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Ein klassischer Liebesroman über die Sehnsucht einer jungen Frau nach einem freien Leben. Käthe Rodeck leidet als Kind unter der strengen und distanzierten Erziehung ihrer Pflegeeltern. Als junges Mädchen will sie sich daher baldmöglichst von ihrem Vormund lösen und als Schauspielerin ein ungezwungenes Leben führen. In dieser Zeit lernt Käthe den Theaterdarsteller Wigand kennen. Die beiden verlieben sich und heiraten. Doch wird die Ehe mit dem leichtlebigen Mann sie wirklich glücklich machen?-
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Seitenzahl: 301
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Hedwig Courths-Mahler
Saga
Käthes Ehe
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1914, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726950403
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.
Käthe ordnete den Kaffeetisch. Sie stellte die Tassen zurecht, legte die knusprigen Weißbrötchen in ein Nickelkörbchen und setzte Zuckerdose und Sahnekännchen genau auf die Mitte des Tisches.
Line, die alte Magd, die schon seit zwanzig Jahren im Haus war, brachte die Kaffeekanne und die Zeitungen.
Stumm nahm ihr Käthe beides ab, legte die Zeitung neben Onkel Karls Tasse und stellte die Kanne auf die Spiritusmaschine. Das bläuliche Flämmchen züngelte gierig empor. Nun noch ein Blick über das Ganze. Es war alles bereit. Käthe sah gewohnheitsmäßig nach der Zeit. Es fehlten noch zwei Minuten an acht Uhr.
Sie strich mechanisch glättend über das Haar und trat ans Fenster.
Dasselbe Bild wie alle Tage.
Und jeden Tag stand sie genau um dieselbe Zeit hier und starrte in Träumen hinaus – jeden Tag, seit Jahren.
Und immer dieselben Eindrücke.
Drüben der kleine Kaufladen mit den schmalen Schaufenstern. Darin waren nebeneinander, scharf durch Holzstäbchen getrennt, Kaffee, Reis, Mandeln und Rosinen ausgestellt. Darüber Zitronen, Teebüchsen und Maggifläschchen und zum Abschluß dahinter eine künstliche Mauer aus Makkaroni- und Hafermehlpaketen.
Wenn jemand in den Laden trat, schlug ein häßlich tönendes Glöckchen an, das bis zu Käthe herüberklang.
Alles war zum Weinen eintönig und langweilig.
Käthe gähnte einige Male herzhaft und rieb sich die Augen. Dann seufzte sie tief auf.
Das große, schlanke Mädchen mit dem feingeschnittenen Gesicht und der edel gegliederten Gestalt sah wie ein Fremdling aus in dem altväterlich geschmacklosen Zimmer. Obwohl sie nur ein schlichtes, blaugestreiftes Kattunkleid trug, war sie eine entschieden vornehme Erscheinung. Das lag an der Haltung und am Ausdruck des Gesichts. Die großen blauen Augen, von langen, schwarzen Wimpern umrahmt, blickten melancholisch und gaben dem Gesicht ein etwas düsteres Gepräge. Ihr dunkles, fast schwarzes Haar lag über der Stirn glattgescheitelt und legte sich locker um die Schläfen. Die zarte, frische Gesichtsfarbe wurde noch gehoben durch die leuchtendroten Lippen des feingeschnittenen Mundes.
Jetzt schlug es acht.
In demselben Augenblick öffnete sich die Zimmertür hinter Käthe. Eine alte Dame trat ein. Sie trug ein dunkelgraues Alpakakleid und eine schwarzseidene Schürze. Ihr Gesicht hatte strenge, scharfe Linien, die Augen blickten kalt und unbewegt, und die schmalen Lippen lagen fest und verkniffen aufeinander.
Käthe wandte sich um und ging ihr entgegen.
»Guten Morgen, Tante Amalie«
»Guten Morgen, Käthe.«
Es klang von beiden Seiten steif, ohne Herzlichkeit.
Frau Amalie stellte ihr Schlüsselkörbchen auf den Tisch und ließ ihre Augen prüfend darüber hingleiten.
»Onkel Karls Zeitung liegt wieder einmal an der linken Seite der Tasse. Du weißt, daß er gewohnt ist, rechts danach zu greifen. Wann wirst du endlich begreifen, was Ordnung ist?«
»Verzeih, Tante, ich vergaß, darauf zu achten.«
Sie legte die Zeitung an die richtige Stelle.
»So etwas darf man nicht vergessen, das ist unachtsam – unordentlich. Was soll nur aus dir werden, wenn du so unzuverlässig bist?«
Käthe schwieg, aber um ihren Mund zuckte es wie Widerspruch.
Nun öffnete sich die Tür ein zweites Mal. Onkel Karl erschien.
Man sagt, Ehepaare würden zuweilen einander ähnlich. Hier war es ganz sicher der Fall. Der Ausdruck der kalten Augen, der verkniffene, Kleinlichkeit verratende Zug um den Mund, das starre, unbewegte Gesicht – es war bei beiden das gleiche.
»Guten Morgen, Onkel Karl.«
»Guten Morgen, Käthe.«
Käthe schenkte die Tassen voll, versorgte Onkel und Tante mit Sahne und Zucker und strich Brötchen für beide. Dann bediente sie sich selbst.
Der Onkel entfaltete seine Zeitung, die Tante nahm den Strickstrumpf, und Käthe starrte verträumt in ihre Tasse.
Auch das war wie alle Tage.
Und genau eine halbe Stunde später erhob sich Karl Rodeck, Inhaber einer Lederhandlung, und legte seine Zeitung zusammen. Käthe brachte Hut und Stock und öffnete ihm die Tür. Herr Karl Rodeck machte seinen Morgenspaziergang durch die Gassen und Gäßchen der Stadt. Er würde, wie alle Tage, punkt neun Uhr zurück sein und sein Kontor im Hinterhaus betreten.
Das Vorderhaus mit seiner glattgrau getünchten Fassade war nur Wohnhaus. Es hatte zwei Stockwerke und vier Fenster Front. Das Hinterhaus mit der durchgehenden Toreinfahrt war etwas größer. Im Erdgeschoß befanden sich die Kontore, die beiden Stockwerke enthielten Lagerräume für die Lederballen. Der Duft, den das Leder ausströmte, durchdrang auch das Wohnhaus.
Mit derselben Regelmäßigkeit gingen die beiden Damen an ihre häuslichen Geschäfte.
Frau Amalie Rodeck war ein Muster an Pedanterie. In ihrem Haushalt ging alles am Schnürchen. Sie hatte ein förmliches Kalendarium verfaßt. Da waren für jeden Tag, für jede Stunde des Jahres die häuslichen Verrichtungen festgesetzt, nur daß sich das alles jedes Jahr um einen Tag verschob wegen der Sonntage. Da war genau bestimmt, wann großes, kleines oder mittleres Scheuerfest stattfinden sollte, wann gewaschen, gebügelt und ausgebessert werden mußte. Auch der Küchenzettel war genau festgesetzt für ein ganzes Jahr. Frau Amalie war nie, wie andere Frauen, in Verlegenheit, was sie kochen sollte. Ihr Kalender ersparte ihr das Nachdenken.
Überhaupt, das Denken hätte man sich ganz abgewöhnen können in diesem tadellos sich abwickelnden Haushalt; es wurden in dieser Hinsicht gar keine Anforderungen gestellt.
Käthe hätte ihre täglichen Arbeiten im Schlaf verrichten können. Wie ein aufgezogener Automat fühlte sie sich. Aber ganz hatte sie sich das Denken doch nicht abgewöhnt. Manchmal ging es recht bunt zu hinter der weißen Mädchenstirn. Und dann jagte ihr junges, eingedämmtes Blut ungeduldig und hastig durch die Adern. Sie fieberte nach Freiheit, nach dem schönen, sonnigen, lachenden Leben draußen in der großen Welt, nach ernstlicher Arbeit, nach Betätigung. Das geisttötende Einerlei, das blöde Hindämmern, zu dem sie durch ihren philisterhaften Onkel und Vormund verdammt wurde, schien ihr unerträglich. Ihre Seele rieb sich wund in sehnsüchtigen Freiheitsbestrebungen. Aber es half alles Sehnen und Denken nichts.
Und wenn sie dem Drängen und Treiben in ihrer Brust Ausdruck gab und zu Onkel und Tante einmal davon sprach, dann sah man sie an, als sei sie nicht bei Vernunft. »Das kommt von deinem vielen Lesen«, sagte Tante Amalie vorwurfsvoll, »du wirst noch ganz überspannt.«
Und Onkel Karl zuckte die Achseln. »Hirngespinste! Hilf Tante Amalie tüchtig im Haushalt, da hast du Arbeit genug!«
Damit fertigte er sie ab.
Einmal war sie dringlicher geworden:
»Ich möchte gern etwas Tüchtiges lernen, Onkel Karl. Laß mich nur einmal ein Jahr fort von hier in eine große Stadt!«
Da hatte er sie kalt, fast verächtlich von oben bis unten gemessen. »Du bist von Sinnen! Eine anständige Frau gehört ins Haus. Solange ich dein Vormund bin, stehst du unter meiner Zucht, und ich dulde nicht, daß du draußen herumvagabundierst. Wenn du mündig bist, kannst du tun und lassen, was du willst. Basta!«
Und wenn Onkel Karl ›basta‹ gesagt hatte, dann blieb es dabei.
Nun zählte Käthe die Tage und die Stunden, bis sie mündig sein würde. Und sie malte sich aus, was dann wohl kam. Schauspielerin wollte sie am liebsten werden. Das erschien ihr groß und schön. Sie las heimlich viele Theaterstücke, und war sie allein, trug sie auch ganze Szenen mit ihrem schönen, klangvollen Organ vor. Wie ein Rausch der Begeisterung kam es dann über sie und riß sie fort. Schon in der Schule hatte sie bei festlichen Anlässen immer vortragen müssen, und ihre Lehrer lobten sie sehr. Einer hatte ihr einmal gesagt, vielleicht mehr im Scherz, sie habe entschieden Talent für die Bühne. Das hatte sich in ihrem Kinderkopf festgesetzt. Seit der Zeit probierte sie wieder und wieder heimlich besonders schwungvolle Stellen aus den Klassikern, und sie träumte von Ruhm und Lorbeeren.
Wohl die meisten jungen Mädchen haben einmal eine Zeit, wo sie sich brennend für die Bühne interessieren und sich zu Großem berufen wähnen. Über Käthes Seelenleben wachte jedoch kein liebevolles Mutterauge, kein verständiger Vater machte ihr klar, daß ein dornenvoller Weg nur wenig Auserwählte zur erträumten Höhe führt. Und bei Käthe war es auch mehr die Sehnsucht, aus der lichtlosen, dämmernden Enge herauszukommen, die ihrem Wunsch immer neue Nahrung gab. Jedenfalls wollte sie sich etwas vornehmen, das ihr Leben ausfüllte. Sie wollte hinaus, dahin, wo man lachte und weinte, wo man nach Herzenslust froh und traurig sein durfte. Und vielleicht fand sie dann jemand, den sie lieben konnte mit der ganzen Innigkeit ihres darbenden Herzens, in dem sich ein unendlicher Liebesreichtum aufgespeichert hatte.
Abends, wenn sie um zehn Uhr schon das Licht löschen mußte in ihrem Schlafzimmer, sah sie meist noch lange mit weit geöffneten Augen in die dunkle Unendlichkeit. Sehnsüchtige, verworrene Gedanken kreuzten ihr Gehirn, und romantische Träume spannen sie ein.
Wenn aber der helle Tag wieder ins Fenster schien, dann zerstoben die Phantasiegebilde. Nur die Sehnsucht blieb zurück – und die Hoffnung.
Käthe Rodeck war als achtjähriges Kind in das Haus ihres Onkels gekommen. Ihre Eltern waren einer Typhusepidemie zum Opfer gefallen und kurz hintereinander gestorben. Käthes Vater war ein Vetter von Karl Rodeck gewesen, und dieser war nun der nächste Verwandte des verwaisten Kindes. Wohl oder übel hatte er es zu sich nehmen müssen, sehr gegen seinen Wunsch. Frau Amalie war noch weniger erbaut von diesem Familienzuwachs als er. War sie doch sehr in Sorge, daß ihr musterhafter Haushalt durch ein kleines Kind aus dem Geleise käme. Sie sah schon im Geiste die Spuren barbarischer Kinderfüße auf ihrem blankgebohnerten Fußboden.
Das arme Kind wurde kalt und frostig empfangen, und als es sich zärtlich und liebeheischend an die Tante schmiegen wollte, wurde es ärgerlich zurückgewiesen, weil es die Schürze der strengen Frau zerknitterte.
Man hatte sie dann eine Weile allein im Zimmer stehen lassen. Bitterlich in sich hineinweinend hatte sie sich in dem häßlichen, steifen Wohnzimmer umgesehen. Da war plötzlich die Tür nochmals geöffnet worden, und ein lang aufgeschossener Jüngling trat ein.
Große, tiefliegende graue Augen hatten erst erstaunt, dann mitleidig auf das weinende Kind geblickt. Er war zu ihr getreten und hatte freundlich ihr Haar gestreichelt. »Bist du die kleine Käthe?«
Sie hatte aufgehört zu weinen und energisch mit dem Kopf genickt.
»Ja, wer bist denn du?«
»Ich bin Helmut, der Sohn von Tante Amalie und Onkel Karl, also dein Vetter.«
»Aber du bist nicht so böse wie sie.«
Ein Schatten war über das lächelnde Jünglingsgesicht geflogen.
»Sie sind nicht böse, Käthe, nur ernst und streng, wie Eltern sein müssen. «
Sie hatte ungläubig den Kopf geschüttelt.
»Meine Eltern waren lieb, ach, so lieb und gut!«
Und sie weinte von neuem.
Da hatte er sie getröstet, ihr Geschichtchen erzählt und mit ihr gespielt.
Sein helles, frisches Lachen hatte warm und herzlich durch den nüchternen Raum geklungen. Da war Tante Amalie wieder eingetreten und hatte mit strengen Worten Helmut an seine Arbeit geschickt. Käthe mußte hinausgehen zu Line, die schon damals Hausmädchen bei Rodecks war.
Das war ihr aber immer noch lieber, als bei der kalt blickenden Frau da drin bleiben zu müssen.
Frau Amalie hatte ihre Not mit dem warmblütigen, lebhaften Kind. Es kostete wirklich viel Mühe, bis es in das Kalendarium eingeschachtelt war. Und Käthe konnte so gar nicht fassen, wie sich ein artiges, gehorsames Kind zu verhalten habe. Es gab manchen Kampf mit der ungebärdigen, kleinen Seele, bis sie zahm und still war.
Das Kind wäre vielleicht in dieser eisigen Atmosphäre zugrunde gegangen, wenn Helmut und Line, die Magd, nicht gewesen wären. Die beiden waren gut zu dem kleinen Mädchen, aber nur verstohlen, wenn es Rodecks nicht merkten.
Aber schon im Jahr darauf verließ Helmut das Elternhaus, um nicht zurückzukehren. Seit der Zeit hatte Käthe kein frohes, herzliches Lachen mehr in dem stillen Haus gehört. Helmut war ein wilder und ungestümer Junge gewesen, der von seinem Vater wegen seiner ›Unarten‹ oft gezüchtigt worden war. Daß diese Unarten der Ausfluß einer lebensstarken, feurigen Natur waren, verstanden seine Eltern nicht. Sie wollten Helmut zum blindlings gehorchenden Sklaven erziehen und knechteten ihn mit ihrer elterlichen Autorität.
Aber Helmut war keine Knechtsnatur; er bäumte sich unter der duckenden Hand.
Sein Vater wollte ihn zum Nachfolger im Geschäft heranbilden. So wie er die Lederhandlung von seinem Vater übernommen hatte, so sollte sie Helmut einst von ihm vererbt bekommen. Ob er Lust und und Neigung dazu hatte, ob es seinen Fähigkeiten entsprach – wer fragte danach?
Und bei Helmut stand fest, daß er nicht Lederhändler werden wollte. Sein feuriger Sinn strebte nach höheren Zielen. Aber niemandem durfte er damit kommen. Er fand kein Verständnis bei seinen Eltern. Als er damals abreiste, um ein Lehrjahr in Berlin abzudienen, dachte niemand daran, daß er nicht wieder heimkehren werde.
Nur er wußte es ganz genau. Nach Ablauf des Jahres schrieb er nach Hause, daß er nicht Kaufmann werden, sondern studieren wolle. Er bat die Eltern herzlich, es ihm zu gestatten.
Darauf kam sein Vater eiligst nach Berlin, um seinen Sohn mit väterlicher Strenge zur Pflicht zurückzuführen. Dabei kam es zu einem erregten Auftritt, und Karl Rodeck wollte sich an seinem Sohn vergreifen.
Leichenblaß, mit blitzenden Augen hatte Helmut des Vaters Hände gefaßt und wie in einem Schraubstock festgehalten. Mit leidenschaftlichem Zorn hatte er dem Vater ins Gesicht gesagt, wie er sich an ihm versündigt, wie er alles Gute und Edle durch seine sklavische Erziehung erstickt habe. Zwei Gegner, so standen sich Vater und Sohn gegenüber, aber überzeugen konnte einer den andern nicht.
Als Karl Rodeck heimkehrte, hatte er sich von seinem Sohn losgesagt – es gab keine Gemeinschaft mehr zwischen ihnen. Helmut erhielt aber auch keinen Pfennig mehr von zu Hause. »Es sei denn, du kehrtest reuevoll zurück und fügtest dich meinem Willen«, hatte Karl Rodeck zu seinem Sohn gesagt. Und dieser hatte ihm trotzig geantwortet: »So werde ich mich allein durchschlagen, zur Not kann ich hungern. Ich komme nicht eher zurück, bis ich etwas Tüchtiges geworden bin und mein Ziel erreicht habe.«
Seit der Zeit durfte Helmuts Name nicht mehr vor seinen Eltern genannt werden. Die kleine Käthe vermißte ihn sehr – aber schließlich vergaß auch sie ihn. Kinder vergessen leicht.
Nur in ihre Träume klang manchmal ein frisches, warmes Lachen; dann fuhr sie empor und sah wirr um sich.
Und oft zuckte es ihr in den Füßen, als müsse sie wie Helmut Rodeck auf und davon gehen.
Je älter sie wurde, desto öfter dachte sie dann wieder an Helmut. Sie ahnte nun, was ihn hinausgetrieben hatte. Und Line sagte manchmal abends, wenn Käthe in der Küche das Abendessen bereitete:
»Ich möchte doch zu gern wissen, wie es unserm jungen Herrn geht.« Aber das sagte sie ganz leise, damit es ja nicht durch die Tür zu den beiden alten Leuten drang.
Ob die an ihren Sohn dachten?
Frau Amalie hatte im Anfang nach dem Zerwürfnis schreckhafte Träume, und vielleicht sprach doch auch eine leise Stimme für den Sohn. Sie hoffte gleich ihrem Mann, daß Hunger und Not Helmut reumütig zurückführen würden. Aber es verging Jahr um Jahr, ohne daß er gekommen wäre.
Heimlich zog Karl Rodeck zuweilen Erkundigungen über ihn ein. Er war in Berlin geblieben, hatte dort Philologie studiert und war dann als Hauslehrer einer deutschen Familie nach Amerika gegangen.
Wie elend und mühselig sich Helmut durchgeschlagen hatte, um sein Ziel zu erreichen, wußten sie freilich nicht. Wohl hatte er sich während seines Lehrjahres jeden Pfennig abgedarbt und gespart in der Voraussicht, daß sein Vater die Hand von ihm abziehen würde, sobald er des Sohnes Widerstand merkte. Aber die ersparte Summe war sehr klein. Helmut gab Schülern Unterricht, lieferte Abschriften und verfaßte Artikel für Zeitschriften, um sich die Mittel zum Studium zu verschaffen. Ein karges Leben hatte er geführt und war manchen Abend hungrig zu Bett gegangen. Aber nach Hause wandte er sich nie um Hilfe. Allein wollte er durchkommen und den Eltern beweisen, daß nicht Abenteuerlust ihn hinausgetrieben hatte, sondern die Sehnsucht, Tüchtiges zu leisten, seine Kräfte entfalten zu dürfen.
Seit er nach Amerika gegangen war, hatte man nichts mehr von ihm gehört.
Am schlimmsten für die alten Leute war das Gerede, welches im Städtchen entstand, als Helmut Rodeck nicht heimkehrte. Das kränkte sie fast mehr als der Verlust des ungeratenen Sohnes. Karl Rodeck hatte dann den Sohn seines Bruders, der in jener Zeit starb, zu sich genommen. Albert Rodeck sollte nun Helmuts Nachfolger werden, damit die alte Firma erhalten bliebe.
Dieser Neffe war so recht ein Mensch nach Karl Rodecks Herzen. Unterwürfig, still, kalt berechnend und geschäftstüchtig; ein pedantischer, peinlich ordentlicher Mensch, der statt des Herzens eine Rechenmaschine in der Brust hatte.
Albert dachte sehr verächtlich über seinen ›davongelaufenen‹ Vetter und hoffte, daß er nie wieder auftauchen möge. Seinem Oheim machte er sich unentbehrlich.
Vor Jahresfrist hatte er auf dessen Wunsch die Tochter des Bürgermeisters geheiratet. Mit seiner jungen Frau wohnte er seit dieser Zeit im Haus seiner Schwiegereltern und trug die Nase als bürgermeisterlicher Schwiegersohn noch einen Zoll höher.
Sonnabends war Skatabend bei Rodecks, natürlich unter der Devise: Kein Vergnügen ohne Damen. Dazu stellten sich Bürgermeisters ein, Albert mit seiner Frau und ein verwitweter Arzt, Doktor Krüger, Alberts Freund. Die Herren spielten Skat, und die Damen strickten und häkelten bei Tee und Keks.
Das war die ganze Geselligkeit in Rodecks Haus, der einzige Umgang für Käthe, einige Tanzstundenfreundinnen abgerechnet. Aber mit denen wußte sie nichts anzufangen; sie redeten für sie in einer fremden Sprache und gingen unter in Kleinlichkeitskram.
Sie war ein einsamer Mensch. Das einzige, was ihr Vergnügen machte, waren ihre Sprachstunden bei einem alten Franzosen, der sich im Städtchen niedergelassen hatte. Ihm verdankte Käthe ein vorzügliches, geläufiges Französisch. Gegen diese Stunden hatte Karl Rodeck nichts einzuwenden, wenn Frau Amalie auch schalt und nicht begriff, wozu sie nötig wären, zumal doch Käthe ebensoviel gelernt hätte, als der Franzose selbst wüßte. Karl Rodeck erklärte jedoch kühl, daß Käthe in Übung bleiben müsse, sollte nicht das Geld umsonst ausgegeben worden sein. Und dabei blieb es.
Es war wieder einmal Skatabend. Um den großen runden Tisch im Wohnzimmer saßen die vier Herren, drüben in der Sofaecke die Damen.
Onkel Karl trug sein grünbesticktes Hauskäppchen. Sein Gesicht sah genau so unbeweglich wie sonst in die Karten. Albert Rodeck, ein kleiner, untersetzter Mensch mit spärlichen blondem Haar, das sorgfältig über den runden Schädel verteilt war, schien Onkel Karls Miene zu kopieren. Sein nichtssagendes Gesicht legte sich in würdevolle Falten. Nur in den unstet blikkenden Augen zuckte bisweilen ein funkelnder Seitenblick.
Sein Schwiegervater, der Herr Bürgermeister, das wohlgenährte Oberhaupt der Stadt, hätte zu einem Silen Modell stehen können. Seine weinseligen Äuglein schimmerten feucht aus dem dicken, roten Gesicht mit den wulstigen Lippen heraus. Sein mächtiges Haupt zierte eine rosig glänzende Glatze, die von einem struppigen grauen Haarkranz umgeben war. Er begann jede Rede mit der Frage: »Was ich doch sagen wollte...« Darauf folgte eine Pause, ein Schnaufer – und dann wußte er, was er sagen wollte.
Blieb noch Doktor Krüger.
Das war ein Mann von etwa sechsunddreißig Jahren. Er war mittelgroß, untersetzt, hatte rötliches Haar, scharfe, stechende Augen mit weißen Wimpern und Brauen und trug eine goldene Brille.
Es ging sehr still zu an dem Tisch. Desto lebhafter schwatzten die Damen in ihrer Ecke. Wenigstens die Frau Bürgermeister, eine echte Kleinstadttype, und ihre Tochter Johanna, Alberts Frau. Die beiden wußten alle Neuigkeiten aus dem Städtchen und waren sogar darüber unterrichtet, was jeder Bürger mittags in seinem Topf hatte.
Käthe war froh, daß sie ab und zu für Erfrischungen zu sorgen hatte. Das Geschwätz der Damen fiel ihr auf die Nerven; und die rosige, blonde Johanna, die schon jetzt ein ansehnliches Doppelkinn besaß und sehr beschränkt aussah, fand sie gräßlich.
Am unangenehmsten jedoch war ihr Doktor Krüger, der sie mit seinen stechenden Augen verfolgte. Er spielte ihr gegenüber den Galanten und ließ sehr deutlich durchblicken, daß sie ihm gefiel.
Tatsächlich trug er sich schon längere Zeit mit dem Gedanken, seiner frühverstorbenen Frau eine Nachfolgerin zu geben. Und dazu war ihm Käthe recht. Das schöne, schlanke Mädchen paßte nach seiner Ansicht prächtig in das Doktorhaus.
Käthe ahnte, was ihr drohte, und war sehr zurückweisend gegen ihn. Das verstand er jedoch nicht. Wie hätte sich ein Mädchen bedenken können, Frau Doktor Krüger zu werden? Eine solche Möglichkeit gab es nicht für ihn. Er hätte auch schon seinen Antrag gemacht, wenn er nicht im Zweifel gewesen wäre, ob er Käthe oder die etwas ältliche und verblühte, aber sehr reiche Tochter eines Seifensieders wählen sollte. Schließlich entschied er sich doch für Käthe. Er hatte heute abend Albert Rodeck zu verstehen gegeben, daß er in den nächsten Tagen um seine Base anhalten werde.
Albert hatte das bei der Begrüßung seinem Onkel zugeflüstert, und der alte Herr hatte nur mit dem Kopf genickt, als wollte er sagen: »Gut, die Sache hat meinen Beifall. Basta.« Aber es war gut, daß er dieses ›Basta‹ nur gedacht und nicht ausgesprochen hatte, sonst hätte er verwundert erkennen müssen, daß es im Haus noch einen anderen Willen gab als den seinen.
Als sich die Gäste entfernt hatten und Käthe sich mit ihrem Gutnachtgruß zurückziehen wollte, sagte der Onkel:
»Bleib noch einen Augenblick, ich habe dir etwas zu sagen! Ich erfuhr vorhin von Albert, daß Doktor Krüger in den nächsten Tagen um dich anhalten will. Ich hoffe, du bist dir bewußt, welche Auszeichnung und welches Glück das für dich ist.«
Käthe war blaß geworden, aber ihre Augen blickten fest und klar.
»Ich muß dich bitten, Doktor Krüger von diesem Schritte abzuhalten, da ich niemals seine Frau werde.«
»Wa--as?«
»Ich kann Doktor Krüger nicht heiraten.«
Der alte Herr streckte seinen Hals, als müsse er nach Luft schnappen.
»Du bist wohl wahnsinnig! Warum denn nicht?«
»Weil ich ihn nicht liebe. Ich werde nur einen Mann heiraten, dem mein Herz gehört.«
»Unsinn, Unsinn! Was weißt du von Liebe! Die kommt nach der Hochzeit!«
»Bei mir müßte sie vorher da sein.«
»Aber Käthe«, rief Frau Amalie dazwischen, »das sind törichte Romanideen, das ist wieder eine Folge deiner vielen Leserei! Sieh mich an und Onkel: Wir sind von unsern Eltern zusammengegeben worden und haben uns liebgewonnen.«
Um Käthes Mund zuckte es. Sie wollte sagen: »So wie ihr möchte ich aber nicht verheiratet sein.« Jedoch sie unterdrückte noch rechtzeitig diese Worte.
»Doktor Krüger ist mir unsympathisch; es wäre mir unmöglich, mit ihm zu leben.«
»Ich glaube, du bist dir nicht klar, welch gute Partie du ausschlagen willst. Doktor Krüger kann überall anklopfen und wird mit offenen Armen aufgenommen werden.«
»So mag er es tun, um so besser für ihn.«
»Was soll das alles nun wieder heißen, Käthe? Wer weiß, ob dir jemals wieder so etwas geboten wird. Du mußt dir das entschieden überlegen«, sagte Frau Amalie überredend.
»Bitte, quält mich nicht weiter! Ich werde nach allem Überlegen zu keinem andern Entschluß kommen.«
Karl Rodeck trommelte mit den Fingern auf der Tischdecke herum. Das war bei ihm der Ausdruck höchster Erregung.
»Ich hoffe trotzdem, daß du Vernunft annimmst. Ich wünsche nicht, daß diesem hochachtbaren Mann, der in einem freundschaftlichen Verhältnis zu uns steht, in meinem Haus eine Kränkung widerfährt. Da muß ich doch sehr bitten. Sei froh, daß du einen solchen Mann bekommst! Solltest Gott dafür danken. Willst wohl auf einen Prinzen warten, he?«
»Nein, Onkel, das will ich nicht, aber ich will mich nicht verheiraten mit einem Mann, den ich nicht lieben kann. Ich habe Doktor Krüger keine Veranlassung gegeben, sich auf meine Hand Hoffnung zu machen. Es ist seine Schuld, wenn er um ein Mädchen wirbt, daß ihm deutlich zeigt, daß es ihn nicht mag. So kann er es auch nicht als Kränkung auffassen, wenn du ihm zu verstehen gibst, daß er keinen Antrag machen soll.«
Eine Weile war es still. Dann räusperte sich der alte Herr sehr vernehmlich und blieb vor Käthe stehen. »Du hast uns wenig gedankt, was wir für dich getan haben. Bist immer ein eigenwilliges, widerspenstiges Geschöpf gewesen. Auch das willst du uns nicht zu Gefallen tun. Nun gut, Undank ist der Welt Lohn! Ich hätte es gar nicht anders erwarten sollen.«
»Aber euch kann es doch gleichgültig sein, für euch hängt doch nichts davon ab!« sagte Käthe heftig. Sie mußte bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit diesen Vorwurf der Undankbarkeit über sich ergehen lassen.
»Schon gut, schon gut, geh zu Bett! Das Weitere wird sich finden.«
»Ich werde aber bei meiner Weigerung beharren! Ich mag mit Doktor Krüger nichts zu tun haben, er ist mir widerwärtig!« rief Käthe gereizt, in leidenschaftlicher Abwehr.
Onkel Karl sah sie kalt und streng von oben bis unten an.
»Mäßige dich; es ist häßlich, wenn Frauen so heftig und leidenschaftlich werden. Geh zu Bett!«
Da ging sie mit kurzem Gruß hinaus. Ihr Herz war voll Trotz und Bitterkeit.
Und die alten Leute schüttelten die Köpfe und schalten auf die undankbare Jugend, die sich nicht ihr Glück, bequem zurechtgemacht und zum Gebrauch fertig, in die Hände legen lassen wollte.
Am nächsten Tag versuchte Frau Amalie noch einmal auf Käthe einzuwirken. Das junge Mädchen blieb jedoch fest.
So machte sich die alte Dame auf, um mit Johanna und der Frau Bürgermeisterin den Fall zu besprechen. Sie fand lebhafte Teilnahme. Man bedauerte sie, daß sie ein so undankbares Geschöpf großgezogen habe und entrüstete sich über Käthes ›romantische Grillen‹. Mit einigen Tassen Kaffee wurde der Ärger hinabgespült.
Karl Rodeck mußte die Waffen vor seinem Mündel strecken. Daß er unterlegen war, verletzte ihn in seiner Eigenliebe mehr als die Sache selbst.
Als er am übernächsten Morgen mit verdrießlicher Miene ins Kontor trat, sah ihm Albert schon erwartungsvoll entgegen.
»Johanna sagte mir, daß Käthe meinen Freund Krüger nicht heiraten will. Ist das möglich, lieber Onkel?«
»Ja. Du wirst gut tun, dem Doktor das so schonend wie möglich beizubringen, damit er gar nicht erst mit seinem Antrag herauskommt. Verdammt fatale Situation!«
»Allerdings sehr fatal. Überhaupt, Käthe ist reichlich stolz und hoffärtig.«
»Ach was, eine alberne, überspannte Närrin ist sie! Das liegt ihr von ihrer Mutter her im Blut. Die war eine sehr verdrehte Person; sie hat sogar Gedichte gemacht, die nachher in Zeitungen gedruckt wurden. Und mein Vetter war auch ein überstudierter Narr. Gegen diese Veranlagung hat all unsere strenge Erziehung nichts genutzt.«
»Armer Onkel.«
»Ach was, laß mich zufrieden! Du weißt, so weichmütiges Bedauern ist mir ein Greuel. Laß uns an die Arbeit gehen. Ist die Sendung für Hüniger & Comp. abgegangen?«
»Ja, Onkel, pünktlich.«
»Gut. Zeig mir die Eingänge!«
Er vertiefte sich in seine Postsachen. Albert schrieb emsig weiter.
Aber zwischen den Buchstaben tanzte ihm heute immer ein süßes Mädchenantlitz.
Warum mochte Käthe nicht Krügers Frau werden? Liebte sie etwa einen andern? Hatte sie sich vielleicht gar Hoffnung auf ihn gemacht? Das war schon möglich.
Und diese Möglichkeit bereitete ihm einige Unruhe. Er hatte früher einmal erwogen, ob er Käthe heiraten sollte. Aber des Bürgermeisters Tochter hatte mehr als doppelt soviel Mitgift. Das gab den Ausschlag.
Albert hatte eine sehr geringe Meinung von den Frauen, und seine Gattin brachte ihm keine andere bei. Desto mehr war er von seinen eigenen Vorzügen überzeugt. Es dauerte gar nicht lange, so war er sich im klaren, daß Käthe eine unglückliche Liebe zu ihm im Herzen tragen mußte. Deshalb schlug sie Krüger aus. Seine Eitelkeit gefiel sich in dieser Idee. Sie setzte sich fest. Er nahm sich vor, ein bißchen zu sondieren. Vielleicht würde er sie zu trösten versuchen – Käthe war immerhin ein sehr schönes Mädchen. Mit diesem löblichen Vorsatz beschloß er am Abend sein Tagewerk.
Und Käthe ahnte so gar nichts von seinem edlen Vorhaben.
Sie fühlte sehr wohl, daß sie in Ungnade gefallen war mit ihrer entschiedenen Weigerung. Waren Onkel und Tante bisher kühl und gemessen, so konnte ihr jetziges Verhalten nur mit eisig bezeichnet werden. Nur machte es auf Käthe keinen besonderen Eindruck. Aber das Verlangen nach Freiheit bekam neue Nahrung.
Je kühler und liebloser ihre Verwandten waren, je nüchterner und reizloser sich die Wirklichkeit gestaltete, um so glühender waren die Farben, mit welchen ihre Phantasie sich die Zukunft ausmalte, die Zukunft, in der sie nicht mehr hier in dem greulichen alten Haus mit dem scharfen Ledergeruch und den kalten, engherzigen Menschen zu leben brauchte. Ach, wie sie sich hinaussehnte aus dieser fürchterlichen Umgebung, wie herrlich sie sich dagegen das Leben in der Freiheit, in der Kunst vorstellte!
»Fräulein Käthe, da stehen die Mandeln fertig gerieben. Sie könnten nun den Kuchenteig einrühren«, sagte Line eines Morgens, als Käthe das Kaffeegeschirr in die Küche brachte.
»Kuchenteig?« Käthe sah sie verwundert an.
»Nun ja, morgen ist doch Ihr Geburtstag. Das haben Sie wohl ganz vergessen?«
Käthe schüttelte den Kopf. Wie hätte sie wohl diesen Tag, der sie frei machen würde, vergessen können! War es doch ihr einundzwanzigster Geburtstag.
»Nein, Line, ich vergaß nicht. Ich hatte nur an den üblichen Kuchen nicht gedacht.«
»Na, wie gut, daß wir das alles hier auf der Tabelle haben. Frau Rodeck hatte es auch vergessen; ich mußte sie daran erinnern, damit sie die Mandeln herausgab. Sagen Sie, Fräulein Käthchen, ist die Frau Tante wohl böse auf Sie?«
»Es kann wohl sein.«
»Hab es mir gedacht. Sonst hätte sie sicher die Mandeln nicht vergessen.«
Käthe streifte stillschweigend die Ärmel von ihrem Waschkleidchen bis zum Ellbogen hinauf und begann ihr Werk. Sie rührte mechanisch ihren Kuchen. Die Gedanken flogen jedoch hinaus in den lachenden, sonnigen Junimorgen. Sie war gar nicht so ruhig, wie sie schien. Stand sie doch dicht vor Erfüllung ihres heißesten Wunsches.
Am anderen Morgen, als Käthe ins Wohnzimmer trat, um den Kaffeetisch zu ordnen, sah sie, wie jedes Jahr, ihren Geburtstagstisch zwischen den beiden Fenstern aufgebaut. Wie gewöhnlich lagen lauter praktische und nüchterne Geschenke darauf: ein Kleiderstoff, Schürzen, Taschentücher und einige Paare der von der Tante gestrickten Strümpfe, die Käthe so ungern trug. In der Mitte thronte der Kuchen und ein kleiner Karton mit Pralinen.
Käthe sah nur sehr flüchtig darüber hin. Sie besorgte ihre Obliegenheiten und stellte sich dann wartend ans Fenster, bis Onkel und Tante eintrafen.
Dann nahm sie von beiden den sehr frostigen Glückwunsch entgegen und dankte mit ruhigen Worten dafür.
In ihrem Innern aber stürmte es.
Was würde ihr dieser Tag noch bringen?
Ganz wie sonst verlief die nächste halbe Stunde, und wie sonst holte sie Onkel Karl Stock und Hut herbei.
Aber dann, ehe er hinausging, sagte er kurz:
»Ich habe mit dir zu reden. Komm um zehn Uhr in mein Kontor hinüber!«
»Ich werde kommen, Onkel.«
Sie sagte es ganz ruhig. Aber das Blut drang ihr unruhig zum Herzen. Sie wußte ja, was ihr diese Unterredung bringen würde.
Die Zeit verging ihr sehr langsam.
Endlich war es soweit, daß sie hinübergehen konnte.
Punkt zehn Uhr betrat sie das Kontor, in welchem ihr Onkel mit Albert zusammen arbeitete.
Käthe grüßte die beiden Herrn.
Karl Rodeck sah von seinem Pult auf, wischte die Feder sorgfältig ab, legte sie hin und klappte das Tintenfaß zu.
»Du könntest das Abliefern der Felle beaufsichtigen, Albert. Ich habe mit Käthe zu reden.«
Bereitwillig sprang dieser auf und entfernte sich – jedoch nicht, ohne vorher einen sehr freundlichen Blick auf Käthe zu werfen. Diese konnte sich den sprechenden Blick nicht deuten, da sie nicht ahnte, an welcher fixen Idee Albert litt. Es fiel ihr nur auf, daß er sie anders ansah als sonst. Doch blieb ihr keine Zeit, darüber nachzudenken.
Ihr Onkel schob ihr einen Stuhl hin.
»Nimm Platz!«
Sie tat, wie er geheißen. Nun holte er einen Stoß Papiere und ein schmales Buch aus seinem Pult heraus und legte es vor sich hin.
Umständlich holte er seine Brille aus dem Futteral und setzte sie auf. Dann räusperte er sich und sah Käthe an.
»Du bist heute einundzwanzig Jahre alt geworden. Damit bist du mündig und gesetzlich meiner Vormundschaft entwachsen. Das weißt du wohl?«
»Ja, Onkel.«
»Ich habe dir nun Rechenschaft abzulegen über dein Vermögen, das dir von deinen Eltern hinterlassen wurde. Du findest hier in diesen Papieren alles genau aufgezeichnet. Von dem Erziehungsgeld, das mir aus deinen Vermögenszinsen zustand, habe ich nur direkte Auslagen bestritten. Für deinen Unterhalt an Speise und Trank und für die Wohnung habe ich nichts berechnet. So habe ich jährlich von dem Erziehungsgeld eine kleine Summe gespart und sie deinem Vermögen zugefügt. Ich hoffe, du wirst mir das zu danken wissen.«
»Ich danke dir«, sagte Käthe gepreßt. Um die Welt hätte sie dieser kühlen, pedantischen Auslegung kein warmes Dankeswort entgegnen können.
»Es ist gut, es wird dir nicht an Gelegenheit fehlen, deine Dankbarkeit zu bezeigen. Doch davon später. Nach meinen fertiggestellten Berechnungen bleibt dir ein Vermögen von rund dreihunderttausend Mark. Das ist genug, um dir bei bescheidenen Ansprüchen ein sorgenloses Leben zu sichern.«
Käthe war aufgefahren und sah mit freudigem Erstaunen in sein Gesicht.
»So reich bin ich? So viel Geld gehört mir?«
»Ja, du kannst von heute an frei darüber verfügen.«
Käthe reckte sich unwillkürlich hoch auf. Ein unsagbar frohes Gefühl durchzog ihre Seele. Ihrer Unerfahrenheit in Geldangelegenheiten war es zuzuschreiben, daß sie sich reich dünkte wie ein Krösus. Dreihundert-tausend Mark! Das war eine Unmenge Geld. Und daß sie es besaß, das machte sie erst ganz frei. Nun konnte sie sich ihr Leben nach Gefallen einrichten, ohne Rücksicht auf die pekuniäre Frage, die ihr doch bei ihren Befreiungsplänen heimlich eine Sorge gemacht hatte. Glaubte sie doch, daß sie kaum soviel besäße, wie der Onkel für sie verausgabt hatte.
Nun mußte sie wohl etwas sagen, das fühlte sie.
»Ich danke dir für all deine Mühe, Onkel Karl!«
»Darauf wollte ich jetzt kommen. Ich appelliere jetzt an deine Dankbarkeit. Ich weiß, dein unruhiger Sinn steht hinaus ins freie, ungebundene Leben. Du hast dir das wahrscheinlich sehr romantisch ausgemalt. Ich kann dich auch nicht halten, wenn du gehen willst; aber ich erinnere dich daran, daß Tante Amalie älter geworden ist und eine Stütze braucht. Du wirst, wenn du nicht ganz undankbar und herzlos bist, bei uns bleiben, bis dich ein braver Mann heimholt, und uns damit beweisen, daß unsere mühevolle Erziehung nicht ohne Einfluß auf dich geblieben ist.«
Käthe hatte ihm angstvoll zugehört.
Waren ihr die Fesseln nur abgenommen, um sie mit neuen, festeren zu vertauschen? Konnte man das von ihr verlangen, mußte sie dieses Dankesopfer bringen? Sie suchte unruhig nach einem Ausweg. Er wollte sich nicht zeigen. Sollte es wirklich für sie keinen Weg in die Freiheit geben? Alles, was sie von diesem Tag erhofft hatte, sollte zerronnen sein?
Nein, nein, nicht wieder binden lassen, auch nicht auf diese Weise! Sie war es sich selbst schuldig. Hier im Haushalt war sie nicht unersetzlich, das Räderwerk würde auch ohne sie weitergehen.
Sie raffte sich auf und sah ihrem Onkel fest und gerade ins Gesicht.
»Einen endgültigen Bescheid kann ich dir jetzt nicht geben, Onkel. Ich verspreche dir, daß ich vorläufig noch einige Zeit bleiben werde. Wenn die Tante krank oder ich wirklich unersetzlich im Haushalt wäre, würde ich mich nicht bedenken, für immer zu bleiben. So aber weiß ich, daß dies nicht der Fall ist. Und ich habe auch Pflichten gegen mich selbst, Onkel. Ich kann mich hier nicht frei entfalten, wie ich möchte.«
»Das sind Narrheiten, die ich nicht verstehe.«
»Aber warum haltet ihr mich dann zurück, warum laßt ihr mich nicht fort?«
»Die Leute würden sich darüber aufhalten.«
»Ah – also nur der Leute wegen?«
»Nein, auch deinetwegen. Du bist ja zu töricht, um ermessen zu können, daß dich Sünde und Gefahr da draußen auf Schritt und Tritt verfolgen.«
»Aber es gibt doch so viele junge Mädchen, die allein stehen und einen richtigen Beruf haben.«
»Das sind entweder solche, die niemand mehr haben, der sich ihrer annimmt, oder leichtfertige Abenteuerinnen. Du hast hier bei uns ein Heim, dich treibt nichts hinaus. Sei froh, daß du unterkriechen kannst!«
Käthe sah sinnend vor sich hin. »Unterkriechen.« Das war es. Unterkriechen würde sie müssen, solange sie hier im Haus war. Und sie wollte aufrecht gehen und emporstreben.