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Eigentlich wollten Johnny Conolly und Cathy nur einen entspannten Tag in der Battersea Power Station verbringen, Londons neuester Einkaufsmeile. Doch plötzlich brach Panik aus. Riesige Spinnen, Skorpione und Ratten griffen die Menschen an, und eine geheimnisvolle Macht riegelte das ehemalige Kraftwerk an der Themse hermetisch ab. Hunderte von Menschen waren gefangen, darunter auch mein Patenkind Johnny und seine Freundin. Und damit war es ein Fall für Suko und mich. Dabei ahnten wir nicht, dass ein alter Feind von uns hinter all dem steckte, eine weitere Dämonenseele, die aus dem Schattenreich des Spuks entkommen war. Und plötzlich stand auf sämtlichen Monitoren nur noch ein Satz zu lesen: It's Magic!
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Seitenzahl: 138
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
It's Magic!
Briefe aus der Gruft
Vorschau
Impressum
It's Magic!
von Ian Rolf Hill
Lester Carr fühlte sich beobachtet.
Dabei konnte er sicher sein, dass sich außer ihm niemand hier unten im Keller des ehemaligen Kohlekraftwerks befand, wo das Herz von Londons neuester Attraktion schlug.
Die Battersea Power Station!
Eines der größten aus Ziegelsteinen errichteten Gebäude Europas, am Südufer der Themse gelegen, beherbergte seit über einem Jahr eine der größten Shopping-Malls des Landes mit mehr als einhundertvierzig Geschäften, Restaurants und Bars. Sogar wohnen konnte man hier in einem der luxuriösen Apartments. Natürlich nur, wenn man über das nötige Kleingeld verfügte. Computer sorgten nicht nur für den reibungslosen Betrieb der Rolltreppen und Aufzüge, sie regelten auch die Beleuchtung und Temperatur.
Die Battersea Power Station hatte mehrere, unabhängig funktionierende Notstromaggregate, die bei einem Stromausfall automatisch ansprangen, um zu verhindern, dass Tausende von Menschen in Panik gerieten.
Und ausgerechnet eines dieser Aggregate hatte eine Störung gemeldet!
Lester Carr gehörte zu jenen Menschen, die nicht gesehen oder bewusst wahrgenommen wurden, wenn sie sich im Geschäfts- und Freizeitbereich der Battersea Power Station aufhielten, um eine defekte Leuchtstoffröhre auszuwechseln oder eine der elektronisch gesteuerten Ladentüren zu reparieren. Dabei war Lester alles andere als unscheinbar.
Er maß ein Meter und fünfundneunzig und brachte hundertzehn Kilo auf die Waage. Sein Haar war schwarz und dicht, ein Erbe seines aus Italien stammenden Großvaters. Durch die buschigen Brauen wirkten seine dunkelbraunen Augen noch dunkler, fast schwarz. Auf der Oberlippe wuchs ein dichter Schnurrbart, dem er auch seinen Spitznamen zu verdanken hatte: Luigi. Angelehnt an den Bruder der berühmten Videospiel-Ikone Mario.
Der vierundvierzigjährige Lester gehörte zum Hausmeisterservice des Komplexes, zu dem außer dem ursprünglichen Kraftwerksgebäude auch mehrere Bürohochhäuser zählten, die sich um die Battersea Power Station am Südufer der Themse drängten.
Obwohl er einer von einhundertfünfzig Angestellten war, war das Personal mehr als knapp, schließlich arbeiteten sie in drei Schichten, und auch Hausmeister wurden irgendwann einmal krank oder hatten Urlaub. Zu tun gab es also mehr als genug, daher musste Lester auch allein hier unten nach dem Rechten sehen.
Trotzdem blieb das Gefühl, unter Beobachtung zu stehen. Und das hatte nichts mit den künstlichen Augen zu tun, die in regelmäßigen Abständen unter der Decke hingen und die Kellergänge observierten.
Doch der Raum mit den Notstromaggregaten wurde nicht mit Kameras überwacht. Sollte ein Unbefugter auf den Monitoren auftauchen, der sich an der stählernen Tür des Maschinenraums zu schaffen machte, würden die Kollegen der Security ihn in Gewahrsam nehmen, bevor er Unheil stiften konnte.
Vielleicht waren es ja Ratten, die Lester beobachteten? Er schaute sich unbehaglich um. Er mochte keine Ratten. Die Biester waren ihm unheimlich. Er hatte mal einen Horrorfilm gesehen, in dem die Nager aus der Kloschüssel geströmt waren und sich auf ihr Opfer gestürzt hatten. Aber selbst für Ratten gab es hier unten in dem wie geleckt wirkenden Stahlbetonbunker kaum etwas zu holen.
Nicht mal Spinnweben hingen unter der Decke. Aber was hätten die kleinen achtbeinigen Ungeheuer auch schon fangen sollen?
Trotz der Belüftungsanlagen herrschte im Maschinenraum eine bullige Wärme, die Lester Carr den Schweiß auf die Stirn trieb. Der Hausmeister wischte ihn mit dem Ärmel ab, verkeilte die Tür und marschierte auf die beiden Aggregate zu. Es waren wuchtige schwarze Maschinen, von denen chromblitzende Rohre bis zur Decke führten. Durch sie wurden die Abgase der leistungsstarken Mitsubishi-Dieselmotoren abgeleitet, die den Strom lieferten.
Alle elektronischen Parameter der komplexen Anlage, zu der auch die Aggregate zählten, wurden über ein separates Interface kontrolliert.
Lester überprüfte das erste Aggregat auf Herz und Nieren, fand aber keine Unregelmäßigkeiten. Also wandte er sich dem zweiten Aggregat zu.
In diesem Augenblick vernahm er ein Geräusch. Ein metallisches Klopfen oder Hämmern, als würde jemand gegen die Rohre schlagen.
Der Hausmeister blieb stehen und lauschte. »Hallo? Ist da jemand?«
Als er nach mehreren Sekunden noch immer keine Antwort erhielt, trat er einen Schritt zurück.
»Terry, bist du das?«
Noch immer keine Reaktion. Dafür verstummte das Klopfen.
Lester schüttelte über sich selbst den Kopf und setzte seinen Weg zum zweiten Aggregat fort. Aber auch dort fand er keinen Hinweis auf eine Störung. Es gab auch keine sichtbaren Beschädigungen. Die Interfaces funktionierten einwandfrei.
»Willst du mich verarschen?«, murmelte Lester im Selbstgespräch, meinte aber eigentlich Simone, die ihm den Auftrag gegeben hatte.
Lester Carr zückte sein Diensthandy, schob es jedoch gleich darauf mit einem enttäuschten Seufzer zurück in die Seitentasche seines Overalls. Kein Empfang.
Natürlich nicht. Durch den meterdicken Stahlbeton drang kein Funksignal.
Lester deaktivierte das Interface und machte sich auf den Weg zum Ausgang. Dort schaltete er das Licht aus und wollte gerade die Verkeilung der Stahltür lösen, um den Raum wieder hinter sich zu verschließen, als erneut das metallische Klopfen erklang.
Im selben Atemzug begannen die Leuchtstoffröhren zu flackern.
»Was zum ...?«, murmelte er.
Das letzte Wort schluckte er hinunter. Seine Großmutter hatte ihn stets ermahnt, nicht zu fluchen und schon gar nicht den Leibhaftigen herbeizuzitieren.
Lester Carr zählte sich nicht unbedingt zu den abergläubischen Menschen. Doch hier und jetzt rieselte selbst ihm eine Gänsehaut über den Rücken.
Die Leuchtstoffröhren flackerten, und jetzt flammte das Interface an der Stirnseite des Aggregates auf.
Und dann fingen auch noch die Motoren an zu brummen.
Wütend und ratlos zugleich schüttelte Lester erneut den Kopf und ging auf das Aggregat zu.
Ein dumpfer Schlag ließ ihn herumfahren. Die Tür war ins Schloss gefallen.
Aber sie war doch verkeilt gewesen ...
Der Blick des Hausmeisters saugte sich an dem Kunststoffkeil fest, der im stakkatohaft flackernden Licht gut einen Yard neben der Tür lag. Gleichzeitig schwoll die Geräuschkulisse im Maschinenraum an, schraubte sich in ohrenbetäubende Höhe.
Lester hielt sich die Ohren zu, krümmte sich und schloss die Lider.
Und dann, von einer Sekunde auf die anderen, wurde es schlagartig totenstill.
Der Hausmeister lauschte dem wummernden Schlag seines eigenen Herzens, dem Rauschen des Blutes in seinen Ohren.
Langsam richtete er sich auf, senkte die Hände und öffnete die Augen.
Um ihn herum war es stockfinster.
Was hatte das jetzt wieder zu bedeuten? Verlor er allmählich den Verstand, oder erlaubte sich hier jemand einen bösen Scherz mit ihm?
Bevor er sich weitere Gedanken darüber machen konnte, bemerkte er das Flackern aus den Augenwinkeln. Der Kontrollmonitor zu seiner Rechten hatte sich wieder eingeschaltet. Begleitet von einem statischen Summen.
Lester Carr legte die Stirn in Falten. Das Display zeigte weder die Statusanzeige noch die Menüpunkte. Lediglich zwei Worte waren auf dem Bildschirm zu lesen.
It's Magic!
»Die Battersea Power Station wurde ursprünglich als Kohlekraftwerk errichtet und war von 1933 bis 1983 als solches auch in Betrieb. Jeder der insgesamt vier Schornsteine hat eine Höhe von einhundertzwölf Metern. Mit einem Aufzug können Sie bis nach oben fahren und eine Aussicht genießen, die ebenso atemberaubend wie einzigartig ist.«
Johnny Conolly trat ein paar Schritte zurück und löste sich aus dem Pulk der Menschen, die wie er zu der Besuchergruppe gehörten. Die wurde von einer stark geschminkten Frau im blauen Blazer durch die Battersea Power Station geführt.
Im Gegensatz zu den meisten anderen nahm Johnny nicht aus reiner Neugier an der Führung teil, sondern aus beruflichen Gründen. Der junge Mann war in die Fußstapfen seines Vaters getreten und arbeitete als freier Journalist. Eines seiner zahlreichen Projekte war ein Blog über die weniger populären Sehenswürdigkeiten seiner Heimatstadt London.
Wenn es um die britische Hauptstadt ging, fielen den ausländischen Touristen natürlich als Allererstes der Big Ben, die Tower Bridge oder der Buckingham Palace ein, dicht gefolgt vom Tower of London, der Westminster Abbey und dem London Eye.
Aber in der Metropole gab es noch so viel mehr zu entdecken. Wie beispielsweise die Battersea Power Station, die nicht nur äußerlich ein imposantes Bauwerk war.
Johnny hob das iPhone und drehte sich langsam um die eigene Achse, um die einzigartige Kombination aus industriellem Ziegelstein und moderner Innenarchitektur einzufangen.
»Eine Zeitlang sah es so aus, als würde das Gebäude langsam, aber sicher verfallen«, fuhr die Führerin mit dem hochgesteckten blondierten Haar fort. »Pläne, aus der Battersea Power Station einen Freizeit- oder Themenpark zu machen, scheiterten ebenso wie die Umgestaltung in ein Veranstaltungszentrum mit Hotels und Konferenzräumen. Die Stadt fürchtete, dass die Umgebung dem zu erwartenden Verkehrsaufkommen nicht gewachsen sein könnte.«
Sie bedeutete der Gruppe, ihr zu folgen.
Johnny vollende die Drehung und spürte eine Berührung am Arm.
Das Gesicht seiner Freundin Cathy tauchte neben ihm auf. »Komm schon, du Starreporter, sonst verlieren wir noch den Anschluss.«
»So schnell sind die nun auch wieder nicht.«
»Das stimmt zwar, aber es könnte ja sein, dass sie was Interessantes zu sagen hat. Wäre doch schade, wenn dir das entgeht.«
»Unwahrscheinlich.« Johnny schnaubte. »Was ich bislang gehört habe, steht alles auf Wikipedia oder bei denen auf der Homepage.«
»Aber vielleicht erzählt sie gleich mal was Neues. Außerdem hast du mich ja mitgeschleppt, damit ich die Fotos mache und du dich auf die Führung konzentrieren kannst.«
»Mitgeschleppt?«, wiederholte er. »Gestern Abend hat das aber noch begeisterter geklungen.«
»Gestern Abend wusste ich ja auch noch nicht, was mich erwartet. Ich dachte, wir erkunden die Power Station auf eigene Faust.«
»Tun wir auch.« Johnny grinste. »Nach der Führung!«
»Und wie lange dauert die noch?«
Johnny legte die Stirn in Falten. »Wieso? Hast du noch was vor?«
»Emma und Marisa wollen nachher noch vorbeikommen.«
»Wo? Bei dir zu Hause?«
»Nein, hier!« Cathy schüttelte den Kopf und stemmte die Fäuste in die Hüfte. »Sag mal, das habe ich dir doch gestern erst erzählt.«
»Mit Sicherheit nicht, daran könnte ich mich erinnern.«
»Mit Sicherheit doch. Wer weiß, wo du wieder mit deinen Gedanken warst.«
»Das verrate ich dir besser nicht.«
Er grinste und kassierte von Cathy einen Boxhieb gegen die Schulter. »Ich will's auch gar nicht wissen.«
»Wie geht's denn Marisa?«
»Den Umständen entsprechend gut, würde ich sagen. Aber das weiß man bei ihr ja nie so richtig. Äußerlich wirkt sie so, als hätte sie ihr Schicksal akzeptiert.«
»Aber das nimmst du ihr nicht ab?«
Cathy hob die Schultern. Sie hakte sich bei Johnny unter und schlenderte mit ihm hinter der Gruppe her, die soeben eine der Rolltreppen erreichte. »Schlussendlich bleibt ihr ja nichts anderes übrig. Aber nur, weil man etwas akzeptiert hat, heißt das ja noch lange nicht, dass es einem damit gut geht.«
»Klingt in meinen Ohren ziemlich fatalistisch. Was sagt denn Emma dazu?«
Emma war nicht nur Cathys Zwillingsschwester, sondern auch Marisas frisch angetraute Ehefrau.
»Die befürchtet, dass Marisa sich zu stark auf ihre Arbeit konzentriert und dabei ihre eigenen Bedürfnisse vernachlässigt.«
»Ja, das würde zu Marisa passen.«
»Wie meinst du das?«
»Sich lieber mit den Problemen anderer zu befassen als mit den eigenen.«
»Leider wahr.«
Es lag jetzt schon fast anderthalb Jahre zurück, dass Marisa von einem wahnsinnigen Chirurgen verstümmelt worden war. Er hatte ihr den linken Arm und das rechte Bein amputiert, um sie in eine kybernetische Monstrosität zu verwandeln. Dass es nicht so weit gekommen war, hatte sie John Sinclair, Suko und nicht zuletzt Johnnys Vater, Bill Conolly, zu verdanken.*
Nur wenige Wochen später hatten sich Marisa und Emma das Ja-Wort gegeben. Das schönste Hochzeitsgeschenk hatte Marisa ausgerechnet von Sir James Powell bekommen: Seit mittlerweile einem dreiviertel Jahr arbeitete sie als Psychologin für den sozialpsychiatrischen Dienst der Metropolitan Police.
Nur ihre verlorenen Gliedmaßen hatte ihr niemand zurückgeben können. Obwohl die Erzdämonin Eurynome es ihr versprochen hatte. Zum Glück hatte Marisa das teuflische Spiel rechtzeitig durchschaut, und dank der Fürsprache und der finanziellen Unterstützung der Conollys hatte Marisa jetzt zwei moderne Prothesen.
Gleichzeitig erinnerten die sie aber auch jeden Tag daran, was geschehen war.
Johnny war sich sicher, dass ihre seelischen Wunden nicht ansatzweise verheilt waren.
Wer konnte das besser nachvollziehen als er? Immerhin hatte er ebenfalls schon mehrfach in Lebensgefahr geschwebt. Als Sohn der besten Freunde eines Geisterjägers, der zu den Todfeinden der Hölle gehörte, wurde er immer wieder zum Ziel dämonischer Angriffe. Inzwischen weniger als früher, denn als Kind war er definitiv das schwächste Glied in der Kette gewesen.
Sheila, seine Mutter, hatte sich lange Zeit Sorgen gemacht, er, Johnny, könnte zu sehr nach seinem Vater geraten, der am liebsten um die Welt jettete, um mysteriösen, unheimlichen Vorfällen auf den Grund zu gehen. Oder schlimmer noch, in die Fußstapfen seines Patenonkels John Sinclair zu treten.
Tatsächlich hatte Johnny kurze Zeit mit dem Gedanken gespielt, doch er fühlte sich nicht zum Geisterjäger berufen. Und nachdem er Cathy kennen- und lieben gelernt hatte, verspürte er auch nicht das geringste Bedürfnis, um die Welt zu reisen. Zumal er fast zwei Jahre lang in einer fremden Dimension verschwollen gewesen war, in der Menschen und Dämonen mehr oder friedlichen koexistiert hatten ...
Ein plötzlicher Ruck riss Johnny aus seinen Gedanken.
Die Rolltreppe, auf der er und Cathy zusammen mit den anderen Mitgliedern der Besuchergruppe stand, hatte gestoppt.
An und für sich nichts Ungewöhnliches. So etwas kam vor. Vielleicht war jemand mit dem Schürsenkel hängen blieben.
Seltsam war nur, dass sich auch die danebenliegende Rolltreppe, die in die entgegensetzte Richtung fuhr, also vom zweiten Obergeschoss in das erste, nicht mehr bewegte.
»Bleiben Sie bitte stehen«, hörte Johnny die Stimme der Führerin. »Ich bin sicher, es geht gleich weiter.«
Es ging auch weiter. Allerdings nicht mit der Rolltreppe. Dafür erklangen Schreie aus dem oberen Stockwerk.
»Das darf doch wohl nicht wahr sein? Was ist denn jetzt schon wieder mit dem Scheißding?«
Cyrus Banks tippte auf die Anzeige des Thermostats, doch das Display blieb dunkel, die Heizung kalt. Mit der Faust drosch er auf das winzige Modul, das sich von seinem Wutausbruch jedoch reichlich unbeeindruckt zeigte.
Fest entschlossen, den Kerlen vom Hausmeisterservice Beine zu machen, schnappte er sich sein Smartphone. Doch alles, was das Display ihm anzeigte, war, dass der Telefondienst zurzeit nicht zur Verfügung stand. Genauso wenig wie das W-Lan.
»Scheiße, wofür bezahl ich eigentlich ein Schweinegeld, wenn nichts funktioniert?«, brüllte er und schleuderte das Handy gegen die Wand.
Cyrus Banks war sich durchaus im Klaren darüber, dass er eine verdammt kurze Zündschnur hatte. Es brauchte wahrlich nicht viel, um ihn auf Einhundertachtzig zu bringen. Und wenn es erst so weit war, dann ließ er seinen Frust nur allzu gern an anderen aus. Wehe dem, der ihm dann zuerst über den Weg lief.
Er war leitender Angestellter eines der weltweit größten Hard- und Softwareentwicklers, der erst vor wenigen Jahren verkündet hatte, seine Büros hierher zu verlegen. Damit war Cyrus Banks' Firma zum wichtigsten gewerblichen Mieter der Battersea Power Station geworden, und er selbst konnte sich locker eines der luxuriösen Apartments leisten, wodurch er praktisch nur aus der Tür zu fallen brauchte, um seinen Arbeitsplatz zu erreichen.
Eigentlich brauchte er das Gelände überhaupt nicht mehr zu verlassen. Schließlich gab es hier praktisch alles, was er brauchte. Restaurants, Bars, Fitnessstudios, ja, sogar ein Kino und ein Swimmingpool waren vorhanden.
Für das Geld, das er monatlich für sein Luxusapartment hinblätterte, hätte er sich im Speckgürtel der Stadt eine ganze Villa mieten können. Daher war er der Meinung, dass die Angestellten der Battersea Power Station ihm gefälligst zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Verfügung zu stehen hatten und hier alles reibungslos funktionieren musste.
Ehe Cyrus die Wohnung verlassen und sich auf die Suche nach einem Sündenbock beziehungsweise Blitzableiter für seine Aggressionen machen konnte, wollte er noch kurz unter die Dusche springen.
Zuvor absolvierte der Neununddreißigjährige noch zwanzig Liegestützte, dann sprang er federnd auf die Beine und verschwand im Bad. Dort strich er sich durch sein dichtes braunes Haar und bewunderte im mannsgroßen Spiegel seinen sportlichen Körper, für den er einiges in Kauf nahm.
Banks grinste seinem Spiegelbild ins Gesicht. Seine Zähne waren so weiß wie sonst nur in der Zahnpasta-Werbung.
Dass er es einmal so weit bringen würde, damit hätte seine Mutter nie gerechnet. Schon gar nicht damals, als sie Cyrus regelmäßig verdroschen und ihn einen Versager geschimpft hatte. Heute wusste er, dass sie eigentlich seinen Vater gemeint hatte, der schon mit Anfang fünfzig dem Suff erlegen war.
Verziehen hatte Cyrus seinen Eltern nie und sich geschworen, es der Alten zu zeigen. Und während sie jetzt in irgendeinem billigen Pflegeheim von zweifelhaftem Ruf versauerte, machte er Karriere.
Den Hass auf seine Mutter ließ er an den Frauen aus, die mit ihm ins Bett gingen. Dabei achtete er penibel darauf, sich nur solche ins Haus zu holen, die nicht den Mut hatten, ihn anzuzeigen. Oder für ein paar Scheine die Klappe hielten. Und sobald sie das Schweigegeld erst einmal angenommen hatten, glaubte ihnen sowieso keiner mehr.
Cyrus streifte die Boxershorts ab und trat in die Duschkabine. Er drehte den Hahn auf und – prallte mit einem erschreckten Schrei zurück!
Das Wasser, das aus der Brause schoss, war kochend heiß!
Mit einem Blick auf die Armatur vergewisserte er sich, dass der Thermostat auf vierzig Grad eingestellt war. Doch was da aus der Brause sprudelte, war mit Sicherheit doppelt so heiß.