John Sinclair 2138 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2138 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Gefangene des Echsengottes

Ein ruckartiges Zerren an ihrem linken Bein und ein beißender Schmerz weckten Grace Holy aus ihrer Ohnmacht. Schlagartig war sie hellwach und riss in Panik die Augen auf. Ein dicker rosafarbener Wurm, dessen Ende sich in zwei Spitzen gabelte, schlug ihr mit feuchter, stinkender Wärme ins Gesicht!
Es war eine Zunge, die jetzt wieder in der ledrigen Schnauze des Warans verschwand, der vor ihr kauerte, während sein Artgenosse an ihrem Bein zerrte.
Eine Welle der Übelkeit überschwemmte die junge Frau, als sie begriff, wo sie sich befand. In einem Gehege des Londoner Zoos, inmitten der Komodowarane!
Grace Holy öffnete den Mund und brüllte ihren Schmerz und ihre Todesangst in die Nacht hinaus ...

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Seitenzahl: 145

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Impressum

Gefangene des Echsengottes

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Linda Bucklin/shutterstock

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-8310-2

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Gefangene des Echsengottes

von Ian Rolf Hill

Ein ruckartiges Zerren an ihrem linken Bein und ein beißender Schmerz weckten Grace Holy aus ihrer Ohnmacht. Schlagartig war sie hellwach und riss in Panik die Augen auf. Ein dicker rosafarbener Wurm, dessen Ende sich in zwei Spitzen gabelte, schlug ihr mit feuchter, stinkender Wärme ins Gesicht!

Es war eine Zunge, die jetzt wieder in der ledrigen Schnauze des Warans verschwand, der vor ihr kauerte, während sein Artgenosse an ihrem Bein zerrte.

Eine Welle der Übelkeit überschwemmte die junge Frau, als sie begriff, wo sie sich befand. In einem Gehege des Londoner Zoos, inmitten der Komodowarane!

Grace Holy öffnete den Mund und brüllte ihren Schmerz und ihre Todesangst in die Nacht hinaus …

Siebzehn schwarz vermummte Gestalten standen an der steinernen Balustrade und starrten erbarmungslos auf die Frau, deren Rufe nur von den anderen Tieren des Zoos gehört wurden.

Die wenige Meter von dem Gehege der Komodowarane entfernt schlafenden Affen stießen panische Schreie aus, die wiederum die Vögel und Raubkatzen aufschreckten. Binnen weniger Sekunden war der Zoo in hellem Aufruhr.

Mehr geschah jedoch nicht. Niemand erschien, um Grace Holy zu retten. Sie krallte die Finger beider Hände in den Sand, wollte sich festhalten, als der Waran seine Fänge in das Fleisch ihrer Wade bohrte und daran riss und zerrte.

Grace warf den Kopf in den Nacken und brüllte, bis sie ihre vermummten Beobachter erspähte.

Sie verstummte, und ihr flackernder, tränenumflorter Blick suchte die Gesichter unter den Kapuzen. Er wanderte die Reihen der dunklen Figuren ab und blieb an einer Gestalt hängen, die sich allein durch die Farbe ihrer Kutte von den anderen unterschied.

Sie war schneeweiß.

Auch das Gesicht unter der Fratze leuchtete fahl in der Dunkelheit, die nur schwach von der Lichtkuppel über der Millionenstadt erhellt wurde.

Nur die Augen in der bleichen Fratze schimmerten rötlich.

Die dürren Finger umklammerten einen knorrigen Stab, der Ähnlichkeit mit einer versteinerten Schlange besaß.

»B…bitte! Helfen Sie mir!«, wimmerte die Frau.

Der bleiche Mann verzog die strichdünnen Lippen zu einem faunischen Grinsen.

Kein Wort drang aus dem Mund, trotzdem ahnte Grace Holy, dass ihr Schicksal besiegelt war. Der Waran, der mit seiner Zunge über ihr Gesicht gestrichen hatte, schoss vor und grub seine Zähne in die Schulter der Frau.

Sie kreischte so laut, dass sich ihre Stimme überschlug.

Gleichzeitig zerrte der zweite Waran an ihrem Bein, und ein widerwärtiges Knirschen erklang. Aus dem Dunkel eines überhängenden Felsens schob sich eine weitere Riesenechse ins fahle Licht des Mondes. Kurz darauf entbrannte ein Tauziehen unter den Raubtieren, die Grace Holy unter den Blicken der Vermummten und ihres Anführers zerrissen.

Das Schreien der jungen Frau brach ab, endete in einem schwachen Gurgeln und verebbte schließlich ganz.

In den folgenden Sekunden war nur das Reißen und Schmatzen zu vernehmen, als die Tiere sich über ihre Beute hermachten. Der bleiche Mann in der weißen Kutte beobachtete mit brennenden Augen wie sich aus dem Schatten eines knorrigen Baums eine weitere Gestalt löste. Auch sie war vollkommen schwarz gekleidet und schritt lautlos auf die fressenden Warane zu, die sich an dem Neuankömmling nicht störten.

Selbst als dieser sich zwischen die Leiber zweier Riesenechsen zwängte und mit der Hand nach dem Büschel rostroten Haares griff, das aus dem Fleisch herausragte, ließen die Warane den Mann gewähren.

Schmatzend löste sich der Kopf vom Rumpf.

Der Vermummte trat zurück, hob den Blick der geschlitzten Pupillen zu seinem Anführer, der knapp nickte.

Im nächsten Moment flog der Kopf von Grace Holy durch die Luft und wurde von dem Mann in der Kutte geschickt aufgefangen. Dessen rote Augen funkelten in erwartungsvoller Gier. Das Fleisch für die Komodowarane, das Gehirn für ihn.

Er brauchte Kraft für die bevorstehenden Ereignisse, die heute Nacht in die Wege geleitet worden waren. Eigentlich schon sehr viel früher, doch jetzt war der Zeitpunkt, wo der Plan in die heiße Phase überging.

Am Ende stand die Vernichtung von John Sinclair und dessen Team. Allen voran den Conollys, dicht gefolgt von dem Chinesen Suko. Keiner sollte verschont werden. Dafür würde sein mächtiger Verbündeter, der Echsengott, schon sorgen.

Fachan, der dunkle Druide aus Aibon, frohlockte und entblößte dabei zwei Reihen winziger, spitzer Zähne.

»Kommt schnell! Nun kommt doch. Kommt! Kommt! Kommt!«

Emily Preston hängte sich mit ihrem Kampfgewicht von dreißig Kilo an den Trenchcoat ihres Großonkels und stemmte sich mit den Füßen gegen den Boden. Trotzdem ließ sich der Mann mit dem zerknautschten Gesicht und dem alten Filz auf dem Kopf nur schwer in Bewegung versetzen.

Er ächzte und schob dabei den Stummel seiner erkalteten Zigarre von einem Mundwinkel in den anderen. »Ja doch, mein Kind. Ein alter Mann ist doch kein D-Zug.«

»Was ist ein D-Zug?«

Chiefinspektor Tanner riss verblüfft die Augen auf und ließ sich wieder auf die Bank vor dem Nilpferdgehege plumpsen. Seine Frau Kate konnte sich das Grinsen nicht verkneifen, als sie aus dem Augenwinkel sah, wie einer der Dickhäuter im selben Augenblick schwerfällig auf die Seite sank und ein tiefes Seufzen ausstieß.

Dabei hatte das Nilpferd im Gegensatz zu ihrem Gatten noch einen verhältnismäßig eleganten Eindruck gemacht.

»Du weißt nicht, was ein D-Zug ist?«, fragte Tanner, und seine Großnichte schüttelte den Kopf, dass die blonden Haare nur so flogen. »Kate, wann sind wir bloß so alt geworden?«

»Sprich bitte nur für dich, mein Lieber. Außerdem warst du schon immer alt.«

Er lächelte, beziehungsweise versuchte es, denn mit dem Zigarrenstumpen im Mundwinkel war das gar nicht so leicht. »Selbst als wir geheiratet haben?«

»Selbst als wir geheiratet haben.«

»Und was warst du?«

Kate hob den Zeigefinger. »Vorsicht, mein Lieber. Du bewegst dich gerade auf verdammt dünnem Eis. Ich war ein junges, unschuldiges Ding vom Lande …«

Tanner hustete, doch Kate ließ sich nicht beirren.

»… das nicht wusste, auf was es sich einließ.«

»Und seitdem bist du um keinen Tag gealtert. Wie guter Rotwein.«

Kate verdrehte die Augen. »Oh bitte. Deine Versuche, romantisch zu sein, waren auch schon mal origineller.«

»Opa!«, drängelte Emily, die in der Zwischenzeit nicht müde geworden war an dem alten Chiefinspektor herum zu zergeln. »Was ist denn nun ein D-Zug?«

»Ja, Opa«, stichelte Kate. »Was ist denn nun ein D-Zug?«

Tanner erhob sich. »Der D-Zug heißt D-Zug, weil er durchfährt und nicht an jeder Station Halt macht. Deshalb ist er schneller als andere.«

Emily unterbrach ihre Bemühungen ihren Großonkel hinter sich her zu ziehen und betrachtete ihn mit einer Mischung aus Skepsis und Neugier. »Aha.« Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: »Stimmt. Du bist kein D-Zug.«

Mit gespielter Empörung wandte sich Tanner zu seiner Frau um. »Hast du das gehört, Kate? Diese Jugend von heute. Kein Respekt mehr vor dem Alter. Als ich so jung war …«

»Du warst nie so jung, mein Lieber. Du bist doch schon mit diesem knittrigen alten Lumpen, dem ollen Hut und der Zigarre auf die Welt gekommen.«

»Jetzt kommt doch endlich!«, quengelte Emily. »Sonst sind die Warane schon satt, wenn wir da sind.«

Kate nickte und hakte sich bei ihrem Gatten unter. »Du hast gehört, was die junge Dame gesagt hat. Komm schon, du alter Sauertopf. Wir wollen doch nicht verpassen, wie sich ein Haufen Riesenechsen um ein Stück rohes Fleisch balgt.«

»Gott bewahre!«, antwortete Tanner und seufzte.

Sie folgten ihrer Großnichte Emily in Richtung Reptilienhaus, vor dem sich das große Freigehege mit den Komodowaranen befand. Emily hatte sich diesen Ausflug in den Zoo schon seit Langem gewünscht. Ihre Mutter Vera, Tanners Nichte, hatte nichts dagegen gehabt. Ganz im Gegenteil, sie freute sich, dass sich ihr Onkel die Zeit für seine Großnichte nahm, die ihn wie den eigenen Großvater liebte und Kate und ihn deshalb kurzerhand auch nur Oma und Opa nannte.

Sie waren schon seit geschlagenen vier Stunden im Zoo, hatten aber gerade einmal die Hälfte des riesigen Areals gesehen. Und jetzt, um kurz vor dreizehn Uhr, sollten die Komodowarane gefüttert werden. Ein Spektakel, dass sich viele Besucher nicht entgehen lassen wollten.

Merkwürdig, fand Tanner. In Disney-Filmen und diversen Trickserien wurden immer die Beutetiere vermenschlicht und ihre natürlichen Feinde zu Bösewichtern hochstilisiert. Aber niemand wollte Hasen, Rehen oder Antilopen beim Fressen zusehen. Dem Nervenkitzel einer Raubtierfütterung dagegen konnten sich nur die Wenigsten entziehen.

Entsprechend gut besucht war auch die Veranstaltung. Eine Traube aus Menschen hatte sich um die Betonumrandung versammelt und wartete auf das Erscheinen der Tierpfleger mit der Beute. Hinter der Brüstung befand sich ein breiter Graben, gefolgt von dem eigentlichen Gehege, das aus einem großen sandigen Platz bestand, an den sich wiederum ein überschaubarer künstlicher Dschungel anschloss, in dem die Tiere Unterschlupf und Deckung fanden. Sehr zum Leidwesen vieler Besucher, die erwarteten, dass die Echsen sich zeigten und am besten noch diverse Kunststücke aufführten. Zumindest aber nicht lethargisch herumlagen.

Vielleicht waren die Fütterungen ja deshalb so beliebt.

»Puh, da kommen wir ja niemals durch«, kommentierte Tanner mit einem Stöhnen, als er die zahlreichen Besucher und Touristen sah, die sich um das Gehege drängten. Ein lautes Dröhnen erklang aus einem Seitenweg, den das ältere Paar mit der Großnichte gerade passierte. Einer der vielen, sich unermüdlich im Dienst befindlichen Gärtner des Zoos schob gerade ein Bündel Ligusterzweige, die beim Stutzen einer Hecke abgefallen waren, in die Öffnung eines mannshohen Gartenhäckslers.

Die Reste stoben in einem Strahl winziger Splitter aus dem Auswurf in den Auffangbehälter.

»Opa, ich kann nichts sehen«, sagte Emily und sah Tanner aus ihren blauen Augen so traurig an, dass der gar nicht anders konnte, als sich zu bücken und sie auf seine Schultern zu heben.

»So besser, mein Schatz?«, fragte er und schob sich zwischen die restlichen Zuschauer, von denen die meisten bereitwillig Platz machten.

Emily jauchzte vergnügt und trommelte auf seinem alten Filz herum, der immer tiefer rutschte, sodass Tanner selbst kaum noch was erkennen konnte. Nicht, dass er sonderlich viel Wert darauf legte, die unheimlichen Riesenechsen dabei zu beobachten, wie sie ein halbes Schwein zerlegten, das jetzt mit Hilfe eines kleinen Hydraulik-Krans über das Gehege geschwenkt wurde.

Offenbar kannten die Warane das summende Geräusch des Motors bereits, denn es dauerte nicht lange, bis sich die ersten Riesenechsen blicken ließen. Vielleicht spürten sie auch die winzigen Erschütterungen oder hatten sich einfach an den täglichen Rhythmus gewöhnt.

Tanner war sich nicht sicher. Konnten Komodowarane überhaupt hören?

Schlangen waren ja bekanntlich taub, spürten aber die Erschütterungen des Bodens. Andererseits lagen sie ja auch mit dem gesamten Körper auf der Erde. Zumindest aber wusste Tanner, dass die Warane mit ihrer Zunge riechen konnten. Doch wie auch immer die Echsen auf ihre Beute aufmerksam wurden, für die meisten Zuschauer war nur wichtig, dass sich die Hauptdarsteller des bevorstehenden Spektakels endlich blicken ließen.

Zwei riesige, drei Meter lange Körper mit schuppiger Haut schoben sich schwerfällig ins Sonnenlicht. Der Himmel war zwar nicht wolkenfrei, aber es gab genug Lücken, durch die die Strahlen hindurchgelangten. Glücklicherweise regnete es nicht.

Tanner lauschte den Kommentaren der restlichen Besucher und auch Emily schien gebannt zuzusehen. Jedenfalls hatte das beständige Klopfen auf seinen Hut aufgehört.

Der Chiefinspektor konnte nicht sehen, wo Kate steckte. Vermutlich hielt sie sich weiter im Hintergrund und schenkte ihrem Gatten und dessen Großnichte mehr Aufmerksamkeit als den Komodowaranen. Wahrscheinlich hielt sie längst ihr Smartphone in der Hand und machte ein paar Aufnahmen für den WhatsApp-Status.

Tanner sollte es recht sein, auch wenn er damit nicht viel am Hut hatte.

Aber er wusste, wie glücklich sie war, Zeit mit Emily verbringen zu dürfen. Zumal es ihnen ja nicht vergönnt gewesen war, eigene Kinder, geschweige denn Enkel, zu bekommen.

Er wurde abgelenkt, als der vordere Waran sich auf die Hinterbeine stemmte und seine Krallen und Zähne in das am Haken baumelnde Fleisch schlug.

Auch Emily quiekte, halb vergnügt, halb angeekelt.

Ein Spaß für die ganze Familie, dachte Tanner. Als ob ich in meinem Job nicht schon mehr als genug Blut zu Gesicht bekomme.

Plötzlich war er froh, dass ihm seine Großnichte die Hutkrempe tief über die Augen gedrückt hatte. Auch der zweite Waran beteiligt sich an dem Gemetzel. Nur der Dritte, der sich behäbig unter dem von Dickicht überwucherten Felsen ins Freie schob, hielt sich zurück. Tanner verengte die Augen zu schmalen Schlitzen, als er sah, wie die Flanken des Tieres zu zittern begannen.

Kurz darauf würgte die Echse einen schleimigen Batzen hervor. Vermutlich unverdauliche Knochen- oder Fellreste. Vielleicht auch Pflanzen, die heruntergewürgt worden waren, so wie es Katzen machen, wenn sie Gras fressen. Tanner zuckte zusammen, als Emily auf seinen Schultern anfing zu schreien.

Jetzt haben wir den Salat, dachte der Chiefinspektor, der natürlich der Meinung war, dass der Anblick der fressenden Warane zu viel für Emily gewesen war. Innerlich wappnete er sich schon gegen die Vorwürfe seiner Nichte Vera, die ihm gehörig die Leviten lesen würde, wenn Emily die nächsten Nächte wieder nicht schlafen konnte.

Hastig drehte sich Tanner um und drängelte sich zwischen den Zuschauern hindurch auf den breiten Weg, wo Kate bereits auf sie wartete. Das feuchte Knirschen und Knacken, mit dem die Riesenechsen ihre Beute zerlegten, wurde leiser.

Kates besorgtes Gesicht erschien in Tanners Blickfeld. Sie strecke die Arme nach Emily aus, sodass sich der Chiefinspektor nur leicht vorzubeugen brauchte, damit das Kind in die auffangbereiten Hände ihrer Großtante fallen konnte.

»Himmel, Emily. Ist doch alles gut! Das ist nur eine Schweinehälfte. Erinnerst du dich noch an das Spanferkel bei Daddys Vereidigung?«

Emily schüttelte den Kopf, während dicke Tränen über ihre Bäckchen kullerten.

Ich schon, schoss es Tanner durch den Kopf. Ein gewisser Oberinspektor von Scotland Yard, den man scherzhaft auch Geisterjäger nannte, hatte das halbe Schwein fast im Alleingang vertilgt.

Tanner standen die Bilder noch lebhaft vor Augen. Dagegen war der Anblick fressender Komodowarane Kinderkram.

»Ich … hab … nicht … wegen der … Warane … geschrien!«, brachte Emily unter schluchzenden Lauten hervor.

Jetzt stutzte auch Tanner und ging neben seiner Großnichte in die Hocke. »Ach nein? Ja, aber weswegen dann?«

Das Kind drehte sich um und deutete auf die Menschenmenge, die immer noch gebannt in das Gehege spähte und der Faszination der Raubtierfütterung erlegen war. Niemand von ihnen schien etwas Außergewöhnliches zu sehen. Doch Tanner hatte in seiner langjährigen Laufbahn schon zu viel erlebt, um Aussagen, selbst wenn sie von Kindern stammten, leichtfertig abzutun. Allein die Bekanntschaft mit dem eben erwähnten Geisterjäger hatte ihn gelehrt stets Augen und Ohren offen zu halten.

Selbst wenn er nicht im Dienst war.

»Der … der andere Waran. Der hat was ausgespuckt.«

»Ja, ich hab’s gesehen«, bestätigte Tanner. »Schatz, das waren Knochen und Fellreste, vielleicht ein paar Pflanzenfasern oder …«

»Nein!«, schrie Emily außer sich. »Das waren keine Pflanzen oder Knochen. Das waren Haare!«

Tanner versteifte sich augenblicklich und sah alarmiert über die Schulter. Noch immer zeigte keiner der anderen Zuschauer eine auffällige Reaktion. Als der Chiefinspektor den Kopf wieder drehte, fing er Kates Blick auf.

»Du willst doch nicht …«

Langsam drückte er sich aus der Hocke nach oben und hörte, wie seine Gelenke knackten. Nein, er war nicht mehr der Jüngste, aber er war Polizist und Leiter der Mordkommission.

»Ich muss wenigstens mal nachsehen.«

Emily blickte abwechselnd von einem der Erwachsenen zum anderen. »Heißt das, du glaubst mir?«

Er schob sich den Filz in den Nacken und strich sich den Schweiß von der Stirn. Dann nahm er den Zigarrenstumpen aus dem Mundwinkel und warf ihn zielsicher in einen Müllkorb, die überall im Zoo verteilt an strategisch wichtigen Punkten standen.

»Ja, ich glaube dir.« Er nickte und beobachtete, wie Kate mit den Augen rollte. »Zumindest, dass du was gesehen hast. Ob es sich dabei wirklich um Haare gehandelt hat …«

»Es waren Haare!« Emily Preston stampfte mit dem Fuß auf, verschränkte die Ärmchen vor der Brust und stülpte die Unterlippe vor.

Ja, das hatte Vera auch immer gut hinbekommen.

Tanner hob abwehrend beide Hände. »Schon gut, Emily. Das muss nicht jeder mitbekommen, okay? Du hast etwas gesehen, das wie Haare aussah. Aber als Polizist muss ich sichergehen, verstehst du? Das macht Daddy ganz genauso.«

»Und wie willst du das machen?«, fragte das Mädchen neugierig. »Du kannst doch nicht zu den Waranen in die Grube klettern. Das ist viel zu gefährlich.«

Wider Willen musste er schmunzeln, und Kate ging es glücklicherweise nicht anders. Rasch sah sich Tanner um. Er deutete den Seitenweg hinunter, der unter anderem zur Rückseite des Reptilienhauses führte. Dort musste es auch einen Zugang zum Gehege der Komodowarane geben.

»Ich schaue mich dort hinten mal um und versuche jemanden zu finden, der sich hier auskennt.«

»Der Tierpfleger, der die Warane gefüttert hat«, rief Emily aufgeregt.

»Ganz recht.« Tanner verspürte einen Anflug von Stolz auf seine Großnichte, der gleich darauf tiefer Sorge wich. Hoffentlich entpuppte sich dies nicht als Fall für seinen Freund John Sinclair. Dann konnte es schnell gefährlich werden und er wollte weder Emily noch Kate in Gefahr bringen.

»Darf ich mitkommen?«, fragte Emily in diesem Moment, und Kates Gesichtszüge entgleisten regelrecht.

»Kommt gar nicht infrage.« Sie funkelte ihren Gatten böse an. »Muss das jetzt sein?«, zischte sie, doch Tanner war nicht gewillt, dieses Mal klein beizugeben.

»Was soll ich machen? Wenn da wirklich was dran ist, muss ich der Sache auf den Grund gehen.«

»Dann verständige deine Kollegen. Du hast schließlich frei.«