Im wilden Westen Nordamerikas 14: Im Land der Saguaros - Axel J. Halbach - E-Book

Im wilden Westen Nordamerikas 14: Im Land der Saguaros E-Book

Axel J. Halbach

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Beschreibung

Old Shatterhand ist mit seinen Weggefährten Sam Hawkens und Hobble-Frank zu entfernten Apachen-Stämmen unterwegs, als sie auf die Überreste eines Postkutschenüberfalls treffen. Einziger Überlebender ist ein Pater, der jedoch bald stirbt. Vorher kann er noch von dem Überfall berichten. Die Räuberbande erbeutete eine Karte, die zu einem sagenumwobenen Aztekenschatz führt. Die drei Westmänner machen sich auf, die Schatzkarte zurückzuholen, um sie den Nachfahren der ursprünglichen Besitzer wiederzubringen. Dabei müssen sie sich auch um ein von der Räuberbande entführtes Mädchen sorgen. Eine aufregende Jagd beginnt.

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Im Wilden Westen NordamerikasIM LAND DER SAGUAROS

In dieser Reihe bisher erschienen

2201 Aufbruch ins Ungewisse

2202 Auf der Spur

2203 Der schwarze Josh

2204 In den Fängen des Ku-Klux-Klan

2205 Heiße Fracht für Juarez

2206 Maximilians Gold

2207 Der Schwur der Blutsbrüder

2208 Zwischen Apachen und Comanchen

2209 Der Geist von Rio Pecos

2210 Fragwürdige Gentlemen

2211 Jenseits der Grenze

2212 Kein Glück in Arizona

2213 Unter Blutsbrüdern

2214 Im Land der Saguaros

2215 Der Schatz der Kristallhöhle

Axel J. Halbach

Im Land der Saguaros

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2020 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannHerausgeber: H. W. SteinTitelbild: Ralph KretschmannLogo: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-445-9Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

1.

„Oh ihr Sterblichen – seid ihr euch denn nicht bewusst: Der letzte Tag ist nahe! Die Kirche der Endzeit mahnt euch zum letzten Mal: Geht in euch, trennt euch von allen weltlichen Attributen, um gereinigt den Gang in das unbekannte Jenseits antreten zu können! Seht euch nur um, wie das Laster die Welt regiert, wie Habgier die Seele vergiftet, wie Unmoral das Bild des täglichen Lebens zeichnet! Oh ihr Gläubigen, die Kirche der letzten Tage gibt euch noch einmal die Chance, durch eine milde Gabe den Weg der Läuterung zu gehen und den Lastern der weltlichen Genüsse abzuschwören! Ich verkünde es euch zum letzten Mal: Die Endzeit ist nahe!“

Es war ein kleiner, mit einem schwarzen Priestergewand bekleideter Mann, der seine fünfzig Jahre schon deutlich überschritten hatte und diese aufrüttelnden Worte sprach. Bezeichnend war auch, an wen er diese Worte richtete: Er befand sich in einem Saloon in Albuquerque, einer Boomtown in New Mexico im Süden der Vereinigten Staaten. Die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts waren angebrochen und das Bild, das sich dem Betrachter bot, war der Wilde Westen in Reinkultur.

Er befand sich inmitten eines großen, lärmerfüllten und rauchgeschwängerten Raums mit etwa ­fünfzehn Tischen verschiedener Größe, deren Sitzplätze fast vollständig besetzt waren und an denen robuste, durchweg abenteuerlich gekleidete Männergestalten aller Schattierungen lebhaft miteinander diskutierten, ebenso ausgiebig dem Alkohol zusprachen oder auch, etwas enthaltsamer, an Spieltischen ihr Glück versuchten. Ein zentraler Punkt war die im Hintergrund mit unzähligen Schnapsflaschen versehene, vollbesetzte Bar, die Theke des Saloons, die groß und mächtig den Raum dominierte. Zwei halbhohe, frei schwingende Flügeltüren führten zur Straße hinaus oder von dieser herein, während draußen gleißende Sonne vom wolkenlosen Himmel strahlte.

Bei diesem Saloon handelte es sich um ein vergleichsweise prunkvoll ausgestattetes Etablissement mit einem oberen Stockwerk samt dazugehöriger Galerie und einer Tanzbühne. Große Petroleum­lampen, schwere Seidentapeten an der Wand, kunstvoll verziertes Mobiliar, Spieltische für Kartenspiele, Roulette und Billard, Bierhähne aus poliertem Messing und der obligatorische Pianist, dessen Spiel kaum die Geräuschkulisse durchdrang, rundeten das Bild ab.

Der Saloon jener Zeit war eine reine Männer­domäne und galt allgemein als ein Ort des Lasters. Die Frauen in einem solchen Saloon – und so auch in diesem – gingen zumeist der gewerbsmäßigen Prostitution nach, für deren Gewerbe im oberen Stockwerk Zimmer gemietet werden konnten. Trotz dieses anrüchigen Ambientes war der Saloon der damaligen Zeit der gesellschaftliche Mittelpunkt der Stadt und deshalb meist auch der erste Anlaufpunkt von Personen, die neu in der Stadt waren und sich einen Überblick über das allgemeine Geschehen verschaffen wollten.

Durch die frei schwingenden Flügeltüren dieses Saloons war nun gerade der beschriebene, klerikal gekleidete kleine Mann in den Raum gekommen und hatte mit lauter, seiner geringen Größe eher widersprechender Stimme die obigen Worte an die Gesellschaft des versammelten Lasters, der Glücksspieler und Revolverhelden gerichtet.

Die erste, unmittelbare Reaktion war, dass ein guter Teil des Geräuschpegels verstummte, sodass das Klavierspiel endlich deutlicher zu hören war und sich jeder nach dem Urheber dieser aufrüttelnden Worte umsah. Geistliche seltsamer sektiererischer Herkunft und Ansichten waren damals in den Staaten keine Seltenheit, dieser aber schien in den Augen der Saloonbesucher dem gewohnten Erscheinungsbild der Gottesdiener noch eine zusätzliche Krone aufzusetzen.

„Hey, du christlicher Schwätzer, ist das deine Art, um eine Spende zu betteln, um auf diese Weise deine letzten Tage noch ein wenig zahlreicher zu machen? Haha! Warum soll der morgige Tag anders sein als der heutige oder gestrige? Verschwinde und störe uns nicht, die wir uns mit wichtigeren Dingen als dem Weltuntergang zu befassen haben!“

Dieser Zuruf kam von einem hünenhaften, finster aussehenden Mann, der mit drei anderen an einem runden Spieltisch im hinteren Teil des Saloons saß und der dem ansehnlichen Geldbetrag vor ihm zufolge gerade besonderes Glück beim Pokerspiel zu haben schien. Er hatte einen dunklen Haarschopf, der aber in einem deutlichen Kontrast zu seinem eher rötlich gefärbten Vollbart stand.

„Oh Bruder, du erkennst die Zeichen des Himmels nicht! Das Laster hat seit Langem den festen Boden des Lebens unterhöhlt – jeden Augenblick jetzt kann er einbrechen und dich in den Schlund der Hölle stürzen! Ich sehe einen ansehnlichen Geldhaufen vor dir auf dem Pokertisch – doch was nützt dir dieser Reichtum, wenn du nicht einen Cent davon mitnehmen kannst? Werde züchtig und gottergeben, dann bleibt dir vielleicht zumindest das ewige Fegefeuer erspart!“

„Du reizt mich zum Lachen, wenn du nicht eine so traurige Gestalt wärst! Ich gehe jede Wette mit dir ein, dass der strahlend blaue Himmel uns morgen ebenso erwärmt wie heute und gestern! Ist dieser unendliche Himmel nicht ein Zeichen, wie gut es Manitu mit uns meint? Wie nennst du dich eigentlich, du gottesfürchtiger Pinguin?“

Der kleine Mann war näher an den Spieltisch herangekommen und antwortete mit würdiger Stimme: „Man nennt mich Pater Eusebius und ich bin ein treuer Diener der Bruderschaft der letzten Tage! Oh Erdensohn, lass dich von dem blauen Himmel nicht täuschen! Die Hitze wird unerträglich werden, das Land und alles, was auf ihm lebt, wird verdorren, eure saft- und kraftlosen Gerippe werden sich als letzten verzweifelten Versuch bittend in die Höhe strecken! Glaube mir, Bruder, die Endzeit ist gekommen und wird mit erschreckender Wucht die Untugend dieser Welt bestrafen! Gehe in dich, gib, was du nicht mitnehmen kannst, und leiste Abbitte, was dein bisheriges Leben betrifft!“

„Was geht dich mein bisheriges Leben an? Hör endlich auf mit diesem unglaublichen Quatsch! Pater Eusebius! Wahrlich, der Name passt zu dir! Was willst du nun wirklich, bevor du hoffentlich und schnellstens verschwindest? Ich sehe deine lasterhaft-gierigen Augen auf den Geldhaufen vor mir gerichtet!“

„Jede kleine Gabe, auch jede größere Gabe, ist geeignet, die Last deiner Erdenschwere zu verringern und dein Schicksal im Jenseits günstiger zu gestalten ...“

„Wusste ich es doch – du willst nur betteln, nichts anderes! Sag es klar heraus und halte endlich dein verdammtes Maul! Hier, nimm, damit sich ­zumindest dein Untergang noch ein wenig verzögert, und dann hau endlich ab!“

Mit diesen Worten nahm der Bärtige eine Münze von dem vor ihm liegenden Haufen und warf sie dem Pater zu, der sie geschickt auffing. Als der hünenhafte Mann dann aber Anstalten machte, seiner Aufforderung, zu verschwinden, Nachdruck zu verleihen, wandte Pater Eusebius sich nun endlich ab und ging ohne ein weiteres Wort langsam auf den Ausgang zu, wobei er dabei von dem einen oder anderen Tisch, den er passierte, noch eine Münze zugesteckt bekam. Noch hatte er aber den Ausgang nicht ganz erreicht, als hinter dem Tresen ein Indio, der hier offenbar bediente, hervorstürzte, auf den Pater zueilte und diesen am Rockschoß ergriff:

„Pater ... ist es ... ist es ... wirklich wahr ... steht ... steht ... das Ende bevor?“

„Mein Sohn – sieh dich doch nur um! Was siehst du außer Menschen, die ihrem Laster frönen? Es kann nun nicht mehr lange dauern, bis der Herr über alles Leben diesem Frevel ein Ende setzen wird!“

„Santa Maria! Und man kann nichts ... nichts ... dagegen tun?“

„Wie ich schon sagte: Befreie dich von den Gütern des Diesseits und du wirst im Jenseits ein unbeschwertes Leben haben!“

„Madre de Dios! Ich habe ... ich habe ...“

„Was hast du? Was bedrückt dich, mein Sohn?“

„Ich habe ... ich habe ... ein Papier ... ein sehr wertvolles Papier, wie man mir sagte, das ... das ... meinem Volk gehört ... und das ... ich dem Kaziken jenseits der Grenze in Nordmexiko bringen muss! Aber ... wie soll ich dort hinkommen ... ohne Reisegeld ... ohne alles ...?“

„Dem Kaziken? Das klingt nach dem untergegangenen Reich der Azteken! Du willst doch nicht behaupten, dass du, ein ganz gewöhnlicher Indio, von den Azteken abstammst, die zudem einst viel weiter südlich, im zentralen Hochland von Mexiko, siedelten?“

„Ich habe keine Ahnung, Pater! Aber von wem soll ich sonst abstammen, auch wenn es lange, lange her ist? Aber der Kazike ist wirklich ein direkter Nachkomme ... und deshalb muss ich ... muss ich ... das Papier ...“

„Von was für einem Papier redest du überhaupt? Und wenn es wirklich so wertvoll sein sollte – wie kommt es dann in deine Hände?“

„Verehrter Pater – das ist eine lange Geschichte, die ich hier nur ganz kurz erzählen kann! Es ist vielleicht ein paar Monate her, als ich draußen in den Great Plains auf der Suche nach ein paar verirrten Schafen war. Und dort – wie groß war mein Schrecken! – entdeckte ich am Rande einer kleinen Felshöhle einen uralten Mann, der im Sterben lag. Er gab mir dieses Papier unter dem Siegel der größten Verschwiegenheit und dem Versprechen, es weit im Süden einem der letzten noch lebenden Nachkommen des Herrscherhauses der Azteken – eben dem Kaziken – zu übergeben. Dann starb er. Und ich weiß doch nicht, wie ich dieses Versprechen jemals werde einlösen können. Da dies ... dies Papier ... aber doch ... so wertvoll ... sein soll und ... wie du sagst ... das Ende der Welt ... bevorsteht ... und man keine weltlichen Güter ... mitnehmen soll und kann ... da dachte ich ... da meinte ich ...“

„Mein Sohn – du wirst mir doch auch noch sagen können, warum dieses Papier so wertvoll sein soll?“

„Ich weiß es nicht, oh Pater der letzten Tage! Ich weiß es wirklich nicht, denn ich kann doch weder lesen noch schreiben ...“

„Hast du dieses Schriftstück vielleicht bei dir? Kann ich einmal einen Blick darauf werfen?“

„Ich habe es immer bei mir! Es ist mein einziger Besitz! Hier ... das ist es!“

Der Indio nestelte an einem ledernen Beutel, den er um seinen Hals trug, und holte ein zusammengefaltetes Stück Pergament hervor, das er dem Pater Eusebius reichte. Dieser faltete es auseinander und warf einen Blick darauf. Man konnte gut hören, wie er kurz danach ein-, zweimal tief Luft holte.

„Was ... was ... hast du? Ist es wirklich ... so ... so ...?“

Der Pater schluckte noch einmal, bevor er mit gedämpfter Stimme, um nicht von anderen gehört zu werden, sagte: „Dieses ... gut erhaltene Pergament ... ist tatsächlich ... etwas ganz Besonderes! Es geht bis auf die Zeit zurück, als die Spanier das Aztekenreich zerstörten und die ungeheuren Reichtümer dieses Volkes nach Spanien verschifften ...“

„Davon habe ich gehört. Aber was ...“

„Scheinbar ist es den Azteken damals gelungen, einen kleinen Teil ihres Goldes, ihres Silbers und ihrer Edelsteine zu retten und vor dem Zugriff der Spanier zu verstecken ...“

„Und ... und?“

„Von diesem Versteck handelt dieses Papier! Es ist ein Lageplan des Verstecks! Tief in den Schluchten der Sierra Madre del Sur, in einer Höhle dort, die hier als Kristallhöhle bezeichnet wird, soll dieser Schatz verborgen sein ... vielleicht bis auf den heutigen Tag! Du hast recht – dieses Dokument gehört in die Hände des Kaziken. Alles Weitere ist dann nicht mehr deine oder meine Sache.“

„Aber ... aber ... es ist mir doch unmöglich ... wie soll ich ... zu dem Kaziken ... kommen?“

„Weißt du denn, wo sich dieser Nachkomme der Azteken aufhält?“

„Genau nicht. Aber der sterbende Mann hat mir noch sagen können, dass man mir in der Gegend von Chihuahua mit Sicherheit seinen genauen Aufenthaltsort wird nennen können.“

„Das ist wirklich sehr weit im Süden, jenseits des Rio Grande, in Mexiko ...“

„Und deshalb – por Dios! – einfach unerreichbar für mich ...“

„Ich will dir hier einen Vorschlag machen ... wenn du bereit bist, mir zu vertrauen ...“

„Pater – ich vertraue dir voll und ganz! Wem soll man heutzutage noch trauen können, wenn nicht den Vertretern des Allmächtigen hier auf Erden?“

„Gut. Dann höre. Ich breche morgen mit der Postkutsche auf, zunächst nach El Paso und dann weiter nach Mexiko hinein. Die Kunde von der Endzeit soll auch dort die Menschen zu innerer Einkehr bewegen. Dort könnte ich dann versuchen, den Kaziken zu finden, um ihm dieses wertvolle Dokument zu übergeben.“

„Oh Abgesandter der letzten Tage – du nimmst eine große Last von mir! Behalte das Papier und bringe es seinem rechtmäßigen Eigentümer!“

„Ich verspreche es – bei allem, was mir heilig ist! Aber sag – wie ist dein Name? Damit ich dem Kaziken auch sagen kann, von wem ...“

„Ich heiße Pablo Alvarez, aber dieser Name wird dem Kaziken gar nichts sagen. Er kennt mich nicht und den Namen des alten Mannes, der mir im Sterben dieses Papier übergab, kenne ich auch nicht.“

„Der Herrgott wird es trotzdem richten, dass dir dein Vertrauen und deine Ehrlichkeit vergolten werden! Jetzt bleibt mir nur, dir, Pablo, für deine Zuversicht zu danken. Mögen deine letzten Tage noch recht lange währen! Und da du keine sündige Last mehr zu tragen hast, wird im Jenseits ein sehr angenehmes Leben auf dich warten!“

Der Indio beugte sich vor und küsste dem Pater zum Abschied die Hand. Dieser faltete das Pergament wieder zusammen, steckte es in eine Innentasche seiner Soutane und verließ dann den Saloon ohne ein weiteres Wort. Anzumerken ist, dass dieses lange und ungewöhnliche Gespräch in vergleichsweise leisem Ton gehalten worden war, sodass dessen Inhalt kaum – und schon gar nicht angesichts der herrschenden Geräuschkulisse – von anderen hätte verfolgt werden können.

Tatsächlich hatte auch keiner der anwesenden Gäste diesen beiden besondere Aufmerksamkeit geschenkt – mit einer Ausnahme: Der finstere bärtige Hüne am hinteren Spieltisch des Raumes hatte den Pater nicht aus den Augen gelassen und die längere Unterhaltung desselben mit einem Indio aus der Ferne mit einem gewissen Interesse verfolgt. Was hatte dieser braune Bursche so lange mit dem Pater zu reden? Ging es dabei nur um sein Seelenheil oder spielte vielleicht auch noch etwas anderes eine Rolle? Was hatte dieses Papierstück zu bedeuten, das dort offenbar seinen Besitzer gewechselt hatte? Als der Indio jetzt an seinen Platz hinter der Theke zurückkehren wollte, rief der Bärtige ihm mit befehlender Stimme zu: „Hey, braune Kanaille! Komm her, ich habe mit dir zu reden!“ Pablo zuckte zusammen und folgte dann der Aufforderung. „Was ... wo ... womit kann ich dienen, Señor?“

„Was hast du so lange mit diesem Seelenprediger zu quatschen gehabt? Hat er dir in allen Einzelheiten die wunderbaren Eigenschaften des Paradieses erklärt?“

„Er ... er ... ja ... er hat ...“

„Höre auf zu stottern! Ich will wissen, was das für ein Papier war, das du ihm gegeben hast!“

„Das ... das ... Papier? Es ... es war ... nur ... die Adresse von ... meiner Großmutter ... in Chihuahua, der ... er ... Grüße von mir ... bestellen will ...“

„Genau das war es nicht, darauf will ich meinen letzten Cent verwetten! Die Lüge steht dir ins Gesicht geschrieben! Was war es wirklich? Antworte ... oder ...“

Der Bärtige stand auf, packte den Indio am Kragen und zog diesen in einer Weise zu, dass der arme Bursche kaum noch Luft holen konnte.

„Wird’s bald? Was hast du zu verbergen?“

„Ich ... ich ... gar ... gar nichts ...“

„Sag die Wahrheit – oder der von diesem heiligen Gottseibeiuns verkündete letzte Tag ist, soweit es dich betrifft, schon heute!“

Dabei schnürte er den Hals des Indios so weit zu, dass dieser wirklich nur noch pfeifend und mit letzter Kraft Luft holen konnte.

„Sen... Sen... Señor ... ich will ... ich will ... alles sagen ...“

Der Bärtige lockerte seinen Griff ein wenig.

„Heraus mit der Sprache – oder du hast wirklich deinen letzten Atemzug getan!“

„Es war ... es war ... ein Papier ... für den Kaziken ... in ... in ... Mexiko ...“

„Für den Kaziken? Diesen angeblichen Nachkömmling der Azteken? Und was stand auf dem Papier?“

„Ich ... ich ... habe keine Ahnung! Ich ... ich ... ich kann ja nicht lesen, Señor ...“

„Und das soll ich glauben? Nachdem du mit dem Pater so lange darüber gesprochen hast? Ein letztes Mal: Wovon handelte dieses Schriftstück?“

Der Bärtige drückte erneut und noch ein wenig kräftiger als zuvor zu.

„Ma... Madre ... de ... Dios ... ich ... ich ... der ... der Pater ... sagte, dass es sich ... um einen ... in den Schluchten der Sierra Madre verborgenen ... Aztekenschatz ... han... handelte ...“

„Sieh an! Jetzt bist du vernünftig! Höchst interessant! Und warum hast du dieses Dokument dem Pater Eusebius überlassen?“

„Er ... er will es ... dem Kaziken überbringen. Mir selbst ist das ja nicht möglich – wie soll ich dort hinkommen? Er nimmt morgen die Postkutsche nach El Paso und wird dann von dort aus weiter nach Mexiko reisen ...“

„Die Postkutsche? Morgen? Nach El Paso? Tausend Teufel, das ist wirklich sehr interessant. Da wünsche ich ihm ... eine gute Reise, haha! Hier, nimm – es soll nicht dein Schade sein, dass du endlich dein Maul aufgemacht hast!“

Der hünenhafte Mann drückte dem Indio einen Dollar in die Hand und ließ ihn gehen. Dann wandte er sich an die anderen drei Männer an seinem Tisch.

„Habt ihr gehört? Wenn das kein Wink des Himmels ist! Gelobt sei Pater Eusebius! Kommt! Wir gehen! Ich habe mit euch zu reden – aber nicht hier!“

Die vier Männer brachen ihr Spiel ab, bezahlten die Zeche und verließen den Saloon. Auch dieses Gespräch hatte seitens der anderen Saloon-Besucher keine besondere Aufmerksamkeit gefunden. Derartige kleine Vorfälle und Handgreiflichkeiten waren harmlos und alltäglich. Außerdem – es handelte sich ja nur um einen Indio. Wen kümmerten schon diese halbverhungerten Tagelöhner? Wer verschwendete auch nur einen einzigen Gedanken daran, dass diese ja eigentlich die rechtmäßigen Eigentümer und damit Herren dieses Landes waren?

2.

Es waren drei wirklich seltsame Reiter, die bei glühend heißer Sonne die Sonora-Wüste in New Mexico in Richtung Süden durchquerten. Die Sonora-Wüste – eine der größten, vielseitigsten und artenreichsten Wüstenregionen der Erde – erstreckt sich von den östlichen Küstengebieten von Niederkalifornien sowie dem südöstlichen Teil des US-Bundesstaates Kalifornien bis weit in das nördliche Mexiko hinein. Sie grenzt im Norden an die Mojave- und im Osten an die Chihuahua-Wüste. Ihre flachen Küsten­regionen im Westen steigen im Osten auf zerklüftete Bergzüge bis zu 3.000 Metern Höhe an – ein Teil des gebirgigen Nord-Mexiko und der Sierra Madre.

Die drei aus dem Norden kommenden Reiter waren in Richtung Rio Grande unterwegs, der im Süden die Grenze zu Mexiko bildete. Sie boten tatsächlich ein sehr bemerkenswertes Bild. Einer von ihnen nannte nicht einmal ein Pferd, sondern nur ein Maultier sein eigen. Von kleiner Statur, war vom Gesicht dieses Reiters unter der wehmütig herabhängenden Krempe eines Filzhutes wahrlich unbestimmbaren Alters, Farbe und Gestalt und unter einem zusätzlichen Wald von verworrenen schwarzen Barthaaren nur eine Nase von so erschreckenden Dimensionen zu sehen, dass sie jeder beliebigen Sonnenuhr als Schattenwerfer hätte dienen können. Von den übrigen Gesichtsteilen waren unter dem Bartwald deshalb nur noch zwei listige, kleine und kluge Augen von außergewöhnlicher Beweglichkeit zu sehen, denen deshalb kaum etwas entgehen dürfte.

Der Oberkörper dieses kleinen Rübezahls – denn an den erinnerte er wirklich – blieb fast bis zu den Knien herab unsichtbar wegen eines alten bockledernen Jagdrocks, der ursprünglich wohl für eine deutlich größere Person angefertigt worden war. Aus dieser Umhüllung blickten an beiden Seiten des Maultiers zwei dürre, sichelkrumme Beine hervor, die in ausgefransten Leggins steckten und den Blick auf ein Paar übergroße Indianerstiefel lenkten. Bewaffnet war dieser Bursche mit einem Gewehr, das mehr einem Prügel als einer wirklichen Flinte glich, ein Bowiemesser und zwei Revolver steckten zusätzlich in seinem Gürtel.