John Sinclair 2303 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2303 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Die Augen des Jungen erstrahlten in grellem Licht.
Trotz der geschlossenen Lider war das deutlich zu erkennen. Es war so hell, dass es die umgebende Haut durchleuchtete. Ein Geflecht aus zarten Äderchen hob sich um die Augenpartie ab.
Als er die Augen öffnete, flutete das helle Licht in den Raum, hüllte die Menschen und Gerätschaften ein wie in eine weiche, warme, flauschige Decke. Es war kein gewöhnliches Licht, weiß Gott nicht. Es war Engelslicht.
Schließlich sprach er die Worte, auf die sie alle sehnsüchtig gewartet hatten.
"Ich habe Kontakt!"


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Seitenzahl: 157

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Die Hure Babylon

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Die Hure Babylon

(Teil 4 von 4)

von Ian Rolf Hill

Die Augen des Jungen erstrahlten in grellem Licht.

Trotz der geschlossenen Lider war das deutlich zu erkennen. Es war so hell, dass es die umgebende Haut durchleuchtete. Ein Geflecht aus zarten Äderchen hob sich um die Augenpartie ab. Sir James Powell stockte der Atem.

Er war eben erst dazugestoßen, nachdem er Father Ignatius in Rom über die neuesten Entwicklungen in Kenntnis gesetzt hatte. Nicht nur, was Suko betraf, den es zusammen mit Jane Collins nach Bagdad verschlagen hatte, sondern vor allen Dingen John Sinclair, der noch immer in einem magischen Koma lag, irgendwo zwischen Leben und Tod. Genau das wollten die beiden Besucher jetzt ändern.

Es waren Raniel, der Gerechte, und sein Sohn Elohim. Auf ihm ruhten sämtliche Hoffnungen, denn Lilith, der sie den Zustand des Geisterjägers zu verdanken hatten, war seine Mutter.

Ruckartig öffnete Elohim die Augen. Das helle Licht flutete in den Raum, hüllte die Menschen und Gerätschaften ein wie in eine weiche, warme, flauschige Decke. Nie zuvor hatte sich Sir James Powell geborgener und sicherer gefühlt. Es war kein gewöhnliches Licht, weiß Gott nicht. Es war Engelslicht.

Schließlich sprach Elohim die Worte, auf die sie alle sehnsüchtig gewartet hatten.

»Ich habe Kontakt!«

Babylon, Vergangenheit

Die Welt um mich herum versank in einem tosenden Inferno.

Gerade als ich nach dem Schwert des Erzengels Michael greifen wollte, das die über mir tobende Bestie mit den nunmehr sechs Häuptern ihm aus der Hand geschlagen hatte, riss die Welt vor mir auseinander.

Eine hochgewachsene Gestalt erschien, gekleidet in ein Gewand, das mir fremd und zugleich vertraut war. Vor der Brust hing ein Gegenstand, der dem in meiner Hand fast zum Verwechseln ähnlich sah: ein silbernes Kreuz.

Nur verfügte es über noch mehr Zeichen und Symbole.

Wer war dieser Mann? War er überhaupt ein Mensch? Oder gehörte er ebenfalls zu den Dämonen?

Auf dem Rücken entfalteten sich zwei gewaltige schwarze Schwingen. Also noch ein Engel?

»Wer bist du?«

Da beugte er sich vor, sodass ich sein Gesicht sehen konnte. Mir stockte der Atem. Ich hatte das Gefühl, in einen Spiegel zu blicken.

»Aber Vater, erkennst du denn deinen eigenen Sohn nicht?« Er streckte den Arm aus. Seine Stimme veränderte sich, wurde höher und schriller. »Ich bin der Metatron. Die Stimme Gottes. Und ich bin gekommen, um meinen rechtmäßigen Platz an der Seite der Engel einzunehmen!«

Schatten verdunkelten das Licht, Blitze zerrissen die Finsternis. Die Luft schmeckte klar und rein, wie nach einem Gewitter. Ich war wie gelähmt. Plötzlich verlor der Kampf zwischen Michael und dem Drachen jegliche Bedeutung, es gab nur noch mich, Metatron und das Schwert, das der Engel jetzt an sich nahm.

Mit einem Schlag seiner gewaltigen Flügel katapultierte er sich zurück in die Finsternis, die wie ein Vorhang über ihm zusammenfiel und den Metatron, meinen Sohn, verschlang.

Zurück blieben ich, der Erzengel Michael sowie das Ungeheuer, das sich anschickte, den Himmelsboten zu zerreißen. Der Körper Michaels, sofern er überhaupt einen besaß, erstrahlte.

Drei weitere Schemen traten neben ihn, versuchten, ihn abzuschirmen, doch das Monster war zu mächtig. Das Böse, das in Babylon gedieh, stärkte das Ungeheuer und schwächte die Engel.

Und ich war machtlos. Das Kreuz konnte mir nicht mehr helfen. Nicht, nachdem Lilith es entweiht hatte. Oder?

Plötzlich vernahm ich wieder die vertraute Stimme jener körperlosen Präsenz, die sich mir als der Seher vorgestellt hatte.

»Du hast die Macht, Hesekiel, du allein kannst das Blatt wenden.«

»Nein«, rief ich. »Ich habe versagt. Ich habe das Kreuz entweiht.«

»Ja, das hast du. Aber deshalb hast du nicht versagt. Du bist ein Mensch, du bist nicht vollkommen. Selbst die Engel sind es nicht. Verloren hast du erst, wenn du dich aufgibst. Also kämpfe, Hesekiel.«

»Wie?«

»Du bist der Anfang, das Alpha. Bei dir beginnt der Kampf gegen die Mächte des Bösen hier auf Erden. Du hast die Waffe erschaffen für den Sohn des Lichts, den Omega, den letzten Träger des Kreuzes. Und jetzt höre, Hesekiel, eine der Urformeln, die die Welt im Gleichgewicht halten, und spreche mir nach!«

Die Erde unter mir erzitterte. Die Häupter der Bestie stießen in das Licht hinein und schnappten nach den schemenhaften Gestalten der Erzengel.

Ein Sturm fegte über das Plateau. Heiß wie die Hölle und so kalt wie der Tod.

Etwas griff nach meinem Herzen, etwas Urböses, das mich zu zerquetschten drohte. Irgendwo hinter mir erklang gellendes Gelächter. Ich wandte den Kopf und erschauerte.

Lilith, die Hure Babylon, erhob sich.

Ihr nackter, schwarzhäutiger Leib wuchs riesenhaft an, wurde durchscheinend und zerlief. Aber nicht, weil sie verging. Nein, sie veränderte sich. Ihre Haut verflüssigte sich, wurde zu einer schleimigen Substanz, aus der sich glitschige Tentakel formten, die sich wie die Fangarme eines Kraken durch das Gestrüpp des Gartens auf die Engel zu schlängelten.

Ich aber hob das Kreuz und sprach die Worte, die der Seher vorbetete.

»TERRA PESTEM TENETO – SALUS HIC MANETO!«

Sekundenlang geschah nichts. Mein Herz drohte zu zerspringen, hämmerte verzweifelt gegen die Kälte des Bösen an. Liliths Lachen wurde lauter, ebenso wie das Brüllen der Bestie.

Dann fuhr ein Riss durch den Untergrund, raste auf den Brunnen in der Mitte des Plateaus zu und spaltete ihn. Ein Spalt klaffte auf wie ein gefräßiges Maul, das die Trümmer des Brunnens verschlang. Gleichzeitig verästelte er sich in einem irrwitzigen Tempo.

Und dann explodierte das Kreuz in grellem Licht, das dieses Mal nicht nur aus den Enden strahlte, sondern aus dem gesamten Kleinod hervorbrach.

Liliths Lachen verkam zu einem schrillen, hasserfüllten Kreischen.

Die Gestalten der Engel leuchteten auf, sie erstarkten. Einen Wimpernschlag später jagten sie senkrecht in den Himmel, aus dem eine Lichtsäule fiel, mitten in die Hängenden Gärten der Semiramis einschlug und sie auseinanderriss.

In wenigen Sekunden würde alles in sich zusammenstürzen!

Ich überlegte nicht lange, stemmte mich auf die Beine und sprang über einen der zahllosen Risse hinweg. Unter mir brachen bereits die ersten Brocken weg, drohten mich in die Tiefe zu reißen. Den Blick fest auf den Thron gerichtet, der zu dem ausgeklügelten Liftsystem gehörte, rannte ich weiter.

Und schaffte es!

Mit einem pantherartig Satz stieß ich mich ab, flog über die Lehne, an der ich mich instinktiv festklammerte. Gerade noch rechtzeitig, denn genau in dieser Sekunde zersprang das Rad mit dem Tau, das den Stuhl bislang an Ort und Stelle gehalten hatte.

Ich raste in die Tiefe.

Das Inferno blieb hinter mir zurück. Außer Gefahr war ich deshalb noch lange nicht. Neben mir erhob sich die schwarzgeschuppte Bestie, die ihren schlangengleichen Leib um die Säulen geschlungen hatte, auf denen die Hängenden Gärten ruhten.

Über mir lösten sich gewaltige Trümmer aus der Konstruktion, rasten hinab und drohten mich zu zerquetschen. Die meisten rauschten an mir vorbei, doch eben nicht alle. Ich hörte das Knallen und Prasseln, als kleinere Steine und Geröllstücke gegen die Lehne hämmerten.

Dann senkte sich ein Schatten über mich.

Ich brüllte beim Anblick des tonnenschweren Brockens, der geradewegs auf mich zuflog. Ich wollte die Augen schließen, da stoppte der Lift, als er aus voller Fahrt gegen ein Hindernis stieß und zerschellte. Ich wurde emporgeschleudert, ruderte mit den Armen und sah, wie der Felsen den Stuhl, auf dem ich eben noch gekauert hatte, zermalmte.

Ich wurde herumgewirbelt. Plötzlich wusste ich nicht mehr, wo oben oder unten war. Krampfhaft klammerte ich mich an das Kreuz, als wäre es ein Rettungsanker. Trotzdem schloss ich mit dem Leben ab. Der einzige Trost, der mir blieb, war, dass ich den Drachen und die Hure Babylon mit mir ins Verderben gerissen hatte.

Ich kniff die Lider zu und wartete auf den alles vernichtenden Aufprall.

Und er kam. Nur anders, als ich erwartete. Statt auf dem Pflaster der Straße zu zerschmettern, rauschte ich in das Wasser des Beckens, aus dem sich die Hängenden Gärten erhoben. Wie ein Stein tauchte ich in das kühle Nass, riss die Augen auf und sah schemenhaft die hektischen Bewegungen des Ungeheuers. Glühende Trümmer schlugen um mich herum ins Wasser. Es zischte und brodelte, und ich begriff, dass ich noch nicht aus dem Schneider war.

Mit den Füßen voran prallte ich gegen einen harten Widerstand. Ob es der Grund des Beckens war oder ein Trümmerstück, war mir egal. Ich wollte nur aus dem Wasser heraus und stieß mich ab.

Doch die Wasseroberfläche kam einfach nicht näher.

Verzweifelt ruderte ich mit den Armen. Der Druck auf die Lungen wurde stärker. Ich benötigte Luft zum Atmen.

Zwei Sonnen flammten auf. Zitternd schwebten sie über mir. Und eine Stimme erklang.

»Erwache, John Sinclair!«

London, Gegenwart

Ich schlug die Augen auf.

Statt auf die einstürzenden Gärten der Semiramis, starrte ich an die kahle Decke eines geschlossenen Raumes. Der Geruch von Reinigungs- und Desinfektionsmitteln hing in der Luft, zusammen mit einem Hauch Ozon.

Und über mir schwebte das Gesicht von ...

»Elohim!«, krächzte ich.

Zumindest wollte ich das, doch ich brachte nicht mal ein unverständliches Gemurmel zustande. Ich spürte einen festen Widerstand im Mund, der meine Zunge fixierte und hart gegen den Gaumen drückte. Heiß schoss das Adrenalin durch meine Adern.

Ich war intubiert worden!

Auf der Oberlippe lag ein flexibler Silikonschlauch, durch den Sauerstoff in die Nase strömte. Auch mein Kopf war nicht frei beweglich. Es fühlte sich an, als wäre er festgebunden worden. Erst als ich den rhythmischen Signalton vernahm, dämmerte mir, was hier vor sich ging. Ich war verkabelt worden und lag, an diverse medizinische Apparate angeschlossen, im Krankenhaus.

»John!«

Das war Glenda!

Bevor ich sie zu Gesicht bekam, schob sich eine andere Gestalt in mein Sichtfeld. Fein geschnittene Züge, dunkle Augen und schwarze Haare. Auch diese Frau kannte ich, wenn auch nicht so gut wie meine langjährige Assistentin und Geliebte.

Doktor Peterson verscheuchte Elohim mit harschen Worten.

Stattdessen tauchte Schwester Berengar auf der anderen Seite des Bettes auf. Gemeinsam befreiten sie mich von dem Tubus und den Kabeln. Schließlich durfte ich mich aufrichten und staunte nicht schlecht, als ich sah, dass nicht nur Glenda anwesend war, sondern auch Shao, Sir James, Elohim und Raniel, der Gerechte.

Ich stand noch immer unter dem Eindruck des Erlebten, sodass es ein wenig dauerte, bis ich mich sortiert hatte. Unwillkürlich tastete ich nach dem Kreuz und fasste ins Leere. Ich erschrak, redete mir aber ein, dass man es mir vermutlich nur abgenommen hatte, damit es während der Behandlung nicht im Weg war oder verloren ging.

»Wie geht es dir?«, fragte Glenda, und schob sich an das Bett heran, als Schwester Berengar die Kabel und Geräte beiseiteschaffte.

Das war eine verdammt gute Frage. Ich senkte den Blick und beobachtete, wie Doktor Peterson den Verband aufschnitt, mit dem die Venenverweilkanüle fixiert worden war.

Ich wollte antworten, doch meine Kehle fühlte sich nicht nur wund und trocken an, sondern auch, als würde immer noch ein Fremdkörper im Rachen stecken, den ich selbst durch mehrfaches Räuspern einfach nicht loswurde.

»Gib ihm was zu trinken!« Shao reichte Glenda eine Flasche mit Wasser.

Sie blickte Doktor Peterson fragend an, die knapp nickte. Sie sah ein wenig blass um die Nase herum aus. Vermutlich hatte sie etwas erlebt, was nicht alltäglich war. Selbst für sie nicht.

Schwester Berengar holte einen Becher, den Glenda zur Hälfte mit dem stillen Wasser füllte. Sie half mir, mich aufzurichten, während Shao das Kopfende in eine aufrechte Position stellte. Langsam ließ ich mich zurücksinken und trank in kleinen Schlucken.

Kurz darauf ging es mir besser.

Mein Blick fiel auf Raniel und seinen Sohn, die im Hintergrund standen wie bestellt und nicht abgeholt. »Was ... was ist passiert?«

Der Gerechte trat vor. »Elohim hat dich zurückgeholt.«

»Zurück«, murmelte ich.

»Was ist das Letzte, woran Sie sich erinnern können?«, fragte Sir James.

Ich schloss die Augen, und plötzlich sah ich eine antike Stadt vor mir, mit einem turmhohen Tempel, der bis in den Himmel reichte. Tausende von Menschen tummelten sich in den Straßen, vor einem prachtvollen Tor aus blauen Ziegeln.

»Babylon!«, hauchte ich, und bemerkte, wie meine Freunde bedeutungsvolle Blicke tauschten.

»Ist das alles? Nur Babylon?«

»Nein! Nein, da ... da ist noch ein Ungeheuer. Eine Bestie mit sieben Häuptern.«

»Luzifer«, sagte Raniel.

»Ja, vielleicht. Und auf ihm reitet Lilith.«

»Die Hure Babylon«, fügte Shao hinzu.

»Es ... es war Neujahr. Das Neujahrsfest, als ...«

Vor meinem geistigen Auge zog sich der Himmel zu. Nachtschwarze Wolken, aus denen grelle Blitze zuckten. Dann schob sich ein weiteres Bild über die Szenerie. Wie bei einer Doppelbelichtung sah ich mich auf den Hängenden Gärten stehen, vor mir das Schwert des Erzengels Michael.

Der Engelstöter.

Ruckartig hob ich den Kopf und fixierte Raniel. »Metatron! Er ... er hat den Engelstöter. Und ...« Mit einem Mal wurde mir speiübel, als die Erinnerungen wie eine Lawine über mich hereinbrachen.

»Ich ... ich kann mich an alles erinnern. Ich war Hesekiel. Ich habe miterlebt, wie er das Kreuz erschuf, wie er von Lilith verführt wurde und ... ein Kind zeugte.« Mein Blick wanderte zu Elohim. »Metatron ist dein Bruder. Mein Sohn.«

»Hesekiels Sohn«, korrigierte Sir James.

»Was auf dasselbe hinauslaufen dürfte«, sagte Raniel und trat näher. »Bist du sicher, dass Metatron den Engelstöter hat?«

Meine Augen weiteten sich, das Blut sackte mir aus dem Kopf. »Er ... er hat mein Kreuz.«

Glenda nickte mitfühlend. »Er war hier, kurz bevor Raniel und Elohim auftauchten. Er hat das Kreuz mitgenommen. Wir wollten ihn daran hindern, doch er hat uns mit seiner Magie gelähmt.«

»Und wo wart ihr?«, fragte ich den Gerechten und seinen Sohn.

»Nicht hier«, erwiderte Letzterer.

»Metatron hat auch mich überlistet«, gab Raniel kleinlaut zu. »Aber das heißt nicht, dass wir ihn nicht aufhalten könnten.«

»Was hat der Wahnsinnige vor?«

»Er will den Platz, der ihm seiner Meinung nach zusteht«, erklärte Elohim.

»Nicht nur das«, fügte sein Vater hinzu. »Er will nicht nur einen Platz im Pantheon der Erzengel, er will die Herrschaft.«

»Können wir ihn überhaupt aufhalten?«

»Wir müssen es zumindest versuchen.«

Ich schwang die Beine aus dem Bett. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich nur ein Flügelhemd trug. Doch da erschien Schwester Berengar bereits mit meinen Sachen. Ich bemerkte, dass der magische Bumerang und die Beretta verschwunden waren.

Und da fiel mir auf, dass ich schon die ganze Zeit über jemand Bestimmen vermisste.

»Wo steckt eigentlich Suko?«

Die Ruinen von Babylon!

Sie erstreckten sich auf einer Fläche von mehr als zehn Quadratkilometern, und das war noch längst nicht alles. Obwohl die Grabungen bereits im neunzehnten Jahrhundert begonnen hatten, war bislang nur ein Teil der der antiken Metropole freigelegt worden. Immer wieder war es zu Unterbrechungen gekommen, meistens bedingt durch Kriege oder Unruhen.

Erst im Jahr 2019 waren die Ruinen von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt worden, woraufhin sich die irakische Regierung einen wahren Touristenansturm erhofft hatte. Nicht zuletzt deshalb hatten sich um die Ruinen herum Tausende von Menschen angesiedelt.

Suko, Cruciata und Marylin Grey näherten sich dem Komplex von Osten, wo sich auch das Tor des Stadtgottes Marduk befand, das im Gegensatz zum Ishtar-Tor weit weniger Beachtung fand.

Rechts, hinter einer niedrigen Mauer, erblickte Suko die Baracken des Militärstützpunkts, den die Iraker von den Amerikanern übernommen hatten.

Ein mulmiges Gefühl beschlich den Inspektor, als er einen der beiden Kampfhubschrauber, die sie auf der Hinfahrt überholt hatten, zwischen Gebäuden stehen sah.

Nichts rührte sich.

Schilder am Straßenrand wiesen auf den nahe gelegenen Parkplatz, das babylonische Theater, eine Art Freilichtbühne, und sogar eine Apotheke hin.

»Um ehrlich zu sein, habe ich hier mehr Trubel erwartet«, murmelte Cruciata.

Suko nickte nur und lenkte den Volvo auf die Zufahrt zum Militärstützpunkt.

»He, was soll das?«, rief Marylin. »Nach Babylon geht's da lang.«

Sie deutete durch das Fenster nach links.

»Immer mit der Ruhe«, murmelte der Inspektor. »Du kommst noch früh genug zu deiner Verabredung. Aber erst wollen wir uns anmelden.« Er warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel. »Das gehört sich einfach so.«

Marylin streckte ihm die Zunge raus, verschränkte die Arme vor der Brust und ließ sich in die verschlissenen Polster fallen.

Suko lenkte seine Aufmerksamkeit zurück auf die Straße. Eigentlich hätten sie längst von bewaffneten Soldaten empfangen werden müssen. Wenn schon nicht routinemäßig, dann aufgrund des Hubschraubers, der mit Sicherheit nicht grundlos hier gelandet war. Wo die zweite Maschine abgeblieben war, konnte Suko nicht erkennen. Er rechnete damit, dass sie auf der anderen Seite der Ruinen runtergegangen war. Möglicherweise beim Palast von Saddam Hussein, der seit dem Sturz des Diktators leer stand.

Suko zählte neun Baracken. Fünf auf der linken Seite, aneinandergereiht wie Perlen an der Schnur, vier auf der rechten, direkt vor der Mauer. Dabei handelte es sich um Lagerschuppen, Garagen und das Munitionsdepot.

Der Inspektor wendete und stoppte dicht vor dem Eingang des linken Gebäudekomplexes. Er schnallte sich ab und überprüfte die Beretta im Schulterholster. Johns Waffe lag im Audi, der vermutlich noch vor Janes Haus parkte.

Nur den Bumerang hatte er mitgenommen.

»Ihr wartet hier«, sagte er, und stieg aus.

Den Schlüssel ließ er stecken. Er glaubte kaum, dass Cruciata ohne ihn weiterfahren würde. Dann hätte sie ihn gar nicht erst mitzunehmen brauchen.

Im Gegensatz zu dem Brutofen des Volvo wirkte die Luft im Freien geradezu erfrischend, obgleich sie mindestens achtunddreißig Grad warm war, wenn nicht mehr. Wie ein Föhn fuhr der Wind dem Inspektor ins Gesicht. Zusammen mit Staub und Sand.

Dabei war die Landschaft keineswegs karg. Direkt neben dem Militärstützpunkt wuchs dichter Wald, bestehend aus Palmen und Pinien. Nicht umsonst galt das Zweistromland als eines der fruchtbarsten des gesamten Nahen Ostens. Immerhin hieß es, dass hier einst der Garten Eden gestanden habe.

Suko blieb neben dem Wagen stehen und lauschte. Eine geradezu gespenstische Stille lag über dem Land. Bis auf das Pfeifen des Windes war nichts zu hören. Keine Stimmen, keine Motoren, ja, nicht mal das Zwitschern von Vögeln. Dem Inspektor rieselte es trotz der Wärme eiskalt den Rücken hinunter.

Das Schlagen einer Autotür ließ ihn zusammenfahren. Auf dem Absatz fuhr er herum und verdrehte die Augen.

»Was an ›wartet hier‹ habt ihr eigentlich nicht verstanden?«

»Wir warten doch. Davon, dass wir im Auto sitzen bleiben sollen, hast du nichts gesagt. Oder willst du, dass das Kind einen Hitzschlag bekommt?«

Marylin nickte bestätigend.

»Das Kind bekommt höchstens einen Hitzschlag, weil es ohne Kopfbedeckung in der prallen Sonne steht«, gab Suko zu bedenken. »Nur weil ein bisschen Wind geht, heißt das nicht, dass die Hitze weniger schlimm ist.«

»Da hat er recht.« Cruciata riss einen Streifen Stoff aus ihrem Kaftan und faltete daraus ein Kopftuch, das sie Marylin überstülpte und unter dem Kinn zusammenband.

Suko nutzte die Gelegenheit, um auf den Hubschrauber zuzugehen. Schon von Weitem sah er, dass die Kanzel leer war. Dafür bemerkte er einen dunklen Fleck wenige Schritte entfernt. Auf den ersten Blick erinnerte er an Öl.

Das Herz des Inspektors schlug schneller. Er ahnte, dass es sich bei der Lache keineswegs um Öl handelte. Kurz darauf bekam er die Gewissheit. Dicht neben der Pfütze, die größtenteils im Sand versickert war, ging er in die Hocke. Er brauchte nicht mal den Finger hineinzutunken und den rötlichbraunen Sand zwischen den Kuppen zu verreiben, um zu wissen, womit er es zu tun hatte.

Es war Blut.