John Sinclair 2090 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2090 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Trotz des hell leuchtenden Vollmonds betrug die Sichtweite nicht mehr als eine Armlänge in diesem dichten Geflecht aus Bäumen, Blättern und Ranken. Sie bildeten ein komplexes Puzzle, das das menschliche Auge komplett verwirrte. Und in der Nacht verschmolz alles zu einer grauschwarzen Masse, die erfüllt wurde von dem Kreischen und Lärmen nachtaktiver Tiere.

Ein schriller, sich wiederholender Schrei, der in ein hohes Gackern überging, ließ den Mann am Lagerfeuer schweißgebadet aufschrecken und nach Machete und Pistole tasten.
Sein Gegenüber bemerkte die Reaktion und schmunzelte.

"Angst, Mister Conolly?"

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EPUB

Seitenzahl: 149

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Bestie aus dem Dschungel

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Timo Wuerz

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-6814-7

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Bestie aus dem Dschungel

von Ian Rolf Hill

Trotz des hell leuchtenden Vollmonds betrug die Sichtweite nicht mehr als eine Armlänge. Selbst bei Tag betrachtet verschwamm die Umgebung nach zwei Schritten in einem dichten Geflecht aus Bäumen, Blättern, Blüten und Ranken. Sie bildeten ein komplexes Puzzle, das das menschliche Auge derart verwirrte, dass es nicht in der Lage war, bestimmte Konturen herauszufiltern.

Ähnlich verhielt es sich mit dem Untergrund. Erst wenn man stehen blieb und minutenlang auf eine Stelle starrte, kristallisierten sich einzelne Formen heraus, erkannte man die Puffotter, die nur darauf zu warten schien, dass man den entscheidenden falschen Schritt tat. Jetzt aber, in der Nacht, verschmolz alles zu einer grauschwarzen Masse, die erfüllt wurde von dem Kreischen und Lärmen nachtaktiver Tiere.

Ein schriller, sich wiederholender Schrei, der in ein hohes Gackern überging, ließ den Mann am Lagerfeuer schweißgebadet aufschrecken und nach Machete und Pistole tasten.

Sein Gegenüber bemerkte die Reaktion und schmunzelte.

»Angst, Mister Conolly?«

Bill hob ruckartig den Kopf und sah Miranda Myers in das blasse Gesicht, das von hennarotem Haar umrahmt wurde und es noch bleicher erscheinen ließ. Das Feuer selbst gab nur wenig Helligkeit ab, es schwelte mehr, als dass es brannte, produzierte dafür aber eine Unmenge beißenden, fettigen Rauchs, der zumindest die Mücken fernhielt. Er waberte zwischen ihnen gen Himmel und verschleierte in unregelmäßigen Abständen das Antlitz der jungen Frau und verstärkte dadurch den gespenstischen Eindruck.

»Ich würde es nicht direkt Angst nennen.«

Mirandas Schmunzeln erweiterte sich zu einem Lächeln. »Natürlich nicht.«

»Es ist eher Unbehagen.« Er ließ sich von ihrem leisen Spott nicht aus der Ruhe bringen. »Wie sollen wir in diesem Dickicht das Baka-Dorf jemals finden?« Der Reporter vollführte mit der rechten Hand eine allumfassende Geste.

»Gar nicht.« Die Entwicklungshelferin schüttelte den Kopf. »Die Baka werden uns finden.«

Bill runzelte die Stirn. »Soll mich das jetzt beruhigen?«

»Keineswegs, ich habe nur deine Frage beantwortet. Sei unbesorgt, die Baka essen keine Menschen.« Sie legte den Kopf schräg und musterte Bill von oben bis unten. »Aber bei dir machen sie vielleicht eine Ausnahme.«

Der Reporter spürte, wie er wütend wurde, obwohl Mirandas Worte nur als harmloser Scherz gemeint waren. Aber angesichts der Gerüchte, die ihn hierher in das grüne Herz Afrikas geführt hatten, war ihm alles andere als nach Lachen zumute. Er blickte über die Schulter zu den beiden Zelten, die unter den tief hängenden Ästen standen. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit hatten sie sie aufgestellt und allein zwei Stunden benötigt, um mit Haumessern und einer winzigen Kettensäge eine kleine Lichtung in den Dschungel zu schlagen.

Es würde keine Woche dauern, bis die Natur die Lücke wieder geschlossen hatte. Dieser Platz war nicht ansatzweise mit dem Raubbau vergleichbar, der andernorts betrieben wurde, wo binnen weniger Minuten Urwaldriesen gefällt wurden, die Jahrhunderte benötigt hatten, bis sie so groß und mächtig waren wie heute.

Aber Bill war nicht hier, um das Sterben des Regenwaldes zu dokumentieren. Ihm ging es um etwas anderes. Stein des Anstoßes waren niemand Geringeres als Miranda Myers und ihr Kollege Marc Spencer gewesen. Bill kannte sie von einer Artikelserie, die er vor einigen Jahren geschrieben hatte, und seitdem waren sie in lockerem Kontakt geblieben. Beide arbeiteten für das Department for international Development, einer britischen Organisation, die weltweit in der Entwicklungshilfe tätig war.

Gerade hier in der Demokratischen Republik Kongo, einem der ärmsten Länder der Welt, kämpfte das DFID seit Jahren für die Rechte der Menschen, insbesondere der Baka, die in den Köpfen vieler Europäer und Amerikaner immer noch als menschenfressende Pygmäen herumspukten. Dass dieses Image nicht weiter von der Realität entfernt sein konnte, wusste Bill Conolly natürlich. In Wirklichkeit waren sie es, die nicht selten vom ansässigen Militär und paramilitärischen Söldnertruppen terrorisiert wurden.

Umso alarmierender waren die Berichte eines Stammes, der tatsächlich den ihrem Volk vorgeworfenen Gräueltaten zu frönen schien. Verschwundene Menschen aus den dichter besiedelten Gebieten nährten diese Gerüchte. Und da auch Soldaten vermisst wurden, fürchteten Miranda und Marc einen Vergeltungsschlag des Militärs. Es war bekannt, dass die Soldaten erst schossen und dann Fragen stellten, und sie würden sich nicht mit langwierigen Untersuchungen aufhalten.

Damit war jedes Baka-Dorf, das sich auch nur in der Nähe des neuralgischen Gebiets befand, gefährdet. Dass es dort ebenfalls zu Vermisstenfällen gekommen war, interessierte dabei niemanden, und es hatte die beiden Entwicklungshelfer immens viel Überredungskunst gekostet, die örtlichen Befehlshaber davon zu überzeugen, zunächst eigene Nachforschungen anstellen zu dürfen.

Bis dahin noch kein Grund für Bill Conolly, in London alles stehen und liegen zu lassen und in jenes Land zu reisen, dem der Schriftsteller Joseph Conrad nicht umsonst sein »Herz der Finsternis« gewidmet hatte.

Es waren vielmehr die Berichte der Einheimischen, die von grauenhaften Missbildungen der menschenfressenden Bakas erzählten und die zumindest für Miranda und Marc derart glaubhaft waren, dass sie Bill informiert hatten. Der Reporter hatte im Laufe seines Lebens, dem es gewiss nicht an Abenteuern mangelte, gelernt, seinem Instinkt zu vertrauen.

Bauchgefühl nannte es sein bester Freund John Sinclair. Aber welche Bezeichnung auch immer man dafür fand, es war ratsam, darauf zu hören. Und nicht selten konnten auf diese Weise bereits erhebliche Gefahren von der Menschheit abgewendet werden.

»Was macht dich eigentlich so sicher, dass wir Erfolg haben?«

»Kuna!«, lautete die Antwort.

Bill wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der junge Baka hatte sich bereit erklärt, die kleine Expedition verrückter Engländer in das betreffende Gebiet zu führen. Natürlich nur für einen ordentlichen Batzen Geld. Aber der schnöde Mammon war seit jeher ein probates Mittel, um aufkommende Angstzustände zu lindern.

»Auch er kann sich irren.«

Miranda schüttelte den Kopf, sodass ihre Haare flogen. »Das denke ich nicht. Er selbst hat Mahamba gesehen.«

»Und das glaubst du?« Es kostete den Reporter Mühe, nicht hart aufzulachen. »Vermutlich hat er nur ein großes Krokodil gesehen.«

»Groß ist wohl nicht der richtige Ausdruck, riesig trifft es eher.« Sie stieß den Zeigefinger in seine Richtung. »Sag mir jetzt nicht, dass du die Geschichten für Hirngespinste hältst. Andernfalls hättest du schließlich nicht deine Freundin hier mit angeschleppt.«

»Evelyn ist nicht meine Freundin.«

Das stimmte, denn Dr. Evelyn Carter, Mitglied der kryptozoologischen Gesellschaft, war eine Wissenschaftlerin, der es trotz ihres obskuren Forschungsgebiets gelungen war, sich ihre Seriosität zu bewahren. Das machte sie fast zu einer Seelenverwandten des Reporters. Auch sie gehörte zu den zahlreichen Kontaktpersonen, die er zu seinem weltweiten Netzwerk zählte. Ihr gegenüber hatte er bloß die Story vom Baka-Dorf und den Namen Mahamba erwähnen brauchen, da war sie schon Feuer und Flamme gewesen.

»Aber sie glaubt an die Geißel des Dschungels.«

»Eben nicht. Sie glaubt an ein besonders großes Exemplar eines Spitzenprädators. Ob nun als Relikt einer ausgestorbenen Spezies oder als Mutation sei einmal dahingestellt. Aber sie ist weit davon entfernt, diesem Tier übernatürliche Fähigkeiten anzudichten.«

»Im Gegensatz zu dir.«

»Auch ich will mir lediglich ein Bild von den Fakten machen. Wäre ich überzeugt davon, dass Mahamba real ist und keines natürlichen Ursprungs, wäre ich gewiss nicht allein hier angetanzt.«

»Bist du doch auch nicht.«

»Das meine ich nicht.«

Sie nickte. »Ich weiß, du redest von John Sinclair.«

Bill riss erstaunt die Augen auf. »Du kennst ihn?«

»Was wundert dich das? Wer dich kennt, kennt auch John Sinclair. Aber zurück zum Thema. Kuna ist fest davon überzeugt, dass dieser Baka-Stamm Mahamba verehrt, also müssen wir davon ausgehen, dass sie sich in seiner Nähe aufhalten werden.«

»Trotzdem kann ich nicht glauben, dass wir da Erfolg haben werden, wo Dutzende Expeditionen vor uns scheiterten. Selbst der geheimnisvolle Mokele Mbembe ist bisher unentdeckt geblieben.«

Der Mokele Mbembe war, wie Mahamba auch, ein sagenumwobenes Tier, das in den Tiefen des kongolesischen Urwaldes hausen sollte, verborgen und unentdeckt, die Fantasie der Menschen beflügelnd. Wie Nessi gehörten sie zu den unerfüllten Träumen aller Kryptozoologen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, lebende Fossilien aufzuspüren und die Existenz von Spezies zu beweisen, die man für ausgestorben hielt oder ins Reich der Sagen und Legenden verbannt hatte.

Doch seit der Entdeckung des Quastenflossers im Jahr 1938 und der Kurzhalsgiraffe Okapi im Jahr 1901 wurde die Möglichkeit von unbemerkt existierenden Populationen nicht mehr kategorisch als Hirngespinst abgetan. Nur handelte es sich bei Mahamba und Mokele nicht um einen Fisch und ein Säugetier, sondern um ein Riesenkrokodil und einen Langhalssaurier, einen sogenannten Sauropoden, vom Schlage eines Apatosauriers.

»Nun, ich sage ja auch gar nicht, dass wir Mahamba, geschweige denn den Mokele Mbembe finden werden. Uns geht es schließlich um die Baka, die Mahamba verehren.«

Bevor Bill darauf antworten konnte, lenkte ihn ein Rascheln in seinem Rücken ab. Auf dem Stamm sitzend fuhr er herum und atmete auf, als er die schlaksige Gestalt von Kuna erspähte, dessen dunkle Haut ihn mit der ihn umgebenden Finsternis verschmelzen ließ. Es sah fast so aus, als würde die khakifarbene Kleidung körperlos in der Dunkelheit schweben. Ebenso wie die großen weißen Augen, die starr auf die beiden Menschen am Feuer gerichtet waren.

Je näher das Baka den Flammen kam, desto deutlicher erkannte Bill die Schweißtropfen auf der hohen Stirn des jungen Mannes. Im ersten Moment hatte der Reporter angenommen, er wäre durch ihr Gespräch geweckt worden oder dem Ruf der Natur gefolgt. Doch ein Blick in seine fahrigen Augen verriet Bill, dass ihn etwas anderes um den Schlaf gebracht hatte.

Es war die Angst!

»Kuna«, sprach ihn Miranda an und senkte dabei unwillkürlich die Stimme. »Ist was passiert?«

Geduckt schlich er näher, schlug einen kleinen Bogen, sodass er sich zwischen die beiden Engländer vor das schwelende Feuer auf die Fersen hocken konnte. Seine Antwort kam so leise, dass Bill Mühe hatte, sie zu verstehen. Miranda erging es nicht anders, und Kuna sah sich gezwungen, die Worte lauter zu wiederholen. Seine Stimme zitterte dabei unverkennbar.

»Wir werden beobachtet!«

I

Bills Magen verkrampfte sich, und wie aufs Stichwort spürte er, dass die Atmosphäre kippte, gleichwohl er nicht benennen konnte, woran das eigentlich lag.

»Wie kommst du darauf?«, fragte Miranda und kam dem Reporter damit zuvor.

Kuna legte den Kopf in den Nacken und deutete zu den Kronen der Bäume hinauf. »Hört ihr es nicht?«

Da begriff Bill Conolly, und an der Mimik seiner Begleiterin konnte er erkennen, dass es ihr ähnlich erging, denn sie beide hörten rein gar nichts. Während ihres Gesprächs war die Geräuschkulisse um sie herum verstummt. Nur in der Ferne vernahmen sie weiterhin das Kreischen und Schreien der nachtaktiven Tiere, in der Regel Vögel. Dieser Umstand sprach dafür, dass sich erst kürzlich etwas verändert hatte, und Bill vertraute auf Kunas Erfahrung. Der war hier aufgewachsen und selbst wenn der Reporter Zweifel an der Aussage des Baka gehabt hätte, so war Miranda auf jeden Fall bereit, ihrem eingeborenen Führer Glauben zu schenken, und das genügte Bill Conolly vollauf.

Hastig sah er sich um, lockerte die Beretta im Schulterhalfter und griff nach der Machete.

»Wir sollten Marc und Evelyn wecken«, zischte er.

»Warte noch«, flüsterte Miranda genauso scharf zurück. »Wenn wir tatsächlich beobachtet werden, sollten wir den- oder diejenigen nicht aufschrecken.«

Kuna nickte hastig und Bill zeigte sich einverstanden. Seine Hand löste sich vom Griff der Pistole und tastete stattdessen nach dem leistungsstarken Halogenscheinwerfer.

»Was hast du vor?« Bildete er es sich nur ein, oder war ihr Gesicht noch blasser geworden?

Unwillig zog er die Augenbrauen über der Nasenwurzel zusammen. »Sollen wir warten, bis wir festwachsen? Irgendwie müssen wir sie schließlich aus der Reserve …«

Kunas Aufschrei veranlasste Bill, wie von der Viper gebissen aufzuspringen. Er riss den Halogenscheinwerfer hoch und schaltete ihn ein. Der armdicke Lichtstrahl schnitt einen Tunnel in die Finsternis und tastete über Baumstämme und Pflanzengrün. Er folgte Kunas ausgestrecktem Zeigefinger, der schräg nach oben deutete.

Dort bewegte sich tatsächlich etwas. Und es war schnell!

Bill sah eine große Gestalt, die von Ast zu Ast sprang. Im ersten Moment dachte er an einen Affen, doch dann erkannte er, wie geschmeidig das Geschöpf um den Stamm herumwuselte. Der Reporter folgte den Bewegungen und schaffte eine Vierteldrehung, ehe der Lichtkegel den Kopf des heimlichen Beobachters traf. Bill stockte der Atem. Kuna schrie erschrocken auf, während Miranda nur fassungslos keuchte.

»Mein Gott!«

Zu dritt starrten sie auf den Mann, der gut vier Yards über ihnen im Geäst einer Mangrove kauerte und aus starren Augen zu ihnen hinabblickte. Der Reporter schluckte und wusste, dass er nicht umsonst hergekommen war, denn diese Augen waren nicht menschlich.

Sie gehörten einem Reptil!

I

Das Zittern von Bills Arm übertrug sich auf den Lichtstrahl und ließ ihn über die restliche Gestalt huschen, von der nicht alles zu sehen war, da sie sich teilweise hinter dem Baum verbarg.

Soviel der Reporter erkennen konnte, war der Rest dieses Mannes weitestgehend menschlich. Abgesehen vielleicht von den langen Krallen, die kurz in den Schein des Halogenstrahlers gerieten. Am schauerlichsten waren jedoch die Augen mit den geschlitzten Pupillen, und es hätte Bill nicht gewundert, wäre eine gespaltene Zunge zwischen den Lippen hervorgezuckt.

»Wir müssen mit ihm reden«, hauchte Bill. »Kannst du ihn ansprechen, Kuna?«

Der reagierte nicht, sodass der Reporter es riskierte und den Kopf wandte. Dadurch ließ er den Mann im Geäst zwar kurzzeitig aus den Augen, doch er vertraute darauf, dass Miranda ihn weiterhin beobachtete. Die starrte jedoch in dieselbe Richtung wie Kuna.

»Da sind noch mehr von denen!«, flüsterte sie, und Bill drehte sich im Zeitlupentempo in die entsprechende Richtung.

Tatsächlich, der Dschungel hinter den Zelten, in denen der Rest ihres kleinen Teams schlief, geriet in Bewegung. Halbnackte Körper, teilweise geschuppt, traten hinaus ins Licht des Mondes und des Scheinwerfers, dessen Strahl Bill jetzt direkt auf die Neuankömmlinge richtete.

Das Herz klopfte ihm bis zum Hals, als er bei dreien der gut einem Dutzend Männer Krokodilschädel auf den Hälsen sitzen sah. Der Umstand, dass es sich offenbar um Masken handelte, beruhigte ihn keineswegs. Die Augen des Akrobaten im Baum waren echt gewesen, daran bestand für ihn nicht der geringste Zweifel.

»Was wollen die von uns?«, fragte Miranda angstvoll, doch Bill konnte nur die Schultern heben. Er wollte Kuna gerade erneut auffordern, die Baka anzusprechen, als ihr junger Führer durchdrehte. Schreiend rannte er in den nachtschwarzen Dschungel hinein. Bill fluchte und rechnete jeden Moment mit einem Speer, der dem Flüchtenden in den Rücken getrieben wurde, stattdessen vernahm er ein bedrohliches Zischen oder Fauchen aus der Höhe. Ein schwerer Körper fiel vor dem Lagerfeuer auf den freigeschnittenen Waldboden.

Die restlichen Krieger bewegten sich nicht, spielten die Rollen von Statisten und überließen dem Krokodilmenschen das Feld. Der bleckte die Zähne und präsentierte dem Reporter lange, unregelmäßige Fänge wie er sie tatsächlich nur aus den Kiefern der Panzerechsen kannte. Ein länglicher Schatten fegte dicht über den Boden auf ihn zu.

Der Angriff erfolgte so schnell, dass Bill gar nicht wusste, wie ihm geschah, als der seitlich abgeflachte und auf der Oberseite mit einem gezackten Kamm ausgestattete Schwanz ihm die Beine unter dem Körper weg säbelte. Hart krachte er auf den Rücken und wälzte sich augenblicklich herum. Der Strahl des Handscheinwerfers traf den Echsenmenschen von hinten.

Jetzt sah Bill auch, dass er nackt war und der Schwanz tatsächlich aus seinem verlängerten Steißbein wuchs. Der Kamm erstreckte sich dagegen bis über die Wirbelsäule, obwohl die Haut beidseits davon auf Rücken und Schulterblättern eindeutig menschlich war.

Mit einem Satz war Bill wieder auf den Beinen. Er riss die Beretta aus dem Schulterhalfter und feuerte in die Luft, dann nahm er die Verfolgung auf. Äste und Zweige schlugen ihm ins Gesicht und er hoffte inständig, dass er nicht aus Versehen gegen eine Baumschlange lief oder auf eine Puffotter trat.

»Kuna, nicht!«, brüllte er, doch der junge Mann war längst verschwunden. Dafür hörte er hinter sich das Keuchen von Miranda. Bill erhaschte noch einen letzten Blick auf den mutierten Baka, dann schloss sich hinter dessen Rücken das Dickicht. Der Lichtkegel huschte über Blätter und Ranken. Bills Herz pumpte wie wahnsinnig, und der Schweiß lief ihm in Strömen über Gesicht und Körper. Obwohl es Nacht war, war es schwül und stickig, zumindest für Londoner Verhältnisse.

Nach wenigen Metern blieb Bill stehen, aber nicht, weil ihm die Puste ausgegangen war, sondern schlicht und ergreifend, weil eine weitere Verfolgung zwecklos war. Vor sich sah er den Krokodilmenschen geschwind einen Stamm emporklettern und im Blattwerk verschwinden. Kurz darauf bewegte sich raschelnd der danebenstehende Baum, dann der dahinter liegende.

Schwert atmend wandte sich Bill zu seiner Begleiterin um und richtete den Strahl des Scheinwerfers an ihr vorbei, den Weg entlang, den sie gekommen waren. Keiner der anderen Ureinwohner war ihnen gefolgt.

»Verdammt, Miranda. Warum bist du hinter mir her gerannt?«

»Glaubst du, ich bleibe allein bei den Kerlen?«

»Und was ist mit Marc und Evelyn?«, fragte er vorwurfsvoll.

Sie lachte gallig. »Was soll ich denn tun, wenn sie angreifen? Sie mit der Machete niedermetzeln?« Sie hob das Haumesser, das sie geistesgegenwärtig mitgenommen hatte. »Außerdem standen sie da wie die Salzsäulen. Die haben nicht mal gezuckt, als du geschossen hast.«

Der Reporter ließ die Schultern hängen und seufzte schwer. Schließlich hob er den Kopf und rief laut und deutlich den Namen ihres einheimischen Führers. Keine Antwort.

»Ich hoffe nur, dass ihm nichts passiert ist«, fügte er leise hinzu. »Komm lass uns …«

Die gedämpften Schreie einer Frau und eines Mannes, dicht gefolgt von dem kehligen Knurren aus dem Rachen von etwas sehr Großem ließen Bill das Blut in den Adern gefrieren. Zumal es aus der Richtung ihres Lagers kam.

»Verdammt«, fluchte er und warf sich an der schreckensbleichen Miranda vorbei ins Dickicht, das sich hinter ihnen wieder geschlossen hatte.