John Sinclair 2302 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2302 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Babylon, Vergangenheit

Das Verlies, in das mich die Soldaten brachten, stank nach Schweiß und menschlichem Unrat.
Es war der Geruch von Angst und Verzweiflung, denn wer hier hineingeworfen wurde, der kam eigentlich nur noch auf zwei Wegen heraus: tot oder auf dem Weg zur Hinrichtung.
Für mich war es einerlei, ob ich hier verhungerte, erkrankte oder enthauptet wurde. Es war mir egal. Ich hatte meinen Lebensmut verloren, und so wartete ich nur noch auf eines.
Den Tod!


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Seitenzahl: 154

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Liliths Sündenbabel

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Liliths Sündenbabel

(Teil 3 von 4)

von Ian Rolf Hill

Babylon, Vergangenheit

Das Verlies, in das mich die Soldaten brachten, stank nach Schweiß und menschlichem Unrat.

Es war der Geruch von Angst und Verzweiflung, denn wer hier hineingeworfen wurde, der kam eigentlich nur noch auf zwei Wegen heraus: tot oder auf dem Weg zur Hinrichtung.

Für mich war es einerlei, ob ich hier verhungerte, erkrankte oder enthauptet wurde. Es war mir egal. Ich hatte meinen Lebensmut verloren, denn die Dämonin Naema hatte mir das Wichtigste überhaupt auf der Welt genommen: meine Tochter Aselya.

Und so wartete ich, Hesekiel, nur noch auf eines.

Den Tod!

Es gab keinerlei Einrichtung in dem Verlies. Keine Pritsche, keinen Schemel, nicht mal ein Loch für die Notdurft. Nur Stroh, das sich auf dem Boden verteilte, und das ich zusammenraffen musste, um mir ein Nest zu bauen, in dem ich einigermaßen bequem schlafen konnte.

Mein Vorgänger hatte einen Teil davon in einer Ecke des Verlieses als Abort angehäuft und eine Kuhle geformt, in die er sich entleert hatte. Einige der größeren Hinterlassenschaften lagen noch dort. Sie waren getrocknet und auseinandergefallen. Winzige Knöchelchen schimmerten in der dunklen Masse. Anscheinend hatte der Gefangene vor mir sich auch von Ratten und anderen Nagern ernährt, die sich auf der Suche nach Futter hierher verirrt hatten.

Vielleicht durch die Öffnung der Decke, die wohl zur Belüftung diente, denn als Fenster war sie zu klein und lag zudem auch zu hoch und damit außer Reichweite. Anhand der Schritte, die in unregelmäßigen Abständen zu hören waren, vermutete ich, dass der Schacht dicht über dem Boden mündete.

Zugleich bildete diese Öffnung auch die einzige Lichtquelle, sofern die Sonne günstig stand, damit sich ein Strahl in das Verlies verirren konnte.

Dann malte sich vor mir an der Tür ein heller Fleck ab. Für andere vielleicht ein Fanal der Hoffnung. Eine Botschaft von Jahwe oder Marduk beziehungsweise Schamasch, dem Sonnengott der Babylonier.

Für mich dagegen war es blanker Hohn.

Es erinnerte mich nur an meine Ziehtochter Aselya, die ich nur noch tot aus dem Tempel der Naema hatte bergen können.

Ich hatte auf den Schutz der Erzengel vertraut, die über den geheimnisvollen Seher mit mir Kontakt aufgenommen hatten, damit ich den Engel der Unzucht und Hurerei vernichtete und die Mädchen befreite, die von Naemas Dienern verschleppt worden waren, um sich im Tempel der Freuden wildfremden Männern hinzugeben.

Darunter auch Estha, die Tochter meines Nachbarn Liam und seiner Frau Tabea. Sie war auf die Verlockungen eines Naema-Anhängers hereingefallen. Liam hatte mich, Hesekiel, um Hilfe gebeten, und ich hatte sie ihm nicht verwehrt.

Fast wäre mir das zum Verhängnis geworden, denn als ich mich in den Tempel schlich, um Estha zu finden, hatte mich Naemas Hohepriesterin Nisha, die sich als die Dämonin selbst entpuppt hatte, enttarnt.

Naemas untote Sklaven, lebende Leichen mit angespitzten Zähnen, hätten mich beinahe erwischt, wenn Aselya mir nicht gefolgt wäre. Zusammen mit unseren Nachbarn und Freunden hatten sie mich gerettet, doch ausgerechnet Aselya war zurückgeblieben.

Und sobald ich die Augen schloss, sah ich wieder die grauenhafte Fratze der Nisha, als sie sich mit Aselya in den Fängen in den nächtlichen Himmel erhoben hatte. Nicht ohne mir zuvor ein Hufeisen an den Kopf zu schleudern, die meine Tochter als Wurfgeschosse bei sich getragen hatte.

Ihre panischen Schreie hatte ich dennoch vernommen und würde sie mein Lebtag nicht vergessen. Es war die letzte Erinnerung an Aselya. An dieses kleine tapfere Mädchen, das ich vor Jahren auf den Straßen Jerusalems gefunden und in meine Obhut genommen hatte, nachdem seine Eltern von babylonischen Soldaten getötet worden waren.

Die folgenden Tage nach unserer Flucht und Aselyas Verschwinden waren wie ein Traum an mir vorübergezogen. Zu dieser Zeit hatte ich zum ersten Mal von dem geheimnisvollen Seher gehört, von dem ich bis heute nicht wusste, wer sich hinter diesem Begriff verbarg.

Der Gedanke, es könnte Jahwe persönlich sein, da er für die Erzengel sprach, erschien mir wie Blasphemie. Zumal es eher umgekehrt hätte sein müssen, also dass die Engel als Sprachrohr Gottes dienten. Eine Antwort auf diese Fragen hatte ich bis heute nicht gefunden, das war für mich aber auch nicht von Bedeutung.

Viel wichtiger war gewesen, was mir der Seher gesagt und sogar gezeigt hatte.

Angeblich war ich auserkoren, eine Waffe oder vielmehr ein Symbol zu erschaffen, das die Mächte des Bösen, ihre Leiber und Kreaturen, vernichtete und in ihre Schranken wies. Es sollte die Kraft der Erzengel bündeln und auf die Dämonen schleudern, wie ein Prisma, das das Licht der Sonne einfing.

Dieses Symbol sollte aus Silber, dem reinsten und edelsten aller Metalle, bestehen. Wohingegen Gold von den Teufeln und Dämonen benutzt wurde, um die Gier der Menschen zu wecken und das Schlechteste in ihnen hervorzurufen.

Die Geschichten von Anhängern des Baalkults, die um ein goldenes Kalb tanzten und ihm Menschenopfer darbrachten, hielten sich hartnäckig. Besonders die Kanaaniter standen im Verdacht, diesem furchtbaren Götzen zu dienen, der sich von Menschenfleisch ernährte, das ihm seine grauenhaften Leichenvögel besorgten.

Doch das silberne Zeichen des Guten war nicht für mich bestimmt. Das hatte mir der Seher deutlich zu verstehen gegeben. In meinen Träumen und Visionen hatte ich einen großen blonden Mann in fremdartiger Kleidung gesehen. Er hatte enge Beinkleider getragen und einen ledernen Harnisch. Mit dem Kreuz in der Hand war er gegen schreckliche Kreaturen angetreten: menschengroße Flugmonster, halb skelettierte Reiter auf feuerspeienden Rappen und sogar gegen den leibhaftigen Tod, der in Gestalt eines gigantischen schwarzen Skeletts mit einer gewaltigen Sense auf ihn eingedrungen war.

Dieser Mann sollte in ferner Zukunft den Kampf zwischen Gut und Böse entscheidend beeinflussen. Doch dazu brauchte er dieses Symbol, diese Waffe, die von den Erzengeln geweiht worden war.

Ich selbst, Hesekiel, hatte ihre Sigille in die Enden des Kreuzes graviert. In die Mitte hatte ich das Zeichen meines Glaubens, den Davidstern, geritzt.

Derart gewappnet war ich erneut gegen den Tempel der Naema ins Feld gezogen. Und das Kreuz hatte mich nicht im Stich gelassen. Die Kraft der Erzengel hatte Naemas untote Sklaven vernichtet und ihr Standbild zerstört. Nisha selbst war durch den herabfallenden Schädel der Statue zermalmt worden. Die menschlichen Diener der Naema und ihre weiblichen Anhängerinnen, die Töchter des Kain, waren in Panik geraten. In dem Durcheinander war es mir gelungen, Estha und die anderen verschleppten Mädchen zu befreien.

Für Aselya jedoch war jede Hilfe zu spät gekommen.

Die Marter durch die Dämonen und ihre Diener war zu viel für ihren geschwächten Körper gewesen. Als ich in den Kerker eindrang, war sie bereits tot gewesen.

Mit ihrem Leichnam auf den Armen war ich aus dem Tempel getreten und sofort von den herbeigerufenen Soldaten in Gewahrsam genommen wurde. Man hatte mich niederschlagen müssen, denn freiwillig hätte ich Aselyas Körper nicht hergegeben. Was aus ihm geworden war, wusste ich nicht. Ebenso wenig wie über den Verbleib des Kreuzes.

Als ich gesehen hatte, dass Aselya tot war, hatte ich es weggeworfen. Voller Abscheu darüber, dass mich die Erzengel derart im Stich gelassen hatte.

Das war also der Dank dafür, dass ich mich in ihren Dienst gestellt hatte.

Da niemand nach mir sah, blieb ich mit meiner Trauer, meinem Zorn und meiner Ohnmacht allein. Einmal warf jemand ein Stück hartes Brot durch den Schacht in das Verlies. Ich hörte das Lachen eines Soldaten. Als ich den Knust in die Hand nahm, erkannte ich auch, warum, denn es war bereits ein großes Stück herausgebissen worden.

Kurz darauf fielen zwei abgenagte Äpfel und ein zur Hälfte ausgehöhlter Granatapfel in die Tiefe. Das war also die Speise, die man einem Juden, der ein Heiligtum der Babylonier geschändet hatte, zugestand.

Ich tastete es überhaupt nicht an. Wozu essen oder trinken? Das Leben hatte mit Aselyas Tod jede Bedeutung für mich verloren. Sollten sich der Seher und seine Engel doch jemand anderen suchen, der ihre Symbole schmiedete.

Durch das schwindende Licht und die Kälte, die nachts in das Verlies kroch, wusste ich zumindest, welche Tageszeit wir hatten. Anfangs zählte ich die verstreichenden Tage sogar noch mit, doch mit zunehmender Schwäche wurde auch das immer weniger.

Irgendwann war ich nicht mal mehr in der Lage, aufzustehen, um meine Notdurft zu verrichten.

Bis eines Tages – ich weiß nicht, ob ich schlief oder wach war – die vertraute Stimme des Sehers an meine Ohren drang.

»Warum hast du das getan? Warum bist du mit dem Kreuz ausgezogen, um gegen Naema anzutreten?«

»Weil du es so wolltest«, hörte ich mich antworten. »Ich sollte eine Waffe, ein Symbol, schmieden, das dem Bösen trotzt.«

»Für den Sohn des Lichts.«

»Der erst in Tausenden von Jahren geboren wird. Aber meine Tochter, Aselya, brauchte jetzt Hilfe.«

»Viele Menschen brauchen Hilfe, doch du kannst sie nicht alle retten. Indem du mit der Waffe ins Feld gezogen bist, bevor sie vollendet wurde, hast du das Schicksal herausgefordert.«

»Hätte ich Aselya und die anderen Mädchen ihrem Schicksal überlassen sollen?«

»Manchmal bleibt uns keine andere Wahl.«

»Das ist grausam.«

»Das ist das Leben.«

»Nein, das will und werde ich nicht akzeptieren.«

»Damit wirst du dem Bösen in die Hände spielen, obwohl du eigentlich das Gegenteil erreichen willst. Selbst wenn du Aselya gerettet hättest, was wäre deiner Ansicht nach geschehen? Glaubst du, die Soldaten hätten dich einfach ziehen lassen? Wahrscheinlich wäre deine Tochter längst die Leibsklavin eines reichen Babyloniers. Die Dämonen aber sind gewarnt, sie werden alles daransetzen, das Kreuz zu vernichten, bevor es seine volle Kraft entfalten kann und seine endgültige Weihe erhält.«

»Aber Naema wurde vernichtet«, protestierte ich.

»Nein, das wurde sie eben nicht. Sie wurde nur zurückgedrängt und geschwächt. Doch sie lebt, ebenso wie ihre drei Schwestern Igereth, Machalath und Lilitu sowie die Große Mutter selbst, die Hure Babylon, die kommen wird, um euch alle zu verderben.«

»Nein!«

»Indem du dein Wohlergehen über das der anderen gestellt hast, hast du die Stadt und seine Menschen dem Bösen ausgeliefert.«

»NEIN!«

»Du hast versagt, Hesekiel. Du hast den Sohn des Lichts seiner wichtigsten Waffe beraubt, noch bevor er überhaupt geboren wurde und ...«

»NEEEIN!«

Ich zuckte zusammen und blinzelte, als grelles Licht in das Verlies flutete und mich blendete.

Mehrere Gestalten zeichneten sich in der offenen Tür ab. Ich hörte das Schaben von Leder auf Metall, das Klirren von Waffen.

»Puh, wie das stinkt. Das ist ja kaum auszuhalten.«

»Ihr hättet zumindest mal das Stroh wechseln und ihm einen Eimer für die Notdurft geben können.«

»Glaub kaum, dass er den benutzt hätte«, sagte ein Dritter und scharrte das trockene Gras mit dem Fuß zur Seite. »Selbst das Essen hat er nicht angerührt.«

»So können wir ihn auf jeden Fall nicht zu ihr bringen. Schmeißt ihn in den Fluss, danach bringt ihr ihn zu Ishtars Dienerinnen. Sie sollen ihn baden und salben und in ordentliche Tücher hüllen. Habt ihr das verstanden?«

»Ja, doch.«

Ich hörte, wie einer der drei Männer sich umdrehte und davonstapfte. Die anderen beiden Kerle beugten sich zu mir herunter und griffen nach meinen Armen. Einer von ihnen würgte. Es klang so, als wolle er sich übergeben.

Sie zerrten mich ins Freie, und ich ließ es geschehen. Aber selbst wenn ich gewollt hätte, ich wäre gar nicht imstande gewesen, mich zur Wehr zu setzen. Ich war mehr tot als lebendig.

Daran änderte auch das kühle Wasser nichts, in das mich die Männer hineinwarfen, nachdem sie mir die Kleider vom Leib geschnitten hatten, wofür sie ihre kurzen Schwerter benutzt hatten. Für einen Moment war ich versucht, mich in die Klingen zu stürzen, aber selbst dazu fehlte mir die Kraft. Die Gelegenheit, meinem Dasein ein Ende zu setzen, folgte jedoch schneller als gedacht.

Anhand der schwachen Strömung erkannte ich, dass es sich um einen Nebenfluss oder einen Kanal des Euphrat handelte. Sehen konnte ich kaum etwas, da ich die Augen die meiste Zeit über geschlossen hielt, und wenn ich sie öffnete, die Umgebung nur schemenhaft wahrnahm.

Wie ein Stein sank ich auf den Grund. Ohne es eigentlich zu wollen, hielt ich den Atem an. Der Druck auf die Brust, das Verlangen, Luft zu holen, wurden stärker. Das Wasser rauschte mit dem Blut in meinen Adern um die Wette.

Müde hob ich die Lider und sah einen hellen Fleck jenseits der Wellen zittern und tanzen. Ich glaubte, Aselyas Gelächter zu vernehmen, und inniger Friede ergriff von mir Besitz.

Gleich sind wir wieder vereint, dachte ich.

Lächelnd bereitete ich mich darauf vor, tief einzuatmen und meine Seele Gottes Gnade zu überantworten. Leider hatten meine Wächter etwas dagegen. Ich sah ihre Schatten das grelle Rund der Sonne verdunkeln, einen Herzschlag später tauchten ihre Leiber neben mir in die Fluten.

Ihre Hände glitten an meinem nackten Körper entlang. Schließlich packte einer der Soldaten mich an den Haaren, während der andere die Beine ergriff.

»Dämlicher Ochse«, rief einer von ihnen. »Wenn du unbedingt deinem Schöpfer gegenübertreten willst, tu das ein anderes Mal.«

Täuschte ich mich, oder kannte ich diese Stimme?

Ja, mit einem Mal war ich mir sicher, dass es sich um den gedrungenen Soldaten handelte, der mit seinem Kameraden am Ishtar-Tor Wache gehalten hatte, als ich mich nach Estha und Behruz erkundigt hatte.

Sie schleppten mich an Land, wickelten mich in ein Leinentuch und legten mich auf eine Trage, die von einem Ochsen gezogen wurde. Zuvor wäre mir der strenge Geruch des Tieres vermutlich gar nicht aufgefallen.

Ich wurde am Ufer des Flusses vorbeigezogen, hin zu einem Gebäude, in dem es nach Milch und Rosen, Jasmin und Honig duftete. Die Soldaten mussten draußen bleiben. Mehrere Frauen, einige davon von beachtlicher Körperkraft, nahmen sich meiner an. Sie legten mich in die Milch, wuschen mein Gesicht und schnitten mir Bart und Haare.

Anschließend hüllte man mich in ein schlichtes blaues Gewand, schnürte weiche Sandalen an die Füße und übergab mich zwei kräftigen Männern. Keine Soldaten, sondern Bedienstete einer hochgestellten Persönlichkeit. Womit mir diese Ehre gebührte, war mir nicht klar, doch ich war mir sicher, dass ich es bald erfahren würde. Zu fragen hatte jedenfalls keinen Sinn.

Die Diener brachten mich zu einem Boot, wo sie mich auf einen Stuhl unter einen Baldachin setzten, der mir wohltuenden Schatten spendete. Mein Herz schlug schneller, erinnerte mich das Geschehen doch an einen Traum, den ich vor wenigen Wochen gehabt hatte.

Ich entsann mich nur bruchstückhaft, wusste aber, dass es kein angenehmer Traum gewesen war. Er hatte vom Neujahrsfest gehandelt und einer grauenhaften Bestie, die aus dem Turm Etemenanki gestiegen war und fürchterlich unter den Menschen gewütet hatte.

Die trüben Gedanken verflogen, als die Barkasse Fahrt aufnahm. Wir fuhren den Kanal hinab, bis zu dem Hauptstrom, der geradewegs auf einen gewaltigen Komplex zulief, der auf den ersten Blick einer Zikkurat ähnelte.

Einer Zikkurat, deren Stufen von üppiger Vegetation überwuchert wurden.

Schon aus der Ferne sah ich gewaltige, Schatten spendende Palmwedel sowie Blüten von erhabener Farbenpracht. Ein breiter Strom aus frischem Wasser floss mittig über die Hänge talwärts, um sich unterhalb des Tempels in einem künstlichen Becken zu sammeln, aus dem die Füße gewaltiger Säulen ragten, auf denen die Zikkurat errichtet war.

Ich kannte dieses Gebilde natürlich. Jeder Bewohner Babylons kannte es, denn es prägte das Stadtbild nicht weniger als der Turm Etemenanki, das Ishtar-Tor oder die Stadtmauer.

Es waren die hängenden Gärten.

Staunend betrachtete ich dieses einzigartige Meisterwerk, das Nebukadnezar für seine Gemahlin hatte errichten lassen.

Erst als der Bug der Barkasse an die Mauer des Stegs schabte, kehrte meine Aufmerksamkeit in das Hier und Jetzt zurück. Mein Blick glitt über die begrünten Hänge der Zikkurat, hinauf bis zur Spitze, die dank des dichten Bewuchses nicht zu sehen war.

Die Bediensteten halfen mir hoch und geleiteten mich auf die steinerne Umrandung des Beckens, über das ein schmaler Steg führte. Vor mir erhob sich eine dichte grüne Wand, die einen süßlichen, frischen und zugleich betäubenden Duft verströmte. In den Bäumen und Sträuchern gewahrte ich winzige Vögel mit buntem Gefieder, die von Ast zu Ast hüpften. Eine schmale Treppe führte mitten durch den künstlich angelegten Bewuchs hinauf zur Spitze.

Obwohl die Stufen kleiner waren als die Hänge dieser Parkanlage, wurde mir allein vom Anblick schwindelig. In meinem Zustand würde ich den Aufstieg niemals bewältigen.

Ein Bediensteter griff nach meinem Arm und zog mich weiter, an der Treppe vorbei. Ich atmete auf. Wir näherten uns dem Wasserfall, der in Kaskaden über die Tempelstufen abwärts rauschte.

Daneben stand ein hoher Lehnstuhl. Eine hölzerne Platte mit einer Aussparung für den Bauch lag auf den Armlehnen. Der Stuhl selbst hing zwischen zwei Stangen, die bis ganz nach oben führten. Zwei weitere lagen dicht nebeneinander am Boden.

Erst bei genauerem Hinsehen erkannte ich, dass der Stuhl keine Beine hatte, sondern zwei halbrunde Bögen, die wie eine Art Sockel auf den unteren Stangen mündeten. Ein dickes Tau reichte von der Rückseite hinauf bis zur Spitze.

Zumindest nahm ich das an, denn auch das Seil entzog sich alsbald meinen Blicken.

Es war straff gespannt, und ich ahnte, welchen Zweck es erfüllte. Meine Vermutung wurde kurz darauf bestätigt.

Einer der Bediensteten nahm das Brett von den Armlehnen. Ich setzte mich, und die Platte wurde vor meinem Bauch befestigt. Anschließend schlug einer der Diener mit einem gepolsterten Schlegel dreimal kräftig gegen eine Messingscheibe, die vom Ast eines Baumes hing.

Der Hall war weithin hörbar, und lange brauchte ich nicht zu warten, bis das schwache Knirschen erklang, mit dem sich das Seil straffte. Ein Ruck ging durch den Stuhl, der sich langsam in Bewegung setzte und rückwärts die Stufen der hängenden Gärten hinaufgezogen wurde.

Die Diener blieben unter mir zurück. Ich konnte sehen, wie sie zu der schmalen Treppe gingen. Die armen Männer mussten den langen Aufstieg natürlich zu Fuß bewältigen.

Ich aber durfte eine wahrhaft atemberaubende Aussicht genießen. Oder hätte sie genossen, wenn der Tod Aselyas nicht noch immer schwer auf meinem Gemüt gelastet hätte, an den mich der Anblick von Naemas Zikkurat sowie der Turm Etemenanki erinnerte.

Trotzdem vermochte ich nicht die Lider zu schließen. Einem Mann meines Standes, einem im Exil lebenden Juden, war ein solcher Ausblick nicht oft vergönnt. Und es zeigte mir die Pracht von Babylon aus einer völlig neuen Perspektive.

Meine Gefühle gerieten in Aufruhr, schwankten zwischen Faszination, Bewunderung und Abscheu ob dieser Gigantonomie.

Jedes Mal, wenn der Stuhl einen der Gartenhänge passierte, hörte ich unter mir das Plätschern eines Bächleins, das vom Hauptstrom gespeist wurde und zu einem raffinierten Bewässerungssystem führte.

Ich wurde eben unter den Wedeln einer Palme hindurchgezogen, da erklang ein lautes, eindringliches Kreischen. Im nächsten Moment flog ein Schatten aus dem Dickicht und prallte vor mir auf das Brett mit der Aussparung.

Ein erschrecktes Keuchen floh aus meiner Brust. Mein Herz übersprang einen Schlag, nur um danach umso heftiger weiterzuhämmern, wie ein Pferd im Galopp.