Ich will meinen Vater wiederhaben - Elisabeth Swoboda - E-Book

Ich will meinen Vater wiederhaben E-Book

Elisabeth Swoboda

4,0

Beschreibung

Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. »Seht doch, ist der nicht goldig?« Sigrids Zeigefinger, dessen Nagel wie die übrigen Nägel leuchtendrot lackiert war, wies auf etwas, was sich hinter Sascha von Schöneckers und Michael Langenbachs Rücken befand. Die beiden wandten sich nur zögernd um. Der Abend hatte vielversprechend begonnen. Erst allmählich war sich Sascha einer schleichenden Langeweile bewusst geworden. Die beiden Freunde waren in den Semesterferien auf einen kurzen Besuch nach Wildmoos gekommen. Es gab viel Gemeinsames zwischen ihnen. Beide waren ungefähr einundzwanzig Jahre alt und studierten in Heidelberg. Während Sascha jedoch einen Vater, eine Schwester, eine Stiefmutter, einen Stiefbruder und einen Halbbruder besaß, hatte Michael nur zwei Schwestern, die zwölfjährige Vicky und die vierzehnjährige Angelika. Die Eltern der drei Geschwister waren bei einem Lawinenunglück ums Leben gekommen. Die beiden Mädchen hatten in dem Kinderheim Sophienlust, das von Saschas Stiefmutter Denise von Schoenecker geleitet wurde, ein neues Zuhause gefunden. Auch Michael wohnte während seiner kurzen Aufenthalte in Wildmoos, meist dort, gelegentlich aber auch in Schoeneich. Sascha bezog dagegen natürlich jedesmal sein altes Zimmer auf Schoeneich, dem Gut seines Vaters. Meist waren die Besuche der beiden jungen Männer in Wildmoos voll ausgelastet. Michael wurde von seinen Schwestern in Anspruch genommen, die es stets kaum erwarten konnten, ihm alles, was sich während seiner Abwesenheit in Sophienlust zugetragen hatte, zu erzählen. Ähnlich erging es Sascha mit seinem Stiefbruder Dominik und seinem Halbbruder Henrik, die sich einander im Aufzählen höchst merkwürdiger und nervenaufreibender Ereignisse überboten. Denise, die ihrem Stiefsohn mit herzlicher Zuneigung zugetan war, hatte, wie stets, auch diesmal dazu geschwiegen. Kaum hatten Nick und Henrik jedoch die erste Atempause eingelegt, erkundigte sie sich nach Saschas Studienerfolgen und danach, ob sein Gesundheitszustand wirklich auch immer in Ordnung sei, ob er genug esse und ob er sich nicht überanstrenge.

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Beliebtheit




Sophienlust Bestseller – 123 –

Ich will meinen Vater wiederhaben

Elisabeth Swoboda

»Seht doch, ist der nicht goldig?« Sigrids Zeigefinger, dessen Nagel wie die übrigen Nägel leuchtendrot lackiert war, wies auf etwas, was sich hinter Sascha von Schöneckers und Michael Langenbachs Rücken befand.

Die beiden wandten sich nur zögernd um. Der Abend hatte vielversprechend begonnen. Erst allmählich war sich Sascha einer schleichenden Langeweile bewusst geworden.

*

Die beiden Freunde waren in den Semesterferien auf einen kurzen Besuch nach Wildmoos gekommen. Es gab viel Gemeinsames zwischen ihnen. Beide waren ungefähr einundzwanzig Jahre alt und studierten in Heidelberg. Während Sascha jedoch einen Vater, eine Schwester, eine Stiefmutter, einen Stiefbruder und einen Halbbruder besaß, hatte Michael nur zwei Schwestern, die zwölfjährige Vicky und die vierzehnjährige Angelika. Die Eltern der drei Geschwister waren bei einem Lawinenunglück ums Leben gekommen. Die beiden Mädchen hatten in dem Kinderheim Sophienlust, das von Saschas Stiefmutter Denise von Schoenecker geleitet wurde, ein neues Zuhause gefunden. Auch Michael wohnte während seiner kurzen Aufenthalte in Wildmoos, meist dort, gelegentlich aber auch in Schoeneich. Sascha bezog dagegen natürlich jedesmal sein altes Zimmer auf Schoeneich, dem Gut seines Vaters.

Meist waren die Besuche der beiden jungen Männer in Wildmoos voll ausgelastet. Michael wurde von seinen Schwestern in Anspruch genommen, die es stets kaum erwarten konnten, ihm alles, was sich während seiner Abwesenheit in Sophienlust zugetragen hatte, zu erzählen. Ähnlich erging es Sascha mit seinem Stiefbruder Dominik und seinem Halbbruder Henrik, die sich einander im Aufzählen höchst merkwürdiger und nervenaufreibender Ereignisse überboten.

Denise, die ihrem Stiefsohn mit herzlicher Zuneigung zugetan war, hatte, wie stets, auch diesmal dazu geschwiegen.

Kaum hatten Nick und Henrik jedoch die erste Atempause eingelegt, erkundigte sie sich nach Saschas Studienerfolgen und danach, ob sein Gesundheitszustand wirklich auch immer in Ordnung sei, ob er genug esse und ob er sich nicht überanstrenge.

Sascha beantwortete diese besorgten Fragen mit einem Ja oder Nein, je nachdem, was von ihm erwartet wurde. Später ging er nach Sophienlust und spielte mit Denises Schützlingen. Auch seine Schwester Andrea von Lehn, die mit einem Tierarzt verheiratet war und im Nachbarort Bachenau wohnte, besuchte er. Dort erwarteten ihn ähnliche Fragen, wie sie bereits Denise an ihn gestellt hatte. Er beantwortete auch sie mit gleichbleibender Freundlichkeit und bewunderte Andreas kleinen Sohn Peterle.

Nach einigen Tagen in der ruhigen Atmosphäre von Wildmoos wurde Sascha jedoch von einer gewissen Unruhe erfasst. Er war dieses beschauliche Leben nicht mehr gewohnt. Es gab im Februar in Wildmoos wenig Möglichkeiten, sich sportlich zu betätigen. Die Kinder rodelten zwar mit Begeisterung über die verschneiten Hänge, aber Sascha fand diesen Sport insgeheim zu zahm, um ihn ebenfalls auszuüben. Auf dem zugefrorenen Waldsee Schlittschuh zu laufen, erlaubte wiederum Denise von Schoenecker nicht, da ihrer Ansicht nach das Eis nicht hart genug war. Außerdem schneite es so häufig, dass der See von einer dicken Schneeschicht bedeckt war, genau wie der Tennisplatz, der so durchweicht war, dass an eine Benutzung nicht zu denken war.

Obwohl Sascha sich Mühe gab und sich nichts anmerken ließ, fiel Denise dennoch auf, dass er nichts Rechtes mit sich anzufangen wusste. »Es ist leider im Augenblick nicht viel los bei uns«, meinte sie. »Das heißt, ich bin darüber eher froh, aber du langweilst dich wahrscheinlich.«

»Aber nein«, protestierte Sascha.

»Aber ja.« Denise lächelte. »Ich habe dich gestern Abend, als wir uns nach dem Essen um den Kamin versammelt hatten, beobachtet. Du hast beinahe ununterbrochen gegähnt. Nicht einmal Henriks farbige Schilderung seiner letzten Streiche schien dich aufzumuntern.«

»Es tut mir leid …«

»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, unterbrach Denise ihn. »Ich wundere mich nur, dass du jeden Abend zu Hause herumsitzt, und nicht ausgehst. Herrscht Ebbe in deiner Kasse?«

»So arg ist es nicht«, beruhigte Sascha seine Stiefmutter. »Ich habe nur gedacht …, da ich so selten bei euch bin …« Er hielt zögernd inne.

»Trotzdem ist es nicht deine Pflicht, uns jeden Abend Gesellschaft zu leisten«, sagte Denise. »Im Vorjahr warst du doch mit Michael öfter in dieser Diskothek, in der dir die Musik so gut gefallen hat.«

»Ja, sie hatten recht gute Platten dort«, stimmte Sascha ihr zu. »Wenn du nichts dagegen hast und Vati auch nicht, könnte ich heute Abend vorbeischauen.«

»Was sollten wir dagegen haben. Du bist erwachsen und kannst tun, was dich freut.«

Sascha lächelte innerlich über diesen großzügigen Ausspruch. Natürlich gewährten ihm sein Vater und seine Stiefmutter ein großes Maß an Freiheit, aber gerade Denise war es, die aus Besorgtheit allzu waghalsigen Unternehmungen Einhalt gebot.

Ein Besuch in einer der Diskotheken in Maibach, der nächstgelegenen Kreisstadt, war jedoch ein harmloses Unternehmen. Sascha lud Michael dazu ein, und dieser griff begeistert zu.

»Ich habe Vicky und Angelika wirklich gern«, vertraute er seinem Freund an, »aber inzwischen haben sie mir alle Begebenheiten, die sich in Wildmoos und Umgebung in den letzten paar Monaten ereignet hatten, bereits ein dutzendmal erzählt. Ich bin mit ihnen gerodelt und habe sie sogar bergauf gezogen, was gar nicht so einfach war, denn die beiden sind in letzter Zeit ganz schön gewachsen und schwer geworden. Ich habe mit ihnen Puppenjause gespielt und habe die Faschingskostüme, an denen sie gerade nähen, bewundert. Aber langsam bekomme ich das Gefühl …«

Michael ließ ungesagt, welches Gefühl er bekam, aber Sascha verstand ihn auch so. »Mir geht es ähnlich«, sagte er. »Es ist schön, zu Hause und bei der Familie zu sein, aber ein freier Abend zur Abwechslung wird uns guttun.«

*

So saßen sie also jetzt in der Diskothek an einem der winzigen runden Tische, die dichtgedrängt die Tanzfläche umgaben. Ihnen gegenüber saßen zwei Mädchen, die sie vor eineinhalb Stunden kennengelernt und mit denen sie seither fast pausenlos getanzt hatten. Es waren hübsche Mädchen und ausgezeichnete Tänzerinnen. Sigrid war schlank und hatte lange blonde Haare. Das andere Mädchen, Monika, war dunkelhaarig. Sie neigte trotz ihrer Jugend ein wenig zur Üppigkeit und hatte einen etwas unreinen Teint, aber für einen Abend wollte Sascha es nicht so genau nehmen. Obwohl sie sich alle gegenseitig bereits duzten, hatten weder er noch Michael die Absicht, diese Zufallsbekanntschaft fortzusetzen.

Die laute Musik hatte bisher ein Gespräch vereitelt, aber nun hatte der Diskjockey eine Pause eingelegt. Die Mädchen hatten somit Gelegenheit, munter draufloszuschwatzen. Beim Anhören dessen, was sie von sich gaben, wünschte sich Sascha insgeheim, daheim vor dem Kamin zu sitzen und Henriks ausführlichen Erzählungen über Sophienlust zu lauschen. Als die Mädchen den Tisch kurz verließen, um ihr Make-up aufzufrischen, machte er eine diesbezügliche Bemerkung zu Michael.

»Ja«, stimmte Michael ihm zu, »du hast recht. Die beiden sind strohdumm. Umgekehrt sind wir aber nicht hierhergekommen, um tiefschürfende Gespräche zu führen.«

»Das nicht«, gab Sascha zu. »Im Übrigen hast du leicht reden. Deine Partnerin ist wenigstens sehr hübsch, während ich die Dicke mit den Pickeln erwischt habe.«

»Gar so übel ist sie nicht und …« Michael unterbrach sich und warnte Sascha. »Pst, sie kommen zurück.«

Sigrid und Monika nahmen mit strahlendem Lächeln, ohne zu ahnen, was für ein abfälliges Urteil in ihrer Abwesenheit über sie gefällt worden war, wieder ihre Plätze ein.

Sascha bemühte sich nach besten Kräften, den Mädchen nicht zu zeigen, dass sie ihn anödeten, womit er recht guten Erfolg hatte, bis plötzlich etwas, was sich hinter ihm befand, die Aufmerksamkeit und das Entzücken der beiden Mädchen erregte.

»So dreht euch doch endlich um und schaut ihn an!«, forderte Monika Sascha und Michael auf. »Mein Gott, ist der süß. Ich muss ihn streicheln.«

Sascha und Michael drehten sich also um, und stießen, da der Platz für den einzelnen Gast in diesem Lokal äußerst knapp berechnet war, zusammen.

»Au«, sagte Michael und rieb sich die Schulter.

Saschas Blick folgte Sigrids ausgestrecktem Zeigefinger. Als sein Auge den Gegenstand, um den es sich handelte, erfasst hatte, verzog er angewidert das Gesicht und knurrte: »Tierquälerei. Das sollte verboten sein.«

»Aber nein«, ereiferten sich Sigrid und Monika gleichzeitig. »Der Mann tut dem Löwen doch nichts Böses. Er trägt ihn herum. Das kann man doch nicht Tierquälerei nennen.«

»Hm«, brummte Sascha nur. Seiner Ansicht nach waren die Mädchen viel zu dumm und nicht wert, dass er sich mit ihnen auf eine Diskussion einließ.

»Wie süß der Löwe blinzelt. Oh – und wie er sich mit seinen dicken Pfoten über die Augen fährt«, schwärmte Monika.

»Das tut er nur, weil er die rauchige und stickige Luft da herinnen nicht verträgt«, meinte Michael trocken, der sich insgeheim über Saschas steife Ablehnung ein wenig amüsierte.

»Das glaube ich nicht«, entgegnete Monika. »Wir fühlen uns ja auch wohl. Warum sollte der Löwe … Ach, er gähnt! Was für eine entzückende rosa Zunge er hat, und diese spitzen Zähnchen … Wenn dieser Mann ihn nur endlich zu uns bringen würde, damit ich ihn streicheln könnte. Mach doch nicht so ein Gesicht, Sascha. Du hast doch das mit der Tierquälerei nicht im Ernst gemeint, nicht wahr?«

»O doch. Meine Schwester Andrea würde sogar noch härtere Ausdrücke gebrauchen.«

»Sie muss ein komisches Mädchen sein, deine Schwester«, sagte Sigrid, momentan abgelenkt.

»Nein, das ist sie nicht«, widersprach Sascha ihr, nun bereits einigermaßen aufgebracht. »Sie liebt Tiere und setzt sich für sie ein. In ihrem Tierheim … Aber wozu erzähle ich euch das? Ihr begreift es ja sowieso nicht.«

Seine Stimme hatte so abfällig geklungen, dass sie den Panzer der Selbstgefälligkeit, der Monika umgab, durchbrochen hatte. »Hör mal«, begehrte sie auf. »Warum bist du auf einmal so unfreundlich? Man wird doch noch etwas sagen dürfen?«

»Nicht über meine Schwester«, entgegnete Sascha.

Monika setzte zu einer Erwiderung an, aber in diesem Augenblick kam der Mann mit dem Löwen auf den Tisch der vier zu, und die beiden Mädchen brachen erneut in Entzückensrufe aus. Das veranlasste den Mann, seinen Löwen auf Monikas Schoß zu setzen, und ein paar Schritte zurückzutreten, wobei er beinahe einen mit Gläsern und Flaschen vollbesetzten Tisch umstieß, um eine Kamera mit Blitzlicht zu zücken.

Nachdem er Monika fotografiert hatte, einmal den Löwen streichelnd, das andere Mal in die Kamera lächelnd, fragte er Sigrid: »Wollen Sie auch fotografiert werden?«

»Natürlich.« Sigrid streckte die Hände nach dem Tier aus, und die Prozedur wiederholte sich.

Dann legte der Fotograf die Kamera auf den Tisch und holte aus seiner ausgebeulten Jackentasche einen Block, dessen oberstes Blatt er eifrig vollkritzelte. Danach riss er es ab und überreichte es mit einer schwungvollen Verbeugung Michael. »Macht zweiundsiebzig Euro!«, verkündete er dabei.

»Wie?«

»Es sind vier Bilder. Erstklassige Farbfotos«, sagte der Fotograf. Er sprach perfekt Deutsch, allerdings mit einem leichten Akzent. Seinem Aussehen nach war er Italiener oder Kroate. Das vermutete Sascha jedenfalls. Sein Äußeres wirkte irgendwie vernachlässigt, obwohl er gut aussah. Aber seine schwarzen Augen waren blutunterlaufen, seine dunklen Haare strähnig – und eine Rasur hätte ihm auch nicht geschadet. Der für diese Jahreszeit unpassend helle Anzug wirkte außerdem zerknittert, schäbig und im Schnitt zu jugendlich für diesen Mann, den Sascha auf fünfunddreißig bis vierzig Jahre schätzte. Ungebügelte Jeans hätte Sascha akzeptiert, einen schmuddeligen Anzug jedoch nicht.

»Ich zahle nicht für Fotos, die ich nicht sehen kann, weil sie noch nicht entwickelt sind«, riss Michael seinen Freund aus seinen Überlegungen.

»Die Fotos sind erstklassig«, versicherte der Fotograf noch einmal. »Morgen können Sie sie sehen und abholen. Die Adresse meines Ateliers steht auf dem Zettel. Vielleicht zahlen Sie mir heute eine Anzahlung.«

Michael, der sich inzwischen von seiner ersten Verblüffung erholt hatte, schüttelte den Kopf. »Ich denke nicht daran. Habe i c h mich fotografieren lassen?«

»Oh – aber, Michael!«, keuchte Sigrid, empört über diese absolut nicht kavaliersmäßige Einstellung. Da Sascha mit unbewegter Miene dasaß, wagte sie es nicht, sich an ihn zu wenden, sondern fragte ihre Freundin. »Was machen wir jetzt? Hast du …«

»Nur mehr Kleingeld«, antwortete Monika.

Der kleine Löwe fauchte und zeigte seine spitzen Zähne. Sigrid, die ihn noch immer auf ihrem Schoß hatte, setzte sich vor Schreck kerzengerade auf. »Ich habe ebenfalls kaum Geld bei mir«, murmelte sie.

Der Fotograf verstand sie trotzdem und schien sich einem südländischen Temperamentsausbruch hingeben zu wollen. Da griff Sascha nach seiner Brieftasche, zählte die geforderte Summe ab und schob sie dem Mann hin. Dieser raffte die Scheine blitzschnell zusammen, hob seinen Löwen auf und entschwand mit ihm im Gewirr der Tische.

»Danke, Sascha«, hauchte Monika. »Das war wirklich lieb von dir. Aber wer konnte denn wissen, dass dieser Mensch gleich Geld haben will«, setzte sie in dem Gefühl, dass eine Entschuldigung nötig sei, hinzu.

Sascha zuckte ergeben mit den Schultern.

»Gehen wir morgen zusammen zu dem Atelier und holen die Fotos?«, schlug Monika vor.

»Ich habe morgen keine Zeit«, sagten Sascha und Michael wie aus einem Munde.

»Schade«, schmollte Monika. »Vielleicht übermorgen.«

»Übermorgen sind wir höchstwahrscheinlich in Heidelberg«, sagte Sascha.

»Schade«, wiederholte Monika, aber sie unternahm nun keinen weiteren Versuch mehr, Sascha zu einem Treffen zu veranlassen. Sie war sich zwar keiner Schuld bewusst, fühlte jedoch, dass die Situation verfahren war. Da kann man nichts machen, dachte sie. So besonders gefällt mir dieser Sascha ohnehin nicht. Er ist zwar groß und schlank und sogar jetzt im Winter schön braun, aber seine zurechtweisende Art kann einem ziemlich auf die Nerven gehen. Hoffentlich sind wenigstens die Fotos gut geworden, fügte sie ihrem Gedankengang egoistisch hinzu.

Sigrid dachte ähnlich. Michaels Weigerung, die Fotos zu bezahlen, hatte sie wütend gemacht. Etwas Ähnliches war ihr noch nie passiert. Was glaubt der denn?, dachte sie zornig. Bloß, weil er groß und blond ist und gut aussieht, denkt er, dass er sich benehmen kann, wie er will.

Michael wäre über Sigrids Überlegungen ziemlich erstaunt gewesen, hätte er sie erraten. Er hatte hinsichtlich seines Benehmens kein schlechtes Gewissen.

Eine Weile tanzten die vier wieder, aber nun eher lustlos. Sie waren schließlich alle erleichtert, als es Zeit war aufzubrechen.

»Puh, dieser Abend war ein Reinfall«, sagte Sascha später zu Michael, als die beiden sich auf dem Heimweg nach Wildmoos befanden. »Es wäre besser gewesen, wir wären daheimgeblieben.«

»Und vor allem billiger«, meinte Michael. »Ah – natürlich werde ich meinen Beitrag zu diesen verwünschten Fotos leisten. Ich gebe dir das Geld, sobald ich wieder bei Kasse bin.«

»Nein«, lehnte Sascha ab. »Der heutige Abend geht auf meine Kosten. Ich habe die Idee gehabt – und außerdem habe ich freiwillig die Fotos bezahlt. Ich hätte mich ebenso wie du weigern können, aber die Situation kam mir plötzlich so absurd vor. Dieser Ausländer war mir zwar reichlich unsympathisch, aber ihn um seinen Verdienst zu prellen …«

»Diese Mädchen!«, warf Michael ein. »Im heutigen Zeitalter der Gleichberechtigung hätten sie ruhig selbst dafür aufkommen können. Aber diese berechnenden Dinger hatten entweder wirklich kein Geld, oder sie spielten uns ein Theater vor.«

»Vergessens wir’s«, schlug Sascha vor, und Michael nickte.

Sascha erwähnte den missglückten Abend nur noch seiner Schwester Andrea gegenüber. Allerdings sprach er da nur über den Missbrauch, den dieser Fotograf mit dem jungen Löwen trieb. »Natürlich ist das arme Tier nur ein Lockmittel«, meinte er. »Man sollte gar nicht glauben, wie viel törichte Leute es gibt, die darauf brennen, sich mit einem kleinen Löwen in den Armen fotografieren zu lassen.«

»Kann man denn da nicht einschreiten?«, fragte Andrea, die sofort Mitleid mit dem Tier hatte. »Gib mir die Adresse des Fotografen. Ich werde hinfahren, gleich morgen, und …«

»Lass lieber die Finger davon«, warf Dr. Hans-Joachim von Lehn, Andreas Mann, ein.

»Warum?«, fragte Andrea, die nur zu gern bereit war, sich in den Kampf um ein misshandeltes Tier zu stürzen, um es zu befreien.

»Du würdest nichts ausrichten«, erwiderte Hans-Joachim ruhig. »Solange der Löwe nicht so groß ist, dass er Menschen gefährdet, ist nichts zu machen. Und wenn er einmal so groß ist, wird ihn sowieso niemand mehr auf dem Schoß halten wollen.«

»Und was passiert dann mit ihm?«, wollte Andrea wissen.

Darauf wussten weder Sascha noch Hans-Joachim eine Antwort.

»Vielleicht kommt er in irgendeinen Zoo«, erwiderte Hans-Joachim vage.

»Wir könnten …«

»Nein«, unterbrach Hans-Joachim seine Frau. Er liebte Andrea über alles, aber hin und wieder sah er sich gezwungen, ihren Enthusiasmus ein wenig zu dämpfen. »In unserem Tierheim ist für einen ausgewachsenen Löwen kein Platz. Auch ich habe Tiere gern, aber meine Tierliebe geht nicht so weit, dass ich mich von ihnen fressen lasse.«

»Lächerlich!«

»Denke an unseren kleinen Sohn. Würde er beim Spielen irgendwie in die Nähe des Löwen geraten …«, fuhr Hans-Joachim fort.

Dieser Hinweis genügte. Andrea gab auf.

*

Ein paar Monate waren seitdem verstrichen. Sascha hatte den verunglückten Tanzabend längst vergessen und die Lücke, die der Abend in seiner Brieftasche hinterlassen hatte, verschmerzt. Er war wenige Tage später mit Michael nach Heidelberg zurückgekehrt, und dort hatte er anderes zu tun gehabt, als an oberflächliche Mädchen, junge Löwen und Fotografen zu denken.

Auch Andrea hatte, nachdem sie die Richtigkeit von Hans-Joachims Argumenten eingesehen hatte, keinen Gedanken mehr an den Löwen verschwendet. Bis sie eines Tages in den Maibacher Nachrichten auf eine kurze Notiz stieß. Der Artikel war äußerst knapp gehalten und enthielt nichts weiter als einige Tatsachen in dürren trockenen Worten. Trotzdem weiteten sich Andreas Augen, während sie las.

»Hans-Joachim!«

»Ja?«, brummte der Angesprochene und ließ das Buch, in dem er geblättert hatte, sinken. Er saß bequem zurückgelehnt in einem Gartenstuhl und genoss die Stille, die hauptsächlich daraus resultierte, dass sein kleiner Sohn Peterle sein Mittagsschläfchen hielt, bewacht von der Dogge Severin und dem Schäferhund Munko.

»Hast du die Zeitung gelesen?«, fragte Andrea.

»Die Zeitung? Welche?«

»Die Maibacher Nachrichten.«

»Hm, ja. Ich habe sie überflogen. Da nichts Interessantes darinsteht …«

»Nichts Interessantes!«, rief Andrea. »Ja, hast du denn das über den Fotografen übersehen?«

»Wahrscheinlich«, sagte Hans-Joachim und gähnte. Er war zwar mehr als dreißig Jahre älter als sein kleiner Sohn, aber es war ein so warmer Tag, dass auch er gegen eine halbstündige Schlafpause nichts einzuwenden gehabt hätte. »Mir ist kein Fotograf aufgefallen«, murmelte er schläfrig.

»Dann lies das hier«, forderte Andrea ihn auf und reichte ihm die Zeitung.

»Muss das sein?« Hans-Joachim gähnte ein zweites Mal.

»Sei nicht so faul«, tadelte Andrea ihn.

»Ich bin nicht faul«, verteidigte sich der Tierarzt. »Der Jammer ist, dass du zu gut kochst. Ich habe viel zu viel gegessen. Jetzt fallen mir die Augen zu!«