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Drei Hommagen an drei große deutsche Dichter: Goethe, Heine, Brecht Robert Gernhardt singt uns in fremden Zungen ein neues Lied auf die großen Klassiker deutscher Dichtung. Hintersinnige und lustige Parodien, die zudem Lust machen, die Originale neu zu entdecken – gedichtet vom einem Autor, der inzwischen selbst zu den Klassiker der deutschen Literatur gehört.
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Seitenzahl: 51
Robert Gernhardt
Klappaltar
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Drei Hommagen
LIED DER BÜCHER ODER JUNI MIT HEINE
Als im achtzehnten Jahrhundert
Gottes Blick zur Erde schweifte,
Sah er auch den deutschen Michel,
Und ihn schmerzte dessen Blödheit.
Also sandte er ihm Geister,
Michels Ungeist zu erleuchten:
Schickte Lichtenberg und Wieland,
Schickte Kant ihm, schickte Lessing.
Darauf schickte er ihm Geister,
Michels Seele zu veredeln:
Schickte Goethen ihm und Schiller,
Schickte Kleist und Hölderlin.
Alsdann schickte er ihm Geister,
Michels starres Herz zu rühren,
Schickte Tieck sowie die Schlegels,
Den Brentano und Novalis.
Als am Ende des Jahrhunderts
Gott sein Wirken überblickte,
Sah er, daß zum Bildungswerke
Michel noch ein Meister fehle:
Einer, der erleuchten konnte.
Einer, der zu bilden wußte.
Einer, der die Herzen rührte
Kurz, ein Meister aller Klassen.
Gott ging dran, den Lehm zu kneten,
Da begab es sich, daß jemand
Scheinbar zufällig vorbeikam
Und ihn listig frug: Was wird das?
Jemand mit zu grünem Hütchen,
Dessen allzulange Feder
Jedermann signalisierte:
Mit dem Kerl ist nicht zu spaßen.
»Das? Das wird der letzte Meister,
Den ich, um mein Werk zu krönen,
Meinem deutschen Michel schicke,
Zu veredeln sein Gemüte.
Dieses hohe Ziel im Auge,
Back ich in den Lehm, was immer
Bildend ist, bedeutend, rührend,
Herzbewegend und erleuchtend.«
»Also die bewährte Mischung«,
Sprach der Grüne scheinbar arglos,
»Sie wird unsern Michel sicher
Auf den Pfad der Tugend leiten.
Aber«, sann er scheinbar für sich,
»Was taugt solcher Pfad, wenn ihm nicht
Beigesellt ist der des Zweifels,
Der der Lust und der Verführung?
Schick dem Michel keinen Lehrer,
Davon sandtest du schon viele.
Schick ihm lieber einen Prüfer,
Ihm mal auf den Zahn zu fühlen.
So, wie wir den Hiob prüften,
So, wie wir den Faust versuchten,
So laß uns den Michel triezen:
Zeig mal, was du so gelernt hast!
Schick dem deutschen Michel jemand,
Der ihm vormacht, wie ein Jude
Dazu fähig ist, ihn singend
Mühelos zu überdeutschen.
Schick dem braven Michel jemand,
Der ihm die Reveille trommelt,
Ihm das Beispiel der Franzosen
Freiheitsdurstig um die Ohrn schlägt.
Schick dem frommen Michel jemand,
Der ihm Hellas’ Götter predigt,
Dabei ungescheut bekennend,
Daß er’s Fleisch dem Marmor vorzieh’.
Schick dem über allem schweren
Michel einen, der ihm beibringt,
Daß der Ernst der Erdenschwere
Recht betrachtet nur ein Witz ist.
Schick dem guten Michel jemand,
Der ihn lehrt, sein Mitmensch müsse
Erstmal satt sein, dann ergebe
Sich das Gutsein schon von selber.
Schick den Gegenwartsverhimmlern
jemanden, dem gar nichts heilig.
Schick den Menschheitstraumbeglückern
Jemand, der die Zukunft schwarz malt.
Schick den Priestern den Genießer,
Schick den Spießern den Apostel,
Den Philistern schick den Künstler –
Schick dem Michel den Versucher:
›Zeig doch mal, was du gelernt hast
In den Fächern Lesen, Denken,
Toleranz und Humanismus,
Kunstverstand und Herzensbildung.
Kannst du solchen Mann ertragen,
Ihn bewundern, gar vergöttern?
Oder wirst du ihn befehden,
Ihn verbieten, gar verteufeln?‹«
Unvermittelt schwieg der Grüne.
Nachdenklich sah Gott den Lehm an.
Blieb lang stumm, umwölkter Stirne,
Dann sprach er die Worte: »Hat was.
Freilich ist’s mir nicht gegeben,
Diesen Kerl allein zu schaffen.
Solch Zerrißnen zu kreieren,
Braucht’s den Odem zweier Schöpfer.«
Und so bliesen alle beide,
Hauchten doppelt Geist dem Lehm ein:
Siebzehnhundertsieb’nundneunzig
Schickten sie den Deutschen Heine.
Zu Frankfurt eine Zeitung mich frug:
Werden Sie aus Heinrich Heine klug?
Der wird im Dezember wohl zweihundert Jahr
Kommen Sie mit Heinrich Heine klar?
Wir dachten, das könnte was für Sie sein –
Fällt Ihnen etwas zu Heine ein?
Noch schreiben wir Mai, doch sei angefragt –
Denken Sie für uns über Heine nach?
Ich weiß nicht, was soll das bedeuten,
Daß ich so unschlüssig bin.
Ein Urteil aus Urschülerzeiten,
Das will mir nicht aus dem Sinn.
»Der Heine? Ein Blender, kein Dichter.
Ein Journalist, kein Poet.
Nie schluchzt er, nie singt er, stets spricht er.
Ein Feuerwerk. Kein Komet.«
Der Heine scheint’s nicht zu bringen,
Hat sich da der Schüler gesagt.
Das hat mit seinem Singen
Der Studienrat Kraus gemacht.
Gen Italien will ich reisen,
Um im Schatten der Zypressen
Deutscher Nebel, deutscher Händel,
Deutscher Knödel zu vergessen.
In dem Herzen der Toscana
Will vom Deutschtum ich genesen.
Und um meinen Sinn zu fest’gen
Werd’ ich Heinrich Heine lesen.
Ein Buch zu öffnen, meint auch zu verreisen.
Heißt mehr noch: sich auf Neuland vorzuwagen.
Ob seine Worte brechen oder tragen,
Muß sich beim Lesen Satz für Satz erweisen.
Der Heine trug sogleich. Wie man das Eisen
Durch kunstvolle Chemie in Stahl verwandelt,
Hat er das Wort gestählt, das, so behandelt,
Imstand ist, jeden Diensts sich zu befleißen,
Den ihm der Dichter abverlangt. Und Heine
Verlangte viel. Der Kranz seiner Sonette,
Dem er den Titel »Fresko« gab, alleine
Würd’, wenn er andres nicht geschrieben hätte,
Genügen, seinen Namen zu bewahren:
So jung und schon so leid- und kunsterfahren!
Das »Buch der Lieder« zu lesen,
Ist manchmal schon eine Straf.
Das stete Lieben und Leiden
Wiegt selbst den Wachsten in Schlaf.
Das ständige Scheiden und Meiden
Stets nasser Äugelein klein,
Getragen vom Heben und Senken
Unzähliger Vierzeiler fein