie nicht nur die Halbschwester von einem, sondern von zwei mächtigen Highland-Chiefs. Und als ob das noch nicht genug wäre, war ihr Cousin auch noch der einflussreichste Highlander Schottlands. Doch dieser »Ehepreis«, wie man sie empörenderweise nannte, würde es vorziehen, diesen Zustand gänzlich zu vermeiden. Die Ehe machte einen nur unglücklich.
Das Leid ihrer Mutter stand Flora allzu deutlich in Erinnerung.
Aber das wohl Einzige, was noch schlimmer war, als verheiratet zu sein, war es, dazu gezwungen zu werden. Um es nicht auf diese Alternative ankommen zu lassen, hatte sie sich entschlossen, die Angelegenheit bezüglich ihres Ehemannes selbst in die Hand zu nehmen. Was in diesem Fall bedeutete, dass sie auf der Suche nach einem Priester von zweifelhaftem Leumund in einem abgelegenen Pfarrbezirk, in dem man sie nicht erkennen würde, mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durchs Land fuhr.
Unauffällig musterte sie den Mann, der ihr gegenübersaß, von der Seite. Selbst in der Dunkelheit im Innern der Kutsche konnte sie den silbernen Schimmer blonder Haare erkennen, die ein Gesicht umrahmten, das man nur als erhaben bezeichnen konnte. Doch obwohl er unbestreitbar schön anzusehen war, hatte sie sich nicht aufgrund seines Äußeren dazu entschlossen, seinen Antrag anzunehmen. Auch nicht wegen seines Geistes und seiner Intelligenz, wovon er ebenfalls im Überfluss besaß. Sie hatte William gewählt, weil er selbst reich, mächtig und einflussreich war – er brauchte sie dafür nicht. Es bestand kein Grund, daran zu zweifeln, dass er keine anderen Beweggründe hatte als die, die er ihr genannt hatte: Sie waren Freunde, die aus ihrer Verbindung gegenseitig Vorteile ziehen würden.
Ein zusätzlicher Segen war es, dass er sich nicht sonderlich für die politischen Belange der Highlands zu interessieren schien. Und zu diesem Thema hatte sie bereits mehr als genug gehört. Die Tochter hatte die Lektionen ihrer Mutter wahrlich gut gelernt. Lieber würde sie eine Kröte heiraten als einen Highlander.
Lord Murray war zudem unendlich viel anziehender als eine Kröte.
»Und was ist mit dir, William? Hast du irgendwelche Zweifel?«
»Absolut keine.«
»Machst du dir keine Sorgen darüber, was geschehen wird, wenn sie herausfinden, dass …«
»Darum geht es dir also?« Er nahm ihre Hand und drückte sie beruhigend. »Du hast die Briefe geschrieben, nicht wahr?«
Sie nickte. Eine gute Sache daran, so viele Verwandte zu haben, war, dass es viele Orte gab, an denen sie vorgeben konnte, sich dort aufzuhalten, ohne dass jemand tatsächlich Bescheid wusste. Glücklicherweise war die einzige Person, die ihren Aufenthaltsort infrage stellen könnte – ihre Cousine Elizabeth Campbell –, auf Skye, um bei der Geburt von Floras jüngstem Neffen zu helfen. Der zweite Sohn in ebenso vielen Jahren Ehe zwischen ihrem Halbbruder Alex und seiner Frau Meg, die Flora noch nicht kennengelernt hatte. In dem Jahr, in dem sie an den Königshof gekommen waren, war ihre Mutter zu krank gewesen, um zu reisen.
»Dann besteht auch kein Grund anzunehmen, dass sie es herausfinden werden«, antwortete William zuversichtlich. »Dank deiner Verkleidung wird niemand bemerkt haben, dass du den Palast verlassen hast.«
Als sie bemerkte, worauf sein Blick gerichtet war, berührte sie die weiße Leinenhaube, die sie auf dem Kopf trug, und schmunzelte amüsiert bei der Vorstellung, welchen Anblick sie bieten musste. Flora war in Holyrood House für ihre Neigung dazu, Unfug anzustellen, berüchtigt. Doch sich um Mitternacht als Dienerin verkleidet aus dem Palast zu schleichen, um mit einem der mächtigsten jungen Männer bei Hofe durchzubrennen, stellte mit Sicherheit alles bisher Dagewesene in den Schatten. Diesmal hatte sie sich selbst übertroffen. Und bei einem Mädchen, das sich einmal Hosen angezogen hatte und bereits halb die Brüstung unter ihrem Balkon auf Castle Campbell hinuntergeklettert war, bevor ihr Cousin Jamie sie erwischt hatte, mochte das schon etwas heißen.
Unangenehm war sie sich des kratzigen Wollkleides bewusst, das sie trug und das durch das feine Leinen des Unterkleides piekste. »Hast du es geschafft, mein Kleid mitzunehmen?« , fragte sie.
»So bezaubernd rustikal du auch aussiehst, meine Liebe, denke ich doch kaum, dass die zukünftige Countess of Tullibardine bei ihrer Hochzeit wie eine Magd gekleidet sein sollte. Dein Kleid ist im Koffer, obwohl es einiger Erklärungen bedurfte, um es deiner Schneiderin abzuluchsen.«
Flora kicherte, als sie an die mürrische Französin dachte. Die Vorliebe des Königshofs für französische Mode war das wichtigste bleibende Vermächtnis Königin Marys von Schottland – abgesehen von ihrem Sohn, König James, natürlich. »Es schien mir am einfachsten so. Ich konnte es ja wohl kaum selber mit herausschmuggeln. Madame de Ville hält mich ohnehin schon für schrecklich unschicklich. Ich bezweifle, dass du irgendetwas sagen könntest, wodurch sie ihre Meinung ändern würde.« Unschicklich war wohl eine Untertreibung. Flora hatte bei Hofe den Ruf, mehr als nur ein wenig ungebärdig zu sein.
Glücklicherweise schien William sich an ihrem Leumund nicht zu stören. Wenn überhaupt, dann schien ihn ihr Hang dazu, in Schwierigkeiten zu geraten, eher zu amüsieren. Sobald die Nachricht von den Ereignissen des heutigen Abends die Runde gemacht hätte, könnte er diesen Sinn für Humor gut gebrauchen. Ihr Durchbrennen würde mit Sicherheit einen weit größeren Skandal verursachen als alles, was sie bisher angestellt hatte.
Nervös biss sie sich auf die Lippe. Er riskierte viel. Obwohl er nicht viel älter als sie mit ihren vierundzwanzig Jahren war, hatte er sich an König James’ Hof im Norden des Landes bereits einen Namen gemacht. Er übte beträchtlichen Einfluss auf die Geheimräte aus – jene Männer, die Verantwortung trugen, während der König auf Whitehall seine aufmüpfigen englischen Untertanen umwarb. Mit der Cousine des Earl of Argyll und der Halbschwester von Rory MacLeod und Hector Maclean durchzubrennen, war ein gefährlicher Schachzug für einen ehrgeizigen jungen Mann.
Ein Schachzug, der sich möglicherweise durch starke Zuneigung entschuldigen ließe, doch Flora machte sich diesbezüglich keine Illusionen. Obwohl ihr zukünftiger Gemahl ihr gegenüber sehr aufmerksam war, so konnte man ihn doch schwerlich als verliebt bezeichnen. Da ihre Gefühle ähnlich unbeteiligt waren, war das sogar ein weiterer Punkt zu seinen Gunsten. Keiner von beiden müsste sich verstellen. Sie waren Freunde, nichts weiter. Das war weit mehr, als man von den meisten Eheleuten behaupten konnte.
Was am allerwichtigsten war, sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er nicht versuchen würde, sie zu kontrollieren. Sie würde ihr Leben leben und er das seine. Das war alles, was sie wollte.
Doch was war mit ihm? Was wollte er?
Flora kannte William seit Jahren, seit ihrem Debüt bei Hofe vor sechs Jahren. Doch anders als die meisten jungen Männer, deren Bekanntschaft sie machte, hatte er sie nie umworben. Dass er ihr nun plötzlich – und ernsthaft – den Hof machte, nachdem sie vor Kurzem nach Edinburgh zurückgekehrt war, kam demnach unerwartet, aber zugegebenermaßen sehr gelegen.
Denn nicht einmal ein paar Tage, nachdem er ihr seine Absichten erklärt hatte, erhielt sie einen Brief von ihrem Halbbruder Rory, Chief der MacLeod, der ihre Anwesenheit auf Dunvegan Castle wünschte, um »ihre Zukunft zu besprechen«. Ironischerweise folgte auf Rorys Aufforderung kurz darauf eine ebensolche von ihrem Halbbruder Hector, Chief der Maclean, der ihre Anwesenheit auf der Isle of Mull wünschte. Flora ließ sich nicht eine Sekunde lang von diesen beinahe gleichzeitigen Bitten täuschen. Eine Unterhaltung über ihre Zukunft konnte für eine junge Frau von vierundzwanzig Jahren, die nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter alleine dastand, nur eines bedeuten: Heirat. Oder, um genauer zu sein, das Recht, zu bestimmen, wen sie heiratete.
Nun, da ihre Mutter tot und ihr Vater schon lange begraben war, stand dieses Recht Rory zu. Einem Bruder, den sie kaum kannte. Soweit sie sich an ihn erinnern konnte, schien er kein Mann zu sein, der sie dazu zwingen würde, einen Mann zu heiraten, den sie nicht wollte. Doch sie konnte kein Risiko eingehen. Selbst wenn Rory sich überreden ließe, würden Hector und ihr Cousin Argyll nicht zulassen, dass die Angelegenheit entschieden wurde, ohne dass sie sich einmischten.
Alle drei würden vor Wut rasen, wenn sie entdeckten, was sie getan hatte.
Ihre Brüder hätten es besser wissen müssen, als zu versuchen, sie zu zwingen. Obwohl sie sich schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen hatten, hatte sie sich in mancherlei Hinsicht nicht verändert. Doch vielleicht hatten sie das kleine Mädchen vergessen, das es gehasst hatte, in die Ecke gedrängt zu werden.
Flora warf William in der Dunkelheit erneut einen Blick zu, um ihn noch etwas länger zu mustern, und fragte sich nicht zum ersten Mal, warum er ihrem Plan, miteinander durchzubrennen, zugestimmt hatte. Doch schnell verdrängte sie den plötzlichen Anflug von Unsicherheit wieder.
Er war die perfekte Wahl. Ihre Brüder würden sie möglicherweise sogar gutheißen, dachte sie ironisch. Nicht, dass sie ihnen die Gelegenheit dazu geben würde, in dieser Sache ein Wörtchen mitzureden.
»Du hast nichts zu befürchten«, beruhigte Lord Murray sie, als ob er ahnte, welche Richtung ihre Gedanken eingeschlagen hatten. »Selbst wenn sie davon erfahren, wird es bereits zu spät sein. Wir sind fast da.«
Flora zog eine Augenbraue hoch. »Du kennst meine Brüder nicht.«
Im weichen Schimmer des Mondlichts huschte ein eigenartiger Ausdruck über sein Gesicht. »Nicht gut«, gab er zu. »Hauptsächlich vom Hörensagen.«
Flora unterdrückte ein unfeines Schnauben. »Dann weißt du wahrscheinlich, dass es einen guten Grund gibt, sich zu fürchten. Meine berüchtigt grimmigen Brüder sind keine Männer, die man verärgern sollte.« Sie machte eine kurze Pause. »Obwohl ich sie zugegebenermaßen nicht mehr allzu gut kenne.«
»Wann hast du sie zum letzten Mal gesehen?«
Sie dachte einen Moment lang nach. »Das ist schon eine ganze Weile her. Meine Mutter zog es vor, bei Hofe oder auf Castle Campbell zu bleiben.« Das war die Festung des Earl of Argyll in den Lowlands. Dadurch war ihre Mutter den »Barbaren«, wofür die Highlander bei Hofe gehalten wurden, aus dem Weg gegangen, die ihr so viel Leid verursacht hatten. »Meine Brüder geben ihr Bestes, die Highlands nicht zu verlassen«, erklärte sie. »Ich sehe meinen Cousin Argyll viel öfter, als ich Rory und Hector sehe.« Oder irgendeines ihrer anderen Halbgeschwister.
Abgesehen von ein paar kurzen Gelegenheiten bei Hofe hatte Flora seit ihrer Kindheit mit keinem aus ihrer Familie besonders viel Zeit verbracht. Obwohl sie acht Halbgeschwister hatte – fünf MacLeods, mit denen sie den Vater gemeinsam hatte, und drei Macleans, mit denen sie die Mutter gemeinsam hatte –, hätte sie genauso gut ein Einzelkind sein können.
Nicht, dass ihr das etwas ausgemacht hatte. Sie hatte schließlich immer ihre Mutter gehabt.
Doch ihre Mutter war nun fort.
Flora schluckte den Kloß hinunter, der sich in ihrer Kehle gebildet hatte. Sie vermisste sie schrecklich.
Sie konnte nur hoffen, dass ihre Mutter im Tod das Glück gefunden hatte, das ihr zu Lebzeiten verwehrt geblieben war. Da sie viermal mit Männern verheiratet worden war, die sie sich nicht selbst ausgesucht hatte, war ihre Mutter bestrebt gewesen, sicherzustellen, dass ihre Tochter nicht dasselbe Schicksal erleiden musste, und ihr letzter Wunsch war es gewesen, dass Flora nicht ohne Liebe heiratete. Ein Wunsch, den sie mit einem Versprechen auf dem Sterbebett besiegelt hatte.
Versprich es mir, Flora. Was es auch kostet, heirate niemals jemanden, den du nicht liebst.
Flora verdrängte die Erinnerung – und das Schuldgefühl. Sie liebte William nicht. Doch wie konnte sie das Versprechen halten, das sie ihrer Mutter gegeben hatte? Ohne den Schutz ihrer Mutter war Flora der Gnade von Männern ausgeliefert, die danach trachteten, sie zu kontrollieren. Eine Frau konnte sich ihr eigenes Schicksal nicht aussuchen. Ob es ihr gefiel oder nicht, Flora war ein Ehepreis. Ihre Pflicht war es, den Mann zu heiraten, den ihr Bruder aussuchte.
Doch war es auch ihre Pflicht, mit ihrem Leben unglücklich zu sein?
Nein. Sie weigerte sich, wie eine wertvolle Jungkuh verschachert zu werden.
Sie hatte ihre Wahl getroffen.
»Gehörte das deiner Mutter?«
Erschrocken wandte sie sich wieder William zu. »Was?«
»Das Halskettchen. Du berührst es immer, wenn du sie erwähnst.«
Flora lächelte leicht, sie hatte nicht bemerkt, dass sie das Amulett umklammert hielt. Das Amulett, das ihre Mutter niemals abgelegt hatte, das jetzt seit sechs Monaten Flora gehörte. Seit dem Tag, an dem das Elend ihrer Mutter endlich ein Ende gefunden hatte. »Ja.«
»Es ist ungewöhnlich. Woher stammt es?«
Sie zögerte. Aus irgendeinem Grund wollte sie die Geschichte der Halskette nicht mit ihm teilen. Es erschien ihr zu persönlich. Doch ihr war klar, dass das lächerlich war, wenn man bedachte, dass dieser Mann bald ihr Ehemann wäre. Die mit dem Amulett verbundene Legende und der Fluch waren wahrlich kein Geheimnis. Dennoch zögerte sie.
»Sie wurde der Mutter meiner Mutter von ihrer Tante vererbt, die«, sie stockte kurz, »kinderlos starb. Danach meiner Mutter als der jüngsten Tochter und dann mir. Doch ursprünglich gehörte sie den Macleans.«
»Dem Clan deines Bruders?«
Sie nickte.
Die Kutsche rumpelte über eine weitere Bodenwelle. Flora hielt den Atem an, denn das Gefährt neigte sich für einen Augenblick weit zur Seite und kippte dann auf alle vier Räder zurück. Als die Kutsche urplötzlich zum Stehen kam, glaubte sie, dass irgendetwas beschädigt worden war.
»Dafür bezahlt der Kutscher mir mit seinem Kopf …«
Doch Lord Murrays Drohung ging im ohrenbetäubenden Donnern von Hufen und den unvermittelt ausbrechenden lauten Rufen unter, die von draußen hereindrangen.
Von einer heftigen Welle der Erkenntnis erfasst, fing ihr Herz an zu rasen: Sie wurden angegriffen!
Dem fragenden Ausdruck auf Williams Gesicht nach zu schließen, war offensichtlich, dass er noch nicht erkannt hatte, was gerade geschah. Er war durch und durch Lowlander – ein Höfling, kein Kämpfer. Einen Augenblick lang versetzte es Flora einen Stich der Enttäuschung, doch dann schalt sie sich dafür, dass sie ungerecht war. Sie wollte es gar nicht anders. Doch in dieser Situation war er eindeutig keine große Hilfe.
Das gelegentliche Aufeinanderschlagen von Stahl gegen Stahl kam näher. Ihnen blieb nicht mehr viel Zeit. Sie packte ihn am Arm und zwang ihn, sie anzusehen. »Wir werden angegriffen.« Ein Schuss erklang und unterstrich ihre Worte. »Hast du irgendeine Waffe?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Verwendung für Waffen, meine Männer sind gut bewaffnet.«
Flora machte sich gar nicht erst die Mühe, ihre Zunge im Zaum zu halten, und stieß einen heftigen Fluch aus.
Er runzelte erneut die Stirn. »Wirklich, meine Liebe. Du solltest solche Dinge nicht sagen. Sobald wir verheiratet sind, muss damit Schluss sein.«
Ein weiterer Schuss peitschte auf.
Sie schluckte die sarkastische Erwiderung hinunter, die ihr auf der Zunge lag. Verheiratet? Sie waren in einer Stunde vielleicht nicht mehr am Leben! Verstand er denn nicht, in welcher verzweifelten Lage sie sich befanden? Schottland war voll von Räubern, die das Land durchstreiften. Gesetzlosen. Gebrochenen Männern ohne Clan, die nicht für ihre Barmherzigkeit bekannt waren. Flora hatte geglaubt, sie wären einigermaßen sicher, wenn sie in der Nähe von Edinburgh blieben. Sie hatte sich geirrt.
Lord Murray zeigte diese arrogante Borniertheit, die für viele Höflinge typisch war – das Vertrauen darauf, dass Rang und Reichtum ihn beschützen würden. Doch ein paar Musketen könnten das Schwert oder den Bogen eines Highlanders nicht lange aufhalten. Sie brauchten etwas, um sich damit zu verteidigen.
»Ein Schwert«, drängte sie und versuchte, ihre Ungeduld zu verbergen. »Du hast doch sicher ein Schwert?«
»Natürlich. Jeder Mann bei Hofe trägt eines. Doch ich wollte während der Reise nicht dadurch behindert werden, also hat der Fahrer es an die Kiste mit deinem Kleid geschnallt. Aber ich habe noch meinen Dolch.« Er zog die Klinge aus der Scheide an seiner Seite und hielt sie ihr hin. An dem üppig mit Juwelen verzierten Griff erkannte Flora, dass die Waffe eher zur Zierde als zum Kämpfen gedacht war. Doch die sechs Zoll lange Klinge musste genügen.
Die ungeschickte Art, wie er den Dolch hielt, als wäre er etwas Widerwärtiges, ließ deutlich erkennen, dass er nicht wusste, wie man damit umging.
»Ich fürchte, ich habe nicht viel Erfahrung …«
Sie schon. »Ich nehme ihn.« Flora ließ den Dolch gerade noch in den Falten ihres Umhangs verschwinden, bevor die Tür mit einem Krachen aufflog.
Alles geschah gleichzeitig.
Bevor sie schreien oder sich verteidigen konnte, wurde sie grob aus der Sicherheit der Kutsche in die schraubstockartige Umklammerung eines Mannes gerissen. Eines sehr großen Mannes. Der, so wie er sich anfühlte, stark wie ein Ochse war.
Die Heftigkeit, mit der sie rau an seine felsenharte Brust gedrückt wurde, ließ sie aufkeuchen. Ihr ganzer Körper presste sich gegen harten, unnachgiebigen Stein.
Guter Gott, niemand hatte es je gewagt, sie so zu halten.
Noch nie hatte sie irgendetwas so intensiv wahrgenommen. Ihre Wangen brannten vor Entrüstung und der plötzlichen Hitzewelle, die von ihm auszugehen schien. Er hatte den Arm um sie geschlungen und eng unter die schwere Fülle ihres Busens gepresst, wodurch sie sich nur zu deutlich dessen bewusst war, wie sich ihre Brüste hoben und senkten und dabei gegen seinen Arm drängten. Obwohl sie nicht gerade klein war, passte ihr Kopf mühelos unter sein Kinn. Doch das Schlimmste war, dass sich ihr Hinterteil genau an seine Lenden presste, weil sie mit dem Rücken zu seiner Brust stand.
Instinktiv rebellierte alles in ihr gegen diese intime Nähe. Gegen die Intimität, so eng an den muskelgestählten Körper eines schmutzigen Schurken geschmiegt zu sein.
Allerdings roch er überhaupt nicht schmutzig. Er roch nach Myrte und Heidekraut und einem kaum wahrnehmbaren Hauch von Meer.
Wütend darüber, in welche Richtung ihre Gedanken wanderten, richtete sich ihr ganzer Zorn gegen ihren Geiselnehmer. »Nehmt Eure Hände von mir!« Angestrengt versuchte sie, sich ihm zu entwinden, doch es war zwecklos. Sein Griff war so unnachgiebig wie Stahl. Obwohl er sie nur mit einem Arm festhielt, konnte sie sich keinen Zoll bewegen.
»Ich fürchte, das tue ich nicht, meine Süße.«
Sie erstarrte bei dem singenden, rollenden Tonfall seiner Stimme.
Ein Highlander. Seine Stimme ließ ihr die Härchen auf den Armen zu Berge stehen. Sie war beinahe hypnotisierend. Tief und dunkel, mit einem unbestreitbaren Unterton von Gefahr.
Das Blut gefror ihr in den Adern. Ihre Notlage hatte sich gerade entschieden verschlimmert. Highlander waren regelrechte Teufel. Wenn ihr keine rettende Idee kam, dann waren sie so gut wie tot.
Flora unterdrückte den Drang, sich weiter zu wehren, sondern hielt still und tat so, als gäbe sie auf, damit sie in Ruhe die Situation einschätzen konnte. Die Nacht war dunkel, doch der Vollmond erhellte sanft die weitläufige Moorlandschaft, wodurch sie gerade genug sehen konnte – oder vielleicht eher zu viel sehen konnte. Denn was sie sah, war nicht gut. Sie waren von ungefähr zwanzig kräftig aussehenden Männern umzingelt. Alle trugen breacan feiles, die mit einem Gürtel gehaltenen Plaids der Highlands, und schwangen riesige Breitschwerter. Ihre Gesichter waren ohne Ausnahme hart und unbeugsam. Diese Männer waren Kämpfer. Krieger.
Doch sie hatten nicht diesen hungrigen, animalischen Ausdruck gejagter Männer. Als sie nach unten sah, fiel ihr das fein gesponnene Leinenhemd des Mannes auf, der sie festhielt. Sein Plaid war von guter Qualität, es fühlte sich weich und geschmeidig an.
Wenn sie keine Gesetzlosen waren, was genau waren sie dann, und was wollten sie?
Sie hatte nicht vor, zu bleiben und das herauszufinden. Jede Faser ihres Körpers schrie danach, sich loszureißen und der Gefahr zu entfliehen. Doch ihre Möglichkeiten waren beschränkt.
Die Handvoll Männer, die Lord Murray als Eskorte mit sich führte, waren weit in der Unterzahl und hatten sich, so wie es aussah, ohne große Gegenwehr ergeben. Zu ihren Füßen lagen ein paar Musketen und Hakenbüchsen verstreut, allerdings hielten die meisten von ihnen noch ihre Schwerter in den Händen.
Doch es lag nicht in Floras Natur, sich zu ergeben. Ganz besonders nicht irgendwelchen Barbaren. Sie zweifelte nicht einen Augenblick daran, dass diese Männer Highlander waren. Wenn ihre Aussprache sie nicht bereits verraten hätte, ihre Kleidung räumte jeden Zweifel aus.
»Was wollt Ihr?« Flora erkannte die hochmütige Stimme ihres Verlobten. »Und nehmt Eure schmutzigen Hände von ihr.«
Lord Murray war hinter ihr aus der Kutsche gezerrt worden und wurde von einem furchterregend aussehenden Highlander festgehalten. Seine Körpergröße, die durchdringend blauen Augen und die Fülle weißblonden Haares ließen wenig Zweifel daran, dass seine Ahnen Wikinger waren.
Beim Anblick des Räubers fragte sie sich einen Augenblick lang, ob der Unhold, der sie festhielt, wohl ebenso eindrucksvoll aussah. Vielleicht sollte sie froh sein, dass sie ihn nicht sehen konnte. Sie hatte auch so schon genug Angst. Das Herz schlug ihr so schnell, dass sie überzeugt davon war, dass er es fühlen konnte.
»Nehmt, was immer Ihr wollt, und lasst uns gehen«, fügte Lord Murray hinzu. »Wir sind heute Nacht in einer wichtigen Angelegenheit unterwegs.«
Der Mann hinter ihr versteifte sich, und Flora erkannte warum. Noch nie zuvor war ihr der herablassende Unterton aufgefallen, der in Williams Stimme schwang.
»Ihr befindet Euch schwerlich in der Position, Befehle zu erteilen, Mylord«, entgegnete ihr Häscher mit unverhohlener Verachtung. Besitzergreifend schlang er den Arm enger um ihre Taille. »Aber es steht Euch frei, zu gehen. Nehmt Eure Männer mit Euch. Ich habe alles, was ich will.«
Das Blut sackte ihr in die Beine, als ihr klar wurde, was er meinte. Mich. Er meint mich.
William würde lieber sterben, als zuzulassen, dass ein Barbar sie bekäme, und Flora wollte nicht die Ursache für seinen Tod sein. Ebenso wenig wollte sie darüber nachdenken, was der Schurke ihr vielleicht antun könnte. Wild schoss ihr Blick hin und her, während sie versuchte, sich einen Plan einfallen zu lassen.
»Das kann nicht Euer Ernst sein. Wisst Ihr, wer wir sind?« William verstummte einen Augenblick. »Ist es das, worum es geht? Habt Ihr vor, Lösegeld für sie zu erpressen?« Er lachte verächtlich, wodurch der Mann hinter ihr sich noch mehr versteifte. Flora wünschte sich, William wäre endlich still, bevor er sie noch alle umbrachte. »Ihr werdet Euch noch wünschen, dass man euch einfach nur schnell aufhängt, wenn Ihr sie mitnehmt. Man wird Euch hetzen wie einen Hund.«
»Dazu müssten sie mich erst einmal erwischen«, entgegnete der Wegelagerer ungerührt.
Seinem Tonfall nach zu schließen, hielt er das offensichtlich für unmöglich. Das war kein Straßenräuber, erkannte Flora. Seiner Stimme und der Gewandtheit im Schottischen, der Sprache der Lowlands nach zu urteilen, musste er zumindest ein gewisses Maß an Bildung genossen haben.
Am hinteren Teil der Kutsche blitzte wie ein strahlendes Leuchtfeuer ein silbernes Schimmern im Mondlicht auf. Da war sie. Ihre Chance. Sie hoffte nur, dass Williams Männer bereit waren.
William hatte angefangen, weitere Drohungen auszustoßen. Es hieß jetzt oder nie. Sie hoffte, dass der Mann, der sie festhielt, das plötzliche Rasen ihres Pulsschlags nicht bemerkte, und betete darum, dass sie sich noch daran erinnerte, was sie tun musste. Es war schon viel Zeit vergangen, seit ihre Brüder Alex und Rory und ihr Cousin Jamie Campbell ihr gezeigt hatten, wie sie sich selbst verteidigen konnte.
Sie holte tief Luft, dann stampfte sie, so hart sie konnte, mit dem Absatz ihres hölzernen Überschuhs auf den Fuß des Räubers, wodurch sich sein Griff gerade genug lockerte. Mit einer einzigen schnellen Bewegung zog sie den Dolch aus dem Umhang, wirbelte herum und zielte mit der Klinge auf seinen Bauch, doch er drehte sich leicht, und der Dolch drang in seine Seite.
Er stieß einen schmerzerfüllten Fluch aus, fiel auf die Knie und umklammerte den Griff des Dolches, der ihm aus der Seite ragte.
Entsetzen schnürte ihr die Kehle zu. Noch nie hatte sie auf einen Mann eingestochen. Hoffentlich …
Unsinn. Der Unhold hatte vor, sie zu entführen und wahrscheinlich noch Schlimmeres.
Sie sah ihn gerade lange genug an, um die Überraschung auf seinem Gesicht erkennen zu können. Einem Gesicht, das völlig anders war, als sie erwartet hatte. Ein Gesicht, das sie zögern ließ. Ihre Blicke trafen sich, und ein seltsames Gefühl durchzuckte sie. Gütiger Gott, auf eine raue Art war er der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte.
Doch er war ein Verbrecher.
Sie wandte sich von dem Verletzten ab und machte einen Satz auf die Kutsche zu.
»Kämpft!«, schrie sie Lord Murrays Männern zu, die sie mit offenem Mund anstarrten.
Mit einem Stoßgebet griff sie nach dem Silberstreif, den sie erspäht hatte, und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als ihre Hand sich um Stahl schloss und sie Lord Murrays Schwert von der Kiste riss.
Ihr Wagemut hatte die Männer aus ihrer Lethargie gerissen, und der Kampf entbrannte von Neuem.
Flucht. Sie konnte nicht zulassen, dass sie gefangen genommen wurde. Vielleicht schaffte sie es, die Heide zu überqueren und den Waldrand zu erreichen, der etwa ein paar hundert Schritte entfernt lag. Sie sah sich nach William um und stellte erleichtert fest, dass der Mann, der ihn festgehalten hatte, seinem verletzten Anführer – denn sie zweifelte nicht daran, dass der Mann, auf den sie eingestochen hatte, der Anführer war – zu Hilfe geeilt und dann in einen Schwertkampf mit einem von Williams Männern verwickelt worden war.
Sie warf William das Schwert zu und zog ihn hinter die Kutsche. »Wir müssen weglaufen«, flüsterte sie.
Er stand stocksteif da und starrte sie mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an, so als ob er sich nicht ganz entscheiden konnte, ob er Ehrfurcht oder Abscheu für sie empfinden sollte.
Sie kämpfte ihren wachsenden Ärger nieder. Er sollte ihr lieber dankbar sein, anstatt sie mit offenem Mund anzustarren, als wäre sie ein Monstrum.
»Schau, wir haben nicht viel Zeit!« Ohne ihm Gelegenheit für eine Erwiderung zu geben, zog sie ihn in Richtung der Heidekrautwiese und rannte auf die Baumreihe zu, die sich wie eine rettende Oase undeutlich in der Ferne abzeichnete.
Doch die Freiheit währte nur kurz. Kaum dass sie ein paar Schritte zurückgelegt hatte, wurde sie von hinten zu Fall gebracht und landete hart im Heidekraut, mit dem vollen Körpergewicht eines Mannes auf ihr. Der Aufprall presste ihr die Luft aus den Lungen.
Sie konnte sich nicht bewegen. Oder atmen. Heidekraut, Erde und Zweige drückten sich ihr in die Wange, und sie schmeckte Dreck im Mund.
Sie brauchte gar nicht erst hinzusehen. Schon allein von der Art, wie er sich anfühlte, wusste sie, wer es war.
Er war nicht tot.
Unbeweglich verharrte er eine Minute, um sie sein Gewicht, um sie ihre eigene Hilflosigkeit spüren zu lassen, bevor er sie schließlich auf den Rücken rollte. Da sie in dem ganzen Aufruhr ihre Haube verloren hatte, floss ihr das Haar ums Gesicht und verfing sich in ihren Wimpern. Mit den Armen drückte er ihre Schultern nieder und mit der vollen Länge seines Körpers nagelte er sie am Boden fest.
Er sagte kein Wort. Doch das brauchte er auch nicht. Zorn sprühte ihm glühend heiß wie ein unkontrolliertes Feuer aus jeder Pore.
Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung war. »William! Hilf mir!« Er hatte das Schwert, und so, wie der Straßenräuber auf ihr ausgestreckt lag, war er verwundbar.
William stand wie versteinert da, als ob er sie nicht gehört hätte. »William!« Ihre Blicke trafen sich. Sie erkannte darin Angst – um sich selbst – und Schuld. Alles Blut wich ihr aus den Gliedern. Er wird mich im Stich lassen! Bevor sie reagieren konnte, drehte er sich um und lief davon.
Völlig vor den Kopf geschlagen sah Flora ihm nach, wie er in der Dunkelheit verschwand. Sie konnte es nicht glauben. Ihr Verlobter hatte sie der Gnade – vorausgesetzt, dass sie Gnade kannten – der Briganten ausgeliefert.
Der Mann über ihr murmelte einen unschmeichelhaften Fluch, der ihre eigenen Gedanken widerspiegelte. Sie hatte sich schrecklich in William getäuscht. Nicht auszudenken, dass sie ihn beinahe geheiratet hätte.
Doch ihre Gedanken wurden schnell wieder von Lord Murrays Verrat weggelenkt.
Der Brigant berührte sie. Mit seinen gewaltigen Händen strich er ihr über den Körper, ließ sie über ihre Brüste gleiten, die Hüften, um das Hinterteil und die ganze Länge ihrer Beine hinab. Sie erstarrte, und der Schrecken verwandelte sich in nackte Panik.
»Was tut Ihr da? Aufhören!« Sie versuchte, sich loszureißen, doch er hatte sie fest im Griff. Mit seinem Gewicht auf ihr konnte sie sich nicht bewegen. Noch nie hatte sie sich so hilflos gefühlt. Tränen brannten ihr in den Augen. »Bitte! Tut das nicht!«
Er ignorierte ihr angsterfülltes Flehen und setzte den methodischen Raubzug seiner Hände, die sich auf ihrem Körper so groß und ungewohnt anfühlten, fort. Er ließ keinen Zoll aus. In seinen Bewegungen lag etwas Hartes, Berechnendes, beinahe Unbeteiligtes. Doch als er mit der Hand zwischen ihre Beine glitt, schlug sie um sich, als habe er sie verbrannt. In einem jähen Kraftausbruch schaffte sie es, eine Hand lange genug freizubekommen, um ihm mit den Fingernägeln die Wange zu zerkratzen.
Fluchend packte er ihre Handgelenke und hielt sie über ihrem Kopf fest. Sein Gesicht senkte sich drohend über ihres. »Genug!«, knurrte er. »Ihr stellt meine Geduld gehörig auf die Probe, kleine Banshee.« Lang ausgestreckt unter ihm liegend starrte sie ihm in die Augen – vor Anstrengung atmete sie stoßweise, ihre Brüste hoben und senkten sich unübersehbar. Er erstarrte, und etwas veränderte sich. Er wirkte nicht länger unbeteiligt. Sein Blick glitt tiefer und verweilte auf ihren Brüsten. Hitze breitete sich in ihrer Brust aus. Doch dann wurde sein Blick hart und schoss in ihr Gesicht zurück. »Eure Ängste diesbezüglich sind unbegründet. Ich habe nur nicht gern einen weiteren Dolch im Rücken.«
In der Seite. Doch sie hielt es für das Beste, nicht mit ihm darüber zu streiten.
»Ich bin unbewaffnet.«
»Ich glaube kaum, dass ich mich auf Euer Wort verlassen werde.«
Nachdem er sich zu seiner Zufriedenheit davon überzeugt hatte, dass sie die Wahrheit sprach, sprang er auf die Füße und zog sie kurzerhand mit sich hoch. Sie hatte sich ein wenig beruhigt, doch das Herz pochte ihr immer noch heftig.
Nachdem die Hitze seines Körpers nicht länger auf ihr lastete, bemerkte sie sofort, dass sich ihr Kleid feucht anfühlte. Sie legte eine Hand auf den Bauch und zog sie sofort wieder zurück. Der scharfe, metallische Geruch verursachte ihr eine Welle von Übelkeit. Es war Blut. Sein Blut. Sie warf einen Blick auf seine Brust und erbleichte, als sie den dunkelroten Fleck bemerkte, der die dicke Wolle seines Plaids durchtränkt hatte. Er musste schreckliche Schmerzen haben, doch er ließ sich nichts von einer Verletzung anmerken.
Jeder Anflug von Schuldgefühl, das sie vielleicht verspürt haben mochte, wurde schnell wieder fortgewischt, als er sie mit schraubstockartigem Griff – eine körperliche Erinnerung an ihre missliche Lage – am Arm packte und zur Kutsche zog.
»Ihr tut mir weh!«
Er wirbelte sie herum und nagelte sie mit Blicken fest. Seine Augen glühten im Mondlicht. Blau. Ein durchdringendes Blau, das sie regelrecht durchbohrte. Sein Blick war wie alles an ihm hart und unerbittlich – mit einer unmissverständlichen Spur von Gefahr. Der Magen krampfte sich ihr zusammen. Vor Angst? Dazu hatte sie allen Grund.
Sein Gesicht war stark und hager, voller harter Kanten und roher Männlichkeit – er hatte nichts Weiches an sich. Die Nase war schon mehrmals gebrochen worden, doch das und die Narben, die sein Gesicht überzogen, trug nur noch zu seiner rauen Anziehungskraft bei. Vier frische Kratzer zogen sich über seine Wange. Flora empfand nicht gerade Bedauern darüber, doch sie sahen auch nicht so aus, als wären sie tief genug, um Narben zu hinterlassen.
Er hatte die kantigen Kiefer fest zusammengebissen, und winzige weiße Linien zeigten sich um seinen Mund. Für einen Highlander war sein Haar ungewöhnlich kurz und gut frisiert, gerade lang genug, um ihm in sanften Wellen über die Ohren zu fallen. Es war entweder dunkelbraun oder schwarz, sie konnte es nicht erkennen.
Als sie ihm so Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, erkannte sie zum ersten Mal, wie groß er war. Hochgewachsen, breitschultrig und sehr muskulös. Doch sie würde sich von seiner Körpergröße nicht einschüchtern lassen. Sie war große Männer gewöhnt – ihre Brüder waren alle von ähnlicher Statur. Doch sie hatte seine Stärke am eigenen Leib erfahren, und es war schwer, sich dadurch nicht aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen.
»Ihr nehmt entweder mit meiner Hand vorlieb, oder ich muss Euch fesseln.« Der lange Blick, mit dem er sie bedachte, ließ sie zu dem Schluss kommen, dass er sich Letzteres sehnlichst wünschte. »Es ist Eure Entscheidung.«
Ein heißes Gefühl der Demütigung trieb ihr das Blut in die Wangen. Sie hob das Kinn und funkelte ihn an. »Die Hand.«
»Kluge Entscheidung. Aber wenn Ihr noch einmal versuchen solltet wegzulaufen, werde ich nicht mehr so großzügig sein.«
»Großzügig!« Sie stieß ein scharfes, spöttisches Schnauben aus. »Ihr entführt mich. Erwartet Ihr dafür etwa meinen Dank?«
»Gern geschehen.«
»Ich habe Euch nicht ge…« Doch ihre Zurechtweisung brach ab, als sie um die Kutsche bogen. Sie versteifte sich, da sie damit rechnete, viele von Lord Murrays Männern tot auf dem Boden liegen zu sehen. Doch als sie den Blick hin- und herschweifen ließ, riss sie überrascht die Augen auf, als sie feststellte, dass alle vollzählig waren. Sie hatten sich ergeben, und dieses Mal hatten die Räuber darauf geachtet, ihnen alle Waffen abzunehmen, doch ansonsten schienen Lord Murrays Männer größtenteils unverletzt zu sein. Die schwerste Verletzung schien ein Highlander davongetragen zu haben, der in den Arm geschossen worden war.
Das ergab keinen Sinn. Es schien beinahe so, als ob ihre Angreifer sich geradezu bemüht hatten, niemanden zu verletzen. Nicht gerade das, was sie von Barbaren erwartet hätte. Sie drehte sich um und musterte ihren Häscher abschätzend. »Was wollt Ihr von mir?«
Sein Gesicht war wie aus Stein und gab nichts von seinen Gedanken preis.
»Wohin bringt Ihr mich?«
»Auf meine Burg.«
»Und wo ist das?«
Er zögerte kurz, offensichtlich rang er mit sich, ob er es ihr sagen sollte. »Drimnin. In Morvern.«
Ihre Mutter hatte Ländereien in Morvern besessen, was nicht ungewöhnlich war, da ihre Mutter überall in den Highlands Ländereien besaß, deshalb wusste Flora, dass die Burg Lachlan Maclean, dem Maclean of Coll gehörte. Dem erbitterten Feind ihres Halbbruders Hector Maclean of Duart. Ihre Augen wurden schmal. »Weiß Euer Laird, was Ihr getan habt?«
»Das könnte man so sagen.« Um seine Mundwinkel zuckte es, das erste Anzeichen von Heiterkeit in seinem steinernen Gesichtsausdruck. Die Veränderung war erstaunlich, sie verwandelte sein grimmiges Gesicht in etwas weitaus Gefährlicheres. Sie heftete den Blick auf das charmante Funkeln in seinen Augen und den sinnlichen Schwung seines breiten Mundes, und etwas in ihrem Innern zog sich zusammen.
Nur weil sie ihn so aufmerksam musterte, bemerkte sie, dass er zusammenzuckte. Er hatte stärkere Schmerzen, als er sich anmerken ließ, doch schnell verbarg er es wieder.
Ein paar der Wegelagerer starrten sie mit einem seltsamen Ausdruck an.
Der Wikinger platzte mit der Frage heraus, die sich offenbar alle stellten. »Bist du sicher, dass du das richtige Mädchen hast? Das hier sieht mir nicht wie die hübscheste Erbin von ganz Schottland aus. Oder von sonst wo, was das betrifft.«
Flora wurde wütend. Sie scherte sich nicht viel um ihren Spitznamen, doch schließlich hörte keine Frau es gern, dass sie nicht hübsch anzusehen war. Von verletzter Eitelkeit angestachelt öffnete sie schon den Mund, um ihm eine glühende Zurechtweisung entgegenzuschleudern, als ihr plötzlich bewusst wurde, wie sie aussehen musste. Das blonde Haar zerzaust, schmutzige Striemen im Gesicht, Blut auf ihrem Kleid … Ach ja, sie hatte völlig vergessen, dass sie das formlose graue Wollkleid einer Dienerin trug.
»Sie ist es«, entgegnete ihr Entführer ungerührt.
Woher weiß er, wer ich bin? Was hat er nur mit mir vor?
Das Herz sank ihr in die Knie. Warum wurden wohlhabende Frauen für gewöhnlich entführt? Gütiger Gott, dieser Barbar konnte doch wohl nicht etwa vorhaben, sie zu heiraten?
Das musste ein Irrtum sein!
Dieses starrköpfige Mädchen hatte die ganze Nacht kein Wort gesprochen, seit er ihren Protest ignoriert und sie auf sein Pferd gesetzt hatte. Sie würde mit ihm reiten. Wo er sie im Auge behalten konnte.
Lachlan Maclean, Chief of Coll, zweifelte keinen Augenblick daran, dass sie Flora MacLeod war. Die hübscheste Erbin Schottlands. Der Teufelsbraten von Holyrood. Wie es einem beliebte. Welchen Spitznamen man sich auch aussuchte, sie war die Frau, über die bei Hofe am meisten geklatscht wurde. Eine berühmte Schönheit, deren unheilvoller Weg von gebrochenen Herzen gepflastert war.
Nun, was ihr Temperament betraf, so hatte sie ihrem Ruf wahrlich alle Ehre gemacht – die Kratzer in seinem Gesicht und die klaffende Wunde in seiner Seite waren Beweis genug. Ihr Name passte zu ihr. Flora. Die antike römische Göttin der Blumen und des Frühlings. Sie war wahrhaftig eine Blume. Eine wunderschöne Rose mit den dazugehörigen Dornen.
Aye, sie war eine Schönheit. Zum Glück hatte sie eine starke Familienähnlichkeit mit den MacLeods, und nicht mit den Maclean of Duart. Ein zartes ovales Gesicht, große blaue Augen, kecke kleine Nase, volle rote Lippen und langes seidiges goldenes Haar. Mit einem Körper …
Teufel, mit einem Körper, der für die Lust eines Mannes wie geschaffen war.
Seine Männer mochten das wegen all des Schmutzes und Sackleinens nicht gesehen haben, doch er hatte Gelegenheit gehabt, sie aus einem besseren Blickwinkel zu betrachten. Aus einem viel besseren Blickwinkel. Er hatte nicht auf sie fallen wollen, doch bei seinem Satz nach vorne war sie ausgerutscht, und der Schwung hatte sie beide mit sich gerissen.
Völlig auf seine Aufgabe konzentriert, nämlich sicherzugehen, dass sie keinen weiteren Dolch versteckt hatte, war ihm nicht aufgefallen, dass er ihr Angst einjagte, bis sie ihm die Nägel über das Gesicht gezogen hatte. Nichts war ihm ferner gelegen, als sie zu schänden. War. Bis er sich urplötzlich jedes wohlgeformten Zolls ihres Körpers äußerst bewusst gewesen war. Einen Augenblick lang, mit diesem süßen, roten Mund nur eine Handbreit entfernt und diesen üppigen Brüsten, die sich ihm entgegendrängten, war er in Versuchung geraten, von seiner Beute zu kosten. Zum Teufel, er hätte schon ein verdammter Eunuch sein müssen, um davon nicht in Versuchung geführt zu werden.
Die Erinnerung an diesen unglaublichen Körper, der sich unter ihm wand, überfiel ihn jedes Mal erneut mit voller Wucht, wenn sie durch die Bewegungen des Pferdes gegen ihn rutschte und sich ihr weiches Hinterteil an seine Lenden schmiegte. Es war eine der längsten Nächte seines Lebens gewesen. Seine Seite brannte wie die Hölle, und er war so hart wie ein verdammter Felsen. Man könnte fast meinen, er hätte schon seit Wochen keine Frau mehr gehabt, obwohl es nur ein paar Tage gewesen waren.
Dass er sie begehrte, störte ihn nicht besonders. Auch ein hübsches – ein bezauberndes – Gesicht und ein üppiger Körper konnten nicht dazu beitragen, dass er sich für seine Aufgabe erwärmte, obwohl sie dadurch zugegebenermaßen schmackhafter gemacht wurde. Ein Mädchen zu entführen, gleichgültig wie schön, war nicht seine Art. Doch er hatte keine Wahl. Zu viel hing von diesem kleinen Zankteufelchen ab. Lachlan würde alles tun, was nötig war, um seinen Clan und seine Familie zu schützen, selbst wenn er dazu ein widerspenstiges, starrköpfiges Mädchen entführen musste.
Weißglühender Schmerz explodierte in seiner Seite. Mit zusammengebissenen Zähnen wartete er darauf, dass er wieder verebbte. Doch jedes Mal schien es länger zu dauern, bis die flammenden Schmerzen nachließen. Der harte Ritt machte es noch schlimmer. Obwohl er die Wunde, so gut es ging, mit einem Stück Leinen verbunden hatte, verlor er immer noch Blut. Zu viel Blut. Er könnte von Glück sagen, wenn er noch in der Lage wäre, aufrecht zu stehen, wenn sie Drimnin erreichten.
Sie hatte ihn niedergestochen. So eine Unachtsamkeit unterlief ihm höchst selten. Er hatte allerdings auch noch nie eine Frau so geschickt mit einem Messer umgehen sehen. Ohne zu zögern. Ungläubig schüttelte er den Kopf darüber, dass einem Mädchen gelungen war, was viele außergewöhnliche Männer vor ihr nicht geschafft hatten. Ihr verdammter Halbbruder Hector Maclean, Chief of Duart eingeschlossen. Sein erbittertster Feind und die Ursache seiner gegenwärtigen Schwierigkeiten.
Dennoch musste er trotz der Schmerzen zugeben, dass ihr Mut ihn beeindruckt hatte. Sie wusste sich zu verteidigen. Das war mehr, als er von diesem feigen Stutzer sagen konnte, mit dem sie zusammen war. Was für ein Mann überließ seine Frau einfach ihren Entführern?
Ein Lowlander, dachte er voll Abscheu, froh, dass er diese elende Gegend hinter sich gelassen hatte.
Von Falkirk aus hatten sie sich westwärts gewandt über die Lomond Hills, wobei sie die höheren Gipfel umgangen hatten, und erreichten nun das raue, bergige Gebiet der Highlands. Als die Morgendämmerung über der majestätischen Landschaft hereinbrach, funkelte ein Netz aus Tautropfen auf den grünen Bergschluchten und Heidelandschaften. Das Land erhob sich in sanft gerundeten Hügeln, soweit das Auge reichte.
Gleichgültig wie oft er auch fortging, die Heimkehr in die Highlands berührte ihn immer wieder aufs Neue.
Es war ihm ein Rätsel, wie das Mädel ihre Verwandtschaft in den Highlands verlassen und freiwillig in den Lowlands leben konnte. Er wusste nicht viel über Flora MacLeod, nur, dass sie seit dem Tod ihres Vaters, als sie noch ein kleines Kind gewesen war, mit ihrer Mutter in den Lowlands gelebt hatte – abwechselnd in Edinburgh und auf Castle Campbell – und nur gelegentlich nach Inveraray in die Highlands gereist war. Ihr Halbbruder Rory hatte ein paarmal von ihr gesprochen – für gewöhnlich verärgert über irgendeinen Schlamassel, in den sie sich hineingeritten hatte. Offenbar war es so, dass jedes Mal, wenn er sie bat, etwas zu tun, sie mit absoluter Sicherheit das genaue Gegenteil davon machte. Ihre Besuche auf Dunvegan waren selten gewesen. Alles andere, was er über sie gehört hatte, hing mit ihrem Ruf bei Hofe zusammen. Diesbezüglich schienen die Gerüchte ausnahmsweise einmal der Wahrheit zu entsprechen.
Teufelsbraten war noch eine Untertreibung. Er hatte nicht viel Geduld mit Höflingen, und mit verwöhnten, dickköpfigen noch viel weniger.
Trotz ihrer Bemühungen steif vor ihm im Sattel zu sitzen, hatte der lange Ritt sie zermürbt. An der Art, wie ihr Körper gegen ihn sank, und an ihren gleichmäßigen Atemzügen erkannte er, dass sie eingeschlafen war. Obwohl sie einen Umhang über dem Kleid trug, nutzte er die Gelegenheit und hüllte sie in sein Plaid, um sie vor der kalten Nachtluft zu schützen.
Sie wirkte so weich und süß im Schlaf. Entspannt. Beinahe vertrauensvoll. Er verspürte ein unerwartetes Ziehen in der Brust. Ein Gefühl, das er nicht mehr gehabt hatte, seit seine Schwestern noch klein gewesen waren. Schnell verdrängte er diesen uncharakteristischen Anflug von Sentimentalität. Es war besser, wenn sie ihm nicht vertraute. Er würde tun, was er für das Wohl seines Clans und seiner Familie tun musste. Selbst wenn das bedeutete, dass er sie dafür benutzen musste.
Doch schlafend sah der kleine Teufelsbraten beinahe … verletzlich aus. Bis der Schmerz ihn erneut überrollte und er brutal an ihren Dolch erinnert wurde.
Noch nie hatte er eine Frau so intensiv betrachtet. In dieser langen Nacht war sein Blick immer öfter auf ihr Gesicht gefallen, bis es ihm so vorkam, als kenne er jeden Zoll von ihr bereits auswendig. Er brauchte sie nicht länger anzuschauen, um die langen Wimpern zu sehen, die über der makellosen elfenbeinfarbenen Haut ihrer Wangen lagen, die leicht geöffneten, weichen, roten Lippen, und die langen verschlungenen Strähnen des hellblonden Haars, das ihr wild um die Schultern floss. Ihre Züge schienen sich ihm dauerhaft ins Gedächtnis eingeprägt zu haben.
Während sie schlief, hatte er mehr als einmal der Versuchung nicht widerstehen können, sich vorzubeugen, das Gesicht in ihrem Haar zu vergraben und ihren weichen Duft einzuatmen – wie frische Blumen in der Sommersonne.
Alles an ihr war zart, süß und weiblich. Fasziniert betrachtete er den perfekt geschwungenen Bogen ihrer Augenbrauen und den sanften Schwung ihrer Nase. Da er wusste, dass es sie aufwecken würde, widerstand er dem mächtigen Drang, ihr über die Wange zu streicheln, um zu sehen, ob ihre Haut tatsächlich so babyzart war, wie sie aussah.
Er stieß einen Fluch aus und konzentrierte sich wieder auf den Pfad vor ihm. Sicher fesselte ihn das Mädchen nur deshalb so, weil der Blutverlust aus seiner Wunde ihm den Verstand verwirrte.
Als die ersten Sonnenstrahlen auf ihre blassen Wangen fielen, regte sie sich. Er fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis ihr bewusst wurde …
Tatsächlich schoss sie nur wenige Sekunden später kerzengerade in die Höhe und brachte so viel Abstand zwischen sich und ihn, wie es ihr im Sattel sitzend möglich war.
Aye, das Mädel war halsstarrig und stolz. Das würde sich ändern. Eine starke Hand war alles, was sie brauchte.
Sie ritten noch eine Weile weiter, und am nördlichen Ende des Loch Nell befahl er seinen Männern anzuhalten. Es lagen noch viele Stunden Ritt vor ihnen, bevor sie Oban erreichten. Dort würden sie ihre Pferde gegen ein birlinn eintauschen und die oftmals trügerische Meerenge von Mull überqueren, bis sie seine Burg auf Drimnin erreichten. Wie die meisten Männer der Inseln fühlte Lachlan sich auf dem Wasser am wohlsten.
Zuerst mussten sie allerdings etwas essen, die Pferde tränken und seine Wunde versorgen. Er kannte nur eine einzige Möglichkeit, wie er die Blutung stoppen konnte.
Während er mit zusammengebissenen Zähnen vom Pferd glitt und anschließend Flora beim Absteigen half, versuchte er das Schwindelgefühl unter Kontrolle zu halten, das drohte, ihm die Knie weich werden zu lassen. Unter dem Vorwand, sich um sein Pferd zu kümmern, hielt er sich am Sattel fest und kämpfte gegen die Welle von Übelkeit an, die ihn überfiel.