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Es roch nach Gewalt!
Die Alaska Route 2 war auf ihrer kompletten Breite gesperrt. Chevrolet Impalas und Ford Interceptors mit flackernden Lightbars blockierten die Fahrbahn. An den Seiten prangte das Emblem der Alaska State Troopers.
Zwanzig schwer bewaffnete Frauen und Männer warteten auf den Tod, der in einem blauen Vauxhall Firenza auf dem Weg zu ihnen war ...
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Seitenzahl: 160
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
... so die Tochter
Briefe aus der Gruft
Vorschau
Impressum
... so die Tochter
(Teil 2 von 2)
von Ian Rolf Hill
Es roch nach Gewalt!
Die Alaska Route 2 war auf ihrer kompletten Breite gesperrt. Chevrolet Impalas und Ford Interceptors mit flackernden Lightbars blockierten die Fahrbahn. An den Seiten prangte das Emblem der Alaska State Troopers.
Zwanzig schwer bewaffnete Frauen und Männer warteten auf den Tod, der in einem blauen Vauxhall Firenza auf dem Weg zu ihnen war.
In Gestalt einer jungen Frau, die für den grausamen Mord an zwei Männern verantwortlich gemacht wurde. Angeblich hatte sie die Leichen sogar zum Teil verspeist.
Auch den Namen des minderjährigen Mädchens kannten die Trooper.
Er lautete Denise Curtis ...
Nervös kaute Sergeant Elroy Johnson auf seinem Kaugummi herum. Neunzehn Jahre war er jetzt bei der Truppe, doch Einsätze wie diesen konnte er an einer Hand abzählen.
Trotzdem erinnerte er sich an jeden Einzelnen von ihnen. Bei zweien war er selbst noch einfacher Trooper gewesen. Daher wusste er, wie wichtig es war, dass der Einsatzleiter Souveränität und Gelassenheit ausstrahlte.
Und jetzt trug er die Verantwortung.
Seit knapp einer Stunde standen sie sich die Beine in den Bauch und warteten auf das Mädchen, das zwei erwachsene Männer getötet haben sollte. Eine Stunde, in der sie fünf Trucks sowie dreiundzwanzig PKWs und Vans kontrolliert hatten.
Vor gut zwanzig Minuten war damit Schluss gewesen.
Da hatten die Kollegen in Tok und Alcan Border die Straßen dichtgemacht. Seitdem warteten sie. Und das Warten zerrte an den Nerven.
Obwohl er die Sonne im Rücken hatte, trug Elroy eine Brille mit verspiegelten Gläsern, denn der Asphalt reflektierte das grelle Licht. Außerdem war es immer gut, wenn das Gegenüber einem nicht in die Augen schauen konnte. So etwas verunsicherte die meisten Menschen.
»Hey, Serge. Stimmt es, was die Feds behaupten?«, fragte Barney, ein schnauzbärtiger Hüne, der mit dem Hintern an der Motorhaube eines Impala lehnte.
»Was behaupten denn die Feds?«, entgegnete Elroy, ohne den Blick von der Straße zu wenden.
»Dass die Kleine nicht ganz richtig im Kopf ist und sich für nen Wolf hält.«
»Klar«, meldete sich Jerry von der anderen Seite. »Ich meine, wie kaputt muss die sein, um Menschenfleisch zu essen?«
»Rohes Menschenfleisch«, fügte Ashley Simmons hinzu. Die junge Frau schüttelte sich. »Angeblich soll sie auch für den Flugzeugabsturz über den Chugachs verantwortlich sein.«
»Wo haben Sie das denn her?«, wollte Elroy wissen.
»Eine Freundin der Schwester meines Schwagers arbeitet in Anchorage im Krankenhaus. Dort, wo der Mountain Man liegt, der gerade noch mal davongekommen ist. Der hat die Kleine nackt im Wald gefunden.«
»Vielleicht ist sie ja ein Werwolf.«
Barney gluckste, doch Ashley ließ sich nicht beirren.
»Angeblich waren zwei Feds bei dem Alten und haben ihn in die Mangel genommen.«
»Und wie soll sie das Flugzeug vom Himmel geholt haben?«, mischte sich Jerry ein.
»Abgesprungen!«
»Nackt ohne Fallschirm? Das hätte ich zu gerne gesehen!«
»Also doch ein Werwolf«, sagte Barney. »Ist doch logisch, die hat sich im Flug zurückverwandelt. Deshalb hat sie den Sturz auch überlebt.«
»Schnauze«, bellte Elroy. »Alle zusammen. Und Sie, Ashley, sagen bitte dem Schwager ihrer besten Freundin ...«
»Freundin der Schwester meines Schwagers«, korrigierte Ashley.
»Ist das nicht die Freundin deiner Schwippschwägerin?«, fragte Jerry.
»Was an ›Schnauze‹ habt ihr Deppen eigentlich nicht verstanden?«, wollte Elroy wissen.
Aus dem Augenwinkel sah er, wie Barney Luft holte, und hob warnend den Finger. Grinsend klappte der Hüne den Mund wieder zu.
Johnson wandte sich an Ashley. »Sagen Sie Ihrer Informantin, dass sie nicht jeden Scheiß glauben soll. Vor allem nicht, wenn er von irgendeinem besoffenen Einsiedler kommt.«
»Ja, Sir«, schnarrte die Polizistin.
Der Sergeant nickte zufrieden. Er wollte noch etwas hinzufügen, da meldete sich der Funk.
Es war Lieutenant Angelo Garcia, der aus Alcan Border anrief.
»Sergeant, die Luftüberwachung meldet, dass die Zielperson weiter in Ihre Richtung fährt und bei gegenwärtigem Tempo in zirka fünfzehn Minuten in Sicht kommen müsste.«
Johnson kniff die Augen zusammen. Er lenkte den Blick zum Himmel. Noch bevor sie den Vauxhall zu Gesicht bekämen, würden sich die Hubschrauber bemerkbar machen.
»Verstanden, Sir. Bislang ist alles ruhig,«
»Sehr gut, aber deshalb rufe ich nicht an. Ich hab hier nen Agenten vom FBI aus New York in der Leitung, der mich davon überzeugen will, das Feld zu räumen. Es wäre zu unserem eigenen Wohl.«
»Aus dem Big Apple? Was soll denn der Quatsch? Ich hoffe, Sie haben ihm gesagt, wo er sich seine guten Ratschläge hinstecken kann.«
Garcia lachte. »Ich gebe zu, ich war etwas diplomatischer. Aber der Captain und ich sind uns einig, dass wir uns nicht von einem Teenager vorführen lassen können. Die Kanadier würden uns auslachen. Im besten Fall.«
»Vor allem würden wir uns zum Gespött des ganzen Landes machen.«
»Eben. Aber Agent Douglas hat wohl auch nicht damit gerechnet, dort Erfolg zu haben, wo seine örtlichen Kollegen bereits gescheitert sind. Das hier ist Angelegenheit der AST*, nicht der Feds.«
»Ganz meine Meinung, Sir.«
»Nichtsdestotrotz ... stellen Sie sich darauf ein, Besuch vom Ranger Office in Anchorage zu bekommen. Officer Bernard bringt zwei Spezialisten mit.«
Elroy Johnson lachte. »Spezialisten für aufmüpfige Teenies?«
»Für Werwölfe!«
»Jesus.« Der Sergeant warf Barney einen kurzen Blick zu. Der Hüne grinste breit. Er hatte Teile des Gesprächs mitbekommen.
»Das war auch meine Reaktion.«
»Sind das Spinner vom Heimatschutzministerium? Die glauben doch auch an Zombies.«
»Keine Ahnung, das wollte mir Agent Douglas nicht verraten. Lag vielleicht daran, dass ich in diesem Fall nicht ganz so diplomatisch gewesen bin. Wie auch immer, sehen Sie zu, dass Sie die Angelegenheit so schnell wie möglich über die Bühne kriegen. Und zwar bevor Bernard mit ihrem Zirkus da eintrifft. Ich hab mich über die Dame erkundigt. Ist ne Spezialistin für Problembären und hat damals mitgeholfen, das Massaker in Fairbanks zu untersuchen.*«
»Das war doch auch ein Werwolf«, rief Barney.
Elroy hätte ihm für die Bemerkung am liebsten eine gescheuert.
»War das Rowlins?«
»Ja, Sir«, knirschte Johnson, und musterte Barney finster.
»Sagen Sie ihm, dass er haarscharf vor ner Strafversetzung an die kanadische Grenze steht.«
»Wir sind zwar schon an der kanadischen Grenze, aber wenn Sie meinen, Sir.«
»Stimmt.« Das Grinsen war aus Lieutenant Garcias Stimme deutlich herauszuhören. »Glück gehabt. Weitermachen!«
Elroy hob den Blick. Er hatte etwas am Himmel gesehen. Einen Lichtreflex. Tatsächlich hallte das leise Knattern von Rotoren zu ihnen hinüber.
»Alles klar. Danke, Sir. Der Besuch kündigt sich bereits an.«
»Hals und Beinbruch!«
Lieutenant Garcia machte die Leitung frei. Das Rotorengeräusch wurde lauter. Schon knackte es erneut im Funk.
»Robinson one an Roadblock Alcan. Robinson one an Roadblock Alcan.«
»Hier Roadblock Alcan. Sergeant Johnson. Ich höre.«
»Zielperson nähert sich mit achtzig Meilen pro Stunde. Ankunft in circa acht Minuten.«
»Danke, Robinson one. Habe verstanden. Acht Minuten. Roadblock Alcan Ende.«
Er steckte das Funkgerät in die Halterung und zog das Patrol Rifle aus dem Fahrzeug. Johnson wartete, bis der Robinson R44 über sie hinweggedonnert war, ehe er die Trooper auf Trab brachte.
»Alles klar, Leute«, brüllte er, während er das Colt AR-15 überprüfte und schussbereit machte. »Der Besuch steht vor der Tür. Wir haben acht Minuten, um den Tisch zu decken.«
Schlagartig fiel die Lässigkeit von den neunzehn Frauen und Männern ab. Die Corporals scheuchten ihre Trooper auf die Positionen. Das Klicken von Waffenverschlüssen erklang.
Elroys Kiefer mahlten auf dem geschmacklosen Kaugummi herum. Ein abschließender Blick auf seine Untergebenen. Seltsam, bei den letzten beiden Malen, als er in einer ähnlichen Situation gewesen war, hatte er Stolz empfunden, Teil der Truppe zu sein. Das Einzige, was er heute empfand, war eine dumpfe, unheilvolle Ahnung.
Sergeant Elroy Johnson hätte es niemals zugegeben, nicht einmal sich selbst gegenüber, aber er hatte Angst.
Knapp zwanzig Meilen vor Northway Junction war der erste Hubschrauber über sie hinweggedonnert. Denise Curtis hatte ihm keine Aufmerksamkeit geschenkt.
Auch zehn Minuten später, als von Osten die nächste Libelle vorüber flatterte, dachte sie sich nichts dabei. Sie hielt den Blick stur auf den State Highway gerichtet, der sich wie mit dem Lineal gezogen durch die malerische Landschaft zog.
Denise war die Nacht durchgefahren, und der Zeiger der Tankanzeige näherte sich unaufhaltsam der roten Linie. Egal wie sparsam sie fuhr, sie würde vor Erreichen der Grenze auf jeden Fall noch einmal tanken oder das Fahrzeug wechseln müssen.
Die Gelegenheit bot sich in Northway Junction. Denise warf einen Blick in den Rückspiegel. Nein, sie machte keinen vertrauenerweckenden Eindruck. Die Augen waren tief in die Höhlen zurückgesunken, die Haut war käsig und grau, das Haar spröde.
Nachdem sie sich an Sammys sterblichen Überresten gelabt hatte, war es ihr ein wenig besser gegangen. Vor allem der nagende Hunger, der sie seit Tagen, wenn nicht gar Wochen plagte, egal wie viel sie aß, war zum ersten Mal verschwunden gewesen.
Sogar ihr Haar, das ihr büschelweise ausgefallen war, war wieder nachgewachsen und dichter geworden, obwohl es ihr stumpf und strähnig ins Gesicht fiel.
Hinzu kam, dass Sammys getrocknetes Blut noch immer an Lippen und Kinn klebte, wie sie mit einem schnellen Blick in den Rückspiegel feststellte.
Denise zog eine Grimasse, streckte sich selbst die Zunge raus und zeigte ihrem Spiegelbild schließlich den Mittelfinger. Sie konnten sie alle mal kreuzweise. Die Werwölfe, die Berserker, die Bullen und überhaupt die ganze beschissene Welt.
Sollte ihr an der Tanke einer blöd kommen, würde er es bereuen.
Denise stoppte Jimbos Vauxhall neben der Zapfsäule. Bevor sie ausstieg, warf sie einen Blick auf den Beifahrersitz, wo der schwere Revolver lag, der Sammy gehört hatte. Vier Patronen steckten noch in der Trommel. Kurz überlegte sie, ob sie die Waffe mitnehmen sollte, entschied sich aber dagegen. Sie brauchte sie nicht zwingend, um sich zu verteidigen.
Im Gegenteil, der Revolver erregte bloß unnötige Aufmerksamkeit.
Nur die Brieftasche mit Jimbos Barschaft nahm sie mit. Knapp zweihundert Dollar steckten drin, das sollte reichen, bis sie am Ziel war. Wo auch immer das sein würde. Denise hatte keine Ahnung, sie ließ sich einfach treiben. Eine Rückkehr in die Kolonie der Bestien beziehungsweise das Lager der Berserker kam für sie jedenfalls nicht infrage.
Sie stieg aus und störte sich auch nicht daran, dass sie barfuß war. Leider waren Jimbos Klamotten ein paar Nummern zu groß gewesen. Bei Hose und Pullover hatte sie das nicht so sehr gestört, doch zum Autofahren wären die übergroßen Schuhe nur hinderlich.
Denise schob die Zapfpistole in den Tank und arretierte den Ausgabehebel. Wieder knatterte ein Hubschrauber über sie hinweg. Ziemlich tief, wie sie fand.
Sie trat ein paar Schritte zurück und spähte in Richtung Osten. Da die Sonne kräftig vom wolkenlosen Himmel schien, musste sie die Augen mit der Hand abschirmen. Viel konnte sie nicht erkennen, trotzdem blieb ein ungutes Gefühl.
Ihr Magen grummelte.
Unwillkürlich legte sie eine Hand auf den leicht gewölbten Bauch.
In diesem Moment klickte es. Der Tank war voll. Denise wollte die Zapfpistole eben aus dem Stutzen ziehen, da spürte sie das Zucken unter ihren Fingern. Etwas in ihrem Bauch hatte sich bewegt. Wie angewurzelt blieb sie stehen.
Was hatte das zu bedeuten?
Noch immer fiel ihr das klare Denken schwer. Es war der innere Widerstreit zwischen ihrer menschlichen Hälfte und der Bestie, die nach Menschenfleisch gierte.
Hastig riss Denise die Zapfpistole aus dem Tank und rammte sie in die Halterung. Dann stürmte sie in das Kassenhäuschen. Hinter dem Tresen stand ein magerer Hillbilly mit speckiger Weste und Basecap auf der fettigen Frisur. Er glotzte sie an, als hätte er noch nie zuvor ein weibliches Wesen zu Gesicht bekommen. Und vielleicht stimmte das sogar.
Dann erinnerte sie sich an das getrocknete Blut und ihr kränkliches Aussehen. Fairerweise musste sie zugeben, dass es ungewöhnlich gewesen wäre, wenn er sie nicht angeglotzt hätte wie ein Reh im Scheinwerferlicht.
»Nummer zwei.« Denise erschrak vor ihrer eigenen Stimme. Sie klang rau und kratzig. Es war das erste Mal, seit Jimbo sich das Hirn aus dem Schädel geblasen hatte, dass sie etwas sagte.
Ihr fiel auf, dass der Tankwart die Hände unter dem Tresen hielt. Ein Blick in den Spiegel, der schräg über ihm hing, zeigte ihr, dass eine von ihnen auf dem Griff einer Schrotflinte lag. Vermutlich hatte er sie schussbereit gemacht, während sie noch getankt hatte.
Denise war es egal. Sollte er jedoch versuchen, sie aufzuhalten, würde sie ihn töten.
Zum Glück schien er sie nur so schnell wie möglich loswerden zu wollen und nannte die Summe, die sie ihm schuldete.
»Fuck, ich wollte nicht die verkackte Tankstelle kaufen.«
»S...sorry, i...i...ich mache die Preise nicht.«
»Schon gut.«
Denise zückte eine Hundert-Dollar-Note, doch ihr Bauch hatte noch einen Wunsch. Ohne nachzudenken, griff sie nach dem Drehständer mit dem Trockenfleisch und warf wahllos ein Dutzend Packungen auf den Tresen. Es folgte eine Pappschachtel mit Erdnussbutter-Schokoriegeln.
Die Hände des Hillbillys zitterten, als er die Barcodes scannte.
Denise knurrte. Oder war es ihr Magen?
Wieder strich sie unbewusst über die Wölbung.
»Hu...hu....hundertsiebenundzwanzig Dollar und se...sechsundzwanzig Cent.«
Denise zählte Hundertdreißig Doller ab und klatschte sie auf die Theke.
»Stimmt so«, knurrte sie, grabschte nach der Plastiktüte und stapfte ins Freie.
Noch im Gehen riss sie mit den Zähnen eine Packung Trockenfleisch auf, spuckte das Plastik aus und schüttete sich die zähen Streifen in den Mund.
Plötzlich war das Rotorengeräusch wieder da. Denise wandte den Kopf. Über ihr schwebte eine Maschine der Alaska State Troopers.
Sie grinste.
Anscheinend war ihr kleines Stelldichein mit Sammy G. und Jimbo nicht unbemerkt geblieben. Oder hatte Lenny sie verpfiffen?
Der Gedanke an den Einsiedler und seine Hündin Keira weckte kurzzeitig ihr schlechtes Gewissen. Zornig riss sie die Tür auf, warf die Tüte auf den Beifahrersitz und schob sich hinter das Steuer. Denise legte einen regelrechten Kavalierstart hin.
Das Heck schlingerte, als sie mit völlig überhöhter Geschwindigkeit auf die Straße preschte. Erst nachdem sie Northway Junction hinter sich gelassen hatte, besann sie sich und drosselte das Tempo.
Der Hubschrauber zog über sie hinweg.
Ja, der war definitiv wegen ihr hier. Plötzlich fiel Denise auf, dass ihr niemand mehr entgegenkam oder sie überholte. Sie war mutterseelenallein auf dem Highway.
Das war alles Mögliche, aber gewiss nicht normal. Schließlich waren es keine vierzig Meilen mehr bis zur Grenze.
Abermals spürte sie das Zucken im Unterleib.
Denise zog den Pullover hoch und senkte den Blick, um ihren Bauch zu betrachten. Er sah aus, als hätte sie einen Volleyball verschluckt.
Aufgefallen war ihr die Wölbung schon früher, aber da war sie bei Weitem nicht so ausgeprägt gewesen. Sie hatte sie für eine Folge ihrer Fresssucht gehalten, die sie seit einigen Wochen plagte. Denise hatte immer viel und gerne gegessen. Es lag einfach in ihrer Natur. Die Transformation war nun mal kräftezehrend und erforderte eine Menge Kalorien.
Das war wohl das Einzige, auf das Emma Murdock neidisch gewesen war. Dass Denise so viel in sich reinstopfen konnte, wie sie wollte, ohne auch nur ein Gramm zuzunehmen.
Bei der Erinnerung an ihre beste Freundin wurde Denise schwer ums Herz. Gott, wie sie sie vermisste ...
Denise fühlte einen erneuten Stoß im Unterleib. Ihr Bauch pulsierte förmlich. Als würde sich darin etwas bewegen. Oder in atemberaubender Geschwindigkeit heranwachsen!
»Aber ... das ist doch unmöglich. Was geschieht mit mir?«
Sie ließ ihren Bauch los, als wäre er glühend heiß geworden. Mit beiden Händen umklammerte sie das Lenkrad, als wollte sie es zerbrechen.
»WAS GESCHIEHT MIT MIR?«, brüllte sie, und hämmerte mit den Fäusten auf das Steuer ein.
Eine Antwort bekam sie nicht. Brauchte sie aber auch nicht, denn tief in ihrem Inneren, wusste sie es längst.
Und das machte ihr nur noch mehr Angst.
»Haltet euch bereit!«, schrie Elroy Johnson. »Niemand feuert ohne Befehl, verstanden?«
Der Sergeant konzentrierte sich auf die Straße, auf der sich ihnen das Fahrzeug mit der Zielperson näherte. Die Sonne reflektierte auf dem blauen Lack und der Windschutzscheibe, sodass selbst aus der Nähe nicht viel von der Insassin zu sehen sein würde.
Die Trooper standen hinter den Fahrzeugen, die Waffen im Anschlag.
Vor den Streifenwagen waren zwei mit Stacheldraht umwickelte Straßensperren aufgestellt worden. Davor lag ein ausklappbarer Nagelstreifen über der Fahrbahn, wie er auch von der US Army benutzt wurde.
Zwanzig Mündungen waren auf den schnell näher kommenden Vauxhall gerichtet. Acht Shotguns, sechs Patrol Rifles, vier Maschinenpistolen und zwei Scharfschützengewehre. Zusätzlich waren sämtliche Trooper noch mit halbautomatischen Pistolen der Firma Glock ausgestattet.
Sollte das Mädchen tatsächlich versuchen, durchzubrechen, wäre das Selbstmord.
Trotzdem mussten sie mit allem rechnen. Insbesondere damit, dass sie es mit einer psychisch schwer gestörten Person zu tun bekamen.
Elroy Johnson hob das Fernglas vor die Augen. Der Vauxhall war nah genug, dass sie das Nummernschild erkennen konnten. Es war definitiv »ihr« Wagen. Und wenn er sich nicht irrte, saß nur eine Person am Steuer. Immerhin hatte sie keine Geisel genommen.
Trotzdem klopfte dem Sergeant das Herz bis zum Hals, denn noch traf Denise Curtis keine Anstalten, die Geschwindigkeit zu reduzieren.
»Mach keinen Scheiß«, murmelte er, und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Denise beschleunigte!
Elroy hielt den Atem an. Der Nagelstreifen lag weit genug vorne, damit der Wagen selbst bei Höchstgeschwindigkeit die Blockade nicht durchbrechen würde. Die Fahrerin konnte höchstens versuchen, seitlich auszuweichen, doch da befand sich der Graben mit der Böschung.
Aber Denise traf auch keinerlei Anstalten, die Richtung zu ändern. Dafür tat sie etwas anderes, mit dem Johnson schon nicht mehr gerechnet hatte.
Sie bremste.
Das Mädchen ging so hart in die Eisen, dass die Räder blockierten und sich die Kühlerschnauze nach vorne neigte. Der Vauxhall schlitterte meterweit über den Asphalt und blieb keine Armlänge vor dem Nagelband mit qualmenden Reifen stehen.
Elroy atmete erleichtert aus und wartete auf eine Reaktion. Als keine erfolgte, blickte er abwechselnd die beiden Sniper an, die bereit waren, das Zielfahrzeug ins Kreuzfeuer zu nehmen.
Carlton und Eugene nickten unmerklich.
Elroy seufzte und hob das Megafon. »Denise Curtis! Verlassen Sie unverzüglich das Fahrzeug, oder wir eröffnen das Feuer!«
Eine gespenstische Stille senkte sich über den Highway. Der Helikopter war längst verschwunden, ebenso wie der Hubschrauber, der dem Fahrzeug von Northway Junction aus gefolgt war. Bei genauem Hinhören war das leise Knattern irgendwo über ihnen vernehmbar.
»Komm schon!«, murmelte Ashley.
Sie lehnte vornübergebeugt auf der Motorhaube eines Impala, die Ellenbogen angewinkelt, in den Fäusten eine Remington-Shotgun.
Der neben ihr knieende Jerry schüttelte andeutungsweise den Kopf. »Tut sie nicht. Sie denkt drüber nach, wie hoch ihre Chancen stehen, durchzubrechen.«
»Keine Chance«, murmelte Elroy. »Sie sitzt in der Falle, und das weiß sie auch.«
Eben wollte er seine Aufforderung wiederholen, da öffnete sich die Fahrertür.
Jetzt war es nicht nur Johnson, der den Atem anhielt. Eine Gestalt tauchte hinter dem offenen Wagenschlag auf. Lange blonde Haare flatterten im Wind. Schmutzige nackte Füße erschienen unter der Tür. Dann richtete sich das Mädchen auf, trat zur Seite und warf sie ins Schloss.
Viel zu weite Klamotten schlackerten an dem mageren Leib.
Johnson wusste, dass sie von einem der Opfer stammten.
Denise Curtis hätte einen erbarmungswürdigen Anblick geboten, wären da nicht zwei Dinge gewesen, die Sergeant Elroy Johnson gestört hätten. Zum einen das eingetrocknete Blut in der unteren Gesichtshälfte. Ein klares Indiz dafür, dass Jerry mit seiner vorhin geäußerten Vermutung recht hatte. Die Kleine war definitiv kaputt. Und zwar nicht nur aufgrund der Tatsache, dass sie kannibalische Neigungen hatte, sie hielt offenbar auch nicht viel von Körperhygiene.
Das andere, was Johnsons störte, war der Revolver in ihrer rechten Hand.
»Sie ist bewaffnet!«, meldete Carlton im selben Atemzug.