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Unmoralisches Angebot Seit einigen Monaten arbeitet Benjamin bei der Firma Transflex, die Büromaterial- und Möbel anbietet, im Lager. Mit seinen Kollegen kommt er gut klar, mit dem Abteilungsleiter Schäfer einigermaßen. Als Schäfer ihm den Auftrag erteilt, mit altem Kram im Verwaltungstrakt hausieren zu gehen, kommt es zu einer schicksalhaften Begegnung mit dem Chef des Unternehmens. Innere Werte Leo hat genaue Vorstellungen von den inneren Werten seines zukünftigen Partners: Immobilienbesitz und hohes Bankguthaben sind Pflicht. Als zwei neue Fahrradkuriere bei seinem Arbeitgeber anheuern, ist er sofort von dem einen, Cersten, fasziniert; vor allem, als er mitbekommt, dass es sich um einen reichen Erben handelt.
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Inhaltsverzeichnis
Unmoralisches Angebot
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Innere Werte
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Epilog – einige Wochen später
Käufliche Liebe Vol. 27
Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.
Copyright Texte: Sissi Kaipurgay/Kaiserlos
Fotos:Cover: Shutterstock 1111899827, Einkaufswagen: Shutterstock 707831452
Cover-Design: Lars Rogmann
Korrektur: Aschure, dankeschön!
Kontakt:http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/, https://www.sissikaipurgay.de/
Sissi Kaiserlos/Kaipurgay
c/o Autorenservice Karin Rogmann
Kohlmeisenstieg 19
22399 Hamburg
Seit einigen Monaten arbeitet Benjamin bei der Firma Transflex, die Büromaterial- und Möbel anbietet, im Lager. Mit seinen Kollegen kommt er gut klar, mit dem Abteilungsleiter Schäfer einigermaßen. Als Schäfer ihm den Auftrag erteilt, mit altem Kram im Verwaltungstrakt hausieren zu gehen, kommt es zu einer schicksalhaften Begegnung mit dem Chef des Unternehmens.
Benjamin guckte auf die große Bahnhofsuhr, die über dem Bürofenster des Lagerleiters hing. Seit er das letzte Mal hingeschaut hatte, waren erst zwei Minuten vergangen. Ihm kam’s viel länger vor. Noch eine halbe Stunde bis zum Feierabend.
„Ben! Komm mal rüber!“, brüllte Manfred Schäfer, sein Chef von der anderen Seite der Halle.
Er eilte zwischen den meterhohen Regalen hindurch. Obwohl es momentan wenig zu tun gab, hatte man zu springen, wenn der Chef es befahl. Das hatte er gleich in den ersten Tagen erfahren. Die schriftliche Ermahnung wegen Befehlsverweigerung steckte in seiner Personalakte. Natürlich stand da nicht dieses Wort, doch im Großen und Ganzen lief es darauf hinaus. Er hatte nämlich die Frechheit besessen, Schäfer zu sagen, dass das Lager nicht gefegt werden brauchte, weil es bereits sauber war.
„Räum das mal auf“, forderte sein Chef und zeigte auf ein Regal, in dem sich Krimskrams türmte.
Benjamin beäugte den Haufen. Nach seiner Meinung konnte der gesamte Kram weg. Eingestaubte Rechenmaschinen, dutzende Farbbänder für Schreibmaschinen, zerknickte Prospekthüllen.
„Mach die Rechenmaschinen sauber und verteil sie in den Büros. Den Rest kannst du den Damen auch anbieten.“ Schäfer zwinkerte ihm zu – hatte er einen Witz verpasst? – und marschierte davon.
Bestimmt wollte sein Vorgesetzter, dass er den Scheiß noch vor Feierabend erledigte. Was für ein Riesen-Bullshit! Den Mist wollte doch niemand mehr haben!
So schnell wie möglich befreite er die Rechenmaschinen vom gröbsten Schmutz, legte sie in einen Karton und stellte diesen auf einen Rollwagen. Mit dem Rest verfuhr er genauso. Anschließend schob er das Wägelchen in Richtung Aufzug.
Er begann seine Tour im Empfang. Helga und Marianne waren seine liebsten Kolleginnen. Beide lachten herzlich, als er ihnen den Gammel anpries.
„Versuch mal dein Glück in der Buchhaltung. Die alten Drachen, die da sitzen, können vielleicht was von deinen Schätzen gebrauchen“, schlug Helga vor.
Fehlanzeige. Hartmut, Evelin und Gundula reagierten sogar empört.
„Sehen wir aus wie Müllverwerter?“, echauffierte sich Evelin.
Ähnliches bekam er im Einkauf, im Vertrieb, der Personal- und Marketingabteilung zu hören. Als letztes steuerte er das Chefsekretariat an. Bestimmt würde sein Vorgesetzter stichprobenmäßig nachhaken, ob er wirklich sämtliche Abteilungen aufgesucht hatte. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als alle abzuklappern.
„Ist nicht dein Ernst, oder?“, fragte Carola, Assistentin des Chefs. Mit spitzen Fingern zog sie eine der Prospekthüllen aus dem Stapel. Jemand hatte etwas mit Kuli darauf gekritzelt. „Unglaublich! Die stammt noch aus meiner Ausbildung, ist also dreißig Jahre alt.“
„Möchtest du sie als Andenken behalten?“
Carola schüttelte den Kopf. „An die Zeit denke ich lieber nicht mehr.“ Sie legte die Hülle zurück auf seinen Wagen.
Plötzlich wurde die Tür, die zum Büro des Chefs führte, geöffnet. Ansgar Schöne erschien, betrachtete stirnrunzelnd erst den Rollwagen, dann ihn und wandte sich an Carola. „Haben Sie die Unterlagen für Chemtech fertig?“
„Natürlich.“ Sie reichte dem Chef eine Mappe, in der dieser zu blättern begann.
In den drei Monaten, die Benjamin bei Transflex arbeitete, hatte er den Mann erst zweimal gesehen. Einmal aus der Ferne, als er im Personalbüro seine Unterlagen abgegeben hatte und einmal, als er über den Parkplatz zur Bushaltestelle ging. Schöne strahlte Autorität aus. Der garantiert maßgeschneiderte graue Zweireiher unterstrich das noch. Die braunen Haare waren akkurat gescheitelt, der Blick der blauen Augen kühl, um nicht zu sagen frostig.
Davon mal abgesehen war Schöne sehr attraktiv. Das erkannte Benjamin neidlos an. Wenn man auf blasierte, alte Arschlöcher – der Typ war schätzungsweise dreißig bis vierzig - stand, war man mit Schöne gut bedient.
Er manövrierte den Wagen aus dem Raum und zum Fahrstuhl. Während ihn die Kabine ins Erdgeschoss transportierte, zückte er sein Handy. Halb fünf. Seit einer Viertelstunde hatte er Feierabend. Na super! Natürlich bekam er die Überminuten nicht bezahlt. Die waren mit seinem fürstlichen Gehalt abgeglichen.
Während der Probezeit, also noch drei Monate, erhielt er den gesetzlichen Mindestlohn. Danach stieg sein Gehalt auf zwölf Euro pro Stunde. Das würde ihm ein bisschen Luft verschaffen. Dank der Schulden, die er mit seiner Spielsucht angehäuft hatte, blieb ihm im Monat gerade genug, um Lebensmittel zu kaufen. Eigentlich bliebe ihm mehr, doch da war die Spielkonsole, die er unbedingt haben musste. Die hatte er per Ratenkauf erworben.
Im Lager schob er den Wagen zu dem Fenster, durch das Schäfer die Untergebenen beobachten konnte. Dahinter war es dunkel. Der alte Sack hatte sich bereits aus dem Staub gemacht.
Erbost überlegte Benjamin, den Rollwagen quer vor die Bürotür zu stellen. Das würde mächtig Ärger geben, lohnte daher nicht, also bugsierte er ihn in eine Ecke. Im Personalraum tauschte er die Sicherheitsschuhe gegen seine Sneakers, schnappte sich Jacke und Rucksack und verließ das Gebäude.
Die Bushaltestelle lag nur wenige Minuten zu Fuß entfernt. Bis er sie erreichte, war sein Zorn verraucht. Er hatte schon früh gelernt, dass man sich über Unabänderliches besser nicht aufregte. Davon bekam man bloß Magenschmerzen.
Benjamin, mit fünf Vollwaise geworden, als seine Eltern bei einem Autounfall tödlich verunglückten, war von Pflegefamilie zu Pflegefamilie weitergereicht worden. Eine Verkettung unglücklicher Umstände. Seine ersten Pflegeeltern hatten sich scheiden lassen. Keiner von beiden konnte oder wollte ihn weiter betreuen. In der nächsten kam er mit den anderen Kindern nicht zurecht und bei der folgenden nicht mit den Eltern. Darüber wurde er fünfzehn und damit reif für eine Jugendwohngruppe. Dort lernte er Leo kennen, mit dem er vor sechs Jahren einen WG gegründet hatte.
Nach seiner Meinung hatte er keine bleibenden Schäden davongetragen. Weder suchte er nach einer Vaterfigur, noch litt er unter Alpträumen oder mangelndem Selbstwertgefühl. Er fand sich total normal, abgesehen von der Sache mit dem Spielen. Zum Glück war diese Phase inzwischen vorbei. Ihm reichte es, mit seiner Playstation zu zocken.
Während der Fahrt las er stets, aktuell eine Science-Fiction. Ausnahmsweise hatte er mal einen Glücksgriff gelandet. Das Buch gefiel ihm sehr. Seine Lektüre kaufte er auf Flohmärkten oder bei anderen Gelegenheiten, bei denen er sich für wenig Geld mit viel Lesestoff versorgen konnte. Sein Vorrat bestand aus einem Sammelsurium unterschiedlichster Genres. Lediglich um Liebesromane machte er einen großen Bogen. Schmalz war echt nicht sein Ding.
Bevor er den Heimweg von der Zielhaltestelle antrat, besuchte er einen Supermarkt. Nudeln, Reis, Tomaten und Zwiebeln landeten in seinem Einkaufskorb. Leo und er ernährten sich überwiegend vegetarisch, allerdings nicht aus ideellen, sondern finanziellen Gründen. Genau wie er verdiente Leo wenig. Dafür hatte sein Mitbewohner einen Job, der ihm Spaß machte. Leo saß in der Funkzentrale eines Kurierunternehmens und ging mit Leib und Seele darin auf. Nachvollziehen konnte Benjamin das nicht. Ihm wäre das viel zu stressig.
Ihre Wohnung lag, zu Fuß fünf Minuten von Wandsbek Markt entfernt, in einem hässlichen Gelbklinkerbau; 3. Stock ohne Fahrstuhl. Zwei Zimmer, Küche, Bad und ein Balkon. Die Miete war, gemessen an dem allgemeinen Preisniveau, okay.
Im Briefkasten fand er wie üblich Werbung und ein Schreiben ihres Stromanbieters. Ersteres landete gleich in dem Karton, in dem die Hausbewohner Altpapier sammelten. Letzteres riss er auf, während er die Treppe hochstieg. Leider sehen wir uns gezwungen, den Preis pro Kilowattstunde den aktuellen Gegebenheiten anzupassen … blablabla. Was sollte dieses Gelaber? Warum schrieben die nicht einfach: Wir wollen mehr Geld?
Leo war noch nicht zuhause. Sein Mitbewohner hatte wochenweise wechselnd Spät- oder Frühdienst. Vor halb acht war also nicht mit ihm zu rechnen.
Bis Viertel vor sieben zockte Benjamin, dann machte er sich an die Essensvorbereitungen. Ihre Küche war so winzig, dass nur knapp ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen hineinpasste. Man lief ständig Gefahr, sich an etwas zu stoßen, wenn man in dem Raum herumwerkelte. Ihn störte das nicht. Wenigstens gab es ein Fenster, auf dessen Bank er seine Kräuter züchtete.
Um kurz nach halb acht vernahm er das Geräusch eines Schlüssels im Schloss der Wohnungstür. Die Nudeln waren inzwischen gar, genau wie die aus geschmorten Zwiebeln und Tomaten bestehende Sauce.
„Was riecht hier so lecker?“, rief Leo.
Als ob es nicht jeden zweiten Tag bei ihnen Nudeln mit Tomatensauce geben würde. „Ich hab ein halbes Schwein in den Ofen geschoben.“
Leo tauchte im Türrahmen auf. „Geil! Ich hab Mordshunger.“
Beim Essen unterhielt ihn sein Mitbewohner mit Neuigkeiten aus der Funkzentrale. Unter den Kunden befanden sich einige Psychos. Da war der, der immer den gleichen Kurier haben wollte, egal, wie lange es dauerte, bis die Ware befördert wurde. Oder der, der ständig versuchte den Preis zu drücken, weil die Sendung angeblich einige Minuten zu spät am Zielort eingetroffen war.
„Stell dir vor: Da ruft heute einer an und fragt, ob einer unserer Fahrradkuriere etwas dazuverdienen möchte. Ich frage den Kunden, was er genau damit meint. Da sagt der doch glatt, dass er die Jungs hammerscharf fände und zu gern mal so einen vernaschen würde.“ Leo schnaubte empört. „Wir sind doch kein Puff!“
„Hast du ihm einen Kollegen vermittelt?“
„Natürlich nicht! Der soll seine perversen Gelüste woanders befriedigen.“
„Vielleicht hätte er gut bezahlt.“
„Würdest du sowas machen? Dich für Geld vögeln lassen?“
Benjamin schüttelte den Kopf. „Es gibt Dinge, die selbst ich nicht tue.“
Eigentlich ganz schön scheinheilig. Schließlich ließ er sich in regelmäßigen Abständen von irgendwelchen Typen abschleppen, die ihn bloß bumsen wollten. Manchmal warfen sie ihn gleich danach raus, manchmal durfte er bis zum nächsten Morgen bleiben. Einziger Unterschied: Er suchte sich die Kerle aus … sofern er zu dem Zeitpunkt noch einigermaßen nüchtern war.
„Siehst du!“ Mit der Gabel stach Leo in seine Richtung. „Man muss sich seinen Stolz bewahren. Ich könnte nach sowas nicht mehr in den Spiegel gucken.“
Sein Mitbewohner war auch kein Heiliger, aber wesentlich wählerischer bei Sexpartnern. Dass Leo trotzdem häufig in die Scheiße griff, stand auf einem anderen Blatt.
Die Erkenntnis, gleich zu ticken, hatte damals ihre Freundschaft gefestigt. Benny und Leo gegen den Rest der Welt, nannten sie oft ihr Bündnis. Von Vorteil war, dass es zwischen ihnen keine körperliche Anziehung gab. Als Paar würden sie nämlich nicht taugen, davon war er überzeugt.
„Wie war’s heute bei dir?“, erkundigte sich Leo.
„Der olle Schäfer hat mich kurz vor Feierabend mit Schrott durchs Gebäude geschickt.“
„Schrott?“
„Na, halt so’n Kram, den niemand mehr braucht. Antike Rechenmaschinen und so.“
„Und wozu solltest du das durchs Haus schippern? Brauchte das Zeug Auslauf?“
„Der hatte wohl gehofft, dass ich den Kram irgendwelchen Leuten unterjubele, damit er es nicht auf den Recyclinghof schaffen muss.“
Leo schüttelte den Kopf. „Idioten gibt’s.“
„Das kannst du wohl sagen. Am schlimmsten war’s im Chefbüro. Der hat mich angeguckt, als würde ich versuchen, ihm Drogen anzudrehen.“
„Beim Chef warst du auch?“, staunte Leo.
„Nö. Der kam nur gerade rein, als ich seiner Sekretärin den Scheiß angeboten habe.“
Leo grinste breit. „Vielleicht hast du den Grundstein für deine Karriere gelegt, weil ihm dein aufopferungsvoller Einsatz gefällt.“
Er zeigte Leo einen Vogel.
Als Benjamin am nächsten Morgen das Lager betrat, traf er auf Schäfer, der stirnrunzelnd den beladenen Rollwagen betrachtete.
„Moin“, grüßte er.
„Niemand wollte etwas davon?“, fragte sein Chef mit deutlichem Unglauben.
„Ich hab alle gefragt.“
„Auch die Damen und Herren in der Buchhaltung?“
War ja klar, dass Schäfer das anzweifelte. „Natürlich. Ich war auch im Chefsekretariat.“
„So’n Mist. Dann pack den Kram in den Caddy. Ich bringe den nachher weg.“
Fahrten zum Recyclinghof übernahm Schäfer stets selbst. Obwohl der Platz in der Nähe lag, dauerten solche Ausflüge mindestens zwei Stunden. Benjamin nahm an, dass Schäfer die Gelegenheit nutzte, um irgendwo ein Käffchen zu trinken oder was Privates zu erledigen. Vielleicht ein Schäferstündchen mit der holden Gattin?
„Und dann hilf Omar und Jamal mit der Lieferung, die eben gekommen ist.“ Sein Chef marschierte davon.
Seine Kollegen stammten aus Anatolien beziehungsweise Serbien und arbeiteten seit über einem Jahrzehnt in dem Laden. Beide besaßen das Privileg, schon um sechs anfangen zu dürfen und entsprechend um halb drei zu gehen. Schäfer kam immer erst um halb acht. Somit hatten die zwei einige Zeit zur Verfügung, um sich zu entspannen, bevor die Maloche losging. Das war zumindest Benjamins Eindruck. Er hätte keine Lust, derart früh im Lager aufzuschlagen, obwohl er dadurch eher Schäfers Klauen entkommen würde. Es stand eh nicht zur Debatte. Einer der drei Mitarbeiter musste sowieso bis vier bleiben.
Er schob den Rollwagen zum Caddy und lud den Müll in den Kofferraum, bevor er sich seinen Kollegen anschloss.
Omar, gerade dabei, mit dem Hubwagen eine Palette Papier weg zu transportieren, winkte ihm zu. „Hi Benny!“
Benjamin grüßte zurück und wandte sich an Jamal: „Was darf ich tun?“
Sein Kollege drückte ihm einen Stapel Kommissionsaufträge in die Hand. „Die Sachen für uns kannste gleich im Haus verteilen.“
Na, super! Die Leute würden sich bestimmt ein Loch in den Bauch freuen, wenn er schon wieder aufkreuzte. „Hast du nicht Lust, eine Runde durch die Stockwerke zu drehen?“, versuchte er sein Glück.
Jamal schüttelte den Kopf. „Nö. Da ist es mir zu stickig.“
Was genau damit gemeint war, entzog sich seiner Kenntnis. Er wollte es auch nicht ergründen, frei nach dem Motto: Jedem sein Problem, mir bitte keines.
Er begann damit, die Aufträge für Kunden zu kommissionieren. Als letztes packte er die Artikel, die von den Büroangestellten geordert worden waren, zusammen.
Gerade wollte er sie auf einen Rollwagen stapeln, da tauchte Schäfer auf, Gewitterwolken über der Stirn. „Der Chef fragt nach den Ordnern für seine Assistentin.“
„Die bringe ich gleich hoch.“
„Zu spät. Er ist auf dem Weg hierher.“ Schäfer stemmte beide Hände in die Seiten. „Das Material für Herrn Schöne geht immer vor. Schreib dir das hinter die Ohren!“
„Ja-ja“, brummelte Benjamin.
Schäfer schnaubte, drehte sich um und verschwand zwischen den Regalen.
„Saftarsch“, murmelte Benjamin, schnappte sich einen Karton Ordner und knallte ihn auf den Rollwagen. Mit dem Rest verfuhr er genauso rabiat. Selbst jemand, dem vieles am Arsch vorbeiging, brauchte mal ein Ventil.
Schritte, die sich näherten, ließen ihn innehalten. Im Lager trugen alle Schuhe mit Gummisohlen, deshalb war der Klang von harten Sohlen befremdlich. Schöne bog um die Ecke der Regalreihe und steuerte auf ihn zu. Der grimmigen Miene nach zu urteilen, erwartete ihn ein zweiter Anschiss.
Schöne blieb vor ihm stehen. „Meine Assistentin wartet dringend auf die bestellten Ordner.“
„Ich mache mich sofort auf den Weg. Der Wagen ist schon halb beladen.“
Schöne musterte erst den Rollwagen, dann ihn, und das ausführlich. Je länger diese Beschau andauerte, desto mehr kam sich Benjamin vor wie ein Stück Vieh.
„Geben Sie mir vier Ordner. Das dürfte erstmal reichen“, beendete der Chef schließlich das Schweigen.
Das Wort bitte kam in Schönes Wortschatz offenbar nicht vor. Er öffnete einen Karton, holte das Gewünschte heraus und reichte es Schöne. „Ich komme in wenigen Minuten mit dem Rest hinterher.“
Schöne winkte ab. „Das hat Zeit. Meine Assistentin ist ja erstmal beschäftigt.“ Sprach’s, klemmte sich die Aktenordner unter den Arm, machte auf dem Absatz kehrt und ließ ihn stehen.
Irritiert guckte er Schöne hinterher. Was zur Hölle war das eben? Hatte Schöne ihn tatsächlich abgecheckt? Bestimmt nur Einbildung. Und wieso hatte es keinen Anschiss gegeben? Steckte hinter der coolen Fassade etwa ein Mensch?
Gemächlich packte er den Rest Büromaterial aufs Wägelchen, mit dem er zum Fahrstuhl zuckelte. Schäfers scharfer Blick folgte ihm. Der Typ trug seinen Namen zurecht. Ständig wachte Schäfer über die Herde – na ja, abgesehen von den frühen Morgenstunden.
Trotz Schönes Aussage, steuerte er zuerst das Chefsekretariat an. Carolas Schreibtisch war verwaist. Wahrscheinlich hatte sie sich in die Mittagspause begeben. Er stapelte ihre Artikel auf einen Stuhl und setzte seine Runde durchs Haus fort.
Zwei Tage später empfing ihn im Lager Musik. Erstaunt begab er sich auf die Suche nach der Lärmquelle. Er fand seine Kollegen in der Ecke, in der die beiden gern ein Päuschen einlegten. Der Platz war weder von Schäfers Büro noch vom Aufzug her einsehbar. Die Musik stammte aus einem Radio. Jamal lehnte, eine Zeitung in der Hand, an einer Regalstrebe. Omar saß auf einem Palettenstapel.