Vati soll wieder heiraten - Elisabeth Swoboda - E-Book

Vati soll wieder heiraten E-Book

Elisabeth Swoboda

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Beschreibung

Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. »Katzi!«, krähte Andreas Rennert mit seiner hellen Kleinkinderstimme, kletterte aus dem Sandkasten und deutete mit ausgestrecktem Arm auf einen dichten Fliederstrauch in der Nähe des Spielplatzes. »Katzi?«, wiederholte seine Zwillingsschwester Alexandra fragend. »Wo ist eine Katzi?« »Hat sich versteckt«, erwiderte der Knirps. »Hat Angst.« Alexandra rümpfte ihr Näschen. »Du schwindelst«, beschuldigte sie ihren Bruder. »Du hast gar keine Katzi gesehen.« »O ja. Schon gesehen«, behauptete der kleine Junge, und seine Mundwinkel senkten sich bekümmert nach unten. Die Zwillinge vertrugen sich im Allgemeinen hervorragend. Dennoch fühlte sich der Kleine dem lebhaften Mädchen manchmal unterlegen. »Dann zeig es mir«, forderte Alexandra. »Kann nicht.

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Sophienlust Bestseller – 26 –

Vati soll wieder heiraten

...und Franziska weiß auch schon, wen!

Elisabeth Swoboda

»Katzi!«, krähte Andreas Rennert mit seiner hellen Kleinkinderstimme, kletterte aus dem Sandkasten und deutete mit ausgestrecktem Arm auf einen dichten Fliederstrauch in der Nähe des Spielplatzes.

»Katzi?«, wiederholte seine Zwillingsschwester Alexandra fragend. »Wo ist eine Katzi?«

»Hat sich versteckt«, erwiderte der Knirps. »Hat Angst.«

Alexandra rümpfte ihr Näschen. »Du schwindelst«, beschuldigte sie ihren Bruder. »Du hast gar keine Katzi gesehen.«

»O ja. Schon gesehen«, behauptete der kleine Junge, und seine Mundwinkel senkten sich bekümmert nach unten.

Die Zwillinge vertrugen sich im Allgemeinen hervorragend. Dennoch fühlte sich der Kleine dem lebhaften Mädchen manchmal unterlegen. »Dann zeig es mir«, forderte Alexandra.

»Kann nicht. Ist weggelaufen«, erwiderte Andreas, machte kehrt und kletterte wieder über den Rand des Sandkastens.

»Wer ist weggelaufen?«, erkundigte sich Heidi Holsten. Mit ihren fünf Jahren war sie älter als die Zwillinge, was sie dazu verleitete, die beiden Kleinen ein wenig zu bevormunden.

»Katzi«, erwiderte Andreas, griff nach seiner Sandschaufel und stocherte missmutig damit im Sand herum.

»Pass auf!«, befahl Heidi. »Komm der Burg nicht zu nahe. Du darfst sie nicht zerstören. – Welche Katzi?«

»Na, eine Katzi eben.«

»In Sophienlust haben wir keine Katzen«, belehrte Heidi den Knirps. »Wir haben Hunde, Barri und Anglos. Ich habe zwei Kaninchen, Schneeweißchen und Rosenrot, und im Wintergarten haben wir einen Papagei und noch zwei kleinere Vögel, aber keine einzige Katze.«

»Das ist wahr. Wir haben keine Katzen«, stimmte Alexandra ihrer blonden Freundin zu, bedachte ihren Bruder mit einem verächtlichen Blick und wiederholte ihre vorhin erhobene Beschuldigung.

»Nein, ich hab nicht geschwindelt!«, rief Andreas den Tränen nahe. »Schwindeln tust aber doch nur du, Alexandra.«

Für einen Augenblick huschte ein betretener Ausdruck über das runde Gesicht der Zwillingsschwester. Alexandra neigte dazu, sich Geschichten auszudenken und diese auch der Umwelt wortreich mitzuteilen. Das hatte ihr wiederholt den Vorwurf eingebracht, es mit der Wahrheit nicht allzu genau zu nehmen. Nach einigen Sekunden hellte sich ihr Gesichtchen wieder auf. »Ich schwindle nie. Ich bin bloß fan – fanta – fantastisch.«

»Du willst sagen, du bist fantasievoll«, verbesserte Vicky Langenbach. Sie war das älteste der auf dem Spielplatz versammelten Kinder. Seit sie das Gymnasium in Maibach besuchte, tat sie die Buddelei im Sandkasten zwar als kindisch ab, konnte aber der Versuchung nicht immer widerstehen. So hatte sie sich heute von den Kleinen breitschlagen lassen, ihnen beim Bau einer Sandburg zu helfen.

»Ja, ich bin fantasievoll«, brüstete sich Alexandra.

Vicky schmunzelte. Die Kinder fuhren damit fort, zu graben, Wälle aufzuwerfen und Mauern, Türme und Zinnen zu formen. Lediglich Andreas hielt sich abseits. »Katzi hat sich versteckt«, murmelte er hin und wieder leise vor sich hin, doch keines der anderen beachtete ihn.

Sie sahen erst auf, als eine fröhliche, weibliche Stimme ihnen zurief: »Hallo, meine Lieben! Unterbrecht euer Spiel … Vesperzeit!«

»Was, so spät ist es schon?«, wunderte sich Vicky.

Heidi ließ ihren Eimer fallen und eilte auf die Kinderschwester zu. »Komm her, Schwester Regine, und schau, wie schön unsere Burg geworden ist«, forderte sie die junge Frau auf.

»Prächtig«, lobte Regine Nielsen das Werk der Kinder. Sie war eine hübsche blonde Frau und den ihr anvertrauten Schützlingen herzlich zugetan. Vor einigen Jahren hatte sie auf tragische Weise ihren Mann und ihre kleine Tochter verloren. Es war schwer für sie gewesen, über diesen Schicksalsschlag hinwegzukommen. Erst in Sophienlust hatte sie eine neue Lebensaufgabe gefunden. Ihre Ausbildung als Krankenschwester erwies sich hier als äußerst wertvoll. Kleinere Wehwehchen konnte sie sofort verarzten, und bei ernsteren Erkrankungen wusste sie bis zum Eintreffen der Kinderärztin die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Da Krankheitsfälle in Sophienlust zum Glück eher selten vorkamen, war sie in erster Linie für die Betreuung und Beaufsichtigung der kleinen, noch nicht schulpflichtigen Kinder zuständig. Ihr fiel sofort auf, dass Andreas mit sich und der Umwelt haderte.

»Hat dich jemand geärgert?«, fragte sie den Kleinen und hob ihn hoch.

»Ja«, antwortete Andreas unumwunden. »Alexandra. Und Heidi.«

»So, was haben sie dir denn getan?«

Andreas suchte nach Worten, um das ihm angetane Unrecht auszudrücken. Er fand keine, daher sagte er bloß: »Alexandra ist dumm. Und Heidi auch.«

»Gar nicht wahr!«, schrien die beiden Mädchen wie aus einem Mund. »Du bist dumm!«

»Streitet nicht«, bat die Kinderschwester. »Erklärt mir lieber, was los ist. Vicky, du bist die Älteste und Vernünftigste. Womit haben Alexandra und Heidi den kleinen Kerl geärgert?«

»Ach, das ist lächerlich. Er hat sich eingebildet, eine Katze gesehen zu haben. Beim Fliederbusch. Natürlich war dort keine.«

»Habt ihr nachgesehen?«, fragte Regine Nielsen, während sie den Jungen sacht zu Boden gleiten ließ.

»Nein. Wozu auch? In Sophienlust gibt es keine Katzen.«

»Hm. Gestern, als ich den Wagen startete, schoss ein schwarzes Ding darunter hervor. Ich habe es nur im Rückspiegel gesehen. Es war blitzschnell verschwunden. Zeit zum Suchen hatte ich jedoch nicht, weil ich nach Maibach zum Zahnarzt musste.«

»Du meinst, dass der schwarze Schatten eine Katze war?«, fragte Heidi.

»Möglich wäre es.«

»Wir müssen sie suchen und einfangen«, rief Heidi und stürzte zu dem Fliederbusch. Die übrigen Kinder folgten augenblicklich ihrem Beispiel, konnten jedoch ebenso wenig wie sie etwas entdecken.

»Ich hatte doch recht«, meinte das kleine blonde Mädchen. »Da ist keine Katze.«

»Wenn wirklich eine da war, haben wir sie durch unser Geschrei vertrieben«, mutmaßte Vicky. »Vielleicht sollten wir den ganzen Park durchsuchen.«

»Nein«, schaltete die Kinderschwester sich ein. »Nicht jetzt. Jetzt wird Kakao getrunken.«

Die größeren Kinder nahmen auch teil, aber sie waren nicht so ganz bei der Sache. Einige von ihnen waren mit den Schulaufgaben nicht fertig geworden und zogen sich nach dem Imbiss ziemlich missmutig wieder in den Aufenthaltsraum zurück. Die Mädchen hatten ihre Schularbeiten zwar flink erledigt, trotzdem schenkten sie dem köstlichen Apfelkuchen kaum Beachtung, sondern tuschelten und flüsterten miteinander.

Heidi wollte von der geheimnisvollen Katze erzählen, doch niemand hörte ihr zu. Schließlich wurde ihr die Gleichgültigkeit der Großen zu dumm. Sie zupfte Irmela Groote an den langen blonden Haaren.

»Au!«, schrie die Gymnasiastin empört auf. »Was fällt dir ein, Heidi? Warum ziehst du mich an den Haaren?«

»Ihr sollt mir zuhören. Andreas hat eine Katze gesehen.«

»Na und? Ich habe schon oft welche gesehen.«

»Andreas hat die Katze beim Spielplatz entdeckt«, erklärte Heidi wichtigtuerisch. Sie verschwieg, dass sie und ihre Spielgefährten den Kleinen der Unwahrheit bezichtigt hatten und fuhr fort: »Als wir die Katze gesucht haben, war sie verschwunden. Schwester Regine hat nicht erlaubt, dass wir sie suchen. Vielleicht muss die arme Katze jetzt verhungern.«

»Viel eher besteht die Gefahr, dass sie die Vogelnester plündert«, brummte Irmela.

»Du meinst, sie frisst die jungen Amseln?«, fragte Heidi entsetzt. »Das wäre ja schrecklich. Wir müssen sie unbedingt einfangen.«

»Wer weiß, ob sie überhaupt existiert«, warf die Kinderschwester beschwichtigend ein. »Vorhin hast du noch daran gezweifelt.«

»Da hab ich nicht gewusst, dass du sie auch gesehen hast. Bitte, Schwester Regine, sag den anderen, dass sie mir helfen sollen.«

»Helfen, die Katze aufzustöbern? Dazu haben sie vielleicht keine Lust. Wahrscheinlich haben sie schon etwas anderes vor.«

»Und ob wir etwas anderes vorhaben«, rief Angelika Langenbach, Vickys ältere Schwester. Dabei zwinkerte sie Angelina Dommin und Irmela Groote verschwörerisch zu.

Dieses Zwinkern weckte Heidis Neugier. »Was habt ihr vor?«, fragte sie.

Angelina setzte zu einer Antwort an, doch Irmela rief rasch dazwischen: »Nein, Pünktchen, erzähl Heidi nichts. Damit würdest du alles verderben. Du kennst Heidi doch. Sie ist eine unverbesserliche Plaudertasche. Ihr kann man kein Geheimnis anvertrauen.«

Heidi war über diesen Angriff so perplex, dass sie erst einmal verdattert schwieg.

Die drei größeren Mädchen steckten neuerlich die Köpfe zusammen, wisperten und kicherten. Schließlich fand auch Heidi ihre Sprache wieder. »Ihr seid heute alle ekelhaft«, platzte sie heraus. »Entweder jammert ihr über eure Schulaufgaben, oder ihr macht euch mit euren Geheimnissen wichtig. Mich interessiert euer Geheimnis überhaupt nicht. Ich kriege es schon noch heraus. Ich werde Tante Isi fragen.«

»So?« Angelina rümpfte ihr Stupsnäschen. Es war mit unzähligen Sommersprossen bedeckt, denen sie ihren Spitznamen Pünktchen zu verdanken hatte. »Das würde ich an deiner Stelle lieber sein lassen. Erstens weiß Tante Isi nichts von unserem Geheimnis, zweitens würdest du sie mit deiner Fragerei aufmerksam machen. Und das wollen wir vermeiden. Unser Geheimnis betrifft nämlich Tante Isi.«

»Tante Isi?«, wiederholte Heidi fragend. Ihre Neugier stieg ins Unerträgliche.

Regine Nielsen, die über das Vorhaben der drei Großen Bescheid wusste, bekam Mitleid mit dem von Neugier geplagten Blondschopf und forderte Irmela auf, Heidi einzuweihen.

»Dann können wir es gleich laut herausposaunen«, seufzte Irmela.

»Aber nein. Heidi verspricht euch, es niemandem weiterzusagen«, meinte die junge Frau.

»Wenn Heidi eingeweiht wird, dann möchte ich auch erfahren, was ihr ausheckt«, meldete sich Vicky zu Wort.

»Da haben wir es«, stöhnte ihre Schwester. »Unser Geheimnis ist keines mehr. Bald kennen es alle.«

»Ihr hättet nicht so auffällig miteinander tuscheln sollen«, sagte Schwester Regine. »Damit habt ihr Heidis Aufmerksamkeit erregt. Doch das ist nicht weiter schlimm. Außer Heidi, Vicky, meiner Wenigkeit und euch Dreien hält sich niemand mehr im Speisesaal auf. Ihr könnt also mit eurem Plan herausrücken. Er wird unter uns Sechsen bleiben.«

»Hm.« Irmela warf der jüngsten Anwesenden einen skeptischen Blick zu.

Pünktchen hingegen rief fröhlich: »Schwester Regine hat recht. Es schadet nichts, wenn wir den zweien davon erzählen. Vicky kann sich sogar an der Arbeit beteiligen.«

Die jüngere der Langenbach-Schwestern wurde hellhörig. »Warum gerade ich? Warum kann sich Heidi nicht beteiligen?«

»Sie ist noch zu klein. Sie kann noch nicht stricken. Wir wollen nämlich für Tante Isi zum Muttertag eine Jacke stricken«, lüftete Pünktchen endlich das Geheimnis. »Wir wollen heute noch die Wolle besorgen. Dürfen wir, Schwester Regine?«

»Gewiss. Allerdings müsst ihr euch beeilen«, erwiderte die junge Frau nach einem kurzen Blick auf ihre Armbanduhr. »Sonst steht ihr vor einer geschlossenen Ladentür.«

»Wir tragen nur noch schnell die Teller und Tassen in die Küche, dann brechen wir auf«, erklärte Irmela.

»Ich will mitgehen«, bettelte Heidi.

»Na schön. Aber Tante Isi darfst du nichts verraten. Sonst sind wir bitterböse auf dich«, drohte Angelika.

»Ich sage bestimmt nichts«, versprach die Kleine.

*

Wenig später marschierten die fünf Mädchen einträchtig dem Ortskern von Wildmoos zu. Es gab dort eine Kirche, ein Polizeirevier, das Rathaus, ein Gasthaus und mehrere Läden. Das Ziel der Kinder war ein Handarbeitsgeschäft, das erst seit knapp einem Jahr bestand. Seit seiner Eröffnung hatte es sich zu einem beliebten Treff handarbeitsbesessener Wildmooserinnen gemausert. Von den Bewohnern des Kinderheims Sophienlust war allerdings noch niemand in dem Laden gewesen. Denise von Schoenecker besorgte Wolle und Garn in der nahe gelegenen Kreisstadt Maibach, auch Schwester Regine und die Heimleiterin Frau Rennert kauften dort ein.

Unterwegs plauderten die Mädchen lebhaft miteinander. Irmela und Pünktchen waren sich nicht einig, welche Farbe sie wählen sollten. Angelika war die Farbe egal, sie war in Sorge, ob das gute Stück bis zum Muttertag fertig werden würde.

»Es bleiben uns nur noch drei Wochen bis dahin«, gab sie ihren Gefährtinnen zu bedenken.

»Zu viert schaffen wir es spielend«, meinte Irmela zuversichtlich.

»Zu viert?«, wiederholte Angelika gedehnt. »Vicky hat uns ihre Mithilfe noch nicht angeboten.«

»Ich mache gern mit«, erklärte die Betroffene. »Aber ihr dürft nicht mit mir schimpfen, wenn ich was verpatze. Ich bin keine geübte Strickerin.«

»Halb so schlimm«, tröstete Pünktchen. »Wir haben ein Modell gewählt, bei dem das Muster nicht kompliziert ist. Wir müssen bloß darauf achten, dass wir weder zu locker noch zu fest stricken.«

»Ich werde mir Mühe geben. Die Jacke soll so schön werden, dass Tante Isi sie oft trägt.« Plötzlich kam Vicky ein komischer Gedanke, und sie brach in ein ungestümes Kichern aus.

»Was gibt es da zu lachen?«, erkundigte sich Pünktchen. »Selbstverständlich soll die Jacke schön werden.«

»Mir ist gerade eingefallen, dass eigentlich Nick und Henrik sie stricken sollten. Schließlich handelt es sich doch um ein Muttertagsgeschenk«, prustete Vicky. »Tante Isi ist ihre Mutti.«

»Ja, schon. Aber sie ist zu uns auch wie eine Mutter«, bemerkte Irmela ernst. Zum Unterschied zu den anderen vier Mädchen war sie keine Vollwaise. Ihre Mutter lebte jedoch in Mumbai. Manchmal vermisste Irmela sie schmerzlich. In solchen Augenblicken tröstete sie sich damit, dass Denise von Schoenecker ihr die Zuneigung und Geborgenheit bot, die sie bei der eigenen Mutter nicht fand.

»Ja, Tante Isi ist wie eine Mutter zu uns«, pflichtete Pünktchen der Freundin bei. »Von Nick und Henrik bekommt sie natürlich auch ein Geschenk.«

»Was für ein Geschenk?«, fiel Heidi dem sommersprossigen Mädchen ins Wort.

»Diesmal bin ich überfragt. Ich weiß es wirklich nicht.«

»Vielleicht stricken Henrik und Nick auch eine Jacke. Und dann hat Tante Isi zwei«, befürchtete Heidi.

Jetzt musste auch Pünktchen kichern. »O nein, Nick ist zwar sehr tüchtig, aber beim Stricken ist er eine Niete.«

»Und Henrik wird keine Sekunde länger still sitzen als unbedingt notwendig«, ergänzte Irmela, auf die Lebhaftigkeit von Denises jüngstem Sohn anspielend.

»Das stimmt«, bestätigte Angelika. »Aber dass ausgerechnet du Nick als Niete bezeichnest, das wundert mich«, versuchte sie, Pünktchen zu necken.

Prompt trat die Wirkung ein. »Ich habe Nick nicht als Niete bezeichnet!«, rief Pünktchen aufbrausend. »Ich habe nur festgestellt, dass er beim Stricken … Ach, du willst mich ja bloß frotzeln«, bremste sie sich selbst und wurde ein wenig rot.

Nick, mit vollem Namen hieß er Dominik von Wellentin-Schoenecker, war für die Vollwaise Angelina Dommin der liebste Mensch auf der ganzen Welt. Sie träumte davon, eines Tages seine Frau zu werden und gemeinsam mit ihm das Kinderheim Sophienlust zu leiten. Bis dahin war es aber noch ein langer Weg. Einstweilen verwaltete Denise von Schoenecker das Erbe ihres noch minderjährigen Sohnes Dominik.

»Da ist der Laden«, machte Pünktchen ihre Begleiterinnen aufmerksam.

»Nichts wie hinein«, rief Angelika unternehmungslustig. Im Gegensatz zu ihrer Schwester fertigte sie gerne Handarbeiten an und zeigte sich darin sehr geschickt.

Hintereinander betraten die fünf Mädchen das Geschäft. Die junge Frau hinter dem Ladentisch blickte ihnen leicht verwundert entgegen. Ein kleines Mädchen hingegen, welches auf einem geflochtenen Kinderstuhl saß und in einem Märchenbuch blätterte, sprang erfreut auf und erwiderte mit leuchtenden Augen das etwas schüchterne »Guten Tag« der späten Kundinnen.

Irmela als die Älteste ergriff das Wort. »Wir wollen eine Jacke stricken«, vertraute sie der Ladenbesitzerin an. »In Rot.«

»Nein, nicht rot«, widersprach Pünktchen. »Rot ist viel zu grell. Blau ist schöner.«

»Das findest du, weil du blond bist. Dunkelhaarigen steht rot besser«, behauptete Angelika.

»Ich bin für grün«, meldete sich Vicky zu Wort. »Die Wolle dort, die ist schön.« Sie deutete auf ein Fach, in dem sich giftgrüne Garnknäuel befanden.

»Bist du wahnsinnig?«, stöhnte Pünktchen. »Das ist ein scheußlicher Ton. Dort, das Blau, das ist viel hübscher.«

»Das ist nicht blau, sondern grau«, urteilte Irmela abfällig. »Diese Farbe passt eher zu einer älteren Dame, kommt also für uns nicht infrage.«

»Ich bin für gelb«, piepste Heidi, ohne dass jemand sie gefragt hätte.

»Ja, gelb, das wäre vielleicht nicht einmal so schlecht«, pflichteten die anderen ihr zögernd bei.

»Ich werde euch mal zeigen, was ich da habe«, meinte Margarete Kainz. Sie hatte dem Disput ihrer Kundinnen mit einem amüsierten Lächeln zugehört und legte nun eine Auswahl von Knäuel in verschiedenen Schattierungen auf den Ladentisch.

»Das nehmen wir«, entschied Heidi und zeigte auf ein zitronenfarbenes dünnes Baumwollgarn.

»Sei nicht so vorlaut«, rügte Irmela. »Du kannst ja nicht mal stricken. Überlass die Entscheidung also gefälligst uns. Dieses Garn ist indiskutabel, es ist viel zu dünn. Damit würden wir nie bis zum Muttertag fertig werden.«

»Ah, die Jacke soll für eure Mutter sein«, meinte die Ladeninhaberin. »Seid ihr alle Geschwister?«

»Nein, sind wir nicht«, widersprach Heidi. »Bloß Angelika und Vicky, die sind Schwestern. Die Jacke ist auch nicht für unsere Mutti, es soll eine Überraschung für Tante Isi werden. Wir sind nämlich aus Sophienlust. Tante Isi verwaltet uns.«

»Oh, Heidi, musst du so geschwätzig sein?«, stöhnte Irmela. »Tante Isi verwaltet nicht uns, sondern Sophienlust. Das ist ein Kinderheim«, fügte sie an die junge Frau gerichtet erklärend hinzu.

»Ich kenne Sophienlust«, rief das kleine Mädchen. Es hatte die Kundinnen die ganze Zeit über voll Interesse gemustert. »Wenn ich mit meiner Mutti spazieren gehe, bleibe ich immer vor dem Tor stehen und gucke in euren Park. Ihr habt es schön. Ihr habt eine Schaukel, einen Sandkasten und einen großen wuscheligen Hund.«

»Du meinst wahrscheinlich Barri. Wir haben noch viel mehr«, brüstete sich Heidi. »Du müsstest einmal zu uns kommen und dir alles anschauen.«

»Ich komme gern«, erwiderte das Mädchen eifrig. Es war ein bisschen größer als Heidi, hatte langes honigblondes Haar, ein rundes Gesicht und wissbegierige graue Augen. »Wann darf ich kommen?«

»Immer«, antwortete Heidi großzügig.

»Gut, dann komme ich gleich morgen.«

»Das geht nicht, Franziska«, schaltete sich die junge Frau ein.

»Warum nicht, Tante Gretl? Das Kind da«, sie wies mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Heidi, »hat mich doch eingeladen und gesagt, dass ich immer kommen darf.«

»Erstens muss so eine Einladung von einem Erwachsenen ausgehen, und zweitens haben weder deine Mutti noch ich Zeit, dich morgen nach Sophienlust zu begleiten.«

»Nie habt ihr für mich Zeit«, maulte Franziska. »Aber für Onkel Ulrich hast du immer Zeit, und Mutti für Onkel Hartmut. Ich wette, Mutti ist heute gar nicht zum Zahnarzt gegangen. Sie ist sicher mit Onkel Hartmut zusammen.«

Margarete überging diese Bemerkung und wandte sich den größeren Mädchen zu.

»Habt ihr schon gewählt?«, erkundigte sie sich freundlich.

»Wir sind noch unentschlossen«, seufzte Pünktchen. »Unser Geschenk soll Frau von Schoenecker gefallen. Außerdem soll sie es auch brauchen können. Zu dumm, dass wir Tante Isi noch nie nach ihrer Lieblingsfarbe gefragt haben. Es ist ärgerlich, dass wir das versäumt haben.«

»Ich glaube, Tante Isi hat keine spezielle Lieblingsfarbe«, meinte Vicky. »Sie hat einmal gesagt, dass sie alle Farben gernhat. Nur schwarz mag sie nicht besonders.«

»Schade, dass ich die Dame nicht kenne«, bedauerte Margarete, »sonst könnte ich euch besser beraten. Hier hätte ich ein zartes Violett. Eine besonders gute Qualität, weich und flauschig und gut zu verstricken.«

»Ja, das ist eine schöne Wolle«, rief Angelika zustimmend und griff nach dem Knäuel, den die junge Frau ihr hinhielt.

»Dieser zarte Ton passt besonders gut zu Frauen mit einem rosigen Teint«, fuhr die Ladeninhaberin fort.

Die Mädchen sahen einander nachdenklich an. »Hat Tante Isi einen rosigen Teint?«, überlegte Pünktchen laut.

»Rosig? Eigentlich nicht«, fand Irmela. »Sie wird schnell braun. Beneidenswert braun. Sie hat dunkle Haare und dunkle Augen.«

»Dann würde ich euch doch eher zu gelb raten«, meinte Margarete.

»Hm.« Pünktchen ließ nochmals ihren Blick über die vollen Regale schweifen.