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Anne Weller, Oberkommissarin des KK 11 in Mönchengladbach, und ihre Kollegin Iris Stelzmann kommen in einem mysteriösen Mordfall nicht weiter. Wer hat die 25-jährige Studentin Laura Winter ermordet? War es der drogensüchtige Freund? Welche Rolle spielt der Ausgrabungsleiter Rüdiger Zeller? Wie passt Professor Volker Lintmar ins Bild?
Jette Berger, pensionierte Hauptkommissarin, ist Annes mütterliche Freundin.
Jettes Devise: "Suche nach dem emotionalen Problem, das durch den Mord nicht gelöst wurde", geht Anne zwar gegen den Strich, aber...
bisher hatte Jette immer recht behalten.
Kann das Trio - Jette Berger, Anne Weller und Iris Stelzmann - den Fall lösen? Führt Jettes Devise auch in diesem Fall zum Erfolg?
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Jette Berger und die Tote am Geroweiher
Karin Welters
Cosy Crime aus Mönchengladbach
All rights reserved © Karin Welters 2018
Published by LitArt-World-Press © 2018
Anne Weller, Oberkommissarin des KK 11 in Mönchengladbach, und ihre Kollegin Iris Stelzmann kommen in einem mysteriösen Mordfall nicht weiter. Wer hat die 25-jährige Studentin Laura Winter ermordet? War es der drogensüchtige Freund? Welche Rolle spielt der Ausgrabungsleiter Rüdiger Zeller? Wie passt Professor Volker Lintmar ins Bild?
Jette Berger, pensionierte Hauptkommissarin, ist Annes mütterliche Freundin.
Jettes Devise: "Suche nach dem emotionalen Problem, das durch den Mord nicht gelöst wurde", geht Anne zwar gegen den Strich, aber...
bisher hatte Jette immer recht behalten.
Kann das Trio - Jette Berger, Anne Weller und Iris Stelzmann - den Fall lösen? Führt Jettes Devise auch in diesem Fall zum Erfolg?
Mönchengladbach
„Haben Sie mich verstanden, Frau Weller?“, blaffte der Polizeipräsident mit hochrotem Kopf die Oberkommissarin Anne Weller an.
Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie fassungslos. Und das nicht wegen des Verbrechens. Oh nein! Selbst am Niederrhein hielten sich die Verbrecher nicht an irgendwelche Geschäftszeiten. Auch in ihrer Stadt gab es keine Verbrecher-Gewerkschaft, die sich für geregelte Arbeitszeiten für Gauner einsetzte. Auch Kripobeamte konnten keine geordneten Dienstzeiten genießen. Als Oberkommissarin des KK11 war sie deshalb einiges gewöhnt. Verblüffung, Ärger, Überraschung oder Betroffenheit waren ihr vertraut. Auch Entsetzen und Bestürzung waren ihr nicht fremd. Doch in jenem Augenblick fühlte sie zum ersten Mal völlige Fassungslosigkeit. Aber …sie hielt ihre Gefühle im Zaum, obwohl sie am liebsten explodiert wäre. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Wie immer in solchen Situationen, warf sie ihre roten Locken in den Nacken. Kerzengerade und wortlos verließ sie das Büro des Polizeipräsidenten. Doch kaum hatte sich die gepolsterte Tür hinter ihr geschlossen, lehnte sie sich für einen Augenblick gegen die kalte Wand im Flur und atmete aus. Das darf nicht wahr sein, dachte sie und ging fast mechanisch den langen Gang und die Treppe herunter, öffnete ihre Bürotür und ließ sich in ihren Sessel fallen.
Das Präsidium war verwaist. Kurz vor Mitternacht waren die Kollegen alle entweder im Bett oder an einem Tatort. Allmählich wich ihre Fassungslosigkeit einer unglaublichen Wut. Wieder stieg ihr das Blut in die Wangen. Aber jetzt konnte sie ihrem Ärger endlich Raum geben. Laut fluchte sie vor sich hin und tigerte im Raum auf und ab, nur um immer wieder abrupt stehen zu bleiben, wenn die Wut es verlangte.
Sie beschloss, nach Hause zu fahren und sich ausnahmsweise einen doppelten Cognac zu genehmigen. Also schlüpfte sie in ihren Mantel, knotete den Schal fest, griff nach ihrer Handtasche und verließ das Büro. Laut hallten ihre Schritte in den leeren, neonbeleuchteten Gängen des Gebäudes. In der Tiefgarage stieg sie in ihren dunklen Dienstwagen und fuhr in Richtung Rheydt. Die Theodor-Heuss-Straße war genauso verwaist wie der rote Kasten, das Präsidium. Wer verlässt an einem solchen Tag, einem dieser nasskalten Novembertage, die am Niederrhein noch trister sind als in anderen Gegenden Deutschlands, freiwillig die warme Wohnung?, dachte sie und spürte ihren Frust.
In ihrer geräumigen Dach-Wohnung in der Nähe des Wasserturms war es bestimmt mollig warm. Auf dem Weg quer durch die Stadt fiel ihr plötzlich Henriette ein. „Genau!“, rief sie spontan, ließ den Wasserturm links liegen, fuhr den Reststrauch hinauf, nahm die Autobahnauffahrt Wickrath und war in wenigen Minuten auf der Stadtwaldstraße in Richtung Rheindahlen.
Das kleine Backsteinhaus lag im Dunkeln. Sie konnte nur die Umrisse ausmachen, doch sie hätte den Weg auch in absoluter Finsternis gefunden. Hoffentlich ist sie da, dachte sie, sonst weiß ich nicht, was ich mit diesem Kerl anstelle.“
Sie war sauer. Stinksauer.
*
Es nieselte noch immer und sie zog den Mantel enger, als sie den beheizten Wagen verließ. Sie hasste den nasskalten November.
Es war spät als sie bei Jette klingelte. Sehr spät. Hätte sie nicht gewusst, dass Jette eine Nachteule war, sie wäre nach Hause gefahren. Aber so? Sie brauchte unbedingt den Rat ihrer mütterlichen Freundin. Wie immer, wenn sie nicht weiter wusste. Und ihre Situation war verzwickt. Erneut drückte sie den blank polierten Messingknopf. Wo blieb Jette nur? Durch die getönte Glasscheibe der Haustür sah sie schwaches Licht. Also war die Freundin noch wach. Konnte sie sich nicht ein wenig beeilen? Es war kalt und wie auf ein Stichwort hin, ging der Regen in Schneeregen über. Endlich vernahm Anne Schritte.
„Wer ist da?“
„Anne.“
„Ach du liebes bisschen“, hörte sie sie murmeln, als Jette den Schlüssel von innen drehte. Mit einem erstaunten „Was machst du denn um die Zeit in dieser Kälte?“ zog sie die Kommissarin in ihre Diele. Mollige Wärme umfing Anne und sie war heilfroh, dass Jette rasch die Tür schloss.
„Ach, Jette, was könnte ich wohl um diese Zeit bei dir suchen?“
Statt einer Antwort bekam sie nur das übliche: „Zieh den Mantel aus und komm in die gute Stube.“
Kopfschüttelnd stapfte Jette vor ihr ins Wohnzimmer, das alles andere als eine ‚gute Stube’ war. Äußerlich entsprach Jette zwar einer älteren Dame, bei der jeder mit dem Begriff ‚gute Stube’ reichlich Häkeldeckchen, weiche Sofakissen und Wärmebeutel auf dem Plüschsofa vermutete. Doch der Schnitt ihres grau-weißen Haares hätte jeden sorgfältigen Betrachter stutzig gemacht, denn statt einer Dauerwelle, die altersgemäße Locken an ihren Plätzen gehalten hätten, zierte Jettes Haupt ein flotter Bubikopf. Trotz Annes Frustration amüsierte sie die Bemerkung. „Du und deine gute Stube.“
„Kommst du um halb eins in der Nacht, um mich damit aufzuziehen?“
Während Jette sich in ihren pinkfarbenen Rattansessel fallen ließ, blitzte sie Anne mit ihren klugen, grauen Augen an, die ihren vorwurfsvollen Unterton Lügen strafte. Mit gespielter Empörung baute Anne sich vor ihr auf. „Henriette Berger! Hiermit verhafte ich Sie wegen des Verdachts auf Vortäuschen einer nicht vorhandenen Emotion.“
Doch schon verließ sie der Humor und die leeren Augen der toten Schönheit am Geroweiher kehrten unbarmherzig zurück in ihr Gedächtnis. Und dann überrollte sie unvermittelt der Ärger des Abends. Sie spürte, wie sie wieder puterrot im Gesicht wurde.
„Was ist denn mit dir los?“ hörte sie Jettes Überraschung.
„Mit mir? Stell dir vor, der hat mich einfach gefeuert!“
Jettes Gesicht zeigte Verblüffung: „Wie … einfach gefeuert? Du bist Beamtin. Die kann man nicht feuern. Und wer ist der?“
Anne kannte die hochgezogene, linke Augenbraue nur zu gut. Ein untrügliches Zeichen, dass Jette erstaunt war. Doch nie hätte sie sich über das späte Erscheinen der Freundin oder deren Gefühlsausbrüche beschwert. Nie hätte sie sie mit einem vorwurfsvollen Blick bedacht. Manchmal fragte sich Anne, ob es überhaupt etwas gab, das Jette aus ihrer Gelassenheit und Ruhe bringen konnte. Nein, sie kannte ihre mütterliche Freundin weder ungeduldig, noch hektisch, weder nervös, noch aggressiv. Manchmal etwas ungehalten oder überrascht und verblüfft. Aber nie aufgeregt. Ohne auf Annes Antwort zu warten, verschwand Jette mit einem übergangslosen „Tee?“ in der Küche. Anne hörte Geschirr klappern, das Pfeifen des Wasserkessels aus blankpoliertem Kupfer und das leise Singen. Jette summte meistens eine Melodie vor sich hin.
Kurze Zeit später erschien sie mit dem voll bepackten Tablett.
„Dann erzähl mal“, forderte sie Anne auf, während sie die Utensilien verteilte und die hauchdünnen Tassen füllte. Sie tat als wäre es das Normalste der Welt, kurz nach Mitternacht mit einer Freundin Tee zu trinken. Mit genüsslichem Ahh ließ sie sich im Sessel nieder und beobachtete Anne. Über dem Rand der Tasse funkelten ihre Augen, die die Freundin aufmerksam musterten.
„Stell dir vor!…“, platzte Anne schließlich heraus, „dieser... dieser aufgeblasene, arrogante Typ hat mich von meinem Fall einfach abgezogen. Von meinem Fall. Einfach so. Als wäre ich eine blutige Anfängerin. Eine, mit der man das einfach mal eben so machen könnte. Eine, die noch nie gezeigt hätte, was sie kann. Einfach so!“
„Na, na, na … einfach so doch wohl nicht, oder?“
„Du glaubst, dass er das nicht einfach so gemacht hat? Du meinst … mit Absicht?“
„Schon gut, schon gut. Also. Er hat dich einfach so abgezogen. Von deinem Fall.“
Anne fühlte sich nicht ernst genommen. „Sag mal, red ich chinesisch? Oder warum äffst du mich laufend nach?“
„Heiliger Bimbam. Nun hör aber auf! Deine Augen sprühen ja noch giftgrüner als sonst. Beruhige dich und erzähl von vorne.“
„Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Dieser Schnösel! Nur weil er seine erste Woche auf dem bequemen Sessel des Polizeipräsidenten verbracht und einigermaßen heil überstanden hat glaubt der tatsächlich, er wäre schon klüger, als sein Vorgänger. Dieser aalglatte, unverschämte Grünschnabel meint, er könnte mit uns umgehen, wie mit... mit... ja eben wie mit Anfängern!“
„Reichst du mir bitte den Zucker?“, bat Jette und rührte ihren Tee. Das leise Klirren des Löffels erfüllte für einen Augenblick den Raum, bevor sie bemerkte: „Er ist ganz offensichtlich der Anfänger, meine Liebe. Weshalb regst du dich derart auf?“
„Das fragst du noch? Der hat mich einfach so von meinem Fall abgezogen.“
„Ja, das sagtest du bereits und zwar mehrfach, aber das ist doch kein Grund, sich derart aufzuregen. Ich glaubte immer, dass du eine gestandene Oberkommissarin von 38 Jahren bist, die über reichlich Berufserfahrung verfügt? Passiert es dir zum ersten Mal, dass du von einem Fall abgezogen wirst?“
Unwillkürlich musste Anne grinsen. „Nee, das ist nicht das erste Mal.“
„Na also. Wozu dann die Aufregung?“
„Weil er Peters den Fall übertragen hat. Und der wartet nur darauf, mir eins auszuwischen.“
„Ach, daher weht der Wind.“
„Ja, genau. Daher weht der Wind. Und genau deshalb bin ich angepi... ich meine … tierisch sauer.“
Jette grinste. „Als ich noch im aktiven Dienst war, meine Liebe, ist mir das auch passiert. Sogar mehrfach.“
Sie beugte sich vor. „Peters heißt also das Problem, nicht der neue Polizeipräsident. Dann wollen wir uns das eigentliche Problem mal genauer ansehen.“
Anne begriff. „Kommt jetzt wieder eine deiner Psychostunden? Nach dem Motto...“
„Jawohl! Nach meinem Motto: Löse zuerst die emotionalen Verstrickungen. Dann kannst du klar denken.“
„Mann, oh Mann. Geht mir das auf die Nerven.“
Doch Jette blieb hartnäckig. „Und? Hat sich meine Devise bewährt oder nicht?“
Anne musste ihr, verdammt nochmal, Recht geben. „Geht mir zwar verflixt gegen den Strich, aber ich muss zugeben… bisher immer.“
„Und in wie vielen Fällen kamst du dadurch der Lösung näher?“
„Eigentlich in allen.“
„Und uneigentlich?“
Jette hatte es wieder einmal geschafft. Anne musste lachen, denn diese Art des Wortspiels beherrschte niemand so virtuos wie Jette. „Weißt du Jette, du bringst mich immer wieder auf den Teppich.“
Jetzt erst konnte sie entspannen und ihren Tee genießen. Nach einer Weile des Plauderns über Gott und die Welt kehrte Jette zum Thema zurück. „Also, meine Liebe, worum geht’s? Du kommst ja nicht zur Geisterstunde nach Rheindahlen, um mir das Neueste von Vorgestern zu erzählen, oder?“
Anne atmete tief durch. „Ich hab dir doch von meinem Fall in Wuppertal erzählt, nicht wahr?“
„Ja, das hast du. Und?“
„Da war dieser Mord in der Schwebebahn und die Spur, die nach Mönchengladbach führte. Und weil ich keine vorzeigbaren Ergebnisse vorweisen konnte, hat dieser Lackaffe den Fall jetzt diesem Ekelpaket Peters übertragen. Ist das nicht unglaublich?“
Jette schwieg und Anne bemerkte, wie ihr das Blut wieder in die Wangen stieg. Gereizt fuhr sie fort. „Ja, ja! Ich weiß. Du hast mir geraten, allen Fährten nachzugehen. Aber bevor ich das konnte, hat mir dieser Heckersbach, dieser selbstgefällige Emporkömmling, einen Strich durch die Rechnung gemacht.“ Anne zögerte, bevor sie fortfuhr: „Eigentlich darf ich darüber nicht reden, aber du bist nicht nur meine beste Freundin, sondern auch meine Beraterin. Außerdem warst du selbst lange genug bei der Kripo und kennst das Kompetenzgerangel zur Genüge. Wenn ich nicht darüber rede, platze ich.“
„Nun beruhige dich. Das Kind ist im Brunnen. Also lass es diesen Herrn Peters da rausholen.“
„Pah! Das ist ein Katzenbuckel. Der hat nix drauf. Und weil hier die Stadtverwaltung drin zu hängen scheint, wird der auf Samtpfötchen herumschleichen. Nee, nee. Der kommt garantiert keinen Schritt weiter.“
Jette beugte sich vor. „Sag mal, willst du oder kannst du nicht mehr klar denken?“ Die senkrechte Stirnfalte war unübersehbar. Oh ja, Jette konnte sehr wohl ungehalten reagieren. Noch bevor Anne auf ihre Frage eingehen konnte, fuhr Jette fort: „Jetzt lass diesen Peters und den neuen Polizeipräsidenten, diesen Heckersbach mal sein, was sie sind oder wofür du sie hältst. Sag mir lieber, warum du wirklich hier bist.“
Unbarmherzig kehrten die leeren Augen der toten Schönheit am Geroweiher zurück in Annes Gedanken. Und offensichtlich hatte Jette wieder einmal Annes Gefühle und Gedanken mitbekommen.
„Nun, Frau Kommissarin, dann schießen Sie mal los“, forderte sie die Besucherin in ihrer ungeschminkten Art auf, zu erzählen. Sie zwang sie damit jedes einzelne Mal, auf den Punkt zu kommen.
„Wir haben vor etwa einer Woche eine bildhübsche Tote am Geroweiher gefunden und kommen mit unseren Ermittlungen einfach nicht weiter.“
„Ja. Ich habe davon in der Zeitung gelesen. Eine junge Frau im Abendkleid. Wo hakt es denn?“
„Du legst den Finger auf einen von zahlreichen Widersprüchen: das Abendkleid. Aber es gibt so viele Ungereimtheiten in diesem Fall, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll.“
„Warum nicht einfach von vorn?“
„Also. Zuerst fiel mir auf, dass sie wie platziert, wie hindrapiert, ja fast wie aufgebahrt im nassen Gras lag. Pechschwarzes, langes Haar, ausgebreitet wie ein Fächer, wie ein Halbkranz. Die Hände über dem Körper waren zusammen gefaltet, als ob sie beten würde. Sie trug ein sündhaft teures, zweiteiliges Abendkleid aus weinroter Seide mit einem Oberteil wie eine Korsage. Dickes Abend-Make-up, knallroter Lippenstift und blassrosa Nagellack. Keine Schuhe. Dafür aber Ohrringe mit einem dicken, fetten Saphir in der Mitte, umringt von lupenreinen Diamanten. Die müssen ein Vermögen gekostet haben. Keine Handtasche, keine Papiere, keine brauchbaren Spuren.“
Jettes wacher Blick verriet, dass sie hochkonzentriert und aufmerksam zuhörte. Deshalb fuhr Anne fort: „Und wir wissen nicht, wer sie ist. Wir haben auch keine Vermisstenmeldung, auf die ihre Beschreibung passt.“
Eine steile Falte trat zwischen Jettes Brauen. „Woran ist sie gestorben? Kann es ein Unfall gewesen sein?“
„Nein.“ Anne spürte Missmut in sich aufsteigen. „Nein. Definitiv nicht. Der Pathologe hat mir versichert, dass niemand einen solchen Gift- und Drogencocktail, wie er ihn vermutet, freiwillig zu sich nimmt.“
„Woran ist sie denn nun gestorben?“ Anne hörte die leise Ungeduld in Jettes Stimme.
„An einer Mischung aus Valium, Novaminsulfad, Kokain, und ein paar weitere, ekelhafte Zutaten, die jedoch noch nicht konkret identifiziert sind.“
Jette schüttelte heftig Ihren Kopf. „Du hast Recht. Das tut sich niemand freiwillig an. Nein. Das war eindeutig Mord.“
„Sag ich doch. Aber das Größte kommt erst noch. In ihrem Magen fand der Pathologe Hummer, Austern, geräucherten Lachs und Shrimps. Und das ganze schwamm auch noch in Sekt.“
„Ach du liebes bisschen!“
„Ja, meine Liebe, ach du liebes bisschen. Weißt du jetzt, was ich meine?“
Anne wartete nicht auf eine Reaktion. „Aber, da ist noch etwas. Wir haben ziemlich viel Dreck unter ihren Fingernägeln gefunden.“
Sie beobachtete ihre Freundin, die mit gesenkten Augen auf ihre übereinander gelegten Hände schaute. Anne überließ die Freundin ihren Gedanken, denn meist endeten ausgiebige Schweigepausen mit einer klugen Bemerkung oder einer überaus gescheiten Frage. Doch diesmal blieb Jette stumm.
Anne seufzte. „Keine Identität. Kein Motiv. Kein Mörder.“
Jettes vorwurfsvoller Blick traf die Kommissarin. „Meine liebe Anne. Sei in deinen Aussagen bitte absolut präzise. Keine bekannte Identität. Kein erkennbares Motiv. Kein überführter Mörder.“
„Ja, ja, ja“, stimmte Anne zu, wenn auch genervt. „Du hast ja Recht.“
„Du kennst mein Motto: Sprache schafft Realitäten. Du kannst mit der Sprache als kleinstem Kommunikationsinstrument nicht pedantisch und präzise genug umgehen.“
„Okay, okay. Ich weiß. Aber … was sagst du dazu?“
„Wozu?“
„Na zu all den Details, die ich dir gegeben habe?“
„Details? Das sind keine Details. Das sind wohl eher Fragmente. Nun … “, antwortete sie gedehnt, „ich entdecke tatsächlich einige Ungereimtheiten.“ Nach einer kurzen Pause fuhr Jette fort: „Ist sonst nichts gefunden worden?“
„Nein. Was soll denn da noch sein?“
„Irgendetwas. Etwas, das nicht in das Bild passt.“
„Passt denn überhaupt irgendetwas zusammen? Ich kann nicht sehen, dass alle diese Fragmente, wie du sie nennst, irgendeinen Sinn ergeben. Also, was meinst du genau?“
„Hat die Spurensicherung oder der Pathologe etwas gefunden, das irgendwie gänzlich aus dem Rahmen fällt?“
Darüber musste Anne erst nachdenken.
„Ja“, fiel ihr plötzlich ein, „da war tatsächlich noch etwas, aber das halte ich für vollkommen unwichtig.“
„Nun sag schon. Was war ungewöhnlich?“ Jette hatte sich weit vorgebeugt und ihre Augen zusammen gekniffen. Ihre Erwartung war fast spürbar.
„Ich muss dich leider enttäuschen, Jette, denn der Fund ist wirklich ohne Bedeutung. Der Pathologe hat Unmengen von Katzenhaaren gefunden. Sogar unter ihrem Kleid und in ihren Achselhöhlen.“ Anne fröstelte, als sie sich vorstellte, wie die Katzen um die Leiche herumgeschlichen sein müssen. Wie sie sogar unter ihren Rock gekrochen und unter den Armen geschnuppert haben müssen.
„Ach ja?“ bemerkte Jette mit hochgezogenen Brauen und lehnte sich mit einem kaum sichtbaren Lächeln zurück.
„Na hör mal. Was glaubst du, wie viele Katzen sich nachts am Geroweiher tummeln?“
„Vielleicht hast du Recht, meine Liebe. Ja, wahrscheinlich stimmt das, was du sagst.“
Doch aufgrund ihrer Erfahrungen mit Jette hörte Anne an deren Stimme, dass sie zweifelte. Aber das war Jette, wie sie sie kannte. Immer auf der Hut. Immer auf der Suche nach ausgefallenen Hinweisen. Sicher, sie saßen in einem Boot, aber Jettes Methoden? Ihre Gedankengänge? Die waren aus Annes Sicht von übervorgestern. Jette war ja auch schon lange pensioniert.
Anne gestand sich ein, Jette hatte bisher meist richtig gelegen mit ihren Vermutungen, aber das hatte wohl mehr mit Glück zu tun, als mit anständiger und gewissenhafter Polizeiarbeit. Sie hielt es eher für zufällige Volltreffer.
Anne spürte ihre Müdigkeit und sprang erschrocken auf, als sie auf die Uhr sah. Es war bereits nach zwei Uhr in der Frühe. Ihr schlechtes Gewissen meldete sich. „Es tut mir leid Jette, dass ich dich so lange wach gehalten habe mit meinen ungelösten Problemen. Aber ich wusste einfach nicht weiter. Ich war mit meinem Latein schlicht und ergreifend am Ende. Und der Polizeichef rückt mir heftig auf die Pelle. Sei mir nicht böse.“
„Ach wo. Du weißt, dass ich immer für dich da bin, wenn du Unterstützung brauchst, auch, wenn ich dir diesmal keine große Hilfe war.“
„Danke“, umarmte Anne sie und verabschiedete sich rasch. Der Schneeregen war wieder in Nieselregen übergegangen. Es war eine dieser unbehaglichen Nächte, in denen sich jeder auf sein warmes Bett freute. Genau wie Anne. Als sie sich in ihre Decke einrollte, dachte sie wieder an die toten Augen der unbekannten Schönheit am Geroweiher. Und obwohl sie wirklich hundemüde war, schob sich auch Jettes Bubikopf vor ihre inneren Augen, als wollte sie ihr etwas sagen.
*
Ja, Jette war ein echtes Original. Anne erinnerte sich, wie sie Jette vor einigen Jahren kennenlernte. Unwillkürlich musste sie grinsen bei der Erinnerung, als Jette sie zum ersten Mal zu sich nach Hause einlud. Jeder, auch Anne, hielt Jette für eine der älteren Dame, die sich mit Chippendale und Barockmöbeln umgab. Welche Überraschung als Anne feststellte, dass Jette in ihrem Geschmack das genaue Gegenteil repräsentierte. Sie war weitaus moderner eingerichtet, als sie selbst. Niemand vermutete hinter der kleinbürgerlichen Backsteinfassade von Jettes unauffälligem Haus mit dem blank polierten Messingknopf ein Ambiente im kühlen italienischen Stil. Weiße Möbel, weiße Bodenfliesen, duftige Stoffe und ausgefallene Einzelstücke in leuchtendem pink oder tiefem dunkelbraun. Oder ihr antiquierter Kupferkessel. Alles verriet eine exzentrische Bewohnerin, die sich mit nichts weniger als dem Edelsten und Ausgefallensten umgab. Wie sie wohl als aktive Ermittlerin gewesen war?
Ja, Jette war ein echtes Original. Eine Querdenkerin, die genau wusste, was sie wollte. Dagegen fühlte sich Anne reichlich angepasst, dem Geschmack der Masse unterworfen und wenig kreativ in der Gestaltung ihrer vier Wände. Wozu auch? Bei den wenigen Stunden, die sie in ihrer Wohnung verbrachte? Die Einrichtung sollte ihren Bedürfnissen gerecht werden. Zweckmäßigkeit war ihr Ding. Ein bequemes Bett, eine kleine Küche und ein alter Ohrenbackensessel, falls sie einmal den Luxus von überzähliger Zeit hatte, den Fernseher einzuschalten.
Jette war stolze Besitzerin einer Bibliothek mit hunderten von Büchern, während Anne die wenigen, die sie besaß, in einem kleinen Board untergebracht hatte.
Irgendwann musste Anne eingeschlafen sein, denn der Wecker zerrte sie unbarmherzig aus ihrem Tiefschlaf.
* * * * *
Auch, wenn Anne sonntags offiziell keinen Dienst hatte, stellte sie sich immer den Wecker, denn ansonsten bestand die Gefahr, dass sie aus ihrem Schlafrhythmus für den Berufsalltag geriet. Sonntags war immer ihr Wasch- und Bügeltag. Wann hätte sie das sonst erledigen sollen? Sie wünschte sich nur sehnlichst, dass keiner ihrer Kollegen krank wurde, so dass sie von einem unerwarteten Sondereinsatz verschont blieb. An diesem Sonntag hatte sie Glück und konnte deshalb auch die Zeit nutzen, um über ihren aktuellen Fall nachzudenken.
Wer mochte die junge Frau sein? Jemand musste sie doch vermissen. Gott sei Dank würde in der Montagsausgabe ein Bild von der Frau in der überregionalen Presse erscheinen. Hoffentlich meldete sich jemand.
* * * * *