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Das Ungeheuer stemmte sich vor mir auf die säulenförmigen Hinterbeine und ließ ein donnerndes Gebrüll ertönen, das die Welt in ihren Grundfesten zu erschüttern schien.
Hinter dem Monster zuckten Blitze über den nachtschwarzen Himmel, und immer heftiger werdende Windstöße zerrten an den umstehenden Bäumen und Büschen. Meine nassen Haare flatterten mit den Schößen meiner Jacke um die Wette, und ich hatte Mühe mich überhaupt auf den Beinen zu halten ...
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Seitenzahl: 155
Cover
Impressum
Der Atem der Sirene
Briefe aus der Gruft
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: shutterstock/Justdd; Baimieng
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4697-8
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
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www.lesejury.de
www.bastei.de
Der Atem der Sirene
(1. Teil)
von Ian Rolf Hill
Das Ungeheuer stemmte sich vor mir auf die säulenförmigen Hinterbeine und ließ ein donnerndes Gebrüll ertönen, das die Welt in ihren Grundfesten zu erschüttern schien.
Hinter dem Monster zuckten Blitze über den nachtschwarzen Himmel, und immer heftiger werdende Windstöße zerrten an den umstehenden Bäumen und Büschen. Meine nassen Haare flatterten mit den Schößen meiner Jacke um die Wette, und ich hatte Mühe, mich überhaupt auf den Beinen zu halten …
Ich stand vor Angst wie erstarrt auf dem Fleck, nicht wissend, was ich tun sollte. Es schien für mich nur zwei Optionen zu geben. Entweder ich wurde in den nächsten Sekunden von einem entwurzelten Baum erschlagen oder von der gigantischen Kreatur vor mir einfach zertrampelt.
Brüllend ließ sich das zyklopische Ungetüm auf alle viere zurückfallen. Ich spürte die Erschütterung des Bodens und taumelte unwillkürlich rückwärts, hob dabei den rechten Arm, in dessen zitternder Hand ich den magischen Bumerang hielt.
Eine lächerliche Waffe gegen diesen Behemoth. Was sich da vor mir wie der Gestalt gewordene Albtraum gebärdete, war nämlich keine schwarzmagische Kreatur.
Nein, es war schlimmer, denn gegen dieses Monster hatte ich keine Waffe.
Sein Gebrüll dröhnte in meinen Ohren wie die Trompeten von Jericho. Dann stürmte das Mammut auch schon wutschnaubend auf mich zu.
***
Davor und zugleich danach …
Noch ehe ich den ersten Schritt in meine Wohnung tat, wusste ich bereits, dass ich nicht alleine war. Ich war später als gewöhnlich nach Hause gekommen, was aber nichts mit einem neuen Fall zu tun gehabt hatte. Stattdessen war ich mit Glenda noch etwas essen gegangen.
Wir hatten viel zu bereden gehabt, und so war es mittlerweile schon weit nach zwanzig Uhr, als ich den Schlüssel ins Schloss meiner Wohnungstür schob. Und kaum nachdem ich die Tür geöffnet hatte, hatte mich dieses Gefühl überkommen, dass sich jemand in der Wohnung befand.
Ich blieb auf der Schwelle stehen und lauschte, doch kein Laut drang an meine Ohren. Mein Blick fiel durch den kleinen Flur in mein geräumiges Wohnzimmer. Hinter der breiten Fensterscheibe sah ich den dunkelblauen Himmel, über den beleuchteten Silhouetten der Londoner Hochhäuser. Es dämmerte bereits, und es würde nicht mehr lange dauern, bis sich die Dunkelheit der Nacht über die Stadt senkte. Mein ungebetener Gast hatte es vorgezogen, im Dunkeln zu bleiben.
Das hätte mich misstrauisch machen müssen.
Vielleicht war es ein Einbrecher, obwohl das äußerst unwahrscheinlich war, denn bei mir gab es eigentlich nichts zu holen. Ein Feind aus der Welt des Übernatürlichen war da schon wahrscheinlicher.
Doch ich spürte keine Gefahr. Auch die Narbe auf meiner Wange blieb gefühllos.
»Willst du nicht hereinkommen, John?«
Obwohl ich mich nicht bedroht fühlte, war meine Hand automatisch zum Griff der Beretta gewandert. Jetzt erstarrte sie auf halbem Wege und ich hatte das Gefühl, auf der Stelle stehend zu vereisen. Ich kannte die Stimme nur zu gut, hätte aber heute Abend nie und nimmer mit ihrem Klang gerechnet.
Sie gehörte Myxin, dem Magier.
***
Vergangenheit
Ich warf mich zur Seite und schleuderte aus dem Handgelenk den Bumerang. Ich konnte nicht sehen, ob sich das Mammut davon beeindruckt zeigte oder ob die magische Waffe überhaupt getroffen hatte. Krachend schlug mein Körper ins Unterholz. Kleinere Zweige klatschten mir ins Gesicht, rissen blutige Striemen in die Haut. Harte Äste und spitze Steine malträtierten meinen Körper, gleichwohl die alte Lederjacke mich vor schlimmeren Verletzungen bewahrte.
Als ob ich nicht andere Sorgen hätte. Ich gab meinem Körper noch mehr Schwung, schloss dabei instinktiv die Augen, damit mir nicht noch ein Ast das Augenlicht raubte, und wühlte mich förmlich in die Vegetation hinein. Das wutschnaubende Gebrüll des Ungeheuers in meinem Rücken wurde lauter und lauter. Die Erde bebte, und ich wusste, dass sich jeden Moment das tonnenschwere Gewicht des Urzeit-Elefanten auf meinen Leib senken würde, um ihn wie ein Insekt zu zerquetschen.
Ich barg meinen Kopf in beide Arme, rollte mich zusammen und wollte mir mit den Beinen Schwung geben, doch ein nachgiebiger Widerstand hielt mich fest. Ich schrie meine Angst heraus, brüllte gegen das Getöse des Mammuts und das Heulen des Sturms an.
Das trompetenhafte Lärmen des gigantischen Tiers steigerte sich zu einem kreischenden Crescendo. Mein Herz drohte zu zerspringen, so sehr hämmerte es in meiner Brust. Nachdem ich auch nach drei Sekunden nicht zermalmt worden war und die Erschütterungen des Bodens gar nachließen oder wenigstens nicht heftiger wurden, riskierte ich es und hob den Kopf aus der Deckung.
Das Mammut hatte die Richtung geändert und war zu seiner rechten Seite hin ausgewichen, also weg von der Position, an der ich im dicht verfilzten Unterholz hing.
In seiner Flanke steckte ein langer Speer. Dann drehte es sich auf der Stelle stehend um, senkte dabei das riesige Haupt und pflügte mit seinem gewaltigen, gebogenen Stoßzahn eine regelrechte Schneise ins Unterholz. Dabei erkannte ich, dass in seiner rechten Seite, dicht hinter dem massigen Schädel, zwei weitere Speere steckten.
Vor dem Mammut erschien mit einem Mal eine gedrungene Gestalt wie ein Geist aus dem Jenseits und schleuderte einen weiteren Speer, der von links in den Hals des Riesentiers drang. Das ohnehin schon ohrenbetäubende Brüllen, steigerte sich sekundenlang, wurde noch höher und schriller, sodass ich beinahe Mitleid mit der gepeinigten Kreatur bekam. Das schrille Trompeten überlagerte sich kurzzeitig mit dem hohen Pfeifen des Sturms.
Das Mammut warf sich nach vorne, um den Angreifer niederzutrampeln, als plötzlich das linke Vorderbein einknickte. Der Urzeit-Elefant warf den Schädel hoch und stieß ein neuerliches Schmerzgebrüll aus, ehe es im Zeitlupentempo auf die Seite kippte und krachend zu Boden fiel. Die Erde erzitterte unter dem Aufprall des Kolosses.
Kaum lag das Mammut auf dem Boden, rannten von vier verschiedenen Seiten in Fell gehüllte Männer herbei. Das Tier warf im Liegen den Kopf in die Höhe, strampelte mit den säulenförmigen Beinen und schrie seinen animalischen Zorn in den heulenden Sturm hinaus.
Ein besonders wagemutiger Jäger sprang hinter dem gefallenen Koloss an den Kopf heran und rammte seinen Speer wuchtig in den Hals. Eine Blutfontäne, die in der schummrigen Dunkelheit schwarz glänzte, spritzte in die Höhe.
Zwei weitere Männer bohrten ihre Waffen in den ungeschützten Bauch. Das Mammut kreischte jetzt geradezu. Seine Bewegungen wurden jedoch merklich schwächer, verlangsamten sich mit jedem Schwall des herausschießenden Blutes, das das zottelige Fell des Tieres tränkte.
Ich sah, wie der vierte Mann um den Kopf des Mammuts herumlief, den Speer in beiden Fäusten haltend. Ich glaubte, er würde zustoßen, doch er wartete zunächst ab. Möglicherweise besaßen die vier frühzeitlichen Jäger keine weiteren Speere mehr.
Auch die anderen drei Männer wichen nun zurück, beobachteten das erlegte Tier, darauf lauernd, ob es sich noch einmal erholen würde. Die Hinterläufe des Mammuts zuckten spasmisch. Der linke Vorderlauf lag unter dem Körper, war vermutlich gebrochen, der rechte ruhte beinahe still.
Die Flanke hob und senkte sich wie ein altersschwacher Blasebalg von gigantischen Ausmaßen, der ein Ächzen ausstieß, das mir eine Gänsehaut bescherte.
Nach wenigen Minuten, in denen ich bewegungslos in meiner Deckung kauerte, wurden die schweren Atemzüge des Mammuts immer mühsamer und kraftloser. Das Heulen des Sturms war plötzlich das einzige Geräusch auf der kleinen Lichtung und klang in meinen Ohren fast wie der Abgesang auf diesen wundervollen Koloss, dessen Art zu meiner Zeit längst ausgestorben war.
Die vier Jäger blieben wie angewurzelt stehen und störten sich auch nicht an den orkanartigen Sturmböen. Es waren wirklich raue Gesellen, die sich dort versammelt hatten, doch ein Mammut zu Fall zu bringen, und zu erlegen war sowieso nichts für Weicheier. Und auch nichts für Geisterjäger. In Gedanken verfluchte ich Myxin für seine glorreiche Idee, mich einmal mehr in die Vergangenheit zu schicken.
Ich hielt Ausschau nach dem Bumerang und sah ihn tatsächlich nur wenige Schritte von mir entfernt im plattgedrückten Gras liegen. Bevor ich ihn jedoch an mich nahm, wollte ich mich den Jägern zu erkennen geben. Sie waren in dicke Felle gekleidet und trugen ihre Haare und Bärte lang, die dick und pelzig von ihren Gesichtern über die Hälse wucherten.
Ihre Körper waren deutlich kleiner als zu meiner Zeit und wirkten viel muskulöser und kompakter. Allerdings auch viel sehniger und nicht so aufgepumpt wie die moderner Bodybuilder, die sich mit Boostern und Steroiden künstlich aufmotzten.
Langsam kroch ich aus dem Unterholz und erhob mich schwankend auf die Beine. Meine Knie zitterten und als ich den Kopf hob, sah ich, dass der vierte Jäger auf den Kopf des Mammuts sprang und seinen Speer tief in den Hals rammte. Das Tier stieß ein erschöpftes Schnaufen aus, und seine Flanke fiel in sich zusammen wie ein Ballon, aus dem man die Luft herausließ.
Ich richtete mich behutsam auf und erstarrte, als sich mein Blick, mit dem des Jägers traf, der, immer noch den Schaft des Speers festhaltend, in meine Richtung sah. Uns trennten sicherlich zwanzig Yards, doch ich glaubte förmlich spüren zu können, wie mich seine Blicke abschätzend taxierten.
Zwei abgehackte Laute drangen unter seinem pelzigen Bart hervor. Allerdings galten sie nicht mir, sondern seinen Kameraden, die sich in geduckter Haltung abrupt zu mir umwandten. Ihre Körpersprache war unmissverständlich. Sie bereiteten sich auf Flucht oder Angriff vor, wobei wenigstens zwei der Jäger für die zweite Option stimmten. Das zeigte mir die Entschlossenheit, mit der sie ihre Speere aus dem Bauch des Mammuts zogen.
Ich hob beide Arme in der wahnwitzigen Hoffnung, dass die Geste auch zu dieser Zeit friedliche Absichten vermittelte. Mit kleinen Schritten trat ich aus dem Gehölz heraus, bewegte mich zugleich aber seitwärts, um den Jägern deutlich zu machen, dass ich keinen Anspruch auf ihre Beute erhob.
Auch die verbliebenen beiden Frühmenschen ergriffen nun ihre Speere, zogen sie aus dem Kadaver und richteten die blutigen, steinernen Spitzen auf mich.
Der Kerl, der dem Mammut den finalen Stoß versetzt hatte und vermutlich der Anführer war, sprang mit einem geschmeidigen Satz von dem erlegten Tier herunter und huschte geduckt auf mich zu, mit dem Speer auf meine Brust deutend. »Du, Mensch?«, grollte er mit tiefer Stimme.
Ich seufzte erleichtert. Zumindest funktionierte Myxins Zauber, der es mir ermöglichte, mich zu verständigen. Das war für mich sogar mehr als die halbe Miete. Gleichzeitig kniff ich jedoch leicht die Augen zusammen, denn ich hatte aus dem fragenden Klang seiner Stimme deutliche Zweifel an meiner Identität herausgehört. Er schien seinen Augen nicht zu trauen, was meiner Meinung nach nicht nur an meiner fremdartigen Kleidung liegen konnte.
Andererseits gab es zu dieser Zeit wohl auch keine glatt rasierten Männer, möglicherweise nicht einmal welche mit blondem Haar. Zumindest die vier Jäger vor mir hatten dunkle, größtenteils sogar schwarze Haare. Und keiner von ihnen hatte offenbar in letzter Zeit einen Frisörtermin gehabt. Im Gegensatz zu mir, meiner lag nämlich gerade einmal drei Tage zurück.
Ich versuchte es zunächst mit einem Nicken. »Ja, ich bin ein Mensch.«
Der Anführer näherte sich mir bis auf fünf Schritte, dicht gefolgt von seinen Kameraden, die auseinanderfächerten und einen Halbkreis um mich herum bildeten.
Ein bulliger Kerl mit breitem Gesicht und abgenutzten Zähnen stieß ein schnaubendes Grunzen aus, das ich als Zustimmung wertete. Er nickte in Richtung des Anführers. »Er blutet. Er ist Mensch.«
»Was wir sehen, muss nicht stimmen«, kam es von links.
Der Mann hatte die hellsten Haare des Quartetts. Sie waren von einem tiefen Braun, in das sich ein rötlicher Stich verirrt hatte. Beinahe wie bei einem Eichhörnchen. Einem Schleier gleich umwehten sie sein Haupt.
»Ich bin ein Mensch«, versicherte ich.
»Er sieht … anders aus«, sprach der Braunhaarige weiter.
Der Anführer warf einen raschen Blick auf den vierten Mann, der bisher kein Wort gesagt hatte. Der untersetzte Kerl war mit Abstand der Älteste und sah aus, als hätte er schon sechzig Jahre auf dem Buckel. Vermutlich war er nicht älter als Ende Dreißig oder Anfang Vierzig. Wortlos deutete er mit dem Speer auf den silbernen Bumerang, der hinter mir im Gras lag.
»Das war in seiner Hand«, rief er und löste dabei demonstrativ die eigene Faust vom Schaft seiner Waffe. »Noch nie gesehen.«
Der Anführer nickte ruckartig. »Waffe?«
Ich nickte ebenfalls. »Ja, das ist eine Waffe. Aber nur zur Verteidigung. Zum Schutz.« Ich klopfte mit meinen flachen Händen gegen meine Brust.
Der Anführer verzog das Gesicht. »Verschwinde.«
Das war deutlich und unmissverständlich. Trotzdem wollte ich nicht klein beigeben. Ich musste unbedingt das Vertrauen dieser Menschen erlangen. Seit Stunden irrte ich nun schon durch diesen Dschungel, ohne jemanden zu treffen. Jetzt endlich, wo ich Menschen gefunden hatte, sollte ich einfach meiner Wege ziehen? Auf keinen Fall! Andererseits zweifelte ich keine Sekunde lang daran, dass mein Gegenüber nicht zu langen Diskussionen neigte.
Das bewies er mir in der nächsten Sekunde, als er mit einem wütenden Schrei auf den Lippen auf mich zusprang und den Speer in meine Richtung stieß. Ich taumelte erschrocken rückwärts und stolperte dabei über eine aus dem Boden ragende Wurzel. Eine Sekunde später saß ich auf dem Hosenboden und verzog vor Schmerz das Gesicht, weil ich mir das Steißbein geprellt hatte.
Ein spöttisches Lachen drang aus der Kehle des Braunhaarigen.
Auch die anderen fielen mit ein. Alle bis auf den Anführer, der mich mit finsterem Blick weiterhin taxierte. Der Braunhaarige indes hatte das Interesse an mir verloren. Immer noch lachend wandte er sich ab, und es hätte mich nicht gewundert, hätte er eine abfällige Geste in meine Richtung gemacht. Auch die anderen schickten sich an, zum Mammut zu gehen, um damit zu beginnen, die Beute zu zerlegen.
Der Anführer aber schien auf Nummer sicher gehen zu wollen, ob ich seinem Befehl auch tatsächlich Folge leistete.
Mehrere helle Blitze zuckten in rascher Folge vom Himmel, dicht gefolgt von einem krachenden Donner, der die Jäger synchron zusammenzucken ließ.
Auch ich erschrak heftig. Doch nur, weil der Donner so unerwartet und heftig erfolgt war, und nicht, weil ich in ihm den Zorn eines wütenden Gottes argwöhnte. Bei den Jägern und ihrem Anführer war ich mir dahingehend nicht so sicher, denn sie duckten sich und blickten ängstlich gen Himmel.
Der Sturm wurde sogar noch heftiger und riss regelrecht an den Bäumen und Büschen rings um uns herum. Ich kroch rückwärts und stemmte mich auf die Beine. Nicht ohne zugleich den Bumerang an mich zu nehmen, den ich mir in den Gürtel schob.
Sofort zuckte der Krieger vor mir herum. Eben noch war sein ängstlicher Blick über das Firmament geglitten, über das erneut Blitze zuckten, da fixierte er mich auch schon wieder mit seinen flackernden Augen.
Ein reißendes Geräusch zu unserer Linken erregte meiner Aufmerksamkeit.
»Vorsicht«, brüllte ich und sprang auf den Anführer zu.
Der blieb im wahrsten Sinn des Wortes vom Donner gerührt stehen und wäre mit Sicherheit unter dem fallenden Baum begraben worden, wäre ich nicht zu Stelle gewesen.
Mit einem schnellen Schlag wischte ich die Speerspitze zur Seite und rammte den Anführer mit meiner Schulter wie ein Rugby-Spieler. Seine fassförmige Brust fühlte sich an, als wäre sie aus Stein. Ein erdiger, moschusartiger Geruch drang in meine Nase, als wir zu zweit in Richtung Mammut flogen, während hinter uns der geborstene Stamm zu Boden krachte.
Ich dachte, die aufgeregten Schreie der Männer galten mir, und rechnete jeden Augenblick damit, dass sich die steinerne Spitze eines Speers in meinen Rücken bohren würde. Doch da sah ich am Rande meines Blickfelds, ein grell loderndes Licht.
Blitzeinschlag, fuhr es mir durch den Kopf.
Bis ich das schauderhafte Gelächter vernahm und eine schlanke Gestalt mit riesigen Schwingen hinter der Baumkrone emporsteigen sah. Da war der Feuerball aber schon auf dem Weg, fuhr über mich und den gestürzten Krieger hinweg und traf einen der anderen Männer. Das schrille Schmerzgebrüll redete eine nur allzu deutliche Sprache.
Ich aber hatte nur Augen für die kahlköpfige Gestalt, deren geschuppte Haut, an die eines Reptils erinnerte. Gefiederte Schwingen wuchsen aus ihren langen, spindeldürren Armen.
Ich kannte diese Abscheulichkeit aus meiner Zeit, auch wenn ich gehofft hatte, dieser Dämonenart nicht mehr zu begegnen.
Es war eine Harpyie.
***
Davor und zugleich danach …
Ich hielt für einen Moment den Atem an.
Dann runzelte ich die Stirn, während gleichzeitig ein Lächeln über meine Lippen huschte. Meine Hand, die eben noch auf dem Weg zum Schulterhalfter gewesen war, in dem meine Beretta steckte, fuhr Richtung Wand und betätigte den Lichtschalter.
Die kleine Lampe im Flur schuf ein schwaches Licht und ich ging raschen Schrittes in das Wohnzimmer, wo ich erneut nach dem Schalter für die Deckenbeleuchtung tastete. Myxin schloss geblendet die Augen, wobei er theatralisch seine Hände vor das Gesicht hielt.
»Verdammt, John. Muss das sein? Du weißt, dass ich empfindlich auf grelles Licht reagiere.«
Ich schnaubte und trat auf den kleinen Magier mit der grünlich schimmernden Haut zu.
»Du sitzt in meinem Sessel«, sagte ich nur, ohne auf das übertriebene Gejammer des Magiers einzugehen, das ohnehin jeder Grundlage entbehrte.
Immerhin lebte er bei den Flaming Stones, einem Gebiet in Mittelengland, in dem durch eine uralte, atlantische Magie ewiger Frühling herrschte.
»Die letzten zwei Stunden hattest du nichts dagegen, dass ich hier sitze«, meinte er und ließ die Arme sinken, während er mir von unten her ins Gesicht zwinkerte.
»Die letzten zwei Stunden war ich auch nicht hier«, erwiderte ich und stutzte im selben Atemzug. »Moment mal, willst du damit sagen, dass du hier schon geschlagene zwei Stunden im Dunkeln sitzt?«
»Vor zwei Stunden war es noch nicht dunkel«, entgegnete Myxin, doch ich winkte nur ab.
Der kleine Magier aus dem alten Atlantis wirkte sonderbar aufgekratzt auf mich, so als habe er wichtige Neuigkeiten.
»Ich würde dir ja was zu trinken anbieten, aber wie ich sehe, hast du dich schon bedient«, sagte ich mit einem Nicken in Richtung der leeren Coladose, die vor Myxin auf dem kleinen Wohnzimmertisch stand. »Dabei dachte ich, dass du keine Nahrung benötigst.«
»Was nicht bedeutet, dass ich sie nicht genießen darf, mein Lieber. Du müsstest das am besten verstehen, John. Immerhin stopft ihr Menschen euch tagtäglich den Wanst mit Dingen voll, die ihr auch nicht zwingend zum Leben braucht.«
Wo er recht hatte …
Ich verzog die Lippen zu einem schiefen Grinsen und wollte um den Wohnzimmertisch herumgehen, um mich auf das Sofa zu setzen, als Myxin die Hand hob.
»Warte, ich mache Platz.«
Einen Lidschlag später war mein Stammsessel frei, und der kleine Magier saß auf dem Sofa.