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Der Spuk, die Hölle und wir
(2. Teil)
Gestrandet in der Hölle!
Eine andere Erklärung fiel Lieutenant Vivien Forbes beim besten Willen nicht ein, als sie durch die Korridore des Flugzeugträgers eilte, um Captain Lewis Aldridge Meldung zu erstatten. Da sämtliche elektronischen Geräte ausgefallen und funktionsuntauglich waren, musste die Informationskette auf altmodische Weise aufrechterhalten werden.
Aus taktischen Gründen hatte Aldridge angeordnet, die Brücke zu räumen und die Kommandozentrale in die Offiziersmesse zu verlegen.
Dorthin war Vivien jetzt auf dem Weg - um dem Captain mitzuteilen, dass sein erster Offizier aller Wahrscheinlichkeit nach tot war. Ermordet von einer grauenhaften Kreatur, wie sie Vivien selbst in ihren schlimmsten Albträumen noch nicht zu Gesicht bekommen hatte.
Sollte es sich bei dieser Welt tatsächlich um die Hölle handeln, konnte das Scheusal eigentlich nur einer sein - der Leibhaftige persönlich ...
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Seitenzahl: 148
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Der Spuk, die Hölle und wir
Briefe aus der Gruft
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Timo Wuerz
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8712-4
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Der Spuk, die Hölle und wir
(2. Teil)
von Ian Rolf Hill
Gestrandet in der Hölle!
Eine andere Erklärung fiel Lieutenant Vivien Forbes beim besten Willen nicht ein, als sie durch die Korridore des Flugzeugträgers eilte, um Captain Lewis Aldridge Meldung zu erstatten. Da sämtliche elektronischen Geräte ausgefallen und funktionsuntauglich waren, musste die Informationskette auf altmodische Weise aufrechterhalten werden.
Aus taktischen Gründen hatte Aldridge angeordnet, die Brücke zu räumen und die Kommandozentrale in die Offiziersmesse zu verlegen.
Dorthin war Vivien jetzt auf dem Weg – um dem Captain mitzuteilen, dass sein Erster Offizier aller Wahrscheinlichkeit nach tot war. Ermordet von einer grauenhaften Kreatur, wie sie Vivien selbst in ihren schlimmsten Albträumen noch nicht zu Gesicht bekommen hatte.
Sollte es sich bei dieser Welt tatsächlich um die Hölle handeln, konnte das Scheusal eigentlich nur einer sein – der Leibhaftige persönlich …
Leuchtstreifen an Boden und Wänden wiesen ihr den Weg.
Wen sie unterwegs traf, den schrie sie an, dass höchste Gefahr drohte. Als Vivien die Offiziersmesse erreichte, da hatte sich ein Pulk aus Offizieren, Soldaten und Matrosen hinter ihr gebildet, die ebenfalls wissen wollten, was vorgefallen war.
Nicht bloß aus reiner Neugier, sondern vor allem, um etwaige Befehle des Captains per pedes weiterzuleiten.
Der stand im Schein mehrerer Kerzen mit seinem Master Chief Warren Kelley und dem Schiffsarzt Doktor Zackary Malone vor einer Blaupause der USS Abraham Lincoln. Da auch alle Batterien an Bord auf geheimnisvolle Weise entladen waren, mussten sie improvisieren.
Eines der dringlichsten Probleme war das Kühlen der Kernreaktoren, mit denen der Flugzeugträger angetrieben wurde. Noch war das kritische Level nicht erreicht, doch es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis die Kühlung versagte und die Brennstäbe überhitzten. Dann standen sie vor der Wahl: Hinaus in die feindliche Umwelt oder gemeinsam mit dem Schiff untergehen.
Für Captain Lewis Aldridge war Letzteres keine Option!
Solange auch nur die geringste Chance bestand, dass die Mannschaft überlebte, würden sie diese nutzen.
Aldridge und seine Kameraden blickten verblüfft auf, als Lieutenant Vivien Forbes unangemeldet in die Messe platze. Warren Kelleys Miene umwölkte sich, doch das war die junge Offizierin gewohnt, alles andere hätte sie bei diesem Griesgram auch gewundert.
»Captain! Wir … wir werden angegriffen!«
»Das ist ja mal was ganz Neues!«, ereiferte sich Kelley und fing sich dafür einen Rüffel des Captains ein.
»Sei still, Warren. Bericht, Lieutenant!«
Vivien Forbes musste sich am Rand des Tisches abstützen. Ihr Atem ging schnell und schwer. Schweiß rann ihr in Strömen über Gesicht und Nacken und versickerte im Stoff der Uniformjacke.
Sie war nicht allein wegen des kurzen Sprints durch den Schiffsbauch derart außer Atem, in erster Linie war es die Angst, die sie fest im Griff hielt.
»Wir standen auf der Brücke«, japste Vivien, »Commander Tempelton und ich. Wir haben beobachtet, wie Stevenson und seine Leute gegen die Mutanten kämpften. Und sie haben es geschafft! Die Blendgranaten und Flammenwerfer haben den Mistviechern ganz schön eingeheizt. Doch dann …«
Die Stimme der jungen Frau kippte. Sie musste schlucken und kämpfte gegen die Tränen an.
»Reißen Sie sich zusammen, Lieutenant!«, brüllte Kelley.
Dieses Mal wurde er von Aldridge nicht zur Räson gerufen, und so widersinnig es sein mochte, die Standpauke half Vivien, sich wieder zu sammeln.
»Es kam durch die Fenster der Kommandobrücke. Es muss an der Wand hinaufgeklettert sein!«
»Ein Mutant?«, fragte der Captain.
»Nein, Sir! Es war … es war … der Teufel!«
Sekundenlang herrschte eisiges Schweigen in der Offiziersmesse. Bis Warren Kelleys dröhnender Bass sie zerriss. »Reden Sie keinen Unsinn, Lieutenant!«
»Nun lassen Sie das Mädchen doch mal ausreden, Kelley«, meldete sich Malone zu Wort. Normalerweise hätte sich Vivien über die sexistische Anrede geärgert, doch sie wusste, dass es der ruppige Schiffsarzt nicht böse meinte, und schließlich brachte er Kelley damit zum Schweigen, und das war das Wichtigste.
»Beschreiben Sie ihn!«, forderte Malone.
»Er … er hat graue Haut und ist völlig nackt. Er hat überall blutige Wunden. Er … Es hat keine Augen, nur ein riesiges Maul und aus seinem Kopf ragen Hörner, auf denen etwas steckt. So eine Art Bogen. Wie eine Krone.«
Aldridge runzelte die Stirn und warf Kelley und Malone fragende Blicke zu. »Was halten Sie davon, meine Herren?«
»Gar nichts«, bellte der Master Chief. »Die Kleine steht unter Schock und …«
»Ich bin nicht Ihre Kleine!«, brüllte Vivien außer sich. »Und ich weiß, was ich gesehen habe. Aus seinen Händen wuchsen Klingen. Es hat uns ohne Vorwarnung angegriffen. Commander Templeton hat auf es geschossen und es hat die Kugel geschluckt wie nichts. Sie befahl mir Meldung zu machen und …«
Captain Lewis Aldridge schnitt ihr mit einer knappen Handbewegung das Wort ab.
»Warren! Stell einen Stoßtrupp zusammen. Wir rücken nach.«
»Sir!«, rief Vivien. »Da ist noch was!«
»Sprechen Sie, Lieutenant!«
»Als ich die Brücke verließ, da … explodierte etwas auf dem Flugdeck!«
»Vermutlich hat einer von Stevensons Männern eine Granate gezündet!«, erklärte Aldridge.
»Vielleicht!«, murmelte Vivien kleinlaut. »Ich wollte es nur erwähnt haben.«
»Danke, Lieutenant. Wegtreten.«
Vivien Forbes blieb stehen.
»Wegtreten hat der Captain gesagt!«, donnerte Kelley.
»Sir, ich würde mich dem Stoßtrupp gerne anschließen!«
Der Master Chief seufzte, schwieg aber zu ihrer Überraschung.
»Genehmigt!«, erklärte Captain Lewis Aldridge und gab seine Befehle an die umstehenden Männer. Es galt nicht nur, das Flugdeck und das Deckshaus mit der Kommandobrücke zurückzuerobern, sondern auch zu verhindern, dass die Mutanten in das Innere des Schiffes vordrangen.
Knapp fünfzig Männer und Frauen, alle bis an die Zähne bewaffnet, machten sich unter dem Kommando von Captain Aldridge und Master Chief Kelley fünfzehn Minuten später auf den Weg. Sie trugen nicht nur M4-Sturmgewehre, Blend- und Handgranaten bei sich. Darüber hinaus waren sie mit Körperpanzern und Magnesiumfackeln ausgerüstet. Die restlichen zwei Flammenwerfer waren auf die beiden Stoßtrupps verteilt worden.
Die Hälfte der Leute, angeführt von Kelley, sollten das Deckshaus sichern, die andere Hälfte, unter dem Kommando von Captain Lewis Aldridge, würde sich das Flugdeck vornehmen und zu Stevenson und seinen Männern aufschließen.
Vivien hätte sich zwar lieber dem Captain angeschlossen, wurde aber Kelley zugeteilt. Schließlich war sie zuletzt auf der Brücke gewesen, und auch wenn sie sich davor fürchtete, die Leiche von Lucinda Tempelton zu finden, so befolgte sie den Befehl kommentarlos.
Vielleicht hatte die erste Offizierin es ja geschafft.
Tief in ihrem Inneren wusste Vivien zwar, dass die Chancen dafür verschwindend gering waren, doch die Hoffnung starb zuletzt, und Hoffnung war das Einzige, was ihnen geblieben war.
Noch jetzt glaubte Vivien, die grauenhaften Schreie von Commander Templeton zu hören, als sie dicht hinter Kelley die Stufen der Metalltreppe emporeilte.
Ihr Hals fühlte sich an, als hätte sie eine Gallone Reißnägel geschluckt. Das schwere M4 lag wie ein Fremdkörper in ihren kalten, klammen Händen. Verzweifelt bemühte sie sich, nicht an die grauenhafte Gestalt zu denken, deren Anblick allein ausgereicht hatte, um ihr körperliches Unbehagen zu bereiten.
Etage für Etage durchsuchten sie das Deckshaus, das wegen seiner prominenten Bauweise auch als Insel bezeichnet wurde. Eine menschenleere Insel wohlgemerkt. Selbst die Kommandobrücke war verwaist. Kalter Wind fegte durch die geborstenen Scheiben und brachte die widerwärtigen Flocken mit sich, die in dieser Welt unablässig in der Luft schwebten und offenbar aus den Hautschuppen verwester Leichen bestanden!
Allein der Gedanke verursachte bei Vivien Forbes Übelkeit.
Allerdings nicht annähernd so stark wie das, was sich ihren Augen im rötlichen Schein der Magnesiumfackeln offenbarte, als sie auf der weitläufigen Brücke standen.
Das Blut war bis an die Decke gespritzt und klebte auch auf den Instrumenten und Bildschirmen. Dünne Stofffetzen flatterten im Wind.
Einige stammten zweifelsohne von Lucindas Uniform, die anderen …
»Sir!«, meldete einer der Soldaten, und allein wie er das einsilbige Wort aussprach, verriet das Ausmaß seiner Erschütterung. »Das ist Haut!«
Schwindel erfasste Vivien, die taumelte und fast noch auf einer Blutlache ausgerutscht wäre. Ihr Wimmern mischte sich mit dem schwachen Heulen des Windes, das von außen durch die Brücke wehte. Vivien blinzelte hektisch, als ihr bewusst wurde, dass auch die Frontscheibe zerstört war.
Als der Teufel auf die Brücke gekommen war, hatte er die Seitenscheibe zertrümmert. Das Blut und die Fleischfetzen an den Resten der gesplitterten Scheibe verrieten der jungen Frau, was mit dem Leichnam der ersten Offizierin geschehen war.
Warren Kelley war dicht an die Instrumente herangetreten. Fünf, sechs Soldaten gesellten sich zu ihm. Alle schwiegen betroffen, während sie mit steinernen Mienen auf das Flugdeck starrten.
»Mein Gott!«, entführ es jemandem, und Vivien hörte, wie ihre Zähne zu klappern begannen. Eine unsichtbare Schlinge legte sich um ihren Hals und zog sich unbarmherzig zu. Wie ferngesteuert wankte sie zur Frontscheibe, stets darauf achtend, den Hautfetzen nicht zu nah zu kommen, die Lucinda Templeton im wahrsten Sinne des Wortes in Streifen abgezogen worden waren.
Doch was Vivien Forbes dann zu sehen bekam, war selbst nach diesem Anblick ein Schock!
Mit einem Mal begriff sie, dass das leise Heulen keineswegs vom Wind stammte. Zischend erloschen die Magnesiumfackeln auf der Brücke, sodass sie das Gemetzel auf dem Flugdeck noch besser erkennen konnten.
☆
Ohne einen Laut von sich zu geben, brach Abe Douglas zusammen.
Der Anblick versetzt mir einen Schock, der mich sekundenlang lähmte. Rudy und Suko schien es nicht anders zu ergehen. Nur Matthias lachte hämisch.
Diese Laute lösten die Starre. Das lähmende Entsetzen wich kalter Wut über den kaltblütigen Mord, für den ich Stephanie nicht zur Rechenschaft ziehen konnte, denn offenbar stand sie unter dem Einfluss von Luzifers Statthalter.
Ich wirbelte herum und schlug aus der Drehung heraus zu.
Meine Faust krachte in Matthias’ Gesicht und schleuderte ihn zurück. Für einen winzigen Augenblick verspürte ich tatsächlich so etwas wie Befriedigung, ungeachtet der Schmerzen, die bis hinauf in die Schulter zuckten.
Bis mir bewusst wurde, was hier gerade geschehen war!
Abe Douglas, mein langjähriger Freund, war vor meinen Augen erschossen worden!
Und seine Henkerin stand keine fünf Schritte von mir entfernt, ohne sich vom Fleck zu rühren. Selbst die Pistole hielt sie weiterhin in der ausgestreckten Hand. Die Mündung wies an mir vorbei. Es sah so aus, als wäre Stephanie in der Bewegung eingefroren. Sie traf keine Anstalten, den Arm zu schwenken, um mich oder einen meiner Freunde ins Visier zu nehmen.
Dennoch mussten wir ihr die Waffe abnehmen, und ich fragte mich automatisch, warum Suko nicht längst eingegriffen hatte.
Das erfuhr ich, als ich mich zu ihm umdrehte, und bekam den nächsten Schock.
Mein Partner war verschwunden, und Rudy Grenville wälzte sich stöhnend am Boden. Ich wollte ihn ansprechen und fragen, was passiert war, als mich Stephanies greller Entsetzensschrei ablenkte.
Mit einem Mal überschlugen sich die Ereignisse, und ich fühlte mich allein und überfordert. Die Situation war mir entglitten, doch wenn ich ehrlich zu mir selbst war, musste ich eingestehen, dass die Kontrolle von Anfang an in den Händen meiner Feinde gelegen hatte.
Im Prinzip seit Asmodis mich vor Niridis gerettet hatte. Später, auf dem Flug in die Staaten, hatte er mir einen Pakt angeboten. Ich hatte abgelehnt, doch so leicht gab die Hölle nicht auf. In der Küche von Rudy Grenville waren wir auf Matthias getroffen, der mir erneut ein Bündnis vorschlug.
Ein Bündnis gegen die Schwarzen Diener.
Aber auch gegen den Spuk, den letzten der Großen Alten, die diese Dämonen als Lakaien für ihren Tyrannen, den Schwarzen Tod, erschaffen hatten.
Und wieder hatte ich abgelehnt, nur um kurz darauf widerwillig einzulenken, denn der Weg nach Toghan war uns verwehrt. Selbst Rudy kannte ihn nicht. Er vermochte dessen Magie zwar zu spüren, konnte sie aber nicht nutzen.
Wenn aber Matthias und Asmodis so viel Wert auf eine Zusammenarbeit legten, warum töteten sie dann einen meiner Freunde?
Selbst solchen gefühllosen Kreaturen wie dem Satan und seinem menschlichen Vertreter auf Erden musste klar sein, dass ich das nicht auf mir sitzen lassen würde.
Stephanie Kruger, Abes Freundin, hatte die Pistole fallen gelassen, als handele es sich um ein widerwärtiges Insekt. Sie wusste nicht, wen sie zuerst ansehen sollte. Uns oder ihren toten Freund.
Die Entscheidung wurde ihr abgenommen, denn die Knie gaben unter ihr nach. Neben der Leiche des G-Man sank die Meeresbiologin zu Boden. Sie beugte sich vor, griff nach der Hand des Toten und legte ihre Stirn auf seine Brust, wobei sie unablässig schluchzte.
Und ich, John Sinclair, konnte nichts für sie oder meinen Freund tun!
Wirklich gar nichts?
Doch, ich konnte den eigentlichen Mörder zur Rechenschaft ziehen!
Lange genug hatte ich mich von Matthias an der Nase herumführen lassen. Luzifer mochte mein Kreuz neutralisiert haben, aber ich besaß noch andere Waffen und zog den magischen Bumerang.
Einmal war der Sohn der Finsternis der silbernen Banane schon entkommen. Damals in der Hölle …
Jetzt befanden wir uns jedoch auf der Erde. Luzifer würde mehr als genug damit zu tun haben, das Kreuz und die vier Erzengel in Schach zu halten. Mein Fausthieb hatte Matthias offenbar auf dem falschen Fuß erwischt und von den Beinen geholt. Verletzt war er nicht, wohl aber verärgert. Er kam eben wieder auf die Füße, als ich bereits zum Wurf ausholte.
»Das würde ich an deiner Stelle nicht tun!«, sagte er und seine Augen leuchteten tiefblau.
Ich antwortete nicht. Die Zeit des Redens war vorbei. Endgültig. Matthias sollte für seine Untaten bezahlen. Ich brauchte einfach ein Ventil und hatte Glück, dass derjenige, der für Abes Tod verantwortlich war, zum Greifen nahe vor mir stand.
Dabei trug er diese nicht mal alleine. Meine hilflose Wut, dieser grenzenlose Hass, der mich überwältigte galt nicht nur ihm, sondern auch mir selbst. Zu oft schon hatte ich mich zurückgehalten und von Matthias einlullen lassen.
Stephanie Kruger hatte den Abzug betätigt!
Matthias hatte ihr seinen Willen aufgezwungen.
Die Schuld aber … die Schuld daran trug allein ich – John Sinclair!
Doch noch bevor ich den Bumerang auf die Reise schicken konnte, schrie Stephanie erneut. Dieses Mal nicht vor Entsetzen oder Trauer, sondern aus purer Angst!
Ich wollte mich umdrehen, als mich ein Schlag von den Beinen holte. Und nicht nur mich – auch Rudy Grenville und Matthias wurden getroffen.
Und da wurde mir klar, dass nicht nur mir die Kontrolle entglitten war, sondern auch den Höllensohn. Die Fäden hielt ein anderer in den Händen, und dieser Jemand zeigte sich jetzt in all seiner scheußlichen Pracht!
☆
Das Gesicht von Trevor Bixby, dem Piratenkapitän, war eine von Hass und Gier zerfressene Fratze. Er unterschied sich nicht im Mindesten von den Dämonen, die auf Toghan ihr Unwesen trieben. Genauso wenig wie seine Schergen.
Zu viert hielten sie Jennifer Gould am Boden fest, während ihr Anführer sich der Beinkleider entledigte, um die halbnackte Frau zu vergewaltigen. Dass sie sich im Freien aufhielten, verriet, wie sicher sich diese Bastarde fühlten, oder wie dumm sie im Grunde genommen waren, trotz all der Zeit, die sie nun schon auf Toghan verbrachten.
Ihre seelische Verkommenheit stellten sie unter Beweis, indem sie Jennifers grauenhafte Verletzung einfach ignorierten. Jeremiah Flynn hatte ihr mit einer Fackel das linke Auge ausgebrannt und dabei einen Großteil der entsprechenden Gesichtshälfte verschmort, einschließlich der Haare, die teilweise mit der Haut verschmolzen waren.
Nein, sie war keine Schönheit mehr, doch das hatte einen Dreckskerl wie Bixby nie gekümmert. Ihm ging es einzig und allein um die Befriedigung seiner niederen Instinkte. Um Macht und Unterwerfung. Jennifer Gould gab sich keinen Illusionen hin, sobald Bixby mit ihr fertig war, würde er seine Männer ranlassen und sie danach töten oder ihr die Beine brechen.
Vermutlich Letzteres, um aus sicherer Distanz zu beobachten, wie die Leichenfresser sie in Stücke rissen.
Auf Toghan zählte das Recht des Stärkeren, das hatte Jennifer rasch begriffen und nur deshalb so lange überlebt. Um welchen Preis, erkannte sie erst jetzt, aber es spielte ohnehin keine Rolle mehr.
Ihre eigene Enklave war vollständig ausgelöscht.
Tunvur, der Schwarze Diener des Schmerzes, hatte furchtbar unter ihnen gewütet. Jennifer selbst hatte er nur verschont, weil sie bewusstlos in der Grotte unterhalb des Schädelbergs gelegen hatte, dort, wo sich die Grabstätten der Schwarzen Diener befanden.
Seprak, Jeremiahs scheußlicher Lakai, hatte ihnen kurz vor Tunvurs Erweckung von einem großen Schiff erzählt, das auf Toghan gestrandet war. Das war vermutlich geschehen, als ein weiterer Schwarzer Diener, Woxhon, Dämon der Lüge und des Verrats, auf die Erde gewechselt war. Auf diesem Schiff befanden sich Soldaten mit modernen Waffen.
Aber selbst mit ihnen würden die Frauen und Männer keine Chance gegen Tunvur haben. Jennifers Hoffnung erlosch wie eine Kerzenflamme im Wind. Nach menschlichen Maßstäben hatte sie fast vierhundert Jahre gelebt, obwohl die Uhren auf Toghan anders tickten. Trotzdem hatte sie es satt. Das ständige Kämpfen, Flüchten, Verstecken.
Als Jeremiah Flynn gekommen war, hatte sie neue Hoffnung geschöpft, diesem Albtraum entfliehen zu können, stattdessen war er nur noch schrecklicher geworden. Ihr Widerstand verpuffte, ihr Körper erschlaffte.
Jennifer wandte den Kopf ab und Bixby ihre versehrte Gesichtshälfte zu. Der Piratenkapitän sollte sehen, was er sich da nahm. Der brennende Schmerz war einem tauben Gefühl gewichen.
Ihr verbliebenes Auge fixierte den Dreckskerl, der auf ihrem rechten Bein hockte, die Hände auf ihren Oberschenkel gestützt. Der Bursche konnte es gar nicht erwarten, bis er an die Reihe kam.
Da erwachte der Überlebenswille in Jennifer.
Sie hatte nicht all die Jahrzehnte überlebt, nur um sich von diesem Pack schänden und abschlachten zu lassen. Nicht, ohne sich wenigstens zu wehren. Sie sollten lange an diese Nacht denken.