John Sinclair 2311 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2311 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Ich habe in meiner Laufbahn als Geisterjäger schon viel erlebt und durchlitten. Das Wenigste davon war angenehm, das meiste tragisch und grausam. Ich habe Siege errungen und Niederlagen einstecken müssen. Trotzdem habe ich mich stets um eine professionelle Distanz bemüht, auch wenn es mir manches Mal schwerfiel.
Ich nahm an, dass mich nichts mehr schocken könnte. Bis zu dem Tag, als ich das Kinderhospiz Naomi House betrat.
Mein Gott, ich wünschte, ich könnte ihn vergessen ...


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Seitenzahl: 154

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Lasset die Kinder zu mir kommen

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Lasset die Kinder zu mir kommen

von Ian Rolf Hill

»Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes.«

Lukas 18,16

Ich habe in meiner Laufbahn als Geisterjäger schon viel erlebt und durchlitten. Das Wenigste davon war angenehm, das meiste tragisch und grausam. Ich habe Siege errungen und Niederlagen einstecken müssen. Trotzdem habe ich mich stets um eine professionelle Distanz bemüht, auch wenn es mir manches Mal schwerfiel.

Ich nahm an, dass mich nichts mehr schocken könnte. Bis zu dem Tag, als ich das Kinderhospiz Naomi House betrat.

Mein Gott, ich wünschte, ich könnte ihn vergessen ...

Früher

Den abgetrennten Kopf ihrer Schwester fest gegen die Brust gedrückt wankte die totenbleich geschminkte Gestalt durch die engen, feuchten Gänge der Kanalisation.

Immerhin hielt sich der Gestank in Grenzen. Sie befanden sich schließlich nicht im Zentrum von London. Und seit der Vergnügungspark dichtgemacht hatte, mangelte es dem Abwasser ruchbar an Nachschub.

Trotzdem musste die einsame Wanderin aufpassen nicht auf den glitschigen Stegen auszurutschen. Zumal sie kaum die Hand vor Augen sah.

»Ich weiß nicht, wo wir sind«, zischte die bleiche Frau. »Hier ist es finster wie im Bärenarsch!«

Sie kicherte, biss sich aber sofort auf die Unterlippe, wobei sie dem verhallenden Echo ihres Gelächters lauschte.

Das fehlte ihr noch, dass sie die Verfolger durch ihre eigene Unachtsamkeit auf die Fährte lockte. Sie musste sich zusammenreißen. Wenn schon nicht um ihretwillen, dann wenigstens ihrer Schwester Belinda zuliebe.

Unwillkürlich hob die bleiche Gestalt die Hand, in der sie noch immer die Pistole festhielt, und strich Belinda über die trockene Pergamenthaut. Die Waffe war auf die Dauer nicht nur ganz schön schwer, sie vermittelte ihr auch ein Gefühl der Sicherheit.

Sie hatte sie dem Polizisten abgenommen, der sie mit einer Kopfnuss ausgeschaltet hatte. Bewusstlos geworden war sie nicht, oh nein. Aber sie hatte ordentlich Sterne gesehen und war ziemlich groggy gewesen.

Und so hatte sie abgewartet und tatenlos den Geräuschen gelauscht, die der Bulle verursacht hatte, als er sich von seinen Fesseln befreite. Dabei hatte er unablässig mit der Staatsanwältin geplappert, die vermutlich längst den Arsch zugekniffen hatte.

Wieder spürte sie den Drang zu Giggeln, doch dieses Mal beherrschte Amy sich.

»Sie hat bekommen, was sie verdient, Belinda«, murmelte Amanda Parker.

Es klang beinahe trotzig, denn obwohl sie ihre Rache an den Peinigern ihrer Schwester vollendet hatte, blieb das Gefühl der Genugtuung aus. Was aber auch an den vielen Bullen liegen mochte, die das Gelände umstellt hatten.

Amy war schließlich nicht blöd. Sie wusste doch genau, wie die Obrigkeit tickte. Deshalb hatte sie auch gar nicht erst die Verfolgung des Bullen aufgenommen, als er mit Purdy Prentiss auf den Armen aus dem Raum hinter dem Spiegelkabinett geflüchtet war.

Stattdessen hatte sie nur rasch eine Notiz hinterlassen, dass sie wiederkommen würde (so viel Zeit musste sein), und hatte diese mit dem Nagel des Bullen an die Tür gehämmert.*

»Was für ein seltsamer Vogel«, wisperte Amy im Selbstgespräch. »Wer läuft denn bitte schön mit einem silbernen Nagel durch die Gegend?«

Die Frau mit dem Clowns-Gesicht und dem vor Schmutz starrenden Krankenschwester-Kostüm lehnte sich an die feuchtkalte Tunnelwand. Sie fror erbärmlich in dem Fummel und musste dringend ins Warme. Möglichst ohne dabei irgendwelchen Bullen in die Arme zu laufen. An Samson, ihren grenzdebilen Gehilfen, verschwendete sie keinen Gedanken. Er hatte seine Pflicht und Schuldigkeit getan. Als ob sie ernsthaft in Erwägung gezogen hatte, den muskelbepackten Einfaltspinsel ranzulassen.

Sie war schließlich keine Nutte, so wie ...

»Nein, nein, nein«, jammerte Amy, und streichelte wieder den Mumienkopf ihrer Schwester. Er war abgerissen, als sie dran gezogen hatte. »So war das nicht gemeint. Ich weiß doch, dass du das nicht wolltest. Es ist alles Daddys Schuld. Und die von Mum. Mögen sie in der Hölle schmoren, diese be...«

Amy verstummte und lauschte in die Stille hinein, die nur vom leisen Plätschern und Gluckern des Rinnsals zu ihren Füßen unterbrochen wurde. »Wie? Ja, ja, schon gut. Ich geh ja schon. Hetz mich nicht.«

Sie kicherte, setzte sich aber in Bewegung und erreichte nach wenigen Metern eine Abzweigung.

»Wohin jetzt?«

Amy sah nach links, nach rechts, dann wieder nach links.

»Okay, auf deine Verantwortung.«

Sie marschierte in die Richtung, die Belinda vorgeschlagen hatte.

Da es ihr zu still war und ihre Schwester auch nichts mehr sagte, fing Amy an zu summen. Dabei wanderten ihre Gedanken wieder zu dem Bullen mit dem Silbernagel und der Staatsanwältin, die Belinda so schmachvoll im Stich gelassen hatte.

»Ob die was miteinander hatten?«, fragte sich Amanda. »Ja, ja, ja. Ich bin sicher, zwischen denen lief mal was.« Sie verzog das Gesicht. »Ich versuch doch, mich zu konzentrieren, Belinda. Aber das ist gar nicht so leicht. Es ist kalt, und ich habe Hunger und außerdem ... außerdem weiß ich überhaupt nicht mehr, wo wir sind.«

Amy Parker blieb stehen und nagte hektisch an der Unterlippe. Der Geschmack des Lippenstifts mischte sich mit dem metallischen Aroma des Blutes.

»Jaaa!«, schrie sie unvermittelt, dass es laut von den Wänden hallte. »Wir haben uns verlaufen! Ich gebe es zu. Bist du jetzt zufrieden?«

War Belinda natürlich nicht, denn weiter vorne, erklang das Schaben eines Gullydeckels, in das sich das Bellen eines ziemlich wütenden Köters mischte. Ein Strahl fahlblauen Lichts fiel kegelförmig in die Tiefe.

Wie vor eine Wand gelaufen blieb Amanda stehen. Belindas Kopf ruhte jetzt in ihrer Ellenbeuge. Für die Dauer eines Wimpernschlags war Amy wie gelähmt. Gerade lange genug, um zu begreifen, dass das Gekläffe nicht von Samsons Kötern Rocky und Rambo stammte.

Die Bullen hatten Hunde dabei.

Schon schob sich die Schnauze eines Schäferhundes in die Öffnung, verdeckte sekundenlang das Licht der Taschenlampe.

Amy riss den Arm mit der Waffe nach oben und feuerte. Dreimal hintereinander drückte sie ab. Das Knallen der Schüsse war ohrenbetäubend. Die Echos vervielfältigten sich in den engen Tunneln. Wie Nadelstiche fuhr der Krach in Amys Trommelfelle und hinterließ ein pfeifendes Geräusch. Sie sah, wie die Geschosse Funken sprühend gegen die Tunneldecke prallten und als Querschläger davonjaulten.

Die Schnauze des Hundes verschwand, als er zurückgerissen wurde. Ob sie getroffen hatte, konnte Amy nicht sagen. Sie wartete auch nicht ab, was die Bullen unternahmen. Auf dem Absatz machte sie kehrt und rannte den Weg zurück, den sie gekommen war.

Von rechts, aus dem Gang, der zum Vergnügungspark führte, tasteten sich weitere Lichtstrahlen durch die Finsternis. Amy vernahm das gedämpfte Knacken und Rauschen eines Funkgeräts.

»Vorsicht, sie ist bewaffnet!«

Amy bleckte die Zähne. »Aber so was von!«

In dem Moment, in dem der Lichtkegel ihr weiß geschminktes Harlekin-Gesicht aus der Finsternis schälte und sie blendete, riss sie den Arm hoch und schoss erneut. Wieder drückte sie mehrmals ab.

Sie vernahm das Jaulen eines Hundes, dann rannte sie los.

Belindas Kopf so fest gegen die Brust gedrückt, als wollte sie ihn zerquetschen. »Halt durch, Belinda! Halt durch! Gleich ...«

Amy stolperte, stürzte der Länge nach auf den Beton. Die Pistole flog ihr aus der Hand, schlitterte über den Steg und verschwand in der Dunkelheit. Von den Knien und dem linken Handballen wühlten sich brennende Schmerzen durch die Glieder. Sie musste sich beim Sturz die Haut aufgeschürft haben.

Die Krankenschwester stieß eine Verwünschung aus. Egal, Hauptsache Belinda war nichts passiert. Amanda rappelte sich wieder auf die Beine und torkelte weiter. Verschmolz regelrecht mit der Finsternis.

Bis diese plötzlich auch vor ihr von zuckenden Lichtbahnen durchbrochen wurde. Noch waren sie ziemlich weit entfernt, doch schon jetzt vernahm sie das Bellen weiterer Hunde.

Amy wimmerte.

Auch von hinten näherten sich die Verfolger. Es bestand kein Zweifel, sie saß in der Falle. Den Kopf ihrer Schwester mit beiden Armen an die Brust gedrückt, schob sich Amanda in eine Nische. Den Rücken gegen die kalte Tunnelwand gepresst, rutschte sie langsam daran entlang zu Boden.

»Oh, Belinda. Es tut mir so leid«, jammerte Amy. »Wenn ich nur nicht die Pistole verloren hätte.« Sie legte den Kopf ihrer Schwester auf die aufgeschürften Knie. Die Netzstrümpfe waren zerrissen, Kostüm und Stiefel mit Dreck beschmiert.

Verschmiert war auch das Make-up, das sich mit dem Schweiß vermengte, der in dicken Tropfen aus den Poren quoll. Amy schloss die Lider und presste die feuchte Stirn gegen Belindas ausgetrockneten Schädel. »Es tut mir so leid«, wisperte sie. »Es tut mir so leid. Es ...«

»... gibt keinen Grund, sich zu fürchten!«

Ruckartig hob Amy den Kopf und starrte in das mumifizierte Antlitz ihrer Schwester. Es bestand kein Zweifel, die Stimme der unbekannten Frau war direkt aus Belindas Mund gedrungen, deren leere Augenhöhlen von einem kalten blauen Licht erfüllt waren.

Jetzt

Doreen Upton fürchtete sich zu Tode.

Das Herz hämmerte ihr bis zum Hals. Das war kein Spaß, das war bitterer Ernst. Zuerst hatte sie es selbst nicht glauben wollen und es für einen schlechten Scherz gehalten. Für einen Streich, den sich die Kids ausgeheckt hatten, um sie zu foppen. Mitunter war der Humor der Kinder, die an der Schwelle des Todes standen, sehr speziell. Vor allem der der Älteren.

Doch dann hatte Doreen eingesehen, dass es bloßes Wunschdenken ihrerseits gewesen war. So morbide konnte der Humor gar nicht sein. Also musste etwas an den Aussagen dran sein. Zumal diese sich mit ihren eigenen Beobachtungen deckten. Das war ja das Ungeheuerliche. Das Undenkbare. Das Schreckliche, das einfach nicht der Wahrheit entsprechen durfte.

Es waren Kinder, Herrgott.

Leider gab es niemanden im Hospiz, mit dem sie über ihren Verdacht sprechen konnte.

Und die Polizei? Die würde sie doch bloß auslachen. Im besten Falle. Im Schlimmsten würde man sie direkt einweisen und für paranoid erklären. Eine Folge des Burn-outs, das in ihrem Beruf zur Stellenbeschreibung zu gehören schien.

Vielleicht fiel ihr die Lösung für ihr Dilemma ein, sobald sie in der Pension war. Dort hatte sie ihre Ruhe, und man würde sie nicht so leicht aufspüren.

Nach Feierabend war sie sofort nach Hause gefahren und hatte ihren Kater Sammy zur Nachbarin gebracht, mit der Bitte, sich um ihn zu kümmern, weil sie dringend nach London musste. Die Lüge war ihr glatt über die Lippen gekommen, schon allein deshalb, weil sie im Prinzip keine war. Sie musste ja wirklich dringend nach London. Nur eben nicht, weil ein Onkel von ihr im Sterben lag, sondern Dutzende von Kindern.

Daran konnte sie nichts ändern. Konnte niemand. Aber sie konnte, nein, sie musste verhindern, dass ihre unschuldigen Seelen zur Hölle fuhren. Ihr Schicksal lag in Gottes Hand. Und niemand, absolut niemand hatte das Recht, ihm vorzugreifen.

Hastig warf Doreen die Klamotten in die Reisetasche. Zuletzt steckte sie das Smartphone ein, schnappte sich die Handtasche und eilte zur Tür. Schwungvoll riss sie sie auf.

Wie vom Donner gerührt blieb sie stehen.

Ihre Augen weiteten sich.

»Wer ...?«

Weiter kam Doreen Upton nicht. Die Gestalt in dem hochgeschlossenen Mantel, der aussah, als gehöre er einem Obdachlosen, trat blitzschnell vor.

Der Fausthieb erfolgte mit einer solchen Schnelligkeit, dass Doreen zu keiner Reaktion fähig war. Es fühlte sich an, als wäre ihr Kehlkopf zerquetscht worden. Der Schrei blieb ihr buchstäblich im Hals stecken. Sie röchelte, taumelte zurück und kassierte den nächsten Schlag.

Da stand die Gestalt bereits in der Wohnung und warf die Tür ins Schloss. Das Geräusch ging im Poltern von Doreens Körper unter, als dieser auf die Dielenbretter prallte, auf die der Treffer gegen die Schläfe sie geschickt hatte.

Ihr Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Augenblick auseinanderplatzen. Stiche zuckten durch den Schädel. Die Diele, die Tür mit dem unbekannten Angreifer, alles drehte sich um Doreen.

Ihr wurde übel. Nicht nur der Schmerzen wegen, sondern in erster Linie vor Angst. Ihr war klar, was dieser Besuch zu bedeuten hatte. Das war nicht bloß ein abendlicher Überfall, was schon schlimm genug gewesen wäre. Der Angriff musste mit den Geschehnissen im Hospiz zusammenhängen.

War es möglicherweise sogar eine Kollegin oder ...

Doreens Gedanken gerieten ins Stocken, als sie das höhnische Kichern vernahm. Die Gestalt griff an den Rand der Kapuze und schlug sie zurück.

Das Gesicht eines Clowns kam zum Vorschein!

Die Augen in dem weißen Antlitz leuchteten gelb, was durch die schwarze Umrandung noch deutlicher zu Tage trat. Lippen und Nase waren blutrot geschminkt, wodurch die Mundwinkel grotesk in die Länge gezogen schienen. Fettiges, ungepflegtes Haar hing der Wahnsinnigen in die Stirn.

Dass es sich um eine Frau handelte, erkannte Doreen nicht nur am irren Kichern, sondern auch an der schmalen Taille und den nackten, in löcherigen Netzstrümpfen steckenden Beinen, die in weißen, völlig verdreckten Lackstiefeln endeten.

Schmutzig war auch das Kostüm, das die Fremde trug. Sie hatte sich umgedreht, während sie sich den Mantel auszog und ihn an die Garderobe hängte, als wäre sie hier zu Hause. Sie summte sogar leise vor sich hin. Ein weiterer Beweis, dass die Unbekannte nicht ganz richtig im Kopf war.

Doreen würgte und rang nach Luft. Sie versuchte, um Hilfe zu schreien, ihre Nachbarin auf sich aufmerksam zu machen, doch mehr als ein hohles Pfeifen kam einfach nicht über ihre Lippen.

Sie wollte sich herumwälzen und zurück in die Wohnung kriechen. Vielleicht wurde jemand hellhörig, wenn sie eine Vase herunterriss oder ...

Das Handy!

Doreen musste den Notruf wählen. Sie tastete nach dem flachen Apparat in der Gesäßtasche, als sich der Clown zu ihr umdrehte. Vor der Brust mit dem tiefen Ausschnitt baumelte ein dunkler, runder Gegenstand.

Doreen Upton erstarrte vor Grauen, als sie erkannte, dass es sich um das ledrige Antlitz eines Schrumpfkopfes handelte, den sich die Wahnsinnige an den Haaren um den Hals gehängt hatte.

Das Ding ist nicht echt, schoss es Doreen durch den Kopf, als ob sie keine anderen Sorgen hätte.

Immerhin sorgte das durch ihre Adern schießende Adrenalin für einen Kraftschub. Auch die Schmerzen flauten ab. Zwar konnte sie noch immer nicht schreien, aber wenigstens schaffte sie es, sich auf den Bauch zu wälzen.

Schritte erklangen hinter ihr. Eiskalt rieselte es ihr über den Rücken. Jeden Moment rechnete sie damit, dass die Fremde sie weiter misshandeln würde. Ihr Puls raste. Die Angst, dieser wahnsinnige Clown könne sie erschlagen wie eine räudige Ratte, sprang sie an wie ein Tier.

Umso verdutzter war sie, als die Unbekannte an ihr vorüberging, als würde sie überhaupt nicht existieren. Zwei Schritte vor ihr blieb die Einbrecherin stehen und stemmte die Hände in die Hüften.

Doreen erkannte, dass in den Strapsen der Netzstrümpfe zwei Spritzen mit widerlich langen Kanülen steckten. Die Kolben waren nach unten gedrückt, die Zylinder leer.

»Jetzt sieh dir das an, Belinda. Ist das nicht eine schöne Wohnung? So sauber und so ... oh, sieh mal! Sie hat sogar eine Katze.«

Die Fremde beugte sich vor, sodass der Schrumpfkopf nach vorne schwang. Gegen das weiß geschminkte Kinn der Verrückten, die sich auf den Oberschenkeln abstützte. Dass ihr viel zu knappes Kostüm hochrutschte und Doreen einen Blick auf ein rotes Höschen gewährte, schien sie nicht im Mindesten zu stören.

»Komm, Kitty, Kitty, Kitty«, sang die Irre.

Doreen war so unendlich dankbar, dass sie Sammy gleich als Allererstes zu Miss Farrington gebracht hatte. Wer weiß, was diese Wahnsinnige dem armen Tier angetan hätte.

»Hm, wohl nicht zu Hause, was?«, murmelte der weibliche Clown und richtete sich wieder auf. »Na ja, sei's drum. Schauen wir mal, was die gute Doreen so im Kühlschrank hat.«

Doreen traute ihren Augen und Ohren kaum, als sich die Fremde nach links wandte, dorthin, wo die Küche lag. Kurz darauf vernahm sie, wie der Kühlschrank geöffnet wurde. Gläser klirrten. Dann wurden weitere Schränke und Schubladen aufgerissen. Eine Pfanne klapperte auf das Ceranfeld.

Was ging da vor sich? Stellte sich die Verrückte jetzt allen Ernstes an den Herd, um sich ein Omelett zu braten?

Doreen schluckte.

Warum nicht? Wenn dieser Clown tatsächlich so irre war, wie sie annahm, und darauf deutete alles hin, dann war sie mit Sicherheit nicht mit normalen Maßstäben zu messen. Offenbar war sie nicht nur leicht ablenkbar, sondern vollkommen desorganisiert.

Davon zeugte auch das wahllose Scheppern und Klirren des Geschirrs. Dazwischen vernahm Doreen immer wieder die Stimme der Unbekannten, die mit sich selbst sprach. Oder mit ihrem scheußlichen Schrumpfkopf.

Das war ihre Chance. Solange die Verrückte beschäftigt war, konnte sie vielleicht doch noch entkommen und Hilfe rufen.

So vorsichtig wie möglich schob sich Doreen zurück. Als sie einigermaßen sicher war, dass sie nicht mehr durch einen blöden Zufall gesehen werden konnte, richtete sie sich auf und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Das Smartphone drückte gegen die Hinterbacke.

Doreen verzog das Gesicht, hob den Po und zog das Telefon hervor. Dabei fiel ihr Blick auf das Türschloss. Diese Wahnsinnige hatte tatsächlich den Schlüssel stecken lassen.

Doreens Hände zitterten, als sie das Smartphone entsperrte, um den Notruf zu wählen. Gleichzeitig beugte sie sich zur Seite, um nach der Klinke zu angeln, da fiel ihr auf, dass der Lärm in der Küche aufgehört hatte.

»Ja, doch. Hab's verstanden«, murmelte die Fremde.

Ein ängstliches Wimmern drang aus ihrer Kehle, als sie die näher kommenden Schritte hörte. Das Handy rutschte ihr aus den Fingern, glitt über den Oberschenkel und polterte auf die Dielen.

Zwei, drei panische Herzschläge später verdunkelte ein Schatten den Flur, fiel auf Doreen, die in ihrer Verzweiflung nach dem Eindringling schlug.

Die Fremde kümmerte es nicht. Mit spielerischer Leichtigkeit fing sie Doreens Arm ab, ging vor ihr in die Hocke und stach ihr die Kanüle der Spritze in den Hals.

Der Schock lähmte Doreen. Ihr Gesicht war nur Zentimeter von dem des Clowns entfernt. Ein penetranter, säuerlicher Geruch ging von der Unbekannten aus, als hätte sie sich seit Wochen nicht richtig gewaschen und die meiste Zeit davon in der Kanalisation verbracht.

Das Gesicht zog sich auseinander, als bestünde es aus Gummi. Das schrille Kichern klang leise und gedämpft, das Blut rauschte in den Ohren. Ein dumpfer Druck breitete sich hinter den Schläfen aus. Ihr Kopf fühlte sich an, als stecke er in einer Schraubzwinge.

Plötzlich bekam Doreen Atemnot.

Panisch schlug sie um sich, traf auch die Wahnsinnige, die zornig aufschrie. »Pass auf! Du triffst sonst noch Belinda!«

Ein Tritt erwischte Doreen, warf sie auf den Rücken. Die Unbekannte stellte sich breitbeinig über sie und ließ sich langsam auf die Schultern ihres Opfers sinken, sodass die Arme von den Knien fixiert wurden.

Der Clown krümmte sich und beugte sich vor, bis die klebrige, geschminkte Stirn Doreens berührte. Die bäumte sich auf, wollte sich unter ihrer Peinigerin hervorwinden. Der Schrumpfkopf, Belinda, schlug gegen ihren schmerzenden Hals und das Kinn. Ihre Sicht verschwamm.

»Pssst«, wisperte die Fremde. »Mach es dir nicht unnötig schwer. Gleich hast du es hinter dir. Versprochen. Das Kichern der Irren begleitete Doreen in den Tod.