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Schon der Titel "Ich hab soviel um dich geweint" verspricht viel Herzschmerz. Was tun, wenn sich der eigene Ehemann von einem lossagen möchte und um die Scheidung bittet? Genau das geschieht Gonda Ralfner in diesem Werk der bekannten Schriftstellerin Hedwig Courths-Mahler. Ein absolutes Muss für alle Fans des klassischen Liebesromans. -
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Seitenzahl: 353
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Hedwig Courths-Mahler
Saga
Ich hab so viel um dich geweint
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1928, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726950274
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
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Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com
„Ich liebe Sie, Rita, ich liebe Sie! Sie dürfen mich nicht kaltherzig fortschicken, wieder in die Öde eines liebeleeren Daseins hinaus — Sie dürfen es nicht, nachdem Sie mir einmal den Himmel gezeigt. Lassen Sie mich wiederkommen, ich sehne mich nach Ihrem Anblick wie ein Verdurstender nach einem Trunk frischen Wassers. Seien Sie barmherzig!“
Rita Hardy sah mit ihren schönen Nixenaugen, deren Farbe je nach der Beleuchtung zu wechseln schien vom hellsten Grün bis zum dunkelsten Blau, zu dem schlanken Mann empor, dessen gebräuntes, energisch geschnittenes Gesicht in höchster Erregung zuckte. Ein eigenartiges Funkeln und Glimmen in ihren Augen hätte einen aufmerksamen Beobachter warnen müssen. Aber ihre Stimme klang süss und geschmeidig, als sie nun antwortete:
„Ich muss sie fortschicken, Bernd Ralfner, ich muss. Seien Sie doch froh, dass ich die Kraft dazu noch aufbringe. Sie ahnen nicht, wie schwer es mir fällt. Was sollte aus alledem werden, wenn mich diese Kraft verlassen würde?“
Er atmete auf und fasste beschwörend ihre Hand.
„Ich weiss es nicht, Rita, weiss nur, dass ich Sie liebe, unsagbar, unbeschreiblich liebe und — dass Sie mein werden müssen, um jeden Preis, weil ich sonst von Sinnen komme.“
Rita Hardy sprang auf und machte eine abwehrende Geste.
„Schweigen Sie! Ihre Worte sind schon eine Beleidigung für mich. Sie sind der Gatte einer anderen.“
Er krampfte die Hände zusammen.
„Erinnern Sie mich nicht daran, Rita. Diese Fessel habe ich mir übergestreift in törichter Verblendung, weil ich die Liebe nicht kannte. Sie wissen doch, dass ich meine Frau nicht liebe, nie geliebt habe. Mit kalter Vernunft bin ich in diese Ehe hineingegangen, wähnend, über einen Mann, wie ich es bin, würde die Liebe nie Gewalt bekommen. Mit ruhiger Überlegung hatte ich mir mein Leben gezimmert, hatte alles nur auf Zahlen eingestellt und gewähnt, dass mich immer nur meine Arbeit, meine Tätigkeit ausfüllen und befriedigen würde. Das ging auch alles gut — bis ich Sie sah, Rita. Aber dann ist alles anders geworden. Was mir vorher wertvoll erschien, ist jetzt nichtig geworden. Ich lebe nur noch in den kurzen Stunden, da ich Sie sehe, Ihre Stimme höre. Nur Ihnen gilt all mein Sehnen und Hoffen. Ich muss Sie mir erringen, Rita, wenn ich nicht verzweifeln soll. Noch habe ich immer erreicht in meinem Leben, was ich erreichen wollte, mein Wollen darf diesmal nicht zuschanden werden. Ich will Sie besitzen, ich muss!“
Es zuckte leise in Ritas schönem, lebensprühendem Gesicht. Ein seltsam forschender, lauernder Blick glomm in ihren Augen auf, ohne dass er es merkte. Dann schloss sie, wie im Übermass des Empfindens, die Augen, lehnte sich wie kraftlos an die Wand des Zimmers und presste die Hände auf das Herz.
„Gehen Sie! Ich will und darf das nicht länger anhören. Glauben Sie, weil ich Künstlerin bin und schusslos im Leben stehe, dürfen Sie mir das alles ungestraft sagen? Gerade weil ich in der Öffentlichkeit stehe, habe ich doppelt auf meinen Ruf zu achten. Und wenn mein Herz dabei in Stücke geht — ich darf Sie nicht wiedersehn.“
„Rita — das kann nicht Ihr letztes Wort sein!“
„Es muss. Eine Gemeinschaft kann, darf es nicht zwischen uns geben. Nie, niemals werde ich einem Mann angehören, der mir nicht mit seinem Herzen auch zugleich seinen Namen gibt. Ich darf mich nicht verlieren — wenn auch mein Herz für Sie spricht. Gehen Sie, quälen Sie mich nicht länger.“
Er fasste ihre beiden Hände und sah ihr, glühend vor Leidenschaft, ins Gesicht.
„Rita, Sie lieben mich!“ jauchzte er auf.
Sie schloss die Augen und schlug sie dann langsam wieder zu ihm auf. Ein wehmütiges Lächeln spielte um ihren Mund.
„Es hat keinen Sinn, wenn ich Sie belüge. — ich kann nicht lügen, wenn Sie mich so ansehen, Bernd Ralfner — ja — ja, ich liebe Sie, liebe Sie mit allen Fasern meines Seins. Aber hören Sie mich an — lieber will ich sterben, als dieser Liebe nachgeben. Ich will mir niemals stehlen und in sündhafter Heimlichkeit nur besitzen, was ich nicht stolz vor aller Welt mein eigen nennen kann. Gehen Sie — geben Sie zu Ihrer Frau, der allein ein Recht auf Ihre Liebe zusteht.“
Er presste ihre Hand an seine Lippen.
„Nein, Rita, nein, sie hat kein Recht auf meine Liebe, ich habe ihr nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich sie nicht liebe, weil ich nicht unehrlich gegen sie sein wollte. Sie glaubt wohl, was ich bis vor kurzem selber glaubte, dass ich so kaltherzig bin, wie sie selbst. Und sie ist so kühl und teilnahmlos, dass sie völlig mit dem Stand der Dinge zufrieden ist. Wir leben nebeneinander dahin und haben beide keine Sehnsucht gehabt, dass unser Verhältnis ein anderes werden möge. Aber seit ich Sie kenne, Rita, ist das ganz anders geworden. Ich bin zu einem ganz anderen Leben erwacht, seit ich das erstemal in Ihre Augen sah. Glühende Eifersucht nagt an meinem Herzen, wenn ich Sie auf der Bühne in den Armen eines anderen Mannes sehe, und mein einziger Trost ist, dass ich weiss, dass Sie keinem andern Mann vergönnen, sich Ihnen zu nähern. Mein Leben ist wertlos ohne Sie, Sie müssen die Meine werden um jeden Preis.“
Rita Hardys Gesicht zuckte in heimlicher Erregung. Sie richtete sich auf und sagte langsam, ihm fest in die Augen sehend:
,,Niemals — so lange Sie der Gatte einer anderen sind.“
Er zuckte zusammen, und dann richtete er sich auf wie in einem jähen Entschluss.
„So werde ich die Kette zerreissen, die mich an eine andere bindet. Rita, versprechen Sie mir, meine Frau zu werden, wenn ich frei bin?“
Er sah nicht das triumphierende Aufleuchten ihrer Augen, sah nur, dass sie blass wurde vor Erregung.
„Das — das wollten Sie tun?“ fragte sie mit verhaltener Stimme.
Wieder fasste er ihre Hände und drückte sie an seine Lippen, an seine heissen Augen.
„Alles, alles will ich tun, um Sie mir zu erringen, Rita. Sagen Sie mir nur noch einmal, dass Sie mich lieben, dass Sie mir angehören wollen. Dann will ich alle Hindernisse hinwegräumen, die jetzt noch zwischen uns stehen.“
Wie im träumerischen Zagen sah sie ihn an.
,,Wenn das sein könnte — o mein Gott! Aber — Ihre Frau?“ fragte sie wie erschüttert.
Er machte eine abwehrende Bewegung.
„Glauben Sie nicht, dass sie den geringsten Schmerz empfindet, wenn ich ihr eine Trennung vorschlage. Sie wird keine Schwierigkeiten machen, weil sie rein nichts für mich empfindet. Sie kann wohl überhaupt nicht lieben. Das alles lassen Sie meine Sorge sein, Rita, nur muss ich erst von Ihnen die Gewissheit haben, dass Sie mich lieben und die Meine werden wollen, wenn ich mich freigemacht habe.“
So drängte er in zitternder Erregung.
Da schlug sie, wie überwältigt von einem grossen Gefühl, die Hände vor das Antlitz.
„Kann es denn sein? Kann es so ein grosses Glück für mich geben? Ach, mein Gott, Bernd, ich liebe Sie, liebe Sie, so lange ich Sie kenne, und habe nur diese Liebe fest in mich verschlossen, weil ich nicht schwach werden durfte ...“
Er liess sie nicht weitersprechen, riss sie in seine Arme und presste seine heissen Lippen auf die ihren. Aber mit ungeahnter Kraft drängte sie ihn zurück. Stolz blitzten ihn ihre Augen an.
,,Nein, nein, nicht so — noch sind Sie nicht frei, Bernd, noch haben Sie kein Recht, mich zu küssen. Ich will vor niemand die Augen niederschlagen müssen.“
Abwechselnd küsste er nun ihre beiden Hände, wieder und wieder.
„Aber du wirst mein, mein — Rita. Ich werde jetzt gehen. Du hast recht, meine stolze, schöne Rita soll sich nicht stehlen müssen, was ihr vor aller Welt gehören soll.“
„Und — es muss das erste- und das letztemal sein, dass Sie mich in meiner Wohnung aufgesucht haben. Bevor sie nicht frei sind, will ich Sie nicht wieder empfangen, ich muss auf meinen guten Ruf bedacht sein,“ sagte sie wie in angstvoller Unruhe.
Wieder küsste er ihre Hände.
„So lange soll ich Sie nicht sehen, nicht mit Ihnen sprechen? Das dürfen Sie nicht über mich verhängen. Gut, ich muss mich darein fügen, dass Sie mich nicht wieder in Ihrer Wohnung empfangen, aber — sehen muss ich dich zuweilen, nicht nur auf der Bühne, sonst ertrage ich es nicht, so lange auf dich zu warten. Meine Scheidung wird immerhin einige Zeit in Anspruch nehmen. Irgendwie muss ich dich zuweilen sprechen. Und — morgen abend, Rita, morgen abend musst du zu dem Feste in meinem Hause kommen. Ich mag es nicht ohne dich begehen. Und du bist geladen. Es ist ein grosser Tag für mich, Rita, morgen ist es hundert Jahre her, dass die Firma Ralfner besteht. Und an der Firma hängt mein Herz. Mein Vater und mein Grossvater, noch manche meiner Vorfahren, haben ihr ganzes Leben dem Gedeihen der Firma geweiht, und ich — wahrlich, auch ich habe ihr schon Opfer gebracht, das erzähle ich dir später einmal, wenn du meine Frau bist. Und so ist das Fest morgen ein weihevolles für mich. Du musst dabei sein, sonst fehlt mir etwas. Gleich nach dem Feste spreche ich mit meiner Frau. Erst muss das Fest noch in Ruhe verlaufen, sonst würde ich ihr gleich heute alles sagen. Nicht wahr, du kommst, du musst mir nahe sein an diesem Tage, denn du gehörst nun schon zu mir in meinem Herzen. Die andere — die hat mir nie so nahe gestanden, sie ist mir fremd geblieben. Nicht wahr, du kommst?“
Sie schien mit sich zu kämpfen, richtete sich aber dann entschlossen auf.
„Ich komme, ich kann dir diese Bitte nicht abschlagen, aber du musst mir versprechen, vorsichtig zu sein, du musst dich beherrschen. Kein Mensch darf ahnen, was zwischen uns ist, am wenigsten deine Frau.“
Er war entzückt, dass sie ihm jetzt das traute Du schenkte, und hätte sie am liebsten wieder in seine Arme gerissen, aber sie wehrte angstvoll ab. Da fügte er sich.
„Sei ruhig — ich selbst muss nun für die Reinheit deines Rufes einstehen, da du meine Frau werden sollst. Nur noch einen Kuss, Rita, es ist vielleicht für lange Zeit der letzte — nur, damit ich einen Beweis deiner Liebe habe.“
Mit einer reizend gespielten Befangenheit bot sie ihm, scheinbar im Kampf mit sich selbst, ihre Lippen. Und ein heisser Kuss besiegelte die seltsame Verlobung. Aber dann trat Rita schnell und abwehrend zurück.
,,Nun geh — bitte — geh. Wenn meine Wirtin nach Hause kommt, darf sie dich nicht hier finden. Sie weiss ja nicht, wie kühn du hier bei mir eingedrungen bist, als ich in ihrer Abwesenheit zufällig die Tür selbst auf dein Klingelzeichen öffnete: Du Barbar bist an mir vorbeigestürmt, ehe ich dich hindern konnte. Geh — ich bitte dich!“
In ihren Augen lag ein schmelzendes, rührendes Flehen, das ihn willenlos machte.
„Ich gehe, Rita! Sobald ich mit meiner Frau gesprochen habe, erhältst du Nachricht von mir. Dein Vertrag mit dem Theater läuft ja mit dieser Saison ab, und auch du wirst frei sein, wenn meine Scheidung vollzogen sein wird. Nun leb wohl, meine geliebte Rita. Auf dem Feste morgen verabreden wir, wann ich dich einmal wiedersehen darf. Irgendwo werden wir zusammentreffen können, ohne dass dein Ruf gefährdet wird. Auf Wiedersehn!“
,,Auf Wiedersehn, Bernd — lieber Bernd,“ flüsterte sie, so dass er es kaum verstand.
So schwer es ihm fiel, ging er aber nun doch, um Rita keine Ungelegenheiten zu machen. Bis ins Innerste erregt, stürmte er ins Freie.
Rita Hardy stand eine ganze Weile atemlos, mit auf der Brust verschränkten Händen, und lauschte hinaus. Erst als draussen die Flurtüre zufiel, richtete sie sich mit einer triumphierenden Gebärde hoch auf.
„Gewonnen! Er ist mein, und ich werde Frau Ralfner,“ dachte sie.
Und dann ging sie hinaus auf den schmalen Flur und öffnete am Ende desselben eine Tür.
„Sie können nun wieder ungehindert aus- und eingehen, Frau Wendt,“ sagte sie zu ihrer Wirtin.
Diese sah sie neugierig an.
,,Nun sagen Sie mir bloss, Fräulein Hardy, weshalb Sie dem Herrn unbedingt die Tür selbst aufmachen wollten und mich hier hereinsperrten, als sie ihn von Ihrem Fenster aus kommen sahen?“
Rita Hardy wurde durchaus nicht verlegen.
„Ich hatte meine Gründe, Frau Wendt. Sie wissen, ich empfange sonst keine Herrenbesuche, aber hier stand zu viel für mich auf dem Spiel.“
„Nun, ich bin nicht neugierig, und dass Sie eine anständige junge Dame sind und keine Herrenbesuche empfangen, weiss ich ja. Ich würde so etwas auch nicht dulden und habe es diesmal nur zugelassen, weil Sie mir sagten, es sei nur dies eine Mal und nur auf ein paar Minuten.“
„Sie können auch ganz ruhig sein, dass es nicht wieder vorkommt. Ich hatte wirklich nur eine wichtige, geschäftliche Unterredung mit dem Herrn, es betraf ein Engagement und es soll hier am Theater niemand davon wissen, deshalb wollte er nicht gesehen werden.“
,,Ach, so ist das! Nun, das hätten Sie mir gleich sagen können. Also Sie bleiben nur noch bis zum Ende der Spielzeit hier am Theater? Ich möchte das bloss wissen, damit ich meine Zimmer möglichst bald wieder vermieten kann.“
„Ja, so ist es, Frau Wendt, ich habe soeben ein anderes Engagement angenommen, und zum Ende der Spielzeit können Sie über meine Zimmer weiter verfügen.“
„Dann ist es gut, dass ich das schon weiss.“
Rita ging nun wieder in ihr Zimmer und warf sich auf den Diwan. Mit verschränkten Händen, auf die sie ihren schönen Kopf bettete, lag sie lange unbeweglich und starrte mit ihren seltsam schillernden Augen vor sich hin. Es war ein kaltes, begehrliches Flimmern, das in diesen Augen aufzuckte. Sie war ein kühl berechnendes Geschöpf und hatte immer mit eisernem Willen und kalter Besonnenheit auf ein Ziel zugestrebt. Dieses Ziel gedachte sie nun zu erreichen. Seit sie gemerkt hatte, dass der reiche Kaufherr Bernd Ralfner alle Abende in der Loge sass, wenn sie spielte, und seine Augen nicht von ihr liess, hatte sie mit Bedacht und kluger Berechnung ihre Netze um ihn gesponnen. Und als er sich ihr dann vorstellen liess und sie seine Verhältnisse genau kennen lernte, gab es für sie nur ein Ziel — seine, wie sie wusste, ungeliebte Frau zu verdrängen und sich an ihre Stelle zu leben. Sie kannte die Männer ganz genau, so ablehnend sie sich auch gegen sie zu verhalten pflegte, und wusste, dass Bernd Ralfner, trotzdem er der Liebe noch nie ein grosses Recht über sich eingeräumt hatte, eine uneingestandene Sehnsucht nach einem grossen Gefühl in sich verschloss. Wer dieses Gefühl in ihm auslöste, konnte von ihm alles erreichen. Er war durchaus nicht so gefühlskalt, als er selber wähnte, und war nur an der Seite einer Frau, die ihm nicht gab, wonach er sich uneingestanden sehnte, noch nicht zur Erkenntnis seines innersten Wesens gekommen. Das alles hatte sich die schlaue und geriebene Rita Hardy zunutze gemacht, und nun war sie ihrem Ziele ganz nahe gekommen. Durch ihre berechnende Gefallsucht, durch ihre schwärmerischen Blicke, ihre gut gespielte Verlegenheit, durch ihr Wehren und Begehren hatte sie Bernd Ralfner bald ganz in ihre Netze gezogen, von ihrer Schönheit unterstützt.
Und ohne dass er es ahnte, hatte sie ihn dahin gebracht, dass er von selbst auf den Gedanken kam, sich von seiner Frau scheiden zu lassen.
Immer war es ihr Ehrgeiz und ihre glühende Sehnsucht gewesen, einmal eine reiche Partie zu machen. Sie hatte wohl eine sehr schöne Begabung, die ihr, von ihrer Schönheit unterstützt, sehr annehmbare Erfolge brachte, aber ihre innere Herzenskälte liess sie doch nicht die Höhe der Kunst erklimmen, und sie fühlte sehr wohl, dass sie immer nur einen beschränkten Wirkungskreis am Theater ausfüllen könne. Sie wollte aber höher hinaus, und war im Grunde nur zur Bühne gegangen, um sich einen reichen Mann einzufangen. Zu ihrer Enttäuschung hatten sich ihr aber bisher nur die Männer mit leidenschaftlichen Wünschen, aber nicht mit ernsten Heiratsplänen genähert, wenigstens alle die, welche als gute Partien galten. Nun endlich hatte sie einen Fang getan, wie sie sich immer gewünscht hatte. Dass Bernd Ralfner verbeiratet war, machte ihr keine Gewissensbisse. Durch ihre Kälte und ihre bewusste Gefallsucht hatte sie ihn nun so weit gebracht, dass er sich von seiner Frau scheiden lassen wollte. Freilich, noch war es nur sein Vorsatz, aber sie wollte schon dafür sorgen, dass er auch ausgeführt wurde. Und dann war sie endlich am Ziel, dann war sie die Gattin des Grosskaufmanns Bernd Ralfner, der ihr alle Wünsche erfüllen konnte. Sie brauchte nicht mehr auf der Bühne zu stehen für eine lächerliche Summe, die fast allein für ihre Kleider aufgebraucht wurde. Sie konnte ein grosses Haus machen, die grosse Dame spielen, in einer schönen Villa wohnen, im eigenen Auto fahren und wurde bewundert und geliebt. Dass sie selbst nicht liebte, störte sie nicht. Sie hatte bisher immer nur sich selbst geliebt, hatte die Männer nur als Mittel zum Zweck angesehen und mit ihnen gerechnet. Ihr war immer nur wichtig gewesen, dass sie auf die Männer wirkte. Darüber hatte sie ganz vergessen, dass sie auch von Fleisch und Blut war und ein Herz in der Brust hatte, genau, wie Bernd Ralfner das bisher vergessen hatte — bis ihn die sinnlose Leidenschaft für Rita Hardy wie eine schwere Krankheit befiel, gegen die es keine Rettung gab.
Rita Hardy war jedenfalls heute sehr zufrieden mit ihrem Erfolg.
*
Bernd Ralfners junge Gattin Fredegonda, oder wie sie sich der Kürze halber nannte, Gonda, sass am Fenster ihres kleinen Salons und sah mit grossen Augen hinaus in den winterlich verschneiten Garten, der in grosser Ausdehnung die herrliche Villa umgab, in der sie feit ihrer Verheiratung wohnte. Reichtum und Luxus umgaben die junge Frau — aber sie war nicht glücklich. Wohl liebte sie ihren Gatten — Bernd Ralfner irrte sich, wenn er annahm, dass seine Frau ihn so wenig liebte, als er sie — aber sie hatte diese Liebe stets wie ein Unrecht fest in sich verschlossen, und das hätte sie nicht tun sollen, weil ihr Mann sie für gefühlskalt hielt und für gleichgültig. Sie war zu stolz, ihm zu zeigen, wie sehr sie ihn liebte, und dass ihr Herz mit aller Inbrunst an ihm hing. Vom ersten Augenblick an, da er in ihr Leben getreten war, flog ihm ihr junges Herz entgegen. Sie hatte nicht anders gekonnt, als ich ihm zu eigen zu geben, als er um ihre Hand anhielt, trotzdem sie wusste, dass er sie nicht aus Liebe heiratete. Er hatte nur um sie, die reiche holländische Erbin, geworben, weil der alten, weltbekannten Firma Ralfner durch die Inflation eine schwere Krise drohte und weil er diese Krise nur abwenden konnte, wenn er ein grosses ausländisches Kapital in die Hände bekam.
Gonda war die Tochter und einzige Erbin des reichen Holländers Mynher Gooden. Ihre Mutter war eine Deutsche gewesen, war aber schon gestorben, als Gonda noch ein Kind war. Ihr Vater hatte mit grosser Zärtlichkeit an seiner einzigen Tochter gehangen.
Gonda hatte Bernd Ralfner kennen gelernt, als dieser eines Tages ihrem Vater in Amsterdam einen geschäftlichen Besuch machte. Gleich beim ersten Sehen hatte der junge deutsche Kaufherr einen tiefen Eindruck auf sie gemacht. Seine bemerkenswerte, fesselnde Erscheinung, seine männlich-schönen Züge, seine ganze Art, sich zu geben, hatte sie bezaubert. Aber er hatte damals kaum auf sie geachtet, trotzdem sie die Pflichten der Hausfrau im Hause ihre Vaters erfüllte, in dem er zu Gaste war. Das alte holländische Patrizierhaus und der charakteristische alte Holländer hatten ihn mehr gefesselt als seine Tochter, die so gar nicht das Gebaren einer reichen Erbin hatte und sich bescheiden im Hintergrunde hielt. Ihre stille Scheu und Zurückhaltung, die um so grösser war, je tiefer der Eindruck wurde, den Bernd auf sie machte, hielt er für Beschränktheit, und sie erschien ihm unbedeutend. Die feinen, stillen Reize ihrer Erscheinung machten keinen Eindruck auf ihn, zumal er sich wenig um die Frauen kümmerte. Er hatte schon grösseren Reizen bei Frauen widerstanden und damals nicht daran gedacht, seine Freiheit aufzugeben. Sein ganzes Sinnen und Denken hatte der Firma gehört, der er damals erst seit einem Jahre als Chef vorstand, da sein Vater bis dahin gelebt hatte.
Gleich seinem Vater war er der geborene Grosskaufmann, der königliche Kaufherr, dessen Geschäfte den Erdball umspannten und der in seinem Reiche mächtig war wie ein Fürst. Und der Firma gehörte seine ganze Kraft, zumal er sie in einer schwierigen Zeitepoche übernahm und sich für ihr Gedeihen verantwortlich fühlte.
Damals war er nach Amsterdam gekommen, um unter anderen geschäftlichen Beziehungen auch die mit der Firma Gooden neu zu befestigen, die durch den Krieg und seine Folgen etwas gelockert waren. Bernd war schon damals sehr in Sorge gewesen um das weitere Gedeihen seiner Firma, wenn er auch noch nicht so dicht vor einer Katastrophe gestanden hatte als später. Damals hatte er noch gehofft, allein, ohne fremde Hilfe, sein Schiff durch die Stürme der Inflation steuern zu können.
Aber nicht ganz ein Jahr später kam die Krise für die Firma Ralfner, und da war ihm durch Zufall ein Gedanke gekommen, wie er die Krise abwenden konnte. Grade in jenen Tagen erhielt er die Nachricht von dem Ableben Mynher Goodens, und plötzlich sah er vor seinem geistigen Auge Gonda Gooden stehen. Die schlanke, stille Gestalt mit ihrem lautlosen Walten in dem alten Patrizierhause wollte ihm nicht mehr aus der Erinnerung kommen. Sie war jetzt die einzige Erbin eines unermesslichen Reichtums. Ihr gehörte nun das grosse holländische Kaufhaus, dazu ein umfangreicher Besitz auf Java in den niederländischen Kolonien, ganz abgesehen von einem sicher sehr grossen Barvermögen, das durch keine Inflation geschmälert war.
Eines Tages musste er doch heiraten, denn die Firma Ralfner sollte einen Erben haben. Wie, wenn er versuchte, sich die junge Erbin zu erringen? Dann war die Rettung für das Haus Ralfner gefunden. Und für die Rettung seiner Firma hätte Bernd damals noch ganz andere Opfer gebracht, als eine ungeliebte Frau heimzuführen. Er reiste also ohne langes Überlegen nach Amsterdam und fand Gonda blass und still, aber anscheinend sehr gefasst und ruhig dem schweren Verlust gegenüber. Sie war eine von den Naturen, die ihre Gefühle fest in sich verschliessen und ihnen nicht so leicht Ausdruck geben können. Was sie um den Verlust ihres Vaters gelitten hatte, das wusste kein Mensch. Sie verwand es in der Stille ihres Zimmers, wo kein Auge ihren Schmerz belauschen konnte.
Bernd aber dachte, als er ihre Ruhe sah: „Sie hat nicht viel Herz.“ Das hatte ihn aber nicht abgehalten von seinem Plane, im Gegenteil, da er selbst keine Liebe zu geben hatte, war es ihm sehr lieb, dass sie anscheinend nicht viel Gefühl hatte.
Und ohne langes Zögern war er auf sein Ziel losgegangen. Er hatte Gonda gesagt, dass er von ihrem Verlust gehört habe und gekommen sei, um sie zu fragen, ob sie eines männlichen Schusses bedürfe. Zaghaft hatte sie zu dem heimlich geliebten Manne, um dessenwillen sie im Verlauf dieses Jahres manchen Bewerber ausgeschlagen hatte, aufgesehen.
„Ich muss mich ganz auf die Beamten meines Vaters verlassen, aber sie sind alle treu und zuverlässig,“ hatte sie erwidert. ,,Vor allen Dingen wissen sie in allen Dingen viel besser Bescheid als ich.“
Blass bis in die Lippen war sie dabei gewesen und anscheinend kühl und förmlich, weil sie von einer Todesangst befallen war, dass er merken könne, wie sehr sie ihn liebte und wie sehnsüchtig sie all die Zeit seiner gedacht hatte. Sie sagte ihm auch nicht, dass ihr Vater, der wohl in ihrem Herzen besser zu lesen wusste als andere Menschen, zuweilen mit ihr von Bernd Ralfner gesprochen hatte und seines Lobes voll gewesen war. „Das wäre ein Schwiegersohn für mich, Gonda, dem würde ich dich und alles, was ich habe, gern anvertrauen,“ hatte er noch kurz vor seinem Tode zu ihr gesagt.
Daran musste Goda denken, als sie nun Bernd Ralfner gegenüberstand, und die Angst, etwas von ihrem Fühlen zu verraten, machte sie befangen und ungeschickt, so dass sie ihm herzlich unbedeutend erschien und wenig begehrenswert. Aber die Not seines Hauses zwang ihm doch sehr bald die Werbung auf die Lippen. Er sprach ihr nicht von Liebe, blieb ehrlich auch in dieser Stunde und sagte ihr offen, dass er von ihr die Rettung seines Hauses erhoffte. Belügen wolle er sie nicht, aber er wolle sie stets hochhalten, ihr den Schuss seines Hauses gewähren und versuchen, ihr auch sein Herz zuzuwenden.
Gonda war bei dieser Werbung blass geworden bis in die Lippen. Sie hätte aufjubeln und zugleich schmerzlich weinen mögen, aber sie tat nichts von beiden, erschien ganz ruhig und verschloss auch jetzt alles, was sie bewegte, in ihrem Innern. Und aus allem, was er sagte, hörte sie nur das eine heraus, dass er ihrer bedurfte, um ein schweres Unglück von sich abzuwenden. Da war eine Gelegenheit für sie, ihre Opferfreudigkeit zu betätigen. Sie war eine von den seltenen Naturen, die dazu geschaffen sind, sich für andere aufzuopfern. Und hier galt es, dem Manne ihrer Liebe ein Opfer zu bringen. Sie achtete ihn nur noch höher, dass er ihr trotz seiner Bedrängnis keine Liebe heuchelte. Aber in der Tiefe ihres Herzens hoffte sie, eines Tages seine Liebe zu erringen. Ein liebendes Herz glaubt an die Kraft seiner Liebe. Gonda fühlte sich in ihrer Liebe so stark, dass sie daran glaubte, dass sie eines Tages Bernds Liebe erringen würde. Und vielleicht wäre es ihr auch gelungen, wenn sie nicht in weiblichem Stolz ängstlich jedes Gefühl verborgen und sich kühl und unbewegt gestellt hätte, so dass Bernd wirklich nicht den hohen Wert ihres Charakters ergründen konnte. Diesen Fehler beging sie schon bei seiner Werbung, wenn man eine solche stolze Zurückhaltung für einen Fehler ansehen wollte.
Ohne langes Zögern legte sie ihre Hand in die seine und gab sich dabei so nüchtern, fast geschäftsmässig, dass er seine Meinung über sie sicher nicht ändern konnte. Noch kühler und geschäftsmässiger als er, besprach sie scheinbar ruhig mit ihm, wie sie ihm helfen könne und was geschehen müsse, um die Krise von seiner Firma abzuwenden. Sie musste ihm einen grossen Teil ihres ererbten Barvermögens zu diesem Zweck zur Verfügung stellen, und sie tat das mit einer solchen Vornehmheit, dass er tief bewegt war und ihr mit warmen Worten dankte. Sie wehrte aber seinen Dank, gerade, weil er sie tief bewegte, mit kühler Zurückhaltung ab und sagte nur, es sei doch selbstverständlich, dass sie hier helfe, denn die Ehre der Firma Ralfner gehe sie doch nun auch an, da sie diesen Namen tragen wollte.
So sehr dankbar Bernd seiner Braut nun auch war, dass sie die Krise abgewendet hatte von der väterlichen Firma, fror ihn doch bei den kühlen Worten seiner Braut, und er war froh, dass er hier keine Liebe zu geben hatte. Gondas ganzes Wesen, ihre Vornehmheit, ihre wahrhafte Art in allen Dingen, die nichts von ihrer Liebe verrieten, und ihr ganzes sonstiges Auftreten nötigte ihm die grösste Hochachtung ab, aber ihre kühle Zurückhaltung erkältete ihn immer wieder, so dass er ihr nie näher kam in ihrer nun dreijährigen Ehe.
Gonda war ihm ohne Widerstreben gefolgt in seine schöne Villa an der Alster. Sie schaltete und waltete in mustergültiger Weise als Herrin in diesem Hause, begegnete aber ihrem Gatten immer in derselben stillen, ruhigen Art, die er für Kälte und Gleichgültigkeit hielt, und die doch nur die innige Liebe eines stolzen Frauenherzens verbergen sollte, die sich um keinen Preis zeigen wollte, weil sie nicht erwidert wurde. Dass Gonda es ihrem Gatten durch diese Zurückhaltung unmöglich machte, ihr sein Herz zuzuwenden, das bedachte sie nicht. Sie war nur immer darauf bedacht, sich nicht zu verraten, sich nicht aufzudrängen.
Ach, wenn Bernd nur geahnt hätte, was es seine junge Gattin kostete, diese kühle Ruhe zu bewahren, es wäre wohl alles anders geworden. Aber ihr Stolz zwang sie zu dieser Zurückhaltung, er zwang sie, Bernd zu verheimlichen, was sie im stillen litt, wie oft sie nachts in ihre Kissen weinte, und wie sehr sie sich sehnte nach seiner Liebe.
Sie sprachen fast nur von geschäftlichen Dingen. Er gab ihr Bericht über die Geschäfte der Firma Gooden, die unter der Leitung des langjährigen Prokuristen Swartsemburg geblieben war, besprach mit ihr die Nachrichten, die von ihren javanischen Besitzungen eintrafen und zeigte sich ihr im übrigen sehr ritterlich und aufmerksam.
Aber noch gab sie die Hoffnung nicht auf, seine Liebe zu eringen, trotz der vergangenen drei Jahre. Obwohl er ihr nicht mehr Wärme zeigte wie im ersten Jahre ihrer Ehe, war er doch auch nicht nachlässiger geworden in seiner ritterlichen Aufmerksamkeit für sie. Er suchte ihr noch immer jeden Wunsch zu erfüllen, und sie hatte auch die Überzeugung, dass keiner anderen Frau seine Liebe gehörte.
All sein Denken und Tun ging, wie sie wusste, nur in seiner Tätigkeit für die Firma auf. Und da er ausserdem noch die Oberleitung ihrer Geschäfte in Holland übernommen hatte, schien er auch für nichts anderes Zeit zu haben.
So froh und stolz war Gonda, dass sie mit ihrem Geld die Firma Ralfner vor dem Untergang bewahren konnte. Heute, nach dreijähriger Ehe, war diese wieder im alten Glanz erblüht, und dankbar hatte Bernd seiner jungen Gattin das geliehene Kapital vor kurzem zurückzahlen können. Sie hatte dagegen Einspruch erhoben.
„Behalte doch das Geld in deinem Geschäft, Bernd, ich brauche es ja nicht,“ hatte sie gesagt.
Aber Bernd hatte in diesen Tagen, ohne dass es seine Frau ahnte, sein Herz an Rita Hardy verloren, und er sehnte sich danach, dieser Verpflichtungen gegen seine Gattin ledig zu werden. Es quälte ihn, dass er in ihrer Schuld war. Er hatte ihr artig die Hand geküsst und gesagt:
„Lass es mich nur zurückzahlen, es macht mich frei dir gegenüber. Ich bedarf des Geldes nicht mehr, die Firma ist dank deiner Hilfe über die schlimme Krise hinweg, wofür ich dir immer dankbar sein werde. Es ist nun alles wieder in bester Ordnung.“
Es war ein schmerzliches Gefühl für sie gewesen, dass er nun ihre Hilfe nicht mehr brauchte, und doch liebte sie ihn, seiner stolzen Rechtlichkeit wegen.
Und immer noch ging die Hoffnung mit ihr, dass sie eines Tages sein Herz für sich gewinnen könnte, und ahnte nicht, dass sie mit ihrem scheuen Stolz alle Brücken zwischen ihm und sich abgebrochen hatte. ,,Wenn ich ein Kind haben würde, wenn ich ihm einen Erben für die Firma in die Arme legen könnte, ich glaube, dann könnte er mich lieben,“ hatte sie sich immer gesagt. Und deshalb sehnte sie sich unsagbar nach Mutterfreuden. Ihr schien es ganz zweifellos, dass Bernd die Mutter seines Kindes lieben müsse. Und nun endlich — endlich in diesen Tagen war ihr die Gewissheit geworden, dass der Himmel ihr Flehen erhört hatte. Schon seit Wochen war ein scheues, zagendes Glück in ihr erwacht, und sie hatte in banger Unruhe und Sehnsucht in sich hineingelauscht. So war es ihr entgangen, dass ihr Gatte gerade in diesen Wochen ein seltsam verändertes Wesen zeigte, dass er nervös und unruhig war, er, der Besonnene, Starke, Ruhige, dessen Herrenaugen den ganzen Betrieb beherrschten. Sie merkte es kaum, dass er noch mehr als sonst ausser dem Hause war, sah nicht, dass er einen unruhigen, heissen Blick in den Augen hatte und sie kaum noch beachtete. Sie wartete und wartete nur in höchster Sehnsucht auf die Bestätigung, dass ihr Wunsch in Erfüllung gegangen war.
Und heute, heute endlich war ihr nun volle Gewissheit geworden, dass sie Mutter werden würde. Eine andachtsvolle, heilige Freude erfüllte ihr ganzes Sein, nun musste ja alles, alles anders werden, nun musste sich ihr doch endlich das Herz ihres Gatten zuwenden, und nun brauchte sie ihr eigenes Fühlen auch nicht so ängstlich zu verstecken. Um ihres Kindes willen wollte sie ihren scheuen Stolz bezwingen, der Mutterstolz würde ihr Kraft geben, den Weibesstolz zu besiegen. Sie in wollte ihrem Gatten zeigen, wie sehr sie ihn liebte, und um des Kindes willen, das sie ihm schenken würde, wandte er ihr sicher auch sein Herz zu.
So voll guten Mutes war sie, so voll gläubigen Vertrauens — und ahnte nicht, dass gerade jetzt das Herz ihres Gatten sich einer anderen Frau zugewendet hatte. Sie wusste nicht, dass schon die Hand erhoben war, die all ihr Hoffen und Wünschen mit einem Schlag vernichten würde. Morgen war das Fest des hundertjährigen Bestehens der Firma Ralfner, ein Fest, das durch seinen Glanz beweisen sollte, dass die Firma Ralfner wieder ganz auf der Höhe war. Vor dem Feste wollte sie ihrem Gatten ihr Geheimnis nicht verraten, das sie so stolz und glücklich machte. Aber wenn das Fest vorüber war und wieder Ruhe im Hause herrschte, dann — dann sollte die erste stille Stunde dazu benutzt werden, um ihr Geheimnis zu verraten.
Ihre braunen Augen weiteten sich strahlend und erschienen fast schwarz. Eine heisse Glückseligkeit wallte in ihr auf. Sie malte sich in den herrlichsten Farben aus, wie er ihr Geständnis aufnehmen würde. Sie presste die Hände auf ihr Herz, weil es ihr zu zerspringen drohte.
„Hilf, Vater im Himmel, hilf, dass ich mir durch mein Kind seine Liebe erringe“, betete sie inbrünstig.
Und inzwischen weilte ihr Gatte bei Rita Hardy, die mit ihrem Wesen Bernd Ralfner so weit gebracht hatte, dass er sich ihretwegen von seiner Gattin trennen wollte.
Gonda sass noch am Fenster, als eine halbe Stunde später ihr Gatte nach Hause kam. Sie sah sein Auto am Alsterufer entlangkommen. Scheu und zaghaft zog sie sich vom Fenster zurück. Er sollte nicht sehen, dass sie sehnsuchtsvoll nach ihm ausgeschaut hatte. Er kam heute später als sonst, und sie nahm an, dass wichtige Geschäfte ihn so lange zurückgehalten hatten.
Sie setzte sich an den Kamin und nahm ein Buch zur Hand, sich den Anschein gebend, als sei sie in das Lesen vertieft. Dabei lauschte sie aber atemlos auf den Klang seiner Schritte. Sie wusste, jetzt legte er im Vorraum Hut und Pelz ab, und nun stieg er die Marmortreppe hinauf, um sich in seinem Zimmer umzukleiden. An sorgsamen Rücksichten ihr gegenüber liess er es nie fehlen. Keine Nachlässigkeit liess er sich zuschulden kommen. Sobald er sich angekleidet hatte, würde er sie aufsuchen, um sie zu begrüssen. Und dann würde er sie in das Speisezimmer führen und mit ihr plaudern, über Alltägliches, über Geschäfte, über irgendein Thema, das in der Luft lag. Sie würde darauf eingehen in ihrer stillen, verhaltenen Weise, würde noch mit keinem Blick, mit keinem Wort verraten, was sie so selig machte. Oh, bald sollte er sie von einer ganz andern Seite kennen lernen, dann sollte er sich mit ihr freuen über die bevorstehende Geburt seines Kindes.
Alles, alles sollte anders werden, des war sie gewiss. Arme Gonda! Sie ahnte nicht, welch eine Änderung ihr bevorstand, anderer Art, als sie erhoffte.
Ihre Augen huschten erwartungsvoll über die Seiten ihres Buches hinweg. Jetzt kam er. Das Herz drohte ihr stillzustehen. Sie zwang sich zu der alten Maske kühler Ruhe. Ganz deutlich vernahm sie den festen, federnden Schritt, den sie unter vielen anderen erkannt hätte. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und gab sich den Anschein, zu lesen.
Und dann trat er ein.
Mit einem unsicheren, erregten Blick sah er zu ihr hinüber und trat zu ihr heran.
,,Verzeihe, wenn ich dich warten liess, Gonda, ich hatte Abhaltung.“
Sie reichte ihm mit ihrem stillen Lächeln die Hand, die er artig an seine Lippen führte.
„Ich habe gar nicht bemerkt, dass du länger ausgeblieben bist, du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Deine Geschäfte gehen vor,“ sagte sie ruhig.
Und sie ahnte nicht, dass all solche kleine Bemühungen ihrerseits, ihn niemals einen Zwang spüren zu lassen, ihm für ein Zeichen ihrer Gemütskälte galten. — Ein leises Rot war in seine Stirn getreten, als sie so selbstverständlich annahm, dass ihn Geschäfte abgehalten hatten. Aber so unangenehm es ihm war, sie zu betrügen, sagte er doch:
„Allerdings, Geschäfte hielten mich ab. Es ist mir lieb, dass du nicht gewartest hast. Wir können nun wohl gleich zu Tisch gehen.“
Dabei führte er ihre Hand an die Lippen.
Sie erhob sich sofort.
„Gewiss, es ist alles bereit,“ sagte sie freundlich.
Ja, der Haushalt war tadellos in Ordnung unter ihrer Leitung. Nie fiel ihm irgendeine Störung auf. Und überall standen Blumen, alles atmete Behagen und Sorglichkeit der Hausfrau. Das hatte er bisher als selbstverständlich hingenommen, heute fiel es ihm besonders auf, trotzdem er doch andere Dinge im Kopf hatte. Wenn Rita hier als Herrin schalten und walten würde, dann würde vielleicht im Anfang nicht alles so am Schnürchen gehen, aber das fand sich mit der Zeit, und jedenfalls würde Rita eine reizende Hausherrin sein und mit viel Anmut ihres Amtes walten.
Der Gedanke an Rita schlug ihm wie eine warme Welle über dem Kopf zusammen.
Er reichte Gonda den Arm und führte sie in das Speisezimmer hinüber. Sie legte ihre kleine Hand in seinen Arm. Wie gern, oh, wie gern hätte sie sich an seine Brust geworfen und ihm ihr Geheimnis anvertraut. Aber nein, heute sollte es noch nicht sein, heute lenkte ihn so vieles ab. Erst musste der Festtrubel zu Ende sein, dessen Vorzeichen man schon im ganzen Hause merkte. Sie betraten das grosse, schöne Speisezimmer. Wie alle Räume des Hauses war es mit gediegener, vornehmer Pracht ausgestattet. Schwere, reich geschnitzte Eichenmöbel standen an den Wänden, hochlehnige Sessel reihten sich um die gewaltige Mitteltafel und standen an der einen Wand aufgereiht.
In der Kaminecke war eine kleine runde Tafel gedeckt, nur für zwei Personen. Hier speisten die Gatten, wenn sie allein waren. Aber auch diese kleine Tafel zierte kostbares Silbergerät, Kristall und schönes altes Porzellan. Auf den mächtigen Anrichten ringsum waren auch kostbare Geräte aller Art aufgestellt und sprachen von dem Reichtum des Hauses.
Bernd Ralfner streifte diese Zeugen des gesicherten Wohlstandes, und es kam ihm in den Sinn, dass er es Gonda zu danken hatte, wenn dieser Wohlstand nicht aus seinem Hause gewichen war. Ihr Reichtum hatte die Krise bekämpft, die sein Haus bedroht hatte. Unwillkürlich zog er Gondas Hand an die Lippen, als er sie zu ihrem Platz geführt hatte. Es stieg in ihm auf wie die Erkenntnis eines Unrechts, das er an dieser Frau begehen wollte. Aber dann sah er in das ruhige, stille Gesicht mit den niedergeschlagenen Augen und atmete auf. Nein, er tat kein Unrecht an ihr, wenn er sich von ihr löste. Sie würde nicht darunter leiden. Vielleicht würde sie ein wenig verärgert sein, ein wenig in ihrer Fraueneitelkeit gekränkt und ein wenig ungehalten wegen der Störung in ihrem Behagen. Aber tief würde ihr nichts gehen, ihr ging ja nie etwas tief. Nach einer kleinen Weile würde sie, wenn er sie um seine Freiheit gebeten hatte, hochmütig die Lider über die Augen fallen lassen und sagen: ,,Wie du willst, ich halte dich nicht.“
Ja, ihm war, als höre er diese Worte schon. Und er war froh, dass er ihrem Herzen nicht näher stand, damit er ihr nicht wehe zu tun brauchte, denn das wäre ihm sehr leid gewesen. Denn auf Rita Hardys Besitz zu verzichten, das erschien ihm unmöglich, nun sie ihm gestanden hatte, dass sie ihn liebte. Er musste Rita besitzen, alle seine durch ihre Gefallsucht aufgestörten Sinne schrien nach ihr. Sie musste sein eigen werden, und da es auf andere Weise nicht sein konnte, so musste die stille, blasse Frau an seiner Seite für sie den Platz räumen.
Während der Mahlzeit sah er einige Male forschend in Gondas Gesicht. Es fiel ihm heute auf, dass es schmal geworden war in der Ehe mit ihm und dass sie sehr blass und müde aussah. Anscheinend bekam ihr die Hamburger Luft nicht. Eine andere Erklärung fand er nicht dafür. Es war vielleicht sehr gut für sie, wenn sie wieder nach Amsterdam zurückkehren konnte. Das würde sie sicher tun, wenn sie sich von einander lösten. Es war ja auch das beste für sie. Und er wollte ihr natürlich gern weiter mit Rat und Tat helfen, das hatte sie um ihn verdient. Überhaupt, sie konnten doch gute Freunde werden, als Freundin war sie sicher sehr gut zu leiden. Das wollte er ihr vorschlagen, wollte ganz ruhig und verständig mit ihr reden. Es war gewiss nicht nötig, dass man im Groll voneinander schied. Und wer weiss, bald fand auch sie einen anderen Gatten, mit dem sie sicher glücklicher wurde als mit ihm. Es würde ihr nicht an Bewerbern fehlen bei ihrem Reichtum.
So suchte er sich alles ganz leicht zu machen, um sein Unbehagen fortzuscheuchen.
Nicht einen Augenblick bedauerte er, dass er mit Gonda auch ihr reiches Erbe aus seinen Händen gleiten liess. Für ihn hatte immer nur das Wert gehabt, was er sich selbst schaffen konnte. Auch die vom Vater ererbte Firma hatte nur dadurch vollen Wert, dass er täglich seine Arbeit, seinen Geist hineinstecken konnte und damit immer neues Werden und Gedeihen schaffte. Er war ein Mann der Tat, ein Mann, dem nur Selbstgeschaffenes Glück bedeutete. Gondas Erbe hatte nur soweit Bedeutung für ihn gehabt, als er dadurch die Krise von seinem Hause abwenden konnte. Und nun hatte er Gonda seine Schuld zurückgezahlt, durch eigene Kraft hatte er die Firma wieder zur alten Blüte gebracht, und er fühlte sich dadurch reich und glücklich wie ein König.
Alles dies sollte nun gekrönt werden durch den Besitz der Frau, die er liebte, die zum ersten Male ein so heisses, starkes Gefühl in ihm ausgelöst hatte. Ihr Besitz würde ihn zu ungeahnter Kraft und Freudigkeit anspannen, und ihre Schönheit würde in seinem Hause erst den richtigen Rahmen bekommen. Seine Augen strahlten auf, und in diese aufstrahlenden Augen hinein traf zufällig Gondas Blick. Sie zuckte heimlich zusammen unter diesem strahlenden Blick, wie sie ihn noch nie in seinen Augen gesehen hatte. Ihr Herz schlug bis zum Halse hinauf. Es erschien ihr wie ein gutes Vorzeichen, dass er so glücklich aussah.
„Du freust dich wohl sehr auf das Fest morgen, Bernd,“ sagte sie leise mit bebender Stimme.
Er bezwang sich und neigte das Haupt mit einem Lächeln.
„Ja, ich freue mich sehr, das kannst du dir denken. Es sind doch alle nötigen Vorbereitungen getroffen worden, Gonda?“
Sie wäre ihm am liebsten jubelnd um den Hals gefallen. Heiss wallte die Liebe zu diesem Manne in ihrem Herzen auf, der ihr der liebste, beste und vortrefflichste auf dieser Welt war. Aber sie bezwang sich und sagte ruhig lächelnd:
,,Sei unbesorgt, es ist alles in vollem Gange. Die Leute tun ihre Schuldigkeit, es ist, als seien sie alle durchdrungen von der Weihe des morgenden Tages. Es geht alles wie von selbst.“