Im wilden Westen Nordamerikas 20: Schamanen - Axel J. Halbach - E-Book

Im wilden Westen Nordamerikas 20: Schamanen E-Book

Axel J. Halbach

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Beschreibung

Queen Victoria beauftragt Sir David Lindsay damit, auf Jamaika nach dem Rechten zu sehen. Gemeinsam mit seinem Freund Old Shatterhand beginnt er seine Reise.Sam Hawkens, Pit Holbers und Hobble-Frank retten im Llano Estacado einen Reiter, der eine Karte zu einem Schatz auf Jamaika besitzt, das Leben. Zu viert begibt man sich auf Schatzsuche. Schon bald treffen die zwei Gruppen aufeinander und landen in einem neuen Abenteuer.

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In dieser Reihe bisher erschienen

2201 Aufbruch ins Ungewisse

2202 Auf der Spur

2203 Der schwarze Josh

2204 In den Fängen des Ku-Klux-Klan

2205 Heiße Fracht für Juarez

2206 Maximilians Gold

2207 Der Schwur der Blutsbrüder

2208 Zwischen Apachen und Comanchen

2209 Der Geist von Rio Pecos

2210 Fragwürdige Gentlemen

2211 Jenseits der Grenze

2212 Kein Glück in Arizona

2213 Unter Blutsbrüdern

2214 Im Land der Saguaros

2215 Der Schatz der Kristallhöhle

2216 Das Gold der Apachen

2217 Bloody Fox

2218 Das Herz des Donnervogels

2219 Blutige Schluchten

2220 Schamanen

Schamanen

Im wilden Westen Nordamerikas

Buch 20

Axel J. Halbach

Dieses Buch gehört zu unseren exklusiven Sammler-Editionen

und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.

In unserem Shop ist dieser Roman auch als E-Book lieferbar.

Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt. Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.

© 2024 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a,  51570 Windeck

Herausgeber: H. W. Stein

Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney

Umschlaggestaltung: Mario Heyer

Satz: Gero Reimer

2220v1

ISBN: 978-3-7579-9528-7

Inhalt

Heimatliche Gefühle, und ein folgenreicher Brief

Durch den Llano Estacado

Mit Scar-faced Harry auf dem Mississippi

Pedro berichtet Erstaunliches

Sam mit gefährlicher Mission

Eine Befreiungsaktion mit Folgen

Der Schatz der Three Peak Bay

Der Glückstag von Patrick O’Donnel

Das Duell der Schamanen

Epilog

Über den Autor

Heimatliche Gefühle, und ein folgenreicher Brief

Ein langer, kalter und schneereicher Winter lag hinter mir, nein, besser gesagt: Dieser Winter wollte überhaupt kein Ende nehmen, obwohl jetzt, Anfang März, längst die ersten Frühlingsboten zu sehen sein müssten. Ich hatte arbeitsreiche Wintermonate hinter mir. Nach der Rückkehr von einer besonders erlebnisreichen und gefährlichen Reise, die mich und Freunde von mir von Tripolis in Nordafrika bis in den westafrikanischen Regenwald geführt hatte, war nicht nur ein Berg unerledigten Schriftwechsels aufzuarbeiten, sondern vor allem mussten natürlich meine Erlebnisse mit Sir David, mit Halef, Bobby und vielen anderen zu Papier gebracht werden. Die erfolgreiche Sklavenbefreiung an der Goldküste beschäftigte mich noch lange. Beide Aufgaben hatte ich jetzt zu meiner Zufriedenheit abgeschlossen, und so ergab es sich zwangsläufig, dass ich wieder mit wachsendem Unmut die klimatischen Verhältnisse wahrnahm, die mich hier in Radebeul, in meiner Villa Shatterhand, immer öfter von den schönen, warmen, sonnigen Tagen in südlicheren Gefilden schwärmen ließen.

Zugegeben, zum Teil waren dies auch durchaus sehr positiv verklärte Gedanken, die den Tagen unerträglicher Hitze oder Schwüle, den Myriaden quälender Moskitos oder den Gefährdungen durch die Natur, durch Tiere und Menschen keinen Raum ließen. Aber ist es nicht gerade die positive Eigenart der menschlichen Natur, im Rückblick das Gute zu verklären und das Schlechte weit in den Hintergrund treten zu lassen? Ich war mir dieser Unausgewogenheit der Erinnerung zwar durchaus bewusst, andererseits aber waren Gefahren so sehr zu einem untrennbaren Bestandteil meines Lebens geworden, dass sie einfach wie das Salz in der Suppe dazugehörten, oder, wie Halef sagen würde, wie das Kamel zu den Weidegründen der Haddedihn.

Apropos Halef, auch von ihm hatte ich vor ein paar Tagen einen Brief bekommen. Bei ihm zu Hause sei jetzt wieder alles in Ordnung, alles liefe seinen gewohnten Gang. Natürlich habe er immer Sehnsucht nach neuen gemeinsamen Abenteuern mit mir, aber die letzte lange Trennung habe seine Hanneh doch ziemlich ärgerlich gemacht. Noch einmal könne er sich solche unverantwortlichen Eskapaden, wie sie sich ausgedrückt hatte, nicht leisten. Sonst würden seine Kochtöpfe und auch sein Zelt in Zukunft so leer sein wie das Euter eines dreißig Jahre alten, vertrockneten Lastkamels.

Halef hatte Folgendes geschrieben:

Sihdi, du machst dir keine Vorstellung, wie diese entzückendste, mit allen Düften des Paradieses ausgestattete, unvergleichliche Blume der Wüste sich in einen Kaktus mit ebenso unvergleichlich langen und schmerzhaften Stacheln verwandelte, die meine Tage zu schwermütigem Trübsal und meine Nächte zum qualvollen Nagelbett eines Fakirs machten!

Ich konnte es Halef gut nachfühlen. So sehr auch seine Sehnsucht nach mir ihn plage, wenn ich immer noch der unruhige Geist wie früher sei, dann solle ich mir entweder endlich (wie dies seit Langem sein Wunsch war) auch selbst eine Hanneh für Haus und Hof, Herd und Bett anschaffen, oder ich müsse eben bei meiner nächsten Reise auf seine Begleitung verzichten.

So unrecht hatte der kleine Kerl ja nicht, aber irgendwie konnte ich mir ein geregeltes häusliches Dasein heute noch weniger als überhaupt vorstellen. Und wenn ich nach draußen in den winterlichen März sah, dann wurde der Drang nach einer neuerlichen Reise in angenehmere Gefilde beinahe unwiderstehlich. Schließlich war ich dies nicht zuletzt auch meinem Ruf als Old Shatterhand oder Kara ben Nemsi schuldig – was würden meine nach Millionen zählenden Anhänger von mir denken, sollte ich Henrystutzen und Bärentöter an den Nagel hängen und mich in Zukunft mit Staubwischen und Gartenarbeit befassen? Ein unvorstellbarer Gedanke, der alles zunichtemachen würde, was unvergleichliche, tausendfach überstandene Gefahren aufgebaut und meinen Namen in der ganzen Welt zu einem Markenzeichen gemacht hatten! Und dies gilt schließlich auch ganz abgesehen davon, dass ich von der Niederschrift meiner Abenteuer lebte! Wären Berichte über erfolgreichen Salatanbau und der erbitterte Kampf gegen gefräßige Schnecken ähnlich erfolgreich? Die Antwort auf diese Frage erübrigt sich.

Das waren so meine Gedanken, als sich draußen schon wieder zunehmend Schneeflocken in den kalten Regen mischten und ich einen tiefen Seufzer wachsender Unzufriedenheit von mir gab. In diesem Augenblick schellte es an der Haustür. Die Post! Würde sie mir zusätzlichen Ärger bringen, Rechnungen, lästige Bittbriefe, anmaßende Schreiben von Pseudo-Bewunderern, auf die ich wahrlich verzichten konnte? Mit wenig Zuversicht öffnete ich dem Postboten und nahm zu meiner Überraschung nur einen einzigen Brief in Empfang, und dieser war geeignet, meine missliche Stimmung sofort in das Gegenteil zu verwandeln, kam der Brief doch von meinem hochgeschätzten Freund Sir David Lindsay! Ich wusste aus Erfahrung, dass dessen Schreiben immer für eine besondere Überraschung gut waren. Voller Erwartung setzte ich mich in meinen bequemen Arbeitssessel und öffnete den Brief.

Hello, Mister Shatterhand ben Nemsi, dear old chap!

Hopefully alles allright with you, nach langem Winter? Here in Britain absolutely ekelhaft too! Snow, Regen, Nebel, yes, most awful and detestable! Club keine Erholung, Ignoranten, all of them! Habe aber gute Nachricht, well, extremely so! Remember Oberstleutnant Fitzgerald? Durch ihn muss my useful role bei der Sklavenbefreiung, Abenteuer, absolutely wonderful, dem Königshaus zu Ohren gekommen sein! Imagine! Keine Ignoranten dort, not at all! War im Buckingham Palace, true as hell! Bei Her Majesty, Queen Victoria! Most incredible! Highligt of my life! Ahnen Sie den Grund? No! Impossible! Werde erklären! Listen! Believe it or not, meine most successful Beteiligung an Sklavenbefreiung hat zu ehrenvollem Auftrag durch die Queen geführt! Und wo? You will never guess! In der Karibik! Einfach unglaublich, but nevertheless true! Apparently some inexplicable Entwicklungen in unserer Crown Colony Jamaika beunruhigt Her Majesty the Queen extremely. Der Governor dort seems to be out of his mind, keine Berichte mehr, unerklärliche Handlungen, great danger, dass British influence abhanden kommt! Well, habe Auftrag, dort nach dem Rechten zu sehen, Dinge ins Lot bringen! To dispose of the Governor, if necessary! Habe zugestimmt, at once! But, gebe zu, my role bei der Sklavenbefreiung war, possibly, zu einem guten Teil eigentlich Ihre Rolle, Mister Shatterhand ben Nemsi! Konnte das nicht der Queen sagen, no, never!

To cut things short. Sie müssen mitkommen! Ohne Sie, well, bin nicht ganz sicher, ob you know what I mean! Aber, imagine. Wonderful climate! Palmen! Soft winds! Sandstrand! Kleine verträumte Buchten! And, not to forget. Nice people, insbesondere weibliche! Good old friend, Sie können mich nicht alleine fahren lassen! Erwarte Antwort bei return of mail! Alles weitere dann in due course!

Yours very truly David Lindsay

Uff! Hätte ich nicht schon gesessen, wäre eine Sitzgelegenheit jetzt dringend erforderlich gewesen! War das zu glauben? Sir Davids Mitwirkung bei der Sklavenbefreiung, nun, diese seine Rolle wird ihm selbst noch klar genug in Erinnerung sein. Andererseits war es aber offenbar so, dass das nicht ganz korrekte Bild, das seine Queen Victoria von ihm hatte, seinen Ausführungen zufolge von dem Marineoffizier stammte, der damit die unbestrittene Unerschrockenheit Sir Davids und die Rolle seiner Jacht bei der Verfolgung der Verbrecher belohnen wollte. War Sir David deshalb zu tadeln? Hätte er ablehnen sollen? Mir war klar: Das hätte er nie gekonnt und wäre seiner Sucht nach immer neuen Abenteuern diametral entgegengesetzt gewesen. Dass er sich jetzt, zweifellos in gewissen Nöten, an mich wandte und um Unterstützung bat, war deshalb mehr als verständlich. Und ich? Was für ein Gefühl hatte ich jetzt? Ich gebe es gerne zu, mein eben noch vorhandener Missmut war wie weggeblasen! Die Aussicht auf Sommer, Sonne, warmes Meer und sich im leichten Wind wiegende Palmenwipfel war genau das, was mir nach diesem nicht enden wollenden Winter fehlte!

Natürlich war mir klar, irgendetwas würde dort im Westen, in der Karibik, auch zu erledigen sein, wahrscheinlich würde es um politische Intrigen gehen. Aber mit der Vollmacht des britischen Königshauses ausgestattet sollte es wohl möglich sein, alles wieder, wie Sir David sich ausdrückte, ins rechte Lot zu bringen. Ich sah hier keinen großen Aufwand voraus und inmitten der dortigen bezaubernden Natur, ohne große Gefahren ... nein, diesem verlockenden Angebot konnte ich nicht widerstehen, und so schrieb ich postwendend zurück:

Sir David, selber old chap! Ihr Schreiben hat meine wetterbedingt unerfreuliche Gemütslage abrupt in das Gegenteil verkehrt! Natürlich sage ich zu, bin gerne dabei! Sie haben völlig recht, mit ein paar politischen Intrigen sollten wir beide wohl fertig werden können, und dies erst recht, wenn es als Zugabe karibische Traumstrände und liebenswerte, hilfreiche Menschen gibt! Natürlich wäre vor Abreise noch einiges zu besprechen, wo treffen wir uns? Hier oder in London? Und wann? Erwarte gerne Ihre Nachricht

Yours ebenso truly

Shatterhand ben Nemsi

Kaum war dieser Brief zur Post gegangen, als mich auch schon Gewissensbisse plagten. War ich mit meiner Zusage nicht doch etwas zu blauäugig gewesen? Was waren doch meine Gedanken gewesen? Kein großer Aufwand? Traumstrände? Liebenswerte Menschen? Keine großen Gefahren? Ob ich auch so bedenkenlos zugesagt hätte, wenn ich auch nur geahnt hätte, was dort in der Karibik tatsächlich auf uns wartete? Ich hätte mir doch denken können, dass bei mir noch nie eine harmlos geplante Reise auch als eine solche geendet hatte. Selten haben meine Erwartungen so falschgelegen wie in diesem Fall, aber man kann eben nicht in die Zukunft sehen, und außerdem, ich kenne mich, hätte ich wohl trotzdem zugesagt. Jede Reise bringt neue Erfahrungen, Erkenntnisse und Überraschungen, und davon sollte es auf dem jetzt bevorstehenden Unternehmen wahrlich mehr als genug geben!

* * *

„Annie, Anniiiee! Sapperment! Wo bleibst du denn?“

Der Förster Friedrich Holunderbusch, wohnhaft in Waldeshausen bei Kötschenbroda, saß wie üblich in seinem Lehnsessel am Fenster und rief nach seiner Tochter. Wer ihn schon kennt, der weiß, dass der gute Holunderbusch erheblich an Gicht in den Füßen litt und deshalb seinen angestammten Ruhesitz am Fenster nur selten verließ. Eine weitere bekannte Eigenschaft von ihm war, dass er seinen jeweiligen Gemütszustand oft in Gestalt von Wetterbedingungen umschrieb, ohne dass dies dem wahren Wetter entsprechen musste. Schließlich hatte noch seine militärische Vergangenheit als Hauptmann bei den sächsischen Kürassieren dazu geführt, dass er einen ganz annehmbaren Schatz an Schimpfwörtern zur Hand hatte, von denen er gerne und ausgiebig Gebrauch machte, ohne es allerdings bös zu meinen. Solchermaßen als ein nach außen hin manchmal bärbeißiger, im Inneren aber als sich liebevoll sorgender älterer Herr charakterisiert, klopfte der Förster jetzt mit dem Stock, seiner Gehhilfe, nun doch ein wenig ärgerlich auf den Boden. „Anniieee! Donnerschock und Schwerenot! Ich brauche dich!“

„Sofort, Vater, ich komme ja schon!“, erklang es aus der Küche, und nur wenige Augenblicke später erschien die Gerufene im Wohnzimmer. „Verzeih, Vater ich hatte zu tun! Was kann ich ...“

„Mach mir bitte einen warmen Wickel! Hinterhältiges, elendiges Teufelszeug, diese Gicht! Bäumt sich auf wie ein Gaul beim Kanonenschuss! Was hattest du in der Küche zu tun? Nicht schon wieder diese Linsensuppe? Bekommt mir gar nicht!“

„Aber nein, Vater, der Alois ist der Grund. Er kam wieder vorbei. Ich habe ihm einen Kaffee gemacht.“

„Potzdonner! Dieser Tupfenhuber wieder, der Schmetterlingsjäger?“

„Richtig, Vater ... aber ...!“

„Kein Aber! Ich denke, der Franz ist dein Auserwählter, und jetzt funkt dieser Alois dazwischen, Kreuzbombenelement!“

„Aber nein, Vater, es ist nicht so, wie du denkst! Aber der Alois, er kann so ungeheuer spannend von den Abenteuern erzählen, die er mit Karl und den anderen im Urwald ...“

„Verstehe! Donnersturm und Hagelwetter! Warum kommt der Karl nicht endlich selbst einmal wieder und erzählt von seinen unglaublichen Erlebnissen? Ha! Nennt sich Lieblingsneffe! Aber, bei allen Heiligen, das bleibt er nicht mehr lange, wenn er mich so vernachlässigt!“

„Aber Vater, der Karl war doch erst vor zwei Wochen ...“

„Zwei Wochen? Himmel und Teufel, eine Ewigkeit ist es her! Könnte schließlich immer hierbleiben und erzählen, haben Platz genug.“

„Aber Vater, du bist ungerecht! Bedenke, er hat doch auch noch andere Pflichten, als immer nur ...“

„Schweigst du wohl? Weiß ich selbst! Das ist ja der ganze Jammer! Hätte ja auch Förster werden können und meine Nachfolge ...“

„Und was ist dann mit seinen spannenden Geschichten?“

„Teufel auch! Hast Recht! Könnte nur von Fuchs und Hasen berichten! Äußerst langweilig! Aber trotzdem, schau nur aus dem Fenster, was siehst du?“

„Schnee, Regen, Eiszapfen an der Dachrinne, alles weiß, selbst die Tannen noch voller Schnee ...“

„Richtig! Elendes Wetter, scheußliches Wetter, geradezu fürchterliches Wetter! Sind endlich einmal einer Meinung! Gerade deshalb muss der Karl kommen!“

„Vater, er wird schon – halt, hörst du es auch?“

„Natürlich kann ich hören! Habe schließlich Ohren!“

„Ich meine, ob du auch hörst, was ich ...“

„Kruzifix, was soll ich auch hören?“

„Eine Kutsche kommt! Jetzt kann ich sie auch sehen, sie kommt den Waldweg entlang, direkt auf unser Forsthaus zu!“

„Holla, Wetter wird schon besser! Wer kann das sein? Schnell, eile und sag mir Bescheid!“

„Aber, Vater ... die Wickel ...“

„Potzdonner, vergiss die Wickel! Jetzt keine Zeit für Wickel, will wissen, wer kommt!“

Gehorsam verließ Annie den Raum, um den unerwarteten Besuch an der Haustür in Empfang zu nehmen. Kurze Zeit später erschien sie wieder im Wohnzimmer. „Nun, wer ist’s? Worum geht’s? Kann er auch erzählen?“

„Ja, Vater, das kann er.“

„Potztausend, dann herein mit ihm! Wer ist’s denn überhaupt? Kenne ich ihn?“

„Ich glaube, so ein wenig schon, Vater.“

„Tausend Donner, willst du mich noch lange auf die Folter spannen? Vielleicht der Bäcker, der uns wieder sein altes Brot andrehen will?“

„Diesmal kein Bäcker, lieber Onkel!“, sagte ich und betrat den Raum. „Nun lass die gute Annie endlich gehen, zu ihrem Franz, und der Alois ist auch in der Küche!“

„Karl! Heureka! Endlich! Wurde – sapperlot! – auch Zeit! Bleibst jetzt hier! Lange! Will von deinen Abenteuern hören!“

„Aber Onkel, ich habe doch schon ...“

„Nicht genug, nie genug! Der Alois, bei der Annie ...“

„Richtig. War sehr erfreut, ihn gesund und munter wiederzusehen! Wird dir doch sicher auch schon von unseren gemeinsamen Erlebnissen in Westafrika ...“

„Kreuzmillionenschockdonnerwetter, will aber von dir hören! Viel interessanter! Bleibst jetzt hier, abgemacht. Aber warum mit der Kutsche?“

„Ich hatte etwas zu erledigen, in Kötschenbroda, und da dachte ich, bei diesem scheußlichen Wetter ...“

„Scheußliches Wetter? Im Gegenteil, ganz überaus herrliches und wunderbares Wetter! Annie wird dir gleich dein Zimmer richten und dann ...“

„Onkel, es tut mir wirklich leid, aber ich kann nicht lange ...“

„Papperlapapp! Was heißt, nicht lange?“

„Ich werde bald wieder unterwegs sein, lieber Onkel, und wollte mich eigentlich nur verabschieden.“

„Sakrament! Heiliges Kanonenrohr! Wieder auf Abenteuersuche? Als Kreuzritter bei den heulenden Derwischen und all diesen anderen elendigen Schurken in dem Land, wo Mohammed das herrliche Schweinefleisch verboten hat? Dummkopf, außerordentlich! Kommt aber gar nicht infrage, bleibst hier!“

„Diesmal geht es ganz woanders hin, Onkel, in die Karibik!“

„Blitz und Donner! Karibik! Wo liegt denn das schon wieder? In Hinterindien oder bei den Eskimos?“

„Nicht ganz, westlich von hier, bei den Staaten, im Golf von Mexiko.“

„Potztausendsapperment! Wieder bis ans Ende der Welt! Kommt gar nicht infrage!“

„Aber, Onkel, ich muss! Lass dir erklären!“

Ich berichtete ihm jetzt von dem Brief Sir David Lindsays (der meinem Onkel natürlich ein Begriff war) und von dessen Nöten, wenn ich ihm nicht zur Seite stehen würde.

„Hm, verstehe! Guter Kerl, mein Karl! Kanonenschuss und Schrapnell! Himmelschreiender Schlendrian da, in der Karibik, offenbar! Ordnung schaffen, richtig! Deutsche Ordnung!“

„So ist es, Onkel, und deshalb ...“

„Schockschwerenot! Deshalb musst du ja nicht gleich wie von einer wilden Hornisse gestochen wieder fort! Morgen ist auch noch ein Tag, oder übermorgen! Musst ja eh die Antwort des verehrten Lords noch abwarten.“

„Gut, Onkel, ich gebe mich geschlagen und bleibe noch ein oder zwei Tage, aber dann ...“

„Heureka! Ist ja doch blitzgescheit, mein Karl! Weiß, was sich gehört! Annie ... Anniiiee ...“

Annie, die offenbar in der Nähe unser Gespräch mit angehört hatte, kam sofort.

„Bin schon da, Vater! Werde Karl das Zimmer richten und ordentlich einheizen. Das Wetter draußen wird immer grauslicher.“

„Wetter? Grauslich? Keineswegs! Bestes, wunderbares Wetter! Karl wird erzählen!“

„Aber Vater, schau doch nach draußen, es wird immer schlimmer! Man kann ja vor Schnee und Hagel die Hand nicht vor Augen sehen!“

„Verstehst halt nichts vom Wetter, überhaupt nicht! Aber meine Wickel, bitte, möge die Gicht endlich tausend Klafter tief zum Teufel gehen!“

„Ich eile, sofort, Vater.“

So oder so ähnlich spielte sich jedes Mal unser Wiedersehen ab, wenn ich meinen Onkel wieder nach langen Reisen besuchte. Diesmal waren allerdings nur vierzehn Tage seit meinem letzten Aufenthalt im Forsthaus vergangen, aber ich verstand ihn schon, den guten Holunderbusch. Allzu viel Abwechslung hatte er hier ja wirklich nicht. Auf einen oder zwei Tage kam es jetzt wirklich nicht mehr an, und der Blick nach draußen verhieß nicht gerade eine angenehme Rückfahrt, sollte ich diese, wie ursprünglich beabsichtigt, noch heute antreten. So blieb ich also in dem warmen, gemütlichen Forsthaus, Alois wurde ebenfalls zum Bleiben aufgefordert, und so war es dann selbstverständlich, dass wir beide den ganzen Abend mit unseren Erinnerungen an das letzte gemeinsame Abenteuer füllten. An begeisterten Zuhörern fehlte es wahrlich nicht. Alois wäre wegen der Schmetterlinge liebend gerne mit in die Karibik gekommen, hatte aber Examenstermine und musste deshalb leider verzichten. Mir war das durchaus recht, wer weiß, welchem Bärenspinner er sonst hinterhergelaufen wäre und dabei andere möglicherweise in Gefahr gebracht hätte.

* * *

Wieder zurück in Radebeul dauerte es nur noch wenige Tage, bis ich den Antwortbrief von Sir David in den Händen hatte.

Dear old friend, wusste es, würden einen alten Freund nicht im Stich lassen! Million thanks! I’m sure. Wird wonderful holiday! Vielleicht auch bisschen adventure, who knows? Don’t forget your wonderful rifles, vielleicht saftigen Braten schießen? Schlage vor, we meet in London – my home is your castle! Können dann alles in Ruhe besprechen. Und dann – my jacht is ready to sail any time! (Dann folgte noch eine Beschreibung, wie ich nach Überquerung des Kanals am bequemsten nach London und von dort per Mietkutsche zu ihm nach Hampstead, einem kleinen Vorort im Norden von London, kommen würde. Natürlich würde er mir alle Reisekosten ersetzen) ... wie überhaupt money no problem, wie Sie wissen, Mister Kara ben Shatterhand! Looking forward to seeing you soon! Bin voller expectation! Extraordinary, Karibik! Ein wonderful peaceful paradise! Don’t forget your Badehose!

Yours forever truly

David Lindsay

Ich muss zugeben, mir klang das alles ein bisschen zu euphorisch, zumal ich mich inzwischen anhand der verfügbaren Literatur ein wenig mit dem Inselreich der Karibik vertraut gemacht hatte. Auch war mir natürlich der genaue Hintergrund der Mission von Sir David noch unbekannt, doch da dieser so unbeschwert an diese Urlaubsreise, wie er sie anscheinend sah, heranging, konnte es sich wohl nicht um eine besonders problematische Aufgabe handeln. Wie dem auch sei, aus seinem Mund würde ich bald Näheres erfahren. Was sollte ich mir also schon jetzt den Kopf darüber zerbrechen? Meine Waffen jedenfalls, das war klar, würden auf jeden Fall mit von der Partie sein.

Ich schloss meine Reisevorbereitungen ab, bestellte Haus, Hof und Garten, und war endlich wieder unterwegs! Zunächst ging es mit der Bahn nach Hamburg, dann per Schiff nach Harwich, von dort wieder mit der Bahn nach London und dann schließlich, wie von Sir David vorgeschlagen, per Kutsche quer durch das Häusermeer der Riesenstadt nach Hampstead im Norden, wo der Lord, wie ich feststellte, ein gepflegtes Landhaus in typisch englischem Stil, umgeben von einem großen Garten, bewohnte. Trotz unserer nun schon jahrelangen Bekanntschaft und Freundschaft mit vielen gemeinsamen Erlebnissen hatte ich ihn bisher noch nie in seiner Heimat besucht. Er wohnte sehr eindrucksvoll gepflegt, ohne dass aber Haus und Garten seinen Reichtum in übertriebener Weise widerspiegelten. Natürlich sorgte eine Reihe von Bediensteten nicht nur für sein persönliches Wohl, für Empfang, Haus und Küche, sondern auch für den vielseitigen und arbeitsintensiven Garten, der allerdings zur jetzigen Jahreszeit noch keine Farbtupfer zeigte. Ich erwartete, dass mich ein Butler an der Haustür in Empfang nehmen würde, aber ich hatte noch nicht die Hälfte des auf das Eingangsportal zuführenden Weges hinter mich gelassen, als sich die Haustür öffnete und der Lord in seiner typischen grau-weiß karierten Kleidung auf mich zugestürmt kam. „Mister Shatterhand! Welcome, welcome! Bin so pleased to see you! Herein mit Ihnen! Grässliches Wetter, for sure! Aber bald, wonderful sunshine! Come on, come on!“

„Sir David, die Freude ist ganz auf meiner Seite! Sehe Sie offenbar bei bester Gesundheit! Bin nicht weniger gespannt als Sie auf das, was die Zukunft bringen wird und was Sie mir über Ihre neue Aufgabe zu erzählen haben!“

„Hat Zeit, hat Zeit! Machen es uns erst gemütlich, as you Germans say! Ein Sherry? Oder einen Madeira? Oder gar good old Irish Whisky? Alles at your disposal!“

Mit diesen Worten betraten wir das Haus und fanden uns nach ein paar weiteren kleinen Vorbereitungen im großen, gemütlichen Wohnzimmer des Landhauses wieder, das dank eines Kamins angenehm warm war. Wie konnte es anders sein. Sofort sah ich an einer Wand das herrliche Leopardenfell, die Jagdbeute Sir Davids bei unserem gemeinsamen Abenteuer in den Schluchten des Hadschar, und in einer Vitrine prangte der herrliche blaue Lapislazuli, sein Anteil an König Salomons Diamanten. Wie doch die Erinnerung gleich wieder wach wurde! Auf weitere Beschreibungen des Hauses und seiner verschiedenen Räume will ich jedoch verzichten, weil sie für das weitere Geschehen keine Rolle spielen. Auch die Gespräche, die Sir David und ich in den folgenden drei, vier Tagen bis zu unserer Abreise führten, will ich nachstehend nur in zusammengefasster Form wiedergeben. Jedenfalls stellte sich bei diesen Gesprächen zum einen heraus, dass Sir David zwar der unbekümmerte Draufgänger geblieben war, als den er sich auf meinen vielen Reisen mit ihm immer wieder präsentiert hatte, dass er zum anderen aber nur eine ziemlich rudimentäre Vorstellung von dem hatte, was seine Aufgabe und die dabei möglicherweise zu bewältigenden Begleitumstände betraf. Als wir bei einem Glas Sherry in der geräumigen Sitzecke seines Wohnzimmers Platz genommen hatten, begann ich: „Sir David, nach Ihrer so liebenswerten Begrüßung wird es jetzt ernst, ich habe viele Fragen! Fangen wir mit der wichtigsten an. Worum geht es nun eigentlich wirklich, im Kern, bei Ihrer neuen Aufgabe auf Jamaika?“

„Well, Mister Shatterhand, das ist still somewhat unclear!“

„Unklar? Immer noch? Das verstehe ich nicht, man wird Sie doch eingehend informiert haben!“

„Well, it seems, Queen Victoria doesn’t know herself, was auf der Insel eigentlich los ist. Der dortige Governor ist zu regular reports verpflichtet, aber since a few months bleiben diese aus. Von verschiedenen Seiten kommen sehr contradictory comments zu dem, was sich auf der Insel tut. Man will sich möglicherweise der rule of Britain entziehen, it seems. Much worse, even regular shipments, Gewürze, Früchte, Zucker, kommen nur noch selten! And remember, Jamaika ist erst seit wenigen Jahren, since 1865, to be exact, British Crown Colony! Können uns einen Widerstand dagegen not at all leisten!“

„Aber, das bedeutet ...“

„Right, something happens! Aber was? No idea!“

„Das klingt nicht gerade nach einer vorübergehenden politischen Krise, wie ich bisher angenommen habe!“

„Not at all, much to my regret! Aber mit Ihrer Hilfe, no problem!“

„Ich muss zugeben, derartige Vorschusslorbeeren werden mir, ebenso wie die ganze Angelegenheit überhaupt, zunehmend suspekt, Sir David! Man wird Ihnen doch genauer gesagt haben, worin Ihre Aufgabe besteht!“

„Yes, quite simple. To restore law and order!“

„Das kann nicht Ihr Ernst sein! Und darauf haben Sie sich eingelassen?“

„Sure! Kann doch Queen Victoria keinen Wunsch abschlagen!“

„Das behagt mir überhaupt nicht! Was passiert, wenn wir dort angekommen sind?“

„Well, investigation, Umstände klären.“

„Leicht gesagt! Wenn dort ein Aufstand gegen das britische Königshaus im Gange ist, wird man Sie mit dem Union Jack am Mast kaum sehr freundlich empfangen!“

„Right, habe schon daran gedacht! Nehme weiße Fahne mit, Verhandlungsangebot! Habe auch noch plenty other flags und außerdem official document, das mir alle Rechte einräumt!“

„In London Rechte einräumen und sie auf Jamaika auch wahrnehmen können, das mag ein gewaltiger Unterschied sein! Kann ich dieses Dokument einmal sehen?“

„Sure, at once!“

Sir David kramte ein wenig auf seinem Schreibtisch herum und händigte mir dann das offizielle Papier of Her Majesty the Queen aus. Ich gebe den Text nachstehend vollständig, aber ins Deutsche übersetzt, wieder.

An jeden, den es betreffen mag:

Sir David Lindsay, seines Zeichens Lord im britischen Oberhaus, ist hiermit beauftragt, die Gründe der aufgetretenen Unregelmäßigkeiten zwischen der britischen Kronkolonie Jamaika und dem Mutterland in Erfahrung zu bringen und gegebenenfalls Widerstände gegen eine ordnungsgemäße Verwaltung mit geeigneten Mitteln zu beseitigen. Dazu wird ihm jede nur denkbare Vollmacht gewährt. Dies schließt im Bedarfsfall auch die Absetzung des derzeitigen Generalgouverneurs Sir James Whitherspoon ein, dessen Stelle er dann selbst bis zur Nominierung eines neuen Gesandten durch das Königshaus zu übernehmen hat.

Das britische Königshaus sichert Sir David Lindsay im Zusammenhang mit diesem Auftrag jede nur denkbare Unterstützung und die dafür erforderlichen finanziellen Mittel zu.

Unterzeichnet und bestätigt

Queen Victoria

Mir blieb der Mund offen stehen! Wie konnte man einer so vage umrissenen und aller Wahrscheinlichkeit nach auch gefährlichen Aufgabe zustimmen? Ohne jegliches Wissen, um was es sich im Konkreten handelt? Ich brachte Sir David gegenüber meine immer größer werdenden Bedenken zum Ausdruck. Der aber zeigte sich nach wie vor unbeeindruckt optimistisch. „Master Shatterhand, ich kenne Sie nicht wieder! What means Ungewissheit? Adventure! Endlich wieder Abenteuer, herrlich, fantastic! Haben immer zusammen Lösung gefunden, so auch this time, bin deadly sure!“

„Was für eine Möglichkeit meinen Sie?“

„Well, selbstredend, to become Governor! Werde Herrscher einer ganzen Insel sein, gehe in Great Britain’s history ein!“

„Nur, Sir David, wenn ...“

„If, yes, depends, ist noch nicht ganz sicher! Aber selbst wenn nicht, bedenken Sie, die wonderful Begleitumstände!“

„Nämlich?“

„First of all, of course, das absolutely wonderful climate!“

„Sie vergessen die Wirbelstürme! Ganze Landstriche haben sie schon verwüstet, ganze Inseln dem Erdboden gleichgemacht, einige sind sogar untergegangen!“ (Hier habe ich absichtlich ein wenig übertrieben!)

„Hurricans? All devils, Sie haben Recht! Aber, I’m certain, werden sich einen anderen Weg suchen! Außerdem, nur zu einer bestimmten Jahreszeit!“

„Das ist richtig. Jetzt haben wir März, aber schon ab Mai können Hurrikane im westindischen Inselgebiet auftreten, auch wenn ihre Hauptzeit erst ab Juli ...“

„See? Haben also Zeit genug to restore law and order! Und dann, die herrlichen beaches! Kleine Buchten, the blue sea, warmes Wasser, absolutely incredible! Können schwimmen nach Herzenslust!“

„Vergessen Sie die Haie nicht!“

„Sharks? Oh, I didn’t, viele?“

„Sehr viele! Und nicht nur die, auch Barracudas!“

„Heavens! Barracudas! Nie gehört, what’s that?“

„Ein sehr gefährlicher Raubfisch, wenn auch etwas kleiner als der Hai. Das ist aber immer noch nicht alles.“

„Nicht alles, still? By God, was gibt’s denn noch?“

„Muränen! Lauern versteckt in Felsspalten und dann, gerade wenn man in einer lauschigen Bucht seine Kreise zieht ...“

„Heavens! Werde meine Badehose sofort wieder auspacken! Die reinste Hölle, under water!“

„Und natürlich müssen Sie sich auch vor der Portugiesichen Galeere in Acht nehmen.“

„No! Impossible! Gibt’s nicht mehr!“

„Oh doch! So wird eine äußerst gefährliche Qualle ihrer guten Bewaffnung wegen genannt. Ihre Nesselfäden erreichen eine Länge von bis zu dreißig Metern! Einer solchen Galeere beim Baden oder auch nur am Strand zu begegnen, ruft schwerste Vergiftungserscheinungen, brennenden Schmerz, ausgedehnte Entzündungen und hohes Fieber hervor, selbst wenn man auch nur einen einzigen Fangarm berührt.“

„Never! Absolutely impossible! Dass in einer so fürchterlichen Gegend überhaupt noch jemand überlebt hat!“

„Nun, dies alles betrifft natürlich hauptsächlich die Gegend unter Wasser ...“

„Yes, thank God! Above the water, alles wonderful, peaceful!“

„Sir David, auch über dem Wasser ist es nicht immer so friedlich, wie es auf dem ersten Blick scheinen mag!“

„Not? What do you mean? Hurricans again?“

„Nein. Aber Ihr Traum von nice people ...“

„Well, no dream! Reality!“

„Leider nicht! Kennen Sie den Ursprung des Namens Karibik?“

„No. Wird absolutely unimportant sein.“

„Als die Spanier als erste Europäer in diese, vermeintlich Indien vorgelagerte, Inselwelt kamen, trafen sie auf die von ihnen in den Folgejahren praktisch vollkommen ausgerotteten Ureinwohner ...“

„Sure! But diese Ureinwohner wurden Kariben oder Caniben genannt. No problem! Funny name!“

„Und diese Bezeichnung der Inselbewohner ist nichts anderes als die Wurzel, der Ursprung unseres heutigen Begriffs ... Kannibale!“

„Behold! Menschenfresser again!“

„So ist es! Das heißt, so dachte man damals, als man nicht nur aufbewahrte Schädel und andere menschliche Knochen fand, sondern auch menschliche Glieder, die in großen Töpfen gekocht wurden ...“

„My goodness! Schmecke gar nicht gut, aber sage Reise trotzdem nicht ab ...“

„Sir David, zu Ihrer Beruhigung, ganz so schlimm ist es heute wohl nicht mehr. Erstens sind die Kariben ja heute weitgehend ausgestorben, und zweitens haben die Spanier, auch wenn die Meinungen dazu heute noch geteilt sind, diese Funde höchstwahrscheinlich fehlinterpretiert. Es handelte sich wohl eher um eine Art Ahnenverehrung, denn deren Gebeine besaßen für die Kariben eine magische Kraft. Um das Fleisch der Verstorbenen gründlich abzulösen, mussten die Knochen gekocht werden, übrigens ein Vorgang, der auch im europäischen Mittelalter gang und gäbe war. Nur so konnten die Kreuzritter ihre Toten auf hygienische Weise zurück in die Heimat bringen.“

„But ... who knows, vielleicht verehren sie British Governors heute auf ähnliche Weise?“

„Sie sind doch ausgestorben!“

„Oh yes, thank god! Today, nice people!“

„Dennoch kann ich auch dem nicht bedingungslos zustimmen!“

„All devils, what else?“

„Sklavenaufstände! Auf allen Inseln! Europäer und ihre Helfershelfer schweben oft in Lebensgefahr!“

„Thunderstorm! Sehe leider aus wie ein Europäer!“

„Richtig! Und wie ein Erzbrite noch dazu, auf die haben es die Sklaven besonders abgesehen!“

„Great god! But, werde my mind trotzdem nicht ändern! Haben Waffen! Plenty of them! Werden sie gebrauchen, Burschen uns vom Leibe halten! Aber sonst, absolutely wonderful!“

„Sie wissen immer noch nicht alles, Sir David!“

„Lack-a-day! Was denn noch?“

„Seeräuber!“

„Behold! Pirates! Impossible! Immer noch?“

„Tatsache ist natürlich, dass die große Zeit der Piraten in der karibischen See heute schon erkleckliche Zeit zurückliegt, aber es kann immer Nachahmer geben! Gerade jetzt, nur wenige Jahre nach dem Sezessionskrieg in den Staaten, machen angesichts des herrschenden Durcheinanders in den Südstaaten der USA wieder viele Schurken aus dem Norden und Süden auf der Suche nach Reichtümern die Meere unsicher!“

„Great god! Werde mir selbst Seeräuberfahne besorgen, um abzuschrecken! Vielleicht auch Kanone, machine gun?“

„Nun, ich hoffe, dass es diesbezüglich nicht ganz so schlimm kommen wird. Aber immerhin, gerade Jamaika ist über hundert Jahre lang Zufluchtsort und Ausgangspunkt der schlimmsten Piraten gewesen, die es in der Karibik je gegeben hat!“

„Thousand devils! Ausgerechnet Jamaika! Und heute?“

„Heute ist das wohl nicht mehr die Hauptgefahr, aber man kann nie wissen! Im 17. Jahrhundert waren die Piraten an Grausamkeit kaum zu übertreffen, sie verübten entsetzliche Gräueltaten an der Bevölkerung.“

„Yes, I know, Menschen schlimmer als alle Haie, Barracudas, Muränen und Portugiesichen Galeeren altogether! But, werden so ein Schiff schon in Schach halten können!“

„Oh, Sir David, die hatten damals regelrechte Kriegsflotten! Henry Morgan, einer der allerschlimmsten, überfiel die Küstenstriche mit bis zu fünfzehn Schiffen und 500 Mann! Er war der General der Seeräuber auf Jamaika!“

„Good heavens! Fünfzehn Schiffe! Henry Morgan, nie gehört! Muss ein angenommener Name sein, kein rechtschaffener Brite würde ...“

„Im Gegenteil, Sir David, Henry Morgan war Engländer und sein Vater ein wohlhabender Bauer in Wales!“

„Incredible! I can’t believe it! How do you know all this?“

„Ich habe mich natürlich ein wenig informiert, bevor ich jetzt zu Ihnen kam. Henry Morgan ist zweifellos eine besonders unrühmliche Ausnahme. Aber denken Sie nur an Sir Francis Drake, der hatte nicht nur einen offiziellen Kaperbrief der britischen Regierung, sondern nach ihm wurde sogar in den Kleinen Antillen, bei der Taubeninsel Tortula, eine Durchfahrt zwischen der Hauptinsel und einem vorgelagerten Eiland benannt. Der Sir Francis Drake Channel, bis auf den heutigen Tag!“

„Really? Unfassbar! Aber, Mister Shatterhand ben Nemsi. Wenn so viele pirates ... auf Jamaika .... secret places. geheime Buchten, habe eine Idee! Great idea, really!“

„Ich verstehe nicht, worauf wollen Sie hinaus?“

„Schätze, Master Nemsi! Pirate treasures! Unermesslich! Everywhere!“

„Sicher gibt es dort noch irgendwo versteckte Schätze, bei der reichen Beute, die man in der karibischen See im Laufe der Jahrhunderte machte, über Wasser ebenso wie versunken und für immer vergessen.“

„Unter Wasser, no! Sharks, Barracudas, unheimliche Galeeren! Aber an Land, in small caves! Everywhere! Werde suchen! Incredible! Diamonds! Gold!“

„Aber Sir David, erstens haben das schon viele vor Ihnen versucht und, zugegeben, einige haben auch etwas gefunden. Aber wozu? Haben Sie etwa finanzielle Schwierigkeiten?“

„By all means, no! But Abenteuer! Werde suchen und finden! Herrlich, fantastic! One reason more to conquer Jamaika!“

„Nun, ich hoffe doch, dass es nicht nötig ist, die ganze Insel erneut zu erobern! Das wird selbst Ihrer Kanone und meinem Henrystutzen nicht gelingen!“

„Well, war nur so ein Ausdruck. In any case, great adventures ahead of us!“

„Sie sind einfach unverbesserlich, verehrter Lord! Hoffen wir nur, dass es nicht ganz so schlimm wird, mit oder ohne Barracudas, Piraten und unermesslichen Schätzen!“

* * *

Man wird zugeben, ich hatte wirklich alles versucht, Sir David doch noch von seinem Vorhaben abzubringen, aber es half alles nichts. Viel Hoffnung hatte ich in dieser Hinsicht ohnehin nicht gehabt, schließlich kannte ich ihn gut genug. So war also jetzt alles besprochen und für mich vieles im Grunde unklarer als vorher. Nur vor Ort würden sich jetzt die offenen Fragen noch beantworten lassen. Also schlossen wir die restlichen Reisevorbereitungen ab. Die Jacht war startklar und ihre Crew (Steuermann, Erster Offizier und Koch) nicht weniger begierig als der Lord, in wärmere Gefilde aufzubrechen. Sir David verzichtete immerhin doch noch auf die zusätzliche Montage einer machine gun (zumindest hier waren meine eindringlichen Worte von Erfolg gekrönt), nahm aber tatsächlich noch eine furchterregende Piratenflagge in seinen Bestand auf. Ob er wie angekündigt auch seine Badehose wieder ausgepackt hatte, blieb für mich unerfindlich, denn ich fragte ihn nicht. Er machte dann noch eine Runde durch seinen Club (die Ignoranten dort mussten schließlich auf jeden Fall noch erfahren, was höchste Stellen von ihm hielten im Gegensatz zu den dort meistversammelten pensionierten Offizieren aus Indien), überprüfte alle Notwendigkeiten einer etwa zweiwöchigen Seefahrt über den zu dieser Jahreszeit manchmal etwas unberechenbaren Atlantik und gab dann grünes Licht – es konnte losgehen!

Worauf nur hatte ich mich da eingelassen, fragte ich mich zum wiederholten Mal. Ein Zurück aber gab es jetzt nicht mehr, und nicht zuletzt lockte auch mich das Abenteuer. So blieb also nur, allem, was da kommen mochte, unerschrocken ins Auge zu sehen, und so ganz ungeübt war ich solchen unverhofften Situationen gegenüber ja nicht. Hinweg mit den zweifelnden Gedanken und auf in die Karibik!

Es war ein nebliger, grauer Tag, und kalter Regen machte jeden Aufenthalt an Deck äußerst ungemütlich, als die Lindsay die Anker lichtete und wir themseabwärts in den Kanal und dann westwärts einer mit einem großen Fragezeichen versehenen Zukunft entgegen schipperten.

Durch den Llano Estacado

Es war heiß, und endlos dehnte sich die schattenlose Ebene der Staked Plains in leichter Neigung von West nach Ost. In Ermanglung weithin sichtbarer Orientierungsmerkmale hatte man, um Reisenden das Durchqueren dieser endlosen baumlosen Halbwüste zu erleichtern, den gefahrlosesten Weg durch dieses Niemandsland mit in den harten Lehmboden gerammten Pfählen gekennzeichnet, daher eben die Bezeichnung Staked Plains oder auch Llano Estacado. Es dauerte allerdings nicht lange, bis sich verbrecherische Elemente dieser scheinbar sicheren Wegweiser bedienten und die Pfähle versetzten. Nicht nur einzelne Reiter, sondern ganze Planwagen-Treks ritten und fuhren so auf ihrem Weg nach Westen ins Verderben. Spärliches Buschgras und Opuntien waren die vorherrschende Vegetation. Kleine, meist nur wühlende, grabende oder nagende Tiere waren die einzigen, die in diesem trockenen, nahrungs- und wasserarmen Grenzland überleben konnten. Feldmäuse, Präriehasen, Maulwürfe, Präriehunde, die Wüstenagame und andere Eidechsen, und zusätzlich ganze Wolken lästiger Insekten.