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Millionen Muslime leben unter uns, doch wir wissen fast nichts über sie. Wie viele Muslime gibt es eigentlich in Deutschland und wie und wo gehen sie ihrem Glauben nach? Constantin Schreiber hat sich dafür auf die Suche gemacht und liefert den ersten deutschen Moschee-Report: Wo gibt es überall Moscheen und was predigen Imame beim Freitagsgebet? Wie wird über Deutschland gesprochen, wenn keine Kamera dabei ist und man sich unbeobachtet fühlt? Schreiber recherchiert in einer für viele unverständlichen Realität, die unsere Gesellschaft prägt wie nie zuvor. "Der Weltenerklärer" - Süddeutsche Zeitung "Unter deutschen Journalisten ist Schreiber zurzeit der Integrationsminister" – Süddeutsche Zeitung
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Das Buch
In Deutschland leben über vier Millionen Muslime. Der wöchentliche Moscheebesuch ist für viele von ihnen selbstverständlich, jeden Freitag predigen Tausende Imame in vollen Gotteshäusern. Dabei wissen wir nicht einmal genau, wie viele Gebetsstätten es hierzulande gibt. Für die meisten Menschen in Deutschland sind die Moscheen eine fremde Welt. Die dort gesprochenen Sprachen verstehen sie nicht, die geltenden Glaubensvorstellungen kennen sie nur vage. Umso brennender ist die Frage, was dort geschieht. Wer findet sich ein? Wer sind die Prediger? Und vor allem: Was sagen sie? Wie nutzen sie ihren Einfluss auf die Muslime?
Der »Tagesschau«-Journalist Constantin Schreiber wollte Antworten. Acht Monate lang hat der arabischsprachige Nahost-Experte deutsche Moscheen besucht, zugehört und nachgefragt. Er hat die Predigten dokumentiert, übersetzt und mit Islamwissenschaftlern über sie gesprochen. So ist ein Bild davon entstanden, was dort vermittelt wird. Dieses Bild ist erstaunlich eindeutig. Klar ist: All jenen, die ein echtes Zusammenwachsen der Einwanderungsgesellschaft wollen, kann die Botschaft der Imame nicht gefallen.
Der Autor
Constantin Schreiber (*1979) moderiert die »Tagesschau« und das ARD-»Nachtmagazin« sowie das NDR-Medienmagazin »zapp«. Er spricht fließend Arabisch. Einen Namen gemacht hat er sich als Moderator von arabischen TV-Sendungen: Für die deutsch-arabische Talkshow »Marhaba – Ankommen in Deutschland«, in der er Flüchtlingen das Leben in unserem Land erklärt, wurde er 2016 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Schreiber arbeitete nach einem Jura-Studium mehrere Jahre als Reporter in Beirut und Dubai, volontierte bei der Deutschen Welle und war drei Jahre als Medienreferent im Auswärtigen Amt tätig. Seit 2012 war er Moderator und Chef vom Dienst bei n-tv und wechselte 2017 zur ARD.
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ISBN: 978-3-8437-1498-3
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017 / Econ VerlagUmschlaggestaltung: zero-media.net, München,unter Verwendung einer Vorlage von FHCM GRAPHICS, Berlin Titelabbildung: ullstein bild / © Gawrisch (Autorenfoto); getty images / © Busà Photography (Hintergrund)
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Über das Buch und den Autor
Titeleite
Impressum
Vorwort zur Taschenbuch-Ausgabe
Einleitung
Meine erste Freitagspredigt
Die Moschee – der unbekannte Ort
Was macht eine Moschee zur Moschee?
Was predigt der Imam?
Rückkehr in die Wilmersdorfer Moschee
Expertenstimmen
Das Interview mit dem Imam der Wilmersdorfer Moschee
Wie viele Moscheen und Muslime gibt es in Deutschland?
Meine Moschee-Reise
Anmerkungen zum Kapitel
Die Freitagspredigten
»Ich habe gerade den Obstgarten für einen Obstgarten im Paradies verkauft«
Die Woche
Die Moschee
Die Predigt
Diskussion
Anmerkungen zum Kapitel
»Wir leben in dieser Umgebung, die stark auf uns einwirkt, dich auslöscht«
Die Woche
Die Moschee
Die Predigt
Diskussion
Anmerkungen zum Kapitel
»Nehmt euch Zeit für das Lernen, das Studium der islamischen Wissenschaften, denn bei Gott, euch wird nur das rechte Wissen retten!«
Die Woche
Die Moschee
Die Predigt
Diskussion
Anmerkungen zum Kapitel
»Oh Herr, halte sämtliche inländischen undausländischen Feinde unserer Religion, unseres Staates und unserer Nation fern!«
Die Woche
Die Moschee
Die Predigt
Diskussion
Anmerkungen zum Kapitel
»Die Gläubigen sollen auf Erdenkeine Unruhe stiften«
Die Woche
Die Moschee
Die Predigt
Diskussion
Anmerkungen zum Kapitel
»Jeder Mensch geht morgens hinaus und verkauftseine Seele und befreit sie vom Höllenfeuer oder richtet sie zugrunde«
Die Woche
Die Moschee
Die Predigt
Diskussion
Anmerkungen zum Kapitel
»Wir sehen, was auf der Welt passiert,wer im Untergrund Aktivitäten durchführt und die beim Volk gesammelten Spendengelder nach Amerika schickt«
Die Woche
Die Moschee
Die Predigt
Diskussion
Anmerkungen zum Kapitel
»Selbstmord ist die größte Gefahrunseres Jahrhunderts«
Die Woche
Die Moschee
Die Predigt
Diskussion
Anmerkungen zum Kapitel
»Diese zehn Tage sind großartiger alsder Dschihad auf dem Weg Gottes«
Die Woche
Die Moschee
Die Predigt
Diskussion
Anmerkungen zum Kapitel
»Wir müssen den Koran wieder lesen und lieben!«
Die Woche
Die Moschee
Die Predigt
Diskussion
Anmerkung zum Kapitel
»Die größte Sache ist es, dass durch dichein Nichtmuslim rechtgeleitet wird und den Islam annimmt«
Die Woche
Die Moschee
Die Predigt
Diskussion
Anmerkungen zum Kapitel
»Ich möchte über die größte aller Gefahren sprechen,nämlich über die Gefahr von Weihnachten«
Die Woche
Die Moschee
Die Predigt
Diskussion
»Ihr könnt nicht sagen: Ich bin zugleichDemokrat und Schiit«
Die Woche
Die Moschee
Die Predigt
Diskussion
Anmerkungen zum Kapitel
Resümee
Die Moscheen
Die Predigten
Religiöse Themen
Das Leben in Deutschland
Poltische Bezüge
Anmerkung zum Kapitel
Feedback an den Verlag
Empfehlungen
Die Erstveröffentlichung dieses Buches im Frühjahr 2017 sorgte für eine heftige Diskussion – von vielen Seiten. Muslime warfen mir vor, ich würde Moscheen einseitig negativ darstellen; Islamwissenschaftler wollten meine Reportage als Studie sehen und kritisierten, dass diese nicht repräsentativ sei; Nationalisten fühlten sich in ihrem Weltbild bestätigt. Diese Kontroverse hat eines gezeigt: Wie tief der Graben inzwischen ist, der durch unsere Gesellschaft geht, und wie dünn der Kitt, der diese Gesellschaft miteinander verbindet.
Heute, gut ein Jahr später, ist dieser Riss nicht kleiner geworden, eher im Gegenteil. Er geht durch Parteien, Medien, die Zivilgesellschaft. Entweder man ist für eine offene, vielfältige Gesellschaft. Menschen, die so denken, verbieten sich eine kritische Auseinandersetzung mit Themen, die vom politischen Gegner besetzt werden, zumal wenn es um Religion geht. Oder man ist gegen offene Grenzen und Zuzug, vor allem von Muslimen. Menschen dieser Meinung wollen nicht, dass man auch die Vielfältigkeit der »anderen«, der Flüchtlinge, Migranten oder Muslime darstellt, die nicht nur eine homogene Masse sind. Das macht eine Debatte, einen Austausch von Argumenten, inzwischen fast unmöglich. Was wiederum Journalisten vor große Herausforderungen stellt, wenn deren Berichte immer weniger als unabhängig, sondern als politisch geprägt empfunden werden.
Ich bin Journalist, kein Aktivist. Ich bin nicht für oder gegen etwas. Ich möchte erfahren, was gerade in unserem Land passiert. Was gut und was schlecht läuft, was die einen motiviert und die anderen umtreibt. Abbilden, darstellen – und ja, einordnen. Als ich dafür auf Arabisch hierher kommenden Migranten unser Land »erklärte«, hagelte es Attacken von »rechts«. Als ich feststellte, dass in Moscheen, die ich besuchte, Integration abgelehnt und Abgrenzung gepredigt wurde, folgten Attacken von »links«.
Was folgt daraus? Für mich persönlich: Dass ich offenbar Themen bearbeite, die Menschen in der einen oder anderen Weise umtreiben. Dass es relevant ist – und daher richtig, hier genau hinzuschauen. Für die Debatte: dass wir in der Tat an einem entscheidenden Punkt stehen. Es wird sich in den nächsten Jahren zeigen, ob unsere Demokratie verliert, weil der gesellschaftliche Riss so groß wird, dass die Zersplitterung der Politik sie letztlich gestaltungsunfähig macht. Oder ob unser System der Vielfalt und Kontroverse wieder gesellschaftliche Akzeptanz erreicht. Wie das klappen kann? Vielleicht auch, indem wir nicht zuallererst über das Cover und den Titel eines Buches diskutieren, sondern es vielleicht auch einmal lesen, um über den Inhalt zu sprechen. Das würde Menschen verschiedener politischer Überzeugungen womöglich zum Nachdenken anregen.
Constantin Schreiber, im Juni 2018
Es ist eine Schwelle, die die wenigsten Deutschen überschreiten: die in eine der zahlreichen Moscheen in unserem Land. Wir wissen sehr wenig über das, was sich in diesen Moscheen wirklich abspielt, und spekulieren doch so häufig darüber – etwa dann, wenn verstörende Videos und Predigten uns aufschrecken. Beispiele dafür gibt es genug:
Im Januar 2015 geriet die Al-Nur-Moschee in Berlin-Neukölln in die Schlagzeilen, weil der ägyptische Gastprediger Scheich Abdel Moez Al-Eila dort predigte, dass Ehefrauen sich ihren Männern nie sexuell verweigern dürften, da sie sonst von Engeln verflucht würden. Frauen dürften nie ohne ihre Männer das Haus verlassen, auch keinen Beruf ausüben.
Im Juni 2016 lud ein Stuttgarter Moscheeverein den pakistanischen Prediger Raza Saqib Mustafai in die Al-Madina-Moschee ein. Zuvor hatte Mustafai öffentlich zum Judenmord aufgerufen.
Im Dezember 2016 steuerte der Tunesier Anis Amri einen LKW in den Weihnachtsmarkt an der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Zwölf Menschen starben, mehr als fünfzig wurden verletzt. In den Blickpunkt geriet der Moscheeverein Fussilet 33 e.V. in Berlin-Moabit. Dort soll Amri sich mit Salafisten getroffen haben.
Bedauerliche Einzelfälle, sagen Islamverbände und Interessenvertreter. Ist das so? Sind Moscheen »nur« Gebetsräume, in denen Gläubige sich an ihren Schöpfer wenden? Oder sind viele von ihnen doch Refugien antidemokratischen Gedankenguts? Nutzen manche Muslime diesen Freiraum, den ihnen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung bietet, um sich gegen diese zu verschwören? Um darauf Antworten zu finden, besuchte ich über acht Monate hinweg immer wieder Freitagspredigten in deutschen Moscheen.
Es ist Freitag, der 29. April 2016, eine turbulente Nachrichtenwoche neigt sich dem Ende zu. In Österreich gewinnt die rechtspopulistische FPÖ die erste Runde der Präsidentschaftswahlen. In Baden-Württemberg steht die erste schwarz-grüne Koalition Deutschlands, nachdem der Grünen-Politiker Winfried Kretschmann bei den Landtagswahlen einen überragenden Sieg errungen hatte. Aus der Wahl geht die Alternative für Deutschland (AfD) als neue starke Kraft im Landtag hervor. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland weist Forderungen zurück, die Entsendung türkischer Imame nach Deutschland zu stoppen. Der Vorsitzende des Verbandes, Ayman Mazyek, bezeichnet den Vorschlag als »verfassungswidrig, von Doppelmoral durchzogen und nicht zielführend«.
Am Freitagmittag erreicht mich von meiner Redaktion noch ein Auftrag: Ich soll eine Freitagspredigt in eine Berliner Moschee besuchen. Anlass ist die – erneut erhobene – Forderung aus der Politik, Moscheen enger zu überwachen und Predigten auf Deutsch zu halten. Ich kümmere mich in der Redaktion häufig um die Themen Islam und Integration, unter anderem deshalb, weil ich gut Arabisch spreche. Ich habe viele Jahre als Reporter im Libanon und den Vereinigten Arabischen Emiraten gearbeitet und fast alle Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas bereist. Für n-tv erfand ich 2015/16 »Marhaba«, Deutschlands erste arabischsprachige Sendung für Flüchtlinge. Wir rufen bei den Verantwortlichen der Wilmersdorfer Moschee im Westen Berlins an. Dort zeigt man sich sofort aufgeschlossen und erlaubt uns, während der Freitagspredigt zu drehen. Das ist nicht selbstverständlich, denn viele Anfragen für Kameraaufnahmen in Moscheen während eines muslimischen Gottesdienstes werden abgelehnt.
Die Wilmersdorfer Moschee besteht seit 1928. Deutschlands älteste Moschee ist mit ihren hohen Minaretten und der charakteristischen Kuppel weithin wahrnehmbar. Sie wurde, wie unschwer zu erkennen ist, nach dem Vorbild des indischen Taj Mahal erbaut. Daher sieht sie anders aus als die arabischen Moscheen, die ich von meinen Reisen in den Nahen Osten kenne. Nachdem sich die Moschee lange in einem schlechten Zustand befand, wurde sie in den 1990er Jahren unter anderem mit Geldern der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und des Landesdenkmalamtes Berlin restauriert. Das Gelände umfasst ein Gemeindehaus und einen Garten. Zunächst betrete ich einen kleinen Vorraum, wo sich die Besucher die Schuhe ausziehen und in einen großen hölzernen Schuhschrank stellen. Durch eine Seitentür geht es in den Hauptraum. Auffällig sind die blassrote Farbgebung an den Wänden und in der Kuppel sowie die orientalischen Ornamente in einem eher zurückhaltenden, minimalistischen Stil. Der Raum wirkt nicht überladen, wie ich es von anderen Moscheen kenne, sondern durchaus elegant, stilvoll, erhaben.
Die Moschee wird von der Lahore-Ahmadiya betrieben. Die Lahore-Strömung ist die weitaus kleinere innerhalb der Ahmadiya, einer muslimischen Glaubensrichtung mit einer jungen Geschichte. Gegründet wurde die Gemeinschaft in den 1880er Jahren im damaligen Britisch-Indien von Mirza Ghulam Ahmed. Der Glaube der Ahmadiya-Anhänger stützt sich auf Koran und Hadithe,1 zusätzlich haben die Schriften von Ghulam Ahmed aber einen erheblichen Einfluss. Die Ahmadiya sieht sich als Teil der islamischen Glaubensgemeinschaft. Die meisten Muslime hingegen sehen in ihren Anhängern Ungläubige beziehungsweise Gotteslästerer, weil die größere Strömung, die Ahmadiya Muslim Jamaat, Mirza Ghulam Ahmed als Propheten verehrt, Mohammed nach allgemeiner muslimischer Auffassung aber der letzte Prophet war. Daher wird die Ahmadiya in muslimischen Ländern wie Afghanistan, Saudi-Arabien oder auch Pakistan benachteiligt oder gar verfolgt.
Als ich die Moschee betrete, hat die Predigt bereits begonnen. Der Imam spricht Englisch mit starkem pakistanischen Akzent, in der kleinen Halle sitzen etwa vierzig Männer auf Gebetsteppichen, ein paar Frauen warten in der hinteren linken Ecke des Raumes. Als der Imam mich und mein Kamerateam sieht, sagt er: »Ich heiße die Vertreter der Presse willkommen, und, liebe Brüder, bitte sprecht mit ihnen nach dem Gebet. Wir unterstützen Offenheit und Meinungsfreiheit.« Der Imam setzt ein überzeugendes und gewinnendes Lächeln auf. Er lächelt viel und spricht in seiner Predigt von der Barmherzigkeit und Güte Gottes.
Ich blättere, während ich der eher belanglosen Predigt zuhöre, in einigen der ausliegenden Bücher. Die meisten sind auf Englisch verfasst, ein paar deutschsprachige Flyer liegen auch aus. Darunter eine schmale Broschüre, die von einer interreligiösen Begegnungsstätte handelt. Ich greife zu einem Buch mit dem Titel Verheißung Islam und fange an zu blättern. Ich erschrecke von Seite zu Seite mehr. In dem Kapitel »Glaube und Politik« heißt es einleitend »Gott allein ist der Gesetzgeber«. Und weiter: »Die Gemeinschaft gründet nicht auf eine Erklärung der Menschenrechte.« Der Koran schließe das parlamentarische demokratische System aus, jede Repräsentation sei Betrug, die Nation eine »westliche Krankheit«. Weiter fragt der Autor: »Wäre es denn nicht Zeit, den Islam zu treffen?« Dann könne man »die wahren Probleme angehen: Glaube und Politik, Königreich Gottes und Verwandlung der Welt«. Nicht nur Nation, Gesellschaft und Gemeinschaft müssten neu gedacht werden, sondern auch die Revolution. »Die islamische Revolution ist in ihrem tiefen Streben radikal anders als die westlichen Revolutionen«, da sie einen »Wechsel des Ziels der Gesellschaft selbst« beinhalte. »Wir wollen einen großen Traum träumen: den Traum, dass die großen westlichen Nationen … Zentren zur massiven Verbreitung dessen errichten, was der Islam uns heute bringen kann.«
Der Imam erkennt, während er seine Predigt fortsetzt, das Buch, sieht, dass ich darin blättere, und schaut immer wieder, zunehmend nervös, zu mir herüber. Nach dem Gebet eilt er zu mir, lächelt und reicht mir seine rechte Hand, während er mit der linken nach dem Buch greift und zunächst sachte versucht, es mir wegzunehmen. Ich halte dagegen. Der Kameramann kommt dazu und richtet die Kamera auf ihn. Der Imam zieht nun deutlich stärker an dem Buch. Dann lässt er das Buch los, lächelt und sagt: »Ich dachte, das ist Ihr Buch. Das haben Sie mitgebracht.« Ich verneine. Daraufhin entgegnet der Imam: »Dann hat das irgendjemand hierhin gelegt.«
Kurz darauf kommt ein Moscheebesucher auf mich zu. Die Kamera ist nicht dabei. Seinen Namen nennt er nicht. Er fragt mich in gebrochenem Deutsch: »Bist du Christ?« Ich bejahe. »Ich verstehe nicht, warum sich Christen Mordwerkzeuge um den Hals hängen. Das Kreuz ist ein Mordwerkzeug. Warum tut ihr das?« Ich sage nichts, er redet weiter. »Meine Familie sagt zu mir: ›Du bist radikal, du bist Islamist!‹ Ich sage ihnen, ›ich komme in den Himmel!‹« Keiner der umstehenden Moscheebesucher sagt ein Wort. Ich weiß nicht, ob sie verstehen, was der Mann auf Deutsch sagt.
Etwas irritiert kehren wir in die Redaktion zurück. Ich hatte damit gerechnet, ein paar freundliche interreligiöse Bekundungen einfangen zu können. Als ich dann noch den Namen des Autors des Buches googele, stelle ich fest: Es handelt sich um den verurteilten französischen Holocaust-Leugner Roger Garaudy.2 Mein TV-Bericht über das Hetzbuch löste zahlreiche Zuschauerreaktionen aus. Viele waren, wie zu erwarten, sehr islamkritisch und forderten eine strengere Überwachung von deutschen Moscheen. »Wir können und dürfen nicht mehr hinnehmen, dass mitten unter uns Hass verbreitet wird in einem sogenannten Haus Gottes. Das ist unerträglich!!!«, schreibt Stefan K. dazu auf Facebook. »Das bestätigt leider meine Ängste und Erwartungen«, merkt dort Maria R. an.
Ich frage mich: Wenn mir so etwas widerfährt, während wir angemeldet mit einer TV-Kamera, klar erkennbar als Journalisten, in einer Moschee sind, worüber wird dann erst geredet, wenn wir nicht dabei sind? Was für Schriften liegen dann aus? Ich beschließe, dem auf den Grund zu gehen.
Zuerst höre ich mich in meinem Bekannten- und Kollegenkreis um. Wer war schon einmal in einer Moschee oder sogar in einer Freitagspredigt? Klar, ich kenne viele Muslime, ob in meinem Arbeitsumfeld oder privat. Aber was ist mit den Nicht-Muslimen? Immerhin prägen Moscheen längst das Erscheinungsbild unserer Städte. Die Frage, wie sehr der Islam zu Deutschland gehört, mag offen sein. Dass Moscheen Teil unseres Landes sind, steht hingegen fest.
Einige meiner nicht-muslimischen Freunde waren bereits in Moscheen, meist allerdings im Urlaub. Ein Bekannter erzählt mir: »Ich war in Israel schon in einigen, unter anderem in der Al-Aqsa auf dem Tempelberg und in Nazareth, außerdem in der großen Moschee in Abu Dhabi. Eigentlich hatte ich immer ein touristisches Interesse. Aber ich mag den Ruf des Muezzins. Wenn es dunkel ist in einer Stadt, dann ist das eine ganz spannende und besondere Atmosphäre.« Eine Arbeitskollegin erzählt von einem Moscheebesuch während eines Türkeiurlaubs vor zwanzig Jahren. »Es war komisch, weil ich mich bei einer Bruthitze in Kopftuch und einen schwarzen langen Synthetikmantel hüllen musste. Aufgefallen ist mir damals, dass die Moschee völlig schmucklos und leer war!«
Ich frage diejenigen, die noch nie in einer Moschee waren, was ihnen einfällt, wenn sie daran denken. Einige Antworten wiederholen sich: »betende Männer in traditionellen Gewändern, keine Frauen« zum Beispiel. Oder »viele Mosaike«. Außerdem: »Totale Ernsthaftigkeit. Kein Lachen, kein Humor.« Natürlich auch »der Muezzin«. Viele meiner Bekannten haben spontan viele Fragen: Stimmt es, dass Frauen der Zutritt verboten ist? Oder: Wodurch wird ein Gebäude eigentlich zur Moschee?
Bis zu meinem Erlebnis in der Wilmersdorfer Moschee dachte ich, dass ich eigentlich ein solides Grundwissen über den Islam besitze. Aber auf manche der Fragen meiner Freunde – »Was macht einen Raum zur Moschee?« »Woher kommen die Inhalte?« – habe ich so einfach doch keine Antwort parat. Was ich aber weiß: Es gibt nicht »den« Islam, oder »die« Muslime, sondern mehrere große muslimische Glaubensrichtungen. Die mit Abstand größte Gruppe sind die Sunniten. Sie machen Schätzungen zufolge etwa neunzig Prozent aller Muslime aus. Die Schiiten, welche die zweitgrößte muslimische Gruppe ausmachen, stellen nur etwa acht Prozent. Der Islam spaltete sich in den Jahren nach Mohammeds Tod in Sunniten und Schiiten. Dabei ging es im Wesentlichen um die Frage, wer die Gemeinschaft der Gläubigen anführen solle und dürfe.
Bei den Sunniten setzte sich die Ansicht durch, dass der Anführer unabhängig von seiner Abstammung gewählt werden könne, solange er dem Stamme Mohammeds angehört. Dieser sogenannte Kalif hat die weltliche Macht über die Anhänger inne, aber keine religiöse Autorität. So wurde nach dem Tode Ali ibn Abi Talibs, des letzten der »vier rechtgeleiteten Kalifen«, Muawiya ibn Abu Sufyan zum neuen Kalifen gewählt. Die Schiiten erkannten ihn nicht an, sondern sahen in Alis unterlegenem Sohn Hussein den rechtmäßigen Anführer. Die erste große sunnitische Dynastie war die der Umayyaden, auf sie folgten die Abbasiden. Das letzte sunnitische Kalifat bestand im Osmanischen Reich und wurde von der türkischen Regierung 1924 abgeschafft. Die konservativen Strömungen des Wahabismus und Salafismus, die auch in Deutschland immer wieder Gegenstand von Debatten sind, gehören zur sunnitischen Glaubensrichtung.
Die Schiiten stellen in mehreren Staaten die Bevölkerungsmehrheit. So im Iran, wo sich mehr als neunzig Prozent der Bevölkerung zum schiitischen Glauben bekennen, Aserbaidschan und Bahrain. Außerdem gibt es große, einflussreiche Bevölkerungsanteile im Libanon, Irak und Jemen sowie in Kuweit, Syrien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien. Ihr Name kommt von der Schiat Ali, der Partei des bereits erwähnten vierten Kalifen Ali. Er war der Cousin und Schwiegersohn des Propheten – und damit nach schiitischer Sicht der einzig legitime Nachfolger Mohammeds.
Als eine schiitische Untergruppe werden gemeinhin die Aleviten angesehen. Die Zugehörigkeit zur Schia zeigt sich unter anderem darin, dass die Aleviten in ihrem Glaubensbekenntnis sagen: »Es gibt keinen Gott außer Gott, Mohammed ist sein Prophet und Ali ist der Freund Gottes.« Darüber hinaus beinhaltet das Alevitentum auch Elemente der islamischen Mystik, des sogenannten Sufismus, sowie vor- und außerislamische Bestandteile. Das Ziel des Menschen sei der Al-Insan-al-Kamil, was so viel bedeutet wie »Vollkommenheit«. Es wird geschätzt, dass etwa 500000 Aleviten in Deutschland leben.
Daneben gibt es noch die Gruppe der Ibaditen. Das ist eine muslimische Gemeinschaft, die sich, ebenfalls wegen der Nachfolgestreitigkeiten in den Jahrzehnten nach Mohammeds Tod, ab dem 7. Jahrhundert im irakischen Basra formierte. Ihre Grundsätze sind die vier »Wege der Religion« (masālik ad-dīn): Hervortreten (ẓuhūr), Verteidigung (difāʿ), Selbstaufopferung (širāʾ) und Geheimhaltung (kitmān). Insgesamt gibt es etwa zwei Millionen Ibaditen. Sie stellen nur im Oman die Bevölkerungsmehrheit und verteilen sich ansonsten auf kleine Gruppen in Nordafrika.
Die Ahmadiya ist wie erwähnt eine vergleichsweise junge islamische Glaubensrichtung, die im 19. Jahrhundert im heutigen Pakistan entstand. Sie unterhält in Deutschland nach eigenen Angaben über dreißig Moscheen und mehr als siebzig Gebetszentren.
In Freiburg treffe ich Professor Abdelhakim Ourghi. Er lehrt Islamwissenschaften an der dortigen Universität. Er ist mir immer wieder in Interviews aufgefallen, daher hatte ich angefragt, ob wir uns einmal treffen können, um über all diese Fragen zu sprechen. Wir verabreden uns am Hauptbahnhof, nicht weit von der Stelle entfernt, wo im Oktober 2016 eine Freiburger Studentin mutmaßlich von einem jungen Afghanen vergewaltigt und umgebracht wurde. Abdelhakim Ourghi ist ein kleiner, runder Mann um die fünfzig. Er stammt aus Algerien, ist aber schon »ewig«, wie er sagt, in Freiburg.
Wir gehen Richtung Altstadt. Als wir an einem marokkanischen Café vorbeikommen, frage ich, ob wir uns nicht dort hinsetzen wollen. »Nein, da nicht«, sagt Ourghi. Wir kommen auch noch an dem Orientcafé Arabesque vorbei. »Ich kenne da was Besseres.« Zielstrebig führt mich Professor Ourghi in die Warsteiner Galerie hinter der Uni-Bibliothek. Wir sprechen über den Islam. Auch später, im Laufe meiner achtmonatigen Recherche, werde ich Professor Ourghi und weitere Experten um seine Analyse von Predigten bitten.
Moschee, Gebetsraum, islamischer Verein, »Hinterhofmoschee« – diese Begriffe begegnen mir im Laufe meiner Recherche immer wieder. Daher frage ich Abdelhakim Ourghi: »Was macht einen Raum eigentlich zur Moschee? Kirchen werden geweiht und gelten fortan als solche. Und Moscheen?« »Es finden sich weder im Koran noch in den Hadithen Vorschriften dazu. Daher muss der Raum oder das Gebäude nicht in einer besonderen Zeremonie geweiht werden. Wichtig ist die Abgrenzung vom Alltagsbetrieb durch eine Mauer oder eine Schwelle an den Eingängen, an denen sich die Moscheebesucher die Schuhe ausziehen müssen.« Von Herrn Ourghi erfahre ich noch weitere Merkmale von Moscheen.
Der Imam leitet das Freitagsgebet und steht vor den Gläubigen im Gebetsraum der Moschee. Vorne gibt es zwei besondere Raumelemente: die Gebetsnische und den Minbar. Die Gebetsnische ist in der Regel halbrund und verziert, sie zeigt zum einen die Gebetsrichtung, nämlich Richtung Mekka, an, verstärkt zum andern aber auch das Gebet des Imams akustisch. Der Minbar entspricht in etwa einer Kanzel. Von dort aus hält der Imam seine Predigt, und zwar auf der zweithöchsten Stufe stehend. Es ist nämlich überliefert, dass der Prophet Mohammed die ersten Predigten auf der höchsten Stufe stehend gehalten hat und diese daher bis heute ihm vorbehalten ist.
Frauen steht es frei, ob sie am Freitagsgebet in der Moschee teilnehmen möchten oder ein Gebet zu Hause verrichten. Es gibt keine einheitliche Regelung dazu, ob Frauen in die Moschee gehen und dort beten dürfen beziehungsweise in welchem Teil der Moschee. Manche Moscheen verweigern Frauen den Zutritt. In anderen gibt es getrennte Frauenbereiche, oder sie beten im hinteren Bereich des Gebetsraumes.
Muslime sollen fünfmal am Tag beten. Die Gebete sind über den Tag verteilt. Das erste Gebet (auf Arabisch Fakr Salat genannt) wird vor dem Sonnenaufgang verrichtet, das zweite (Zuhr Salat) zur Mittagszeit. Das dritte Gebet (Asr Salat) findet am Nachmittag statt. Das vierte Gebet (Maghrib Salat) zur Abenddämmerung und das fünfte (Isha Salat), wenn die Nacht hereingebrochen ist.
Die zum Gebet eintreffenden Moscheebesucher ziehen sich in einem Vorraum die Schuhe aus und stellen diese in die dort aufgebauten Schuhschränke. Vor dem Gebet soll sich der Gläubige waschen, weshalb es in der Nähe vom Eingang Waschräume gibt. Dann betreten die Moscheebesucher den eigentlichen Gebetsraum. Dieser ist in der Regel mit orientalischen Teppichen ausgelegt.
Das wichtigste Gebet der Woche ist das Freitagsgebet, das sich von den anderen Gebeten durch die Khutba, die Predigt, unterscheidet. Das erste Freitagsgebet hat nach der Überlieferung Prophet Mohammed bei seinem Auszug von Mekka nach Medina verrichtet. Das Gebet wird den Gläubigen durch den Koran als Pflicht vorgegeben. Im Einzelnen gibt es folgende Vorgaben für das Gebet:
◆ Bei Ankunft in der Moschee sollte der Gläubige zwei Rekat verrichten. Rekat bedeutet, dass man vom Stehen in die Verbeugung übergeht und sich anschließend niederwirft.
◆ Ist noch ausreichend Zeit bis zum eigentlichen Gebet, soll der Gläubige auch freiwillige Gebete (Nafilat) verrichten. Auch diese bestehen aus den Phasen Stehen – Verbeugung – Niederwerfen.
◆ Das Anhören der anschließend vom Imam vorgetragenen Predigt ist verpflichtend.
◆ Es folgt das gemeinsame Verrichten des Fard-Abschnitts des Freitagsgebets. »Fard« bedeutet, dass es verpflichtend ist.
Woher kommen die Themen der Freitagspredigt?, frage ich den Islamexperten Abdelhakim Ourghi.
»Es hängt davon ab, wo man lebt. In muslimischen Ländern wie Saudi-Arabien, Algerien oder Marokko gibt es sogenannte Ministerien für religiöse Angelegenheiten. Die legen für jede Woche fest, welche Predigt gehalten wird, wobei die genauen Inhalte nicht festgelegt werden, sondern nur das Thema.«
Und wie ist das bei arabischen Moscheen in Deutschland?
»Keiner kontrolliert das. Jeder kocht sein eigenes Süppchen. Das häufig Einheitliche in den arabischen Moscheen ist das sogenannte Bittgebet. Da werden dann häufig Sachen gesagt wie ›Gott möge Israel vernichten‹ oder ›Gott möge uns im Kampf gegen Christen und Juden unterstützen‹, ›die Schiiten sind Ungläubige‹. Das habe ich selber hier in einer Moschee einmal gehört. Besonders in diesem Bittgebet am Schluss, in dem sich der Imam zehn Minuten an Gott wendet, kommen diese gefährlichen Inhalte. Es gibt da immer wieder eingestreute Botschaften.«
Was ist in türkischen Moscheen in Deutschland anders?
»Hier in Deutschland ist es so, dass wir in Bezug auf die DITIB wissen, dass die Themen aus Ankara kommen. Die DITIB stellt als ein Täuschungsmanöver deutsche Ausgaben der Predigten auf ihre Website, die aber nur selektiv eine Zusammenfassung darstellen.«
Hinsichtlich der türkischen Moscheen in Deutschland bestehen mehrere Dachverbände, Träger und Organisationen. Die wichtigste Organisation ist die DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.). Die DITIB untersteht dem Amt für religiöse Angelegenheiten in Ankara (Diyanet). Die Behörde beschäftigt schätzungsweise mehr als 80000 Angestellte, darunter rund 60000 Imame. Sie ist zuständig für rund 80000 Moscheen in der Türkei und etwa 1800 im Ausland. Diyanet gibt die Inhalte der wöchentlichen Freitagspredigten vor und entsendet Imame ins Ausland, so auch nach Deutschland. Lange Zeit galt das Amt als relativ fortschrittlich in seiner religiösen Ausrichtung, in den vergangenen Jahren hingegen ist eine klare Umorientierung hin zu einer konservativeren Grundhaltung festzustellen.
Eine weitere einflussreiche Institution ist Milli Göruş, übersetzt »Nationale Sicht«. Die Organisation, abgekürzt IGMG, wurde vom ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan in den 1970er Jahren ins Leben gerufen. Sie legt einen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf Europa und treibt hier unter anderem den Moscheebau voran, unterhält aber auch Wohltätigkeitsorganisationen für die Dritte Welt und bietet Freizeitaktivitäten an, die Jugendliche an die IGMG binden sollen.
Nach diesen Recherchen und Gesprächen beschließe ich, noch einmal in die Wilmersdorfer Moschee zu gehen. Ich will wissen, ob mein TV-Bericht dort etwas verändert hat, ob zum Beispiel fragwürdige Bücher entfernt wurden. Außerdem möchte ich mit dem Imam sprechen: Was sagt er dazu?
Erneut schaue ich mir die angebotenen Lesematerialien an. Ein Buch in deutscher Sprache erregt meine Aufmerksamkeit. Die neue Weltordnung heißt es, verfasst von einem Imam der Ahmadiya, Maulana Muhammed Ali. Darin heißt es: »Der islamische Staat muss als eine Demokratie im wahrsten Sinne des Wortes betrachtet werden.«
In der weiteren Ausführung wird deutlich, dass dies kein abstraktes Statement ist, sondern Muhammed Ali ganz konkret einen islamischen Staat als Zukunftsmodell in Europa sieht. »Mit dem Gold der ganzen Welt und ihren Bomben und Bombern maßen sie [die westlichen Nationen, Anm. des Autors] sich das Recht an, sich immer weiter und weiter auszubreiten, um auf diese Weise ihren eigenen Leuten stets neue wirtschaftliche Vorteile zu sichern. … Um dieses Übel zu beseitigen, fordert der Islam, dass die Staatsautorität in die Hände von Personen gelegt werde, die vor allem anderen Gott verbunden sind.« Das Staatsoberhaupt solle auch »die gemeinsamen Gebete leiten«. Ein dem Höchsten verantwortliches Regierungssystem sei vom Islam geschaffen worden, folglich gelte, dass »die richtige Seelenhaltung in jedem Wurzel schlägt, dem ein Staatsamt anvertraut ist, darin besteht das wichtigste Erfordernis des Staatslebens«.
Weltliche Gesetze besäßen für Muslime nur eingeschränkt Geltung: »Die Pflichten der Staatsbürger gegenüber dem Staate bestehen in der Achtung vor seinem Gesetz und im Gehorsam gegenüber seinen Befehlen, solange dies nicht Ungehorsam gegenüber Gott und seinem Botschafter bedeutet. Befehle des Staates, die einen Ungehorsam gegenüber Gott in sich schließen, sollen nicht beachtet werden.« Auch hier ist eindeutig ausgedrückt: Die Scharia steht über den deutschen Gesetzen. Es folgt die klare Ansage, »Rebellion gegenüber der eingesetzten Staatsautorität« sei erlaubt, »wenn es sich um ein Verhalten offenen Unglaubens handelt«.
Dialog der Religionen? Friedliche Koexistenz? Fehlanzeige. In seinem Buch hetzt Muhammed Ali offen gegen Christen und Christentum. »Welchen Zweck hat es, eine Religionsform zu predigen, deren mangelhafte Kraft zu seelischer Entwicklung sich schon im Westen erwiesen hat? … Die christliche Kirche ist auf Gedanken aufgebaut, die mit dem natürlichen Menschenverstand unvereinbar bleiben.« Das Christentum habe in der Frage der Menschheitsvereinigung hoffnungslos versagt, während der Islam eine Weltordnung hervorgebracht habe, in der »der Westler und der Orientale, der Weiße und der Schwarze, der Arier und der Semit, der Inder und der Neger alle auf dem Boden ein und derselben Bruderschaft« stünden. »Eine echte Weltdemokratie« könne nur aus dem Islam kommen.
Auch hier konkretisiert Muhammed Ali diese abstrakte Aussage zu einer klaren Vision, wonach der »Islam imstande wäre, auch auf Europa die zwei wesentlichen ethischen Kräfte zu übertragen, welche den wahren Frieden wiederzubringen vermögen: einen lebendigen Glauben an Gott und eine Gesellschaftsordnung, die auf dem Prinzip der Einheit des Menschheitsganzen aufgebaut ist«. Solange die europäische Gesellschaft nicht im Stande sei, diese Gaben in Empfang zu nehmen, würden die Weltkatastrophen nicht enden. Europa solle »seine Krankheit nüchtern erkennen und die Arznei tapfer anwenden«. Das bedeutet schlicht den Islam annehmen.
Nun ist dies keine Predigt, die in der Ahmadiya-Moschee gehalten wurde. Aber die Moschee ist verantwortlich für das Gedankengut, das sie in ausgelegten Schriften ihren Besuchern zugänglich macht.
Ich schicke die gefundenen Inhalte an Professor Susanne Schröter, Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam. »Die Ahmadiya ist in mancherlei Hinsicht nicht unproblematisch. In den Broschüren der Gemeinschaft ist das Missionierungsanliegen ganz offensichtlich. Auch im Hinblick auf die angestrebte Geschlechterordnung, auf das Verhältnis zwischen Männern und Frauen, das angeblich göttlich legitimiert ist, erlebt man beim Lesen der Publikationen unangenehme Überraschungen«, sagt sie mir. »Sie verfolgt eine geschickte Politik, um trotz der geringen Mitgliederzahl der Gemeinschaft maximalen Einfluss auszuüben. Wenn man Führungspersonen wie Abdullah Wagishauser oder Khola Maryam Hübsch in der öffentlichen Debatte sieht, denkt man, da gibt es kein Problem. Dabei vergisst man, dass die Scharia Teil des Programms ist. Dafür wird geworben, und die soll auch durchgesetzt werden: Schritt für Schritt, angefangen bei Verweigerungen des koedukativen Schwimmunterrichts oder der Verhüllungspflicht für Frauen und Mädchen.« Das Ziel sei, dass die ganze Welt irgendwann muslimisch werde – »das glauben die Anhänger ganz sicher, das glauben aber auch Mitglieder anderer muslimischer Organisationen!«.
Wie finanziert sich die Ahmadiya? Susanne Schröter: »Jedes Mitglied muss einen Anteil seines Gehalts abgeben. Ahmadis sind fleißige Leute. In Frankfurt sind sie sehr stark im Taxigeschäft verankert, aber es gibt auch Akademiker. Die Ahmadiya Muslim Jamaat ist straff organisiert. Wenn Sie an Veranstaltungen teilnehmen, können Sie sehen, dass es eine perfekte Organisation gibt. Zum Beispiel auf den jährlichen Großtreffen, den Jalsa Salana. Wenn Sie dort hingehen, werden Sie lückenlos betreut, da lässt Sie keiner aus den Augen.«
Über die Predigt und die Ahmadiya spreche ich auch mit Abdelhakim Ourghi. Was sagt er zu dem Buch, das ich gefunden habe? »Das Bedenkliche ist, dass der Autor ein islamisches Gesellschaftsmodell als Projekt für die Zukunft sieht«, sagt der Islam-Experte. »Unsere Staatsform der Demokratie kommt offensichtlich nicht als Regierungsform in Frage. Es ist schon ein gefährlicher Schritt, dass er diese Alternative für das westliche Europa vorschlägt.«
Ourghi weiter: »Die Ahmadiya wird von den Muslimen als eine abtrünnige Gruppe oder sogar Sekte betrachtet. Die Ahmadiya gibt sich nach außen hin immer sehr offen. Aber das ist nur eine Fassade. Dahinter stehen große Missionierungsbemühungen. Sie missionieren sehr aktiv. Nach innen sind sie sehr konservativ. Sie schreiben ihren Frauen und Mädchen zum Beispiel sogar vor, was sie zu studieren haben.« Ich frage, wer genau das vorschreibe. »Die Gemeinde«, sagt Ourghi, »die Gemeinde schreibt den Mädchen vor, welche Fächer sie studieren sollen. Sie plädieren weiterhin für die Verschleierung der Frauen. Die Ahmadiya ist nicht liberal. Die Sunniten haben das Problem, sie anzuerkennen. Das hat damit zu tun, dass das Oberhaupt der Ahmadiya als Nachfolger des Propheten gilt. Es ist für die Mehrheit der Muslime nicht vertretbar, dass diese Person in direkter Verbindung mit Gott steht, denn der Mensch kann halt nur ein Mensch sein. Außerdem sind die Muslime der Überzeugung, dass es nach Mohammed keinen weiteren Propheten gibt. Und das Ahmadiya-Oberhaupt scheint wie ein Prophet zu sein.«
Über die Broschüren und deren fragwürdige Inhalte spreche ich auch mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Von den Beamten möchte ich wissen, ob diese Schriften ausreichend sind, um etwa mit V-Leuten oder im Rahmen einer Observation genauer zu untersuchen, was in der Moschee gepredigt oder verbreitet wird. Die Antwort: Man könne davon ausgehen, dass dies nicht ausreiche, weil ja nicht konkret zur Gewalt aufgerufen werde. Daher seien die Inhalte aus Sicht des Verfassungsschutzes wohl unbedenklich. Dazu äußert sich auch ein Experte, der damit nicht zitiert werden möchte: »Der Verfassungsschutz ist in einer schwierigen Situation. Wenn man es wirklich ernstnimmt, was hier in den muslimischen Milieus gedacht wird und was sich in Broschüren und Predigten niederschlägt, dann müsste man alle überwachen. Deswegen suchen sie sich diejenigen raus, die am derbsten sind.«
Ich treffe den Imam der Ahmadiya-Moschee, Amir Aziz, zu einem Gespräch in seinem Gemeindehaus. Wir führen das Gespräch auf Englisch. Amir Aziz spricht etwas Deutsch, aber nicht so gut, dass es für ein differenziertes Interview ausreicht.
Worauf basiert Ihre Gemeinschaft?
»Die grundlegende Idee war, die Botschaft des Islams den Menschen im Westen zu erklären. Und mit Fehlannahmen aufzuräumen. Ganz besonders zum Beispiel mit Bezug auf den Dschihad. Damals und auch heute noch glauben die meisten muslimischen Schulen, dass man gegen die Ungläubigen in den Kampf ziehen soll. Wir sehen ja, dass es viele fundamentalistische Strömungen gibt, die sagen, es sei verpflichtend für jeden Muslim, gegen Ungläubige zu kämpfen. Wir glauben, dass der Dschihad nur eine defensive Aufgabe ist, dass wir nur kämpfen dürfen, wenn wir Ziele von Aggression sind. Ein weiterer wichtiger Punkt der Ahmadiya ist, dass wir glauben, dies ist das Zeitalter des Intellekts und des Wissens. Und daher müssen wir uns zusätzlich mit Wissen ausstatten, um unsere Religion den Menschen nahezubringen. Eine grundlegende Idee war zu missionieren. Denn es war eine Zeit, als christliche Missionare nach Indien kamen. Und sie wollten ihre Religion dort verbreiten. Und daher sagte die Ahmadiya, dann ist es jetzt Zeit, unsere Religion im Westen zu verbreiten. Es ist eine Frage der Freiheit: Sie sind frei, ihre Religion zu verbreiten, dann sind wir aber auch frei, unsere zu verbreiten.«
Wie ist die Ahmadiya organisiert?
»Diese Moschee wurde von der Lahore-Ahmadiya erbaut, einer der beiden Gruppierungen, die sich 1914 getrennt haben. Die andere ist die Jamaat al-Ahmadiya. Der Unterschied zwischen beiden Gruppierungen ist, dass wir glauben, dass der Gründer der Ahmadiya ein Reformer war. Die anderen glauben, er war ein Prophet. Wir glauben, Prophet Mohammed war der letzte Prophet. Der zweite Unterschied ist, dass wir glauben, jeder, der die Schahada3 rezitiert, ist ein Muslim. Die anderen glauben das nicht. Und wir glauben sehr viel stärker an demokratische Grundsätze, auch in Bezug auf unsere Organisation. Die andere Gruppe hat diese Grundsätze so nicht. Unsere Gruppe hatte die erste Mission im Jahr 1912 in London errichtet und dann als zweite diese hier in Berlin.«
Die Katholiken haben einen Papst. Wer ist der Anführer Ihrer Gruppe?
»Wie ich sagte, die Lahore-Ahmadiya funktioniert nach demokratischen Prinzipien. Wir haben ein Oberhaupt, das wir ›Amir‹ nennen. Er wird von den Anhängern gewählt. Außerdem haben wir einen obersten Rat mit 15 Mitgliedern. Diese werden auch von den Anhängern gewählt. Diese 15 Ratsmitglieder sind diejenigen, die die Gruppe operativ leiten. Unser Hauptsitz ist in Pakistan, in Lahore. Der sogenannte Generalsekretär ist der administrative Chef der Organisation. Dann gibt es weitere Abteilungsleiter zum Beispiel für Finanzen oder Missionierung.«
Und Sie können hier frei entscheiden, was Sie predigen?
»Ja, ich kann frei entscheiden, was ich hier in Berlin predigen möchte, aber natürlich nichts, was gegen die Ahmadiya-Politik verstößt. Wir müssen unsere Ideologie promoten.«
Was sind die Grundsätze dieser Ideologie?
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