Kataklysmus - Andreas Meckel - E-Book

Kataklysmus E-Book

Andreas Meckel

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Beschreibung

Ein Asteroid gerät weit außerhalb des Sonnensystems aus seiner Bahn und rast auf die Erde zu. Die Zeit wird knapp, überhaupt etwas zu retten. Hier die abenteuerliche Geschichte einiger ungewollter Helden, die vielleicht die Zukunft der Menschheit retteten.

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KATAKLYSM

Prolog

Das Universum ist unendlich, riesengroß und ewig. Doch gleichwohl es leer erscheint, ist es gefüllt mit Milliarden und Abermilliarden Galaxien. Galaxien, die einfachen Lichtinseln gleichen, und dennoch vor Leben überzuquellen scheinen.

Leben ist immer expansiv. Leben ist immer neugierig. Leben fordert immer Ausbreitung. Leben ist gefrorene Energie in grenzenloser Expansion begriffen. Leben erobert sich Lebensräume. Leben kämpft. Doch Leben kann auch einfach nur teilen.

Das Universum ist ein gewaltiger Kinderspielplatz, dessen Bewohner der einzelnen Lichtinseln sich noch nicht kennengelernt haben. Das Universum ist schlicht zu groß, um es mit seinem Geist in voller Gänze begreifen zu können. Es wimmelt von Leben. Leben, daß einfach nur forschen und leben will.

Denn Leben ist in seiner Natur niemals feindlich. Feindlich reagiert es nur, wenn es angegriffen oder auf andere Art bedroht wird. Leben ist einfach nur expansiv, aber nie wirklich bösartig. Eine Spinne frißt eine Fliege nicht aus Bosheit, sondern weil auch sie Nahrung braucht. Leben existiert nur, weil es sämtliche vorhandene Ressourcen nutzt. Deshalb lernt Leben, deshalb reagiert es im Allgemeinen immer expansiv.

So könnte man auch die Handlungen jener Spezies begreifen, welche jenseits der Grenzen des Sonnensystems begonnen hatte, interstellare Raumfahrt zu betreiben. Noch war man weit davon entfernt, Geschwindigkeiten jenseits der Lichtmauer zu erreichen, also blieb nur diletationsbezogener Unterlichtflug. Ein solcher Flug bot einige Schwierigkeiten, die gelöst werden mußten, wollte man ein anderes Sonnensystem ohne größere Pannen erreichen.

Doch auch wenn es die Menschheit war, die Murphys Law als Erste mathematisch nachvollziehen konnte, hatten manche Spezies von solch spezieller Mathematik keinerlei Ahnung und verließen sich mehr auf Instinkte, als auf statistische Nachweise. Besagte Spezies war technologisch sehr weit entwickelt. Im Vergleich mit der Menschheit alle Mal. Aber im Gegensatz zur Menschheit waren sie nicht blind technikgläubig, sondern gingen davon aus, daß manche Dinge einfach nur schief gehen konnten, wenn sie nicht lange genug überwacht wurden.

Besagte Spezies hatte nicht vor, ein galaktisches Imperium zu gründen, sondern einfach nur ihr Überleben zu sichern. Deshalb waren in einem Jahrhundert ihrer eigenen Zeitrechnung in alle Himmelsrichtungen gewaltige technische Monumente auf den Weg gebracht worden, die die umliegenden Sonnensysteme erforschen und gegebenfalls Kolonien dort errichten sollten.

Es war nicht wirklich ein Auswanderungsprogramm, wie man es von den Menschen kennt. Es war vielmehr eine weitreichende galaktische Erkundung, denn die gewaltigen, eiförmigen Raumschiffe besaßen eine gewaltige Reichweite. Wenn sie auch nicht sonderlich schnell waren. Schnell im Vergleich zu anderen Himmelskörpern, die durch die Galaxis stromerten.

Das Problem bei Körpern, die sich mit relativistischen Geschwindigkeiten bewegen ist der Umstand, daß jegliche Kurskorrektur nicht nur gewaltige Energiemengen frißt, sondern gleichzeitig das Risiko in sich birgt, daß etwas schiefgehen kann. Was mit einem einfachen dreimastigen Segelschiff funktioniert, geht im Weltraum leider nicht so einfach. Ein einfacher Kurswechsel ist nicht nur aufwändig, sondern kann nicht einfach vollautomatisch erfolgen.

Das Universum ist nicht nur voll von astralem Staub, verlorenen Planeten, sondern auch manchmal von herumstromernden Sonnen, schwarzen Löchern, und hin und wieder auch den Überresten von Planetenkollissionen, die im Nichts stattgefunden haben.

Man muß deshalb davon ausgehen, daß der leere Raum zwischen den Sonnensystemen nicht eben so leer ist, wie man es gerne hätte. Man muß zwar nicht unbedingt an jeder Ecke mit Asteroiden rechnen, doch die Wahrscheinlichkeit über eine herumstreunende Gruppe zu treffen ist nach statistischer Wahrscheinlichkeit höher als in einem Sonnensystem selbst.

1.

New York City, Vereinigte Staaten von Amerika,

12. Februar 2024

Die Wall Street war ein Haifischbecken. Zumindest für den Normalsterblichen. Dennoch gab es durchaus Geschäftsleute, die sich in ihr wirklich wohl fühlten. Die letzten Jahrzehnte hatten den einen oder anderen Skandal offenbart, Banken waren an den Eigenmächtigkeiten einzelner Mitarbeiter krepiert, und Vermögenswerte landeten in den Händen zwielichter Markthändler, die sich in erster Linie mit dem Geld ihrer Investoren selbst bereicherten.

Damit unterschied sich die Wall Street nicht wirklich von den anderen wirtschaftlich wichtigen Finanzpunkten des Planeten. Die Erde war ein relativ ruhiger Ort. Zumindest für manche Geister stellte der Planet nur eine Kugel dar, die man ihrer Ressourcen wegen gnadenlos ausbeuten konnte. Mit Widerstand mußte man in den wenigsten Fällen rechnen, denn der Widerstand kam meist aus einer Ecke, die im modernen Amerika ständig ignoriert wurde. Falls sich nicht wieder irgendeine Mafiagruppierung fand, die den einen oder anderen Gewerkschaftsführer unkommentiert um die Ecke brachte.

Die Welt war nach der Pandemie ein anderer Ort geworden. Die Wirtschaft wurde härter, kälter, gnadenloser.die Menschheit hatte zwei große Pandemien im Verlauf von einhundert Jahren überlebt. Ohne größere Opfer, aber mit einem Überlebenswillen, der schon an das Unheimliche grenzte.

John Holland war kein solcher Miesepeter, daß er bestimmte Details einfach ignorierte. Ihn nervten Umweltschützer genauso wie die Trumpjünger, die nach wie vor den alten Esel als Präsident sehen wollten. Holland war Geschäftsmann. Er arbeitete als Investmentbanker auf eigene Rechnung und verdiente nicht schlecht damit.

Doch dieser zwölfte Februar des Jahres 2024 hatte es in sich. Bisher war alles ruhig verlaufen. Bisher. Man konnte dies durchaus relativieren, denn in manchen Börsenjahren verloren Firmen massiv Geld, die vorher reine Gelddruckmaschinen waren. Der Konkurs der Tesla Corporation im vergangenen Jahr kostete Holland fast die Hälfte seines Ersparten, denn die Wirtschaftsaufsichtsbehörde ging mit allen Aktionären in Regreß, die über ein Prozent Firmenanteile hielten.

John war ein stattlicher Mann. Fast täglich trainierte er im Sportcenter in der 74. Straße in der Bronx. Unter all den Schwarzamerikanern fühlte er sich sicherer als unter Seinesgleichen. In den letzten Jahrzehnten waren zu viele Weiße als verbrecherische Raufbolde aufgefallen. Und die Straßen von New York waren Nachts auch nicht mehr so sicher, wie sie es noch in den Siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gewesen waren.

Doch was nutzte ihm seine ganze Stattlichkeit, wenn es mit dem Geld machen nicht mehr so gut klappte. Die Pandemie hatte einige Märkte radikal bereinigt. In Elektronik zu investieren war nach dem Crpytowährungsskandal und der darauffolgenden Pleite vor zwei Jahren auch nur noch ein weiteres totes Pferd, mit dem man nicht wirklich Geld machen konnte. In Wissenschaft und Forschung zu investieren fiel Holland aber dennoch nicht ein.

Wissenschaft und Forschung waren für ihn abstrakte Gebiete, in denen man kaum Gewinne erwarten konnte. Zwar hatte die Wissenschaft den modernen Computer geschaffen, aber Forschung brachte nur etwas, wenn sie sich nicht auf die Grundlagen beschränkte. Und für solche Forschungsprogramme war an der Wall Street nun einmal kein Geld zu bekommen. Selbst Silicon Valley hatte lernen müssen, daß man sich Geld mit Start-ups verschaffte.

John Holland legte die Zeitung beiseite, in der er gerade gelesen hatte. Normalerweise las er nie den Wirtschaftsteil. Doch diesmal hatte er es tun müssen, da auf dem Titel der Name eines seiner Investoren prangte.

Loewitz bei Börsenbetrug erwischt, Sachschaden von 12 Mrd. US$ erwartet. Schatzamt setzt weitere Geldscheinpressung bis März aus.

Die Nachricht an für sich war nichts Besonderes. Beinahe jeden Tag erwischte die Fianznaufsicht einen Händler dabei, wie er krumme Geschäfte tätigte, oder unsauber Finanzen abwickelte. Für John war das nichts Neues. Neu war für ihn die Methode Loewitz gewesen. Moritz Loewitz, ein aus Deutschland emigrierter Börsenmakler hatte sich ganz besonders schlau angestellt. An der Wall Street setzte er immer wieder auf Titel, die auf den ersten Blick keinen Gewinn versprachen. nachdem er dann eine gewisse Geldsumme in solche kleinen Firmen investiert hatte, folgten meist die großen Investmentbanken und stiegen gleichermaßen ein. Danach zog Loewitz sein Geld aus diesen Firmen wieder ab, und machte einen Reibach, der oftmals im Millionenbereich lag.

Sein letzter Deal hatte die verbliebenen Tesla-Aktien betroffen. Elon Musk saß schon seit fünf Monaten hinter schwedischen Gardinen und würde sich wohl vor einem hohen Gericht verantworten müssen. Seinen Wunschtraum des mechanisierten Menschen konnte er nun endgültig begraben.

Für Holland stand fest, daß Musk schuldig war. Anders war es bei Loewitz. Mit seinen Geschäftspraktiken hatte er einige große Banken bis an ihre Grenzen gebracht, obwohl er selbst immer wieder das gleiche Risiko wie jene trug.

Das der von ihm nun angeblich angerichtete Sachschaden lächerliche 12 Mrd. Dollar umfaßte, verwunderte nicht weiter. Interessanter war da eher die Reaktion der Bankenaufsicht, daß sie das Schatzamt dazu zwang, mit dem Gelddrucken aufzuhören.

Wenn es nur ein einfacher Börsenskandal wäre, machte eine solche Maßnahme keinen Sinn. Es sei denn, es steckte etwas völlig anderes dahinter und die Regierung Biden, die sich in ihrer zweiten Amtszeit befand, opferte eines der größten Börsengenies um etwas zu vertuschen.

Genau aus diesem Grund hatte John mehr als nur den normalen Wirtschaftsteil gelesen. John hielt sich nicht für besonders schlau. Und das ihm bisher weder das Schatzamt, noch die Börsenaufsicht unter die Lupe genommen hatten, lag wohl eher daran, daß seine Gewinne eher bescheiden waren. Loewitz ließ über ihn einige seiner kleineren Geschäfte laufen, in dem er Minoritätseinlagen in wirklich winzige Firmen durch ihn machte. Das war nichts Besonderes, Wichtiges. Jeder Börsenmakler investierte in kleine Firmen und gab schmale Kredite aus, um eine Grundrendite zu sichern. Loewitz sicherte so ebenfalls seine eigenen Einlagen in andere Projekte. Bei der Firmenpleite von Tesla sollte er ungefähr sechs Milliarden Dollar verloren haben. Deshalb war Elon Musk nun im Knast, und Loewitz würde ihm bald nachfolgen.

John Holland war clever genug gewesen nicht in Tesla zu investieren. Dafür hatte er einige andere kritische Händel am Laufen. Einer davon betraf ein kleines Wirtschaftsprojekt in Usbekistan. Seit dem Krieg um die Ukraine hatte Rußland insgesamt bei den Investoren an Vertrauen verloren. Und es blieben nicht gerade viele anständige osteuropäische Nationen übrig, in deren Wirtschaft man Geld pumpen konnte.

John sah es pragmatisch.

Aber noch machte die Zeitung nicht den Eindruck, als wäre etwas im Busch. Stattdessen konnte man davon ausgehen, daß endlich mit den Börsenschiebereien aufgehört wurde. Holland legte die Zeitung beiseite, strich sich über den gut gepflegten Bart und sah aus dem Fenster seines Wohnzimmers im 96. Stock hinunter auf die geschäftige Straße. Das übliche Gewimmel.

Dennoch sagte ihm sein Gefühl, daß er etwas in der Zeitung übersehen hatte. Doch er wußte nicht, was das gewesen sein sollte.

2.

London, Großbritannien,

12. Februar 2024

Manche Tage waren einfach nur beschissen. Das Londoner Wetter war wie immer. Es regnete als ob es kein Morgen gäbe. Die britischen Zeitungen ließen sich auch dementsprechend darüber aus. Neben dem großen Börsenskandal um Loewitz gab es nur noch eine weitere Schlagzeile, die wirklich interessant erschien.

King Charles setzt Vegetariergesetz im Commonwealth vor dem Unterhaus durch

Wenn es nicht so verdammt lächerlich geklungen hätte, wäre es für Miss Young nicht unbedingt ein Grund gewesen, morgens aufzustehen. Doch als Vertriebsleiterin eines großen südkoreanischen Konzerns war sie nun einmal verpflichtet, auch auf solches zu ereagieren. Jeden morgen die Tageszeitungen nach interessanten Meldungen zu durchforsten, machte ihr bei ihrer Arbeit noch am meisten Spaß, obwohl sie erst einmal hatte lernen müssen, was die Briten selbst unter Humor verstanden.

Als ehemaliges südkoreanisches Idol hatte sie schon einiges an Unsinn mitgemacht. Doch nachdem sie endgültig aus der Branche ausgestiegen war, hielt sich der ganze Trubel um ihre Person in Grenzen. Jetzt mußte sie für ihren Vorgesetzten jeden Morgen die britischen Zeitungen studieren, nur damit jener ein wenig mehr Zeit auf seiner Sekretärin verbringen konnte.

Wie sie das ankotzte!

Aber ihre Mutter hatte sie damals gewarnt, leichtfertig mit dem Job als Idol aufzuhören. Andererseits würde sie dann immer noch in Busan festsitzen. So war sie wenigstens aus dem kleinen Käfig herausgekommen, der sich Ruhm nannte.

Oh ja, sie hatte mehr als genug Scheiße erlebt.

Aber das war es nicht, was sie diesen Morgen so in Rage versetzte. Dieses neue britische Vegetariergesetz würde es verdammt schwierig machen, außer in speziell ausgewählten Geschäften noch an Frischfeisch zu kommen. Die Europäer sponnen schon seit einigen Jahren mit ihrem Wahn des erweiterten Umweltschutzes herum. Das sie dabei wahre Blüten inszenierten, die sich kein Asiate jemals getraut hätte, bekamen sie nicht einmal mit. Bevor Jessica nach London versetzt worden war, hatte sie zwei Jahre in Deutschland zugebracht und wäre dort fast übergeschnappt. Die Deutschen trieben es mit ihren Grillen noch ein wenig weiter als die Briten. Da wirkten die unterkühlten Engländer ja schon fast sympathisch. Jedenfalls war jetzt das Vegetariergesetz durch. Die Tierhaltung wurde nun unter bestimmte Kriterien gestellt, die in jeden Fall eingehalten werden mußten.

Südkorea hatte schon früh erkennen müssen, daß man mit den eigenen Methoden zur Tierhaltung nicht alles Fleisch für die Bevölkerung auf heimischen Grund wachsen lassen konnte. Mit Geflügel ging das noch, aber ab einer normalen Größe an Schweinen gab es ernsthafte Probleme. Da Getreide nur im Südosten des Landes wuchs, würde es früher oder später ein Abfallproblem geben.

Einer der ersten südkoreanischen Konzerne hatte deshalb noch Frischfleisch mit in sein Portfolio aufgenommen. Was schließlich dazu führte, das Südkorea zwar Mikrochips exportierte, aber dafür Frischfleisch importieren mußte. Das meiste dieses Fleisches wurde in Deutschland und Großbritannien aufwachsen gelassen und geschlachtet.

Doch da nun der König selbst dieses neue Vegetariergesetz durchgebracht hatte, würde es mit dem Fleischexport aus Großbritannien heraus ein wenig schwierig werden. Auch wenn der Konzern von Miss Young nur Rinderhälften in die Heimat schickte, würde die Rinderzucht zukünftig schon ein wenig schwierig werden. Die europäischen Tierschutzgesetze hatten schon den letzten Abteilungsleiter dieses Bereiches fast an den Wahnsinn gebracht, weil er einige Regelungen logisch einfach nicht nachvollziehen konnte. Und die britischen Regeln waren deutlich leichter zu verstehen, als der Schwachsinn, der in Deutschland verzapft wurde.

Jessica legte die Tageszeitung beiseite.

Auf Seite fünf gab es im Wissenschaftsbereich mal wieder einen interessanten Artikel aus dem Bereich Astronomie. Irgend so ein Sterngucker hatte in fast einem halben Lichtjahr Distanz einen grellen Lichtblitz beobachtet. Eigentlich keine besondere Meldung. Jessica interessierte der Artikel nur deshalb, weil ihr älterer Bruder in Südkorea selbst in einer Sternwarte hockte, und den gleichen Himmelsabschnitt im Auge behielt. Nur mit dem Unterschied, daß seine Arbeit als geheim eingestuft war, weil er den Nachthimmel für das südkoreanische Militär im Blick behielt. Dennoch nahm Jessica den Artikel nicht weiter Ernst.

Es blitzte öfter mal gut sichtbar am Nachthimmel. Das war nichts Besonderes. Und die Distanz von einem halben Lichtjahr war weit genug entfernt, daß es der Erde nicht gefährlich werden konnte.

Ihr Chef würde sich freuen, wenn sie ihm das heutige Derivat der heute aufgelaufenen Nachrichtenmeldungen nachher auf den Tisch legte. Mochte er noch so gerne auf seiner dunkelhäutigen britischen Sekretärin schlafen, die Meldungen, die sie aus der Zeitung gesogen hatte, waren an für sich nur insoweit relevant, wie sie im Zusammenhang mit dem Vegetariergesetz standen. Miss Young hielt den aktuellen britischen König sowieso nicht mehr für zurechnungsfähig, nachdem er ohne irgendeinen weitergehenden Grund die halbe britische Flotte nach den Falklands vor zwei Monaten in Bewegung gesetzt hatte. Um die Falklands gab es keinen weiteren Streit mit Argentinien mehr. Es machte gar keinen Sinn, die Flotte auf der südlichen Halbkugel, abseits jeglichen Konflikts, zu stationieren. Aber Charles III. war nun einmal König und konnte deshalb tun und lassen was er wollte. Machte es Sinn oder eben nicht. Die restliche britische Flotte kreuzte frech vor Hongkong und schien wieder Anspruch auf die ehemalige Kronkolonie anmelden zu wollen.

Jessica machte sich keine weiteren Gedanken mehr. Routiniert sprach sie ihre Derivate in ihr Diktiergerät und übermittelte den gesamten Text dann schließlich an das Büro ihres Chefs. Ihr eigener Arbeitsplatz lag da schon ein wenig besser. Nur wenige Straßen von dem Café entfernt, wo sie sich morgens immer mit der britischen Presse beschäftigte. Dieses Café lag selbst nur vier Querstraßen von der koreanischen Botschaft entfernt. Ihre kleine Wohnung lag dem Café genau gegenüber, so daß sie niemals lange Wege zurücklegen mußte.

Das britische Wetter ging ihr inzwischen fast schon genauso auf den Geist, wie die Selbstgefälligkeit, mit der die Briten im Allgemeinen Fremde behandelten. Das man in ihr einen Menschen sah, lag nur daran, daß es viele gab, die in ihr das ehemalige Idol erkannten. Es gab zwar deshalb hin und wieder schon dumme Sprüche von Leuten, von denen sie so etwas kaum erwartete, aber ansonsten geschah nicht viel. Sie machte einfach nur ihre Arbeit.

Sie stand also von ihrem Platz auf, bezahlte wie immer ihre beiden Kaffees und das kleine Stück britischen Kuchens, und wollte hinüber zu ihrem Büro gehen, welches sich nur drei Straßen in der entgegengesetzten Richtung befand. Sie hatte das Café gerade verlassen, als ihr die vielen schwarzgekleideten Herren auffielen. In ihrem Gehabe nach Botschaftspersonal.

Abrupt blieb sie stehen.

Genau im richtigen Moment. Um die nächste Hausecke kamen zwei dunkel gekleidete Koreaner herum, beide mit Sonnenbrillen, obwohl dieser eklige Nieselregen nicht wirklich dazu einlud, und stellten sich vor ihr auf.

»Miss Young, der Herr Attaché möchte sie sprechen!«, forderte der kleinere der beiden sie auf.

Wenn es nicht so lächerlich gewirkt hätte, wäre dies genau der richtige Moment zum Lachen gewesen. Doch der Moment verflog, ohne das Jessica laut auflachte. Wenn das Botschaftspersonal sich so auffällig nur wenige Straßen von der Botschaft entfernt so aufführte, mußte es einen plausiblen Grund dafür geben. Sie war nur einfache Datenanalystin für den koreanischen Konzern. In Großbritannien hatte sie nicht einmal einen höherwertigen Job. Sie tat einfach nur ihre Arbeit.

Aber wenn die beiden Clowns sagten, der Herr Attaché wolle sie sprechen, und nicht der Herr Botschafter, hatte dies eine völlig andere Bedeutung. Wenn der Botschaftssicherheitsdienst nur den Herrn Attaché erwähnte, hieß dies eigentlich nur, daß es sich um den Kulturattaché handeln mußte.

Bereitwillig folgte sie den beiden zu einer schwarzen Limousine.

Man hätte den kurzen Weg zur Botschaft auch zu Fuß zurücklegen können. Dazu wäre nicht extra ein Botschaftsfahrzeug notwendig gewesen. Die paar Meter hätte man auch laufen können.

Im Botschaftsgebäude wurde sie von den beiden Angehörigen der Botschaftssicherheit direkt in den zweiten Stock gebracht. In dem Stockwerk residierte auch der südkoreanische Botschafter. Nur brachte man sie nicht in das Büro des Kulturattachés, sondern in dem des Militärs.

Jetzt wurde Jessica schon ein wenig mißtrauisch. Ihr war bekannt, daß der Kulturattaché auf sie stand und ihr regelmäßig unflätige Post zukommen ließ. Doch seine ganzen Blumensträuße hatte sie bis heute immer wieder ignoriert. Anscheinend war dies die falsche Reaktion gewesen.

Der Militärattaché war ein fröhlicher Mitsechziger, der es sich schon um diese frühen Morgenstunden gut gehen ließ. Mit einer Handbewegung scheuchte er die beiden Begleiter wieder aus dem Büro, begann aber erst zu sprechen, nachdem sie die schallsichere Tür hinter den Männern geschlossen.

»Freut mich zu sie zu sehen, Miss Young.«, begann er.

Jessica sah den älteren Herrn irritiert an.

»Ich arbeite für den Konzern meiner Mutter. Sie haben mir nichts vorzuwerfen. Auch wenn manche Texte an meinen Vorgesetzten unsere Gastgeber betreffend, nicht unbedingt höflich formuliert waren.«, entgegnete sie.

Der Mann schüttelte den Kopf.

»Darum geht es nicht. Es geht eher darum, daß wir sie von ihrem Konzern ausgeliehen haben. Sie erhalten volle diplomatische Befugnisse, solange sie sich auf britischen Boden aufhalten.«

Jessica verzog die Stirn. Irritation war das falsche Wort für das, was sie gerade fühlte.

»Mit welcher Begründung, Sir?«, entgegnete sie knapp.

Der Militärattaché lächelte sie nun wissend an.

»Nun, leider ist etwas durchgesickert. In den nächsten Monaten wird die Welt eine andere werden. Die Frage ist nur, wie lange es dauert, bis die Beobachtungen von Hawaii wirklich bestätigt werden!«

Jessica verstand immer noch nicht.

Der Militärattaché stand auf, trat an einen kleinen Projektor und schaltete ihn an. Auf eine der Holzwände des Büros wurde nun ein Bild des nächtlichen Himmels projeziert. Es zeigte einen Himmelsabschnitt, den Jessica nur zu gut kannte. Es war der Abschnitt, den ihr Bruder von seiner Basis aus beobachtete. Dabei erklärte er: »Nun, der gestern beobachtete Blitz war nicht der erste seiner Art aus dem betreffenden Sternengebiet. Weltweit wurden Observatorien dazu angehalten, das Raumgebiet im Blick zu behalten. Dabei nahmen wir das auf ...«

Es klackte, als der Projektor auf das nächste Bild umschaltete.

Jenes zeigte einen arg verwaschenen Körper, der selbst kaum Licht emittierte, und in dem wenigen Licht, das ihn anstrahlte, kaum zu erkennen war. Ein weiteres Klacken und Jessica bekam eine thermologische Aufnahme zu sehen.

»Das ist unser Problem!«

Das ehemalige Idol verstand im ersten Moment nicht.

Die Aufnahme war nicht sonderlich gut, weil die Distanz zu dem Objekt scheiße weit war. Doch es war zu erkennen, daß es im Gegensatz zu dem komischen Asteroiden, der 2019 das Sonnensystem passierte, eine deutliche Hitzequelle aufwies. Sogar mehrere. Dies bedeutete, es bewegte sich vielleicht nicht ganz so antriebsfrei durch den Weltraum. Nicht, daß dies Jessica sonderlich interessierte. Für sie war eher interessant, weshalb der südkoreanische Militärattaché eine Datenanalystin eines großen koreanischen Konzerns darauf aufmerksam machte.

»Vor etwa einem dreiviertel Jahr nahmen unsere Teleskope bereits aus der betreffenden Sternengegend entsprechende Blitze wahr. Da wir die ersten Lichterscheinungen nicht genau zuordnen konnten, ging die Anweisung heraus, daß alle verfügbaren Augen auf den Sektor gerichtet bleiben. Dabei haben wir dieses Objekt erwischt, welches eine eindeutige Hitzesignatur aufweist.«

Jessica war nur Analystin, aber sie sah in dem ganzen Aufhebens keinen Grund in irgendeiner Weise Panik oder so etwas zu verbreiten. »Das passiert hin und wieder einmal, wenn astrale Projekte miteinander kollidieren. Da entwickelt sich Temperatur. So hat es mir mein Bruder erklärt.«

Der Attaché nickte zustimmend.

»Da stimme ich ihnen unumwunden zu, Miss Young. Unser Problem liegt darin, daß wir die Datenlage hier unten nicht weiter einschätzen können. Und da sie von ihrer Mutter als wahres Genie darin beschrieben wurden, die betreffenden Daten entsprechend auswerten zu können, unterstehen sie ab heute der Botschaft.«

Die Erklärung sollte eigentlich reichen.

Jessica schüttelte den Kopf.

»Sie haben etwas ausgelassen. Man rekrutiert nicht einfach eine unwichtige Datenanalystin, wenn man nicht größere Befürchtungen hätte, als das, was man offiziell verlauten läßt. Worum geht es hier wirklich? Hat sie meine Mutter gebeten, mich von den britischen Straßen zu holen, weil jene zu dreckig sind?«

Der Militär lächelte amüsiert.

»Nein, ganz und gar nicht. Und ja, sie haben recht. Man holt sich nicht einfach jemanden von außerhalb ohne Empfehlung, oder wenn es darum geht, die Faktenlage richtig einordnen zu können. Sie sind unbestritten gut auf ihrem Gebiet. Sogar besser als die meisten Leute auf ihrem Gebiet. Und nur, weil sie so gut sind, haben wir sie geholt.«

Nun war Jessica wirklich verwundert.

»Es gibt also noch einen Fakt, den sie mir noch nicht gesagt haben?«, wollte sie wissen.

Der Militärattaché nickte mißmutig. Seine gute Laune war fast sofort wieder verflogen. »Einer unserer pessimistischeren Wissenschaftler befürchtet anhand der Wärmesignatur, daß wir es nicht mit irgendetwas außerirdischem zu tun haben, sondern mit einem Zehnkilometerbrocken, der uns auf den Kopf fallen könnte. Deshalb haben wir sie geholt, weil dessen Prognose alle sonstigen Berechnungen negiert.«

Es dauerte einen Moment, um das zu verdauen.

»Um die Prognose verifizieren oder auch nur negieren zu können, benötige ich alle vorhandenen Daten. Und zwar wirklich alles, was sie beschaffen können. Ich brauche ein eigenes Büro, einen vernünftigen Computer und dann genug Zeit, um die Prognose prüfen zu können!«

Der Botschaftsattaché machte wieder ein trauriges Gesicht. »Das haben wir alles in der vergangenen Woche bereits für sie herrichten lassen. Sie bekommen einen Diplomatenpaß, und sind nur mit einer Aufgabe betraut. Finden sie heraus, was dieses Ding ist, was unsere Leute da seit einem Jahr beobachten und machen sie eine Aussage, mit der die südkoreanische Regierung leben kann.«, erklärte er.

Nun sah er wirklich niedergeschlagen aus.

»Das Problem an der ganzen Sache ist nicht die Prognose, die uns Kopfschmerzen bereitet, sondern der Umstand, wenn bekannt wird, daß es bereits eine solche Prognose aufgrund unzureichender Fakten gibt.«

Nun war Jessica wirklich beunruhigt.

»Ab wann soll ich meinen Dienst antreten, und ab wann werde ich die ganzen Daten haben?«, fragte sie.

Der Mann sah sie traurig an.

»Es ist alles bereits in ihrem Büro vorhanden, inklusive einer Assistenz, die sie nach besten Wissen und Gewissen unterstützen soll, aber über den genauen Inhalt ihrer Aufgabe nicht informiert wurde. Wir möchten auch, daß es weiterhin so bleibt.«

Jessica nickte zustimmend.

Sie stand wieder auf, doch der Attaché hieß sie sich noch einmal hinsetzen, bevor er das letzte Dia des Projektors aufblitzen ließ. Es war eine Exceltabelle, die so detailliert gehalten war, wie man es tun konnte, wenn man nur ungefähre Nährungswerte hatte. Anhand dieser Tabelle war aber abzusehen, daß im negativsten Fall besagter Felsen der Menschheit in weniger als 30 Monaten auf den Kopf fallen könnte. Vorausgesetzt die ausgemachten Kursparameter veränderten sich nicht noch weiter.

»Damit komme ich nicht klar. Ich kann diese ganzen Zahlen nicht wirklich lesen.«

Es dauerte einen Moment, dann hatte sie sich einen Überblick verschafft.

»Das ist die Prognose? Nur dieses eine Blatt?«

Der Attaché nickte.

»Mehr war nicht notwendig, unseren Außenminister dazu zu bringen, sie dem Projekt zuzuteilen. In der Heimat gibt es einige Leute, die eine höllische Angst haben.«

Jessica lachte amüsiert auf.

»Sir, das Objekt befindet sich noch weiter als ein halbes Lichtjahr entfernt. Selbst bei noch so negativer Grundannahme hätten wir nur dann etwas zu befürchten, wenn die Massenberechnung falsch wäre.«

Der Militär nickte wieder.

»Genau für diesen Job haben wir sie ins Boot geholt. Machen sie ihre Arbeit gut, und sorgen sie dafür, daß diese Prognose der Vergangenheit angehört. Wir versorgen sie täglich mit neuen Daten. Ihre Anstellung in der Botschaft wird genau dreißig Tage andauern, danach möchten wir Ergebnisse sehen.«

Jessica Young hatte verstanden. Es war zwar etwas ungewöhnlich, aber nicht mehr als ihr sonstiger Job auch. Nur Daten analysieren, hochrechnen und entsprechende Wahrscheinlichkeiten festmachen. Ganz normal. Nichts weiter.

3.

Samarkand,

4. des 2. Monats 1147 AK

Meister Hilarius klappte den uralten Laptop unzufrieden zu. In seiner kleinen Kammer gab es nicht eben viel Bewegungsspielraum und jedes zusätzliche technische Gerät machte den Platz nur noch geringer. Der alte Laptop war vor Jahrzehnten weiter im Süden ausgegraben worden. Wie durch ein Wunder hatte seine Festplatte mit all ihren Daten überlebt.

Sander Hilarius war einer der letzten seines Standes. Früher hätte man Universalgelehrter zu seiner Berufsbezeichnung gesagt. Heute wurde man für viel Wissen nru noch Meister genannt. Universitäten in dem Sinne gab es schon lange nicht mehr. Meister Sander, wie er sich häufig ansprechen ließ, hatte kein spezielles Aufgabengebiet. Mal unterrichtete er an der Grundschule schlichte Mathematik, dann wieder in der Hochschule menschliche Fortpflanzungssitten, wie sie aus der Vergangenheit überliefert worden waren.

Sander war ein einfacher Mann. Zwar inzwischen auch nicht mehr der Jüngste, aber schon seit über zehn Jahren der wichtigste Kopf in Samarkand. Es war immer noch ein Wunder, daß die Stadt die Katastrophe ohne nennenswerten Kratzer überstanden, während um sie herum die damals bekannte Welt untergegangen war.

Und die vormals bekannte Welt war riesengroß gewesen.

Davon war nicht mehr viel übrig. Wer es damals nicht rechtzeitig genug in die wenigen verbliebenen Bunker geschafft hatte, überlebte den Kataklysmus nicht. Das Unglück,welches über die Menschheit vor so vielen Jahrhunderten hereingebrochen war, war nicht abwendbar gewesen. Fast wie göttliche Strafe für das sündige Leben der Menschen der Vergangenheit.

Doch Meister Sander dachte nicht in solchen Kategorien.

Religionen hatten vor Jahrhunderten schon ihre logische Grundlage für die Bunkerbewohner verloren. Die Katastrophe war schnell und hart gekommen. Sie hatte schnell und hart das Leben der Menschheit radikal verändert. naja, von dem kläglichen Rest, den man heute noch Menschheit nennen konnte. Denn allzu viel hatte den Kataklysmus nicht überstanden.

Meister Sander hatte seine eigenen Hochrechnungen angestellt. Schon vor Jahren. Dabei war er darauf gekommen, daß weite Teile des Planeten leer sein müßten. Selbst nach knapp elf Jahrhunderten noch.

Die Menschheit war durch die Katastrophe derart dezimiert worden, daß es ein reines Wunder war, daß sie nicht den Weg der Dinosaurier genommen. Doch Meister Sander war ein Tek aus Überzeugung. Er hielt es auch nicht für ein gottbestimmtes Schicksal, welches ausgerechnet die Intelligenten dazu angehalten hatte, in die wenigen noch vorhandenen Bunker hinabzusteigen.

Einmal davon abgesehen, daß etwa dreißig Jahre vor der Katastrophe der wohl gefährlichste Akt in der Menschheitsgeschichte dadurch geendet hatte, daß der sich der gewalttätige kommunistische Ostblock quasi über Nacht in Wohlgefallen ausflöste. Die Welt war um einen atomar geführten Krieg herumgekommen, was zur Folge hatte, daß viele Nationen ihre Atombunkeranlagen einfach stillegten. Und wenn sie nicht einfach dies taten, rissen sie diese sogar noch ab.

Die Anzahl verfügbarer Bunker, die den Kataklysmus überstanden hatten, ließ sich demnach an zwei Händen abzählen. Allzu viel konnte es nicht gewesen sein. Deshalb ließ sich leicht schlußfolgern, daß es an der Oberfläche kaum noch Menschen gab.

Das Samarkand die Katastrophe überstanden hatte, war dem Umstand geschuldet, daß die Stadt in einer wirklich nicht eben lebensfreundlichen Wüstenei gelegen, und so weit auf dem eurasischen Kontinent lag, daß sie so gut wie nichts erreichen konnte. Deshalb hatte Samarkand überlebt.

Die Teks machten kein Geheimnis daraus, daß sie sowohl die Unterstadt, die unterirdischen Bunkeranlagen, als auch die Stadt an der Oberfläche kontrollierten. Und dies schon seit sehr langer Zeit. Ungefähr ab dem Zeitpunkt, als an der Oberfläche die Eiszeit endlich aufhörte. Ohne die hydroponischen Anlagen in den Bunkeranlagen hätte es hier auch kaum Überlebende gegeben.

Meister Sander schlurfte in seiner trägen Art druch die Gänge der Bunkeranlage. Er hielt sich lieber unter der Erde als darauf auf. Nicht, weil er Angst hatte, daß sich der Kataklysmus noch einmal wiederholen könnte. Sondern weil er unter der Erde aufgewachsen war. Aus dem kleinen Samarkand war inzwischen eine Weltstadt mit Millionen Einwohner geworden. An der Oberfläche sah es kaum danach aus, aber die Stadt beherbergte genug Technologie, um einen mittleren Krieg alleine führen zu können.

Und genau dies war es, was Meister Sander umtrieb. Die Herren und Damen Senatoren gingen davon aus, daß der Planet nicht ganz so leer und öde war, wie es die aktuellen Prognosen versprachen. Auch wenn von der Menschheit kaum etwas übrig geblieben war, konnte es überall Überlebende gegeben haben. Das man dennoch über den normalen Funk nichts empfangen konnte, hieß nicht unbedingt, daß da draußen niemand war. Es hieß nur, daß dieser Jemand die technischen Voraussetzungen verloren hatte, ein Funkgerät noch zu bedienen. Zudem normaler terrestrischer Funk in der Atmosphäre sowieso nicht so weit kam. Schon vor der Katastrophe nicht.

Meister Sander erwischte die Treppe, die ihn nach oben führte. Dieser Ausgang führte direkt in den Zentralen Park von Samarkand. Seit der Katastrophe, seit der Eiszeit, hatte sich das globale Wetter verändert. Der sowieso immer zu heiße Planet war gehörig abgekühlt. Jetzt mußte man Anfang Mai immer noch mit leichten Schneeschauern rechnen, was früher niemals so gewesen war.

Oben im Stadtpark fand er auf einer der uralten Bänke seinen Schüler Egmond. Jener studierte immer noch die Schriften von Jessica Young. Einer jener Prophetinnen, die ziemlich exakt vorher gesagt hatten, wie es kommen würde, wenn man nicht entsprechende Gegenmaßnahmen ergriff. Nur hatte damals nicht einmal ihre eigene Regierung auf sie gehört. Es war ein Hohn.

Die Menschheit hätte das Desaster selbst mit besserer Vorbereitung nicht glimpflich überstanden. Die Zeichen der Zeit damals standen auf einen globalen Konflikt, der nur dadurch verhindert wurde, weil der Kataklysmus eintraf.

Ironie pur.

Egmond war gerade dabei, die Zahlenreihen abzuarbeiten, die Jessica Young vor so vielen Jahrhunderten hinterließ. Ihre Bahnberechnungen waren um ein Vielfaches besser gewesen, was vom JPL damals gekommen war. Und dies nur aufgrund von Beobachtungsdaten, die sie sich aus der ganzen Welt hatte schicken lassen. Sie war die Erste gewesen, die gesehen hatte, daß das fremde Objekt einschlagen würde.

Gedankt hatte es ihr niemand.

Egmond bemerkte die Anwesenheit seines Meisters und fragte dann: »Wieso wurde sie nur so mißverstanden? Man hätte die Menschheit retten können, wenn man früh genug auf sie gehört!«

Meister Sander lächelte geheimnisvoll, wie er es meist tat.

»Sie war eine Frau. Damals waren Frauen noch nicht so wertvoll, wie heute. Deshalb hörte niemand auf sie und ihren Rat. Man nahm sie nicht ernst, man unterstützte sie nur insoweit sie den damals herrschenden Paradigmen nicht im Weg stand. Doch ihre Prognose war noch mieser als die des Mathematikers aus Seoul. Das gefiel vielen Leuten in entsprechenden Positionen nicht. Und da sie nur eine einfache Frau gewesen ist, ignorierte man ihren Ratschlag. Denn man hatte noch genug Zeit, genug Bunker für alle zu bauen, als sie ihre Analyse fertig hatte.«

Egmond lächelte leicht.

»Dennoch erinnerst du mich ständig daran, daß dies hier keine Bibel ist.«, erwiderte er dann.

Der ältere Mann nickte zustimmend.

»Wir haben lernen müssen, daß Religionen und Glauben Dinge sind, die sich nicht durchsetzen können, wenn ein Ereignis über uns alle hereinbricht, daß sich nicht einmal mit göttlichen Wirken erklären läßt.«

Egmond nickte zustimmend.

Meister Sander hatte immer Recht.

»Meister, der Präfekt will euch sehen. Anscheinend hat ihn die Idee der großen Expedition immer noch nicht losgelassen!«, sagte der junge Mann.

Meister Sander lächelte wieder geheimnisvoll.

»Denkt der Präfekt also immer noch, man könne die Welt nun erobern, jetzt wo sie leer ist?« Kopfschüttelnd ging er einige Schritte von der Bank fort, auf der Egmond saß, doch dann drehte er sich noch einmal um, und sagte: »Bereite dich darauf vor, daß sich bald etwas ändern wird. Ich werde mit dem Präfekten reden!«

Egmond nickte zustimmend und konzentrierte sich weiter auf sein Buch. Er versuchte immer noch das Geheimnis hinter Jessica Youngs Bahnbeschreibung zu kommen. Sie mußte einen ganz besonderen Zugang zu den Zahlen gehabt haben, die für ihn nur deshalb Sinn ergaben, weil er wußte, welche Zahlenreihe was bedeutete. Jedenfalls war in diesen Bahndaten eindeutig zu erkennen, daß das Objekt mehrere Swing-bys vornahm, bis es schließlich auf Erdkurs war. Und einige dieser nahen Vorbeiflüge an den äußeren Planeten sahen wirklich mutwillig aus, weil die Parameter sich zu radikal veränderten. Könnte es sein, daß die Theorie seines Meisters zutreffend war?

Egmond war kaum bereit daran zu glauben.

Denn Solches würde voraussetzen, daß sein Meister mehr als ein Rätsel bereits vor Jahrzehnten geknackt. Und für ihn waren schon die Aufzeichnungen von Jessica Young, inklusive ihres persönlichen Leidensberichtes, stellenweise Werke von einer Rätselhaftigkeit, die er kaum erklären konnte.

4.

Samarkand,

4. des 2. Monats 1147 AK

Der Präfekt der Sicherheitszone Samarkand war ein mittelalter, gut beleibter, reichlich zynischer Mann. Seine Familie leistete schon seit Generationen ihre Arbeit im Staatsdienst. Falls man denn das Gebilde, welches die Teks über die Jahrhunderte geschaffen, denn überhaupt als Nation wahrnehmen konnte.

Global gab es nicht mehr viele Gemeinschaften, die man als Teks bezeichnen konnte. Die Weltkatastrophe,der Kataklysmus, hatte alles hinweg gefegt, was einmal die globale Zivilisation ausgemacht. Von ungefähr acht Milliarden Menschen hatten, nach bisheriger, günstigster Berechnung, vielleicht drei Millionen überlebt. Und davon nur ein Bruchteil in den extra für solche Fälle eingerichteten Bunkersystemen.

Als gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts der kalte Krieg schlagartig endete, wurden atombombensichere Bunker für die globale Zivilisation immer unwichtiger. In den nachfolgenden sechzig Jahren, falls man es denn so sagen konnte, hatte sich niemand mehr wirklich darum gekümmert, was denn noch gebraucht würde.

Deshalb war es umso fataler gewesen, welchen Schaden der Kataklysmus insgesamt angerichtet. Die Menschheit hatte gute Perspektiven besessen, den Kataklysmus zu überleben. Doch anstatt wieder auf das technische Niveau zurückzukehren, welches sie einmal besessen hatte, waren die letzten tausend Jahre nur von einer andauernden Stagnation gezeichnet gewesen.

Selbst eine solche verlorene Enklave wie Samarkant litt unter dem Fehlen der technischen Möglichkeiten, um den eigenen Fahrzeugpark in nutzbaren Zustand zu halten. Die eigenen Techniker waren zwar gut geschult, doch fehlte den meisten das praktische Wissen. Und Praxis war so das Mindeste, was man mitbringen mußte, wenn man in diesen Zeiten überleben wollte.

Als die Überlebenden aus der unterirdischen Bunkeranlage von Samarkand wieder an die Oberfläche gekommen waren, fanden sie eine teilweise, zerstörte und ruinierte Stadt vor. Also handelte der alte Stadtrat, aus dem sich schließlich die Präfektur entwickelte. Inzwischen gab es nur noch einen Präfekten, der ziemlich absolutistisch über der neuen Stadt herrschte.

Meister Sander hatte sich mit dem Präfekten schon das Eine oder andere Mal überworfen, doch der Präfekt wußte, wie wichtig der Universalgelehrte wirklich für die Stadt war. Inzwischen lebten in Samarkand wieder gut eine halbe Million Menschen. Ohne jene hinzuzuzählen, die noch in der alten Bunkeranlage lebten - und verzweifelt versuchten, die technischen Anlagen am Laufen zu halten. Manche Ersatzteile hatte man von dem genommen, was man an der Oberfläche vorgefunden.

Der Präfekt sah auf den Universalgelehrten, der fünf Meter von seinem breiten Sessel entfernt stand und einfach nur wartete. Der Präfekt ließ sich nur noch mit seinem Titel anreden. Seinen Namen hatte er inzwischen wohl selbst vergessen. Was ihn dennoch zum wichtigsten Mann der Stadt machte.

»Ich habe nach euch schicken lassen, Meister, damit ihr mir noch einmal klar macht, weshalb ich die große Expedition trotzdem nicht starten lassen sollte.«, erklärte der Präfekt gelangweilt.

Sander Hilarouis sah den Präfekten freundlich an.

»Es sind inzwischen etwas mehr als eintausend Jahre vergangen, seitdem die alte globale Kultur unterging. Weite Teile der Welt sind inzwischen entvölkert. Das Volk von Samarkand wurde in den letzten Jahrzehnten nicht von anderen Überlebenden belästigt, weshalb unsere Schriften davon sprechen, daß wir wahrscheinlich die einzige überlebende Anlage der Teks sind, die noch auf diesem Planeten existiert.«, führte er aus.

Der Präfekt nickte zustimmend.

»Höre er auf, uns mit Fakten zu langweiligen. Ich würde gerne noch einmal die Argumentation hören, weshalb eine große Expedition der falsche Weg wäre!«

Nun war es an Sander sich zu räuspern. So höflich es ihm möglich war, entgegnete er:«Der Herr Präfekt weiß durchaus, daß es nicht sein kann, daß nur eine kleine Stadt wie Samarkand relativ ungeschoren aus der Katastrophe hervorgegangen sein kann. Es ist durchaus möglich, daß es noch andere Überlebende gibt. Für uns wäre es deutlich praktischer, wir ließen uns finden, als daß wir Dritte fänden.«

Nun lachte der Präfekt amüsiert auf.

»Immer wieder dieses Argument von euch, daß Samarkand nicht die einzige Stadt sein kann, die überlebt haben kann. Wie ihr wißt, haben unsere Ahnen vor Jahrhunderten bereits versucht mit Funkgeräten Kontakt zur Außenwelt herzustellen. Und ihr wißt genau, wie diese Versuche ausgingen.«, erklärte er dann.

»Gleichzeitig bedeutet dies für uns, daß wir beim Start einer großen Expedition nicht unbedingt mit bewaffneten, vor allem wehrhaften, Widerstand rechnen müßten. Die Wahrscheinlichkeit, daß außer Samarkand noch andere Metropolen überlebt haben, liegt so niedrig, daß wir eigentlich keine Sorgen zu machen bräuchten.«

Sander nickte zustimmend.

»Ich mache mir auch weniger Sorgen um jenen Widerstand, auf den wir treffen könnten, der entsprechend wehrhaft ist. Als um jenen Widerstand, dem wir nichts entgegen zu setzen hätten. Etwas ist vor über eintausend Jahren geschehen, was die Menschheit bis heute nicht verstanden hat. Die Möglichkeit, daß Samarkand die letzte Bastion der Teks ist, halte ich für ziemlich optimistisch. Wir wissen, daß Europa überflutet und leer gefegt wurde. Wir wissen, daß der amerikanische Kontinent, die große Nation China, Australien und quasi der ganze Pazifik durch die Flutwelle ausgelöscht wurden. Sollte es hier überlebende Teile geben, sind sie entweder technologisch nicht weit genug, um bei uns hier zu erscheinen, oder aber wir schätzen die Situation von Anfang an falsch ein, und es hat weniger von der Menschheit überlebt, als wir immer dachten.«

Der Präfekt pfiff anerkennend durch seine Zähne.

»Was schlägst du also vor? Was wäre die Alternative für eine große Expedition?«, wurde er dann gefragt.

Sander mußte nicht weiter darüber nachdenken. Die Idee spukte ihm schon seit Jahren durch den Schädel.

»Herr, laßt meinen Schüler, mich, und dreißig Freiwillige aufbrechen. Und entsendet eine gleichstarke Gruppe in Richtung Osten, um nach den nordchinesischen Städten zu schauen. Ich mache mich mit meinem Team in Richtung Westen auf und versuche den Atlantis zu erreichen. Die östliche Expedition sollte versuchen die alten Koordinaten von Beijing zu erreichen, und sofort wieder umkehren, sollte sie in Schwierigkeiten geraten.«