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»›Später Spagat‹ versucht noch einmal jene Verbindung von Standbein und Spielbein, Ernstbein und Spaßbein, Verschlüsselbein und Entschlüsselbein, die bereits das Ziel meiner vorherigen Gedichtbände gewesen ist. Nur daß ich diesmal die Aufsatzpunkte des Spagats so reinlich als es ging geschieden habe, wohl wissend, daß auch dieser Spagat eine Mischung wird überbrücken müssen oder doch zumindest können: Jedes noch so ernst gedachte Gedicht kann beim Leser eine untergründige Freude daran erwecken, daß es dem Autor gelungen ist, Worte für das Schwersagbare zu finden. Zugleich vermag der gleiche Leser die Ernsthaftigkeit wahrzunehmen, mit welcher der Autor versucht hat, seinen heiteren Gebilden eine gewisse Dauer zu verleihen.« Robert Gernhardt
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Seitenzahl: 50
Robert Gernhardt
Später Spagat
Gedichte
Fischer e-books
Für L.
Du kommst an, und dein Blick empört sich:
Bella Toscana?
Die Bäume fast blattlos
Die Trauben saftlos
Die Hänge farblos
Und das im September!
Doch es fiel ja seit Juni
kein Tropfen Regen:
Warum nicht gleich morgen wieder abreisen?
Du wachst auf, und dein Blick erbarmt sich:
Verbrannte Toscana
Wie warst du vor Jahr und Tag
blätter- und früchtevoll
makel- und fehlerlos
War das ein September!
Nun dieser verhärmte
kummer- und jammervoll:
Schwer, dich gerade jetzt im Stich zu lassen!
Du bleibst da, und dein Blick verklärt sich:
Tapfre Toscana!
Hier hats ja noch Blätter
Da schwelln ja noch Trauben
Dort grünt ja ein Hang noch
Wie er wohl endet,
der Monat? Nicht glanz-
aber stilvoll?
Das wenigstens sollte man ja wohl noch abwarten können!
Du reist ab, und dein Blick umflort sich:
Cara Toscana!
Die Bäume so blattlos
Die Trauben so saftlos
Die Hänge so farblos
Und das im September!
Doch alte Liebe
rostet nicht!
Oder liebt da ein rostender Alter?
Zypressen muß ich nicht haben.
Nicht welche, die sichtbar vergehen.
Was stehen die in der Landschaft rum?
Das Vergehen muß ich nicht sehen.
Das zieht sich ganz schön, dieses Sterben.
Das ist eine Sache von Jahren.
Weshalb die so langsam den Bach runtergehn?
So genau muß ich das nicht erfahren.
Zypressen muß ich nicht sehen.
Was nicht da ist, kann keiner vermissen.
Warum mich das alles so total nervt?
All das muß ich wirklich nicht wissen.
Wenn ich mich aufsetzte,
was ich nicht tue -
Alter Mann ist kein D-Zug,
er braucht seine Ruhe – :
Wenn ich mich aufrichtete,
was ich nicht mache -
Warum nicht? Das tut hier
bei Gott nichts zur Sache – :
Wenn ich jetzt aufstände,
was ich schön lasse -
Mir ist, als ob Aufstehn
nicht recht zu mir passe – :
Wenn ich das täte, wovon ich gesprochen:
Ich sähe die schönste Toscana seit Wochen.
Es tut mir in der Seele weh,
wenn ich dich seh, Badía See.
Einst warst du rings von Wald umsäumt,
im Schilf versteckt, im Grün verträumt.
Heut liegt dein Ufer bloß und nackt.
Da haben Menschen zugepackt.
Einst warst du voll Gesumm, Gesang,
Getier, Gefrosch, Gelurch, Geschlang.
Heut summt nichts mehr, heut fliegt nichts mehr.
Dank Menschen bist du tiereleer.
Einst sprang ich nackt in dich hinein:
Hier war ich Mensch, hier durft ichs sein.
Heut lohnts nicht mehr, sich auszuziehn.
Wo Menschen wüten, muß Mensch fliehn.
Einst schlug mein Herz, wenn ich dich sah.
Heut geht mir deine Nacktheit nah.
Grad, daß mich keine Träne näßt.
Wir Menschen sind schon eine Pest.
Stachelschweine fräßen seine Ernten,
seien jede Nacht gewaltig tätig,
dennoch sehe er sich außerstande,
diese Räuber einfach zu erschlagen,
seit er einmal eines dieser Tiere
angefahren aufgefunden habe,
bereits tot, mit ausgestreckten Ärmchen,
die in kleinen Händchen ausgelaufen seien,
regelrechten Kinderhändchen, Babyhändchen,
derart menschlich, daß schon der Gedanke,
solch ein zartes, handbegabtes Wesen
zu erschlagen, ihm wie Frevel schiene…
Seinen Blick auf seine Hände senkend,
achtzigjährig, doch auch die warn einmal
Kinderhändchen, schwieg Danilo lange,
um dann unversöhnlich fortzufahren:
Anders läg der Fall bei wilden Schweinen,
die sich gleich den Stachelschweinen unterständen,
Nacht für Nacht auf seinem Feld zu wildern.
Kinderhändchenlos, dafür voll Hufen,
hätten sie's sich selber zuzuschreiben,
wenn der Mensch sie ohne Gnade tilge…
Seine Hände wie zu Hufen ballend
hielt Danilo ein, worauf ein Grunzen,
schweinemäßig, das in Greisenlachen
überging, die Morgenstille sprengte.
Durch die Landschaft meiner Niederlagen
gehe ich in meinen alten Tagen:
Abends ist es am schlimmsten. Das Streiflicht
der nur langsam untergehenden Sonne
modelliert die fernen gefalteten Berge,
die nahen gespaltenen Steine, kurz alles,
was sich ihm in den Weg stellt.
Abends war es am schönsten. Den Lichtstreif
der untergehenden Junisonne
für immer festzuhalten, verbrachte
ich Stunden um Stunden vor Leinwand und Landschaft,
ein Weg ohne Ende.
Abends war er am stärksten, der Eindruck,
diesmal den treffendsten Ausdruck zu finden
fürs glorreiche Ineinander der Lichter,
der Schatten, der Dinge, der Farben: Du bist
auf dem richtigen Wege!
Abends ist sie am stärksten, die Einsicht:
Du warst deiner Aufgabe niemals gewachsen.
Immer noch flüchtig das Licht. Nur ein Schatten
davon auf deiner Leinwand zu ahnen,
kein Weg, eine Sackgasse.
Abends ist es am schönsten. Der Streifzug
rund um den Hügel von Montaio
berückt und verzückt und beglückt wie damals.
Verrückter Gedanke, das halten zu wollen,
was nur Schein und dann weg ist:
Durch die Landschaft meiner Niederlagen
geh ich wie in alten Tagen.
Durch die Auen,
durch die Triften
reise ich, mich zu vergiften.
Winde säuseln,
Strahlen blitzen,
bald werd ich am Gifttropf sitzen.
Hügel locken,
Berge blauen,
schon kann ich das Gifthaus schauen.
Durch die Flure,
durch die Weiten
sieht man mich zum Giftraum schreiten,
Um dort über
viele Stunden
an dem Gifte zu gesunden.
Oder auch nicht.
O Robert hoch in Schulden
vor Gott und vor der Welt!
Was mußt du noch erdulden,
bevor dein – nein, nicht Gulden–,
bevor dein Groschen fällt?
Dein Groschen war einst golden,
nun ist er eitel Blei.
Und mit dem Kind, dem holden,
dem Frühling und den Dolden
ist es schon lang vorbei.
Spiel also nicht den Helden,
der noch auf Unschuld hält.
Schuld muß der Mensch vergelden.
Wann dürfen wir vermelden,
daß auch dein Groschen fällt?
Geh aus mein Herz und suche Leid
in dieser lieben Sommerszeit
an deines Gottes Gaben.
Schau an der schönen Gifte Zier
und siehe, wie sie hier und mir
sich aufgereihet haben.
Die Bäume stehen voller Laub.
Noch bin ich Fleisch, wann werd ich Staub?
Ein Bett ist meine Bleibe.
Oxaliplatin, Navoban,
die schauen mich erwartend an: