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Kara ben Nemsi erhält in Deutschland zwei Briefe von Sir David Lindsay, der in der Times von König Salomons Diamantenmine gelesen hat. Fast gleichzeitig berichtet Halef von verschwundenen Beduinen. Man verabredet sich zu einer Expedition, und schon bald werden höchst merkwürdige Zusammenhänge deutlich.
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Seitenzahl: 237
1801 Die Rückkehr des Schut
1802 Die Rache des Schut
1803 Der Fluch des Schut
1804 In der Gewalt des Schut
1805 Das Geheimnis des Schut
1806 Der Krieg des Schut
1807 Die Schatzräuber und die Felsenstadt
1808 Das Königsgrab in der Felsenstadt
1809 Das Vermächtnis aus der Felsenstadt
1810 Die Shejitana
1811 Im Reich der Shejitana
1812 Königin Shejitana
1813 Die Reise zum Toten Meer
1814 Die Stadt am Toten Meer
1815 In der roten Wüste
1816 Die El-Wahabiya-Bande
1817 Karawanentod
1818 Auf dem Weg zu Halef
1819 Im Tal der Herba Juvenilis
1820 Der Blick des Tetrapylon
1821 Schwarzes Elfenbein
1822 Von Leptis Magna in den Dschebel Nefusa
1823 König Salomons Diamanten
Kara Ben Nemsi
Buch 23
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Copyright © 2024 BLITZ-Verlag
Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Logo: Mark Freier
Satz: Gero Reimer
Alle Rechte vorbehalten.
1506v1
ISBN: 978-3-7579-9540-9
Ein folgenschwerer Schriftwechsel
Kleine und größere Ganoven
Der Bruder des Kurbadschy
Zwischenfall auf Pelican Island
Der schwimmende Sand
Abu el Kerba
Der Sklaventransport
Sir David und die Leopardenhöhle
Ankunft in der Teufelsschlucht
König Salomons Diamanten
Über den Autor
Seit einiger Zeit schon saß ich jetzt in Radebeul am Fenster meiner Villa Shatterhand und sah in das trübe Grau eines Novembertags hinaus. Über ein halbes Jahr lang hatte ich mich jetzt mit Arbeiten für meinen Verleger, mit der Aufarbeitung der letzten Erlebnisse im Orient, mit der Beantwortung endlosen Schriftwechsels und immer neuer Wünsche, Bitten und Forderungen herumgeschlagen. Ein Blick auf meinen Schreibtisch zeigte, dass es jetzt eigentlich möglich sein müßte, mich erneut in andere, sonnigere Gefilde zu begeben, denn er sah erstaunlich leer und aufgeräumt aus. Diese Hoffnung hatte ich aber schon öfter - bis der Postbote kam und sie wieder zunichte machte. Tatsächlich - schon wieder sah ich ihn gerade mit einem dicken Packen Briefe auf mein Haus zukommen! Soll dies denn ewig so weitergehen? Voller Ärger rührte ich mich nicht, als die Glocke schellte und wartete, bis mir Linda, meine treue Haushaltshilfe, die Post ins Zimmer brachte.
Widerwillig warf ich einen Blick auf den Tisch und wollte ihn schon wieder abwenden, als drei mit recht bunten, ausländischen Marken beklebte Umschläge meine Aufmerksamkeit fanden. Bei näherem Hinsehen war die Überraschung noch größer, war doch eines dieser Schreiben mit einem eindrucksvollen Lordsiegel versehen und in typischer Manier an mich adressiert:
An den ehrenwerten Karl May alias Hadschi Kara ben Nemsi Shatterhand Effendi
Deutsches Kaiserreich
Radebeul, Villa Shalterhand
Ich brauchte nicht auf den Absender zu schauen, sondern wusste sofort, von wem nur dieser dicke, mit englischen Marken versehene Brief stammen konnte: Mein guter Freund Sir David Lindsay hatte geschrieben. Ein wahrlich seltenes Vergnügen und so zögerte ich nicht, mich sofort mit dem Inhalt seines Briefes vertraut zu machen:
Lieber Kara ben Nemsi!
Simply horrible, dieses neblige Great Britain! Der fog extremely dicht, habe die Türme der Westminster Abbey vor drei Wochen zuletzt gesehen!
Nicht auszuhalten! And then - diese langweiligen Tage und Abende in den Clubs - gehen mir ganz erbärmlich auf die Nerven. Was diese ehrenwerten Herren so von sich geben: grauenhaft langweilig! Ein ehemaliger Major of the Indian Army bringt es fertig, zwei Stunden lang über eine tiger hunt zu erzählen, auf der not one tiger to be seen! Ein pensionierter Distriktskommissar aus Nigeria schwärmt von gebratenen Termiten - no culture at all, eine Schande für das Königreich! Und ein im Ruhestand befindlicher hoher Beamter der staatlichen tax commission hat eine great pleasure, uns die Tricks zu erzählen, mit denen man versucht hat, fällige Abgaben an das Königreich zu umgehen! Als ob wir die - and we know even better! - nicht alle schon selbst angewandt hätten! Simply distasteful and absolutely boring!
Einziger Vorteil dieser Klubs: Für Frauenzimmer prohibited!
Hatte schon lange vor zu fragen: When are you planning your next adventure? Bin highly interested to participate - kann es hier einfach nicht mehr aushalten. And then - vor einigen Wochen - die große Überraschung: Lesen Sie den beiliegenden Zeitungsausschnitt aus der Times! Phantastic - King Salomons diamonds - was für ein Abenteuer!
Habe lange überlegt - pretty good luck, dieser damned fog! Hat meine Entscheidung beschleunigt, werde die diamonds suchen und Sie kommen mit! Certainly! Bezahle alles, no problem! Bitte lesen Sie und kabeln mir Ihr Einverständnis - nothing else is accepted. Bin any time fahrbereit!
Komme aber auch unaufgefordert, wenn Sie wieder Ihre üblichen Einwände haben. Kenne sie - no relevance!
Best wishes - I am certain to see you soon!
Gez.: Sir David Lindsay
Lord des Oberhauses und treuer
Untertan seiner Majestät des
Königs von England
Nun - das war freilich ein überraschender Brief mit einem noch überraschenderen Inhalt! Der gute Sir David - seit einigen Monaten hatte ich nichts mehr von ihm gehört und bei einem Blick aus dem Fenster hier konnte ich mir gut vorstellen, wie ihm die Londoner Nebelsuppe auf den Geist gehen musste. Mir ging es ja ähnlich - sehnte ich mich doch wieder nach Wärme, Sonne und aufregenden Erlebnissen. Aber: König Salomons Diamanten? Was für einen Bären hatte man ihm denn hier aufgebunden? Und überhaupt: Hatte Sir David es bei seinem Vermögen nötig, einer Diamanten-Fiktion nachzulaufen? Die Zeitungsmeldung lag jetzt gut zwei Monate zurück - für Sir David ein langer Zeitraum, war er mir doch als ein Mann spontaner Entschlüsse bekannt. Egal - ohne mir zunächst weiter den Kopf zu zerbrechen, nahm ich den Zeitungsartikel aus der Times zur Hand und begann zu lesen:
London, im September 1885
Aufsehenerregender Fund in einem Tonkrug
Am British Museum tätige Altertumsforscher warteten auf ihrer gestrigen Pressekonferenz mit einer erstaunlichen Mitteilung auf. Bei Aufräumarbeiten im Keller des Museums stießen sie auf Dutzende alter, verstaubter Tonkrüge, die dort teilweise schon seit vielleicht hundert Jahren oder länger gelegen haben mussten und vergessen wurden.
Anhand verschiedener Schriftzeichen und anderer Merkmale konnten sie als aus dem Nahen Osten stammend identifiziert werden. Ihr Alter wurde auf mindestens tausend Jahre geschätzt, bis ein erstaunlicher Fund in einem dieser Krüge eine genauere Altersbestimmung möglich machte.
Einer der Krüge enthielt eine mit assyrischen Schriftzügen versehen Pergamentrolle, die eine Datierung des Schriftstücks auf das Jahr 926 v. Chr. möglich machte. Die Krüge waren also fast 3000 Jahre alt! Noch erstaunlicher aber war der Inhalt dieser Pergamentrolle, die von den Mitarbeitern des Museums in mühsamer Kleinarbeit entziffert wurde. Ihr Text läßt sich übersetzt etwa wie folgt wiedergeben:
Hiermit wird bestätigt, dass der Anordnung von König Salomon Folge geleistet und die Quelle seines Reichtums nach seinem Tod für die Nachwelt unwiederbringlich verschüttet und unkenntlich gemacht wurde.
Niemand soll je wieder von den im Hadschar-Gebirge verborgenen Schätzen erfahren. Die Arbeit in der Mine und die dort noch verborgenen reichen Vorräte an Edelsteinen aller Art haben Tausenden von Menschen den Tod gebracht. König Salomon ging dieses Opfer ein, um sein Reich groß und mächtig zu machen. Nach seinem Tod aber sollte niemand mehr dieser Jagd nach Ruhm und Reichtum zum Opfer fallen.
Dem Befehl des Königs wurde Folge geleistet. Dennoch tut es mir, dem Oberschatzmeister am Hofe Salomons, in der Seele weh, dass der Reichtum und die Schönheit dieser Mine für alle Ewigkeit der Nachwelt verborgen bleiben wird. Ich habe deshalb an der Seite des Wasserfalls, unterhalb dessen sich der nun verschüttete Eingang zur Mine befand, ein Zeichen angebracht, unser Zeichen herabstürzenden Wassers. Sollte jemand dieses Zeichen finden und richtig interpretieren, ist ihm, so er den richtigen Eingang zur Mine findet, unendlicher Reichtum, aber auch unendliche Mühsal und Qual gewiss.
Ibrahim Mustafa Mukhtar
Oberschatzmeister am Hofe
von König Salomon
Der legendäre König Salomon, König von Israel und Juda, lebte von 965 bis 926 v. Chr. Den Bestand seines großen Reiches sicherte er durch den Ausbau von zu ihrer Zeit unüberwindlichen Grenzbefestigungen wie auch durch diplomatische Beziehungen und Heiraten, die zu einer immer größeren Ausweitung seines Machtbereichs führten. Legenden berichten von einem märchenhaften Reichtum, dessen Ursprung eine Edelsteinmine in entfernten Landen gewesen sein soll, deren Lage aber bis heute unbekannt geblieben ist. Die Suche nach dieser Mine hat immer wieder Abenteurer in die entferntesten Gegenden Afrikas und des Vorderen Orient geführt, ohne dass bisher jemals ein Hinweis auf sie gefunden wurde. Zeugnisse verschiedenster Art aus dieser heute fast drei Jahrtausende zurückliegenden Zeit lassen aber keinen Zweifel daran aufkommen, dass es diese Mine gegeben haben muss.
Ist dieser aufsehenerregende Fund jetzt nicht nur ein weiterer Hinweis auf die Existenz der Mine, sondern erlaubt er auch, gezielter nach ihr zu suchen? Das Hadschar-Gebirge liegt im Südosten Arabiens am Rand einer fast menschenleeren, wasserlosen Sand- und Steinwüste, deren Beschaffenheit uns bis heute weithin unbekannt ist. Es liegt aber auch in der Nähe des Persischen Golfs, von dem aus und den Euphrat flußaufwärts es wagemutigen Männern des Altertums möglich gewesen sein muss, Schätze per Schiff und am Schluss auf dem Landweg an den Hof König Salomons zu bringen.
Soweit die Meldung der Times, die Sir David seinem Brief beigefügt hatte.
War das zu glauben? Hatte diese Zeitungsmeldung den guten Sir David so an- und aufgeregt, dass er jetzt selber auf die zweifellos hoffnungslose Suche nach dieser Edelsteinmine gehen wollte? Unmöglich - bei den Strapazen, überhaupt - ein völlig sinnloses, überflüssiges, gefährliches Unterfangen, wenn ich es ihm auch nachfühlen konnte, dem Londoner Nebel so bald wie möglich entkommen zu wollen. Und mich wollte er dabei haben? So gerne ich ihn wiedergesehen hätte und auch selber gerne wieder unterwegs gewesen wäre - die Suche nach dieser Mine wollte ich auf jeden Fall anderen überlassen. In diesem Sinne würde ich ihm telegraphieren - und da fiel mein Blick auf einen weiteren Brief aus dem Ausland, aus Spanien kam er, um genau zu sein - und wer konnte es anders sein als mein guter Freund Dick Hammerdull (alias Adlerhorst) aus dem Fernen Westen Amerikas? Ihm und seinem Vater hatte ich vor einem knappen Jahr geholfen, das den beiden auf verbrecherische Weise entwendete Gut Lasvegas bei Saragossa wiederzuerlangen. Dick war nicht mit seinen Freunden in den Wilden Westen zurückgekehrt, sondern wollte seinem Vater beim Wiederaufbau des verkommenen Gutes helfen.
Was mochte ihm jetzt wohl auf der Seele liegen? Ich hatte seit einigen Monaten nichts mehr von ihm gehört.
Nun - diese Frage ließ sich leicht beantworten. Den Brief von Sir David beiseite legend, nahm ich den wesentlich dünneren Umschlag von Dick in die Hand und öffnete ihn. Sein Inhalt war typisch Dick, kurz und bündig:
Lieber Mr. Shatterhand!
Wir haben lange, zu lange nichts voneinander gehört! Hier geht alles inzwischen einen sehr geordneten Gang. Meine Schwester Sarah und ihr Mann Aschlik sind unbezahlbar - unser Gut Lasvegas blüht und gedeiht wieder, die Felder stehen in gutem Saft, der Wald bringt gutes Geld, wir sind alle gesund und munter. Ich habe geholfen, als es notwendig war - jetzt aber wäre die Zeit gekommen, wieder auf Wanderschaft zu gehen, wie es 15 Jahre lang mein Leben war. Ich kann mich nicht mehr umgewöhnen - mir kribbelts überall! Wann brechen Sie wieder nach Amerika auf? Darf ich Sie in die 'dark and bloody grounds' begleiten?
Bitte sagen Sie nicht nein und geben mir bald Nachricht!
Ihr ergebener
Dick Hammerdull
Noch jemand, der mit mir auf Reisen gehen wollte! Hatten denn alle so eine Ahnung, dass auch mir die vier Wände in der Villa Shatterhand allmählich wieder zu eng wurden? Diamanten, Wilder Westen? Nun - Sir David ließ sich sicher zu allem überreden, bei dem ich dabei war. Aber halt - was war denn das? Aus dem Briefstapel auf meinem Schreibtisch fiel mir erst jetzt noch ein weiterer Umschlag ins Auge, der mit zahlreichen bunten orientalischen Briefmarken versehen war und als ich die etwas unbeholfene Schrift auf der Vorderseite sah, brauchte ich nach dem Absender nicht mehr zu suchen: Halef hatte geschrieben - zum ersten Mal, seit wir uns vor Monaten am Tigris voneinander verabschiedet hatten! Was mochte wohl der Anlaß dieses Schreibens sein? Schon manchmal hatte ich daran gedacht, ob er wohl wieder gut bei seinen Haddedihn, bei Hanneh und Sohn Kara ben Halef eingetroffen war. Der kleine liebe Kerl war mir sehr ans Herz gewachsen und ich beeilte mich, seinen Brief zu lesen. Hatte Kara vielleicht ein Brüderchen oder Schwesterchen bekommen? Als ich jedoch anfing zu lesen, legte sich meine Stirn in immer tiefere Falten:
Mein lieber, ehrerbietiger Sihdi!
Gnade und Gruß Allahs, möge er immer mit Dir sein und Dir ein frohes Gemüt bewahren! Ich hoffe, Du bist gut nach Hause zurückgekehrt, so wie ich zu den Zelten der Haddedihn. Alles war fröhlich, die Familie gesund, die Weiden grün. Aber jetzt ist eine große Traurigkeit über uns, über mich hereingebrochen. Allah ist unergründlich, nur er weiß, warum er mich und meinen Stamm so straft. Oh Unverständnis, oh Wehmut, oh Wut, die wie tausend Ameisen mein Inneres durchwühlt! Aber noch weißt Du ja gar nicht, um was es sich handelt: so höre denn und stell Dir vor, wie ich Dir dies mit knirschenden Zähnen und grimmiger Miene schreibe: Wir lebten seit unserem Abschied am Tigris in Ruhe und Frieden, Allah schickte uns nicht nur Hitze, auch Sturm und Regen, Wasser und Weide gab es im Überfluß, alles schien auf die sieben fetten Jahre hinzudeuten, die uns der Prophet versprochen hat! Aber nein - oh Unglück, womit haben wir diese Strafe Allahs verdient?
Es begann vor wenigen Wochen. Junge Männer meiner Haddedihn - und das gleiche erlebten andere Beduinenstämme in der näheren Umgebung - waren auf der Weide, um ein paar verirrte Schafe zu suchen, ein junges Kamel zuzureiten oder bei den gefräßigen Ziegen nach dem Rechten zu sehen. Wir haben sie nie wiedergesehen! Vor allem dann, wenn sie nur einzeln oder zu zweit unterwegs waren, verschwanden sie spurlos.
Natürlich suchten wir verzweifelt, fanden auch hier und da ein paar verdächtige Spuren, die der nächste Sandsturm dann wieder schnell verwischte. Über 30 junge Männer sind auf diese Weise in den letzten Wochen bei meinen Haddedihn und den anderen Stämmen verschwunden. Sie müssen entführt worden sein, sonst hätten wir ihre Leichen finden müssen - den Geiern der Wüste bleibt nichts verborgen!
Ach Sihdi, was soll ich tun? Der Schmerz bei mir, bei uns allen ist groß!
Der Schmerz, die Wut, die Rache, der Zorn - alles summiert sich zu grimmiger Entschlossenheit, aber gegen wen? Wir sind hilflos, entsetzt, gedemütigt, traurig - warum hat uns Allah diese Prüfung geschickt? Was haben wir verbrochen, wo wir doch alle jeden Tag fünf Mal gen Mekka gebetet und ihn gepriesen haben? Sihdi, ich weiß - nur Du kannst uns helfen, Du, der Du jeden Schurken dieser Erde zur Strecke gebracht hast! Komm, komme bald und hilf uns - ich werde mit Dir gehen und wenn es Allahs Wille ist, werden wir die Übeltäter finden und vernichten!
Ich - nein, alle Haddedihn warten sehr auf Deine Antwort! Komme Deinem alten Freund zu Hilfe! Allah wird es Dir vergelten und Hanneh, die schönste Blume des Orients, wird Dir den besten Kuskus kochen, den Du je gegessen hast! Bleibe mäßig, bescheiden, zuvorkommend und höflich! Meide die Trunkenheit und fliehe den Versuchungen der Dschehenna, in die wir die Schurken schicken werden, die dieses Unglück über meinen Stamm gebracht haben!
Voller Hochachtung, Liebe, Demut und Treue bin ich Dein ehrlicher und bester Freund, Beschützer und Familienvater
Hadschi Halef Omar ben Hadschi
Abdul Abbas ibn Hadschi Dawuhd
al Gossarah
Das war nun freilich ein Brief, wie ich ihn mir nicht gewünscht hatte!
Halef befand sich in großer Not. Auch wenn mir die Ereignisse, die er schilderte, völlig unverständlich waren, stand eines doch fest: Ich würde ihm zu Hilfe kommen und das so schnell wie möglich! Jetzt kamen mir auch die Bitten von Sir David und von Dick gerade recht: Beide würden mich begleiten und Sir David mit seiner Yacht würde uns alle so schnell es nur ging an unser Ziel bringen. Meine Antwort an Sir David war kurz und bündig:
Mein lieber Lord!
Diamanten hin oder her - darüber können wir uns später unterhalten.
Ich bekomme gerade einen Notruf von meinem lieben Freund Hadschi Halef Omar, über dessen Stamm ein bislang unerklärliches Unglück hereingebrochen ist. Ich werde ihm so schnell wie möglich zu Hilfe eilen - und da Ihre geheimnisvollen Diamanten offenbar auch in Arabien zu suchen sind, haben wir sogar das gleiche Ziel - Abenteuer inbegriffen!
Ich schlage vor, wir treffen uns wieder im Hafen von Genua, holen Dick (der auch wieder vom Reisefieber gepackt ist) in Tarragona ab und nehmen Kurs auf das östliche Mittelmeer. Alles weitere mündlich, habe noch viel zu erledigen! Bitte um Nachricht, wann Sie ungefähr mit Ihrer Yacht in Genua eintreffen.
Auf baldiges Wiedersehen und beste Grüsse!
Ihr ergebener
Hadschi Emir Kara ben Nemsi Effendi
Dick unterrichtete ich entsprechend und schickte natürlich auch eine Botschaft an Halef, dass ich sobald wie möglich kommen würde. Als Treffpunkt schlug ich Basra an der Mündung des Euphrat vor, nach dort hätte er es nicht allzu weit von den Zelten der Haddedihn aus.
Ich sah wieder aus dem Fenster: Merkwürdig - so grau und trübe wie noch vor ein, zwei Stunden kam es mir gar nicht mehr vor!
* * *
In Waldeshausen bei Kötschenbroda saß der alte Förster Friedrich Holunderbusch wieder wie üblich in seinem Lehnstuhl am Fenster und sah hinaus in einen heute hellen und sonnigen Novembertag. In seinem Blickfeld lag eine saftige grüne Wiese, die von einem schönen herbstlichen Mischwald umgeben war - ein idealer Platz, um in den frühen Morgen- oder späten Abendstunden das Wild zu beobachten. Sein geliebtes Damwild, Schwarzröcke, die im Garten des Forsthauses manchmal erheblichen Schaden anrichteten, Meister Lampe mit seinen langen Ohren und der listige Fuchs gehörten zu den häufigsten Besuchern auf der Waldlichtung.
Da der gute alte Förster aufgrund seiner gichtigen Füße nicht mehr allzu beweglich war, hatte er es sich angewöhnt, seine Umgebung überwiegend vom Lehnstuhl aus zu dirigieren. Für Annie, seine Tochter, war dies nicht immer leicht, denn ihr oblag die ganze Last des Forsthaushalts, seitdem ihre Mutter vor zwei Jahren gestorben war. Der alte Förster selbst hatte es sich seit Jahren angewöhnt, sein persönliches Befinden mit dem des Wetters gleichzusetzen - unabhängig davon, ob draußen strahlende Sonne oder ein dichter Schneesturm herrschte, was manchmal zu sehr merkwürdigen Schlussfolgerungen führte. Annie kannte natürlich diese Marotte ihres Vaters, ging aber immer wieder spaßhaft darauf ein.
Gerade rief er seiner Tochter zu:
„Annie -----Anniiiie --- ist die Post schon da?"
„Nein, Vater - vielleicht kommt heute gar keine?"
„Blödsinn! Jeden Tag Post - weiß sonst gar nicht, wie das Wetter ist!"
„Du sitzt doch am Fenster - draußen ist herrlicher Sonnenschein, ein wirklich schöner Novembertag.“
„Schöner Novembertag? Wie willst Du das wissen? Muss mich selbst überzeugen!" Mühsam stand der Förster auf und humpelte zur Tür, von der aus der Weg zu überblicken war, den der Postbote mit seinem Fahrrad üblicherweise nahm.
„Schockschwerenot! Nichts zu sehen! Weiß immer noch nicht, wie heute das Wetter wird! Werde mich bei der Postbehörde beschweren!"
„Aber Vater! Der Postbote kann doch nichts dafür, wenn Dir niemand geschrieben hat."
„Egal - trotzdem ärgerlich, äußerst ärgerlich! Warte seit langem auf ....
auf...
„Worauf wartest Du? Davon weiß ich ja gar nichts!"
„Brauchst ja nicht alles zu wissen! Warte auf einen Brief von Karl! Der Bursche hat sich schon lange nicht mehr nach seinem Rih erkundigt, der hier bei uns bestens versorgt wird. So ein Rassepferd muss man doch öfters besuchen!"
„Nun - ich glaube, Du möchtest eher, dass er Dich besucht, Dein Lieblingsneffe Karl! Aber Du weißt doch, wie beschäftigt er ist, wenn er nach einer langen abenteuerlichen Reise wieder zu Hause eingetroffen ist."
„Beschäftigt - ja, kann sich hier beschäftigen, mir erzählen! Komme ja sonst nicht mehr viel herum - verdammte Gicht! Ich glaube..."
In diesem Augenblick klingelte es an der Haustür.
„He, hurrah, Annie, der Postbote! Schnell, was gibt's, wer hat geschrieben?"
Es war tatsächlich der Postbote, der geklingelt, aber nur einen einzigen Brief abgegeben hatte, den Annie jetzt ihrem Vater brachte.
„Vater - es ist schönes Wetter heute, sehr schönes sogar!“
„Wieso? Dummes Ding - das kann ich nur selbst beurteilen! Ein Brief?
Gib her - von wem?"
„Von Karl."
„Von Karl? Kreuzmillionendonnerwetter - Du hast recht, Wetter könnte nicht besser sein!" Erwartungsvoll griff der Förster nach dem Brief und öffnete ihn. Als er anfing zu lesen, strahlte er erst über das ganze Gesicht, das dann aber einen zunehmend skeptischeren Ausdruck zeigte und schließlich einer richtig ärgerlichen Miene Platz machte.
„Aber Vater - was hat Dir denn den Gemüsegarten verhagelt?" „Da fragst Du noch? Dachte wirklich, schönstes Wetter heute! Karl kommt, kommt schon bald, morgen oder übermorgen. Wunderbar - aber weißt Du, warum er kommt? Sieh aus dem Fenster - dunkle, schwarze, gräßliche Wolken am Horizont!"
„Ich sehe nichts, Vater - nur blauen Himmel!"
„Ha - blauer Himmel! Trügerisch, alles das! Karl kommt, um seinen Rib abzuholen! Weißt Du, was das bedeutet? Er geht wieder fort - Monate, vielleicht jahrelang! Und ich sitze hier und warte und warte!"
„Wie soll er Dir von seinen neuen Abenteuern erzählen, wenn er nicht wieder in die Fremde geht?"
„Hast recht, grundsätzlich! Aber hat ja schon genug erlebt, kann mir die letzte oder vorletzte Geschichte wieder erzählen. Was nützt mir das gute Wetter in zwei Jahren?"
„Nun warte doch ab, Vater - Karl wird schon seine Gründe haben!" „Gründe - natürlich hat er die! Üble Gründe, Gründe, die mir den ganzen Sommer und Winter verhageln!"
„Denke an heute, Vater, und nicht an morgen. Wenn Karl seinen Rih abholen will - wie wäre es, wenn Du Fritz bittest, ihn auf Hochglanz zu polieren?“
„Rih - Donnerwetter, ja - hast recht!" Mit Donnerstimme rief der Förster seinen Gehilfen Fritz Pfeifendeckel in die gute Stube und erklärte ihm, was alles zu machen sei:
„Ist Rih ausgeritten worden? Ja? In Ordnung - jetzt höre: Karl kommt bald, um ihn abzuholen - Rih muss wie neugeboren aussehen! Schrubbe das Fell, poliere die Hufe, putze seine Nase, kämme Schwanz und Mähne, striegel den Rücken - wenn ich nur ein Staubkorn an ihm finde wirst Du vor Gericht gestellt! Verstanden? Marsch, ab!"
"Sehr wohl, Herr Hauptmann, sehr wohl!" Fritz Pfeifendeckel verschwand eiligst. Mein angekündigter Besuch war ihm nicht allzu recht, hatte er doch noch den Streich, den Sam Hawkens und ich ihm vor Jahresfrist gespielt hatten, in guter Erinnerung.
Der alte Holunderbusch setzte sich derweil wieder am Fenster zurecht, zündete seine Pfeife an und sah mit gemischten Gefühlen hinaus auf die grüne Wiese. Karl kam - wunderbar! Das sprach für gutes Wetter. Aber er würde bald wieder gehen und dann für lange Zeit nicht mehr kommen können - das sprach für entsetzlich schlechtes Wetter. Was für ein Wetter gab es denn nun für ihn, den alten Holunderbusch, wirklich? Nach einer Weile hatte er sich entschieden:
„Annie ..... Anniie - komm einmal her!"
"Ja, Vater, da bin ich schon."
„Schau aus dem Fenster, blicke in den Himmel - was siehst Du?"
„Nichts, Vater - keine Wolke, keinen Vogel - rein gar nichts!"
„Potztausend! Richtig! Kluges Kind! So ist es nämlich: Rein gar nichts!
Es gibt kein Wetter, überhaupt kein Wetter und an dieser Misere ist nur der Karl schuld! Werde ihm gehörig die Meinung sagen!" Mit diesen Worten wandte sich der Förster wieder von Annie ab und sah in Gedanken versunken hinaus in die Lichtung, zog noch ein paarmal an seiner Pfeife und entschloss sich dann, ein kleines Nickerchen zu machen.
Der alte Holunderbusch hatte zu meinem Bedauern nicht ganz Unrecht - mein Besuch in Waldeshausen diente natürlich hauptsächlich dem Zweck, meinen Rih nicht nur wiederzusehen, sondern ihn abzuholen, denn vor mir lag nun wieder eine große und sicherlich nicht ungefährliche Reise.
Die Begrüßung im alten Forsthaus war nichtsdestoweniger so herzlich wie immer und Rih war in einer Weise auf Hochglanz getrimmt, wie ich es bisher noch nicht erlebt hatte. Hierfür konnte nur der gute Fritz Pfeifendeckel verantwortlich sein, der überhaupt in all den vergangenen Monaten bestens für Rih, seine Pflege und Bewegung, gesorgt hatte. Wie sehr sich die beiden angefreundet hatten, zeigte auch die Tatsache, dass Rih nicht nur mich überschwänglich begrüßte, sondern sich auch anschließend - es sah wie eine Entschuldigung aus - Fritz zuwandte und seine Schnauze liebevoll an ihm rieb.
Als Dank hatte ich für Fritz auch etwas ganz Besonderes mitgebracht: Da ich seine Gewohnheit kannte, in Mußestunden gerne zu lesen und dabei mit einer kleinen Pfeife den blauen Dunst zu erzeugen, der seine Gedanken aus den engen heimatlichen Gefilden in die weite, exotische Welt wandern ließ, hatte ich ihm nicht nur meine letzten Bücher mitgebracht. Hinzu kamen eine sehr schmuckvoll ausgeführte echte türkische Wasserpfeife und ein vornehmer Krummsäbel des türkischen Heeres, wie er mir bei einer meiner letzten Reisen in die Hände gefallen war. Damit war dann aber auch der letzte Unmut über den Scherz, den Sam Hawkens und ich im vergangenen Jahr mit ihm getrieben hatten, vergangen und er wünschte mir von Herzen alles Gute für die erneut bevorstehenden Ereignisse.
Etwas schwieriger war es, meinen Onkel, den alten Förster Holunderbusch, zu beruhigen und ihn zur Einsicht in die Notwendigkeit der Reise zu bringen:
„Kreuzbombenelement! Kommt immer nur, um wieder zu gehen! Wie soll das meiner Gicht und dem Wetter bekommen?"
„Aber Onkelchen - so ist es doch überall! Alles kommt, entsteht und vergeht wieder!“
„Du bist nicht alles - Du bist mein einziger Neffe! Wen habe ich denn sonst noch außer Annie... und Fritz? Und Annie liebäugelt auch schon seit einiger Zeit mit einem Burschen aus dem Nachbardorf - wer weiß, wie lange sie mir noch erhalten bleibt!"
„Du kannst sie doch nicht für immer hier an Dich und dieses Haus binden! Wird doch Zeit, dass sie sich nach einem Freier umsieht! Und wie wäre es dann, wenn bald ein kleiner Enkel auf Deinen Knien herumturnt und Dir die Brille von der Nase zieht?"
„Enkel? Potztausend, ja - das hört sich gut an! Brauche mehr Leben hier im Haus! Will gleich mal sehen, was sich machen läßt! Annie ....
Anniee!"
„Ja, Vater - was hast Du denn? Ist Dein Lehnstuhl umgefallen?" Voller Sorge kam seine Tochter hereingestürzt.
„Blödsinn! Nichts ist umgefallen! Eingefallen ist mir etwas! Hier muss Leben, mehr Leben her! Teufel auch!"
„Aber Vater - da ruft man doch nicht den Teufel, sondern den Herrgott an! Und Du lebst doch noch recht gut, wenn man auch leider mit der Gicht nicht mehr viel ändern kann ...."
„Potzblitz! Verstehst überhaupt nichts! Meine nicht mich, sondern Dich!" „Mich? Was meinst Du? Ich lebe doch auch noch und bin immer für Dich da!"
„Eben, eben - Du lebst und lebst und wo bleibt mein kleiner Enkel, der mir auf den Knien herumzappelt und die Brille von der Nase zupft?
Nichts ist da - bin immer allein, nur das Wetter und ich - wird Zeit, dass sich das ändert!"
„Aber, aber ... Vater ... ich..." Annie stotterte hilflos herum und eine zarte Röte überzog ihr Gesicht.
„Nichts aber - in einem Jahr ist mein Enkel hier - will kein Trockenobst als Tochter! Verstanden?“
„Ja .… nein …. Vater, aber .... und …."
„Nichts aber und! Sobald wie möglich ist Hochzeit, hier im Haus - dann brauchst Du Deinen Franz nicht mehr im Kleiderschrank zu verstecken!"
„Vater .... aber …. wie …..woher ….“
„Basta - ich weiß es eben! Und nun marsch ab, will Euch beide noch heute Abend bei mir haben!"
„Gerne ... sofort ich will ... werde …" Völlig verwirrt und tiefrot angelaufen verließ Annie das Zimmer, um besser mit dieser unerwarteten Eröffnung fertig werden zu können - entsprach dies doch schon seit langem dem Wunsch von ihr und Franz, nur hatte sie sich nicht getraut, dem Vater davon zu erzählen. Der Förster wandte sich daraufhin wieder mir zu:
„So, da hast Du's, Kara ben Shatterhand! Zufrieden? Oder war ich zu grob?"
„Sie wird Dich schon richtig verstanden haben, die Annie - kennt sie Dich alten Knurrhahn doch nun schon lange genug!"
„Und Du? Hast Du mich auch verstanden?" „Wieso ich? Soll ich Dir auch etwas Kleines zum Schaukeln auf den Knien mitbringen?"
„Dummkopf, Unsinn! Neue interessante Geschichten will ich, von morgens bis abends!"
„Die kann ich Dir mit Sicherheit versprechen, lieber Onkel - mehr als genug!"
„Dann will ich Dir - Kreuzdonnerwetter! - noch einmal verzeihen, dass Du für längere Zeit fortgehst - Das Wetter allerdings wird in dieser Zeit scheußlich sein! Pass auf Dich auf und komm' bald wieder!“
So wurde dann der Abschied vom guten Holunderbusch doch nicht so schwer wie befürchtet und ich konnte mich in Ruhe um den Rest meiner Reisevorbereitungen kümmern.
* * *