John Sinclair 2029 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2029 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Es war die Hölle!
Unaufhaltsam zertrampelte die Herde riesiger Bisons das Dorf. Die Bewohner mussten vor dieser Urgewalt kapitulieren. Die massigen Tiere rissen die primitiven Bauten nieder, als bestünden sie aus Pappe. Wer nicht schnell genug war, wurde einfach zerstampft.
Die Bewohner versuchten zu fliehen, doch nicht alle schafften es ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Mutter der Monster

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock/Vuk Kostic

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4698-5

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Mutter der Monster

(2. Teil)

von Ian Rolf Hill

Es war die Hölle!

Unter mir zertrampelte eine Herde riesiger Bisons das Dorf der vielleicht ersten menschlichen Siedler von Atlantis.

Vor magischen Angriffen hatten sie die Flammenden Steine bewahrt, doch vor der Urgewalt der wildgewordenen Tiere mussten auch sie kapitulieren. Vielleicht war ihre Kraft durch den Widerstand gegen Arkonada und die Großen Alten auch zu sehr geschwächt. Ich wusste es nicht. Ich sah nur, wie die massigen Tiere die primitiven Bauten niedertrampelten, als bestünden sie aus Pappe.

Die Bewohner und die Steinzeit-Jäger, die mich in ihre Mitte aufgenommen hatten, flohen in den dahinterliegenden Wald, doch nicht alle schafften es …

Wer nicht schnell genug war, wurde von den Bisons brutal zerstampft. Unsägliche Trauer erfasste von mir Besitz. Ich schwebte über dem Dorf und blickte auf die Trümmer einer Hütte hinab, in denen ein Mensch mit verrenkten Gliedern lag. Eine Seite seines Brustkorbs war eingedrückt, Blut rann aus Mund, Nase und Ohren.

Noch steckte Leben in dem zerschmetterten Leib, doch es war es nur eine Frage von Minuten, bis es aus ihm wich.

Voller Wehmut betrachtete ich den Mann, den ich besser kannte, als irgendjemand anderen auf der Welt. Dieser Mann war ich, John Sinclair!

***

Einer der gewaltigen Megalithen war umgestürzt und hatte zwei der Bauten und eine fliehende Frau aus Mias Stamm unter sich begraben. Zwei Wisent-Bullen wälzten sich mit zuckenden Gliedern vor der gefallenen Stele im Dreck.

Während die meisten der Wisente einfach in blinder Panik das Dorf überrannten, verhielten sich vereinzelte Tiere wie ferngesteuert, rammten ihre Schädelbasen mit brachialer Gewalt gegen die Steine, bis die nächste Felsensäule kippte.

Obwohl ich über meinem eigenen, sterbenden Leib schwebte konnte ich das Gelächter der Harpyien und den schrillen Gesang der dämonischen Sirenen deutlich hören. Es waren die monströsen Adler mit den Frauenköpfen, die die Tiere lenkten und für ihre finsteren Zwecke missbrauchten. Sie bereiteten den Weg für die Harpyien, ihre Mütter, vor.

Bis sich noch ein weiteres Geräusch hinzugesellte, das aus dem Wald drang. Es war der wunderbare, melodische und zugleich euphorisierende Gesang der nixenhaften Sirenen, die ihre teuflischen Pendants zu übertönen versuchten.

Es gelang ihnen nur unzureichend, denn plötzlich wischten drei, vier Schemen an mir vorbei und jagten den Menschen in den Wald hinterher.

Ich sah Feuerbälle aus den aufgerissenen Mäulern der Sturmdämonen fegen und im Dunkel des Waldes an den unsichtbaren Schallwellen der Nixen zerstieben. Vor mir rannten Mia, Una und Bela dicht gefolgt von einer kreischen Harpyie, die ihre Krallen ausstreckte und die Hinterbeine nach vorne schwang, um Una zu ergreifen.

Ich hätte schreien mögen vor Wut und Hilflosigkeit, konnte aber nicht mal die Augen schließen, als ein Feuerball aus ihrem Maul schoss, der Mia zu Fall bringen sollte.

Da warf sich einer der älteren Männer aus dem Dorf dem Monster entgegen und stand plötzlich in Flammen. Im nächsten Moment sprang einer der Steinzeit-Jäger mit seinem primitiven Speer von hinten auf das Ungeheuer und rammte ihm die steinerne Spitze in den Rücken. Es war Belos, der durch die schnelle Drehung des fliegenden Monsters herumgeworfen wurde.

Doch Mia und ihren Kindern gelang die Flucht. Schreiend warfen sie sich in den Fluss, in den auch Belos rollte, eine Sekunde bevor die stampfenden Hufe der Wisente auch ihn zerschmettert hätten.

Die Harpyie aber ereilte ihr Schicksal, als eine ihrer Schwingen unter die trampelnden Rinder geriet, die den Leib mit den Hufen zerquetschten und ihren Schädel zermalmten. Doch auch unter den Wisenten gab es Verluste.

Auf den rutschigen, mit Moos bewachsenen Felsen, fanden ihre Hufe keinen Halt, glitten weg, und dann stürzten die ersten Bisons. Sie prallten aus vollem Lauf gegen die Felsen und rutschten brüllend die steilen Hänge hinab in den Fluss. Die Menschen drückten sich, von Panik erfüllt, unter vorspringende Felsnasen.

Ich hörte Mia schreien, vor deren Gesicht die zuckenden Hufe eines verendenden Wisents zuckten. Von den Nixen sah ich keine Schwanzflosse, nur ihren betörenden, auf und ab schwellenden Gesang. Die Harpyien aber fanden keine weiteren Opfer, mussten warten, bis die Bisonherde sich zwischen den Bäumen verlor.

Ich war den Flüchtenden in der Luft schwebend in den Wald gefolgt und so konnte ich das Drama aus nächster Nähe miterleben. Der sphärenhafte Gesang steigerte sich unvermittelt zu einem qualvollen Schreien, und dann sah ich die drei Harpyien, die sich zwischen den Bäumen in die Höhe schwangen. Zwischen den Krallen ihrer Hinterläufe zappelten ihre Opfer, mit denen sie hohnlachend in den dicht belaubten Kronen der Baumriesen verschwanden.

Ich erkannte zwei von Rogas Nixen-Töchtern und sein Weib in den Klauen der Sturmdämonen. Für einen winzigen Moment war es mir, als würde Marna mich mit ihren schreckgeweiteten Augen sehen können. Aber das konnte doch unmöglich sein. Ich war nicht mehr als ein körperloser Geist, zur Hilflosigkeit verdammt. Ohnmächtig musste ich das grausame Geschehen beobachten.

War dies das Schicksal der Toten, die nicht ins Jenseits eingehen konnten? Auf ewig dazu verdammt, dem Leiden der Lebenden beizuwohnen?

Ich wollte es nicht wahrhaben und wieder zurück in meinen Körper, als ich Marnas schrille Schreie hörte, die sich zu einem infernalischen Kreischen steigerten. Ein Sog ergriff von mir Besitz, dem ich mich nicht entziehen konnte, und ich wusste instinktiv, dass er seinen Ursprung in dem Schrei der Sirene hatte.

Im nächsten Augenblick zog das Land in Windeseile unter mir vorbei. Unsichtbar jagte ich hinter den Harpyien und ihrer Beute her, als bestünde zwischen mir und Marna ein untrennbares Band. Ihre beiden Töchter, die sich ebenfalls in den Klauen der Sturmdämoninnen befanden, schienen dagegen in eine Art Apathie verfallen zu sein. Vielleicht waren sie auch ohnmächtig geworden, ich wusste es nicht. Ebenso wenig wie ich wusste, wie lebensnotwendig das Wasser für die Nixen eigentlich war.

Plötzlich fand ich mich inmitten eines wahren Sirenen-Schwarms wider. Hatte ich jedoch bei Marna das Gefühl, dass sie mich sehen oder zumindest meine Anwesenheit spüren konnte, so nahmen die dämonischen Adler genauso wenig Notiz von mir wie die Harpyien.

Wir ließen die Insel hinter uns und flogen über das Gewässer, dessen schwarze Oberfläche in einem grünen Licht schimmerte. Es war der Widerschein vom Planeten der Magier, dessen Einfluss zu dieser Zeit allgegenwärtig war.

Nach wenigen Minuten erreichten wir die Mündung eines Flusses, der jedoch nicht identisch mit demjenigen war, über den wir den See der Sirenen erreicht hatten. Der diente nämlich als abfließendes Gewässer, das vermutlich ins Meer mündete. Dieser Fluss hier jedoch, speiste den See mit frischem Wasser, und es wunderte mich nicht, dass vor uns drohend die schwarzen Umrisse der Berge emporragten.

Gigantische Höhenzüge, deren gezackte Gipfel wie abgebrochene Zähne eines Titanen in die dünne Morgenluft ragten. Wandte ich meine Aufmerksamkeit gen Osten, sah ich bereits den hellen Schein der aufgehenden Sonne, der sich vorsichtig über die karstigen Berghänge tastete.

Selbst als körperloser Geist konnte ich zusammenschrecken. Das geschah, als Marna in den Klauen der Harpyie unvermittelt erschlaffte und offenbar das Bewusstsein verlor. Trotzdem konnte ich ihr weiter folgen, das Band, das sie dank ihres Schreis geknüpft hatte, hielt stand. Oder bedeutete es nichts anderes, als dass es für meine Seele keinen Körper mehr gab, in den sie zurückfahren konnte?

War mein Leib fernab, auf der Insel der Sirenen, fünfzehntausend Jahre vor meiner Zeit, gestorben? Konnte das sein? Hätte ich dann aber nicht etwas spüren müssen? Irgendetwas, das mir signalisierte, dass meine physische Präsenz in dieser Welt aufgehört hatte zu existieren?

Ich konzentrierte meine Gedanken wieder auf den Weg, sog sämtliche Informationen dieser wundersamen Reise auf wie ein Schwamm. Wir folgten dem Flusslauf durch einen dichten Wald, ähnlich dem Dschungel, durch den wir zum See gekommen waren. Auch dieser Wald ging in ein sumpfiges Gelände über, das jedoch rasch von den ersten Ausläufern des zyklopischen Gebirges abgelöst wurde.

Ich erkannte zahllose zerklüftete Einschlüsse in den Gebirgshängen. Eingänge zu Höhlen, die die Berge wie ein Labyrinth durchziehen mussten. Ich erinnerte mich daran, wie ich durch Myxins Augen einen Teil seiner Vergangenheit als Dämon miterlebt hatte. Damals hatte ich seine Festung in den Bergen kennenlernen dürfen. Auch sie hatte einem wahren Ameisennest geglichen und sich im Inneren eines Vulkanschlotes befunden. Von denen gab es hier in den Bergen Dutzende.1)

Die meisten von ihnen waren aktiv, und je näher wir kamen, desto mehr Rauchsäulen sah ich in den Himmel stieben.

Mit einem Mal tauchten wir in eine tiefe Schlucht ein, deren Wände von zahlreichen Rissen und Spalten gezeichnet waren, vermutlich ebenfalls Zugänge in tiefer gelegene Kavernen.

Rasend schnell durchflogen wir die Schlucht, ehe es plötzlich wieder rasant nach oben ging. Die Felswände flogen förmlich an meinem geistigen Auge vorbei, und dann überwanden wir den Höhenzug, der die Schlucht begrenzte.

Dahinter öffnete sich ein Tal innerhalb der Berge, das fast einem Kessel glich, in dem eine schwarze Masse brodelte und kochte. Hätte ich einen Körper besessen, mir wäre der Atem gestockt und der kalte Schweiß ausgebrochen. Ich kannte diesen speziellen Sumpf nur zu gut, hatte ihn selbst schon durchqueren müssen. Es war eines der Mysterien, die ich noch nicht hatte lösen können, denn was ich vor, beziehungsweise unter mir sah, war der schreckliche Höllensumpf. Die Geburtsstätte der Monster und Dämonen.

Den vermutete ich aber zugleich auch auf dem Planeten der Magier, dort hatte ich schließlich die Geburt des Schwarzen Tods miterleben dürfen.

Ich war bislang davon ausgegangen, dass der Sumpf eine magische Schnittstelle zum Planeten der Magier darstellte und sich die Dimensionen hier überlappten. Doch trotz des nebelhaften Dunstes, der über dem Höllensumpf lag, präsentierte er sich deutlich abgegrenzt. Möglich, dass man über ihn den Planeten der Magier erreichen konnte, wenn man in ihm versank. So war ich auch damals dorthin gelangt, als ich in Italien einen Rest des Höllensumpfes gefunden hatte. Kurz bevor es mir und Kara gelungen war, die Seele von Jane Collins aus der Alptraum-Schlucht zu befreien.2)

Meine Gedanken rissen ab, als wir unerwartet die Richtung wechselten und gen Norden flogen. Hinter dem Höllensumpf öffnete sich eine breite Spalte im Gestein, ähnlich einer klaffenden Wunde im felsigen Fleisch der Berge.

Ich spürte, dass wir uns dem Ende der Reise näherten, und eine eigenartige Spannung ergriff von mir Besitz. Bis ich den leisen, liebevollen, ja beinahe zärtlichen Gesang vernahm, der mich umschmeichelte und liebkoste, als würde jemand mit Daunen über meine Haut streicheln.

Der Geruch von Lavendel und Rosen drang in meine Nase, obwohl ich doch gar keinen Körper hatte.

Und dann erfolgt der Gegenzug, so brutal und ruckartig, dass ich einen mentalen Schrei der Angst und des Entsetzens ausstieß. Ich sah noch, wie die Harpyien und Sirenen mit ihrer Beute in der Felsspalte verschwanden, dann erfasste mich der rückwärts gerichtete Sog und katapultierte mich in atemberaubender Geschwindigkeit denselben Weg zurück, den ich eben gekommen war.

Rasend schnell flog die Landschaft unter mir hinweg, als hätte der Allmächtige die Rückspultaste betätigt. Höllensumpf, Schlucht, Berge, Moor, Dschungel, Fluss, See und Insel.

Die Bäume des Waldes fegten an mir vorbei – und dann erfolgte der Aufprall!

Derart heftig und mit geradezu brutaler Wucht, dass ich glaubte, meine nicht existierenden Knochen würden bersten. Die Luft wurde aus meinen imaginären Lungen gepresst, und ein irrsinniger Schmerz durchfuhr meine Brust.

Schwärze senkte sich über mein Bewusstsein.

***

Ich hatte das Gefühl, mein eben noch schwerelos dahintreibender Geist stecke in einer Schraubzwinge aus Fleisch, Knochen und Schmerz.

Wo eben noch helles Licht gewesen war, erkannte ich nur noch Finsternis.

Ein lautes Wummern dröhnte in meinen Ohren, und ich brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass es mein eigener Herzschlag war, der in meinem Schädel widerhallte.

Ich wollte vor Schmerzen schreien, doch mein Körper gehorchte mir nicht. Ich konnte weder Arme noch Beine fühlen und auch nicht meine Lider heben. Dass ich trotzdem in meinen Leib zurückgekehrt war, spürte ich einzig und allein anhand der physischen Qualen, die mich buchstäblich bis aufs Blut marterten.

Dann endete es.

Unsagbar weiche Lippen küssten die meinen, während kühle Finger sanft über mein Gesicht strichen. Die Berührungen linderten die Pein, der ich so unvorbereitet und plötzlich ausgesetzt war ein wenig. Und je länger sich diese wundervollen, weichen Lippen auf meinen Mund pressten, desto wohler, kräftiger und geborgener fühlte ich mich.

Es war, als ströme das Leben in meinen Körper zurück. Ich spürte meine Beine, in die das Blut so vehement hineinschoss, dass ich das Gefühl hatte, tausend Nadeln würden sich in mein Fleisch graben.

Ein schwerer, feuchter und zugleich sonderbar glatter Leib ruhte auf mir, und zärtliche Hände strichen sanft über meinen nackten Oberkörper.

Ein schwacher Windhauch floss über meine entblößte Haut und sorgte für eine Gänsehaut.

Gedämpfter Gesang drang an meine Ohren, ebenso wie aufgeregte Stimmen, in die sich leises Weinen und lauteres Schluchzen mischten. Ich konnte zumindest die Stimmen von Mia, Belos und Roga unterscheiden. Wieder wollte ich die Lider heben, doch es fiel mir so unsagbar schwer, dass es mir einfach nicht gelang und ich beinahe wieder eingeschlafen wäre.

So genoss ich einfach die zärtlichen Berührungen der Frau, deren Gesang wie eine unaufdringliche, zugleich aber auf sonderbare Weise stimulierende Hintergrundmusik in mein Gehör vordrang. Der warme Atem meiner Gönnerin kitzelte die feinen Härchen auf meiner Haut, die sich aufstellten. So schwer es mir fiel, versuchte ich mich auf das Gehörte zu konzentrieren, doch ich schnappte zunächst nur vereinzelte Wortfetzen auf.

Dämonen … Marna … Tod … und noch mehr, was ich aber nicht in einen vernünftigen Zusammenhang bringen konnte. Bis Rogas tiefe Stimme sich herauskristallisierte. Ich bekam den Eindruck, er würde direkt neben mir stehen und mir ins Ohr brüllen: »Wir müssen ihnen folgen.«

»Aber wohin?« Das war Belos.

»Sie haben schon zu viele von ihnen mitgenommen«, entgegnete Roga wütend, und ich stellte mir vor wie er dabei die Hände vor mühsam unterdrückter Wut ballte. Kein Wunder, wenn es stimmte, was er mir vor – ja, wann eigentlich? – geraumer Zeit berichtet hatte. Allerdings hatte ich keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Marna seine Frau und die drei kleinen Nixen seine Töchter waren. Im Gegenteil, ich wusste instinktiv, dass es den Tatsachen entsprach. Daher überraschte mich Rogas heftige Reaktion keineswegs.

»Menschen brauchen Schutz«, warf Mia ein und stellte sich auf die Seite ihres Mannes.

»Er wird nichts nutzen. Wenn die Dämonen noch mehr Sirenen fortschleppen, werden wir alle sterben.«

»Aber wo suchen?«, fragte plötzlich Karim, und ich war erleichtert, seine Stimme zu hören. Also hatte auch er die Stampede der Bisons überstanden.

»Sie sind in Richtung Berge geflogen. Mehr brauche ich nicht zu wissen. Ich nehme fünf Männer mit. Du und Belos könnt zum Schutz der Frauen hierbleiben. Bis wir losziehen, ist auch John wieder auf den Beinen.«

»Wir brauchen keinen Schutz«, rief Mia trotzig. »Aber ihr sterbt. Alle. Noch vor den Bergen.«

»Das stimmt«, hörte ich eine weitere Stimme, die ich nicht zuordnen konnte. Sie musste zu einem von Rogas Leuten gehören. »Die Dämonen werden leichtes Spiel mit uns haben. Verlassen wir die Insel, stehen wir nicht mehr unter dem Schutz der Steine und der Sirenen. Auf eine solche Gelegenheit warten diese Ungeheuer doch nur.«

»Und doch ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie hier erscheinen«, erwiderte Roga. »Mit jeder Sirene, die ihnen zum Opfer fällt, wächst die Macht der Dämonen. Jetzt ist es ihnen schon gelungen, die Steine zu stürzen.«

»Aber die Berge sind riesig. Die Dämonen könnten überall hingeflogen sein.«

Das war der Moment in dem ich die Augen aufschlug. Mein Puls hatte sich während des Dialogs immer mehr beschleunigt, Adrenalin floss durch meine Adern. Trotzdem musste ich lächeln, als ich das blasse, schmale Gesicht der Nixe über mir sah, die mich aus großen, dunklen Augen traurig anblickte. Tränen schimmerten darin und ließen sie wie kleine unergründliche Seen erscheinen, in denen ich zu versinken drohte.

Ich ließ meinen Blick an meinem Körper hinunter schweifen. Bis auf einen Lendenschurz aus Fell war ich nackt. Über meine Beine wand sich der glatte, dunkelgeschuppte Schwanz der Sirene, in deren Schoß gebettet ich ruhte.

Ich richtete mich auf und musste blinzeln, als ich in die strahlende Sonne blickte, die durch die Kronen der Bäume hindurchlugte. Wir lagen im Wald, am Fluss, nahe der Stelle, an der ich Marna kennengelernt hatte. Ich hatte eigentlich auf die Worte von Rogas Gefährten antworten wollen, doch als ich meinen unversehrten Körper sah, verschlug es mir die Sprache. Auch das Gespräch verstummte, ebenso wie der leise Gesang.

Ungläubig betastete ich meinen Brustkorb. Die geborstenen Rippen waren verheilt, und ich konnte frei und tief durchatmen. Auch meine Beine, die verdreht und gebrochen gewesen waren, schienen geheilt. Darüber hinaus fühlte ich mich erfrischt und so kräftig und vital wie schon seit Langem nicht mehr. Geschmeidig erhob ich mich auf die Füße. Der Fischschweif glitt von meinen Beinen, und ich wandte mich zu der Nixe um, schenkte ihr ein Lächeln, und musste daran denken, wie wohl ich mich gefühlt hatte, als sie mich geküsst hatte.

»John!« Mia und Belos kamen auf mich zu gerannt und drückten sich an mich.

Ich war überwältigt von dieser innigen Begrüßung. Auch Karim grinste mich an, nur Roga und sein Freund hielten sich im Hintergrund und bedachten mich mit ernsten Blicken.

Ernst und nachdenklich.

»Geht es dir gut?«, fragte mich Mia und strich über meinen Oberkörper.

Ich nickte und blickte abermals auf die Sirene, die mich traurig anlächelte, ehe sie geschmeidig ins Wasser glitt. »Ja. Ja, es geht mir gut«, murmelte ich. »Um ehrlich zu sein, ging es mir noch nie besser.«

Roga verzog die Lippen zu einem verbittert wirkenden Lächeln. »Das hast du dem Kuss der Sirene zu verdanken, Freund. Leider hat nicht allen diese Gabe helfen können.«

Mir fiel Miro ein, der auch unter die Hufe der Wisente geraten war, und sofort drängte in mir das schlechte Gewissen hoch. »Dein Vater?«

Roga nickte und fügte hinzu: »Acht Männer, zwei Frauen und drei Kinder. Dazu zwei Frauen aus Mias Stamm.«

Ich wandte den Kopf und sah Tränen in den Augen der Stammesführerin schimmern.

»Das Dorf ist zerstört«, fuhr Roga ungerührt fort. »Marna und meine Töchter …«

»… wurden verschleppt«, unterbrach ich den Krieger mit harter Stimme, und er riss erstaunt die Augen auf.

»Du … du weißt es?«

»Ja, ich weiß es. Ich habe es gesehen!«

Er kam auf mich zu, schob Mia und Belos beiseite. Seine Hände umklammerten meine Oberarme, und es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte mich durchgeschüttelt. Angst, Wut und etwas Abgründiges, Wahnhaftes flackerten in seinem Blick um die Wette.

»Du hast eine Geistreise gemacht?«

Zögernd nickte ich. »So könnte man es wohl bezeichnen, ja.«

»Wo sind sie? Wo sind meine Frau und meine Kinder?«

»Wie du schon gesagt hast, in den Bergen.« Ich konnte mir das grimmige Lächeln nicht verkneifen. »Aber ich weiß, wohin sie genau verschwunden sind, und ich schwöre dir, Roga, wir werden sie zurückholen! Die Dämonen werden dafür bezahlen, dass sie die Insel angegriffen haben.«

***