John Sinclair 2169 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2169 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Lange hatte er auf diesen Augenblick gewartet. Den Augenblick der Rache!
Er hatte es geschafft, aller Widrigkeiten und Rückschläge zum Trotz. Zweimal hatte er es bereits versucht, zweimal war er gescheitert. Und mit jeder Niederlage war sein Hass gewachsen! War gewuchert wie ein Geschwür, bis ins Unermessliche.
Aber war nicht unvorsichtig geworden. Im Gegenteil. Lykaon bereitete den entscheidenden Angriff mit bewundernswerter Geduld vor. Sein alter Feind hatte sich gut versteckt. Ein direkter Vorstoß kam nicht infrage. Er musste einen Umweg nehmen. Und der führte über ein magisches Refugium, in dem mächtige Gestalten hausten, die sich im Laufe der Jahre perfekt abgeschottet hatten.
Aber Lykaon hatte sich gut vorbereitet. Jetzt war es so weit. Endlich würden seine Bemühungen Früchte tragen. Der Angriff stand unmittelbar bevor.
Sein Ziel: die Flammenden Steine!

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Seitenzahl: 145

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Angriff auf die Flammenden Steine

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Dennis Simcott

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-9286-9

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Angriff auf die Flammenden Steine

von Ian Rolf Hill

Lange hatte er auf diesen Augenblick gewartet. Den Augenblick der Rache!

Er hatte es geschafft, aller Widrigkeiten und Rückschläge zum Trotz. Zweimal hatte er es bereits versucht, zweimal war er gescheitert. Und mit jeder Niederlage war sein Hass gewachsen! War gewuchert wie ein Geschwür, bis ins Unermessliche. Aber er hatte ihn nicht unvorsichtig werden lassen. Im Gegenteil.

Lykaon bereitete den entscheidenden Angriff mit bewundernswerter Geduld vor. Sein alter Feind hatte sich gut versteckt. Ein direkter Vorstoß kam nicht infrage. Er musste einen Umweg nehmen. Und der führte über ein magisches Refugium, in dem mächtige Gestalten hausten, die sich im Laufe der Jahre perfekt abgeschottet hatten.

Aber Lykaon hatte sich gut vorbereitet. Jetzt war es so weit. Endlich würden seine Bemühungen Früchte tragen. Der Angriff stand unmittelbar bevor.

Sein Ziel: die Flammenden Steine!

Ein drückendes Gefühl entstand in Abes Magengrube.

Es breitete sich aus und wurde stärker, je näher der Fahrstuhl seinem Ziel kam. Es lag im sechzehnten Stock eines Wolkenkratzers, Downtown Manhattan, das neben zahllosen Büros auch die Praxen von Ärzten und Therapeuten der verschiedensten Fachrichtungen beherbergte.

Und zu einem dieser Therapeuten war Abe Douglas auf Geheiß seiner Vorgesetzten auf den Weg.

Der G-Man war nicht alleine in der Kabine. Eine junge Frau, Ende Zwanzig, begleitete ihn und lächelte ihn schüchtern an. Abe lächelte zurück, verzichtete aber auf einen lockeren Spruch oder einen harmlosen Fahrstuhlflirt.

Ein Kloß saß in seinem Hals und schnürte ihm die Kehle zu. Allein der Gedanke an den Grund seines Besuchs trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Der Ruck, mit dem der Lift anhielt, war kaum spürbar. Mit einem leisen Pling öffneten sich die Türen und Abe blieb wie angewurzelt stehen.

Die junge Frau sah ihn verunsichert an. »Wollen Sie nicht aussteigen?«

Abe schrak auf. »Wie bitte? Ach so! Ja, ja. Natürlich.«

Gerade schloss sich der Fahrstuhl wieder, als seine Begleiterin gedankenschnell reagierte und auf den Türöffner drückte.

»Vielen Dank, Miss! Und entschuldigen Sie, ich war in Gedanken!«

Sie lächelte. »Aber ich bitte Sie. Das macht doch nichts!«

Sie trat zurück und ehe sich Abe versah, stand er allein in dem hell beleuchteten Flur, von dem mehrere Türen abzweigten. Weicher Teppich dämpfte seine Schritte. An den Wänden hingen gerahmte Naturfotografien, die auf Besucher vermutlich beruhigend wirken sollten.

Eugen Schultz war nicht der einzige Psychotherapeut, der hier oben praktizierte. Es gab insgesamt noch drei weitere Kollegen mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten. Abes Ziel lag am Ende des Flurs, auf der linken Seite, vor einer gläsernen Tür, über der ein grün beleuchtetes Schild auf den Notausgang verwies. Dahinter lag das Treppenhaus und Abe überlegte ernsthaft, weiterzugehen und den Termin sausen zu lassen.

Auch auf die Gefahr hin, dass ihm Frazer und Levine die Hölle heiß machten.

Vor der unscheinbaren, dunkelbraun gebeizten Tür blieb Abe stehen und atmete tief durch, versuchte sein heftig klopfendes Herz zu besänftigen. Mit mäßigem Erfolg.

Schließlich raffte er sich zusammen und klopfte an.

Dass ihn die junge Frau daran erinnert hatte, dass er aussteigen musste, wertete er als gutes Omen. Sie hätte ja auch einfach warten können, ohne ihn anzusprechen. Doch das hatte sie nicht getan und letztendlich würde er mit Mister Schultz sprechen müssen. Zumindest, wenn er seinen Job beim FBI behalten wollte.

Abe zuckte zusammen, als ein Summer ertönte. Der G-Man drückte die Tür auf und betrat ein im Dunkeln liegendes Vorzimmer. An der linken Seite sah er ein helles Rechteck. Eine dunkle Gestalt hob sich schattenhaft davor ab. Eine Hand tastete nach dem Lichtschalter. Gedämpftes Licht beleuchtete ein minimalistisch eingerichtetes Wartezimmer, in dem nur zwei Stühle standen. Eine weitere Tür führte zur Toilette.

Eugen Schultz kam mit ausgestreckter Hand auf Abe Douglas zu. Er war ein hochgewachsener, schlanker Mann Anfang fünfzig. Sonnengebräunt, mit grau meliertem Haar und einer modischen Brille. Er machte einen aufgeschlossenen, sportlichen Eindruck.

»Special Agent Douglas. Ich freue mich, dass Sie es einrichten konnten. Ich dachte schon, dass sie auch unseren zweiten Termin versäumen würden.«

Abe verzog die Lippen. »Es tut mir leid, ich weiß, dass ich zu spät bin.«

»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Sie hatten sicherlich gute Gründe für ihr Zuspätkommen. Ebenso wie Sie gute Gründe hatten, bei unserem ersten Termin nicht zu erscheinen. Allerdings haben wir nur noch eine knappe halbe Stunde. Daher sollten wir keine Zeit verlieren. Kommen Sie herein.«

Er gab den Weg in ein gediegen eingerichtetes Zimmer frei. Eine Wand wurde komplett von einem mit Büchern gefüllten Regal in Anspruch genommen. Davor stand ein klobiger Schreibtisch, auf den Mister Schultz aber nicht zuging. Stattdessen deutete er auf zwei, im rechten Winkel zueinanderstehende Sessel mit halbhoher Rückenlehne.

Auf einem Beistelltisch standen eine Flasche Wasser, zwei Gläsern sowie eine Kleenex-Box neben einer Statue von Buddha. Hohe Pflanzen in ausladenden Kübeln und ein leise vor sich hin plätschernder Zimmerbrunnen gehörten ebenso zur Einrichtung wie die obligatorische Couch.

Teppich und Möbel waren in unaufdringlichen, aber nichtsdestotrotz hellen, freundlichen Farben gehalten. Hinter den hohen Fenstern ballten sich bleigraue Regenwolken, die ihre nasse Fracht kübelweise auf die Stadt abluden. Das Wasser rann in zittrigen Bahnen über das Glas und erlaubte nur eine verschwommene Aussicht, die bei sonnigem Wetter atemberaubend sein musste, obwohl es hier in Manhattan deutlich größere Gebäude gab.

Aber Abe war ja nicht wegen der Aussicht hier, und das Wetter passte ideal zu seiner Stimmung.

»Bitte setzen Sie sich!«, sagte Schultz und deutete auf einen der Sessel.

Abe lächelte. »Und ich dachte schon, dass ich mich auf die Couch legen muss.«

Der Psychologe nahm ebenfalls Platz. »Nur wenn Sie möchten«, erwiderte er ernst, doch der G-Man winkte ab.

»Ich hoffe, das ist nicht nötig!«

Schultz breitete die Hände aus. »Das liegt ganz bei Ihnen, Mister Douglas. Sie sollen sich hier wohlfühlen. Tatsächlich gibt es Patienten, denen es leichter fällt sich zu öffnen, wenn sie liegen und mich nicht direkt anschauen müssen. Aber eigentlich ist das mehr ein Ding der Analytiker. Möchten Sie etwas trinken?«

»Ja, gerne!«

Der Therapeut nickte und füllte beide Gläser bis zur Hälfte. Es war stilles Wasser, was Abe nur recht war.

»Also, Mister Douglas, warum sind Sie hier?«

Abe runzelte die Stirn. »Das wissen Sie doch!«

Schultz zog leicht die Mundwinkel nach oben. »Natürlich. Aber ich würde es gerne von Ihnen hören!«

»Meine Vorgesetzten haben mich hergeschickt.«

Schultz schwieg.

Abe war verunsichert, verspürte aber auch einen Anflug von Ärger. Er kannte diese Masche. Wendete sie bei Verhören oft genug selbst an.

»Sie sind der Meinung, dass ich professionelle Unterstützung gebrauchen könnte.«

»Und Sie sind nicht dieser Meinung?«

»Um ehrlich zu sein, wüsste ich nicht, wie Sie mir helfen sollen!«

»Wie Sie wissen, arbeite ich häufig mit dem FBI zusammen.«

»Das stimmt zwar, aber ich bin kein gewöhnlicher G-Man!«

»Halten Sie sich denn für etwas Besonderes?«

»Keineswegs! Aber das, was ich tue, ist, sagen wir mal, außergewöhnlich.«

»Sie sind Special Agent beim FBI, wenn ich mich nicht irre.«

»Ja, aber mit einem besonderen Spezialgebiet.«

Eugen Schultz nickte ernst. »Ich hörte davon! Um ehrlich zu sein, habe ich damit gerechnet, Sie schon viel früher hier zu sehen.«

Das wiederum überraschte Abe. »Sie wissen von meinem Job?«

Sein Gegenüber lächelte entschuldigend. »Nun ja, ich weiß, dass sie ein Spezialist für übernatürliche Phänomene sind. Außersinnliche Wahrnehmung. Spiritismus, Okkultismus, Ritualmorde.«

Abe lachte auf. »Tut mir leid, Mister Schultz. Aber das beschreibt es nicht einmal ansatzweise.«

»Ihre Vorgesetzten sagten, Sie hätten Schreckliches mit ansehen müssen.«

»Das ist mein Job.«

»Das glaube ich nicht!«

»Tja, und ich glaube nicht, dass Sie mir helfen können!«

»Warum sind Sie dann hier?«

»Weil man es mir befohlen hat.«

»In dem Fall spielt es keine Rolle, Mister Douglas. Sie können hier sitzen und schweigen, oder Sie versuchen, mir zu erzählen, was genau Ihr … Job ist.«

»Ich jage Dämonen.«

»Wie bitte?«

»Sie haben richtig gehört, Mister Schultz. Ich jage Dämonen, Vampire, Werwölfe und Geister.«

»Mister Douglas. Wenn Sie meinen, dass es hilft, wenn Sie sich über mich lustig machen …«

»Ich sagte doch, dass Sie mir nicht helfen können.«

»Schon gut! Angenommen, ich glaube Ihnen. Wie genau muss ich mir Ihre Arbeit vorstellen? Ich meine, sitzen Sie in einem Büro, dessen Wände mit alten Zeitungsschnipseln tapeziert sind, in denen von UFO-Sichtungen die Rede ist?«

»Das hier sind nicht die X-Akten. Obwohl ich auch schon mit Außerirdischen zu tun hatte. Aber im Prinzip ist es ähnlich. Wo gewöhnliche Ermittlungsmethoden versagen, wo der Anschein erweckt wird, dass ein Mord nicht nach dem üblichen Schema abgelaufen ist, da komme ich ins Spiel.«

»Und dieser Vorfall, wegen dem Sie hier sind?«

»Die USS Abraham Lincoln!«

»Ja! Was ist dort passiert?«

Abe schluckte und sein Blick verlor sich in der Ferne. Für einen Augenblick sah er alles wieder bildhaft vor sich.

Das Feuer, die Leichen, der zerschmetterte Körper von Vivien Forbes.

Lykaon!

Seine roten Augen leuchteten hinter der regenverhangenen Scheibe. Der Gestank nach verbranntem Fleisch drang Abe in die Nase. Und dann hörte er die Stimme des Dämons: »Ich will, dass du noch lange leidest. Soviel ich weiß, lebt in Kill Devil Hills deine kleine Freundin. Wie hieß sie noch gleich? Stephanie Kruger!«

Die Augen kamen näher. Eine ledrige Fratze schälte sich aus dem Regen. Gewaltige Schwingen spreizten sich hinter dem schwarzbepelzten Leib.

»Ich werde ihr einen Besuch abstatten. Nicht heute, vermutlich auch nicht morgen. Doch irgendwann, wenn du nicht mehr damit rechnest. Und wer weiß, vielleicht wird mir deine kleine Freundin ja viele gesunde Kinder schenken?«

»Nein!«, keuchte Abe. »Nein! Niemals! Du verfluchte Bestie.« Er griff nach der Pistole im Schulterhalfter. Sie war verschwunden!

Dann musste er den Dämon eben mit bloßen Händen angreifen. Er würde ihn erwürgen, ihm das Genick brechen! Wenn nur diese Augen nicht gewesen wären!

Diese fürchterlichen roten Augen …

Beißender Gestank drang Abe in die Nase.

»Mister Douglas! Mister Douglas, hören Sie mich? Abe, kommen Sie zu sich!«

Abe blinzelte und hob ruckartig den Kopf. Eugen Schultz stand vor ihm, in der Hand eine winzige Ampulle, deren gläsernen Verschluss er abgebrochen hatte, damit das Ammoniak seine volle Wirkung entfalten konnte.

Der Psychologe richtete sich auf, stellte die Ampulle auf den Beistelltisch und reichte Abe das Wasserglas. Der Blick des G-Man wanderte zum Fenster. Lykaon war verschwunden. Abe sah nur das triste Wolkenmeer, aus dem unablässig Regen fiel.

»Alles in Ordnung, Mister Douglas?«

»Wie?« Er wandte den Kopf, um den Therapeuten anzusehen. Erst jetzt bemerkte er das ihm angebotene Glas. Dankbar nahm er es entgegen und trank einen Schluck.

»Geht es Ihnen gut?«

»Ja, ja, alles … alles in Ordnung.«

Schultz sagte nichts, stattdessen setzte er sich und wartete. Abe trank in kleinen Schlucken, bis das Glas leer war. Versonnen blickte er hinein, als würde dort die Antwort auf all seine Fragen liegen. Bedächtig schüttelte er den Kopf. »Nein, eigentlich ist gar nichts in Ordnung! D…dieser Dämon hat Dutzende von Menschen abgeschlachtet und ich … ich stand einfach nur daneben und konnte nichts tun!«

Die Stimme versagte ihm, sein Blick verschwamm und Schultz schwieg.

Abe zögerte, schluckte, dann fuhr er fort. »Da war diese Frau, fast noch ein Mädchen, Vivien war ihr Name. Vivien Forbes. Sie … sie hat diesen Dämon angegriffen.« Er hob den Kopf. »Sie hat ihn angegriffen mit nicht mehr als diesem lächerlichen Nagel.«

»Und was taten Sie?«

Tränen rannen Abe über die Wangen. »Ich wollte ihr helfen! Aber er … er packte sie einfach, als wäre sie nicht mehr als eine Puppe. Er schleuderte sie herum und … und statt ihn traf ich sie.«

»Sie … haben sie erschossen?«

»Nein!«, rief Abe. »Nein, ich … ich hatte ja nur diese Peitsche.«

»Eine Peitsche?«

»Ja, eine Peitsche aus Dämonenhaut. Aber das spielt keine Rolle. Lykaon war einfach schneller und stärker. Er hat sie mit in die Luft gerissen und sie vor mir fallen gelassen. Und ich stand einfach nur da und hab zugesehen.«

»Lykaon? Sprechen Sie von dem Lykaon? Der Gestalt aus der griechischen Sage?«

Abe nickte.

»Und dieser Lykaon … Er kann fliegen?«

»Ja, er ist ein Dämon von unbeschreiblicher Grausamkeit und Macht! Allein sein Anblick weckt Urängste, macht Sie zu einem hilflosen Wrack.«

»Klingt so, als sei er der Teufel persönlich!«

»Manchmal habe ich den Eindruck, er ist es.« Abe lachte bitter. »Obwohl ich es besser weiß.«

»So, wie Sie das schildern, scheint dieser Lykaon jedem Menschen haushoch überlegen zu sein!«

Abe verzog das Gesicht. »Sie machen sich ja keine Vorstellung. Ich weiß, dass Sie mir nicht glauben, aber das ist mir egal. Dieser Dämon ist eine Naturgewalt. Er hat einen Trupp Soldaten einfach so hinweggefegt.«

Schultz lehnte sich in seinem Sessel zurück und verschränkte die Finger ineinander. »Wenn dieser Lykaon so mächtig ist …«

»Noch mächtiger.«

»Wie kommen Sie dann darauf, dass Sie ihn hätten aufhalten können? Sind Sie ein Übermensch?«

»Nein, natürlich nicht«, erwiderte Abe gereizt. »Aber ich hatte die Waffe, um ihn zu vernichten.«

»Diese Peitsche.«

»Ja. Kugeln, Granaten, er hat alles weggesteckt. Aber mit der Dämonenpeitsche hätte ich ihn erledigen können.«

»Woher wissen Sie das?«

»Wie bitte?«

»Woher wissen Sie, dass diese Peitsche ihm etwas anhaben kann? Woher hatten Sie sie überhaupt? Ist sie vom Himmel gefallen?«

»Ein Freund gab sie mir. Er … er hat ihn früher schon damit getroffen.«

»Aber Sie sagten doch gerade, dass er die Leute auf der Lincoln getötet hätte. Dass er Vivien tötete. Wie kann er das getan haben, wenn er von ihrem Freund mit der Peitsche getroffen wurde, von der Sie annehmen, dass Sie ihn töten kann?«

Abe schwieg und hob langsam den Kopf.

Eugen Schultz beugte sich vor. »Mister Douglas. Ich weiß nicht, was ich von dieser Geschichte halten soll. Aber ich übe diesen Beruf nicht erst seit gestern aus. Ich habe schon Hunderte Ihrer Kollegen hier sitzen gehabt. Menschen, die Schlimmes erlebt hatten. Situationen, die sie nicht kontrollieren konnten. Einige von Ihnen haben versucht, das Erlebte zu verarbeiten, indem sie Drogen und Alkohol genommen haben. Und einige von ihnen haben darunter Wahnvorstellungen und Halluzinationen erlitten.«

Abe wollte aufbegehren, doch Schultz hob die Hand.

»Ich kann nicht in die Köpfe der Menschen hineingucken, auch wenn manche das glauben mögen. Aber ich kann Symptome deuten und ich habe im Laufe der Jahre ein Gespür für Menschen entwickelt.« Er schüttelte den Kopf. »Sie sind kein Lügner, Mister Douglas. Sie haben auch keine Halluzinationen oder Wahnvorstellungen. Sie nehmen keine Drogen.«

»Ich nehme Schlaftabletten.«

»Ich weiß. Und das ist in Ihrer Situation verständlich. Außerdem erkenne ich Symptome einer akuten Belastungsreaktion. Sie leiden an posttraumatischem Stress. Doch wie auch immer man es bezeichnen mag, der springende Punkt ist, dass Sie sich die Schuld für etwas geben, das Sie unmöglich kontrollieren konnten. Wenn ich von dem ausgehe, was Sie mir erzählt haben, wäre das ungefähr so, als ob jemand versuchen würde, einen heranrasenden Zug mit bloßen Händen zu stoppen. Sie sind nicht Superman, Mister Douglas!«

Abe nagte an seiner Unterlippe, bis er Blut schmeckte. »Nein, das bin ich nicht. Aber irgendwer muss diese Bestie stoppen, bevor …«

»Bevor was?«

»Er … er hat es auf mich abgesehen!«

»Wie kommen Sie da drauf?«

»Er hat mir gedroht.«

»Womit? Will er Sie töten?«

»Eben nicht. Er … er will meine Freundin umbringen!«

»Weiß er denn, wer ihre Freundin ist und wo er sie finden kann?«

»Ja! Außerdem ist das für ihn kein Problem. Es gibt Anzeichen für eine Verschwörung innerhalb des Geheimdienstes. Und selbst, wenn es die nicht gäbe. Wie gesagt, er ist ein Dämon. Wie sollte ich ihn aufhalten? Wie stoppt man einen heranrasenden Zug?«

»Das frage ich Sie, Mister Douglas. Wie stoppt man ihn?«

»In dem man die Notbremse zieht?«

»Dafür müssten Sie in dem Zug drinsitzen.«

»Dann … dann muss man die Weichen verstellen. Ihn auf eine andere Spur locken. Wenn er mich treffen will, indem er Stephanie etwas antut, dann muss ich eben dafür sorgen, dass er keinen Grund mehr hat, ihr zu schaden.«

Eugen Schultz verengte die Augen. »Wie meinen Sie das?«

Abe senkte den Blick, seine Hände zitterten. Dieses Mal war er es, der schwieg.

Für viele Menschen war es der Inbegriff des Paradieses.

Es war keine einsame Insel mit kristallklarem Wasser und weißem Sandstrand, dafür aber mindestens genauso abgeschieden von der Zivilisation und ihrem stressigen Alltag. Fortschritt mochte ein Segen sein, doch er forderte auch einen hohen Preis. Nicht umsonst strebten viele Menschen nach Ruhe und Entschleunigung, kehrten in Klöster ein oder frönten in der Freizeit dem Lebensstil ihrer Vorfahren, suchten nach ihren Wurzeln und Ursprüngen.

Hier, auf dieser Lichtung, inmitten üppiger Wälder, hätten sie all das und noch mehr gefunden. Selbst das kristallklare Wasser war vorhanden, auch wenn es nicht in Wellen auf einen weißen Strand rollte, sondern sich durch das Bett eines schmalen Bächleins schlängelte.

Der Eindruck, in einem Paradies zu stehen, rührte aber nicht allein von der Abgeschiedenheit her, oder von der Tatsache, dass die Lichtung und die umliegenden Wälder zu einem Naturschutzgebiet gehörten, sondern war einem anderen Umstand geschuldet.

In diesem Areal herrschte ewiger Frühling.