Ikarus im Schleudergang - Nicole Diercks - E-Book

Ikarus im Schleudergang E-Book

Nicole Diercks

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Beschreibung

Nicole Diercks wurde 1967 in Hamburg geboren und arbeitet als selbstständige Erfolgs-Beraterin und Provokationstherapeutin an der Nordsee. Parallel betreut sie Opfer aus Beziehungen mit Cluster-B-Gestörten, und betreibt darüber eine weit gefächerte Aufklärung über Bücher, Vorträge und einen Youtube-Kanal. https://www.youtube.com/channel/UC294n63zf1jPjBMtTqn57WQ https://www.facebook.com/nicole.diercks.921

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Ikarus im Schleudergang

Ikarus im SchleudergangWas ist Hochbegabung?Äthiologie der HochbegabungDiagnose der HochbegabugADHS HochsensibilitätHochbegabungPopuläre Irrtümer über HochbegabungHochbegabung und MoralHochbegabte in der PartnerschaftWechsel- und Reizfälle des LebensGute Ratschläge?!Abbruch!?UnterforderungAlltagBerufRaus aus der Ver(w)irrung?!Falsche PassungDie Entdeckung des UnentdecktenMultitalente und ScannerHochbegabung und AngstImpressum

Ikarus im Schleudergang

Was ist Hochbegabung?

In meinem Leben habe ich unvorstellbar viele Katastrophen erlitten!

Die meisten davon sind nie eingetreten …

Mark Twain

Kein Problem kann mit der gleichen Denkweise gelöst werden, mit der es geschaffen wurde.

Albert Einstein

Und so hoffe ich, dass Sie die Natur akzeptieren können, wie sie ist – absurd.

Richard P. Feynman 

Ein kleiner Schwenk zur Namensgebung dieses Buches:

Ikarus und sein Vater Dädalus wurden zur Strafe im Labyrinth des Minotaurus auf Kreta  gefangen gehalten. Das alleine war da schon nicht ganz so pfiffig gelaufen, denn Dädalus hatte Ikarus beim Bescheißen für einen Test im Labyrinth geholfen - und war erwischt worden. Er befestigte zu Fluchtzwecken Federn mit Wachs an Gestängen, und schärfte Ikarus ein, nicht zu hoch - wegen der Hitze der Sonne - und nicht zu tief - wegen der Feuchte des Meeres - zu fliegen, um nicht abzustürzen. Doch Ikarus wurde übermütig, hatte wahrscheinlich im Höhenrausch schon wieder alles vergessen, und stieg so hoch hinauf, dass die Sonne das Wachs seiner Flügel schmolz, er ins Meer stürzte, und ertrank … Das klingt vordergründig jetzt nicht sehr hochbegabt, vermutlich hatte die Begabung bei ihm keine Vererbung gezeigt … Sein Vater wird wohl hochbegabt gewesen sein, wenn man sich diese Erfindung und die Betriebsanleitung mal anschaut ... Möglicherweise war er aber ein Autist, denn ihm fehlte ganz offensichtlich die soziale Intelligenz, um abzubilden, dass sein Sohn ein echter Döskopp war! Es stellte sich außerdem die Frage, warum er nicht sicherheitshalber vorausflog, sondern wie ein moderner Vater auf dem Fahrrad, hinter seinem geistfreien Sprössling her flatterte …?! Ja, Dummheit zahlte sich schon damals nicht aus … Andererseits ist Ikarus das perfekte Beispiel für einen Katalog-Hochbegabten: Unaufmerksam, vergesslich, in Ekstase, immer in Gefahr abzustürzen, wenn er die Mitte nicht trifft - und ständig in der Not, genau das eben nicht zu können …!

Es ist nicht ganz so einfach ein Buch über Hochbegabung zu schreiben, denn alleine schon der Begriff kann in Deutschland gar nicht eindeutig definiert werden! Es existieren unzählige Begriffserklärungen in der Fachliteratur, und einer widerspricht dem anderen ... Man ist sich nur einig: „Hochbegabung ist eine weit über dem Durchschnitt liegende intellektuelle Begabung“ und „Bei Hochbegabung handelt es sich um eine komplexe Konstellation von Verhaltensweisen, die auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck kommen können“. Nur herrscht leider große Uneinigkeit darüber, welche Verhaltensweisen das eigentlich genau sind?! Man darf nun ja nicht vergessen: Auch Gewalttäter und Tyrannen sind oft hochbegabt! Aber auffällig viele Hochbegabte haben einen Hang zu Altruismus, Idealen, hohen Werten, Idealismus, und auch zu einer Form von Sozialismus, und existenziellen Fragen. Hochbegabung ist zwar geistiger Adel, verspricht aber nicht immer auch einen lauterbaren Charakter!

Häufig wird daher immer noch für die Feststellung einer Hochbegabung der Intelligenzquotient (IQ) durch einen rein logisch gelagerten Test bestimmt. IQ-Werte über 130 werden dabei generell als Hochbegabung angesehen, dies  trifft mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei bis drei Prozent auf die Weltbevölkerung zu. IQ-Werte über 145 gelten als Höchstbegabung, und betrifft einen von Tausend. Sogar über IQ 160 kann man haben, dann ist man ein Genie. Der IQ-Wert allein ist leider für die Diagnose nicht besonders aussagekräftig. Hochbegabung bedeutet nämlich überdurchschnittliche Fähigkeiten auf einem oder mehrerer Gebiete, und zudem eine sehr hohe Motivation, Kreativität und Begeisterungsfähigkeit zu besitzen. Außerdem auch höchste Sensibilität für zwischenmenschliche Prozesse, Gefühlslagen, Zwischentöne oder Stimmungen. Hochbegabung, und die damit verbundenen intellektuellen und sozial-emotionalen Merkmale, zeigen sich in allen Lebensbereichen, und stellen mannigfaltige Ressourcen dar. Wer hochbegabt ist, ist es zumeist nicht nur in einem Teilbereich. Jürgen vom Scheidt schätzt den Anteil derjenigen, die ihre Möglichkeiten tatsächlich ausschöpfen und leben können, jedoch nur auf ein Drittel! Er rät daher zu Talent, Begabung und Kreativität zu stehen, und ermuntert dazu - auch wenn das von der Umwelt weiß Gott nicht immer anerkannt oder gar honoriert und bejubelt wird. Ganz im Gegenteil wahrscheinlich oft: nämlich mit Unverständnis, Ablehnung, Neid oder Feindseligkeit. Hochbegabung hat in Deutschland ein extrem schlechtes Standing, obwohl in der Wissenschaft hartnäckig behauptet wird, sie sei gesellschaftlich und sozial ach-so-hoch angesehen. Solange die Genies auf einem Podium stehen, findet man sie wohl zumeist echt interessant. Sobald sie jedoch mit spitzen Fingern am eigenen Frühstückstisch, mit hochgezogenen Augenbrauen, ein mal wieder zu hart gekochtes Ei abpellen, schon weniger. Schon möglich dass man über dem Tisch den Intelligenzbestien hudelt, unter dem Tisch hingegen wird „solchen Leuten“ noch bestenfalls mit gemischten Gefühlen gegenübergetreten, da man sich in Deutschland immerzu bewertet, und sich dazu dann eben praktikabler Weise vergleicht … ganz menschlich! Und wer bitte will schon neben einem Genie stehen und sich dann, mit seiner durchaus gut entwickelten Intelligenz, wie ein ausgemachter Trottel fühlen?! Das ist das gleiche falsch-negative Gefühl, das eine normal große, normal gebaute Frau neben einem klapprigen, kleinen Skelettmann kriegt: einfach nur fett!

Es ist aber mittlerweile angekommen, dass gesellschaftlicher, technischer, wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt im Wesentlichen auf den Beiträgen sogenannter „leistungsexzellenter Personen“ zurückführbar ist. Auch darum ist Hochbegabtenforschung heute gleichermaßen eine Grundlagenwissenschaft, als auch angewandte Wissenschaft. Natürlich will man diese im Volk schlummernden Potenziale weidlich austrinken! Die Geschichte, bis es soweit war, ist allerdings so lang wie auch holprig. Früher sah man Begabung als entkoppelt vom Individuum, nämlich als „von Gott verliehen“ und ähnlich dem Gottgnadentum des Pharaos: Die Begabung war völlig von der Person entkoppelt - er hatte sie eben, um damit Gutes zu tun. Erst im 4. Jahrhundert begann der lateinische Sprachraum Begabungen an die Person zu knüpfen, im mittel- und nordeuropäischen Sprachraum fing man damit langsam erst im 15. Jahrhundert an. Im 16. Jahrhundert verhalf dann der Protestantismus zu einer Neubewertung von Leistungen, indem er sie klar an die Person koppelte. Dies wurde in der Renaissance durch den Gedanken „der sinnvollen Nutzung von Begabungen“ gefördert und ergänzt. Hier tauchte das erste Mal der Begriff „Talent“ auf, was als geistige Anlage gesehen wurde, die eine Person auch zur Erreichung eigener Ziele verwenden konnte. Während der folgenden Aufklärung wurde logisches, kritisches und gutes Denken dann sogar zu einer Tugend erhoben. Der Begriff des „Genies“ kam auf und wurde mit „Bildungsideal“ gleichgesetzt. In der Romantik ging dann sogar ein wahrer Geniekult los, der das Genie als eine dem normalen Verständnis entzogene Entität aufputschte. Albert Ziegler: „Von einem Begriff, wie dem der Begabung, dessen Bedeutungsentwicklung eine lange Geschichte hat und der sich aus vielen Wurzeln speist, ist kaum zu erwarten, dass er einheitlich verwendet wird. In der Tat ist seine Semantik im deutschsprachigen Raum zwar nicht ohne erkennbare Konturen, aber dennoch recht diffus. … Unglücklicherweise herrscht in der Wissenschaft, wenn über Begabung und Hochbegabung gesprochen wird, ein nahezu babylonisches Sprachgewirr. Es wurden bereits über 100 verschiedene Definitionen zur „Hochbegabung“ zusammengetragen.“ Es gibt alleine fünf Kriterien, die erfüllt werden müssen: Exzellenz, Seltenheit, Produktivität, Beweisbarkeit, Wert. Und vier Definitionen: Psychometrisch, Performanz, Etikettierung, Spezifikation. Wer das alles abhakt, ist dann wohl wahrscheinlich einer unter 100.000. Kurz: Es herrscht das Chaos, und wer sich mit einer Diagnose betiteln will, sollte besser mal selber Hand anlegen …

Der amerikanischer Intelligenzforscher Howard Gardner unterschied schon in den achtziger Jahren neun verschiedene Formen der Intelligenz, die nicht voneinander abhängen, und die er als „multiple Intelligenz“ beschrieb. Davon bestehen alleine schon sechs Intelligenzbereiche, die die Welt bislang völlig ignoriert hatte: 

Intrapersonell

Körperlich-kinesthetisch

Musikalisch-rhythmisc

h = Musizieren, Komponieren, Rhythmus, Zwischentöne, Gehör.

Verbal-linguistisch

Logisch-mathematisch

Naturalistisch

Visuell-räumlich

Existenziell

Die Autorin und Coach Anne Heintze behauptet noch zwei weitere Intelligenzformen gefunden zu haben:

Das Konzept der multiplen Intelligenzen ist wissenschaftlich noch nicht abgesegnet. Allerdings ist es heute möglich, einen „allgemeinen Intelligenzfaktor“, den „g-Faktor“, zu bestimmen, der Auskunft über das intellektuelle Potenzial einer Person gibt. 

Eines der vielen umlaufenden Begabungsmodelle, bei denen zumeist fälschlich Hochbegabung mit Hochleistung gleichgesetzt wird, ist das „Drei-Ringe-Konzept“ nach Joseph Renzulli. Hohes Leistungsverhalten ist somit das Ergebnis von drei ineinander fließenden Faktoren: überdurchschnittliche Fähigkeiten, Kreativität, Motivation und Aufgabenverbundenheit.

Dieses Modell, wurde erweitert durch das „Triadische Interdependenzmodell“ von Franz-Josef Mönks (1992), der als wichtigen Faktor zur Herausbildung einer Hochbegabung das soziale Umfeld, insbesondere Familie, Freunde und Schule, hinzufügte.

Das differenziertere Modell zur Beschreibung ist das „Begabungs- und Talentmodell“ nach Francois Gagné: Aus vorhandenen Begabungen entstehen durch Lernen, Übung und Praxis, von ökopsychologischen (Personen, Regionen, Interventionen, Ereignisse, Zufälle) und intrapersonalen Katalysatoren (Persönlichkeit, Anlagen, Motivation) begleitet und beeinflusst, Talente, in denen sich die Hochbegabung äußert. Solche Modelle sind sogenannte Faktoren-Modelle, die einen Zusammenhang zwischen verschiedenen Einflüssen herzustellen versuchen.

Auch das „Münchener Hochbegabungsmodell“ von Heller und Hany (2000) ist sehr differenziert, und unterscheidet verschiedene Begabungsformen bzw. Leistungsbereiche. Hier entwickeln sich Potentiale zu Leistungen (Begabung und Talent), was durch verschiedene Faktoren beeinflusst wird, die als Moderatoren bezeichnet werden, wozu insbesondere auch die Lernumgebung zählt. Dieses Modell gilt als besonders übersichtlich, und spiegelt akkurat den aktuellen Stand der Forschung wider, da es auch moderne Intelligenzmodelle berücksichtigt.

„Kognitive Modelle“ stellen die Informationsverarbeitung in den Vordergrund, die für Kritiker nicht ausreichend in den andern Modellen gewürdigt wird. Insbesondere die Fähigkeiten, die aufgewendet werden müssen, neue Informationen aufzunehmen und zu verstehen, werden hier mitbeleuchtet. Wenn man darüber nachdenkt, kommt man auf mindestens drei Persönlichkeitsmerkmale, die hier immer ganz verschieden miteinander korrelieren: Intelligenz, Begabung, Kreativität. Kritiker des eindimensionalen IQ-Test-Systems bezeichnen eine so gemessene Hochbegabung als einen falsch-künstlichen Konstrukt. Denn es reduziere die intellektuelle Befähigung auf einen eindimensionalen Zahlenwert, der willkürlich gemessen werden könne. Sie fordern intelligentere, multiplere, dynamischere, weiter gefassten und beweglichere Konzepte, die alle messbaren Leistungen als Grundlage anerkennen müssen. Die Fähigkeit zu vernetzten Denken, genauso wie das Talent zur  Kreativität, ließe sich nämlich so einfach nicht messen. Ferner wird befürchtet, dass Intelligenztests Mittelschichtkinder bevorzugen, da die Intelligenzforscher in aller Regel selbst Personen aus der Mittelschicht sind. Ein Fall für den Rosenthal-Effekt: Resultate werden durch positive Erwartungen, Einstellungen, Überzeugungen, sowie positive Stereotype im Sinne der Annahmen verfälscht ... Wir werden hier also auch ein paar schicke Checklisten haben, die aber immer mit Vorsicht zu genießen sind, denn bei etwas so mechanistischem wie Checklisten, besteht leider die menschliche Schwäche Übereinstimmungen zu überbewerten, und Abweichungen einfach zu ignorieren …!

Äthiologie der Hochbegabung

Es gibt immer noch keinen Konsens in Forschung und Lehre über die genauen Ursachen von Hochbegabung. Als wahrscheinlichste Ursache gilt die übliche „Wir-wissen-es-nicht-!-Kombination“ aus sozialem Umfeld, biologischen und genetischen Faktoren. Das „triadische Interdependenzmodell“ (Franz-Josef Mönks, 1994) benennt als die wichtigsten Faktoren zur Herausbildung einer Hochbegabung: Das soziale Umfeld, die Familie, Freunde, Schule, und persönliche Eigenschaften wie: Motivation, Kreativität, und gegebene intellektuelle Fähigkeiten. Womit wir uns ja dann fast wieder im „Drei-Ringe-Modell“ wiederfinden ... Erst wenn das alles zusammenträfe, würde eine Hochbegabung wahrscheinlich - sagt man. Der Blick in die Gene bringt uns auch nicht wirklich weiter: Genvarianten und Erblichkeits-Schätzungen für Intelligenz variieren von Studie zu Studie, außerdem wissen wir gar nicht, wonach wir überhaupt genau suchen sollen?! Bekannt ist: Kinder älterer Mütter haben häufig einen hohen Spiegel des Wachstumshormons IGF-1, und sind somit tendenziell auch intelligenter - hochbegabt sind sie damit aber immer noch nicht. Interessant ist: Einige dieser gefundenen Schlaubi-Gene zeigen leider auch einen Zusammenhang mit der Schizophrenie! Der genaue Zusammenhang ist aber auch hier nicht geklärt, wir wissen es also nicht. Generell tritt Schizophrenie bei Menschen mit überdurchschnittlicher Intelligenz nämlich eher selten auf, es gibt dafür aber ein höheres Ranking auf der Autismus-Skala. Bei Menschen hingegen mit unterdurchschnittlicher Intelligenz, besteht seltsamerweise scheinbar ein erhöhtes Risiko dafür an Schizophrenie zu erkranken. Das gleiche gilt aber auch wieder für insbesondere mathematisch hochbegabte Menschen und ihre Familien. Was wir wissen bringt uns also nicht nur nicht weiter, sondern verwirrt uns immer weiter!

Obwohl der Mittelwert von Frauen und Männern gleich ist, zeigen sich bei Männern sowohl mehr Hochbegabte, als auch mehr Minderbegabte, die Streuung der gesamten Intelligenz bei Männern ist im Durchschnitt also breiter. Obwohl Hochbegabung bei Frauen und Männern gleichermaßen zu finden ist, wird sie bei Frauen aber dennoch seltener erkannt. Es kann an dem Vorurteil liegen, dass man Frauen zunächst als nur als „Frau“ oder oft genug nur als „Objekt“ wahrnimmt, und nicht als Menschen, mit einem auch überragenden Geist. Intelligenz und Weiblichkeit scheinen immer noch nicht zusammen passen, im Gegensatz zu Intelligenz und Männlichkeit! Das liegt aber auch mit an der üblen Presse, die Männer klugen Frauen verpassen: unsexy, emanzipiert, und einfach zum Abgewöhnen! Und sie leben das auch so, denn Männer halten tendenziell lebenslang ihr flaches Anspruchsniveau aufrecht: jung, nett, verständnisvoll, gesund, sexy - und natürlich attraktiv soll sie sein! Intelligenz bei einer Frau ist solange nebensächlich, wie sie die Seine nicht in Frage stellt! Und bei dem Bisschen, was da teilweise dann tätig am Lager liegt, geht das ja ganz schnell … Ein bisschen doof ist ja auch ganz niedlich, finden Männer selbst heute immer noch. Akademikerinnen und intellektuelle Frauen über 40 Jahre sind auf dem Beziehungsmarkt Regalkletten, und gelten neben Männern mit Hartz4 als schwer, bis gar nicht mehr vermittelbar.

Dieses Buch wendet sich an unerkannte hochbegabte Erwachsene. Die Stoffmassen über hochbegabte Kinder im Internet sind mittlerweile immens, und werden uns hier nicht berühren, auch deshalb nicht, weil wir den Zeitpunkt der Entdeckung ja nun leider seit ein paar Jahrzehnten verpasst haben! Vielleicht ist es interessant einmal zu überprüfen, ob unsere Hochbegabung sich tatsächlich schon charakteristisch im Kindheitsalter gezeigt hat, was sie, wenn sie wirklich vorliegt zwingend tat! Viele von uns wurden aber nicht nur nicht gefördert, sondern auch noch gemobbt, weil sie zu laut, lebendig, neugierig, fordernd, frühreif, altklug, oppositionell, unruhig - sprich einfach zu fordernd und anstrengend waren! Wer vor 1980 geboren wurde, und dazu noch eine Frau ist, wurde zumeist nicht erkannt, es sei denn er war ein Schach-Champion. Da diese Pfifferlinge oft also irgendwie nicht reinpassten oder verstanden wurden, kaum echte Resonanz hatten, fanden sie dann auch irgendwann, dass mit ihnen wohl irgendwas nicht stimmte?! Kinder können nur wissen, was man ihnen beibringt, aber die meisten erwachsenen Hochbegabten wissen trotz geistiger Freiheit heute nicht, dass sie hochbegabt sind! Viele reagieren dann auf diesen Verdacht außerdem verunsichert, misstrauisch, sogar aggressiv, mit Abwehr und sehr aufgewühlt. Das liegt auch daran, dass die Diagnose nicht ganz so einfach ist, und wir beschäftigen uns hier noch ausgiebig mit diesen Problemen! Wer es hingegen akzeptieren kann, auch wenn scheinbar etwas dagegen spricht, findet häufig zum ersten Mal eine mögliche Erklärung für sein Anderssein. Außerdem stellt er erleichtert fest, dass er sich in Bezug auf seine biographischen Erfahrungsmuster mit anderen Betroffenen auffallend ähnelt …?! Das Empfinden, anders zu sein, von anderen nicht verstanden oder akzeptiert zu sein, auch immer wieder ausgebremst zu werden, und sogar abgelehnt, wird von vielen Hochbegabten beschrieben - und führt so auch oft zu großem Leidensdruck. Anhaltende Erfolglosigkeit, Beziehungs- und Lebenskrisen, Brüche in der Biografie, depressive Zustände,  Ängste, Sinnsuche, Selbstvertrauensmängel, Identitätsverlust, und sogar Suchterkrankungen sind hier keine Seltenheit ...

Man sagt: „Intelligenz ist die Fähigkeit, durch Nachdenken Problemlösungen zu finden“. Menschen reagieren auf dieselbe Situation innerlich und äußerlich nämlich völlig unterschiedlich, und die Parameter dazu sind:

Art und Ausmaß der Intelligenz

Art und Ausmaß des Vorstellungsvermögens

Körperliche und psychische Gesundheit

Belastbarkeit und Reaktionsfähigkeit

Ängste

Glaubenssätze und Werte

Grundstimmung und Hoffnungen

Kulturelle Prägungen

Vorwissen

Entwicklungsstand

Erfahrungen und Autobiografie

Von der Hochbegabung abzugrenzen ist dazu außerdem auch noch der Begriff der „Hochleister“ - das sind partiell Begabte, Inselbegabte, und Teil(leistungs)begabte. Als Inselbegabung, Savant-Syndrom oder Teilleistungsstärke bezeichnet man das Phänomen, dass außergewöhnliche Leistungen in kleinen Teilbereichen entstehen können. Doch die Betroffenen leiden dann auch zumeist parallel an einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung oder sonstigen Einschränkung, wie der Autismus Spektrumsstörung oder dem Asperger Austismus, was sie dann nur sozial eingeschränkt handlungsfähig macht. Wenn man diese Menschen als hochbegabt mit einrechnet, schießt der Pegel wohl auf ca. 10% hoch ...

Filme wie „Rainman“ (Autismus), „A beautiful mind“ (schizophrene Psychosen) und Monk (Autismus mit Zwangsstörungen), nähren den völlig falschen Eindruck, dass Hochbegabung nur immer mit spektakulären und genialen Ausfällen zu tun hat - und zumeist einen liebenswerten und charismatischen Bekloppten als Akteur besitzt! Also das Märchen von der Schönen und dem Biest, vom Genie und Wahnsinn. Das liegt insbesondere daran, dass sich solche Machwerke stets auf den kleinsten, gerade noch von der Öffentlichkeit erfassbaren, Nenner stützen, und das ist in diesem Fall die sogenannte Inselbegabung, das Savant-Syndrom. Sie bezeichnet das Phänomen, dass sehr spezielle und außergewöhnliche Leistungen mühelos in kleinen Teilbereichen vollbracht werden können, obwohl ansonsten ein großes Handicap in Form, einer geistigen, fast immer auch sozialen, Behinderung vorliegt. 50 Prozent der bekannten Inselbegabten sind Autisten, und sechs von sieben sind dabei männlichen Geschlechts.

Das Problem bei der Diagnose liegt auch mit darin, dass wenn man oft immer nur die halbe Geschichte anguckt, man natürlich dann auch immer nur zu halben Ergebnissen kommt! Beim FBI spricht man hierbei von „NiNo“: Nothing in - Nothing out! Also kurz: Wenn man in eine Analyse falsche und unvollständige Daten eingibt, kommen falsche und unvollständige Ergebnisse dabei heraus! Surpise. Wenn wir die Hochbegabung also mal anständig durchleuchten wollen, müssen wir die Sache ganz anders anpacken, denn die kommt in aller Regel nämlich nie alleine daher! Hochbegabung bewirkt nicht nur ein schnelleres, präziseres, tieferes, besseres, ganzheitlicheres, vernetzteres Denken, sondern korreliert auch mit ganz typischen „Traits“, was man mit einer Art „Charaktereigenschaften“ gleichsetzen könnte. Viele dieser Traits ähneln auffallender Weise den Eigenschaften, die häufig bei Menschen mit AD(H)S (Aufmerksamkeits Defizit Hyperaktivitäts Syndrom) und HSP (Hoch Sensible Person) beobachtet werden! Tatsächlich kann man, zumindest als Betroffener aller drei Syndrome, nicht einwandfrei, und unter Eid, unterscheiden was hier Huhn, was hier Ei, was ADHS, was HSP, und was Hochbegabung ist! Es steht bei den Kritikern die sehr laute, und meiner persönliche Meinung nach auch sehr richtige, Vermutung im Raum, dass die beeindruckende Übereinstimmung der ganzen Traits eben genau daraus resultiert, dass Hochsensibilität nahezu immer, und AD(H)S sehr häufig mit Hochbegabung korreliert! Dazu muss man allerdings feststellen: 

Nicht jeder mit ADHS ist hochsensibel!

Nicht jeder Hochsensible ist hochbegabt!

Aber alle Hochbegabten sind hochsensibel!

Und der Großteil von ihnen hat dazu auch noch ADHS!

Es ist sogar noch schlimmer: Man nimmt sogar an, dass es sich um Traits handelt, die nicht aus der AD(H)S oder der Hochbegabung selbst resultieren, sondern die ihre eigentliche Wurzel scheinbar hauptsächlich in der Hochsensibilität haben. Und wer hier jetzt einsteigt, wird sofort feststellen, dass Hochbegabung und Hochsensibilität sich nicht nur massiv ähneln, sondern streckenweise auch ein- und dasselbe zu sein scheinen. Vorsicht aber bitte jetzt beim gemütlichen Verallgemeinern: Die Hochsensibilität allein macht noch nicht hochintelligent, aber sie öffnet der Hochbegabung die Tür! Und nun schauen wir doch mal in die Gehirne rein: Bei Hochbegabten ist der Hippocampus „günstiger“ eingestellt, das heißt, dieser speichert Informationen, die erst später der Großhirnrinde (Kortex) zur Langzeitspeicherung übermittelt werden. Die Rezeptionsmöglichkeit für elektrische Signale auf den Synapsen bleibt, aufgrund bestimmter chemischer Verhältnisse, länger offen. Es liegen messbare Veränderungen im linken und mittleren präfrontalen Kortex vor: Je dramatischer die Entwicklungsverzögerung der Veränderungen, desto höher ist der IQ. Die verzögerte Kortex-Reduktion bei intelligenten Kindern gibt dem Gehirn mehr Gelegenheit, Schaltungen für hoch entwickeltes Denken auszubilden. Die rasche Reduktion der Hirnrinde könnte auf den Abbau nicht benutzter neuronaler Verbindungen zurückzuführen sein, hat also mit ökonomischer Selbst-Organisation zu tun. Parallel nimm die graue Substanz zu, was auch wieder der Selbstorganisation geschuldet ist, weil mehr Platz besetzt wird durch Gliazellen (Stützgerüst für die Nervenzellen, Stoff- und Flüssigkeitstransport), und Haargefäße. Diese befriedigen die gesteigerte Energieansprüche der faktisch vermehrten Synapsen. Einige Regionen in der vorderen Hirnrinde sind bei Genies ungewöhnlich dicht gepackt, was zu einer höheren Effizienz führen kann. Hochbegabte haben ein gut ausgeprägtes Frontalhirn, dieses erzeugt hohe Arbeitsgedächtniskapazität, also auch die Fähigkeit, schnell und effizient zu lernen.

Hochbegabte müssen ihr präfrontales Gehirn bei leichten bis mittelschweren Denkaufgaben weniger aktivieren, was ihnen mehr Energiereserven für schwierige Aufgaben lässt. Es gibt Belege für eine höhere Funktionalität der rechten Hirnhälfte, und damit für einen effizienteren inter-hemisphärischen Informationsaustausch. Man fand in mehreren Studien Hinweise auf eine weniger chaotische und geringere neuronale und mentale Aktivität (= höhere „Alpha-Power“) während der Bearbeitung von Aufgaben. Auch Lateralisations-Muster zugunsten einer verstärkten Aktivierung der rechten Hemisphäre, konnte man schon feststellen.

Hochbegabte automatisieren nachgewiesenermaßen ihre Denkleistung und nutzen ihr Gehirn dadurch effizienter. Normalbegabte arbeiten einzelne Denkschritte im frontalen Kortex ab, das heißt auch, sie picken Informationen einzeln, wie ein Huhn die Körner auf. Hochbegabte hingegen clustern Informationen, saugen sie also wie ein Staubsauger an, und lagern diese automatisiert in den Hinterhirn-Kortex aus: Sie denken also einfach effizienter! Wo Normalsterbliche nur 6-8 „Chunks“, also Plätze zum Aufbewahren von Kurzspeicher-Informationen haben, bundeln Hochbegabte Informationen und haben dadurch mehr „Platz“ im Gehirn. Eine seitliche Region der Großhirnrinde, ist bei Mathematikern übermäßig stark entwickelt. Die Größe des Gehirns ist übrigens doch nicht nicht ausschlaggebend für seine Brillanz, das wäre ein so schönes Modell gewesen. Einsteins Gehirn zum Beispiel war nur 1.230 Gramm schwer, im Vergleich zu einem Normalgehirn von ca. 1.400 Gramm. Und noch was kurz nebenbei: Nein, Albert war kein schlechter Schüler, und er ist auch niemals sitzengeblieben, und schon gar nicht zweimal - den ganzen Schmarrn hat Dorothea Karus, eine Bekannte Einsteins erfunden, um sich wichtig zu tun! Einstein war ein hervorragender Schüler, und vor allem in Mathematik und Physik überragend. Angeblich wimmelte sein Zeugnis nur so von „Fünfen“ und „Sechsen“, und das stimmt - allerdings war die „Sechs“ damals die beste Note! Bekannt ist, dass er das Gymnasium 1894 tatsächlich ohne Abschluss verließ, aber später die Matura brillant nachholte. Auch die Aufnahmeprüfung in der ETH Zürich bestand er 1895 nicht - man darf allerdings nicht vergessen, dass er da erst sechzehn Jahre alt gewesen war!

Und noch ein paar Hypothesen, in die wir uns alle verliebt haben, wurden schon gekippt, nämlich dass sehr rege und kluge Menschen nicht im Alter verblöden. Das stimmt leider nicht, denn aktuell zählt man rund 35 Millionen Menschen weltweit, die an irgendeiner Form der Demenz leiden, und darunter sind auch echte Geistesgrößen! Zu ihnen gehörten Heinz Erhard, Wladimir Lenin, Rudi Assauer, Gerd Müller, Gunter Sachs, Helmut Schön, Ronald Reagan und die Eiserne Lady Margaret Thatcher. Traurige Wahrheit!

Dann gibt es noch die spannende „Myelin-Hypothese“ (Miller, 1994). Intelligente Menschen haben nämlich stärker myelinisierte Gehirne. Myelin ist die weiße Hirn-Substanz, eine Art Biomembran, mit der die Axone (= Nervenfasern) der meisten Nervenzellen von Wirbeltieren ummantelt sind.

Mehr Myelin bewirkt angeblich:

Intelligenz und Hochbegabung ist wohl zu 50 – 80% genetisch bedingt, weil auch die Gehirnstruktur im Frontalhirn, und vermutlich auch die Myelinisierung, stark genetisch bedingt sein sollen.

Diagnose der Hochbegabug

Vorausgeschickt kann man sagen, dass hochbegabte Kinder überzufällig häufig Eltern mit hohem Einkommen haben. Wir wissen jedoch, dass der Faktor Armut noch lange nicht den IQ senkt, sondern insbesondere die Art und Weise der Förderung und besonders das Sprachumfeld spielen eine wichtige Rolle bei der Intelligenzentwicklung. Untersuchungen zeigten außerdem, dass Kinder, deren Eltern Wert auf intellektuelle Leistungen legten, intelligenter waren. Andere Untersuchungen zeigten, dass Kinder von warmherzigen, zugewandten, freundschaftlichen und demokratischen Eltern, intelligenter waren, als Kinder von lieblosen, autoritären und strafenden Eltern.

Vorausschicken kann man auch, dass insbesondere Hochbegabte mit Teilleistungsschwächen wie Sprachfehlern, Leghastenie und Dyskalkulie zumindest als Kinder der 80-er mal ganz massiv gelitten haben! Erst Mitte der Siebziger erhielt dann die Leghastenie wenigstens mal eine Absolution mit „Idioten-Bonus“. Es begann sich da nämlich endlich mal herum zusprechen, dass Kinder mit Leghastenie keineswegs  „doof“ waren, sondern einfach nur eine „Rechtschreibschwäche“ besaßen. Das war einfach deshalb so, weil sie Buchstaben verwechselten, und das dann leider nicht bemerken konnten, weil sie diese leider beim Schreiben und Lesen gleichermaßen verdrehten! Ich werde nie vergessen, wie meine Mutter über meine Schulkollegin Kerstin herfiel, als sie deren fein und säuberlich mit roter Tinte gearbeiteten Eintrag, und den eingeklebten Glitzer-Oblaten in meinem „Poesie-Album“ las: „Ein Körbelin voll Rosen, ein Körbelin voll Wein, soll Dir, liebe Nicoele, zum Anedeken sein! Deine Fruendin Kerstin“ Sie regte sich auf und hohnlachte. Mir tat Kerstin einfach nur leid, dass ihre Mutti ihr nicht geholfen hatte, hier einen korrekten Eintrag hinzukriegen. Einer auf den ja nun auch alle anderen blickten, die das Buch da zur Hand nahmen ... Sie wirkte damit aus Versehen leider dann doch ziemlich doof. Aber ich weiß noch heute, dass sie das überhaupt nicht war. Meine Mutter hingegen hätte nie geduldet, dass ich mich mit „Binne Doofnuss“ anfreundete, daher hielt ich nur wenig Kontakt zu Kerstin, obwohl ich sie sehr mochte, weil sie spontan, freundlich, hilfsbereit und lustig war ... Diese Leghastenie-Kinder bekamen zuerst Nachhilfe, aber als das irgendwie alles nicht wirkte, einfach weil man damals noch nichts über Leghastenie wusste, erhielten sie schon bald einen Nachteilsausgleich. Das hieß, sie schrieben zwar die Diktate mit, die wurden auch korrigiert, aber es gab keine schlechte Note mehr dafür - einfach weil man erkannt hatte, dass sie es nun einmal einfach nicht besser konnten. 

Viel schwerer hatten und haben es da allerdings die Kinder mit Dyskalkulie! Das ist eine Art Leghastenie auf der mathematischen Ebene. Dykalkule Kinder können nur schlecht rechnen, und wenn sie akalkul sind, sogar gar nicht. Es handelt sich, wie auch bei der Leghastenie um einen Knacks auf einem er Hauptäste im Gehirn, wie es ja immer bei der AD(H)S vorkommt. Bis heute ist das Schulamt nicht nachgereift, und wo es seit 1975 schon eindeutige Handhabe der Leghastenie gibt, humpelt die Dyskalkulie einfach nur hinterher. Es gibt immer noch keine einheitlichen Grundsätze zum schulrechtlichen Umgang damit. Es liegt vielmehr, und ich als Betroffene begreife nicht warum, allein im Ermessen jeder Schule, ob und inwiefern sie rechenschwachen Kindern entgegen kommen wollen. Das heißt, es fehlt Lehrkräften schon allein ein Orientierungsrahmen dieses Problem überhaupt auch nur mal angemessen und fair zu handhaben. Für solche Kinder gibt es nur in den allerwenigsten Bundesländern verbindliche Regelungen, und damit dann auch einen Nachteilsausgleich. Das Schulamt beruft sich darauf, dass der Bildungsauftrag vorsieht und verpflichtet ist, jedem Kind das Rechnen beizubringen! Nur was tut man, wenn das Kind dieses nicht im normalen Schulalltag packt, und dringend eine individuelle Förderung benötigt?! Im allgemeinen  Schulwesen tut man dann oft einfach so, als hätte man nichts bemerkt, und teilt völlig unbeteiligt eine fette „Setzen, sechs!“ aus. Es wäre zumindest die Aufgabe der Lehrkraft Schwierigkeiten, die auf eine Dyskalkulie hindeuten, zu bemerken und thematisieren zu können. Aber auch das passiert wohl nur selten ... Das liegt scheinbar auch mit daran, dass nicht rechnen können irgendwie ein gesellschaftliches Tabu berührt?! Das Volk der Dichter und Denker hat bei eins und eins immer noch zwei raus - nicht elf! Viele berechnen den Grad der Intelligenz nämlich immer noch alleinig nach dem Grad mathematischen Verständnisses. Damit ist der Fall klar: Wer nicht rechnen kann, ist doof!

Meine Eltern waren nicht-liebende-nur-Versorger, und mit so diffizilen Problemen wie Rechenschwäche komplett überfordert. Wenn Plus und Plus Minus ergab, wollte ihnen nicht in den Kopf, dass ich da dann einfach trotzdem Plus rechnete …?! Wenn das Minus vor der Klammer, die Zeichen in der Klammer umtauschte, war ihnen unfassbar, warum ich das denn bitte nicht einfach tat …?! Wenn das Ergebnis der Bruchrechnung am Ende 70/340-stel war, verstanden sie nicht, warum das als Ergebnis, zweifach sauber mit Lineal unterstrichen, dann auch genauso da stand - und nicht 3/7-tel …?! Sie schnallten es einfach nicht, dass ich es nicht schnallte, dass man einen Bruch immer noch kürzen musste. Und zwar, indem man einfach kurz Zähler und Nenner so lange durch willkürliche Zahlen dividierte, bis er nicht mehr kleiner zu rechnen ging ... Und ich schnallte nicht, warum ich das nicht schnallte! Sie behandelten mich, als sei ich völlig verbrettert - und was noch viel schlimmer war: Als sei ich bockig und wolle das einfach absichtlich nicht lernen, um ihnen eines auszuwischen! Ihre Meinung war: Jeder kann rechnen! Wer nicht rechnen konnte, war unwillig oder doof oder gemein oder alles zusammen! Noch so ein Grund, warum sie mich einfach nicht lieben konnten …! Viele Abende verbrachte ich so mit meinem Vater am Esstisch, bombardiert von Textaufgaben über Hunde, Hundekuchen, Mäuse, Ratten und Bücher. Ich schnallte es aber nun mal einfach nicht! Es war mir nicht möglich die Rechenaufgabe aus dem ganzen Textmüll sauber heraus zu extrahieren ... Wenn ich dann endlich kapiert hatte, dass zwei Mäuse fünf Tage lang an einem Buch mit zehn Seiten fraßen, kam mein Vater triumphierend mit der Ratte Theobald an, die zusätzlich jeden Tag drei