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Die Miene des älteren Mannes hinter dem Schreibtisch war ernst und ausdruckslos. Nichts deutete darauf hin, dass ihn die Nachricht, die ihm die Abteilungschefin soeben überbracht hatte, erschütterte oder in irgendeiner anderen Form berührte.
Nur die herabgezogenen Mundwinkel verrieten sein Missfallen. Andererseits waren seine Mundwinkel ständig herabgezogen, außer wenn er lächelte. Und der Mann lächelte praktisch nie.
"Ist das sicher?", fragte er sein Gegenüber und deutete mit dem Kinn auf das Tablet. Auf dem Display war das Dossier zu erkennen, das der Grund für diese außerplanmäßige Sitzung war.
"Absolut!", lautete die Antwort. "Wir müssen davon ausgehen, dass Mark Baxter zum Feind übergelaufen ist!"
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Seitenzahl: 150
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Grausame Vergeltung
Briefe aus der Gruft
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Saulty72; Paul Vinten/shutterstock
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9665-2
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Grausame Vergeltung
von Ian Rolf Hill
Die Miene des älteren Mannes hinter dem Schreibtisch war ernst und ausdruckslos. Nichts deutete darauf hin, dass ihn die Nachricht, die ihm die Abteilungschefin soeben überbracht hatte, erschütterte oder in irgendeiner anderen Form berührte.
Nur die herabgezogenen Mundwinkel verrieten sein Missfallen. Andererseits waren seine Mundwinkel ständig herabgezogen, außer wenn er lächelte. Und der Mann lächelte praktisch nie.
»Ist das sicher?«, fragte er sein Gegenüber und deutete mit dem Kinn auf das Tablet. Auf dem Display war das Dossier zu erkennen, das der Grund für diese außerplanmäßige Sitzung war.
»Absolut!«, lautete die Antwort. »Wir müssen davon ausgehen, dass Mark Baxter zum Feind übergelaufen ist!«
Die Miene des älteren Mannes hinter dem Schreibtisch war ernst und ausdruckslos. Nichts deutete darauf hin, dass ihn die Nachricht, die ihm die Abteilungschefin soeben überbracht hatte, erschütterte oder in irgendeiner anderen Form berührte.
Nur die herabgezogenen Mundwinkel verrieten sein Missfallen. Andererseits waren seine Mundwinkel ständig herabgezogen, außer wenn er lächelte. Und der Mann lächelte praktisch nie.
»Ist das sicher?«, fragte er sein Gegenüber und deutete mit dem Kinn auf das Tablet. Auf dem Display war das Dossier zu erkennen, wegen dem diese außerplanmäßige Sitzung stattfand.
»Absolut!«, lautete die Antwort. »Wir müssen davon ausgehen, dass Mark Baxter zum Feind übergelaufen ist!«
☆
Der Mann ließ das Tablet sinken und lehnte sich in seinem Bürosessel zurück. Er schloss die Augen und atmete tief durch.
»Wie gehen wir vor, Sir?«, fragte die Schwarzhaarige im Businesskostüm, als ihr Chef weiterhin schwieg.
Ruckartig öffnete er die Augen. »Wo befindet er sich jetzt?«
»Das, äh, wissen wir nicht!«
»Was?« Der Geheimdienst-Chef richtete sich abrupt auf und starrte seine Untergebene durch die Brillengläser finster an.
»Nach der Operation Höllenbrut bat Baxter um Sonderurlaub. Ich sah keine Veranlassung, ihn ihm zu verwehren. Baxter weiß, dass er uns seine jeweiligen Aufenthaltsorte mitteilen muss.«
»Sie hätten ihn überwachen müssen!«, konterte der Mann hinter dem Schreibtisch.
»Das ist bei jemandem wie Mark Baxter nicht so einfach, wie Sie sich vorstellen können, Sir.«
»Wir sind die verdammte CIA. Und wenn er sich in Luft auflösen könnte, müssen wir in der Lage sein, ihn aufzuspüren.«
»Wir glauben, dass er Hilfe hatte.«
»Offenkundig!«, rief der Chef aufgebracht und deutete auf das Tablet. »Er muss diese Aktion von langer Hand geplant haben. Und es wäre Ihre Aufgabe gewesen, zu erkennen, was er vorhatte. Sie haben versagt!«
Die Frau knirschte mit den Zähnen und schluckte ihren aufkeimenden Zorn hinunter. Der Vorwurf ihres Vorgesetzten traf sie hart. Aber auch nur deshalb, weil sie sich genau dieselben Vorwürfe machte. »Bei allem Respekt, Sir. Nichts deutete darauf hin, dass Mark Baxter zum Feind überlaufen wollte.«
»Womit wir beim Thema wären!« Der Chef warf das Tablet auf den Schreibtisch, sodass es über die Unterlage schlitterte. Geradewegs am hölzernen Federhalter vorbei. Die Frau hätte das Dossier jetzt mühelos lesen können, was sie jedoch nicht brauchte, da sie es selbst verfasst hatte.
»Wer sollen diese Feinde sein? Die Russen? Die Türken? Der IS? Denken Sie, dass Baxter wirklich zu einem von ihnen übergelaufen sein könnte?«
»Sie vergessen, dass es noch andere Feinde gibt. Operation Höllenbrut war nur zum Teil eine Codierung. Der Name war Programm.«1)
Der Mann beugte sich vor und stützte sich mit den Unterarmen auf der Schreibtischplatte ab. Er verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen. »Wollen Sie damit sagen, dass Mark Baxter einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat?«
»Nicht direkt mit dem Teufel, Sir. Aber möglicherweise mit Lykaon.«
»Lykaon!« Der Chef sprach den Namen voller Verachtung aus. »Das ich nicht lache.«
Die Frau schluckte ihren Ärger hinunter. Der Kerl mochte von derlei Dingen nichts halten, doch selbst er musste den Tatsachen ins Auge sehen. Die Zeiten, in denen sich die Geheimdienste den Luxus gönnen konnten, das Übernatürliche zu negieren, waren lange vorbei. Die Operation Höllenbrut, aber auch der Anschlag auf den ehemaligen Chef des MI6, waren der eindeutige Beweis dafür.
Von dem verschwundenen Flugzeugträger vor einigen Wochen ganz zu schweigen. Selbst das Pentagon war bereits Ziel schwarzmagischer Angriffe geworden. Und dann war da noch Mark Baxter persönlich. Ein Mann, der sich unsichtbar machen konnte!
Angeblich die Folge eines Strahlenunfalls. Aber dennoch so absurd, dass es für die Begriffe der CIA-Mitarbeiterin ebenfalls in den Bereich des Übernatürlichen gehörte.
»Lykaon wäre auf jeden Fall in der Lage gewesen, so etwas zu bewerkstelligen.« Sie hob das Tablet kurz an, ehe sie es zurück auf den Schreibtisch legte. »Und es wäre eine Erklärung dafür, warum Baxter so spurlos verschwunden ist. Außerdem müssen wir in Betracht ziehen, dass er nicht freiwillig übergelaufen ist.«
»Das spielt für mich keine Rolle«, zischte der Mann. »Ob freiwillig oder nicht, finden Sie Baxter! Das ist ein Befehl!«
Die Frau richtete sich auf dem Stuhl sitzend auf und straffte die Schultern. »Ja, Sir!«
»Das wäre alles!«
Sie nickte und erhob sich. Es war alles gesagt. Die Schwarzhaarige nahm das Tablet an sich und wollte das Büro ihres Vorgesetzten verlassen. Ihre Hand lag bereits auf der Klinke, als seine Stimme sie einholte.
»Ich hoffe, Sie sind sich der Konsequenzen bewusst, sollten Sie Baxter nicht finden.«
Die Frau wandte sich zu ihrem Chef um und nickte knapp. »Vollkommen, Sir!«
☆
Drei Wochen später
»Wir haben ihn, Sir!«
Die Frau hatte Mühe, eine ruhige Stimme zu behalten. Der Mann hinter dem Schreibtisch spürte ihre Nervosität beinahe körperlich.
»Wo?«
»Auf den Outer Banks!«
»North Carolina? Was will er dort?«
»Offenbar observiert er jemanden.«
»Und wen?«
Die Schwarzhaarige sagte es ihrem Vorgesetzten. Auch jetzt bestand seine Reaktion lediglich aus einem Heben der Augenbrauen.
»Wie lauten ihre Befehle, Sir?« Das leichte Zittern in der Stimme verriet ihre Erregung. Der Vergleich mit der gespannten Bogensehne drängte sich geradezu auf. Und die Frau war der Pfeil, der nur darauf wartete, sich mit tödlicher Präzision ins Herz des Feindes zu bohren.
»Stellen Sie ein Einsatzkommando zusammen! Die Männer sollen ihrerseits Baxter observieren und stündlich Meldung machen.«
Die Frau nickte. »Ja, Sir!«
Sie schien enttäuscht, aber darauf konnte der Mann hinter dem Schreibtisch keine Rücksicht nehmen. Bevor er den Zugriff befahl, benötigte er weitere Informationen.
»Ich will wissen, warum Baxter dort ist und warum er ausgerechnet diese Frau beobachtet.«
»Was ist mit dem FBI?«
Der Chef schüttelte den Kopf. »Was soll mit denen sein? Baxter ist unser Mann! Das ist eine CIA-Angelegenheit.«
In den Augen der Schwarzhaarigen blitzte es triumphierend, als sie sich abwandte und das Büro verließ. Der Mann hinter dem Schreibtisch sah ihr nachdenklich hinterher. Selbst dann noch, als sein Blick längst auf die geschlossene Tür fiel. Minutenlang verharrte er nahezu regungslos. Es mochte ein Klischee aus Spionagefilmen und –romanen sein, doch er hatte es sich angewöhnt, niemandem zu trauen. Auch nicht, wenn es sich um verdiente Mitarbeiter der Central Intelligence Agency handelte. Wie gut er daran tat, zeigte das Beispiel Mark Baxter.
Nein, er würde das FBI bestimmt nicht informieren. Aber er konnte gezielt Informationen streuen, von denen er sich sicher war, dass sie den Empfänger erreichten. Dem oblag es dann, seine eigenen Schlüsse zu ziehen und entsprechend zu reagieren.
Der Mann hinter dem Schreibtisch setzte sich auf und griff nach dem Telefon.
Seine Mundwinkel zuckten in der Andeutung eines Lächelns.
☆
»Verdammtes Drecksding! Komm endlich in die Puschen oder du landest auf dem Schrott!«
Cyril trat mehrmals wuchtig auf einen der beiden 900-PS-Motorblöcke ein, die sich unter Deck des schnittigen Schnellboots befanden.
Es hieß Predator und passte zu dem imposanten, stromlinienförmigen Rumpf, auf dem sich die Wellen des Ozeans spiegelten. Jeder Zoll der knapp sechzig Fuß langen Yacht ließ erahnen, was für eine Kraft in dem wendigen Schiff steckte. Mit einer Spitzengeschwindigkeit von zweiunddreißig Knoten mochte die Predator nicht die schnellste Yacht sein, und sie war auch gewiss nicht die Größte, aber sie war stets zuverlässig gewesen. Sofern man wusste, wie man mit ihr umzugehen hatte.
Cyril Thomson wusste es nicht. Genauso wenig wie er zu schätzen wusste, dass er diesen Job überhaupt bekommen hatte, nach dem sich jeder andere Bewerber alle zehn Finger geleckt hätte. Wäre es nach Stephanie gegangen, hätte er ihn auch nicht bekommen. Aber sie wurde in Personalangelegenheiten leider nicht gefragt.
Es tat ihr in der Seele weh, als sie mit ansehen musste, wie ruppig der neue Skipper mit dem Schnellboot umging, das Bens ganzer Stolz gewesen war. Sie glaubte beinahe, jeden Tritt, den der plumpe Cyril dem Motor versetzte, körperlich zu spüren.
»Ich denke nicht, dass wir so weiterkommen, Mister Thomson!«
Der Skipper, der bis zur speckigen Hüfte in der Wartungsluke steckte, hob den Kopf. Dieser erinnerte Stephanie stets an eine Bowlingkugel, an die irgendein Witzbold Fetzen grauer Watte geklebt hatte. Die fusseligen Haare lagen schweißnass an Thomsons Hinterkopf. Er blinzelte gegen das Licht der Sonne, deren Strahlen Stephanies Rücken wärmten.
»Hey, Steph, hab dir doch gesagt, kannst mich Cyril nennen.«
Die Meeresbiologin seufzte schwer, verkniff sich aber das genervte Augenrollen. Ebenso wie den wiederholten Hinweis, dass sie es überhaupt nicht schätzte, wenn man sie erstens ungefragt beim Vornamen nannte und zweitens diesen auch noch auf unangemessene Weise verkürzte, um auf künstliche Weise eine Vertrautheit zu erzeugen, die definitiv nicht vorhanden war.
»Es liegt am Vergaser. Die Maschinen sind sehr empfindlich. Am besten wir ordern ein Ersatzteil vom Hersteller.«
Cyril riss die Schweinsäuglein auf. »Und denen unnötig Kohle in den Rachen schmeißen?«
Der Skipper wuchtete seine Massen an Deck, schwang die Beine aus der Luke und zog sich schnaufend an der Reling in die Vertikale. Er trug ein T-Shirt, das seinen Bauch, dessen haarige Schürze über den Bund der weißen Shorts hing, nur unzureichend bedeckte.
Schweiß perlte in dicken Tropfen auf der flachen Stirn, die sich bis zum Hinterkopf zog.
Mit dem Unterarm wischte er ihn fort und zwinkerte Stephanie zu. »Das machen die extra, weißt du? Sie wollen, dass du ihre teuren Ersatzteile kaufst, weil sie angeblich nur dann garantieren können, dass alles reibungslos funktioniert. Das nennen sie Kundenbindung, weißt du? Aber das ist Bullshit. Dabei geht’s doch nur darum.«
Er beugte sich vor und rieb Daumen und Zeigefinger gegeneinander. Grinsend präsentierte er Stephanie sein lückenhaftes Gebiss. Dann drehte er sich um und erklomm die schmale Leiter zum Führerstand, wobei die Shorts ein Stück tiefer rutschten, und das T-Shirt eine Handbreit nach oben glitt.
Stephanie wandte hastig den Kopf, doch es war zu spät. Der Anblick würde sie bis in ihre Albträume verfolgen. Klempner-Dekolleté hätte Ben dazu gesagt.
Beim Gedanken an ihren väterlichen Freund, der von Jennifer Gould umgebracht worden war, schnürte sich Stephanie die Kehle zu. Nein, sie hatte den Tod des Skippers noch lange nicht überwunden oder verarbeitet. Wie auch? Dafür waren die letzten Wochen viel zu aufreibend gewesen.
Dabei hätte es allen Grund gegeben, aufzuatmen.
Sowohl Stephanie als auch Abe Douglas hatten buchstäblich die Korken knallen lassen, als sie die Nachricht erhielten, dass Lykaon und Phorkys vernichtet waren.
Endgültig.
Vor allem Abe war der sprichwörtliche Stein vom Herzen gefallen. Er hatte mit am stärksten unter dem Dämon zu leiden gehabt, der ständig als latente Bedrohung über ihnen geschwebt hatte, selbst wenn er nicht persönlich in Erscheinung getreten war.
Abe hätte darüber hinaus fast seinen Job verloren und hatte sich sogar von Stephanie trennen wollen. Kurz nachdem sie sich erst entschlossen hatte, bei ihm zu bleiben. Dummerweise war Abes Entschluss zu einem denkbar ungeeigneten Zeitpunkt gekommen. Gerade, als sie erfahren hatte, dass sie schwanger war. Die ständige Bedrohung durch die Dämonen, die Erlebnisse der letzten Monate, wozu auch die Besessenheit durch einen Drengar zählte, unter dessen Einfluss sie einen Mord begangen hatte, hatten Stephanie fast in den Selbstmord getrieben.
Im letzten Moment hatte sie die Kurve gekriegt, sich an Chloe und Rudy gewandt und sich kurzzeitig in eine Psychiatrie einweisen lassen. Durch Hilfe ihrer Freunde, zu denen sie auch Sheila Conolly, Kara und Sedonia zählte, war es ihr gelungen, wieder einigermaßen Halt zu finden. Dann war die Nachricht von Lykaons Vernichtung gekommen, und Stephanie hätte vor Freude am liebsten Purzelbäume geschlagen.
Zwei Dinge hielten sie davon ab.
Zum einen ihr schlechtes Gewissen, denn sie gab sich noch immer einen Großteil der Schuld für Bens Tod. Umgebracht hatte ihn zwar Jennifer Gould, die letzte Überlebende von Toghan, die sich als skrupellose Psychopathin entpuppt hatte, doch Stephanie war der Meinung, dass sie ihr gegenüber hätte misstrauischer sein müssen.
Zum anderen war da die Einarbeitung der neuen Mitarbeiter des Cape Hatteras National Seashore. Der Nationalparkverwaltung war schließlich nicht nur ein guter Skipper abhandengekommen. Demnächst würde auch eine Meeresbiologin, die die Outer Banks vor der Ostküste der Vereinigten Staaten von Amerika, im Bundesstaat North Carolina, wie ihre Westentasche kannte, ausfallen. Zwar auf absehbare Zeit, dennoch musste für Ersatz gesorgt werden. Während der Schwangerschaft kamen Tauchgänge nicht infrage.
Leider hatte man weder beim Skipper noch beim Meeresbiologen, ein glückliches Händchen bewiesen. Dabei war Dean Ascott das glatte Gegenteil von Cyril Thomson.
Jung, gut aussehend und gebildet. Ein Collegeboy, wie er im Buche stand. Er war während seines Studiums oft an den Outer Banks surfen gewesen und hatte hier einige Mädchenherzen gebrochen, wie er ihr augenzwinkernd erzählt hatte. Stephanie war umgehend schlecht geworden. Und das hatte definitiv nichts mit ihrer Schwangerschaft zu tun gehabt, sondern eher mit dem anzüglichen Blick, den er ihr dabei zugeworfen hatte.
Die Motoren im Bauch der Predator fingen an zu knattern. Stephanie war sich nicht sicher, ob sie sich darüber freuen sollte, als aus dem Knattern ein abgehacktes Sprotzen wurde.
Sie glaubte, zu sehen, wie sich dünne Rauchfäden aus den Fugen der Wartungsluke kräuselten, doch das musste eine Täuschung sein. Die Luke besaß eine Gummidichtung, die verhindern sollte, das Wasser in den Motorraum eindrang.
»So eine Scheiße!«, brüllte Cyril in diesem Moment und drosch mit der Faust auf die Armaturen ein.
Stephanie bückte sich und öffnete die Luke. Schwarzer, fettiger Qualm quoll ihr entgegen. Ihre Augen begannen zu tränen, und ihre Lungenflügel verkrampften sich. Prompt fing sie an zu husten und wankte rückwärts.
»Verdammter Mist!«, fluchte Cyril und schwang seine Massen hinunter aufs Deck. »Du solltest da nicht stehen, Mädchen.«
Die Planken zitterten, als er die letzten Stufen mit einem Sprung überwand und auf Stephanie zu watschelte, um ihr einen Arm um die Schultern zu legen. Der säuerliche Schweißgeruch raubte ihr noch den letzten Atem. Trotzdem hätte sie seine Fürsorge rührend gefunden, wenn er nicht so ein Hornochse gewesen wäre.
»Ge…geht schon«, keuchte Stephanie und wedelte mit den Armen.
»Sicher?«
»Ja, doch. Lö…löschen Sie den Motor, bevor …«, sie hustete. »Bevor uns das gesamte Boot abfackelt.«
Sie stützte sich an der Reling ab, während sich Cyril um den qualmenden Motor kümmerte. Natürlich stand er nicht wirklich in Flammen. Letztendlich war das aber nur ein schwacher Trost.
Zu allem Überfluss sah Stephanie durch den Tränenschleier hindurch einen weißen Chevi, der vor dem Pier stoppte und auf dessen Dach noch das tropfnasse Surfbrett lag. Heraus stieg Dean Ascott im kurzärmeligen Wetsuit. Seine Füße steckten in Flipflops, die Haare hatte er zurückgekämmt.
Unter dem eng anliegenden Neopren zeichneten sich deutlich die definierten Muskeln ab. Sein schmales Gesicht mit den hohen Wangenknochen erinnerte an einen Schauspieler, den die Frauen anhimmelten. Lässig schlenderte er über den Pier. Dean Ascott. Dabei vergaß er auch nicht, seine verspiegelte Sonnenbrille aufzusetzen.
»Jo, Steph«, rief der Schnösel schon von Weitem. Wenigstens verzichtete er auf irgendeine bescheuerte Geste aus der Rapper- oder Hip-Hop-Szene. »Alles klar zum Ablegen?«
Sie schlang sich den Arm um Mund und Nase, während sie sich die Lunge aus dem Hals hustete, und lauschte dem hohlen Zischen des Feuerlöschers, mit dem Cyril den Motor abschreckte.
Der Sonnyboy sprang über die Reling und blieb dicht vor Stephanie stehen, die demonstrativ die Nase hochzog und sich mit der Hand die Tränen aus dem Gesicht wischte.
»Hat Ihnen die Sonne das Hirn verbrüht, Ascott?« Sie deutete auf Cyril, der einen schuldbewussten Eindruck machte. »Sieht das vielleicht so aus, als ob hier irgendetwas klar wäre?«
Ascott nahm die Sonnenbrille ab und starrte auf die Wartungsluke, um die sich weißer Löschschaum wie Schnee verteilte. »Au backe. Was ist denn hier passiert?«
»Fragen Sie mal unseren Skipper!«, erwiderte Stephanie und deutete über die Schulter. »Mit dem Rausfahren wird’s heute jedenfalls nichts mehr.« Sie kletterte auf die Reling und sprang auf den Pier. Dort drehte sie sich zu Ascott und Thomson um und machte mit Daumen und kleinem Finger das Zeichen zum Telefonieren. »Rufen Sie mich an, wenn Sie die Predator flott gemacht haben.«
»He, und was machen Sie?«
»Ich fahre nach Hause.« Sie hustete demonstrativ und legte sich die Hand auf die Brust. »Rauchvergiftung. Sie verstehen?«
Sie drehte sich um und ging zügig auf ihren eigenen Pick-up zu. Bloß weg von den Chaoten.
»He, warte mal!«
Stephanie wurde erneut übel, als sie die Schritte von Dean Ascott hörte. Das charakteristische Flappen seiner Flip-Flops war unverkennbar. Leider reichte der Brechreiz nicht, um sich gleich hier auf dem Pier zu übergeben. Stattdessen beschleunigte Stephanie ihre eigenen Schritte.
»Nun warte doch!« Ascott schnappte nach ihrer Hand und hielt sie fest. Im Reflex entzog sie sich seinem Griff. Der junge Meeresbiologe legte die Stirn in Falten. Er sah tatsächlich ein wenig besorgt aus. »Soll ich dich nicht besser ins Krankenhaus bringen?«
»Nicht nötig«, erwiderte sie. »Ich komme schon zurecht.«
Sie drehte sich um und ging weiter. So schnell ließ sich ein Dean Ascott jedoch nicht abschütteln. »Jetzt wo wir den Rest des Tages freihaben, könnten wir doch zusammen eine Tasse Kaffee trinken. Wir machen eine Spaziergang am Strand, und du erzählst mir, was ihr hier so treibt.«
Stephanie zog die Autotür auf und wollte gerade einsteigen, als sie in der Bewegung innehielt. »Was wir hier so treiben?«
»Äh, na ja, womit ihr euch hier beschäftigt. Soll ja nicht ganz ungefährlich sein.«
»Wie meinen Sie das?«
»Na ja, man hört so einiges.«