John Sinclair 2395 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2395 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Der Ort Egloskerry in Cornwall ist schon mehrmals Schauplatz unheimlicher und grausamer Ereignisse geworden. Vor einigen Monaten verlor dort Laura Patterson ihr Leben, als angebliche Hexe gesteinigt von einem aufgebrachten Mob. Die Täter wurden zwar verhaftet, aber ihr junger Bruder Timothy kommt über diesen schrecklichen Verlust nicht hinweg.
Auf einmal tauchen mehrere Jugendliche in Egloskerry auf. Coole Typen und Mädchen, die bald das Sagen an der Schule haben. Und sie wollen, dass Timothy Mitglied ihrer Clique wird.
Der ahnt noch nicht, dass er es mit einer wahren Teufelsbande zu tun hat ...

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Seitenzahl: 150

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Teufelsbande

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Teufelsbande

von Ian Rolf Hill

»Lass mich in Ruhe, blöde Kuh!«

Timothys Schritte polterten über die Stufen der hölzernen Treppe in den ersten Stock. Eine Tür wurde mit solcher Wucht zugeworfen, dass der Knall wie das Echo eines Schusses durch das gesamte Haus hallte.

Imogen Shaw stand mit geballten Fäusten im Flur, direkt vor der Treppe, neben der offenen Küchentür und somit im Blickfeld ihrer Eltern, die am gedeckten Tisch standen und eigentlich nur noch auf die beiden Teenager gewartet hatten, die soeben aus der Schule gekommen waren.

Wortlos stürmte nun auch Imogen die Treppe hinauf, ohne ihre Eltern zu beachten.

»So kann das nicht weitergehen, Jon«, murmelte Helen.

»Der Junge hat seine Schwester verloren«, entgegnete Jonathan Shaw. »Er braucht Zeit!«

Die Frau des Landwirts schaltete den Herd aus, nahm den Topf von der heißen Platte und drehte sich zu ihrem Gatten um. »Vor allem braucht er jemanden, der mit ihm redet. Lauras Tod liegt nun schon Monate zurück, wie viel Zeit willst du ihm denn noch geben?«

»So viel er eben braucht.« Jon atmete tief durch. »Jeder trauert auf seine eigene Weise. Frag Pater Franklin.«

»Ich habe Pater Franklin gefragt«, erwiderte Helen. »Und er ist wie ich der Meinung, dass wir Timothy unterstützen sollten.«

»Das tun wir doch«, protestierte Jon. »Wir haben ihn bei uns aufgenommen. Ihm ein Zuhause gegeben.«

»Ich fürchte nur, dass das nicht ausreicht. Sieh dir doch bloß mal unsere Tochter an. Vor einem Jahr wäre sie bestimmt vor Freude an die Decke gesprungen, wenn Timothy bei uns eingezogen wäre. Jetzt vergeht kaum ein Tag, an dem sie sich nicht zanken. Und wenn sie sich nicht streiten, gehen sie sich aus dem Weg.«

»Es sind Teenager.« Jonathan verzog die Mundwinkel. »Und Tim ist ein Junge, der ohne Eltern aufwachsen musste. Er hat seine ganze Familie an diesen ... diesen Nachzehrer verloren. Laura war alles, was ihm noch geblieben war. Wenn du mich fragst, hat er allen Grund, wütend zu sein.«

»Aber nicht auf uns und unsere Tochter.«

Darauf wusste Jonathan keine gescheite Antwort. Helen hatte ja recht.

In den ersten Tagen nach Lauras Tod war Timothy Patterson wie gelähmt gewesen. Regelrecht lethargisch. Er hatte seinen Kummer förmlich in sich hineingefressen. Und weder Imogen noch sein Hund Barry, geschweige denn Miles Franklin, der Pfarrer von Egloskerry, hatten ihn aus seinem Schneckenhaus locken können.

Allerdings hatte auch niemand daran Anstoß genommen. Immerhin hatte Timothy mit Laura nicht nur seine letzte Angehörige verloren, sondern auch sein Zuhause, das bei der Hexenjagd, der seine Schwester zum Opfer fiel, in Flammen aufgegangen war.*

Zwei Monate nach Lauras Beerdigung war Timothy wieder zur Schule gegangen. Anfangs hatte es auch tatsächlich so ausgesehen, als würde sich der Junge fangen. Bis es zu den ersten Verhaltensauffälligkeiten gekommen war.

Zunächst waren es nur Kleinigkeiten gewesen. Konzentrationsschwächen, vergessene Hausaufgaben, der typische Leistungsabfall eines Teenagers, der andere Dinge im Kopf hatte als Englisch, Mathe und Erdkunde.

Leider waren es in Timothys Fall keine Mädchen, die ihn vom Lernen abhielten.

Später waren noch andere Dinge hinzugekommen. Mal eine Schlägerei, mal eine geschwänzte Schulstunde. Einmal war er sogar einem Lehrer gegenüber ausfallend geworden.

Trotzdem hatten alle versucht, Verständnis für den Jungen aufzubringen.

Vielleicht ein wenig zu viel Verständnis? Jonathan war sich dessen nicht so si‍ch‍er, doch auch ihm war klar, dass etwas geschehen musste.

Der breitschultrige Landwirt seufzte schwer. »In Ordnung, ich rede mit ihm!«

Helen legte ihrem Mann die Hand auf die Schulter. »Danke!«

Jon nickte bloß, während er aus der Küche schlurfte und den Weg über die Treppe in den ersten Stock nahm. An seinen Füßen schienen Bleigewichte zu hängen, so mühsam setzte er die Schritte.

Wenn er ehrlich zu sich selbst war, fürchtete er sich ein wenig vor dem kommenden Gespräch ...

Die Shaws hatten zwar Timothys Vormundschaft übernommen, aber Jonathan war nun mal nicht der Vater des Jungen. Er hatte keine Ahnung, wie er das Gespräch beginnen und was er tun sollte, wenn Timmy beispielsweise in Tränen ausbrach. Andererseits konnte er die Verantwortung auch nicht auf Helen oder Pater Franklin abwälzen.

Er erreichte den oberen Treppenabsatz. Die Dielen knarrten bei jedem Schritt. Bislang hatte sich der Landwirt daran nie gestört, heute war das seltsamerweise anders.

Trotz der vorgerückten Stunde war es hell genug, um den Schatten zu erkennen, der in der Mitte des Flurs auf dem Läufer lag und sich selbst dann nicht rührte, als Jon vor ihm stehen blieb.

Es war Barry, der wie bestellt und nicht abgeholt am Boden kauerte, genau zwischen den Türen der beiden Kinderzimmer.

Laura und Timothy hatten den Hirtenhund adoptiert, nachdem Mörderspinnen sein früheres Herrchen, den Schäfer Frank, getötet hatten. Jon erinnerte sich nur ungern an die Invasion der Spinnen und Insekten, die durch das Blut eines Riesen mutiert waren. Damals war seine Tochter Imogen praktisch tot gewesen. Erst ihre Katze Bastet hatte sie mit ihrem letzten Atemzug wieder zum Leben erweckt.*

So viel Schauriges und Unheimliches war schon in Egloskerry passiert. Und ausgerechnet Laura hatte man dafür verantwortlich gemacht, als Hexe beschimpft – und getötet!

Auch der Hund litt unter Timothys Trauer. Tiere haben ein feines Gespür für Stimmungen und Gefühle von Menschen, die ihnen nahestehen. Daher wunderte es Jon ein wenig, dass Barry allein hier draußen im Flur lag und nicht bei Tim im Zimmer war.

Jon ging neben dem Hund in die Hocke und strich ihm sanft über den Kopf. Traurig hob Barry den Blick und schaute den Landwirt auf eine Weise an, wie es nur Hunde vermögen.

»Ich weiß, mein Junge«, murmelte Jonathan. »Du hast alles getan, um ihm zu helfen. Aber manchmal passieren Dinge im Leben, da muss man allein durch.«

Dem Landwirt schnürte es die Kehle zu. Auch Barry war damals übel mitgespielt worden, als die Dorfbewohner Jagd auf Laura gemacht hatten. Selbst für Jonathan war es schwer zu begreifen, wie es dazu hatte kommen können. Wie sollte es da erst Timothy ergehen?

Einige Dorfbewohner, darunter der Bauerssohn Oswald Spencer, waren von Maggy Carson, der Witwe des Gastwirts, und dem Arzt Gregory Simmons gegen Laura aufgehetzt worden. Angeblich war sie eine Hexe gewesen, die das Dorf Eg‍loskerry mit einem Fluch belegt hatte.

Simmons, der die vakante Stelle von Lauras väterlichem Freund Dr. James Farnsworth übernommen hatte, hatte sich bewusst Menschen ausgesucht, die durch die dämonischen Angriffe in der Vergangenheit nahestehende Personen verloren hatten. Maggy ihren Ehemann und Oswald seinen Bruder Bernd.

Gregory Simmons war seitdem spurlos verschwunden.

Ein gedämpftes Schluchzen riss Jonathan Shaw aus seinen düsteren Erinnerungen. Es war hinter der Tür zu seiner Linken erklungen. Dort hatte Imogen ihr kleines Reich.

Ächzend erhob sich der Landwirt. Barry winselte leise.

»Ja, du hast recht«, flüsterte Jon.

Kurz entschlossen trat er an die Zimmertür seiner Tochter und klopfte. Das Schluchzen verstummte.

»Wer ist da?«

»Ich bin's.« Jonathan war sich sicher, dass Imogen seine Stimme erkannte.

»Was willst du?«

»Mich mit dir unterhalten. Darf ich reinkommen?«

Imogens Antwort bestand aus einem undeutlichen Murmeln, das der Landwirt als Zustimmung wertete. Sie hatten schon immer ein gutes Verhältnis zueinander gehabt, Imogen war eindeutig ein Vaterkind, wie man so schön sagt.

Er öffnete die Tür, worauf Barry anscheinend nur gewartet hatte. Der Hund schlüpfte durch den Spalt und lief zu dem Bett, in dem Imogen saß.

Die Beine hatte sie angezogen, ihre Arme umklammerten ein großes Kissen in Form eines Smileys, das sie an ihre Brust drückte. Den Rücken hatte sie gekrümmt, und die dunkelblonden Haare bedeckten ihre vom Weinen verquollenen Augen.

Doch davon ließ sich Barry nicht beirren. Mit wedelndem Schwanz trat er an das Bett und drückte Imogen seine feuchte Schnauze ins Gesicht.

»Bäh!«, machte das Mädchen und richtete den Oberkörper auf. Sie blieb auf der Tagedecke hocken und wischte sich mit dem Ärmel Tränen, Haare und eingebildeten Hundesabber aus dem Gesicht.

Jon musste sich ein Lächeln verkneifen und nahm sich vor, Barry später eine kleine Leckerei zuzustecken. Der Hund hatte geschafft, woran er kläglich gescheitert wäre: Er hatte Imogen aus ihrem Jammertal geholt.

Der Landwirt zog sich den Schreibtischstuhl heran und nahm darauf Platz, dann kraulte er Barry das Nackenfell.

»Was ist los mit dir, mein Schatz?«

Sie hob die Schultern. »Nichts, was soll schon sein?«

Fast hätte Shaw mit den Augen gerollt. »Erzähl mir nicht, dass du einfach nur so weinst. Es ist wegen Timothy, stimmt's?«

Imogen zuckte mit den Schultern.

»Es war kaum zu überhören«, fuhr Jonathan fort.

»Na und?«, entgegnete Imogen. »Ist doch egal. Schließlich trauert er ja immer noch um Laura.«

Die Art, wie sie das sagte, ließ Shaw hellhörig werden. »Aber das gibt ihm noch lange nicht das Recht, dich zu beschimpfen. Du hast auch unter ihrem Tod gelitten. So wie wir alle.«

Nun fing auch Imogen an, Barry zu streicheln. Der Hund genoss die Aufmerksamkeit der Menschen sichtlich.

»Willst du mir erzählen, was passiert ist?«

Das Mädchen nagte an seiner Unterlippe, während es über die Frage nachdachte. »Es ist bloß wegen dieser Typen, mit denen er in letzter Zeit abhängt.«

»Was denn für Typen?«, wollte Jonathan wissen.

»Ach, ein paar ältere Jungs und Mädchen aus der Schule, die sich einen Spaß daraus machen, Schwächere zu ärgern.«

Jonathans Herz klopfte schneller. »Auch dich?«

Imogen schüttelte den Kopf. »Nee, aber ich hab gesehen, wie Timothy dabei war, als sie einen unserer Klassenkameraden herumgeschubst haben. Nesbit, du kennst ihn.«

Und ob er ihn kannte. Nesbit war ein kleiner dicklicher Junge mit großer Brille, schwerer Akne und schwachem Selbstbewusstsein. Das perfekte Mobbingopfer.

»Was hast du gemacht?«

»Ich bin dazwischengegangen«, sagte Imogen mit einer Selbstverständlichkeit, die Jonathan mit Stolz erfüllte.

Ein Lächeln huschte über seine Lippen, doch er wurde rasch wieder ernst. »Was ist dann passiert?«

»Die Typen haben gelacht und Timothy aufgezogen, dass er sich von einem Mädchen herumkommandieren lässt.«

»Verstehe«, murmelte er. »Kennst du die Namen der Kids, mit denen Timothy abhängt?«

Imogen schüttelte den Kopf. »Nee, die sind neu. Ich weiß auch nicht, ob sie aus Launceston kommen oder woanders her. Hier im Dorf hab ich sie jedenfalls noch nie gesehen.«

Jonathan nickte nachdenklich, dann fasste er einen Entschluss und stand auf. »Ich werd mal rübergehen und mit ihm reden.«

»Aber sag ihm nicht, dass ich gepetzt habe.«

Er hob die Brauen. »Du hast doch gar nichts gesagt.«

Imogens Mundwinkel zuckten. »Ich mein ja nur.«

»Ich werd schon nicht mit der Tür ins Haus fallen. Zunächst einmal will ich bloß wissen, warum sich der Junge aufführt wie der letzte Mensch und wie er dazu kommt, meine Tochter anzuschnauzen.«

»Sei nett zu ihm, Dad!«

»Bin ich doch immer.«

Er zwinkerte seiner Tochter zu und verließ den Raum.

Auf dem Weg zu Timothys Zimmer überlegte er, ob es vielleicht klüger wäre, zunächst Erkundigungen über die anderen Kids einzuholen, mit denen Timothy seit Neuestem abhing, wie Imogen sich auszudrücken pflegte. Aber nein, es war besser, Timothy direkt damit zu konfrontieren.

Er blieb vor der Tür stehen und klopfte. Keine Reaktion, aber damit hatte Jonathan gerechnet. Er legte die Hand auf die Klinke und öffnete die Tür.

»Timothy?«

Noch bevor er die Schwelle übertrat, wusste er, dass er keine Antwort bekommen würde.

Ein kühler Luftzug streifte sein Gesicht. Er wehte durch das offene Fenster. Die Vorhänge schaukelten sanft im Wind vor und zurück.

Jonathan Shaw ließ den Blick durch das Zimmer schweifen. Es war leer.

Er brauchte auch nicht auf der Toilette nachzuschauen oder Helen zu fragen, ob der Junge in der Zwischenzeit nach unten gegangen war.

Mit wenigen Schritten durchquerte er das ehemalige Gästezimmer und blieb am Fenster stehen.

Knapp eine Armlänge vom Fenster entfernt befand sich draußen das chromblitzende Rohr, durch das das Regenwasser aus der Dachrinne in die Kanalisation abgeleitet wurde.

Es war stabil genug, um einen Jungen von Timothys Statur zu tragen.

Er war getürmt, und Jonathan brauchte nicht viel Fantasie, um zu wissen, zu wem er wollte ...

Timothy Patterson schlug das Herz bis zum Hals.

Tief in seinem Inneren wusste er, dass es nicht richtig war, was er tat. Er schämte sich sogar ein wenig. Nicht nur, weil er die Gastfreundschaft der Shaws missbrauchte, auch für sein Verhalten gegenüber Imogen. Sie war immerhin seine Freundin. Doch die Scham reichte nicht aus, um ihn von seinem Vorhaben abzuhalten.

Timmy hatte nie viele Freunde gehabt. Er war schon immer ein Einzelgänger gewesen. Was nicht zuletzt an diesem Kaff lag, in dem es kaum gleichaltrige Kinder gab.

Imogen war die Einzige in seinem Alter, mit der er sich schon von klein an verstanden hatte. Aber sie war nun mal ein Mädchen. Früher hatte ihn das nicht gestört, doch vor ein paar Jahren hatte sich das verändert. Zuerst hatte er sich das nicht eingestehen wollen, doch insgeheim war er schon lange in Imogen verknallt.

Was irgendwie komisch war, da sie fast wie Geschwister aufgewachsen waren.

Und dann war Laura gestorben, und plötzlich war alles anders gewesen.

Egloskerry war zu einem düsteren, trostlosen Ort geworden. Früher war er oft mit Imogen herumgetobt, selbst nachdem seine Eltern gestorben waren. Doch seit Lauras Tod hatte er das Haus der Familie Shaw, die ihn aufgenommen hatte wie einen verlorenen Sohn, kaum noch verlassen.

Alles im Ort hätte ihn bloß an das schreckliche Geschehen erinnert. Der Friedhof, auf dem seine Schwester beerdigt worden war, die ausgebrannte Ruine ihres Hauses ...

Auch Imogen hatte angefangen, ihn zunehmend zu nerven.

Er erinnerte sich noch genau an den ersten Schultag nach der Beisetzung. Wie besorgt sie um ihn gewesen war. So als wäre er ein kleines Kind oder so. Auch die Lehrer und seine Klassenkameraden hatten ihn behandelt wie ein rohes Ei.

Bis ihn eines Tages ein Typ auf dem Schulhof anquatschte, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Anscheinend war er neu an der Schule. So wie seine Freunde, die mindestens sechzehn oder siebzehn Jahre alt waren.

Zuerst hatte Timothy befürchtet, dass sie bloß nach einem Opfer Ausschau hielten. Dann hatte Damian ihm angeboten, mit ihnen abzuhängen, und plötzlich war Timothy einer von ihnen gewesen.

Er hatte sich nicht viele Gedanken darüber gemacht, warum sie sich ausgerechnet ihn ausgesucht hatten, er war bloß froh gewesen, Freunde gefunden zu haben, die ihn nicht verhätschelten und ihn ständig daran erinnerten, was er verloren hatte.

Und es war auch irgendwie cool, bei den Älteren zu sein und von ihnen akzeptiert zu werden. Was sie mit Nesbit gemacht hatten, war zwar nicht nett gewesen, und er hatte deswegen auch ein schlechtes Gewissen, aber eigentlich hatten sie doch nichts Schlimmes getan.

Der Loser hatte sich bloß das Knie gestoßen und die Hand aufgeschürft. Warum machte Imogen deshalb so einen Aufstand?

Timothy schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter. Er hatte genau gewusst, dass es Ärger geben würde. Deshalb war ihm Damians Whatsapp gerade recht gekommen.

Wenn er Bock auf ein wenig Spaß hätte, solle er zur alten Scheune kommen.

Timothy hatte nicht lange gefackelt und war aus dem Fenster geklettert. Auf keinen Fall hatte er Jonathan oder Helen über den Weg laufen wollen. Außerdem wäre es ihm schwergefallen, Barry abzuschütteln.

Er hatte dem Hund praktisch die Tür vor der Nase zuknallen müssen, als er auf sein Zimmer gerannt war. Das hatte ihm zwar einerseits leidgetan, andererseits erinnerte ihn der Anblick des Hundes ebenfalls immer an Laura.

Dank des Regenrohrs hatte er keine Probleme gehabt, aus dem ersten Stock zu klettern. Und jetzt rannte er so schnell er konnte durch das wie ausgestorben wirkende Dorf.

Um diese Zeit saßen die meisten Bewohner von Egloskerry beim Abendessen. Hinzu kam das Wetter, das auch nicht unbedingt dazu einlud, seine Zeit im Freien zu verbringen. Dunkle Wolken zogen am Horizont auf, und für den späten Abend waren heftige Gewitter angekündigt.

Doch bis es zu stürmen und zu regnen anfing, würde er bestimmt wieder zu Hause sein. Und wenn nicht ... wen kümmerte es?

Die Shaws bestimmt nicht. Die hatten ihn doch nur bei sich aufgenommen, weil sie selbst ein schlechtes Gewissen hatten.

Timothys Schritte halten über das Kopfsteinpflaster. Wenn er zur alten Scheune wollte, musste er am Friedhof vorbei. Allein der Gedanke daran verursachte ihm Bauchschmerzen. Der Junge riss sich zusammen und rannte weiter. Kurz darauf kam die Friedhofsmauer in Sicht.

Eine Katze kauerte auf dem Bürgersteig davor und fauchte ihn an. Der Junge verlangsamte seine Schritte. Dann bückte er sich, hob einen Stein auf und warf ihn nach dem Tier.

»Verpiss dich!«, schrie er.

Seit Hunderte von Katzen den Ort belagert hatten, war er auf die Tiere nicht besonders gut zu sprechen. John Sinclair und Suko hatten zwar gesagt, dass sie nur gekommen seien, um die Bewohner von Egloskerry zu beschützen, doch wenn das stimmte, warum hatten sie dann nicht auch Laura beschützt?

Der Stein verfehlte die Katze, die trotzdem Reißaus nahm.

Timothy ging weiter, über die Brücke hinweg und an der alten Festungskirche vorbei. Vom nahegelegenen Sumpf her wehte ihm fauliger Geruch entgegen. Auch er brachte schlechte Erinnerungen mit sich.

Erinnerungen an das Sumpfloch, in das er mit Johnny Conolly hineingezogen worden war. An die Riesenspinne, die Imogen beinahe getötet hatte.

Was hieß beinahe? Sie hatte Imogen getötet. Doch ihre Katze Bastet hatte sie wieder zum Leben erweckt. Weil die Göttin sie angeblich als neue Hohepriesterin auserwählt hatte.

Nur Laura blieb tot.

Das war doch nicht fair!

Timothy spürte den Druck hinter den Augen und im Hals. Beinahe wäre er stehen geblieben, um zu weinen, doch auf keinen Fall wollte er seinen neuen Freunden mit verheulten Augen gegenübertreten.

Die Scheune lag nur einen Steinwurf von der Kirche entfernt. Es war das letzte Gebäude, dahinter begann bereits der Sumpf.

Früher hatte Frank hier seine Schafe untergebracht. Seitdem verfiel der Schuppen mehr und mehr. Das Dach wies an mehreren Stellen Löcher auf, das höl‍z‍er‍ne Tor war morsch und brüchig, Fens‍ter gab es keine.

Das Tor stand einen Spalt breit offen. Weit genug, damit er hindurchschlüpfen konnte.

Um die Scheune herum wucherte dichtes Gestrüpp, bestehend aus Gräsern, Disteln und Brennnesseln. Vor dem Tor war der Bewuchs plattgetreten. Für Timothy der Beweis, dass er nicht der Erste war, der heute hier vorbeischaute ...

Obwohl es noch nicht dunkel war, herrschte im Schuppen ein schummeriges Dämmerlicht. Zwischen den Wänden hing noch der Geruch der Schafe, der sich mit dem von altem Heu, trockenem Holz und Staub vermengte.