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Auf dem Förderband im Braunkohletagebau Garzweiler II entdeckt ein Mitarbeiter einen menschlichen Schädel. Weitere Skelettteile werden geborgen. Findet Anne Weller, Oberkommissarin vom KK11 in Mönchengladbach, heraus, wer die Person war und wie sie starb? Oder wurde bei der Umsiedlung der Ortschaften „nur“ ein Friedhofsgrab „übersehen“? Mit ihrer jungen Kollegin Iris Stelzmann und der pensionierten Hauptkommissarin Jette Berger findet sich Anne Weller bald mitten in einem Drama aus Vergewaltigung, Menschenhandel und Mord. Bringt Jettes Devise, nach dem ungelösten, emotionalen Problem Ausschau zu halten, auch die Lösung dieses schwierigen Falles?
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Jette Berger und das Skelett aus Garzweiler II
Karin Welters
LitArt-World-Press © 2018
All rights reserved © 2018
Auf dem Förderband im Braunkohletagebau Garzweiler II entdeckt ein Mitarbeiter einen menschlichen Schädel. Weitere Skelettteile werden geborgen. Findet Anne Weller, Oberkommissarin vom KK11 in Mönchengladbach, heraus, wer die Person war und wie sie starb? Oder wurde bei der Umsiedlung der Ortschaften „nur“ ein Friedhofsgrab „übersehen“? Mit ihrer jungen Kollegin Iris Stelzmann und der pensionierten Hauptkommissarin Jette Berger findet sich Anne Weller bald mitten in einem Drama aus Vergewaltigung, Menschenhandel und Mord. Bringt Jettes Devise, nach dem ungelösten, emotionalen Problem Ausschau zu halten, auch die Lösung dieses schwierigen Falles?
Mönchengladbach – Wanlo
Schon von weitem war das hell erleuchtete Ungetüm auszumachen. Die majestätischen Scheinwerfer tauchten den Abraumbereich in blendendes Licht. Mit seinen gewaltigen Schaufeln fraß sich der gigantische Bagger durch die Erdschichten. Der Krater, in dem das Ungeheuer gewütet hatte, erinnerte an eine Mondlandschaft. Als wäre ein Meteorit eingeschlagen. Tausende von Bürgern mussten ihre Heimat verlassen, um den Hunger der Bevölkerung nach Energie zu stillen. Mit Braunkohle war noch immer ein gutes Geschäft zu machen.
Friedrich Schäfer war das recht. Für ihn bedeutete das einen sicheren Arbeitsplatz.
Er saß in dem winzigen Führerhaus und steuerte das eiserne Monstrum. Sein Freund, Jochen Weber, beobachtete von außen das Fließband, auf dem die Ausbeute langsam nach oben rollte. Das Band endete über einem der Waggons, in die das Erdreich samt Kohle hineinplumpste. Der Tagebau Garzweiler II von Rheinbraun sorgte seit vielen Jahren für mehr als 1.500 Arbeitsplätze.
Jochen und Friedrich standen über Funk in permanentem Kontakt.
An diesem Freitagmorgen Anfang Oktober 2011 begann alles wie immer. Zu Beginn der Frühschicht war noch finstere Nacht. Aber die grelle Beleuchtung an ihren Arbeitsplätzen ließ die Beschäftigten diesen Umstand bei Arbeitsantritt vergessen.
Ohne das Laufband aus den Augen zu lassen, füllte Jochen die Kappe seiner Thermoskanne mit dem heißen, dunkelbraunen und starken Gebräu, das ihm Edith in der Frühe fertig gemacht hatte.
Gerade als er sich den zweiten Becher genehmigen wollte, entdeckte er etwas auf dem Förderband, das ihn veranlasste, sofort den roten Knopf zu drücken. Das Band blieb stehen.
Auch der Schaufelradbagger stand still.
Jochen kletterte auf das Gerüst, um zu sehen, was da auf dem Laufband war, das seiner Meinung nach dort nicht hingehörte. Es dauerte ein paar Minuten, bis er die Stelle erreichte.
Fast wäre er heruntergefallen. Sein geübtes Auge hatte von weitem zwar eine ungewöhnliche Farbe und eine abnorme Form sehen können. Dass er tatsächlich einen menschlichen Schädel in dem ganzen Dreck und der Braunkohle ausgemacht hatte, wurde ihm erst klar, als er direkt vor ihm hockte.
Er informierte Friedrich über Funk, kletterte rasch wieder herunter und rief seinen Chef an.
„Oh nein!“, stöhnte Hartmut Marsdorf durch den Hörer. „Das kostet uns Stunden an Ausfall.“
Er informierte die Polizei, die mit einigen Streifenwagen aufkreuzte und den Fundort absperrte.
Für Friedrich Schäfer und Jochen Weber war der Arbeitstag zu Ende. Nach einer kurzen Befragung durch die Beamten, die auch die Anschriften der beiden notierten, machten sie sich auf den Heimweg.
Edith wird Augen machen, dachte Jochen, als er in den Wagen stieg. Ein Skelett in Garzweiler II. Das ist eine Sensation!
*
*
Mönchengladbach – Rheindahlen
„Hast du noch ein Tässchen für mich?“, fragte Anne Weller, Oberkommissarin beim KK11 Mönchengladbach, und schaute ihre Freundin an.
„Aber immer!“ Henriette Berger lächelte und füllte beide Tassen. „Doch jetzt würde ich gern wissen, was dich am frühen Sonntagmorgen nach Rheindahlen verschlagen hat.“
„Seit wann darf ich nicht einmal eine Tasse Tee bei dir genießen, ohne dass gleich etwas dahinterstecken muss?“
Jettes Lachen schallte durchs ganze Haus. Als sie sich einigermaßen beruhigt hatte, fragte sie: „Sag mal, Anne, wie lange kennen wir uns jetzt?“
Die Kommissarin überlegte. „Wenn ich es recht erinnere, etwa anderthalb Jahre und ein paar Gequetschte.“
„Ja, das stimmt… wenigstens so ungefähr.“ Jette nickte. „Und deshalb, meine Liebe“, sie beugte sich vor, „muss etwas passiert sein. Wenn du so früh am Morgen bei mir aufkreuzt, es ist ja gerade erst einmal acht Uhr, an deinem heiligen Sonntag, dann gibt es etwas, das dich beschäftigt, oder?“
Anne lachte und schaute in die klugen grauen Augen ihrer Freundin. „Du kennst mich wirklich gut, Jette.“
„Na, dann leg mal los. Ich bin ganz Ohr.“
„Bevor wir uns dem beruflichen Thema widmen, Jette, habe ich eine Frage an dich, die mich schon seit Monaten quält.“
„Na, das hört sich nicht gut an. Was ist das für eine Frage?“
Anne zögerte. „Warum bist du aus dem aktiven Polizeidienst ausgestiegen? Wieso hast du dich mit gerade mal 53 Jahren pensionieren lassen? Du bist doch noch topfit.“
Jette erhob sich, schlenderte zur Glastür ihres Wintergartens und schaute hinaus. Anne wartete eine Weile, bevor sie fragte: „Bin ich dir zu nahe getreten? Dann sag es ruhig.“
„Nein, nein“, erwiderte die Frau mit dem grau-weißen, kurz geschnittenen Haar. Sie drehte sich um und Anne sah den traurigen Ausdruck in Jettes Gesicht.
„Weißt du, meine Liebe, darüber habe ich bisher mit niemandem gesprochen. Du wirst die Erste sein. Und ich bitte dich, das für dich zu behalten.“
„Entschuldige bitte“, beeilte sich Anne zu entgegnen, „wenn ich dir zu nahe getreten bin. Natürlich brauchst du es mir nicht zu sagen.“
Obwohl die grauen Augen noch immer traurig wirkten, stahl sich ein feines Lächeln um Jettes Mund. „Lass es gut sein, Anne.“ Sie zögerte. „Weißt du, es gab zwei Gründe, warum ich mich vorzeitig habe pensionieren lassen. Der erste Grund ist, dass ich ein paar Jahre zuvor einen Mann – Peter Weiler – hinter Gitter gebracht habe. Erst viel später stellte sich heraus, dass er unschuldig war.“
Anne dachte nach. „Aber, das ist doch nicht deine schuld! Wenn das Gericht ihn schuldig gesprochen hat, dann trägst du doch nicht die Verantwortung dafür.“
„Nun“, sagte Jette gedehnt, „das ist zwar objektiv gesehen richtig, aber wenn dieser Mann zu deinen engsten Freunden gehört hat, dann fühlst du dich subjektiv mitverantwortlich für sein Schicksal.“
„Das ist hart“, bestätigte Anne.
„Oh ja.“ Wieder zögerte Jette. „Vor allen Dingen, wenn dieser Mann im Gefängnis Selbstmord begeht.“
„Jette, das ist furchtbar. Ganz furchtbar.“ Anne sah Tränen in Jettes Augen.
„Der zweite Grund ist“, fuhr die Freundin fort, „dass dieser Mann der Bruder meines damaligen Lebensgefährten war. Klaus und ich waren mehr als fünfzehn Jahre sehr glücklich. Aber die Verhaftung, die Verurteilung und der Selbstmord seines Bruders hat unsere Beziehung zerstört. Und als sich dann auch noch herausstellte, dass Peter unschuldig war, hat Klaus ebenfalls Selbstmord begangen.“
„Oh, Jette!“, stöhnte Anne. „Das tut mir schrecklich leid.“
Jette nickte. „Ja, Anne. Das hat mich derart mitgenommen, dass ich beschloss, mich vorzeitig pensionieren zu lassen. Ich habe drei Jahre gebraucht, um wieder halbwegs auf die Beine zu kommen.“ Jette lächelte. „Dabei hat mir die Polizeipsychologin sehr geholfen. Und danach… nein, da wollte ich nicht mehr zurück.“
„Das kann ich gut nachvollziehen“, erwiderte Anne. „Das hätte ich wahrscheinlich auch nicht mehr gewollt.“ Sie dachte nach. „Belaste ich dich dann nicht zu sehr mit meinen Fragen?“
Wieder lächelte Jette. „Nein, meine Liebe, überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich bin zwar manchmal noch traurig, aber ich freue mich, wenn ich dich unterstützen kann.“
Anne nickte. „Sagst du mir Bescheid, wenn es dir zu viel wird?“
„Und ob“, bestätigte die Freundin. „Weißt du, ich finde den Zustand, wie er jetzt ist, einfach genial. Ich kann, aber ich muss nicht mehr erfolgreich sein. Mir sitzt kein Polizeidirektor oder -präsident im Nacken. Kein Journalist versucht, mich auszuquetschen. Kein Staatsanwalt bedrängt mich und ich darf alle Tricks fahren, die dir als offizielle Ermittlerin verwehrt bleiben. Wie ich meine Informationen und Beweise erhalte, interessiert niemanden. Ich darf, rein theoretisch, drohen, lügen und auf zweifelhafte Weise recherchieren. Alles Methoden, die dir aus formalen Gründen nicht zur Verfügung stehen. Du musst Ergebnisse vorlegen, die einer gerichtlichen Prüfung standhalten.“
„Ja.“ Anne lachte. „Sonst nimmt mich der Verteidiger in der Verhandlung auseinander und der ganze Prozess kann kippen.“
„Siehst du“, bestätigte Jette, „genau darauf brauche ich keine Rücksicht mehr zu nehmen. Es macht mir Freude, derart ungezwungen ermitteln zu können. Ich bin völlig frei in meiner Art der Schnüffelei.“
„Dann darf ich jetzt von meinem Fall reden?“, fragte Anne.
„Na… ich brenne förmlich.“
„Okay. Vor etwa vier Wochen wurde beim im großen Loch von Garzweiler II ein Skelett gefunden. Zunächst ist man davon ausgegangen, dass es sich dabei um ein Skelett handeln könnte, das bei der Umsiedlung der Ortschaften übersehen worden ist. Du weißt ja, dass auch die Friedhöfe verlegt wurden.“
„Ja“, bestätigte Jette, „das ist mir bekannt. Aber... ?“
„Nun“, fuhr Anne fort, „es war aber kein Skelett von einem Friedhof. An der Stelle, an der das Skelett gefunden wurde, gab es vorher keinen Friedhof. Der Fundort ist in der Nähe von Wanlo.“
„Was sagt die Gerichtsmedizin?“
„Dass es eine männliche Leiche ist, zwischen 65 und 75 und keine besonderen Merkmale hat, die zur Identifizierung führen könnten. Keine Prothesen, keinen Herzschrittmacher und auch keine künstlichen Gelenke.“
„Was ist die Todesursache?“
„Das ist im Augenblick nicht festzustellen. Es sind ja keine Organe mehr da. Auch keine Haare. Es ist ein nacktes Skelett.“
„Todeszeitpunkt?“
„Im Moment auch noch Fragezeichen. Du weißt, dass der Verwesungsprozess von den Umweltbedingungen abhängt. Sie wollen noch weitere Tests machen.“
„Zahnarztbilder?“
„Bisher negativ. Aber... das kann lange dauern.“
„Mit anderen Worten: Keinerlei Anhaltspunkte.“
„Ja.“
„Wie ist es mit Vermisstenanzeigen?“
„Wurden alle überprüft. Aber bisher keine Treffer.“
„Dann hast du also ein echtes Problem.“
„Das kannst du wohl sagen. Und du kennst ja Heckersbach. Der drückt schon wieder auf die Tube...“
„ ... und nervt dich.“
„Was ist mit Spuren am Fundort?“
„Keine verwertbaren. Am Rand des Abraumgebietes ist an dieser Stelle eine große Aussichtsplattform. Es wimmelt nur so von Reifen- und Schuhabdrücken. Außerdem hat es in den letzten Tagen geregnet. In der Nacht, bevor das Skelett gefunden wurde, hat es in Kübeln gegossen. Nein, Jette. Das ist absolute Fehlanzeige.“
„Nun, dann musst du auf die Zahnarztunterlagen bauen.“
„Bauen? Nee, Jette… hoffen.“
„Und was glaubst du, das ich jetzt tun könnte?“
Anne grinste. „Du hast doch eben selbst gesagt, dass du, sagen wir mal, kreativer sein kannst als wir. Was würdest du in seinem solchen Fall machen?“
Anne sah, wie Jette die Stirn runzelte. Gedankenverloren füllte die Freundin ihre Tasse erneut. Anne wusste, dass sie jetzt nicht stören sollte. Wenn Jette nachdachte, brauchte sie absolute Stille. Nach einer Weile hob Jette den Kopf und grinste.
„Ein Skelett kann nicht selbst in die Grube gehüpft sein. Wenn ausgeschlossen werden kann, dass es sich um einen übersehenen Friedhofsbewohner handelt, liegt das Skelett entweder schon viele Jahre oder Jahrzehnte dort oder es wurde entsorgt.“
„Nein, Jette“, widersprach Anne. „Das Skelett liegt nicht seit Jahrzehnten dort. Wenigstens das konnten die Rechtsmediziner sagen. Das Knochenmark und die Zähne waren noch so gut erhalten, dass eine DNS erstellt werden konnte. So wie ich die Gerichtsmedizinerin verstanden habe, ist das Skelett wahrscheinlich nicht älter als ein Jahr und nicht jünger als drei Monate.“
„Prima. Das grenzt wenigstens in etwa den Todeszeitpunkt ein, wenn auch der ziemlich weit gefasst ist. Das bedeutet, dass der Tote entweder von weither nach Garzweiler gebracht oder aus dem direkten Umfeld abgelegt wurde. Aber dann ist auf jeden Fall ein natürlicher Tod sehr unwahrscheinlich.“
„Ja. So sehe ich das auch. Natürlich kann es auch ein Unfall gewesen sein.“
„Aber auf jeden Fall kein natürlicher Tod, weil sonst keine Beseitigung dieser Art notwendig gewesen wäre. Wird ein Skelett in eine Grube geworfen, obwohl der Tod ein natürlicher war, käme nur noch Geld als Beweggrund in Frage. Eine schöne Rente lässt so manchen Erben nach phantasievollen Lösungen suchen. Deshalb, meine Liebe“, beugte sich Jette vor, „würde ich mit dem direkten Umfeld beginnen. Weißt du – Menschen sind von Natur aus bequem. Und wenn es sich nicht um einen Profikiller handelt, der eine Leiche tatsächlich professionell entsorgt, indem er hunderte von Kilometern fährt, wirst du eher im direkten Umfeld fündig“ Sie lächelte. „Und wenn du nichts findest, kannst du den Kreis einfach erweitern, oder?“
„Das ist alles richtig“, entgegnete Anne, „aber das kostet Zeit… und Leute. Und genau die haben wir nicht. Heckersbach wird mir keine zusätzlichen Beamten genehmigen. Dafür gibt es im Moment zu viel zu tun.“
„Das ist aber dumm“, sagte Jette.
Anne erhob sich und wanderte im Wintergarten auf und ab. Abrupt blieb sie vor Jette stehen. „Kannst du mir helfen?“
„Wie denn, meine Liebe? Wie denn?“
„Könntest du nicht für mich ein bisschen in Wanlo herumschnüffeln?
„Warum nicht?“, grinste die Ältere. „Allerdings könnte ich dazu auch von dir Unterstützung gebrauchen.“
„Was soll ich tun?“
„Sprich doch mal mit deinem Chef und frag ihn, ob ich eine Beraterfunktion im Präsidium bekommen kann.“
„Warum, Jette?“
Die Freundin grinste über das ganze Gesicht. „Dann bekäme ich vielleicht einen offiziellen Ausweis.“
„Nie im Leben!“, rief Anne aus. „Das macht der nicht. Außerdem – sowas gibt's gar nicht. Berater kriegen keine Polizeiausweise.“
„Aber, Schätzchen“, meinte Jette mit hochgezogenen Brauen, „ich bin doch keine normale Beraterin. Erinnere deinen Chef an die Tote vom Geroweiher. Erinnere ihn daran, dass ich eine Hauptkommissarin a.D. bin. Das kann er ja gern auf dem Ausweis vermerken.“
„Nein, Henriette. Schlag dir das aus dem Kopf. In dem Augenblick, in dem du einen offiziellen Dienstausweis bekämst, müsstest du dich wieder an die Formalitäten halten. Von denen hast du eben noch gesagt, dass du die nicht willst.“
„Ach, Anne“, ächzte Jette, „sei nicht so negativ. Frag ihn einfach mal. Wenn er ja sagt – okay. Wenn nicht – auch okay. Und wenn du ihm dann auch noch sagst, dass ich umsonst arbeite, um seine Dienststelle, sein Personal zu entlasten, dann schauen wir mal, was er bewegen kann.“
***
Am Montag, als Anne ihre Bürotür öffnete, fand sie Iris Stelzmann, die junge Kollegin, wie immer hinter dem Monitor. Iris bearbeitete die Tastatur mit einer Geschwindigkeit, die Anne nur bewundern konnte.
„Guten Morgen, Iris“, begrüßte Anne die Kollegin.
„Hallo, Chefin.“
Anne ärgerte sich. „Du weißt doch, dass ich es hasse wie die Pest, wenn du mich so nennst. Ich bin nicht deine Chefin. Wir sind Kolleginnen.“
„Ja... Chefin.“ Iris grinste von einem Ohr zum anderen. „Schlecht gelaunt?“
„Nein.“
„Was dann?“
„Ich muss gleich in die Höhle des Löwen.“
„Ach du Schei... “
„Ist er schon da?“
Bevor Iris antworten konnte, stürmte der Löwe herein.
„Guten Morgen, Frau Weller. Haben Sie Neuigkeiten für mich?“
Anne sah ihn an. Der kann sie nicht mehr alle haben, dachte sie.
„Welche Neuigkeiten erwarten Sie zwischen Freitagabend und Montagmorgen?“
„Na ja... Hätte ja sein können.“
„Bei den dürftigen Hinweisen? Erst wenn wir wissen, wer der Tote ist, können wir hoffen, auf Informationen zu stoßen, oder?“
„Ja, ja.“ Der Polizeipräsident schien genervt zu sein.
Anne nutzte die Gelegenheit. „Und mehr Beamte sind bei einem solchen Fall ja auch nicht drin, oder?“
„Auf keinen Fall!“, wies der Mann mit dem exakten Scheitel heftig zurück. „Die brauchen wir im Augenblick alle für Peters' Fall.“
„Ach! Kollege Peters braucht Hilfe? Kein einziger Beamter für mich zur Unterstützung?“
Heckersbach schien unangenehm berührt. „Wenn Sie das nächste Mal einen so akuten Fall haben wie er zurzeit, werden Sie froh sein, wenn auch Ihnen die Beamten zur Verfügung stehen.“
„Könnten Sie mir dann bitte einen Gefallen tun?“
„Und welchen?“ Er hatte die Augen zusammengekniffen und die Stirn in Falten gelegt.
„Sie wollen doch, dass dieser Fall möglichst schnell gelöst wird, nicht wahr?“
„Auf alle Fälle!“
„Ohne Unterstützung dauert es länger.“
„Nun ja… “
„Wenn Sie für Frau Berger einen Beraterausweis ausstellen mit Ihrem Stempel, würde sie mir helfen. Sie müssen einsehen, Herr Heckersbach, dass ich unbedingt Unterstützung brauche.“
„Was ist mit Frau Stelzmann?“
„Iris wird hier im Büro gebraucht. Wer soll sonst recherchieren? Und wer bedient das Telefon? Sie haben für uns bisher keine Mitarbeiterin finden können, die diesen Teil übernimmt, oder?“
Iris wollte protestieren, aber Anne machte ihr ein Zeichen und die junge Kollegin verstummte.
„Und? Wie sieht's jetzt aus?“
Mit den Worten „Ich denke darüber nach“ verließ der Polizeipräsident das Büro.
Kaum dass sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, kam Iris auf ihre Kollegin zugeschossen. „Sag mal, spinnst du? Du kannst mich doch hier nicht zu einer Sekretärin abqualifizieren! Ich bin eine ausgebildete Kommissarin, die... “
Anne unterbrach die Tirade. „Halt die Luft an, Schätzchen. Niemand will aus dir eine Tippse machen. Ich brauchte nur ein Argument für den Lackaffen, damit er uns Jette als offizielle Beraterin genehmigt.“ Sie grinste Iris an. „Hat doch prima geklappt, oder?“