Im wilden Westen Nordamerikas 19: Blutige Schluchten - Axel J. Halbach - E-Book

Im wilden Westen Nordamerikas 19: Blutige Schluchten E-Book

Axel J. Halbach

0,0

Beschreibung

Sam Hawkens, Hobble Frank und Tante Droll erwarten Old Shatterhand in New Orleans. Für die Überfahrt bietet der abenteuerlustige Sir David Lindsay seine Jacht an.Auf dem Weg nach Abilene erfahren die Freunde von einem geplanten Minenüberfall und wollen helfen.Doch da ist auch noch die Sekte, die ihre Anhänger auf einer Farm zu Tode arbeiten lässt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 272

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Im Wilden Westen NordamerikasBLUTIGE SCHLUCHTEN

In dieser Reihe bisher erschienen

2201 Aufbruch ins Ungewisse

2202 Auf der Spur

2203 Der schwarze Josh

2204 In den Fängen des Ku-Klux-Klan

2205 Heiße Fracht für Juarez

2206 Maximilians Gold

2207 Der Schwur der Blutsbrüder

2208 Zwischen Apachen und Comanchen

2209 Der Geist von Rio Pecos

2210 Fragwürdige Gentlemen

2211 Jenseits der Grenze

2212 Kein Glück in Arizona

2213 Unter Blutsbrüdern

2214 Im Land der Saguaros

2215 Der Schatz der Kristallhöhle

2216 Das Gold der Apachen

2217 Bloody Fox

2218 Das Herz des Donnervogels

2219 Blutige Schluchten

Axel J. Halbach

Blutige Schluchten

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2023 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannHerausgeber: H. W. SteinTitelbild: Mario HeyerUmschlaggestaltung: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-450-3

Erinnerungen und ein überraschender Brief

Nicht immer konnte ich so entspannt wie gerade jetzt auf meinem Lehnstuhl sitzen und meine Gedanken schweifen lassen. Alle Verpflichtungen meinem Verlag gegenüber, die Ergebnisse meiner letzten, vor allem den Orient betreffenden Reisen zu Papier zu bringen, waren erledigt und ebenso auch der Haufen an Briefen, Rechnungen und allerlei sonstigen Unterlagen, die mich immer in Radebeul nach einer längeren Abwesenheit erwarteten.

Warum kam mir bei diesen meinen Gedanken plötzlich der Name Bloody Fox in den Sinn, meine seinerzeitige Auseinandersetzung mit diesem Schurken im Wilden Westen? Dieses nicht ungefährliche Erlebnis zusammen mit meinen Freunden Sam Hawkens und Hobble Frank lag jetzt, wir schreiben aktuell das Jahr 1879, schon elf Jahre zurück!

Der gute Sam, der neben Winnetou mein erster Lehrer im Wilden Westen gewesen war, hatte es sich ja bis heute nicht abgewöhnen können, mich Greenhorn zu nennen, auch wenn ich diesen Stand dann auch bald überwunden und ihn dabei wohl auch übertroffen hatte. Natürlich war das damalige sehr kritische Abenteuer im Jahr 1868 nicht mein letzter Aufenthalt zusammen mit Sam im Wilden ­Westen gewesen. 1871 in Algerien war er zum Beispiel zusammen mit mir zum ersten Mal in der arabischen Welt gewesen und später gab es sogar einmal einen kurzen Aufenthalt von ihm zusammen mit Hobble Frank bei mir in Radebeul.

Gegenwärtig aber traf die Tatsache zu, dass ich mich in den letzten Jahren hauptsächlich in der arabischen Welt und im Orient aufgehalten hatte. Meine letzte Reise in die Vereinigten Staaten musste jetzt mindestens fünf oder sechs Jahre her sein und in dieser Zeit sollte sich dort, vor allem im Westen der Staaten, doch wohl einiges angesichts der damals verbreiteten Gesetzlosigkeit verbessert haben? Wie sah es heute dort aus? Wäre es nicht für mich an der Zeit, meine Erinnerungen an die früheren abenteuerlichen Begegnungen im Wilden Westen endlich wieder einmal ein wenig aufzufrischen?

Wie gesagt: Dies waren nur meine Gedanken ohne irgendeinen konkreten Beschluss, und in diesem Augenblick klingelte es an der Haustür und ich hörte, wie ein durch den Postschlitz geworfener Brief auf den Boden fiel. Nun ja, diese Ablenkung kam mir gerade recht; ich holte den Brief und setzte mich wieder in meinen bequemen Sessel. Als mein Blick aber auf den Brief fiel, wollte ich meinen Augen nicht trauen: Er kam aus New Orleans und sein Absender war Sam! Gab es wirklich telepathische Gedankenübertragungen? Kaum je hatte ich schneller einen Brief geöffnet, dessen Inhalt ich jetzt nachstehend wiedergebe: „Are you still alive, altes Greenhorn Shatterhand? Oder hast du mich und deine vielen anderen Freunde im Wilden Westen inzwischen total vergessen? Haben etwa die Jahresringe deinen früheren Unternehmensdrang so stark verändert, dass du jetzt nur noch im Lehnstuhl sitzt?“

Als ich diesen Satz las, richtete ich mich unwillkürlich zu voller Größe von meinem Sessel auf! Sam fuhr fort: „Ich wäre mehr als entsetzt, sollte dies wirklich der Fall sein! Zusammen mit Hobble Frank und Tante Droll bin ich derzeit in Louisiana unterwegs. Wir drei haben in New Orleans eine hübsche Bleibe gefunden, um dort auf deine umgehende telegrafische Antwort zu warten! (Es folgte die entsprechende Anschrift) Wir warten hier auf dein Kommen so bald als möglich, um noch einmal gemeinsam den Wilden Westen bereisen zu können. Pitt Holbers und Dick Hammerdull werden dann auch dabei sein; sie warten irgendwo in der Nähe von Abilene auf meine Antwort!

Das genügt hoffentlich, altes Greenhorn, um dich wieder ein wenig in Bewegung zu bringen! Ich bin mir sicher: Du wirst kommen, auch wenn das leider nicht schon morgen der Fall sein kann! Ich umarme dich und freue mich sehr darauf, dich bald wieder in meine Arme schließen zu können!

Dein alter Lehrer Sam“

Das war nun eine so sehr meinen Gedanken entsprechende Bitte, dass sie einer sofortigen Antwort bedurfte! Natürlich würde ich kommen, auch wenn das von heute auf morgen selbstverständlich nicht möglich war. New Orleans lag nicht gerade um die Ecke, und die Hinreise ging nur per Schiff! Ich dachte an meinen einige Jahre zurückliegenden Aufenthalt in Südafrika, bei dem mich von Hamburg aus ein Passagierschiff bis nach Kapstadt brachte. Aber nein, Ähnliches widerstrebte mir! Mir fiel sofort mein guter Freund Sir David Lindsay in London ein, mit dessen Jacht ich schon so viele Reisen in den Orient unternommen hatte und dessen Lust auf immer wieder neue Abenteuer meine eher noch übertraf! Kurz entschlossen sandte ich zwei Telegramme ab: Eines an Sam mit dem Hinweis, dass ich auf jeden Fall kommen, bis dahin aber noch einige Zeit vergehen würde. Das zweite ging mit entsprechenden Erläuterungen an Sir David in der Hoffnung, auch ihn für diese Unternehmung zusammen mit seiner Jacht begeistern zu können.

Irgendwie hatten sich meine Gedanken ja gerade schon mit diesem jetzt geplanten Unternehmen beschäftigt. Aber hatten meine hoffentlich späteren Leser nach so langer Zeit noch eine konkrete Vorstellung von meinen Freunden im Wilden Westen, die ich nun hoffentlich bald wiedersehen würde? Ich war mir im Zweifel und beschloss deshalb, deren Erscheinung und Charakteristika noch einmal so zu Papier zu bringen, wie ich sie in Erinnerung hatte. Das würde spätere Ereignisse sicherlich verständ­licher machen.

Sam Hawkens war auf jeden Fall einer meiner besten Freunde im Wilden Westen. Auf den ersten Blick war er von eher sonderbarer Gestalt. Er war relativ klein und trug zumindest seinerzeit einen riesigen Filzhut mit wehmütig herabhängender Krempe, unter der neben einer Nase von erschreckenden Ausmaßen ein Wald von schwarzen Barthaaren sichtbar wurde. Von seinen übrigen Gesichtsteilen fallen vor allem seine beiden kleinen und klugen Äuglein ins Auge, die von außerordentlicher Beweglichkeit sind.

Besondere Situationen traten bei ihm fast immer dann ein, wenn er einmal seinen Hut abnahm. Jeder vermutete dann, dass er ein wenig seine Haare richten wollte. Aber nein! Außer einer Perücke befand sich nach Abnahme seiner Kopfbedeckung kein einziges Haar, sondern nur seine kahle, blanke und rote Kopfhaut! Das war natürlich kein erfreulicher Anblick, denn er war vor wenigen Jahren von einem Pawnee-Indianer skalpiert worden, hatte diese Prozedur aber lebend überstanden und nutzte diesen seinen überraschenden Anblick seitdem in passenden Momenten mit Erfolg, um anderen damit einen zumindest temporären Schock zu versetzen! Sein Alter ist deshalb nur schwer abzuschätzen. Seinen Oberkörper bedeckt ein aus unzähligen Flicken zusammengesetzter lederner Trapperanzug bis über die Knie herab, wo dann zwei dürre und sichelkrumme Beine hervorkommen, die in ausgefransten Leggins stecken.

Sein Maultier Mary war für viele Jahre sein einziges und bewährtes Fortbewegungsmittel gewesen, das aber heute wohl kaum noch am Leben und deshalb vermutlich inzwischen durch ein neues ersetzt worden war. Auch seine Bewaffnung erweckte bei dem Uneingeweihten wohl nicht gerade Vertrauen: Seine uralte Rifle namens Liddy, die er immer über der Schulter trug, sah eher wie ein alter Knüppel als wie eine bedrohliche Waffe aus. Natürlich wird jede Flinte einmal alt und bei dieser kam hinzu, dass mit deren Kolben offenbar schon Etliches zertrümmert worden war, denn dieser Kolben war mit allen möglichen Klammern und Nägeln geflickt worden.

Noch entscheidender aber war, dass der Lauf dieser Waffe einen winzigen kleinen unsichtbaren Winkel aufwies. Jeder, der mit dieser Waffe etwas treffen wollte, würde meilenweit danebenschießen! Man täusche sich aber nicht: Sam konnte mit diesem Ungetüm besser und genauer treffen als mit jeder anderen neuartigen Waffe, selbst wenn es sich bei dieser um eine Winchester handeln sollte, so vollkommen war dieser winzige kleine Winkel in seinen Zielmechanismus eingegangen!

Natürlich hatte auch er seine besonderen Umgangsformen und Eigenarten: Bei Bedarf kann er einfach haarsträubende Geschichten erzählen und wenn er einmal irgendeine Feststellung trifft, fügt er oft hinzu: Wenn ich mich nicht irre, hi hi hi! Dass ich mich auf diesen meinen Sam ganz besonders freute, ist jetzt wohl jedem verständlich!

Und dann hatte Sam ja auch noch Hobble Frank und Tante Droll erwähnt. Die beiden waren Vettern und unzertrennlich, fast immer nur gemeinsam unterwegs. Tante Droll war zu seinem eigenartigen Namen vor allem deshalb gekommen, weil seine fistelnde Stimme, sein ausladender breitkrempiger Schlapphut und sein langes, bis über die Knie herab­hängendes Gewand ihm ein tantenähnliches Aussehen gaben. Natürlich war er nichtsdestoweniger männlichen Geschlechts.

Sein Vetter Hobble Frank, dessen eigentlicher voller Name Heliogabalus Morpheus Edeward Franke lautete, hatte diesen aufgrund seines leicht humpelnden Ganges erhalten. Auslöser dieses Handicaps war eine Schussverletzung gewesen, als ihn ein Oglala-Indianer bei einer Auseinandersetzung in den Fuß geschossen hatte. Ebenso wie sein Vetter war Hobble Frank Deutscher sächsischer Herkunft und konnte diese seine sprachliche Eigenart meist nur schwer verleugnen. So wandte er zum Beispiel das Wort ­merschtendeels bei fast jeder geeigneten oder auch ­ungeeigneten ­Gelegenheit an. Er ist ein ehrlicher, zuverlässiger, mutiger und auch listiger Kerl, auf den man sich immer verlassen konnte, auch wenn er manchmal zu einer gewissen Selbstüberschätzung neigt. Äußerlich ist Hobble Frank ein eher schmächtiger Mann. Er trägt indianische Schuhe und Lederhosen und dazu vor allem einen sehr verschossenen Frack (wo immer er den einmal aufgegabelt haben mochte) mit stets blitzblank geputzten Messing­knöpfen; seine langen Frack-Schöße hingen immer rechts und links an den Seiten seines Pferdes herunter und seine Bewaffnung bestand aus einer Doppelbüchse, einem Messer und zwei Revolvern.

Bei Dick Hammerdull und Pitt Holbers, die wir ja offenbar nahe Abilene treffen würden, handelt es sich um zwei typische und tapfere Western-­Originale, von denen der Erste kurz und dick, der Zweite dagegen lang und dürr ist. Bei einem Kampf kämpfen sie immer Rücken an Rücken, weshalb sie auch die verkehrten Toasts genannt werden. Pitt spricht in der Regel nur, wenn Dick ihn etwas fragt wie beispielsweise: Pitt, altes Coon, hier bist du doch sicher der gleichen Meinung? Wobei dieser dann antwortet: Ob das so ist oder nicht, das bleibt sich gleich, die Hauptsache ist nur, dass es so ist! Sollte diese Antwort aber einmal etwas anders ausfallen, ist Dick völlig irritiert. Bewaffnet sind beide wie üblich mit Flinte, Messer und Revolver.

Bei allen diesen Erinnerungen war es für mich schon eigenartig, wie sich doch so ein längeres und isoliertes Leben im Wilden Westen auf die Verhaltens­weisen und Charakteristika eines jeden auswirken kann. Und mit den bisherigen Personen ist ja auch die Liste meiner früheren Gefährten in den Dark and Bloody Grounds noch lange nicht erschöpft! Abgesehen von meinem Blutsbruder Winnetou, der schon 1874 einen gewaltsamen Tod gefunden hatte (unklar ist bis heute, ob er damals von einem Weißen oder von einem Sioux erschossen wurde), dachte ich vor allem auch an Dick Stone und Will Parker, die beide schon vor Jahren bei verschiedenen Auseinandersetzungen den Tod gefunden hatten. Und natürlich waren meine Gedanken auch bei Old Firehand und Old Surehand, von denen ich seit Langem nichts mehr gehört hatte. Hoffentlich würde mir Sam zu diesen bei unserem vorgesehenen Treffen Näheres sagen können! Auf jeden Fall aber hatten alle diese meine Erinnerungen und die damit verbundenen Ereignisse meinen neuen Plan nicht nur aufleben, sondern auch sehr konkret werden lassen!

Hatte sich der Wilde Westen irgendwie in den zurückliegenden Jahren verändert? Falls ja, in welche Richtung und auf welche Art und Weise? Mir war klar, dass vor mir und unserer Gruppe in den Staaten angesichts der dortigen enormen ­Entfernungen eine sehr anstrengende Zeit liegen würde. Andererseits war ja aber auch die erste transkontinentale Bahnverbindung, ein 2.600 Kilometer langer Schienenstrang von den Wirtschaftszentren im Osten bis zu den Goldgräberstädten im kalifornischen Westen, schon 1869 vollendet und eingeweiht worden, und inzwischen dürften deshalb dort noch zahlreiche weitere Bahnverbindungen entstanden sein, die unseren Weg von New Orleans bis zu den Great Plains am Llano Estacado zumindest erleichtern würden.

Was ist wohl aus den damals halbwegs dauerhaften Siedlungen entlang der Gleise geworden? Geisterstädte? Oder sind auch manche der ehemals berüchtigten Westernorte nach wie vor ein Tummelplatz für Ganoven, Glücksritter und oft auch betrügerische Geschäftemacher geblieben?

Auch über mich selbst sollte ich hier zum Schluss vielleicht noch einige Worte verlieren. Ich beschloss, mein Erscheinungsbild wieder so gut wie möglich den damaligen Verhältnissen entsprechen zu lassen: Ich wählte einen ledernen Trapperanzug und feste, derbe Lederstiefel aus, und ein großer Schlapphut würde meinen Kopf nicht nur vor Sonnenbrand, sondern auch vor den manchmal kräftigen Regengüssen schützen, die dann an dessen Rändern in Strömen herunterliefen. Wie üblich würde ich als Bewaffnung wie immer ein Bowie-Messer im ­Gürtel haben und ebenso an meinen beiden Hüftseiten je einen sechsschüssigen Revolver neuartiger Konstruk­tion. Und an meinem Sattelknopf würden wieder meine beiden bekannten Gewehre hängen, der zwei­schüssige Bärentöter, ein relativ schweres Kaliber von plumper Bauart, sowie mein kleiner und zierlicher fünfundzwanzigschüssiger Henrystutzen, der als Zaubergewehr nicht nur im Orient, sondern auch im Wilden Westen seinerzeit Berühmtheit erlangt hatte. Auf Sir David aber werde ich erst weiter unten noch zu sprechen kommen.

Damit aber genug der Erinnerungen, jetzt stand die Gegenwart an! Natürlich hatte ich während dieser ganzen Überlegungen längst eine telegrafische und ausführliche Antwort von Sir David erhalten, an dessen positiver Reaktion ich nie gezweifelt hatte, dafür kannte ich ihn zu gut! Ich gebe seine Antwort im Wortlaut wieder: „Heyday, Master Shatterhand ben Nemsi, was für ein overwhelming surprise! Sie fragen mich, how can you ever doubt mein hoch­erfreutes approval? Habe mir schon den Kopf zerbrochen nach einer neuen crazy idea wie zuletzt bei der Herba Juvenilis! I am of course part of your wonderful expedition into the dark and bloody grounds! Wann starten wir? Ich bin schon on the way to fix up meine unverzichtbare Lindsay! When shall be meet in Hamburg to start another unbelievable adventure? Your answer by return of telegram will be most appreciated! Kann es gar nicht mehr erwarten! Your ever so truly David Lindsay.“

Nun, das war also wirklich wie erwartet geregelt! Mir blieb jetzt nur noch Sam zu unterrichten, dass Sir David mit von der Partie sein würde und wir den Atlantik mit seiner Lindsay zu überqueren gedachten. Sobald unsere Abfahrt von Hamburg aus feststand, würde ihn ein weiteres Telegramm von unserer voraussichtlichen Ankunft in New Orleans unterrichten, wobei ich mit einer Überfahrt von etwa zehn Tagen rechnete.

Mit der Lindsay nach New Orleans

Wir waren vor ein paar Tagen mit der Lindsay von Hamburg aus in Richtung New Orleans auf­gebrochen und damit ist es jetzt wirklich an der Zeit, endlich auch meinen Freund und Gönner Sir David Lindsay dem Leser etwas näher vorzustellen. Durch meine nicht wenigen Orientreisen mit ihm zusammen dürfte er zwar vielen meiner Leser schon bekannt sein, dennoch soll aber hier noch eine kurze Charakterisierung folgen.

Ganz unverkennbar handelt es sich bei ihm um einen langen, hageren Engländer, dessen Habitus und ganze äußere Erscheinung einen spleenigen Briten adliger Herkunft ziemlich deutlich ­widerspiegelt. Meist trägt er einen großen Zylinderhut, einen grau karierten Anzug, Handschuhe gleicher Art und unter dem Arm einen ebenfalls graukarierten Regenschirm. Am Anfang war es zwar schwierig gewesen, ihn von diesem seinem traditionellen Erscheinungsbild abzubringen. Inzwischen aber war er durchaus bereit, eine den jeweiligen klimatischen und anderen Umständen entsprechende Kleidung anzulegen.

Seine auffallend lange Nase schillert in allen Farben von Rot über Blau bis hin zu Violett, die Folge einer inzwischen abgeheilten Aleppobeule, die er sich in frühen Jahren in Damaskus oder Aleppo eingefangen hatte.

Wir waren also tatsächlich wieder unterwegs. Die Fahrt durch den Kanal und die Biskaya war ungewöhnlich ruhig und erholsam verlaufen. Dasselbe traf bei weiterhin herrlichem Wetter jetzt auf den vor uns liegenden Atlantik mit seinen unendlichen Horizonten zu. Leicht bekleidet standen wir an Deck und Sir David begrüßte mich nach einer für uns beide erholsamen Nacht: „Don’t you agree, Master Shatterhand ben Nemsi? A wonderful night und always ein most refreshing daily nourishment: In the morning coffee, mittags Bier und abends Whiskey, what an excellent combination!“

„Da kann ich nicht widersprechen, Mylord! Aber in der Prärie werden Sie sich wohl etwas umstellen müssen!“

„Prärie? Well, may be a little bit different! Was gibts denn in den Great Plains in the morning? Mein letzter Aufenthalt dort is rather long ago!“

„Wenn wir Glück haben: Büffelfleisch und etwas klares Quellwasser!“

„Heavens! You are joking, are you? Hardly to imagine, nicht ganz my taste, even horrible, to be honest! Und mittags?“

„Auch Büffelfleisch, aber das zumindest unter dem Sattel einigermaßen mürbe geritten.“

„Impossible! Hard to believe! Warum nicht at least saftig gebraten?“

„Das können wir uns nicht leisten, Mylord! Der Rauch würde uns den gefährlichen Indianern verraten!“

„Unbelievable! Nur mürbe geritten? Grauenhaft, absolutely! Muss schmecken wie platt gewalzte rattle snake! Wild West, apparently still no culture at all! Und dann, in the evening?“

„Erneut Büffelfleisch, aber nur, wenn mittags noch etwas übrig geblieben ist!“

„By Jove, und das ist still the case? Incredible! Apparently, after all these years, civilisation has not yet reached diesen Teil der Welt! Really, da lobe ich mir good old England: Porridge, gebratene Würstchen, poached eggs ...“

„Lassen wir uns überraschen, Mylord! Ich wünsche mir zwar auch positive Veränderungen, aber leider lässt sich der uns bekannte Wilde Westen wohl nicht so schnell verändern und zähmen, wie es bei uns in Europa der Fall gewesen ist.“

„My goodness, ich bin really somewhat irritated!“

Bei weiteren morgendlichen Unterhaltungen berührten wir dieses Thema wohlweislich nicht mehr. Als ich ihn aber wieder einmal mit: „Guten Morgen, Sir David“, an Deck begrüßte, waren wir schon über eine Woche unterwegs und befanden uns bereits in der Tropenzone.

„Morning, Master Shatterhand!“, brummte dieser und das ganz offensichtlich schlecht gelaunt.

„Hoppla, Mylord! Warum heute so mürrisch? Schlecht geschlafen?“

„Yes, bad temper! But not without reason! Look at that ...“

Er wies mit seiner Hand in Richtung Osten.

„Sie meinen ... Sie meinen dieses harmlose rosarote Gebilde da hinten am Himmel? Ist vielleicht ein verspäteter Sonnenaufgang?“

„A sunrise? Are you kidding? A rather bad storm is coming!“

„Ein Sturm? Alles ist doch wie die letzten Tage!“

„Alte Landratte! Have another look!“

Wahrhaftig! Aus dem zartrosa Gewebe war in nur wenigen Minuten eine gelbschwarze Brühe geworden, die jetzt schon fast den halben Himmel bedeckte.

„In der Tat, das habe ich noch nie erlebt! Scheint wahrhaftig ein wenig stürmisch zu werden! Diese rasche Veränderung ist wirklich ein wenig unheimlich!“

„Master Shatterhand ist eben keine Seeratte! Ein Sturm kommt auf, nicht nur schnell, but also dangerous, grässlich, horrible, terrible!“

„Sie meinen, die Jacht ... sie könnte ... eventuell ... ein Problem ... bekommen?“

„Oh no! For my Lindsay no problem at all! Aber für uns, for the people!“

„Pshaw! Was der Jacht nichts ausmacht, das macht auch uns nichts aus!“

„You are ignorant, totally! All devils! Look at that! The thunderstorm, it’s coming even faster, als ich dachte!“

Ich folgte seinem ausgestreckten Arm und konnte ein Donnerwetter! nicht unterdrücken. Der gesamte östliche Himmel war jetzt schwefelgelb geworden und von einem tiefschwarzen Netz durchzogen, das immer dichter wurde und schließlich in eine einheitlich schwarzdunkelblaue Farbe überging. Ab und zu zuckten schon einige Blitze durch die Wolken, das Unwetter musste unmittelbar bevorstehen!

„Schnell, Mylord!“, mahnte ich Sir David. „Wir müssen unter Deck! Die Luken müssen geschlossen werden!“

„Not at all! I am the captain! I won’t leave my position! A captain remains on deck! Zurrt mich fest! But you, don’t hesitate any longer! For your safety. Sie müssen in any case sofort unter Deck!“

„Mylord! Wie können Sie hier oben bleiben? Das ist nicht Ihr Ernst! Denken Sie nur an Ihren schönen graukarierten Anzug!“

„No problem! Habe noch mehr davon! I’m ­staying, sure as hell!“

„Also gut, dann bleibe aber auch ich hier oben! Steuermann, zurrt uns beide fest!“

Dieser tat, wie ihm geheißen, und befestigte auch sich selbst mit einem festen Tau am Mast neben der Kombüse. Der übrigen Mannschaft schärfte er noch ein: „Luken schließen! Nur halbe Kraft voraus! Jeder auf seinen bekannten Posten!“ Und dann waren wir drei die einzigen verbliebenen lebenden Seelen auf dem Oberdeck. Der Himmel hatte inzwischen eine wahrhaft dämonische Farbe angenommen. Das ganze Firmament war teils schwefelgelb, teils rabenschwarz, und unaufhörlich zuckten Blitze hin und her. Von dem eigentlichen zu erwartenden Sturm aber war immer noch kaum etwas zu spüren. In der Mitte des schwarz-gelben Himmels über uns aber befand sich ein gelbrot umrandeter heller Fleck, und aus diesem brach urplötzlich mit ungeheurer Wucht der Sturm heraus! Ein brausendes Geräusch führte schon in der Ferne zu den ersten ­Schaumkronen auf den Wellen, und dann umgab uns ein wahrer Höllenorkan! Im Gegensatz zu meinem Hadschi Halef Omar, der seine Worte an mich oft mit Ruhm, Ehre, Gesundheit, blühende Wiesen mit Tausenden von Kamelen und Schafen“ begann, war ich jetzt versucht, Hölle, Verdammnis, Fluch und Satan auszurufen, ausgerechnet ich, der ich mich immer bemühte, solche Schimpfworte nicht in den Mund zu nehmen! Ein wahrhaft satanisches Getöse dröhnte, zischte, donnerte und brauste um uns herum, sodass jedem im wahrsten Sinne des Wortes Hören und Sehen vergehen musste!

Die Jacht wurde hin und her geschleudert, wahre Sturzfluten brachen über das Deck herein, aber die Lindsay hielt durch und blieb auf Kurs! Ein weniger solides Schiff wäre sicher von dem Sturm und den haushohen Wellen zerschmettert oder zumindest stark beschädigt worden! Eine Verständigung zwischen uns dreien an Bord war natürlich unmöglich, und wer jetzt noch nicht seekrank war, der war sicher schon vorher tot!

Es waren nicht nur mehr als beängstigende Schrecksekunden, mir kam es vor, als wollte dieses Inferno gar nicht mehr aufhören! Dann aber trat urplötzlich eine fast gespenstische Ruhe ein und ich warf einen vorsichtigen Blick auf Sir David. My goodness! Wie sah er aus? Eine grauweiße, verschrumpelte Leberwurst war ein Lichtblick dagegen!

„Mylord! Alles in Ordnung? Still alive?“

„Yes, lebe noch! Sure as hell! Didn’t I tell you? What did you expect?“

„Zugegeben, ich war wohl etwas blauäugig oder ignorant, wie Sie sagten! Wirklich, mehr als verdammt ungemütlich, um nicht zu sagen, höllisch gefährlich!“

„A little bit dangerous, I admit! But british steel, invincible! Remember my words, my incredible Lindsay hat dieses Stürmchen nearly without any harm überstanden! Aber, to be honest! Haben auch verdammtes Glück gehabt, dass dieses Unwetter zwar ein sehr heftiges, gleichzeitig aber nur kurzes Stürmchen war! A lesson for you, my dear Landratte!“

Nun, da musste ich ihm leider recht geben, das war schon etwas anderes gewesen als unsere vielen gemeinsamen Fahrten durch das Mittelmeer! Natürlich dauerte es jetzt noch eine ganze Weile, bis wir nicht nur uns, sondern auch gemeinsam mit der Mannschaft einige kleinere Blessuren am Schiff wieder weitgehend beseitigt hatten. Schon hier kann ich aber zum Glück hinzufügen, dass uns ähnliche Zwischenfälle auf unserer weiteren Fahrt durch die Karibik bis zur Ankunft in New Orleans erspart geblieben sind! Wir liefen in den Hafen von New Orleans ein, und da standen sie tatsächlich: Sam, Hobble Frank und Tante Droll! Sie mussten sicher schon jeweils mehrere Tage hier gewesen sein, um unsere unmittelbare Ankunft nicht zu verpassen! Jetzt war natürlich vor allem Sir David mit seiner Mannschaft beschäftigt, für seine Lindsay einen sicheren Liegeplatz während unserer wohl längeren Abwesenheit zu finden, dann aber stürmten wir auf dem Kai aufeinander zu! Und je näher wir einander kamen, umso mehr wurde mir schon nach den ersten Blicken klar:

Obwohl die drei sich in den vergangenen Jahren offensichtlich hier und da neu eingekleidet hatten, war man dabei sehr bemüht gewesen, es so gut wie möglich bei ihrem äußeren Outfit zu belassen, sodass ich meiner Beschreibung weiter oben nichts hinzuzufügen oder daran zu verändern hatte! Ihr Äußeres war ebenso wie sie selbst zu ihrem Markenzeichen geworden! Da auch ich die Lindsay als bekannter Old Shatterhand verlassen hatte, fiel unsere Begrüßung nicht anders aus, als es vor Jahren der Fall gewesen war: „Altes Greenhorn! Tatsächlich! Du bist offenbar noch nicht zu einem Freund des Lehnstuhls geworden! Manitu sei Dank! Wie lebendig werden bei mir die alten Zeiten! Lass dich sofort mehr als herzlich umarmen!“

Sam stürmte auf mich zu, sodass ich fast das Gleichgewicht verlor.

Nicht anders war die Begrüßung von Hobble Frank und Tante Droll, wobei Ersterer verschmitzt meinte: „Merschtendeels bin ich ooch der Ansicht, dass du eigentlich gar nicht weg warst! Wie kommt es, dass du deene Jahresringe so jut verschtecken kannst?“

Und Tante Droll meinte nur: „Hochverehrter Mister Shatterhand, hast du mein inzwischen neu erstandenes wunderbares neues Kleid gesehen? Ich bin dadurch nämlich sogar noch damenhafter geworden!“

Und dann stürzten natürlich alle drei auch auf Sir David zu. „Das ist einfach wunderbar! Auch der uns so lieb gewordene britische Adel ist wieder dabei! Wir freuen uns unbändig! Was kann dann bei unserem Vorhaben noch schiefgehen?“

„Yes ... sure as hell, my dear friends, no doubt: fantastic new adventures are ahead of us! Even though, I admit! I am nichtsdestoweniger somewhat irritated! Our Master Shatterhand ben Nemsi is apparently der Meinung, dass in den dark and bloody grounds Büffel­fleisch nach wie vor unser daily nourishment sein wird, from morning till evening!“

„Well“, meinte Sam. „Das könnte tatsächlich ein wenig schwierig werden! Einiges hat sich hier geändert! Aber natürlich wird uns unser Vorhaben wieder in die Prärie, in die Great Plains führen ...“

Diese letzten Worte griff ich jetzt an alle gerichtet auf. „Vorhaben? Haben wir schon ein Vorhaben? Habt ihr bereits konkrete Pläne? Seit unserem letzten Mal zusammen in der Prärie dürfte sich doch auch im Wilden Westen einiges verändert haben, und zwar zum Besseren, wie ich hoffe!“

Es war Sam, der auf diese Frage antwortete: „Zum Besseren? Verehrtes Greenhorn, da könnten wir alle drei hier dir so einiges erzählen! Aber damit wollen wir warten, bis wir alle irgendwo zusammen einen Begrüßungstrunk zu uns nehmen können! Tatsächlich hat sich einiges getan, aber nur relativ wenig zum Besseren! Darüber wird uns in den nächsten Tagen der Gesprächsstoff nicht ausgehen! Jetzt aber sollten wir uns zunächst bei einem gemeinsamen Drink ein paar Gedanken darüber machen, wie es jetzt von hier aus weitergeht!“

Damit hatte Sam natürlich völlig recht. Als wir nahe seiner Pension, in der auch für Sir David und mich schon Zimmer reserviert waren, in einem kleinen ruhigen Garten, jeder mit einem gut gefüllten Glas vor sich, wieder einander gegenübersaßen, ging es vor allem um unsere unmittelbaren Zukunftspläne.

Uns allen war natürlich klar, dass es wieder in die Dark and Bloody Grounds gehen würde, zumal dort nahe Abilene ja auch Dick Hammerdull und Pitt Holbers auf uns warteten. Es war nicht schwierig, uns auf den Weg dorthin zu einigen. Zunächst würden wir die sich anbietenden Flussverbindungen nutzen: Von New Orleans auf dem Mississippi bis nördlich von Baton Rouge und dann von dort aus auf dem Red River nach Westen, das aber nur bis Shreveport. Von Shreveport aus gab es jetzt eine Bahnverbindung über Dallas, Fort Worth und weiter nach Westen bis Abilene im nördlichen Texas, die wir nutzen wollten.

Abilene war schon früher ein wichtiger Ausgangspunkt in Richtung Westen gewesen bis nach El Paso am Rio Grande an der Grenze zu Mexiko; das war aber nicht unsere Absicht. Für uns sollte es von Abilene weiter per Pferd bis nach Odessa im Norden gehen und dann von dort aus auf den Llano Estacado zu.

Ich meinte, nachdem uns noch einmal nachgeschenkt worden war: „Sam, ihr drei seid doch jetzt schon eine ganze Weile hier und habt auf Sir David und mich gewartet, da müsst ihr doch auch eine schöne Zeit im wunderschönen Louisiana, bei den Streifzügen durch das Mississippidelta wie überhaupt in der ganzen Umgebung gehabt haben! Was zieht euch dann eigentlich so sehr wieder in die Halbwüsten am Llano Estacado zurück?“

„Altes Greenhorn! Geht es dir nicht ähnlich, wenn du an Good Old Germany denkst?“

„Nun ja, es stimmt schon: Trotz meiner vielen Reisen ist Deutschland eben meine Heimat geblieben!“

„Eben! Und die Halbwüsten, die Great Plains, sind eben unsere Heimat! Wenn ich jetzt an den zusammen mit Frank schon länger zurückliegenden Besuch bei dir in Radebeul denke, sind wir mehr als froh, jetzt bald wieder dem Llano Estacado nahe zu sein! Meinst du nicht auch, verehrter Hobble Frank?“

„Sam, du schprichst mir aus dem Herzen! Wir sind alle drei mehr als froh, bald wieder die Dark and Bloody Grounds, die endlose Prärie und die Schluchten der Rocky Mountains zu durch­schtreifen! Deutschland ist ja vielleicht auch janz schön, aber merschtendeels viel zu jesittet, alles so aufjeräumt, und du weeßt immer, was als Nächstes passiert!“

„Richtig! Einfach alles vorhersehbar, ordentlich und aufgeräumt, wenn ich mich nicht irre!“

„Genauso ist es! Und viel zu wenig Verbrecher!“

„Wohl wahr! Und überhaupt keine Indianer!“

„Keene Indianer, keene Mustangs, keene ...“

„Du sagst es! Keine Grizzlybären, keine Büffel, keine Prärien, über die man bis zum Horizont blicken kann, kaum wilde Tiere, und wenn einem in Deutschland doch einmal ein Bock vor die Flinte läuft, dann darf man ihn nicht einmal schießen!“

„Wirklich, eene eenfach schreckliche Jegend! Kein Horizont, nicht schießen ... und dann auch noch fast immer kalt, schlechtes Wetter, entweder regnet oder schneit es, was ist das für eine Heimat!“

Dazu musste ich nun Stellung nehmen.

„Wirklich, meine lieben Freunde, einiges von dem trifft zwar teilweise zu, aber am Ende fügt sich doch fast immer alles ganz harmonisch zusammen! Und ebenso vermute ich stark, dass sich auch in den euch so lieb gewordenen Halbwüsten in all den letzten Jahren einiges verändert haben wird!“

„Verehrter Shatterhand, verändert? Was soll sich dort verändert haben? Nun ja, vielleicht ein paar Kleinigkeiten ... aber grundsätzlich? Nie und nimmer! Das wäre ja furchtbar, wenn ich mich nicht irre!“

„Nun, mein lieber Sam: Du hast ja selbst vorhin schon angedeutet, dass nicht alles mehr so ist, wie es war! Zum Beispiel: Warum könnte es schwierig werden, Sir David dreimal am Tag mit Büffelfleisch zu versorgen?“

„Was ist mit dir los, altes Greenhorn, hast du dich denn dieses Mal nicht wie sonst üblich zu Hause mit deinen Büchern ein wenig schlau gemacht, um hier immer alles zu wissen, wenn wir dich etwas fragen? Du weißt ja: Der Prärie-Bison ist das größte Landsäugetier in Nordamerika, sein Lebensraum ist das offene Grasland der Prärie und, höre und staune! Vor Ankunft der europäischen Siedler wurde seine Zahl auf dreißig Millionen geschätzt! Und wie sieht es heute aus? Als Folge der Bejagung durch den Menschen ging ihre Zahl dramatisch zurück und damit natürlich auch die Lebensgrundlage der Indianer! Du kannst es dir nicht vorstellen: Von 1872 bis heute wurden pro Jahr allein mehr als eine Million Büffelfelle nach Osten verfrachtet! Und der Bestand der Bisons ging auf weniger als tausend Tiere zurück! Das macht es heute eben auch für Sir David schwierig, mehrmals am Tag Büffelfleisch zu verzehren! Du wirst später vom Red River und von der Bahnlinie nach Abilene aus kaum noch Bisons sehen! Schuld daran ist vor allem der Bau der ersten transkontinentalen Ost-West-Bahnverbindung, die zu einer Trennung der Bison-Vorkommen in eine Nord- und eine Süd-Herde führte! Und von der Bahn aus wurden die Tiere dann wie wild und aus reinem Vergnügen geschossen! Zuerst wurde die Süd-Herde ausgerottet, dann auch die Nord-Herde. Erst durch die Gründung des Yellowstone National Parks im Jahr 1872 erhielten diese Tiere gerade noch rechtzeitig ein Rückzugsgebiet, in dem sie sich begrenzt vermehren konnten und die Tierart so erhalten blieb! Aber nicht nur die Bisons sind verschwunden, auch die Indianer! Deren wesentlich geringere Zahl als früher lebt heute überwiegend in sogenannten Reservaten in Teilen der nördlichen und südlichen Prärie.“