Kara Ben Nemsi - Neue Abenteuer 22: Von Leptis Magna in den Dschebel Nefusa - Axel J. Halbach - E-Book

Kara Ben Nemsi - Neue Abenteuer 22: Von Leptis Magna in den Dschebel Nefusa E-Book

Axel J. Halbach

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Beschreibung

Kara ben Nemsi bekommt in Deutschland überraschend Besuch von seinem Freund Hadschi Halef Omar. Zur selben Zeit taucht ein Mann auf, der eine Karte der altrömischen Stadt Leptis Magna gefunden hat. Man informiert Sir David Lindsay, damit dieser nach Tripolis reist, wo man sich zu treffen gedenkt, um eine Exkursion nach Leptis Magna zu unternehmen. Eine Reise voller Gefahren und Abenteuer beginnt.

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Seitenzahl: 318

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Kara Ben NemsiVON LEPTIS MAGNA IN DEN DSCHEBEL NEFUSA

In dieser Reihe bisher erschienen

1801 Die Rückkehr des Schut

1802 Die Rache des Schut

1803 Der Fluch des Schut

1804 In der Gewalt des Schut

1805 Das Geheimnis des Schut

1806 Der Krieg des Schut

1807 Die Schatzräuber und die Felsenstadt

1808 Das Königsgrab in der Felsenstadt

1809 Das Vermächtnis aus der Felsenstadt

1810 Die Shejitana

1811 Im Reich der Shejitana

1812 Königin Shejitana

1813 Die Reise zum Toten Meer

1814 Die Stadt am Toten Meer

1815 In der roten Wüste

1816 Die El-Wahabiya-Bande

1817 Karawanentod

1818 Auf dem Weg zu Halef

1819 Im Tal der Herba Juvenilis

1820 Der Blick des Tetrapylon

1821 Schwarzes Elfenbein

1822 Von Leptis Magna in den Dschebel Nefusa

Kara Ben Nemsi

Von Leptis Magna in den Dschebel Nefusa

Eine Reiseerzählung nach den Charakterenvon Karl May

Aufgeschrieben von Axel J. Halbach

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2023 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Ralph KretschmannUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-132-8

Was aus einer vermeintlich paradiesischen Gegenwart werden kann

Eigentlich konnte ich durchaus mit mir zufrieden sein. Ich saß auf einem bequemen Sessel mit Blick auf meinen Schreibtisch – und dieser war so aufgeräumt und leer, wie ich es seit Langem nicht mehr kannte. Keine Notizen, Briefe, Fragen oder Gedanken, die es zu bearbeiten galt. Keine Hinweise auf unangenehme Termine, die endlich wahrgenommen werden mussten. Die letzte Seite meiner Niederschrift über das grenzwertige Abenteuer mit Bloody Fox und seiner Black-Hawk-Bande im Wilden Westen der noch jungen Vereinigten Staaten war geschrieben und das gesamte Manuskript an meinen Verleger gegangen. Es war still um mich herum geworden – kein unerwarteter Besucher hatte diese entspannende Ruhe seit geraumer Zeit gestört, keine Verpflichtungen irgendwelcher Art beschäftigten meine Gedanken – ein wahrhaft paradiesischer Zustand! Und dennoch ...

Dennoch hatte ich im Unterbewusstsein ein ungutes, ein bedrückendes, vielleicht sogar eine Art deprimierendes Gefühl. Der Blick aus dem Fenster in das beginnende Frühlingserwachen verbesserte dieses hintergründige Unwohlsein nicht. Was war mit mir los? War ich nun zufrieden oder nicht? Sollte ich mich nicht freuen, einen solchen Zustand entspannter Zufriedenheit endlich ­einmal zu erleben? Tatsächlich – diese Art Gegenwart war mir ein bislang unbekanntes Phänomen.

In meinen Gedanken drängte sich ein Gespräch in den Vordergrund, das ich vor einigen Tagen mit meinem Onkel Friedrich Holunderbusch, seinerzeit Hauptmann bei den preußischen Kürassieren und heute schon seit vielen Jahren pensionierter Förster in Waldeshausen bei Kötschenbroda, geführt hatte. Als Folge seiner gicht­geplagten Füße verbrachte er den größten Teil des Tages in seinem Schaukelstuhl vor einem großen Fenster mit erinnerungsvollem Blick auf seinen heiß geliebten Wald. Ihm stand notwendigerweise eine liebevolle Haushälterin zur Seite, denn seine seit einigen Jahren verheiratete Tochter Annie hatte dank Kind und Haushalt nur noch begrenzte Zeit, ihn ab und zu zu besuchen.

Mein Besuch bei ihm war für ihn immer ein Highlight gewesen, denn es hatte sich seit Jahren eingebürgert, ihm bei diesen Besuchen von meinen wieder einmal heil überstandenen Abenteuern in der für ihn so fernen und fremden Welt zu berichten. Und darum ging es natürlich auch bei diesem meinem letzten Besuch, dessen Ablauf mir plötzlich wieder so klar und deutlich vor Augen stand, als wäre es gestern gewesen ...

„Heiliges Kanonenrohr und Haubitzengewitter! Diese letzte Geschichte von dir und viele mehr habe ich mindestens schon ein Dutzend Mal gehört – wann kommt endlich wieder etwas Neues? Lieber Karl – ich könnte sie dir ja jetzt schon selbst erzählen!“

„Onkelchen – du weiß doch, wie es bei mir zu Hause zugeht! Ich habe noch ... ich muss noch ...“

„Himmelkreuzdonnerwetter und Sturmgetöse – irgendwann muss doch auch bei dir einmal alles erledigt sein! Sapperment und Säbelkreuz – du willst mir doch nicht etwa weismachen, dass es auf dieser Welt keine Schurken mehr gibt, die nur auf dich warten? Bei allem Kampfgeschrei der Kürassiere – diese Millionen von Schurken müssen in der Hölle gebraten werden und du hast längst noch nicht bei allen dazu beigetragen!“

„Das ist wohl richtig, lieber Onkel – aber wenn ich an die vielen Briefe, an die Anrufe, an die Besucher und sonstigen Termine denke – sie alle kosten Zeit, Energie und ...“

„Donnerblitz und Sapperlot! Verschweigst du mir vielleicht sogar etwas? Willst du mir einfach nicht mehr von deinen neuen Erlebnissen in dieser doch so turbulenten Welt berichten? Womit habe ich das verdient?“

„Mein lieber Onkel – verdient hättest du das sicher nicht – aber das ist auch nicht der Fall! Sei doch nicht so bärbeißig! Wir haben Frühling – schon ein Blick aus dem Fenster müsste dich doch auf ganz andere und schönere Gedanken bringen!“

„Was sagst du da? Haben wir vielleicht Sonne, blauen Himmel, die ganze Wiese vor dem Wald voll von meinen geliebten Kreaturen der Natur? Himmeldonnerkreuzschockbombenelement – was sehe ich stattdessen draußen? Ein absolut grausliches, elendes, scheußliches, geradezu fürchterliches Wetter mit Regen, Sturm, Schnee und taubeneigroßen Hagelkörnern! Bei allen heiligen Engeln und ihrer endlich abgeworfenen Erdenschwere – wann begreifst du endlich, dass es für mich nur bei einer neuen Geschichte wieder bestes und wunderbares Wetter geben wird? Stattdessen aber habe ich immer noch diese verdammte Gicht und ich brauche schon wieder neue Wickel – möge sie doch endlich tausend Klafter tief in die Hölle fahren und dort dem Teufel ihre Aufwartung machen! Auch beim Schaukelstuhl könnte ich einen neuen gebrauchen!“

„Ich verstehe dich ja, lieber Onkel – und ich verschweige dir auch wirklich nichts! Ich habe nur ... ich bin nur ...“

„Du bist – Schrapnell und Pulverdampf! – nicht mehr wiederzuerkennen! Du wirst mir – Schockschwerenot und Hagelwetter! – endlich wieder eine neue Geschichte erzählen! Leider kann das nicht schon morgen sein, wie ich vermute – aber sie wird und muss kommen, und wenn ich dir tausend Nadeln in deinen lahm gewordenen Hintern stecken muss! Bis zu der neuen Geschichte gebe ich dir sogar noch eine letzte Chance zwischendurch – denke dir einfach einmal eine Geschichte aus, bis du – beim heiligen Eusebius! – wieder den Mut und die Freude gefunden hast, das Übel in dieser Welt ein wenig zu reduzieren! Heureka – dann könnte ich auch meine Gicht fast vergessen! Was sagst du dazu?“

„Onkelchen – du hast ja recht. Ich muss zugeben: Mit der Möglichkeit, mir einfach eine neue Geschichte ­auszudenken, habe ich mich bislang überhaupt noch nicht befasst, aber ich will darüber nachdenken. Davon abgesehen ...“

„Davon abgesehen gibt es nur eine einzige Alternative: wieder hinaus in die Welt der Schurken und Bösewichte! Sapperment und Donnerkeil – hast du deine Vergangenheit, deine Freunde und deine einmaligen Fähigkeiten vergessen?“

„Lieber Onkel – ich will ... ich werde versuchen ...“

„Sturmgebrüll und Freudenschrei – ich wusste, du wirst mich nicht im Stich lassen! Mach dich aber zuerst an die ausgedachte Geschichte – sonst dauert es viel zu lange! Ich kann es gar nicht mehr erwarten!“

So war es also abgelaufen – mein Gespräch vor einigen Tagen mit meinem Onkel Friedrich Holunderbusch. Wieso hatte ich dank meiner – vielleicht nur eingebildeten? – Zufriedenheit bis jetzt gar nicht mehr daran gedacht? Mir einfach eine Geschichte auszudenken – das war mir bisher noch nie in den Sinn gekommen. Aber hieße das nicht, meine Vergangenheit zu verraten? Ich muss zugeben: Meine angebliche und von einem unterschwellig bedrückenden Gefühl begleitete Zufriedenheit hatte einen Riss bekommen – und in diesem Augenblick klingelte der Postbote, was zunächst meine etwas durcheinandergeratenen Gedanken verdrängte. Ich ging zur Tür und hielt bald darauf einen Brief in der Hand – einen Brief, dessen Absender mir angesichts der Briefmarke mit Queen Victoria mehr als bekannt war ... und auch über den zu erwartenden Inhalt des Briefes war ich mir sofort im Klaren ...

Natürlich handelte es sich um Sir David Lindsay, mein schrulliger, tapferer, großzügiger und vor allem treuer Freund so mancher gemeinsamer Reisen und Abenteuer. Er ist Mitglied des Travellers Club in London, den er aber seit längerer Zeit als einen Club eingebildeter Ignoranten bezeichnet und mit Verachtung straft. Ein Kennzeichen von ihm ist seine stets weiß-grau karierte Kleidung, ein weiteres sind die Überreste einer Aleppo-Beule, die seine ohnehin schon lange Nase ziert. Sein Hobby ist die Suche nach Altertümern, darunter vor allem nach sogenannten Fowling Bulls. Wichtig ist für ihn auch, möglichst von jeder seiner abenteuerlichen Reisen eine Erinnerung mitzubringen.

Seit unserem letzten gemeinsamen Abenteuer in der Syrischen Wüste waren jetzt gerade etwa zwei Jahre vergangen. Ohne weitere Worte gebe ich am besten gleich den Wortlaut seines Schreibens wieder.

My dear, but unfaithful Mister Shatterhand ben Nemsi, habe gedacht, to send you a telegram – but viel zu kurz to express adequately meine tief empfundenen grievances! What is the matter with you? Habe since months – even years – nichts mehr von my best friend gehört! Are you unpässlich or even worse? My yacht gets on rust – and so do I! We are both waiting for another adventurous trip together! You remember Jamaica? Or the White Panther? Or the gold mine in Syria? What wonderful experiences, to which others have to be attached! Sei überzeugt, my dear – this time I don’t accept your often fadenscheinige excuses any more!

Dear old chap – I am convinced: Dieses Mal wirst du mich nicht enttäuschen! Stop your bloody writing – numerous new adventures are ahead of us! Please answer by return of mail – keine Entschuldigung whatsoever will be accepted!

Yours ever so truly, but as well lost in sorrow

David Lindsay

Genau das hatte ich erwartet – nein, vielmehr befürchtet! Er hatte ja recht – vor allem aber brachte dieses Schreiben meine zurzeit ohnehin etwas verwirrten Gedanken noch mehr durcheinander. Eine Verschwörung gegen meinen angeblichen Zustand der Zufriedenheit ... oder vielleicht eher ein Wink des Himmels? Noch war ich mir nicht wirklich klar darüber, als mich erneut ein nicht alltägliches Geräusch aufschrecken ließ: Eine Kutsche war vor meinem Haus vorgefahren und auf der meiner Hauswand abgewandten Seite stieg jemand aus, sodass ich natürlich nicht erkennen konnte, um wen es sich handelte. Wenig später dann klingelte es an der Haustür erneut ...

Und wer stand vor mir, als ich die Haustür geöffnet hatte? Meine ungläubige Überraschung überwältigte mich so, dass ich kein Wort hervorbrachte: Vor mir stand mein auf unzählbaren Orientreisen treuer Gefährte, Freund und Beschützer Hadschi Halef Omar, Stammesführer der Haddedihn, einer Unterabteilung des Stammes der Schammar in Saudi-Arabien! Wie oft hatte ich mit ihm auf unseren Reisen über meine Heimat gesprochen – es aber bisher nie fertiggebracht, sie ihm einmal persönlich zu zeigen!

Und jetzt stand er vor mir – ich konnte es immer noch nicht fassen oder begreifen! Noch immer brachte ich nicht mehr als nur das Wort Halef über die Lippen. Halef und die Haddedihn waren so etwas wie meine zweite Heimat im Orient geworden. In ihrer Nachbarschaft in Saudi-Arabien hatten die Haddedihn eine Art lokale Vorherrschaft errungen. Ihre Bewaffnung wurde im Laufe der Jahre für die lokalen Verhältnisse gut bis vorzüglich und es war zu einer Selbstverständlichkeit geworden, dass mein guter Halef seit Langem dem Christentum zuneigte, ohne aber regelrecht zu konvertieren. Dank seinem Vorbild nahmen auch die übrigen Haddedihn es mit den Vorschriften des Islam nicht mehr ganz so ernst.

So ganz allmählich hatte ich jetzt meinen ersten Schock überwunden. Halef sah aus, als ob er gerade aus seinem Zelt gekommen wäre: Auf dem Kopf sein unverzicht­barer grüner Turban, am Körper ein leichter, bis über die Knie reichender Haik oder Kaftan, darüber allerdings eine wärmende Baumwollweste, denn der beginnende Frühling hier war doch noch durchaus frisch. An seinen Füßen befanden sich deshalb auch feste Schuhe und nicht die lockeren Sandalen, die er normalerweise trug. Ich schloss ihn fest in meine Arme.

„Halef – ich kann es immer noch nicht fassen! Wie ist es möglich, dass du jetzt hier vor meiner Tür stehst? Wie bist du hierhergekommen?“

„Sihdi – ich bin mit dem Schiff nach Tripolis gefahren, um in Zuara, der großen Oase westlich von Tripolis, Kamele für meine Haddedihn zu kaufen. Diese sind inzwischen schon wieder mit meinem Sohn Kara zurück in Richtung Osten auf dem großen Wasser, nach ­Alexandria und von dort aus weiter zu unserem Duar der ­Haddedihn. Und da fasste ich – Allah wa Salahu wa ­Marhaba:Sei auf das Herzlichste begrüßt! – den Entschluss, die Schande des Versäumnisses, dich so lange nicht gesehen zu haben, ein für alle Mal mit einem Besuch des Belad el Alman auszulöschen! Denn für dich war ja der Weg zu mir – Allah wallah billah tillah! – offenbar zu einem Abu el Chof, einem Vater des Entsetzens, geworden!

Weißt du noch, wie wir vor einigen Jahren zusammen in Tripolis waren, dort auf Hochwürden David Lindsay warteten und dieser dann auf seiner Jacht einen großen stählernen Käfig transportierte, mit dem er in einem wilden Urwald den weißen Panther fangen und transportieren wollte?“

„Natürlich – wie hätte ich das vergessen können? Wir haben wahrlich so einige skurrile Dinge mit dem guten Lord erlebt, von dem ich übrigens gerade einen Brief erhielt! Er beschwert sich genau wie du, dass wir uns geraume Zeit nicht mehr gesehen haben, und will unbedingt erneut auf Entdeckungsreise gehen! Aber nun erzähle – wie ist es dir auf dem weiten Weg von Tripolis bis hierher ergangen?“

„Ach, Sihdi – in der Wüste ist es eben die erbarmungslose Hitze, die einem den letzten Tropfen Leben aus dem Körper saugt! Hier jedoch, in deinem Land, sind es die wilden Tiere, die sich im drohenden Dunkel des Urwalds verstecken, die Sümpfe, deren giftige Dämpfe zu unzähligen, dich von innen verzehrenden Krankheiten führen, von Ohrenjucken, Nierensausen und Milzbrennen bis hin zu Gedärmverschlingung, Lungenschrumpfung und Leberquetschung, von einem gebrochenen Magen und Herzstillstand ganz zu schweigen! Wie konntest du hier nur so lange angesichts dieser so zahlreichen und erbarmungslosen Gefahren überleben? Ich verstehe jetzt, warum es dich in der Vergangenheit immer wieder in die Wüste gezogen hat! Sie ist ehrlich zu dir und zeigt dir klar und deutlich, worauf du dich einzustellen hast!“

„Nun ja, Halef, alles ist relativ – wir haben sie bewältigt, die Gefahren, alle beide, und das viele Male!“

„Richtig, Sihdi – so wie wir, die Beduinen, bist du eben auch zu einem Teil der Wüste geworden! Wir wissen, worauf wir uns einstellen müssen. Aber hier, in deinem Land der drohenden Urwälder, der wilden Tiere und Sümpfe war der Weg für mich voller unglaublicher Gefahren! Hielt ich den Kopf aus der Kutsche, versuchten tief hängende Äste, mir den Kopf abzureißen, das Geschlinger des Rüttelgefährts schleuderte meine Magensäfte bis in die Nase und andere verbotene Regionen, und als dann schließlich dieses unglaubliche Gefährt mit stoisch klappernder Ruhe sein linkes Bein – ich meine Rad – gebrochen hatte, wurde das drohende Grün, in dem wir stecken geblieben waren, für mich zu einer Angst wie vor Abu l’Ifrid, dem schwarzen Panther, dem Vater des obersten Teufels!

Überall in diesem grünen Vorhang waren glühende Augen verborgen, denen schon Teile meines Körpers im Mund zerrannen! Und dann – du kannst es dir nicht vorstellen! – erst streifte ein wilder Adler meine jetzt nur noch neun verbliebenen Barthaare, dann huschte ein mir unbekanntes schwarzes Untier durch das Gestrüpp auf mich zu und versuchte gierig, meinen im Schlamm stecken gebliebenen linken Schuh zu vertilgen, und schließlich erschien auch noch der riesige Kopf einer wahren Höllengestalt vor meinen Augen und leckte schon seine rote Zunge im seligen Vorgeschmack der zu erwartenden Mahlzeit! Könntest du dir solche Schrecknisse auch in der Wüste vorstellen, wo bestenfalls Sandflöhe einen Unterschlupf unter deinen Zehennägeln suchen? Es war ein Grauen, das mir trotz des sibirischen Klimas hier den Angstschweiß in Strömen auf die Stirn trieb!“

„Aber Halef – du bist wirklich unverbesserlich! Damit hast du deiner unnachahmlichen Phantasie wohl ein bisschen zu viel Raum gegeben! Bei den glühenden Augen dürfte es sich um Glühwürmchen gehandelt haben, obwohl dies bei den derzeitigen Temperaturen eigentlich noch etwas vorzeitig wäre. Dein wilder Adler dürfte eine aufgeschreckte Amsel gewesen sein, vielleicht auch ein Eichelhäher oder Sperber, vielleicht sogar ein Bussard, zu deren Nahrung eher Mäuse als deine Barthaare gehören. Das schwarze Untier, das deine Schuhe vertilgen wollte, war vermutlich eine Wildkatze und der Kopf des besonders grauenhaften Wesens könnte unter Umständen tatsächlich ein Braunbär gewesen sein – hast du ihm denn keinen Honig gegeben?“

„Honig? Auf welchen deiner langen Arme nimmst du mich jetzt? Wo sollte ich den wohl herhaben – und wozu überhaupt?“

„Manche der Kutscher, die hier durch die dichten Wälder fahren müssen – oder auch die Insassen der Kutschen selbst – haben sich schon seit Langem auf solche Begegnungen vorbereitet und immer ein Glas Honig bereit, die Lieblingsnahrung der Bären! Genau darauf hat dein Untier gewartet!“

„Allahu, wallahu, tallahu – jetzt hat aber deine Phantasie den Boden der ehrwürdigen Wahrheit verlassen! Aber dennoch – Adschab Allah – Wunder Gottes! – habe ich jetzt dank der unvergleichlichen Güte des Allbarmherzigen zumindest äußerlich unversehrt den Weg zu dir gefunden! Ich werde jetzt die Kutsche fortschicken und dann machen wir endlich wieder Pläne in deinem Zimmer des gemütlichen Wohnens!“

„Schön und gut – dagegen habe ich natürlich nichts. Aber mir fehlen immer noch deine Erlebnisse, wie du von Tripolis bis hierher oder zumindest bis nach Europa gekommen bist.“

„Ach, Sihdi – Wahajati – bei meinem Leben: Die will ich am liebsten vergessen und auch nicht erzählen! Von Tripolis mit dem Schiff nach Genua – das war natürlich eine wunderbare Erholung! Von dort dann aber ...“

„... bist du mit einem Kamel über die Berge geritten wie seinerzeit Hannibal mit seinen Elefanten!“

„Hamdullilah! Ein Kamel! Das wäre mein Wunschtraum gewesen! Es gab aber keines! Dafür aber zum Glück verschiedene andere Möglichkeiten, die jetzt keine Rolle mehr spielen und die ich deshalb auch wie gesagt verschweigen werde! Beim Bir es Schukr, dem Brunnen der Dankbarkeit – ich bin wirklich froh, den Weg zu dir unversehrt gefunden zu haben! Mich gelüstet jetzt nach einem Glas Lagmi – Dattelsaft oder was immer du mir anbieten kannst –, damit wir endlich auf deinen gemütlichen Sitzgelegenheiten unsere Gedanken in die Vergangenheit und hoffentlich auch in die Zukunft wandern lassen können!“

In diesem Augenblick sah ich eine dunkelblau gekleidete Männergestalt am Fenster vorbeigehen und kurz darauf klingelte es erneut an der Haustür. Die ständigen Unterbrechungen dieses denkwürdigen Vormittags wollten offenbar kein Ende nehmen. Widerstrebend ging ich zur Tür und öffnete sie. Vor mir stand ein mir ­unbekannter adrett gekleideter junger Mann von vielleicht etwa dreißig Jahren, unter dessen linkem Arm eine schmale Aktentasche geklemmt war. Ich konnte ihn gerade noch etwas ratlos und fragend ansehen, als ich schon von ihm angesprochen wurde.

„Habe ich die Ehre, vor mir Herrn May – alias Old Shatterhand oder Kara ben Nemsi – zu sehen?“

„Derjenige bin ich – Sie haben offenbar einige meiner Bücher gelesen? Aber wen habe ich vor mir? Und was führt Sie zu mir?“

„Nicht nur einige, Herr May! Aber verzeihen Sie, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe – mein Name ist Benedictus Pfefferstiel und ...“

„Meiner Treu – wie kann man nur so heißen? Aber – entschuldigen Sie – das geht mich überhaupt nichts an! Ihr Anliegen jedoch ...“

Wir hatten inzwischen das Wohnzimmer betreten und der Blick meines Besuchers fiel natürlich sofort auf Halef.

„Ist das möglich? Sehe ich dort den berühmten Hadschi Halef Omar, den Scheik der Haddedihn, vor mir?“

„Sie haben recht und meine Bücher offenbar sehr gründlich gelesen! Er ist ebenso wie Sie gerade erst angekommen; wir haben noch nicht einmal Zeit gehabt, gemeinsame Erinnerungen auszutauschen! Aber was hat Sie zu mir geführt?“

Halef und der junge Mann begrüßten sich etwas förmlich.

„Mein Name ist tatsächlich etwas ungewöhnlich – natürlich bin ich schon oft auf ihn angesprochen worden. Einer meiner frühen Vorfahren muss offenbar eine Art Gewürzhändler oder Ähnliches gewesen sein, was dann irgendwie zu diesem Namen führte. Für den Vornamen aber ist mein Vater verantwortlich, der Professor für Latein an der Universität Dresden ist. Auch ich habe dort studiert und vor Kurzem meinen Abschluss in Archäologie mit dem Schwergewicht auf die antike Welt des Römischen Reiches gemacht. Natürlich geht dieser Werdegang auch, aber nicht nur, auf einen Einfluss meines Vaters zurück. Die Hinterlassenschaften der Römer und die lateinische Sprache, die ich fast fließend spreche, haben mich voll und ganz in ihren Bann gezogen ...“

„Das ist alles sehr interessant und lobenswert – aber was hat das mit mir zu tun? Welches Anliegen hat Sie vor diesem Hintergrund zu mir geführt?“

„Das ist nicht mit wenigen Worten gesagt. Hier in meiner Tasche habe ich eine Karte, die ihrem Fundort nach zu urteilen direkt aus der Zeit des Römischen Reiches stammt, die aber – ich kann mir nicht erklären, warum und wieso – mit Anmerkungen in offenbar arabischer Schrift versehen ist, die mir fremd ist. Da Sie jedoch fließend Arabisch sprechen und schreiben, hatte ich gedacht, Sie könnten mir vielleicht ... diese Notizen ... in arabischer Schrift ... übersetzen?“

„Aber gerne! Setzen wir uns doch! Halef und ich werden sicher eine Antwort darauf haben.“

Ein freier Sessel stand noch am Tisch, um den herum wir jetzt saßen. Benedictus Pfefferstiel – wahrlich ein ungewöhnlicher Name – öffnete seine Tasche und zog ein stark vergilbtes Dokument hervor, auf dem eine Art Karte eingezeichnet war. Man erkannte eine Küsten­linie mit einem mit dem Namen Leptis Magna versehenen Areal, das anscheinend die Konturen und teils auch Gebäude einer Stadt wiedergab. Von dieser Stadt aus führten gestrichelte Linien in südwestlicher Richtung auf ein Gebiet zu, dessen Konturen sehr wahrscheinlich ein Gebirge darstellen sollten. Weitere Einzelheiten waren auf dem ersten Blick kaum zu erkennen; auffallend war jedoch, dass an einigen Stellen arabische Schriftzeichen Erklärungen oder Ähnliches andeuteten.

Halef hatte inzwischen das Pergament an sich genommen und meinte als Erster: „Natürlich! Das ist die Küsten­linie von Libyen, der freie Raum nach Norden ist das Mittelmeer. Von Leptis Magna habe ich gehört, bin aber nie selbst dort gewesen. Mir ist aber bekannt, dass es sich bei Leptis Magna um eine seinerzeit große römische Stadt handelt, deren Ruinen heute unter meterhohen Sandschichten verborgen sind.“

„Angesichts meines großen Interesses an der römischen Kultur“, sagte jetzt Benedictus, „kann ich noch einiges dazu beitragen. Heute liegen die ehemaligen Römerstädte Leptis Magna – sowie etwa sechzig Kilometer westlich davon Sabratha – unter wahrlich meter­hohen Sandschichten begraben. Dank der Zeichnungen auf ­diesem Pergament und anderen Unterlagen von mir muss es sich bei Leptis Magna tatsächlich um eine seinerzeit ungewöhnlich große und reiche Stadt gehandelt haben. Das heutige Libyen befindet sich auf sehr historischem Boden. Phönizier, Ägypter, Karthager, Griechen, Römer, Vandalen, Byzantiner, Araber und Spanier haben dieses Gebiet an der Mittelmeerküste zeitweise beherrscht und dabei die ansässigen Berber jeweils unterworfen.

Wie ich meinen Unterlagen weiter entnehmen konnte, war Leptis Magna schon im 8. Jahrhundert vor Christus die erste Handelskolonie der Phönizier. Unter die Herrschaft Roms geriet diese rund 120 Kilometer östlich von Tripolis gelegene Stadt aber erst um 46 vor Christus. Unter der Herrschaft Roms entwickelte sie sich dann mit bis zu 100.000 Einwohnern zur zweitgrößten Stadt des Reiches nach Rom. Unter anderem wurde sie unter römischer Herrschaft zum Hauptumschlagplatz für exotische Tiere aus Schwarzafrika. Vorwiegend Löwen und Elefanten wurden dort gehandelt für die bekannten Zirkusspiele im ganzen Römischen Reich.

Leptis Magna muss sehr eindrucksvoll gewesen sein. Wie diesem Dokument und anderen Unterlagen von mir zu entnehmen, begeistern Severische Triumphbogen, Thermen, das alte und neue Forum, ein großes Amphitheater, mehrere kleinere Arenen sowie der direkt am Meer gelegene Zirkus Bewohner und Besucher gleichermaßen. Der Niedergang der Stadt setzte mit wiederholten Nomadeneinfällen ein, dann folgte die Eroberung durch die Vandalen im Jahr 455 und entscheidend war schließlich die Einnahme der Stadt durch die Araber im Jahr 647. Während Tripolis zum neuen Zentrum der Provinz Tripolitanien von Libyen wurde, wurde Leptis Magna von der Bevölkerung aufgegeben.“

„Das sind wahrhaftig erschöpfende Informationen“, sagte ich, „aber was hat das letztlich mit Ihnen oder mit dieser Karte zu tun?“

„Ich muss wissen, was diese arabischen Schriftzeichen bedeuten, denn ich habe vor, Leptis Magna aufzusuchen, weil mir eine sehr beunruhigende Information zuging: In Tripolis soll es seit einiger Zeit einen groß angelegten Handel mit römischen Artefakten, mit antiken Gegenständen aller Art geben, die nur aus Leptis Magna, zu einem kleineren Teil vielleicht auch aus Sabratha, stammen können. Dieser illegalen Plünderung will ich auf den Grund gehen, bevor noch mehr unschätzbare archäo­logische Relikte aus der Römerzeit verloren gehen.“

„Das ist wohl kaum von Ihnen allein zu bewerkstelligen – aber legen wir dieses Thema erst einmal beiseite. Was hat es nun eigentlich mit diesen arabischen Schriftzeichen auf der gezeichneten Karte auf sich?“

Halef reichte mir das von ihm inzwischen akribisch studierte Dokument und sagte: „Sihdi – zunächst einmal: Meiner Ansicht nach kann es sich bei diesen von ­Leptis Magna aus in südwestlicher Richtung ausgehenden gestrichelten Linien nur um unterirdische Stollen, um sogenannte Foggaras handeln. Dir ist dieses ­traditionelle System der Grundwasseranzapfung auch ein Begriff. In einem leicht geneigten Gelände werden in bestimmten Abständen Schächte gegraben, die bis zum Grundwasser­horizont reichen. Diese Schächte werden dann durch unterirdische Stollen, deren Gefälle geringer ist als das Geländegefälle, miteinander verbunden. In diesen Stollen sammelt sich dann das Wasser und wird zum Zielort geleitet. Dieser Zielort war Leptis Magna, denn wie anders war eine so große Stadt mit ihren Bewohnern mit dem notwendigen Süßwasser zu versorgen? Natürlich nutzte man während der Regenzeit auch die Niederschläge des schmalen grünen Küstenstreifens – aber diese dürften nie und nimmer ausgereicht haben!“

„Sehr gut kombiniert, Halef, damit hast du sicher recht. Die gestrichelten Linien führen nach Südwesten, zum Nefusa-Gebirge im Hinterland von Tripolitanien, dessen Niederschläge natürlich der Ursprung des Grundwassers waren. Viele Oasen im Hinterland Libyens könnten ohne solche Foggaras überhaupt nicht überleben, sie bilden fast immer die Lebensgrundlage einer Oase. Aber die arabischen ...“

„Das ist jetzt die entscheidende Frage. Ihre Bedeutung ist schwer, letztlich aber dann doch zu entziffern. Insgesamt meine ich, sechs oder sieben Foggaras identifizieren zu können. Ein Teil dieser Schriftzeichen bedeutet im Grunde nur Wasser, das trifft mehr oder weniger eindeutig auf vier oder fünf der Foggaras zu. Zumindest bei zwei weiteren aber ist dies offenbar nicht der Fall – hier deuten die arabischen Schriftzeichen etwas ganz anderes an, nämlich in gewisser Weise – ich kann mich durchaus irren – irgendetwas Wertvolles, etwas, das auf jeden Fall zu bewahren ist, eine Art Schatz sozusagen – und das kann ich mir überhaupt nicht erklären!“

„Einen Schatz, sagst du? Mir erscheint das gar nicht so weit hergeholt! Denk an die vielen Überfälle, die es in Leptis Magna bis zu seinem endgültigen Niedergang gegeben hat – und die Stadt war reich, wie es unser Freund hier ausgeführt hat. Welche Möglichkeiten hatten die reichen Bewohner der Stadt, ihre wertvolle Habe – und möglicherweise auch sich selbst – vor solchen Überfällen in Sicherheit zu bringen? Letztlich doch nur über die Foggaras, irgendwo in dort nicht zu entdeckenden Verstecken, und diese Verstecke können sich eigentlich nur am Ausgangspunkt der Foggaras, im Dschebel Nefusa, befinden, wobei diese Foggaras natürlich etwas ausgebaut und erweitert worden sein müssen.“

„Sihdi – dein Scharfsinn ist wieder einmal unschlagbar! Wie ich während meines Aufenthalts in Tripolis erfahren habe, geht dort tatsächlich das Gerücht eines Schatzes im Dschebel Nefusa um, ohne dass man sich bisher erklären konnte, um was es sich dabei in dieser Gebirgswüste handeln könnte – vor allem auch, wo denn solch ein Schatz hergekommen sein soll, denn irgendwelche Bodenschätze gibt es im Dschebel Nefusa überhaupt nicht! Ich glaube, mit deiner Schlussfolgerung hast du den Nagel auf den Kopf getroffen! Ein irgendwie ­gearteter Hinweis auf den Ort dieses Schatzes ist den arabischen Schriftzeichen aber ebenso wenig zu entnehmen, wie man wohl auch in Tripolis diesem Rätsel nicht näher gekommen ist.“

„Diese vermuteten Zusammenhänge scheinen mir durchaus logisch zu sein, aber für unseren jungen Mann Benedictus bedeutet das ...“

„Bitte, Herr May – lassen Sie meinen schrecklichen Namen für immer aus dem Spiel! Für Sie und für alle anderen bin ich nur Ben!“

„Einverstanden! Auch unsererseits sollten es dann Halef und was mich betrifft Kara ben Nemsi sein, ebenso sollten wir zum vertraulicheren Du übergehen. Was ich aber sagen wollte, ist: Du, Ben, willst der Plünderung dieser antiken römischen Relikte offenbar persönlich und alleine auf den Grund gehen – das aber ist vollkommen unmöglich! Was glaubst du, dort alleine erreichen zu können? Du wirst in große Schwierigkeiten, wenn nicht gar Schlimmeres geraten! Und noch ein Punkt bereitet mir Sorge: Die arabischen Schriftzeichen auf diesem Pergament geben ein Geheimnis preis. Es kann deshalb durchaus sein, dass es irgendwo bei den Arabern in Libyen und Tripolis noch Personen gibt, die von diesem Dokument wissen – aber nicht, wo sich dieses im Moment befindet. Wenn bekannt wird, dass wir über diese Karte verfügen, sind wir sofort ein Ziel eventueller Räuber!“

Hier mischte sich Halef ein.

„Auch damit liegst du zweifellos richtig. Ich habe nämlich durch Zufall noch einige andere Dinge in Tripolis erfahren, die mir in bestimmter Hinsicht das Umfeld dort nicht ganz geheuer erscheinen lassen! So habe ich zum Beispiel mehrfach Gespräche belauscht, in denen von einer in der Stadt tätigen, ziemlich unangefochtenen räuberischen, um nicht zu sagen verbrecherischen Bande die Rede war, die schon verschiedentlich das friedliche Tripolis in Angst und Schrecken versetzt hat. Auch diese Bande ist natürlich hinter dem sagenumwobenen Schatz im Dschebel Nefusa her, und ich könnte mir denken, dass sie ebenso hinter dem illegalen Handel antiker Gegenstände steckt. Nie und nimmer könntest du, Ben, etwas gegen diese Burschen ausrichten! Im Gegenteil, du ...“

Ben zuckte zusammen.

„Aber ... aber ... ich will doch ... ich muss doch ... soll ich denn all meine Pläne aufgeben?“

„Warten wir es ab, ich bin nämlich noch nicht am Ende! Die Verbindungen dieser verbrecherischen Gruppe sollen bis in höchste Verwaltungshierarchien reichen – die Bürokratie kooperiert, um auch die eigene Tasche zu füllen! Und schließlich noch eine letzte Bemerkung: In einem winzigen Dorf, irgendwo in einem schmalen Tal des Dschebel Nefusa, soll eine Schwarze leben, die nur El Kiboko, das Nilpferd, genannt wird, die sehr gefürchtet wird und die, ebenso wie die Bande in Tripolis, in äußerst fragwürdige Geschäfte verwickelt sein soll. Über ihre Tätigkeit oder Rolle aber habe ich nichts in Erfahrung bringen können.“

„Kiboko, das Nilpferd, ist Suaheli“, schaltete ich mich ein. „Dieser Spitzname ist wahrscheinlich auf ihre körperliche Erscheinung zurückzuführen. Vermutlich handelt es sich bei ihr um jemanden der letzten Sklaventransporte, die vom Belad es Sudan, dem Land der Schwarzen, an die Küste führten, um von dort aus in die arabischen Länder gebracht zu werden, und die dann irgendwie im Dschebel Nefusa hängen geblieben ist. Halef – du erinnerst dich natürlich genau wie ich, als wir vor drei oder vier Jahren zusammen mit Sir David nach einer vergessenen Stadt der Phönizier im Süden Libyens suchten und dabei auf einen solchen Sklaventransport stießen, wobei ich dabei am Schluss in Bengasi in ziemliche Bedrängnis geriet ...“

„Richtig, Sihdi – du hast diese Erlebnisse in deinem Buch Schwarzes Elfenbein niedergeschrieben. Nicht nur der Küstenbereich, auch die unendliche Wüste im Landesinneren Libyens sind uns deshalb durchaus nicht unbekannt. Aber was unser guter Ben hier vorhat ...“

„... ist vollkommen unmöglich, wenn überhaupt, alleine zu bewältigen. Ich fasse noch einmal zusammen: In Tripolis haben wir es offenbar mit teils verbrecherischen, teils korrupten Strukturen zu tun, die uns das Leben schwer machen können. Hinzu kommt der verborgene Schatz im Dschebel Nefusa, der schon zu bestimmten Aktivitäten geführt haben dürfte. Dann der illegale Antiquitäten­handel sowie die Tätigkeit der schwarzen Kiboko, von der wir bis jetzt gar nichts wissen. Das alles dürfte für uns nicht unbedingt zu einem Spaziergang werden!“

„Sihdi – wann war es das jemals? Für uns drei hier würde es auf jeden Fall eine sehr reizvolle Aufgabe sein, diesen Dingen einmal auf den Grund zu gehen!“

„Halef ... du meinst ...?“

„Ich meine, dass nicht nur wir drei hier, sondern natürlich zusammen mit Sir David, der baldigst unterrichtet werden muss, ein neues Ziel, eine neue Aufgabe vor uns haben!“

„Ich gebe zu – meine Gedanken gingen tatsächlich auch schon ein wenig in diese Richtung ... aber mit Ben ...“

„Ich bin dabei – mit größter Freude und Begeisterung! Ich kann mein Glück ja noch gar nicht fassen! Natürlich ist mir jetzt klar geworden, dass meine Vorstellung und Absicht, hier alleine etwas bewirken zu können, völlig irreal war. Aber wie sagten schon die Römer? Non omnia possumus omnes – wir können nicht alle alles! Aber gemeinsam lässt sich vieles bewältigen! Usus magister est optimus – Erfahrung ist der beste Lehrer ... und diese Erfahrung werden wir uns verschaffen!“

„Nun ja – da gibt es natürlich noch einiges zu klären! Zum Beispiel, Ben: Bist du schon einmal auf einem Kamel geritten? Und könntest du im Notfall mit irgendwelchen Waffen, zum Beispiel Schusswaffen, umgehen?“

„Nein, noch nie, beides nicht. Aber ich könnte mich im Notfall ganz passabel mit dem Messer verteidigen!“

„Egal – dann wirst du auf jeden Fall noch einiges lernen müssen! Sir David ist im Laufe der Zeit schließlich auch zu einem ganz passablen Schützen geworden. ­Allerdings – was das Kamel angeht, da wirst du eben erst einmal deine eigenen Erfahrungen machen müssen.“

„El Hamdullilah – Sihdi, du bist einverstanden! Ich wusste es! Dieser Herausforderung kannst du nicht widerstehen! Lass uns die endgültigen Pläne machen, so schnell wie möglich! Ich kann es gar nicht mehr erwarten – endlich wieder ein Abenteuer, wie unser Hochwürden David Lindsay sagen würde!“

Das war also das Ende eines denkwürdigen Tages, der für mich so ganz anders angefangen hatte – und mein unterschwelliges ungutes Gefühl war plötzlich total verschwunden! Natürlich musste jetzt allem voran Sir David informiert werden und ich schickte ihm ein langes, leider auch ziemlich teures Telegramm mit allen notwendigen Informationen zu unserem neuen Vorhaben.

Seine Antwort kam postwendend – er war nicht nur entzückt, sondern kochte fast über vor Begeisterung! Seine Vorbereitung würde etwa eine gute Woche in Anspruch nehmen, schrieb er zurück. Zu einem von ihm vorgeschlagenen Datum, das auch uns hier sehr gut passte, würde er uns drei in Hamburg an Bord seiner Jacht nehmen, um dann von Hamburg aus in Richtung Mittelmeer nach Tripolis zu fahren. Alles Weitere wäre dann an Bord zu besprechen.

Wie unser neues Vorhaben tatsächlich ablaufen würde, stand natürlich in den Sternen. Ben meinte hierzu: „Auch den Römern war schon klar, dass der Morgen nie verrät, was den Tag am Abend abschließt, wie ihr Ausspruch dokumentiert: Quid vesper ferat incertum est – was der Abend bringt, ist ungewiss.“

Erste Eindrücke und Erfahrungen in Tripolis

Auf unsere gemeinsame Fahrt nach Tripolis will ich hier nicht näher eingehen – sie verlief wunschgemäß, war allerdings in der Biskaya von teilweise heftigen Frühlings­stürmen begleitet. Gesprächsthemen gab es natürlich mehr als genug, sodass von Langeweile niemals die Rede sein konnte.

Unsere Ankunft in Tripolis war unspektakulär; es gab keinerlei behördliche Probleme, um an Land zu kommen. Tripolis zieht sich in einem großen Bogen hinter der künstlichen Uferstraße nach Osten entlang, dominiert von dem historischen Kastell. Von wenigen größeren und neuen Häusern seit meinem letzten Aufenthalt dort abgesehen, machte die Stadt einen wenig ansprechenden Eindruck. Mit schmalen, unbefestigten, staubigen und mit allerlei Unrat bedeckten Straßen und Gassen zog sich das niedrige Häusermeer weit nach Süden an der Küste entlang.

Wir fanden wieder Unterschlupf in derselben Pension, in der Halef und ich uns vor ein paar Jahren, mit von der Dachterrasse aus ungestörtem Blick auf die Aktivitäten des Hafens, aufgehalten hatten, um dort auf Sir David mit seiner Jacht zu warten. Auch diesmal war die weiße Jacht im Hafen natürlich wieder ein Augenfang. Ihr Kapitän und einige weitere Seeleute würden zur Sicherheit weitgehend an Bord bleiben, da anzunehmen war, dass wir vier nur selten Gelegenheit für einen längeren Aufenthalt auf der Jacht haben würden.

Wir saßen auf der Dachterrasse, und am Anfang jetzt erscheint es mir sinnvoll, zur Information von Ben und zur Auffrischung der Erinnerungen von Halef und Sir David auf einige Einzelheiten und Strukturen Libyens einzugehen. Libyen ist mit 1,76 Millionen Quadrat­kilometern das viertgrößte Land Afrikas. Es besteht zu neunzig Prozent aus Wüstenregionen. Von einem sehr schmalen grünen Küstensaum mit nennenswerter natürlicher Vegetation und einem ebenfalls sehr schmalen südlichen Steppengürtel abgesehen, dominieren Sand- und Felswüsten (Hamada), dann endlose Schutt- und Geröllfelder (Reg) und Kiesflächen (Serir).

Die formende Kraft des Landes ist der heiße Saharawind, hier Ghibli genannt, der ganze Landschaften ausbläst, abträgt, zurechtschleift und wieder anhäuft. Die peitschenden Sandwolken dieses heißen Südsturms können alles zudecken und vollständig die Sicht versperren. Diese Winde treten vor allem im Mai und September auf – leider ausgerechnet zu einer Zeit (Mai), in der wir uns jetzt hier aufhielten.

Der weitaus größte Teil der libyschen Bevölkerung lebt natürlich fast ausschließlich im schmalen fruchtbaren Küstengürtel. Der sunnitische Islam ist seit der ­Eroberung durch die Araber die Staatsreligion des Landes.

Wir hatten uns und unsere Kleidung natürlich so gut wie möglich dem landesüblichen Erscheinungsbild angepasst, auch wenn wir als Gruppe wohl dennoch immer irgendwie auffallen würden. Halef würde natürlich ohne Pro­bleme als einheimischer Beduine durchgehen und auch ich glich mit einem langen hellen Haik und einer Keffiyeh als Kopfbedeckung durchaus einem hoch­gewachsenen Araber aus dem Osten. Ben trug ebenfalls einen hellen Kaftan, zog aber auf dem Kopf die traditionelle Kugelkappe vor. Etwas problematischer war es zwangsläufig bei Sir David, der zwar ebenfalls sein übliches schwarz-weiß kariertes Outfit mit einem Haik oder Kaftan vertauscht hatte, aber nicht zu einer landesüblichen Kopfbedeckung zu bewegen war; er setzte sich eine von der Jacht mitgebrachte Schirmmütze auf. Unabhängig davon aber war ihm wohl immer der Engländer anzusehen.

Ein paar Worte noch zu unserer Bewaffnung. Ich war natürlich nicht ohne meinen Henrystutzen und Bären­töter in Radebeul aufgebrochen, hatte diese aber jetzt in der Pension zurückgelassen. In einem Gürtel unterhalb des Haiks befand sich aber mein bewährter Browning für den Bedarfsfall. Auch Halef war in ähnlicher Weise mit einem Revolver bewaffnet, während Ben nur ein griff­bereites Messer in einem Futteral unter seiner linken Achsel stecken hatte. Sir David schließlich hatte ganz auf eine Waffe verzichtet.

Zunächst war es jetzt sicherlich am zweckmäßigsten, auf einem Rundgang durch Tripolis hoffentlich neue Erkenntnisse und Erfahrungen gewinnen zu können. Unser Weg durch die Geschäftswelt der Altstadtviertel Suk el-Mescir und Suk el-Turc